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Ole G. Mouritsen<br />

SUSH I<br />

<strong>für</strong> <strong>Wiss</strong>- <strong>und</strong><br />

<strong>Bissgierige</strong><br />

Grafik<strong>de</strong>sign <strong>und</strong> Fotografie<br />

Jonas Drotner Mouritsen<br />

Aquarelle<br />

Tove Nyberg<br />

Aus <strong>de</strong>m Englischen übersetzt von<br />

Silke Schmidt


Titel <strong>de</strong>r Originalausgabe: Sushi – Food for the eye, the body & the soul<br />

Aus <strong>de</strong>m Englischen übersetzt von Silke Schmidt<br />

© 2009 Springer Science+Business Inc., New York<br />

Wichtiger Hinweis <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Benutzer<br />

Der Verlag <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autor haben alle Sorgfalt walten lassen, um vollständige <strong>und</strong> akkurate<br />

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Garantie noch die juristische Verantwortung o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>ine Haftung <strong>für</strong> die Nutzung<br />

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Bibliografische Information <strong>de</strong>r Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in <strong>de</strong>r Deutschen Nationalbibliografie;<br />

<strong>de</strong>taillierte bibliografische Daten sind im Internet über<br />

http://dnb.d-nb.<strong>de</strong> abrufbar.<br />

Springer ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media<br />

http://www.springer.<strong>de</strong><br />

© Spektrum Aka<strong>de</strong>mischer Verlag Hei<strong>de</strong>lberg 2011<br />

Spektrum Aka<strong>de</strong>mischer Verlag ist ein Imprint von Springer<br />

11 12 13 14 15 5 4 3 2 1<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Je<strong>de</strong> Verwertung<br />

außerhalb <strong>de</strong>r engen Grenzen <strong>de</strong>s Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung<br />

<strong>de</strong>s Verlages unzulässig <strong>und</strong> strafbar. Das gilt insbeson<strong>de</strong>re <strong>für</strong> Vervielfältigungen,<br />

Übersetzungen, Mikroverfilmungen <strong>und</strong> die Einspeicherung <strong>und</strong> Verarbeitung in elektronischen<br />

Systemen.<br />

Planung <strong>und</strong> Lektorat: Merlet Behncke-Braunbeck, Martina Mechler<br />

Redaktion: Peter Wittmann<br />

Satz: Jonas Drotner Mouritsen<br />

Umschlaggestaltung: Jonas Drotner Mouritsen <strong>und</strong> wsp <strong>de</strong>sign Werbeagentur GmbH,<br />

Hei<strong>de</strong>lberg<br />

Titelfotografie: Jonas Drotner Mouritsen<br />

Grafik<strong>de</strong>sign <strong>und</strong> Fotografie: Jonas Drotner Mouritsen<br />

Aquarelle: Tove Nyberg<br />

ISBN 978-3-8274-2669-7


Inhalt<br />

Vorwort • xiii<br />

Über dieses <strong>Buch</strong> <strong>und</strong> wie man es liest • xvi<br />

a „Irrasshai!“ • xviii<br />

Sushi – Zen, Lust, <strong>Wiss</strong>enschaft & Wellness<br />

Sushi <strong>und</strong> Zen 2<br />

Ein Bekenntnis • 3<br />

Der Haiku-Moment • 3<br />

Die <strong>Wiss</strong>enschaft hinter <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaft • 5<br />

Demokratie in <strong>de</strong>r Sushi-Bar • 6<br />

Wabi Sabi • 8<br />

Sushi <strong>und</strong> Wellness – ein langes, ges<strong>und</strong>es Leben • 10<br />

Was ist Sushi? 14<br />

Ein bisschen Sushi-Geschichte • 15<br />

Sushi ist gesäuerter Reis mit einem Belag (tane) o<strong>de</strong>r einer Füllung (gu) • 19<br />

Die nordische Antwort auf Sushi • 20<br />

Sushi-Varianten • 22<br />

Leben, Nahrung & Moleküle<br />

Die Moleküle <strong>de</strong>s Lebens 26<br />

Zellen <strong>und</strong> Moleküle • 27<br />

Sacchari<strong>de</strong> • 28<br />

Aminosäuren <strong>und</strong> Proteine • 29<br />

Fette <strong>und</strong> Öle • 30<br />

s Gesättigte <strong>und</strong> ungesättigte Fettsäuren • 33<br />

Nukleoti<strong>de</strong>, dna <strong>und</strong> Gene • 34<br />

a Cholesterin <strong>und</strong> Evolution • 36<br />

Sinneswahrnehmung 40<br />

Wie Essen schmeckt <strong>und</strong> riecht • 41<br />

s Umami – <strong>de</strong>r fünfte Geschmack • 44<br />

Geschmack • 45<br />

s Die Biochemie <strong>de</strong>s Geschmacks • 46<br />

Geruch • 47<br />

M<strong>und</strong>gefühl • 48<br />

Etwas aus <strong>de</strong>m Meer & etwas von <strong>de</strong>n Bergen<br />

Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchte 52<br />

Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchte • 53<br />

Warum sind Fischmuskeln weich? • 54<br />

s Muskeln • 55<br />

s Langsame <strong>und</strong> schnelle Muskeln • 56<br />

Warum sind manche Fischmuskeln weiß? • 57<br />

Lachsmuskeln enthalten ein rotes Pigment • 58<br />

Fisch riecht nicht fischig! • 59<br />

Wie schmeckt Fisch? • 60<br />

s Osmose • 62<br />

s Weiterführen<strong>de</strong> Erklärung • a Kurzweiliger Abstecher<br />

vii


viii<br />

Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchte sind nahrhaft • 64<br />

s Überprüfen sie <strong>de</strong>n epa- <strong>und</strong> dha-Gehalt Ihres Fischöls • 65<br />

