Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte
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96 Eugene C. Murdock<br />
intelligente Staatsdiener. Sie gaben ihre Informationen nicht nach Hawai weiter.<br />
Also muß ein direkter Befehl Roosevelts vorgelegen haben. Selbstverständlich<br />
dementierten Marshall und Stark eine solch phantastische Anklage 12 .<br />
Die Revisionisten sind sich über Roosevelts Motive nicht einig. Beard, Barnes<br />
und Tansill suchen auch nicht danach; sie schreiben sie dem „Bösen" in Roosevelt<br />
zu. Chamberlin jedoch gibt als Motiv den Ehrgeiz des Präsidenten, ein großer Führer<br />
der Menschheit zu werden, seinen Willen, die Vereinigten Staaten durch einen<br />
Krieg aus der Depression herauszuführen, und seine Überzeugung, daß eine Aktion<br />
gegen die Achsenmächte notwendig sei 13 .<br />
Sanborn sucht die Motive des Präsidenten in seinen Mißerfolgen im Jahre 1937 14 .<br />
Morgenstern deutet drei Möglichkeiten der Motivierung an: Mißerfolge in der<br />
Innenpolitik, Ehrgeiz und die Hoffnung, daß die Macht des Oberbefehlshabers im<br />
Kriege die politische Stellung des Präsidenten im Lande stärken werde 15 . Auf einen<br />
Nenner gebracht, könnte man sagen, daß die Revisionisten Roosevelts Motive in<br />
der Befriedigung persönlichen Ehrgeizes und der Ablenkung vom Mißerfolg des<br />
New Deal suchen.<br />
Zu diesen Erklärungen des Kriegseintritts stehen die regularistischen Thesen in<br />
einem scharfen Widerspruch. Millis meint, daß angesichts der vielen Zufälligkeiten<br />
in der amerikanischen Vorkriegspolitik man sich des Glaubens kaum erwehren<br />
könne, Pearl Harbor sei unerbittlich „prädestiniert" gewesen 16 .<br />
Für Bailey ist eine solche Feststellung zu vage. Der amerikanische Kriegseintritt<br />
entspringt bei ihm letzten Endes der Überzeugung des amerikanischen Volkes,<br />
„es handle sich um Selbstverteidigung, weil es seine wertvollsten Traditionen<br />
und <strong>Institut</strong>ionen durch internationale Gangster bedroht sab. 17 ".<br />
Eine Anzahl der Vertreter der regularistischen Theorie diskutieren überhaupt<br />
nicht das Wie oder Warum des Kriegseintritts. Er war <strong>für</strong> sie eine selbstverständliche<br />
Notwendigkeit, und je früher der Eintritt geschah, um so besser 18 . Walter<br />
Johnson etwa betrachtet den deutschen Einmarsch in Polen als den Moment, seit<br />
dem der Krieg <strong>für</strong> die Vereinigten Staaten unvermeidlich geworden sei 19 .<br />
Auch Rauch betont gegenüber der revisionistischen Historiographie unter scharfer<br />
Verwerfung der Anklage gegen Roosevelt die Verantwortung der Achsenmächte<br />
<strong>für</strong> den Krieg. Ihre Verletzungen 'der Neutralität hätten dem Präsidenten reichlich<br />
12 Theobald, The Final Secret of Pearl Harbor, S. 90-123; United States News and World<br />
Report, 2. April 1954, S. 70-77. David Lawrence, in Columbus Evening Dispatch, 7. April 1954.<br />
New York Times, 18. April 1954.<br />
13 Chamberlin, a. a. O., S. 348-351.<br />
14<br />
Sanborn, Design for War, S. 21-52.<br />
15<br />
Morgenstern, a. a. O., S. 327.<br />
16<br />
Millis, This is Pearl, S. 340.<br />
17<br />
Bailey, A Diplomatic History of the American People, S. 802.<br />
18<br />
z. B. Morison, By Land and Sea, S. 338.<br />
19<br />
Johnson, Journal of Modern History 19 (Juni, 1947), S. 181.