Download Linde Technology 1 | 2008 (PDF 2,5 - Linde Gas
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Ausgabe<br />
#1.<br />
08<br />
TITELThEma: GaSE IN DEr mEDIzIN<br />
SchLaGaNfaLL<br />
Sauerstofftherapie schützt das Gehirn<br />
fOTOvOLTaIk<br />
Spezialgase für den Solarboom<br />
auGENchIrurGIE<br />
Laser-OP mit Spezialgasen<br />
hELIum<br />
Neue Quelle in Algerien<br />
LINDE<br />
TECHNOLOGY<br />
BEaTmuNG<br />
Die „Eiserne Lunge“ hat ausgedient<br />
cO 2 - SPEIchEr<br />
Sanfte Ruhe in der Tiefe<br />
EXPEDITION IN SachEN SauErSTOffThEraPIE<br />
FITNESSTEST AUF<br />
DEM EVEREST
LINDE TECHNOLOGY // ImprEssum<br />
02<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
<strong>Linde</strong> AG<br />
Leopoldstraße 252, 80807 München<br />
Telefon +49.89.35757-0<br />
Telefax +49.89.35757-1398<br />
www.linde.com<br />
redaktion:<br />
Verantwortlich: Stefan Metz, <strong>Linde</strong> AG;<br />
wissen + konzepte – Kommunikation für<br />
Forschung, Technik und Medizin, München<br />
Layout:<br />
Peter Schmidt Group, Hamburg<br />
Übersetzung:<br />
eurocom Translation Services GmbH, Wien<br />
Druck:<br />
Media Print, Paderborn<br />
Anfragen und Bestellungen an:<br />
<strong>Linde</strong> AG, Kommunikation<br />
Leopoldstraße 252, 80807 München<br />
oder stefan.metz@linde.com<br />
Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte<br />
stehen unter www.linde.com als <strong>Download</strong><br />
zur Verfügung.<br />
Nachdrucke oder elektronische Verbreitung<br />
nur mit Zustimmung des Herausgebers. Mit<br />
Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle<br />
(und bei vollständiger Quellenangabe) ist die<br />
Nutzung der Berichte aus „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“<br />
ohne Einwilligung des Herausgebers nicht<br />
gestattet.<br />
ISSN 1612-2224, Printed in Germany – <strong>2008</strong><br />
Eisige forschung: Bei einer Expedition auf den<br />
Gipfel des Mount Everest untersuchten britische<br />
Mediziner die Auswirkungen von Sauerstoffmangel<br />
auf den menschlichen Körper (siehe Seite 26).<br />
#1.<br />
08
Liebe Leserinnen<br />
und Leser,<br />
unser Unternehmen hat in den vergangenen Monaten den umfassendsten Konzernumbau in seiner<br />
fast 130-jährigen Geschichte vollzogen. Mit der Übernahme der britischen BOC Group haben wir aus<br />
<strong>Linde</strong> einen fokussierten, global ausgerichteten und weltweit führenden <strong>Gas</strong>e- und Anlagenbaukonzern<br />
geformt: The <strong>Linde</strong> Group. Wir sind für die Zukunft sehr robust und wetterfest aufgestellt und gehen deutlich<br />
gestärkt an die vor uns liegenden Aufgaben.<br />
Auch unser Magazin „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ hat einen Umbau erfahren und erscheint mit der vorliegenden<br />
Ausgabe erstmals in neuer Aufmachung. Dabei haben wir aber nicht nur das Gesicht des Magazins<br />
modernisiert. Auch inhaltlich bietet Ihnen die Redaktion jetzt noch mehr und vielfältigere Informationen<br />
aus der erweiterten Bandbreite von Technologien der neuen <strong>Linde</strong> Group: Internationale Autoren<br />
und Fotografen berichten aus allen Teilen der Welt und bringen von ihren Vor-Ort-Recherchen spannende<br />
Reportagen und Bilder mit aus Themenbereichen, die für uns alle immer wichtiger werden: Umwelt, Energie,<br />
Gesundheit.<br />
Beispielsweise erfahren Sie Interessantes über eine umweltschonende Aluminiumproduktion in<br />
Australien und den Bau einer Anlage der Superlative zur Produktion synthetischer Kraftstoffe in der arabischen<br />
Wüste.<br />