Öliger <strong>und</strong> magerer Fisch • 66<br />

Das beste Stück vom Fisch • 66<br />

Fisch mit Gräten • 66<br />

s Fettgehalt in Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchten • 67<br />

Fischrogen • 68<br />

a Tsukiji – Fisch, so weit das Auge reicht • 70<br />

Die Textur von Krebstieren • 74<br />

Wie schmecken Krebstiere? • 74<br />

Die Textur von Weichtieren • 75<br />

Wie schmecken Weichtiere? • 76<br />

Der Seeigel – ein Stachelhäuter • 76<br />

Aquakultur von Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchten • 78<br />

Umweltgifte in Fisch • 80<br />

Parasiten in Fisch • 81<br />

a Scha<strong>de</strong>t Fisch <strong>de</strong>r Ges<strong>und</strong>heit? • 82<br />

Pflanzen aus <strong>de</strong>m Meer 86<br />

Algen <strong>und</strong> Seetang • 87<br />

Der Geschmack von Seetang • 87<br />

Nori – dünne Seetangblätter <strong>für</strong> Sushi • 88<br />

s Nori im Überfluss dank <strong>de</strong>r „Mutter <strong>de</strong>s Meeres“ • 91<br />

Sojabohnen: Tofu, Shõyu & Miso 92<br />

Proteine <strong>und</strong> Fette in Sojabohnen • 93<br />

Tofu • 93<br />

Shõyu (Sojasoße) • 94<br />

Miso • 95<br />

s Japanische Sojasoße - Shõyu • 96<br />

Reis, Reiswein <strong>und</strong> Reisessig 98<br />

Woraus besteht Reis? • 99<br />

Reis kochen • 99<br />

Reis <strong>für</strong> Sushi • 101<br />

Sake – Reiswein, ein heiliger Trank • 102<br />

Shõchũ – ein starkes Gebräu • 102<br />

Mirin – süßer Reiswein • 104<br />

Su - Reisessig • 104<br />

Gewürze in <strong>de</strong>r japanischen Küche 106<br />

Japanische Gewürze • 107<br />

Wasabi – Japanischer Meerrettich • 107<br />

Shiso – Perilla • 110<br />

Shiso tötet auch Bakterien ab • 112<br />

Sesamsamen (goma) • 112<br />

Furikake – Japanische Gewürzmischungen • 113<br />

a Das Gehirn braucht Fett • 114<br />

Lagerung & Konservierung<br />

Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchte 120<br />

Ver<strong>de</strong>rblichkeit • 121


Einfrieren von Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchten • 121<br />

Einsalzen <strong>und</strong> Marinieren von Fisch • 125<br />

Fermentieren von Fisch • 126<br />

Erhitzen von Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchten • 126<br />

Warum wer<strong>de</strong>n Krebstiere beim Kochen rot? • 127<br />

Tsukemono – die Kunst <strong>de</strong>s Einlegens 128<br />

Die japanische Art <strong>de</strong>s Einlegens • 129<br />

Eingelegter Ingwer (gari) • 132<br />

Eingelegter Rettich (takuan-zuke) • 132<br />

Eingelegte Gurken <strong>und</strong> Auberginen • 133<br />

Eingesalzene rote <strong>und</strong> grüne shiso-Blätter • 134<br />

Eingelegtes Obst • 136<br />

Geräte, Zubereitung & Präsentation<br />

Geräte <strong>für</strong> die Sushi-Zubereitung 140<br />

Altes <strong>und</strong> Neues <strong>für</strong> gutes wabi sabi • 141<br />

Messer (hõchõ) • 141<br />

Reiskocher (suihanki) • 144<br />

Schnei<strong>de</strong>brett (manaita) • 144<br />

Holzbottich <strong>und</strong> Holzspachtel (hangiri <strong>und</strong> shamoji) • 145<br />

Bambus-Rollmatte (makisu) • 146<br />

Ein feuchtes, sauberes Tuch (fukin) • 146<br />

Bambus-Sieb (zaru) • 147<br />

Pinzetten (hone nuki) • 147<br />

Reibe (oroshi-gane) • 147<br />

Bambus-Spieße (kushi) • 147<br />

Pressform <strong>für</strong> oshi-zushi (oshibako) • 148<br />

Sesammühle • 148<br />

Omelett-Pfanne (tamago-yaki-nabe) • 148<br />

a Wie wird man Sushi-Koch? • 150<br />

Die Zubereitung von Sushi 152<br />

Wie bereitet man Sushi zu? • 153<br />

Gekochter Reis <strong>für</strong> Sushi • 155<br />

Fisch schnei<strong>de</strong>n • 158<br />

Nigiri-zushi – handgeformte Sushi • 161<br />

s Zubereitung von nigiri-zushi • 163<br />

Maki-zushi – gerollte Sushi • 164<br />

s Zubereitung von maki-zushi • 165<br />

Je<strong>de</strong> Menge maki-zushi • 170<br />

s Gegrillte Fischhaut • 172<br />

Gunkan-maki – Schlachtschiff-Sushi • 174<br />

s Zubereitung von gunkan-maki • 175<br />

Chirashi-zushi – verstreute Sushi • 176<br />

Oshi-zushi – gepresste Sushi • 178<br />

Temaki-zushi – handgerollte Sushi • 182<br />

s Die Zubereitung von temaki-zushi • 183<br />

Kin<strong>de</strong>r-Sushi • 184<br />

Temari-zushi – Sushi-Bällchen • 185<br />

a An Wahnsinn grenzend • 186<br />

ix


x<br />

Die Kunst <strong>de</strong>r Präsentation 190<br />

Sushi ist wie eine Landschaft • 191<br />

Alles auf einem Teller • 191<br />

a „Lass Nahrung <strong>de</strong>ine Medizin sein <strong>und</strong> Medizin <strong>de</strong>ine Nahrung“ • 196<br />

