Heft 1 - Institut für Zeitgeschichte
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20 Rudolf von Albertini<br />
men, in der Übergangszeit und innerhalb der zu bildenden „Union" ihre Interessen<br />
wahrnehmen; sie können daher den amerikanischen Erwartungen nur bedingt entsprechen.<br />
Zudem wenden sie sich gegen eine Verurteilung des Kolonialsystems als<br />
solches und gegen die antikolonialistischen Erklärungen Amerikas, mit denen ihre<br />
ohnehin prekär gewordenen Positionen untergraben und Oppositionsbewegungen<br />
geradezu aufgemuntert werden. Jedenfalls sind sie nicht bereit, die Verfügungsgewalt<br />
über die Kolonien aus der Hand zu geben und einem internationalen Gremium<br />
zu übertragen. Gerade darin jedoch sieht die amerikanische Regierung -<br />
und Öffentlichkeit - die geeignete Lösung; sie glaubt, in einem Treuhändersystem<br />
den Abbau des Kolonialismus mit einer schrittweisen Gewährung von Selbstverwaltung<br />
und Unabhängigkeit in Einklang bringen zu können.<br />
In den Verhandlungen der westlichen Alliierten und in den großen Kriegskonferenzen<br />
von Teheran bis Potsdam wird das künftige Trusteeship-System diskutiert.<br />
Roosevelts ursprüngliche — allerdings nicht sehr präzise — Konzeption betraf<br />
nicht nur die ehemaligen Mandatsgebiete des Völkerbundes, sondern alle Kolonien.<br />
Die Kolonialmächte sollten gewissermaßen ihre Souveränität der UNO übertragen,<br />
die dann entweder sie selber mit dem trusteeship betraut oder eine gesonderte<br />
internationale Verwaltung errichtet hätte 83 . So oder so wäre die Administration aller<br />
sich noch nicht selbst regierenden Gebiete einer internationalen Kontrolle unterworfen<br />
und zur Berichterstattung und öffentlichen Diskussion - der Roosevelt<br />
großen Wert beimaß — verpflichtet worden; an Stelle „imperialistischer Ausbeutung"<br />
sollte energische Entwicklungspolitik treten. Vor allem aber sollten Selbstbestimmungsrecht<br />
und spätere Unabhängigkeit klar formuliert und ihre möglichst<br />
kurzfristige Realisierung sichergestellt werden.<br />
Washingtons Planung ist zunächst von einer allgemeinen Treuhänderschaft ausgegangen,<br />
hat sie aber bald fallenlassen und sich auf die ehemaligen Mandate und<br />
die von den Achsenmächten, d. h. Italien und Japan, eroberten Gebiete beschränkt<br />
— angeblich aus „praktischen Gründen", faktisch im Hinblick auf den zu erwartenden<br />
Widerstand von Seiten Großbritanniens, Frankreichs und der Niederlande 84 .<br />
Nur auf dieser Basis war Großbritannien zum Verhandeln bereit. Eden wandte<br />
sich aber bezeichnenderweise in seinen Gesprächen mit Hull in Washington (März<br />
1943) und anschließend in Quebec gegen das im amerikanischen Memorandum<br />
enthaltene Wort „independence" und bestand auf dem Ausdruck „self-govern-<br />
83 Bei Elliott Roosevelt, a. a. O., S. 165, erscheint z. B. Frankreich noch als trustee <strong>für</strong><br />
Indochina. In einem Gespräch vom 5. Oktober 1943 jedoch wird Indochina den japanischen<br />
Mandatinseln gleichgestellt „placed under international trustees", Hull, S. 1597. Hull selbst<br />
spricht von einer „international agency", ebd., S. 1598; vgl. auch Roosevelts Memorandum<br />
vom 24. Jan. 1944, in Foreign Relations 1943, Cairo-Teheran, S. 872 und Personal Letters,<br />
Bd. 2, S. 1489. Summer Welles andererseits denkt an die „present administering powers",<br />
Time of Decision, S. 302.<br />
84 Hull, a. a. O., S. 1238f. Über die amerikanische Planungsarbeit: Postwar Foreign<br />
Policy Preparation 1939-1945, hrsg. v. H. A. Notter, 1949/50, S. 109-110. Ein Memorandum<br />
Hulls vom März 1943 an Roosevelt im Anhang zu Notter, S. 470-472.