Mit dem Titelthema beleuchtet die Redaktion diesmal unsichtbare Helfer in der Medizin: gasförmige<br />
Arzneimittel. Denn egal, ob bei einer Expedition auf den Mount Everest oder bei der häuslichen<br />
Patientenversorgung – die Bedeutung medizinischer <strong>Gas</strong>e steigt kontinuierlich. Als einer der führenden<br />
Anbieter auf diesem Gebiet erfüllen wir mit unserer globalen Geschäftseinheit Healthcare nicht nur die<br />
strengen Anforderungen, wie sie für die Arzneimittelindustrie gelten, sondern engagieren uns darüber<br />
hinaus auch in der Forschung.<br />
Auch die weiteren Beispiele in diesem Heft bieten Ihnen einen Einblick in die vielfältigen Innovationen<br />
und Projekte, mit denen The <strong>Linde</strong> Group unsere Zukunft in den unterschiedlichsten Lebensbereichen<br />
mitgestalten wird.<br />
Ich wünsche Ihnen einen spannende Lektüre.<br />
Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle<br />
Vorsitzender des Vorstands der <strong>Linde</strong> AG<br />
EDIToRIAL<br />
EDITOrIAL // LINDE TECHNOLOGY<br />
03
LINDE TECHNOLOGY // INHALT<br />
04<br />
_26<br />
fOrSchuNGSEXPEDITION: Bluttest auf dem mount Everest<br />
_10<br />
hELIum: Neue Produktionsanlage in algerien<br />
_44<br />
aLumINIum: Treibhausgase in der Produktion reduzieren<br />
_50<br />
SOLarzELLEN: Spezialgase sind unentbehrlich
03 EDITOrIaL<br />
06 NEwS<br />
10 kaLTES GaS – hEISS BEGEhrT<br />
<strong>Linde</strong> sichert Heliumversorgung durch neue Produktionsanlagen<br />
16 waSSErSPruDLEr GEGEN DEN TrEIBhauSEffEkT<br />
<strong>Linde</strong>-CO 2 -Technologie für den Klimaschutz<br />
TITELThEMA<br />
20 DIE UNSIchTBAREN hELFER<br />
Wo <strong>Linde</strong>-<strong>Gas</strong>e in der Medizin Verwendung finden<br />
22 INTENSIVE hILFE FüRS GEhIRN<br />
Sauerstofftherapie bei Schlaganfall<br />
26 KLINISchE TESTS AUF DEM DAch DER WELT<br />
Medizinische Forschungsexpedition zum Mount Everest<br />
32 opERATIoN SchARFBLIcK<br />
<strong>Linde</strong>-Spezialgase für die Laserchirurgie<br />
36 DIE „EISERNE LUNGE“ hAT AUSGEDIENT<br />
Heimbeatmung erhöht die Lebensqualität von Patienten<br />
38 zErLEGTE wüSTENLufT<br />
Glänzende Zukunft für traditionsreiche <strong>Linde</strong>-Technologie<br />
44 aLumINIum auS DOwN uNDEr<br />
<strong>Linde</strong>-Technologie reduziert CO 2 -Ausstoß in der Metallgewinnung<br />
50 SONNIGE auSSIchTEN<br />
Spezialgase für die Halbleiter- und Solarzellenfertigung<br />
54 mOBIL OhNE ÖL?<br />
<strong>Linde</strong> ist Hauptsponsor der Ausstellung „neuStart“<br />
GASE IN DER MEDIzIN<br />
Ob in der klinik, im häuslichen umfeld oder bei rettungseinsätzen – medizinische <strong>Gas</strong>e spielen eine wichtige<br />
rolle für Gesundheit und wohlbefinden. <strong>Linde</strong> healthcare bietet medizinische <strong>Gas</strong>e, medizinprodukte und<br />
vielfältige Therapiekonzepte.<br />
INHALT // LINDE TECHNOLOGY<br />
05
LINDE TECHNOLOGY // NEws<br />
06<br />
NEWS<br />
WASSERSTOFF:<br />
MIT DEM BMW hyDRoGEN 7 AUF WELTToURNEE<br />
Gemeinsam mit BMW arbeitet The <strong>Linde</strong> Group intensiv an der Realisierung einer wasserstoffbasierten, nachhaltigen<br />
Mobilität. Als weltweit erster Hersteller präsentierte der Münchner Autokonzern mit dem Hydrogen 7 ein Wasserstoffauto,<br />
das den Serienentwicklungsprozess durchlaufen hat. Die Versorgung mit klimaneutralem Wasserstoff übernimmt<br />
The <strong>Linde</strong> Group und dokumentiert damit sowohl ihre Wasserstoff-Logistikkompetenz als auch ihre Ambitionen in Hinblick<br />
auf eine nachhaltige Wasserstofferzeugung. Vielerorts wird die Versorgung durch die mobile <strong>Linde</strong>-Betankungseinheit<br />