Sushi à la carte<br />

Mainstream-Sushi 202<br />

Lachs (sake) • 203<br />

Thunfisch (maguro) • 204<br />

Makrele (saba) • 206<br />

s Makrele marinieren • 207<br />

Tilapia • 208<br />

Plattfisch (hirame <strong>und</strong> karei) • 209<br />

Hering (nishin) • 210<br />

Japanischer Seebarsch (suzuki) • 210<br />

Zan<strong>de</strong>r • 211<br />

Rotbarsch • 211<br />

Gelbschwanzfisch (hamachi) • 212<br />

Aal (unagi <strong>und</strong> anago) • 212<br />

Atlantischer Pollack • 213<br />

Große Maräne • 213<br />

Garnele (ebi) • 214<br />

Oktopus (tako) • 216<br />

Sepia (kõika) <strong>und</strong> Kalmar (ika) • 218<br />

Jakobsmuschel (hotategai) • 219<br />

Omelett (tamago-yaki) • 220<br />

Sushi mal an<strong>de</strong>rs 222<br />

Fugu – ein giftiges Vergnügen • 223<br />

Rogen vom Seeigel (uni) • 224<br />

Elefantenrüsselmuschel (mirugai) • 225<br />

Süße Garnele (amaebi) • 226<br />

Weichschalenkrabbe (kani) • 226<br />

Fischsperma (shirako) • 227<br />

Rohes Pfer<strong>de</strong>fleisch (uma) • 227<br />

Der Rest <strong>de</strong>s Menüs<br />

Beilagen <strong>und</strong> kleine Gerichte 230<br />

Sashimi – einfach nur roh • 231<br />

Tsukemono – eingelegtes Gemüse • 234<br />

Edamame – grüne Sojabohnen • 235<br />

Gerösteter Seetang • 236<br />

Fu – <strong>de</strong>r Teigmuskel • 237<br />

Shiitake • 238<br />

s Pilze, ihr Aroma <strong>und</strong> Krebs • 241<br />

Avocado • 242<br />

s Reifen <strong>und</strong> Braunwer<strong>de</strong>n von Avocados • 243<br />

Ofengetrocknete Auberginen mit rotem shiso • 244<br />

Zucchini • 245<br />

Die Familie <strong>de</strong>r Portulakgewächse • 246<br />

Queller • 246


Marinierte Makrele mit geröstetem Seetang • 248<br />

Mit shõyu marinierter Lachs • 249<br />

Im Ofen gegarter Lachs mit gari • 250<br />

Enokitake • 250<br />

Sushi-Reisbällchen • 251<br />

Suppen <strong>und</strong> Salate 252<br />

Dashi – Fischsud • 253<br />

Suimono – klare Brühe • 254<br />

s Katsuobushi – fünfmal konservierter Fisch • 255<br />

Miso-Suppe • 256<br />

s Die Physik <strong>de</strong>r miso-Suppe • 257<br />

Salate mit Seetang • 258<br />

Gesimmerter Seetang • 260<br />

Gurke mit Seetang • 260<br />

Einlegegurke mit gari • 261<br />

Kleine Desserts mit grünem Tee 262<br />

Gelees mit grünem Tee • 263<br />

Soja<strong>de</strong>ssert mit grünem Tee • 264<br />

Honigmelone mit grünem Tee • 264<br />

Eis mit grünem Tee • 265<br />

Am Tisch & an <strong>de</strong>r Bar<br />

Wie isst man Sushi? 268<br />

Die Reihenfolge <strong>de</strong>r Gerichte • 269<br />

Wie man Sushi isst • 270<br />

s „Zehn Gebote“ <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Umgang mit Essstäbchen • 273<br />

Was trinkt man dazu? • 274<br />

Cha – Japanischer Tee 276<br />

Tee in Japan • 277<br />

s Grüner <strong>und</strong> schwarzer Tee • 279<br />

Teewasser • 280<br />

s Warum „spricht“ <strong>de</strong>r Kessel, wenn wir Wasser kochen? • 282<br />

Japanischer Grüntee • 284<br />

Maccha-Knigge • 286<br />

a Ichigo ichie – je<strong>de</strong>r Augenblick nur einmal • 288<br />

Epilog 293<br />

Die technischen Details<br />

Glossar japanischer Wörter 296<br />

<strong>Wiss</strong>enschaftliches Glossar 305<br />

Bibliographie 318<br />

Bildnachweis 322<br />

In<strong>de</strong>x 323<br />

xi


Vorwort<br />

Dieses <strong>Buch</strong> erzählt die Geschichte meiner anhalten<strong>de</strong>n Liebe zu<br />

Sushi. Ich begann mit <strong>de</strong>m Schreiben Weihnachten 1996, zu einer<br />

Zeit, als ich bereits in Bars <strong>und</strong> am heimischen Herd einige Erfahrung<br />

mit Sushi gesammelt hatte. Ich war erstaunt, dass es in <strong>de</strong>m<br />

