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Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte

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8 Rudolf von Albertini<br />

päischen Völker und die Nationalitäten vor allem Ostmitteleuropas. Wilson hat<br />

keinen Versuch gemacht, die Kolonien direkt anzusprechen oder das Kolonialsystem<br />

als solches in Frage zu stellen. Er geht andererseits freilich nicht so weit wie<br />

Staatssekretär Lansing, der das Prinzip der Selbstbestimmung auch deswegen ablehnt,<br />

weil es bei Indern und Ägyptern Unruhe stiften könnte: „Werden sich nicht<br />

die Mohammedaner in Syrien und Palästina und womöglich in Marokko und Tripolis<br />

darauf berufen?" 28<br />

Es ist also nicht das Selbstbestimmungsrecht <strong>für</strong> Kolonialvölker, an dem sich die<br />

heftige Diskussion mit den Alliierten entzündet. Nicht die europäischen Kolonialmächte,<br />

die ihre Herrschaftspositionen aufrechtzuerhalten suchen, und das antikolonialistische<br />

Amerika, das baldige Unabhängigkeit <strong>für</strong> die Kolonien fordert,<br />

stehen sich in Paris gegenüber! Wilson geht es in erster Linie um ein viel allgemeineres<br />

Prinzip: Der Frieden darf nicht auf Annexionen beruhen, der europäischen<br />

„Räubermentalität" muß man entgegenwirken 29 . Werden die ehemals deutschen<br />

Kolonien den Annexionsforderungen Südafrikas und Australiens ausgeliefert, so<br />

ist das Prinzip des Völkerbundes und die durch ihn bestimmte neue Weltordnung<br />

hoffnungslos kompromittiert 30 . Annexionen müssen daher um des Prinzipes willen<br />

verhindert werden. Denn an sich würden offensichtlich weder die kleinen und dünn<br />

besiedelten Pazifikinseln noch Südwestafrika einen so hartnäckigen Widerstand<br />

Wilsons und eine eigentliche Krise in den Friedensverhandlungen rechtfertigen.<br />

Die ursprünglich sekundäre Kolonialfrage wird so wichtig, weil Wilson in ihr den<br />

von ihm angestrebten Frieden des Rechts auf die Probe gestellt sieht.<br />

II<br />

Für die Zwischenkriegszeit Hegen kaum Äußerungen amerikanischer Präsidenten<br />

oder Staatssekretäre vor, die sich mit der Zukunft europäischer Kolonien befassen.<br />

Die Vereinigten Staaten sind nicht im Völkerbund, übernehmen keine Mandate,<br />

wünschen aber eine gewisse Mitsprache und fordern open door und Meistbegünstigung<br />

<strong>für</strong> die amerikanische Wirtschaft. Die europäischen Mächte schließen entsprechende<br />

Abkommen 31 . Die Publizistik steht zumeist den Emanzipationsbewegungen<br />

wohlwollend gegenüber. Liberaler Anti-Kolonialismus verbindet sich dabei<br />

mit einem traditionellen Mißtrauen gegen europäische Mächte. Man argumentiert,<br />

28 Die Versailler Friedensverhandlungen, 1921, S. 73; Memorandum 21. 9. 1918, S. 146f.<br />

29 Dies veranlaßt auch den Republikaner Henry White, dem Mandatprinzip zuzustimmen.<br />

Er schreibt am 10. Februar 1919 an Cahot Lodge, er habe gehört, Lodge lehne das Mandatsystem<br />

ab. Er, White, sei anderer Meinung: alle Mächte mit Ausnahme Großbritanniens,<br />

rafften zusammen was sie könnten. „The only way to stop that tendency is the proposed mandate<br />

of the League of Nations which, while giving the Government of the colonies or backward<br />

countries into the Charge under such mandate of a nation which would otherwise have<br />

annexed them", Allain Nevins, Henry White, Thirty years of American diplomacy, 1930, S. 375.<br />

30 „If the process of annexation went on, the League of Nations would be discredited from<br />

the beginning", Foreign Relations, Peace Conference 1919, Bd. 3, S. 743.<br />

31 Verhandlungen mit England: Foreign Relations 1921, Bd. 2, S. 107, 114. Belgien:<br />

1922, Bd. 1, S. 624; 1923, Bd. 1, S. 433. Frankreich: 1922, Bd. 1, S. 134f.; 1923, Bd. 2,<br />

S. 8. Holland: 1920, Bd. 3, S. 265, 274, 279, 290; 1929, Bd. 3, S. 543f.

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