traiLH2 TM gewährleistet. Dank eines 1.000 Liter fassenden Wasserstoffspeichers und einer eigenen Stromversorgung<br />
mittels Brennstoffzelle ist der traiLH2 TM für eine flexible Kraftstoffversorgung ideal geeignet.<br />
Vom Hydrogen 7 hat BMW zunächst 100 Modelle in Kleinserie produziert und größtenteils an bekannte Persönlichkeiten<br />
aus Wirtschaft und Politik übergeben. Auch Professor Dr. Wolfgang Reitzle, Vorsitzender des Vorstands<br />
der <strong>Linde</strong> AG, fährt seit Mitte Juli 2007 einen BMW Hydrogen 7 mit bivalentem Wasserstoff-Verbrennungsmotor, der<br />
ihm von Professor Dr. Joachim Milberg, Vorsitzender des Aufsichtsrats der BMW Group, persönlich übergeben wurde.<br />
Die Betankung seines neuen Dienstwagens mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff erfolgt am <strong>Linde</strong> Hydrogen Center<br />
in Unterschleißheim, das auch bereits die BMW eigenen Erprobungsfahrzeuge versorgt.<br />
Als der führende Anbieter von Flüssigwasserstoff-Betankungstechnologie begleitet <strong>Linde</strong> auch die Veranstaltungen,<br />
die BMW weltweit unter dem Motto ‚Drive for the Future’ mit dem Hydrogen 7 absolviert – unter anderem<br />
in Shanghai, Beijing, Guangzhou und Hong Kong, wo zahlreiche chinesische Regierungsbeamte und Vertreter von<br />
Umweltschutzbehörden die Gelegenheit nutzten, den neuen Wasserstoff-BMW zu testen.<br />
ERDGASVERFLÜSSIGUNG:<br />
GLoBALE ALLIANz FüR<br />
oFFShoRE-LNG-ANLAGEN<br />
Die Bedeutung von Erdgas auf dem weltweiten Energiemarkt steigt<br />
kontinuierlich: Die Nachfrage nach Flüssigerdgas (LNG – Liquefied<br />
Natural <strong>Gas</strong>) wächst derzeit um rund 10 Prozent pro Jahr. Damit<br />
steigt auch der Bedarf an entsprechenden Offshore-Förder- und Produktionsanlagen.<br />
Deshalb hat <strong>Linde</strong> jetzt eine weltweite Technologie-<br />
allianz mit der niederländischen SBM Offshore N.V. gegründet, um<br />
schwimmende Anlagen zur Produktion, Speicherung und Verladung<br />
von LNG – so genannte FPSOs (Floating Production, Storage and Offloading<br />
units) – zu entwickeln und zu vermarkten. Die gewählte Anlagenkapazität<br />
der FPSOs zielt auf Offshore-Erdgasfelder ab, die zu weit<br />
entfernt oder zu klein für die konventionelle Grundlastförderung sind.<br />
In die Entwicklung fließen auch die Erfahrungen aus dem Bau der ersten<br />
europäischen Grundlast-LNG-Anlage für das norwegische Snøhvit-<br />
Projekt ein, die <strong>Linde</strong> nördlich des Polarkreises errichtet hat.<br />
Der Start der Erdgasproduktion auf der ersten LNG-FPSO ist<br />
für 2012 anvisiert.<br />
LNG-CARRIER:<br />
WIEDERVERFLüSSIGUNGSANLAGEN<br />
FüR NEUE TANKERFLoTTE<br />
Cryostar, eine Tochtergesellschaft der <strong>Linde</strong> Group und ein führender<br />
Ausrüster von Flüssigerdgas-(LNG-)Tankern, hat von Samsung Heavy<br />
Industries einen Auftrag mit einem Gesamtvolumen von mehr als<br />
50 Millionen US-Dollar erhalten. Als Teil dieses Auftrags liefert Cryostar<br />
Anlagen für die An-Bord-Wiederverflüssigung von Boil-Off-<strong>Gas</strong><br />
(Abdampfverlusten) für fünf LNG-Tanker, die bis <strong>2008</strong> gebaut werden.<br />
Die modernen Membrantanker mit einem maximalen Ladevolumen<br />
von 265.000 Kubikmetern sind die größten, die jemals gebaut<br />
wurden, und sind für den LNG-Transport zwischen Katar und den Vereinigten<br />
Staaten bestimmt.<br />
Je größer der Tanker, desto lohnender ist eine Wiederverflüssigung<br />
des Boil-Offs des bei minus 163 Grad Celsius an Bord gelagerten,<br />
verflüssigten Erdgases, um die Lieferung der vollen Ladekapazität<br />
zu gewährleisten.