Teil <strong>de</strong>r Welt, in <strong>de</strong>m ich lebe, so wenige Sushi-Restaurants gab <strong>und</strong><br />

dass Skandinavier in Bezug auf japanisches Essen im Allgemeinen<br />

<strong>und</strong> rohen Fisch im Beson<strong>de</strong>ren so zurückhaltend waren. Letzteres<br />

ist vor allem verw<strong>und</strong>erlich, da die traditionelle nordische Küche<br />

Sushi-ähnliche rohe Speisen wie marinierten Hering <strong>und</strong> gebeizten<br />

Lachs („Gravlaks“) kennt. Merkwürdigerweise war Sushi auch noch<br />

nicht in Mo<strong>de</strong> gekommen, obwohl allgemein bekannt ist, dass Meeresfrüchte<br />

nahrhaft sind <strong>und</strong> das Wohlbefin<strong>de</strong>n steigern. Darüber<br />

hinaus gilt die japanische Ernährungsweise als möglicher Schlüssel<br />

zu einem langen, ges<strong>und</strong>en Leben.<br />

Ich nahm mir vor, eine Art einfaches Kochbuch zu schreiben, um<br />

meinen Mitbürgern meine Lei<strong>de</strong>nschaft <strong>für</strong> Sushi <strong>und</strong> die japanische<br />

Küche zu vermitteln. Doch dieses Projekt kümmerte lange in meiner<br />

Schubla<strong>de</strong> vor sich hin. Inzwischen schossen die Sushi-Restaurants<br />

<strong>und</strong> Take-aways in <strong>de</strong>r westlichen Welt wie Pilze aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n,<br />

auch in Skandinavien. Es ist trendy gewor<strong>de</strong>n, Sushi zu essen, vor<br />

allem bei jungen Leuten <strong>und</strong> Berufstätigen in <strong>de</strong>r Stadt. Für die große<br />

Mehrheit <strong>de</strong>r Bevölkerung ist Sushi jedoch immer noch etwas, das<br />

an<strong>de</strong>re zubereiten o<strong>de</strong>r das man sich in <strong>de</strong>r Feinkostabteilung <strong>de</strong>s<br />

Supermarkts holt. Zu<strong>de</strong>m präsentieren manche Sushi-Restaurants<br />

ihr Angebot so, als wäre es nur etwas <strong>für</strong> Eingeweihte, weit entfernt<br />

von seinen beschei<strong>de</strong>nen Wurzeln als Alltagsessen. So trifft man<br />

immer noch Kellner, die versuchen, Unerfahrene einzuschüchtern<br />

– trendiges Essen kann durchaus Nachteile haben.<br />

Das ist wirklich bedauerlich. Obwohl es von vielen immer noch<br />

als exotisch angesehen wird, ist Sushi ein sehr einfaches Essen mit<br />

endlosen Variationsmöglichkeiten, die nicht notwendigerweise an<br />

strenge Traditionen o<strong>de</strong>r spezielle <strong>und</strong> nur Eingeweihten zugängliche<br />

Zutaten geknüpft sind. Diese Überzeugung hat mich letztlich dazu<br />

bewegt, das <strong>Buch</strong>projekt wie<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Schubla<strong>de</strong> hervorzuholen,<br />

mit <strong>de</strong>r Absicht, mein Lieblingsessen in einem an<strong>de</strong>ren Licht erscheinen<br />

zu lassen.<br />

xiii<br />

Rohe Sushi-Zutaten: Avocados, Sushi-<br />

Reis, Seetang, Lachs; darunter ein Stück<br />

gekochter Oktopus.


xiv<br />

Küchengeräte <strong>für</strong> die Zubereitung<br />

von Sushi.<br />

Außer<strong>de</strong>m interessiert mich die wissenschaftliche Seite von rohen<br />

Lebensmitteln, ihrer Zubereitung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n da<strong>für</strong> benötigten Küchengeräten.<br />

Was macht Fisch, insbeson<strong>de</strong>re rohen, so ges<strong>und</strong>? Was<br />

passiert, wenn man Reis o<strong>de</strong>r Sojabohnen kocht o<strong>de</strong>r fermentiert?<br />

Warum wer<strong>de</strong>n Schalentiere beim Kochen rot? Welche chemischen<br />

Verbindungen in shiso befähigen die Pflanze dazu, als Konservierungsmittel<br />

<strong>für</strong> Pflaumen zu dienen? Wie schärft man ein hochwertiges<br />

Fischmesser? Warum sind Küchengeräte aus Holz besser als<br />

solche aus Plastik? Diese Fragen <strong>und</strong> viele mehr verweisen auf die<br />

wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen von Sushi, Sashimi <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

japanischen Speisen. Man könnte es Sushi-<strong>Wiss</strong>enschaft nennen.<br />

Als Forscher versetzen mich die kleinen W<strong>und</strong>er, die in <strong>de</strong>r Küche<br />

stattfin<strong>de</strong>n, immer wie<strong>de</strong>r in Erstaunen. Wie <strong>und</strong> warum treten sie<br />

auf <strong>und</strong> was be<strong>de</strong>uten sie? Antworten auf diese Rätsel zu fin<strong>de</strong>n,<br />

bereichert die Zubereitung <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Genuss einer Mahlzeit um eine<br />

weitere Dimension <strong>und</strong> macht bei<strong>de</strong>s zu einem noch größeren Vergnügen.<br />