CO 2-ABTRENNUNG:<br />
KoopERATIoN FüR SAUBERE<br />
KohLEKRAFTWERKE<br />
Experten sind sich einig: Kohle wird noch auf Jahrzehnte hinaus<br />
weltweit eine der tragenden Säulen der Energieversorgung sein.<br />
Aber etwa ein Drittel des weltweiten Ausstoßes von Kohlendioxid<br />
(CO 2) verursachen mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke.<br />
Abhilfe verspricht die „Carbon capture and storage“(CCS)-<br />
Technologie, die derzeit im brandenburgischen Ketzin in der Praxis<br />
erprobt wird (siehe auch Seite 16 „Wassersprudler gegen Treibhauseffekt“).<br />
Doch bevor das <strong>Gas</strong> sicher gelagert werden kann, muss es<br />
zunächst aus den Abgasen der Kraftwerke abgetrennt werden. The<br />
<strong>Linde</strong> Group hat deshalb jetzt gemeinsam mit RWE Power und BASF<br />
die Entwicklung neuer Verfahren zur CO 2 -Abtrennung aus Verbrennungsabgasen<br />
von Kohlekraftwerken vereinbart. Die Zusammenarbeit<br />
sieht den Bau und den Betrieb einer Pilotanlage am Braunkohlekraftwerk<br />
Niederaußem der RWE Power AG vor, in der neu entwickelte<br />
Technologien und Lösungsmittel der BASF zur CO 2 -Abtrennung<br />
erprobt werden. <strong>Linde</strong> ist für das Engineering und den Bau der Pilotanlage<br />
zuständig. „Von dieser vielversprechenden Kooperation dreier<br />
verantwortungsbewusster Großunternehmen kann ein wichtiger<br />
Impuls für den Klimaschutz ausgehen“, sagte Dr. Aldo Belloni, Mitglied<br />
des Vorstands der <strong>Linde</strong> AG.<br />
Ziel ist es, die CO 2 -Abtrennung in Braunkohlekraftwerken<br />
bis 2020 kommerziell zum Einsatz zu bringen. Auf Grundlage dieser<br />
Technik könnten dann mehr als 90 Prozent des CO 2 aus den Verbrennungsabgasen<br />
eines Kraftwerks entfernt und anschließend einer<br />
Speicherung im Untergrund zugeführt werden.<br />
NEU IN LEUNA:<br />
WASSERSToFFVERFLüSSIGER UND LUFTzERLEGUNGSANLAGE<br />
1<br />
FOTOVOLTAIK:<br />
GASE FüR SoLARMoDULE<br />
AUS SpANIEN UND ÖSTERREIch<br />
NEws // LINDE TECHNOLOGY<br />
07<br />
Die Solarenergiebranche boomt – auch in Spanien, wo der Aufbau<br />
der landesweit ersten Produktionslinie für die Herstellung von extragroßen<br />
Dünnschicht-Solarmodulen derzeit in vollem Gange ist. <strong>Linde</strong><br />
Nippon Sanso – ein Joint Venture zwischen der <strong>Linde</strong> Group und der<br />
japanischen Taiyo Nippon Sanso – hat jetzt einen Vertrag mit dem<br />
spanischen Fotovoltaik-Unternehmen T-Solar Global S.A. über die<br />
Lieferung einer breiten Palette von hochreinen <strong>Gas</strong>en für die neue<br />
Solarmodul-Produktion geschlossen (siehe auch Seite 50 „Sonnige<br />
Aussichten“). Die neuen Module sollen rund fünfmal größer sein als<br />
derzeit übliche Fotovoltaikzellen und helfen dadurch, die Kosten für<br />
Solarstrom zu verringern. Extragroße Dünnschicht-Module sind wegen<br />
ihrer Kosteneffizienz und Leistungsfähigkeit auch unter hohen Außentemperaturen<br />
ideal für Freiflächen-Installationen und großflächige<br />
Applikationen geeignet.<br />
Ebenfalls erfolgreich war LNS in Österreich, wo das Unternehmen<br />
die neue Fertigung der Blue Chip Energy GmbH mit allen notwendigen<br />
<strong>Gas</strong>en versorgen wird. In der Solarzellen-Produktion werden<br />
große Mengen Stickstoff als Schutzgas verwendet, während Silan<br />
(SiH 4 ) und Ammoniak (NH 3 ) für die anti-reflektierende Beschichtung<br />
benötigt werden, die den Zellen ihre charakteristische blaue Farbe<br />
verleiht.<br />
Die erste Anlage dieser Art in Österreich wird ab Frühjahr<br />
<strong>2008</strong> jährlich rund 800.000 Quadratmeter Solarzellen herstellen –<br />
genug, um 16.000 Haushalte mit Strom zu versorgen.<br />
Im September 2007 hat <strong>Linde</strong> in Leuna Deutschlands zweite Wasserstoff-Verflüssigungsanlage sowie eine<br />
neue Luftzerlegungsanlage offiziell in Betrieb genommen. Die gesamten Erweiterungsinvestitionen am<br />
größten <strong>Gas</strong>e-Produktionsstandort von <strong>Linde</strong> in Deutschland belaufen sich auf rund 60 Millionen Euro.<br />
Tiefkalt verflüssigter Wasserstoff (LH 2 ) weist eine wesentlich höhere Speicherdichte als gasförmiger Wasserstoff<br />
auf, wodurch in erster Linie bei Transport und Logistik Effizienzvorteile erzielt werden. Deutschlands<br />
bisher einziger Wasserstoffverflüssiger – ebenfalls eine <strong>Linde</strong>-Anlage – steht in Ingolstadt. Zu den<br />
heutigen Hauptabnehmern zählt die Halbleiterindustrie, die wegen der sehr hohen Reinheit nahezu ausschließlich<br />
flüssigen Wasserstoff einsetzt. Der neue Verflüssiger mit einer Kapazität von ca. 3.000 Litern<br />
LH 2 pro Stunde (rund fünf Tonnen LH 2 pro Tag) wird von den benachbarten Wasserstoff-Produktionsanlagen<br />
über eine Pipeline mit dem gasförmigen Rohprodukt versorgt.<br />
Der neue Luftzerleger hat eine Kapazität von 33.000 Kubikmetern Sauerstoff pro Stunde<br />
(1.130 Tonnen Sauerstoff pro Tag). Der größte Teil des Sauerstoffs wird in das lokale Rohrleitungsnetzwerk<br />
eingespeist und dient der Versorgung der dortigen Raffinerie. Außerdem werden Argon sowie kleinere<br />
Mengen weiterer Edelgase produziert.