Bei Köchen <strong>und</strong> Ernährungswissenschaftlern ist in jüngster Zeit<br />

ein wachsen<strong>de</strong>s Interesse an <strong>de</strong>r <strong>Wiss</strong>enschaft entstan<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>r<br />

Zubereitung von Lebensmitteln zugr<strong>und</strong>e liegt. Der Begriff „Molekulargastronomie“<br />

entstand um das Jahr 1990. Er bezeichnet die<br />

Erforschung <strong>de</strong>r molekularen Eigenschaften von Nahrungsbestandteilen<br />

<strong>und</strong> ihre Umwandlung bei <strong>de</strong>r Zubereitung sowie die<br />

damit verb<strong>und</strong>enen Bemühungen, quantitative Erklärungen <strong>für</strong><br />

Geruchs- <strong>und</strong> Geschmacksempfindungen zu liefern. Da diese Disziplin<br />

noch in <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rschuhen steckt, basiert die gegenwärtige<br />

Molekulargastronomie oft nicht auf einem ausreichen<strong>de</strong>n molekularen<br />

Verständnis. Gleichzeitig beklagen manche Köche, dass<br />

sie zu wenig Wert auf wahre Gastronomie legt. Zur Erweiterung<br />

<strong>de</strong>s wissenschaftlichen Aspekts dieser Fachrichtung haben meine


Kollegen <strong>und</strong> ich in <strong>de</strong>n letzten Jahren versucht, physikalische <strong>und</strong><br />

physikochemische Einblicke in Lebensmittel <strong>und</strong> ihre Zubereitung<br />

zu gewinnen, ein Feld, das wir als Gastrophysik bezeichnen.<br />

Daher ist dieses <strong>Buch</strong> kein Kochbuch im herkömmlichen Sinne. Es<br />

wählt vielmehr einen ganzheitlichen Ansatz <strong>für</strong> die Zubereitung <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>n Genuss einer Sushi-Mahlzeit. Eine Mahlzeit, die nicht nur <strong>de</strong>n<br />

Körper ernährt, son<strong>de</strong>rn gleichzeitig <strong>de</strong>n Geist anregt <strong>und</strong> die Sinne<br />

erfreut. Eine Mahlzeit, bei <strong>de</strong>r die Qualität <strong>de</strong>r rohen Zutaten, ihr<br />

Geschmack, die chemische Zusammensetzung, die physikalische<br />

Textur <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ästhetische Gesamteindruck untrennbar miteinan<strong>de</strong>r<br />

verb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> von gleicher Wichtigkeit sind. Das <strong>Buch</strong> versucht,<br />

<strong>de</strong>n Weg zu einem tieferen Verständnis <strong>de</strong>r Gastrophysik <strong>und</strong> ihren<br />

Zukunftsmöglichkeiten aufzuzeigen.<br />

Auf <strong>de</strong>m Weg zur Vollendung dieses <strong>Buch</strong>es war eine Reihe von<br />

Leuten wichtig <strong>für</strong> mich. Als Erstes gilt mein Dank meinem Mentor,<br />

Mitarbeiter <strong>und</strong> langjährigen Fre<strong>und</strong>, Professor Dr. Myer Bloom, <strong>de</strong>r<br />

mich 1980 in Vancouver bei sich zu Hause <strong>und</strong> in einem Restaurant<br />

mit Sushi bekannt machte. Meine Frau Kirsten <strong>und</strong> unsere Kin<strong>de</strong>r<br />

Julie <strong>und</strong> Jonas waren mit ihrem unstillbaren Appetit auf Sushi <strong>und</strong><br />

ihrem nie nachlassen<strong>de</strong>n Interesse an diesem Gericht eine Triebfe<strong>de</strong>r<br />

<strong>für</strong> meine Experimente bei unseren wöchentlichen Sushi-Familienessen.<br />

Wohlwollen<strong>de</strong> Fischverkäufer <strong>und</strong> Sushi-Köche haben<br />

mir all die Jahre ihre unerlässliche Unterstützung gegeben. Zuletzt<br />

war mir <strong>de</strong>r Kontakt mit Claus Skovsted <strong>und</strong> Soren Gordon von<br />

Bar’sushi <strong>und</strong> Goma in O<strong>de</strong>nse, Dänemark, eine Quelle <strong>de</strong>r Inspiration.<br />

Darüber hinaus haben die bei<strong>de</strong>n <strong>für</strong> einige Illustrationen<br />

dankenswerterweise Sushi zubereitet. Chefkoch Jacob Jo Jorgensen<br />

wirkte bei einer Fotosession in Sticks ‚n’ Sushi in Kopenhagen mit.<br />

Yoshikata Koga <strong>und</strong> Motomu Tanaka waren mir fre<strong>und</strong>licherweise<br />

bei <strong>de</strong>r Verwendung von Kanji, <strong>de</strong>n chinesischen Schriftzeichen,<br />

die im mo<strong>de</strong>rnen japanischen logographischen System Anwendung<br />

fin<strong>de</strong>n, behilflich. Carl Th. Pe<strong>de</strong>rsen unterzog <strong>de</strong>n Text einer<br />

kritischen Korrektur, insbeson<strong>de</strong>re die Passagen mit chemischem<br />

Inhalt. Midori Fischer von Nihonjinkai, <strong>de</strong>r Japanese Society of<br />

Denmark, war mir eine unschätzbare Hilfe bei <strong>de</strong>r korrekten Anwendung<br />

japanischer Ausdrücke. Julie Drotner Mouritsen, Kirsten<br />

Drotner, Per Lyngs Hansen, Ulla Lauritsen <strong>und</strong> Amy Rowat haben<br />

verschie<strong>de</strong>ne Versionen meines Originalmanuskripts gelesen <strong>und</strong><br />

mich mit konstruktiver Kritik unterstützt. Ebenso schul<strong>de</strong> ich <strong>de</strong>n<br />

xv<br />

Eine Sushi-Variante: Fisch <strong>und</strong> Meeresfrüchte<br />

auf gesäuerten Reisbällchen.


Sushi – Zen, Lust,<br />

<strong>Wiss</strong>enschaft &<br />

Wellness<br />

Auf diesem Teller<br />

sehe ich das ganze Universum hinter meiner Existenz.<br />

Ein Zen-Essensspruch


Sushi <strong>und</strong> Zen<br />

Sushi ist Nahrung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n Körper, eine Bereicherung <strong>für</strong> <strong>de</strong>n<br />

Geist <strong>und</strong> ein Genuss <strong>für</strong> das Auge. Sushi ist ges<strong>und</strong>es Essen,<br />

bei <strong>de</strong>m die Qualität <strong>de</strong>r rohen Zutaten, <strong>de</strong>r Geschmack,<br />

die chemische Zusammensetzung, die physikalische Textur<br />

<strong>und</strong> die ästhetische Darbietung untrennbar miteinan<strong>de</strong>r<br />

verb<strong>und</strong>en sind. Bei Sushi sind das Vergnügen bei <strong>de</strong>r<br />

Zubereitung <strong>und</strong> die Kunst <strong>de</strong>r Präsentation <strong>für</strong> das Gesamterlebnis<br />

ebenso wichtig wie die Mahlzeit selbst. Sushi<br />

ist Lust, <strong>Wiss</strong>enschaft <strong>und</strong> Wohlbefin<strong>de</strong>n. Sushi ist Zen.


4<br />

Sushi – zen, lust, wissenschaft & wellness<br />

„Etwas aus <strong>de</strong>m Meer <strong>und</strong> etwas von <strong>de</strong>n<br />

Bergen“. Holztafeldruck von Utagawa<br />

(Ando) Hiroshige (1797-1858).<br />

Das Haiku stammt von Matsuo Bashõ (1644-1694), <strong>de</strong>r von vielen<br />

als <strong>de</strong>r berühmteste Haiku-Dichter angesehen wird. Der Schlüssel<br />

zur Aussage <strong>de</strong>s Gedichts ist die letzte Zeile - nur vier Worte.<br />

Die amerikanische Haiku-Expertin Jane Reichold vergleicht diese<br />

Gedichtform mit Fisch. Ihr zufolge kommen Haikus nicht vom<br />

Verfasser, son<strong>de</strong>rn durch ihn. Auf ähnliche Weise wird <strong>de</strong>r Haiku-<br />

Moment, <strong>de</strong>n man erfahren kann, wenn man sieht, wie sich Fisch<br />

in Sushi verwan<strong>de</strong>lt, <strong>und</strong> wenn man ihn isst, nicht vom Koch ausgelöst.<br />

Er ist lediglich <strong>de</strong>r Vermittler. Das Sublime <strong>de</strong>s Erlebnisses<br />

fin<strong>de</strong>t sich vor allem im Ku (<strong>de</strong>m kurzen Teil <strong>de</strong>s Gedichts) bzw. im<br />

Aussehen <strong>und</strong> Geschmack <strong>de</strong>s Fischs, etwas, das sich mit Worten<br />

nicht beschreiben o<strong>de</strong>r erklären lässt.<br />

Haiku wer<strong>de</strong>n auch als Gedichte beschrieben, die aus Halbausgesprochenem<br />

bestehen. Doch wie sagt Matsuo Bashõ: Gibt es<br />

irgen<strong>de</strong>inen Gr<strong>und</strong>, alles auszusprechen? Dasselbe gilt <strong>für</strong> dieses<br />

Sushi-<strong>Buch</strong>. Hier kann man etwas über Sushi lesen, aber nicht alles,<br />

<strong>und</strong> man wird sich selbst um mehr <strong>Wiss</strong>en bemühen <strong>und</strong> eigene<br />

Erfahrungen sammeln müssen.<br />

Der Aufbau eines Haiku wird von vielen komplizierten Regeln in<br />

Bezug auf Inhalt <strong>und</strong> Syntax bestimmt <strong>und</strong> im Laufe <strong>de</strong>r Zeit haben<br />

sich unterschiedliche Strömungen heftig über die richtige Schreibart<br />

gestritten. Matsuo Bashhõ empfiehlt Folgen<strong>de</strong>s: Lerne die Regeln<br />

<strong>und</strong> dann vergiss sie wie<strong>de</strong>r. Diese Sichtweise entspricht <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Zen-Buddhismus, <strong>de</strong>r davon ausgeht, dass Erkenntnis <strong>und</strong> Einsicht<br />

nicht durch <strong>de</strong>n Erwerb, son<strong>de</strong>rn vielmehr durch das Ablegen von<br />

<strong>Wiss</strong>en erlangt wird.<br />

Auf diesem Konzept baut dieses <strong>Buch</strong> auf. Es gibt eine Fülle weit<br />

voneinan<strong>de</strong>r abweichen<strong>de</strong>r Vorschriften <strong>für</strong> die richtige Zubereitung<br />

von Sushi <strong>und</strong> verschie<strong>de</strong>ne Köche <strong>und</strong> Traditionen verteidigen allesamt<br />

ihre spezielle Sichtweise. Zu<strong>de</strong>m hat die Internationalisierung<br />