LINDE TECHNOLOGY // NEws<br />
08<br />
Im Dezember 2007 hat <strong>Linde</strong> mit dem staatlichen Erdölkonzern The<br />
Abu Dhabi National Oil Corporation (ADNOC), Vereinigte Arabische<br />
Emirate, ein Joint Venture zur langfristigen Industriegase-Versorgung<br />
von Kunden in Abu Dhabi gegründet. An dem neuen Gemeinschaftsunternehmen,<br />
das unter dem Namen „Elixier“ am Markt auftritt, wird<br />
ADNOC 51 Prozent der Anteile halten, <strong>Linde</strong> 49 Prozent.<br />
„ADNOC hat Zugang zu rund 90 Prozent der Erdöl- und <strong>Gas</strong>vorkommen<br />
in Abu Dhabi. Diese Reserven gelten als die viertgrößten<br />
weltweit“, erläuterte Dr. Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der<br />
<strong>Linde</strong> AG, die strategische Bedeutung des Abkommens.<br />
SCHWEIZ:<br />
BERTRAMS hEATEc GEKAUFT<br />
Solarkraftanlagen bieten großes Wachstumspotenzial. Mit der Akquisition<br />
der Schweizer Anlagenbaugesellschaft Bertrams Heatec AG will<br />
sich The <strong>Linde</strong> Group neue Geschäftsfelder im Segment Wärmeträgeranlagen<br />
erschließen. Die Bertrams Heatec AG mit Sitz in Pratteln<br />
(bei Basel), Schweiz, ist ein führender Spezialist im Bau von Anlagen<br />
zur sicheren Übertragung von Prozesswärme, vor allem in der chemischen<br />
und petrochemischen Industrie. Diese Anlagen werden für die<br />
Herstellung von Kunstfasern, Kunstharzen (Melamin), bei der Aluminiumoxid-<br />
oder Farbproduktion, aber auch in der Textil- und Lebensmittelindustrie<br />
sowie in Solarkraftwerken eingesetzt. Das Unternehmen<br />
hat im Geschäftsjahr 2006 mit 35 Mitarbeitern einen Umsatz von<br />
rund 15 Millionen Euro erzielt. <strong>Linde</strong> wird Bertrams Heatec als eigenständige<br />
Tochtergesellschaft weiterführen.<br />
DEUTSCHLAND:<br />
FüNF NEUE SpALTÖFEN FüR GELSENKIRchEN<br />
Für die Ethylenanlage der Deutschen BP in Gelsenkirchen-Scholven<br />
sind im August 2007 fünf neue Spaltöfen installiert worden. Das<br />
Ungewöhnliche daran: Die Öfen, jeweils 46 Meter hoch und 2.500<br />
Tonnen schwer, wurden während eines planmäßigen Anlagenstillstands<br />
auf Rädern (genauer gesagt auf so genannten self-propelled<br />
modular trailern) dorthin transportiert, wo zuvor noch 17 alte Spaltöfen<br />
aus den 70er Jahren standen. Das innovative Montagekonzept<br />
der <strong>Linde</strong>-Division Engineering stellt die Lösung für die engen räumlichen<br />
und zeitlichen Restriktionen vor Ort dar. So war es möglich,<br />
einen wesentlichen Anlagenteil innerhalb von nur 35 Tagen grundlegend<br />
zu erneuern, langfristig wettbewerbsfähig zu machen und dabei<br />
aktuellen Umweltstandards gerecht zu werden.<br />
ABU DHABI:<br />
JoINT VENTURE MIT STAATLIchEM ERDÖLKoNzERN ADNoc GEGRüNDET<br />
„Elixier“ wird in einer ersten Phase für rund 65 Millionen US-Dollar<br />
eine Luftzerlegungsanlage im Industriegebiet Ruwais, Abu Dhabi,<br />
errichten. Die neue Anlage soll ab Ende 2009 Industriekunden in<br />
Ruwais mit Stickstoff versorgen und wird darüber hinaus verflüssigten<br />
Stickstoff und Sauerstoff erzeugen.<br />
Die enormen Erdgasvorkommen in den Vereinigten Arabi-<br />
schen Emiraten werden von ADNOC sowohl Onshore als auch Offshore<br />
erschlossen und in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG) exportiert<br />
beziehungsweise der lokalen Energieversorgung und den verschiedenen<br />
Industrien zugeführt.
NORWEGEN:<br />
WEITERE AUFTRäGE FüR ERDGASVERFLüSSIGUNG<br />
CHINA:<br />
ExKLUSIVER GASE-VERSoRGUNGSVERTRAG<br />
MIT NINGBo WANhUA poLyUREThANE<br />
The <strong>Linde</strong> Group hat einen langfristigen Versorgungsvertrag mit<br />
Ningbo Wanhua Polyurethane, einem der am schnellsten wachsenden<br />
Polyurethan-Hersteller Chinas, unterzeichnet. <strong>Linde</strong> wird ab 2010<br />
die Großanlagen von Wanhua in Ningbo mit Sauerstoff und Stickstoff<br />
beliefern. Diese Kooperation ist mit Investitionen in Höhe von rund<br />
125 Million US-Dollar verbunden, der bisher größten Einzelinvestition<br />
von <strong>Linde</strong> in China.<br />
NEws // LINDE TECHNOLOGY<br />
09<br />
Skangass AS, ein Joint Venture zwischen dem Versorgungsunternehmen Lyse <strong>Gas</strong>s und Finanzinvestor Celsius Invest, hat der <strong>Linde</strong> Group einen<br />
Auftrag über den schlüsselfertigen Bau einer Erdgasverflüssigungsanlage in Risavika nahe Stavanger, Norwegen, erteilt. Der Auftragswert<br />
beträgt rund 100 Millionen Euro. Die Erdgasverflüssigungsanlage hat eine Kapazität von 300.000 Tonnen pro Jahr und wird ab 2010 Kunden in<br />
Skandinavien und im baltischen Raum mit Flüssigerdgas (LNG) versorgen. Die <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft AGA <strong>Gas</strong> AB, Marktführer bei Industriegasen<br />
in Schweden, wird ein Sechstel der Gesamtmenge abnehmen und selbst vertreiben. Dank eines sehr energieeffizienten Verflüssigungsprozesses,<br />
den <strong>Linde</strong> selbst entwickelt hat, wird die neue Anlage wesentlich weniger Emissionen verursachen als vergleichbare Einheiten.<br />
Außerdem hat die Division Engineering der <strong>Linde</strong> Group von dem norwegischen Öl- und Erdgaskonzern StatoilHydro den Auftrag über<br />
Planungs- und Ingenieurleistungen für das so genannte „Kollsnes <strong>Gas</strong> Network Extension Project“ erhalten. Das Projekt umfasst einen weiteren<br />
Anlagenstrang zur Taupunktseinstellung des in Kollsnes/Norwegen angelandeten Erdgases und zwei Erdgasverdichterstränge mit<br />
einer Erdgasexportkapazität von jeweils 33 Millionen Normkubikmetern pro Tag sowie dazugehörige Nebenanlagen. Dadurch erhöht sich die<br />
Gesamt-exportkapazität des Standorts Kollsnes auf 183 Millionen Normkubikmeter Erdgas täglich.<br />
<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Ningbo, eine einhundertprozentige <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft,<br />
wird zwei Luftzerlegungsanlagen sowie eine neue, 30 Kilometer<br />
lange Pipeline errichten. Die Anlage wird sowohl Wanhua als auch<br />
Ningbo Steel mit <strong>Gas</strong>en beliefern. Zudem werden täglich 800 Tonnen<br />
(tpd) flüssiger Stickstoff und Sauerstoff sowie die Edelgase Krypton<br />
und Xenon für den freien Markt produziert. Mit der Inbetriebnahme<br />
der neuen Anlage 2010 wird <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Ningbo zum größten Hersteller<br />
von Luftgasen in China.<br />
SHANGHAI UND HAMBURG:<br />
WASSERSToFF-TANKSTELLEN ERÖFFNET<br />
Die chinesische Regierung hat im November 2007 die erste Wasserstoff-Tankstelle in Shanghai offi-<br />
ziell eröffnet. Sie wurde von <strong>Linde</strong>, der chinesischen Elite-Universität Tongji und Shell Hydrogen gemeinsam<br />
konzipiert und gebaut und ist Teil des „National 863“-Programms, das die Kommerzialisierung von<br />
Brennstoffzellen-Fahrzeugen vorantreibt. <strong>Linde</strong> versorgt die Tankstelle mit komprimiertem, gasförmigem<br />
Wasserstoff (CGH 2 ). Die Technologie zur Speicherung des Wasserstoffs sowie das Betankungssystem wurden<br />
ebenfalls von <strong>Linde</strong> mitentwickelt.<br />
Auch am Flughafen Hamburg hat eine von <strong>Linde</strong> entwickelte und gebaute Wasserstoff-Tankstelle<br />
den Betrieb aufgenommen. Die transportable Versorgungseinheit dient der Betankung von zwei brennstoffzellenbetriebenen<br />
Schleppern und einem Kleintransporter. Das Projekt ist eine Kooperation der Hamburger<br />
Landesinitiative für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, dem Hamburger Flughafen, der<br />
Wasserstoffgesellschaft Hamburg und The <strong>Linde</strong> Group. Die Klimaneutralität des verwendeten Wasserstoffs<br />
wird durch den Zukauf von CO 2-Zertifikaten gewährleistet.