<strong>de</strong>r Sushi-Kultur eine paradoxe Wirkung gehabt. Einerseits hat sie<br />

geholfen, neue Zutaten <strong>und</strong> Techniken einzuführen, an<strong>de</strong>rerseits<br />

ist durch sie eine recht rigi<strong>de</strong> Vorstellung davon entstan<strong>de</strong>n, was<br />

Sushi ausmacht. Da Letzteres <strong>de</strong>r ursprünglichen I<strong>de</strong>e von Sushi<br />

wi<strong>de</strong>rspricht, empfehle ich <strong>de</strong>m Leser Folgen<strong>de</strong>s: Lesen Sie dieses<br />

<strong>Buch</strong> o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Bücher über Sushi, lernen Sie ein paar Regeln


6<br />

Sushi – zen, lust, wissenschaft & wellness<br />

Kibune Sushi in Vancouver, Kanada.<br />

Hier haben wir es mit <strong>de</strong>r Chemie <strong>und</strong> <strong>de</strong>n chemischen Reaktionen<br />

zu tun, die zwischen verschie<strong>de</strong>nen Inhaltsstoffen stattfin<strong>de</strong>n, mit<br />

<strong>de</strong>n physikalischen Eigenschaften von Küchengeräten <strong>und</strong> rohen<br />

Zutaten <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r Biologie jener leben<strong>de</strong>n Organismen, die wir als<br />

Nahrung verwen<strong>de</strong>n. Es ist nicht schwer, Sushi zu bereiten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Haiku-Moment zu genießen, ohne die Antworten auf diese Fragen<br />

zu kennen o<strong>de</strong>r sie überhaupt erst zu stellen. Doch es schärft <strong>de</strong>n<br />

Verstand, <strong>und</strong> das Gesamterlebnis „Sushi“ wird durch Einblicke in<br />

die wissenschaftlichen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Lebensmittelverarbeitung<br />

eine enorme Bereicherung erfahren.<br />

Demokratie in <strong>de</strong>r Sushi-Bar<br />

In einem herkömmlichen Restaurant bestellt man seine Mahlzeit anhand<br />

einer Speisekarte beim Kellner <strong>und</strong> wartet dann, möglicherweise<br />

lange Zeit, bis das Essen auf magische Weise durch eine Tür erscheint,<br />

die die Küche <strong>und</strong> die dort stattfin<strong>de</strong>n Aktivitäten vor <strong>de</strong>n Blicken <strong>de</strong>r<br />

Gäste abschirmt. Dies unterschei<strong>de</strong>t sich gr<strong>und</strong>legend vom Ablauf<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Atmosphäre in einer Sushi-Bar, <strong>de</strong>r wohl <strong>de</strong>mokratischsten<br />

Form eines Restaurants, die man sich vorstellen kann. Hier ist man<br />

Akteur in einem dynamischen Prozess, <strong>de</strong>n man mitgestalten kann.<br />

Es ist die ultimative Slow-Food-Erfahrung, bei <strong>de</strong>r man am Prozess<br />

in seiner Gesamtheit teilhat. Hier kann man seine Bestellung direkt<br />

beim Koch aufgeben. Hier sieht man die frischen Zutaten, kann ihre<br />

Qualität beurteilen <strong>und</strong> die Zubereitung verfolgen. Hier kann man<br />

beobachten, wie die Mahlzeit präsentiert wird, die zur Krönung <strong>de</strong>s<br />

Ganzen auch noch vom Koch selbst serviert wird. Man kann sogar


12<br />

Sushi – zen, lust, wissenschaft & wellness<br />

<strong>für</strong> Modifikationen, die einen Wan<strong>de</strong>l beim Häufigkeitsvorkommen<br />

von Krankheiten in dieser Größenordnung ermöglichen wür<strong>de</strong>n.<br />

Verän<strong>de</strong>rte Essgewohnheiten können allerdings die Zunahme bestimmter<br />

chronischer Erkrankungen erklären. Denn Nahrungsaufnahme<br />

verän<strong>de</strong>rt die Genexpression <strong>und</strong> kann damit innerhalb<br />

einer relativ kurzen Zeit zu einer Erhöhung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Krankheitslast führen. Ernährungsbedingte Krankheiten fallen unter<br />

<strong>de</strong>n Oberbegriff „metabolisches Syndrom“. Strenggenommen<br />

sollte die Definition dieses Begriffs auch eine Reihe psychischer<br />

Erkrankungen einschließen. Bedauerlicherweise sind öffentliche<br />

Kampagnen <strong>und</strong> Programme zur Bekämpfung <strong>de</strong>s metabolischen<br />

Syndroms bislang nicht beson<strong>de</strong>rs erfolgreich gewesen. Wie lässt<br />

sich diese Entwicklung umkehren?<br />

Hierbei kann es hilfreich sein, die Ernährungsmuster von Personengruppen<br />

zu untersuchen, die bislang noch in geringerem Maße vom<br />

metabolischen Syndrom betroffen sind. Wie man weiß, führen die<br />

fischreiche traditionelle isländische <strong>und</strong> japanische Kost sowie die<br />

auf Olivenöl basieren<strong>de</strong> Mittelmeerküche zu weniger Herzinfarkten<br />

<strong>und</strong> einer höheren Lebenserwartung. Doch wie sich die einzelnen<br />

Bestandteile <strong>de</strong>r Ernährung gegenseitig beeinflussen, ist nicht genau<br />

bekannt <strong>und</strong> wahrscheinlich spielen zahlreiche Faktoren eine<br />