LINDE TECHNOLOGY // HELIum<br />
10<br />
helium direkt aus der Quelle:<br />
In der so genannten Truckstation<br />
wird das verflüssigte Edelgas in<br />
spezielle Lkw zum weitertransport<br />
abgefüllt. Die anlage in algerien<br />
stellt einen weiteren meilenstein in<br />
der <strong>Linde</strong>-heliumstrategie dar.<br />
Fotos: <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong><br />
Autorin: Andrea Gruß<br />
1<br />
1
Skikda<br />
KALTES GAS –<br />
hEISS BEGEhRT<br />
<strong>Linde</strong> sichert heliumversorgung<br />
durch neue produktionsanlagen<br />
In der algerischen Küstenstadt Skikda, nahe der tunesische Grenze,<br />
tummeln sich in den Sommermonaten gerne inländische Touristen.<br />
Das Strandgelände lädt zum Bummel ein. Im Hafen der rund 170.000<br />
Einwohner zählenden Stadt ankern seit neustem aber immer öfter<br />
Schiffe mit kalten Containern. Sie werden hier mit Helium befüllt und<br />
transportieren das edle <strong>Gas</strong>, verflüssigt bei minus 269 Grad Celsius,<br />
übers Mittelmeer nach Marseille. Denn seit April 2007 verfügt Skikda<br />
über eine der weltgrößten Heliumgewinnungsanlagen, an der The<br />
<strong>Linde</strong> Group zu 51 Prozent beteiligt ist: Derzeit erzeugt sie pro Jahr<br />
etwa 8,5 Millionen Kubikmeter des Edelgases, das sind rund fünf Prozent<br />
der Weltproduktion. In den kommenden Jahren soll die Kapazität<br />
aber mehr als verdoppelt werden. Denn Helium ist sehr gefragt:<br />
Die Preise für das seltene <strong>Gas</strong> sind in den vergangenen Jahren stark<br />
angestiegen.<br />
Der weltweite Heliumverbrauch steigt derzeit um drei bis fünf<br />
Prozent pro Jahr. Denn das Edelgas kombiniert eine Reihe ungewöhnlicher<br />
Eigenschaften: Es ist das Element mit dem niedrigsten Siedepunkt,<br />
nach Wasserstoff das leichteste <strong>Gas</strong>, ungiftig und nicht brennbar.<br />
Zudem weist es eine hohe Wärmeleitfähigkeit auf. All dies macht<br />
es in vielen Anwendungsfeldern der Medizin, Industrie und For-<br />
HELIum // LINDE TECHNOLOGY<br />
11<br />
Für starke Magnetfelder, glatte Schweißnähte oder leichte Ballons – der Nutzen von Helium ist<br />
vielfältig. Weltweit steigt der jährliche Verbrauch um drei bis fünf Prozent. Auf der Sonne reichlich<br />
vorhanden, sind die Ressourcen des Edelgases auf der Erde aber dünn gesät. In Algerien hat <strong>Linde</strong><br />
eine weitere Heliumproduktion in Betrieb genommen – um die wachsende Nachfrage nach dem<br />
Edelgas zu decken.<br />
schung unersetzlich. Etwa ein Drittel des Verbrauchs fällt dabei auf<br />
Anwendungen, bei denen flüssiges Helium beispielsweise zur Kühlung<br />
von Supraleitern eingesetzt wird – eine besonders wachstumsstarke<br />
Anwendung.<br />
Um die stetig steigende Nachfrage schnell und wirtschaftlich<br />
befriedigen zu können und die weltweite Heliumversorgung seiner<br />
Kunden sicherzustellen, gründete <strong>Linde</strong> mit der algerischen Firma<br />
Sonatrach zwei Unternehmen: die Helison Production S.P.A., verantwortlich<br />
für die Produktion von flüssigem Helium, und die Helison<br />
Marketing Ltd., verantwortlich für die erfolgreiche Vermarktung des<br />
Heliums aus Skikda. Für <strong>Linde</strong> ist die Inbetriebnahme der Anlage in<br />
Skikda ein strategisch wichtiger Schritt, da der Konzern damit über<br />
einen weiteren direkten Zugang zu einer Rohheliumquelle verfügt.<br />
The <strong>Linde</strong> Group besetzt damit weltweit eine der führenden Positionen<br />
im Heliumgeschäft – in einem derzeit schwierigen Marktumfeld.<br />
Bereits im Jahr 1921 baute <strong>Linde</strong> einen ersten großtechnischen<br />
Heliumverflüssiger in den USA. Damals erzeugte dieser drei<br />
bis vier Liter Helium pro Stunde. Moderne Anlagen erreichen heute<br />
dagegen eine Verflüssigungsleistung von mehr als 3.500 Litern pro<br />
Stunde. Mehr als 500 Heliumverflüssiger in Grössenordnungen von
LINDE TECHNOLOGY // HELIum<br />
12<br />
20 bis über 3.500 Litern pro Stunde Verflüssigungsleistung hat <strong>Linde</strong><br />
weltweit bereits errichtet. Helium – auch Kind der Sonne genannt und<br />
im Universum nach Wasserstoff das zweithäufigste Element – ist auf<br />
der Erde ein seltener und nicht erneuerbarer Rohstoff. Das Edelgas ist<br />
nur in geringen Mengen – zu etwa 0,0005 Volumenprozent – in der<br />