Rolle. Derweil lässt sich beobachten, dass in <strong>de</strong>n Gesellschaften, die<br />

westliche Ernährungsgewohnheiten annehmen – zu wenig Ballaststoffe<br />

<strong>und</strong> Gemüse, zu viel Fleisch <strong>und</strong> Kohlenhydrate, zerkochter<br />

<strong>und</strong> tiefgefrorener Fisch – Krankheiten zunehmen, die typisch <strong>für</strong><br />

<strong>de</strong>n Westen sind. Wenn Islän<strong>de</strong>r künftig weniger Fisch essen o<strong>de</strong>r<br />

Japaner mehr Fastfood-Menüs, wer<strong>de</strong>n sie vermutlich bald unter<br />

<strong>de</strong>nselben Zivilisationskrankheiten lei<strong>de</strong>n, wie sie in vielen westlichen<br />

Län<strong>de</strong>rn heute bereits weitverbreitet sind.<br />

Fette spielen eine wichtige Rolle bei <strong>de</strong>r menschlichen Ernährung.<br />

Dabei ist es jedoch von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung, um welche Art<br />

von Fett es sich han<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> wie es verarbeitet wird. Eine Kost,<br />

die reich an gesättigten Fetten bzw. Transfettsäuren ist – Letztere<br />

entstehen bei <strong>de</strong>r Erhärtung von Pflanzenölen zur Herstellung von<br />

Margarine –, erhöht das Risiko <strong>für</strong> Herz-Kreislauf-Erkrankungen.<br />

Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite besteht kein Zweifel daran, dass <strong>de</strong>r Verzehr<br />

bestimmter ungesättigter Fettsäuren die körperliche wie geistige<br />

Ges<strong>und</strong>heit entschei<strong>de</strong>nd för<strong>de</strong>rt. Die in fettem Fisch enthaltenen


mehrfach ungesättigten Fettsäuren, die sogenannten Omega-3-<br />

Fettsäuren, senken <strong>de</strong>n Cholesterinspiegel sowie das Risiko <strong>für</strong><br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen <strong>und</strong> Krebs.<br />

An dieser Stelle kommt Sushi ins Spiel. Studien über die Sterblichkeit<br />

bei Inuiten <strong>und</strong> Japanern haben nachgewiesen, dass die geringe<br />

Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in diesen Bevölkerungsgruppen<br />

auf einen hohen Fischkonsum zurückzuführen ist.<br />

Eine weitere be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Gruppe ungesättigter Fettsäuren sind die<br />

sogenannten Omega-6-Fettsäuren. Sie kommen u. a. in Sojabohnen<br />

vor, die in Japan ebenfalls Hauptbestandteil <strong>de</strong>r Nahrung sind.<br />

Omega-6-Fette wirken bei <strong>de</strong>r Produktion bestimmter Eikosanoi<strong>de</strong><br />

mit, einer hormonähnlichen Stoffgruppe, die u. a. an <strong>de</strong>r Blutdruckregulation<br />

beteiligt ist <strong>und</strong> zur Stärkung <strong>de</strong>s Immunsystems beiträgt.<br />

Für die ges<strong>und</strong>e Ernährung ist ein ausgewogenes Verhältnis<br />

zwischen Omega-3- <strong>und</strong> Omega-6-Fettsäuren wichtig.<br />

<strong>Wiss</strong>enschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Zunahme<br />

psychischer Störungen auf ein Ungleichgewicht zwischen<br />

Omega-3- <strong>und</strong> Omega-6-Fettsäuren in <strong>de</strong>r Nahrung zurückgeführt<br />

wer<strong>de</strong>n kann. Der gegenwärtige <strong>Wiss</strong>ensstand auf diesem Gebiet ist<br />

noch recht begrenzt <strong>und</strong> reicht <strong>für</strong> mehr als allgemeine Ernährungsempfehlungen<br />

nicht aus. Doch es gibt Hinweise, dass in Zukunft<br />

Erkrankungen <strong>de</strong>s zentralen Nervensystems, insbeson<strong>de</strong>re <strong>de</strong>s Gehirns,<br />

das Krankheitsbild unserer Gesellschaft bestimmen wer<strong>de</strong>n.<br />

Es ist bekannt, dass Sushi <strong>und</strong> frischer roher, vorzugsweise fetter Fisch<br />

zusammen mit Algen zu einer ausgewogenen Ernährung mit einem<br />

hohen Anteil an Omega-3-Fettsäuren beitragen. Zu<strong>de</strong>m ist Sushi nicht<br />

nur kalorienarm, son<strong>de</strong>rn auch angenehm sättigend. Sojabohnen <strong>und</strong><br />

Algen wie<strong>de</strong>rum enthalten viele wichtige Mineralien <strong>und</strong> Antioxidantien,<br />

die dabei helfen, Schä<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>n Körperzellen zu verringern.<br />

Auch wenn nur wenig darüber bekannt ist, was zu einem langen,<br />

ges<strong>und</strong>en Leben beiträgt, gilt es als nahezu erwiesen, dass eine<br />

möglichst kalorienarme <strong>und</strong> an ges<strong>und</strong>en Fetten reiche Kost <strong>de</strong>n<br />

Alterungsprozess maßgeblich verzögert.<br />

All dies führt zu <strong>de</strong>m Schluss, dass Sushi ges<strong>und</strong>es Essen ist.<br />

Sushi <strong>und</strong> Zen 13

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