Erdatmosphäre enthalten und kann deshalb im Gegensatz zu anderen<br />
Industrie- und Spezialgasen nicht durch Luftzerlegung gewonnen<br />
werden. Eine wirtschaftliche Produktion ist nur in Verbindung mit<br />
der Erdgasaufbereitung und einem Heliumrohgehalt von mindestens<br />
0,2 Prozent möglich. Aber nur an wenigen Stellen der Erde hat sich<br />
das Element, das sich nur unter bestimmten geologischen Bedingungen<br />
durch radioaktiven Zerfall im Erdreich bildet, auf solch hohe<br />
Konzentration angereichert. Allein Erdgaslagerstätten in Nordamerika,<br />
Russland, Polen, Nordafrika und im Persischen Golf sowie Australien<br />
und Indonesien erfüllen diese Voraussetzung. Die erste heliumreiche<br />
Erdgasquelle wurde vor rund 100 Jahren in den USA entdeckt,<br />
weitere folgten. Über viele Jahrzehnte waren die Vereinigten Staaten<br />
auch der größte Produzent dieses Edelgases. Auch heute noch stammen<br />
große Teile der globalen Heliumproduktion, die im Jahr 2006 auf<br />
etwa 160 Millionen Kubikmeter geschätzt wurde, aus Nordamerika.<br />
Weltweit gibt es derzeit nur vier weitere Quellen außerhalb den USA,<br />
aus denen Helium wirtschaftlich gewonnen wird: Algerien, Polen,<br />
Katar und Russland.<br />
Joint Venture zur Heliumgewinnung<br />
Während Prognosen einen Rückgang der US-Heliumgewinnung aus<br />
der laufenden Erdgasproduktion um etwa fünf bis zehn Prozent voraussagen,<br />
werden in Russland, Katar, Ozeanien und Algerien neue<br />
Heliumressourcen erschlossen. In Algerien, das über sehr große Erdgasvorkommen<br />
verfügt, nutzt man das Potenzial der heliumreichen<br />
<strong>Gas</strong>quellen erst seit rund 15 Jahren. Der staatliche Energieversorger<br />
Sonatrach fördert Erdgas aus der Lagerstätte Hassi R’Mel in der Saha ra<br />
und transportiert es über Pipelines nach Spanien und Italien sowie<br />
in zwei Hafenstädte im Westen und Osten des Landes. Dort wird das<br />
Erdgas für den weiteren Transport per Schiff in großen LNG-Anlagen<br />
(LNG: Liquefied Natural <strong>Gas</strong>) verflüssigt. „Lange Zeit wurde das<br />
Restgas bei der Erdgasverflüssigung verbrannt und das darin enthaltene<br />
Helium in die Luft geblasen“, erinnert sich Klaus Brandl, Director<br />
Helium für Europa, den mittleren Osten und Afrika. Seit Mitte der<br />
1990er Jahre betreibt Sonatrach einen ersten Heliumverflüssiger in<br />
Arzew im Westen des Landes und startete erfolgreich gemeinsam mit<br />
<strong>Linde</strong> in Skikda im April 2007 die zweite Heliumproduktion. Bei der<br />
Verflüssigung von Erdgas aus heliumreichen Quellen bleibt ein <strong>Gas</strong>gemisch<br />
aus niedrig siedenden Komponenten wie Methan, Stickstoff,<br />
Wasserstoff und verschiedenen Kohlenwasserstoffen zurück, das in<br />
Algerien etwa fünf Prozent Helium enthält. Im Vergleich zu anderen<br />
Quellen ist der Heliumanteil des algerischen Erdgases gering. Da aber<br />
Sonatrach gleich mehrere LNG-Anlagen in Skikda betreibt und sehr<br />
große Mengen an Erdgas verflüssigt, wird die Heliumproduktion auch<br />
dort wirtschaftlich interessant. Das „Abfallprodukt“ der Erdgasverflüssigung<br />
ist zugleich der Rohstoff für die Heliumgewinnung. Diesen liefert<br />
Sonatrach dann zur weiteren Verarbeitung via Pipeline an das<br />
Joint Venture Helison Production (Helison: Helium <strong>Linde</strong> Sonatrach),<br />
an dem der <strong>Linde</strong>-Konzern 51 Prozent der Anteile hält. Das Gemeinschaftsunternehmen<br />
wurde im Jahr 2003 für den Betrieb der Heliumgewinnung<br />
in Skikda gegründet. Den Bau und die Planung bezüglich<br />
Erzeugung und Verflüssigung übernahm dabei ein Team von<br />
40 Experten der <strong>Linde</strong> Divison Engineering. Die Heliumgewinnung ist ein<br />
kältetechnischer Prozess, bei dem man ein Gemisch niedrig siedender<br />
<strong>Gas</strong>e durch Abkühlung und Verflüssigung auftrennt. In einem ersten<br />
Schritt wird die heliumreiche <strong>Gas</strong>mixtur im Tieftemperaturprozess<br />
angereichert und bei minus 180 Grad Celcius weitgehend von Methan<br />
und Stickstoff befreit. Dies geschieht in<br />
einer so genannten Coldbox, die mehrere,<br />
acht Meter lange Plattenwärmetauscher<br />
aus Aluminium, Kolonnen,<br />
Rohrleitungen und Ventile in einer gut<br />
isolierten Hülle vereint. Die Coldbox<br />
gelangt verschweißt und fertig montiert<br />
zur Baustelle. Das verkürzt die<br />
Montagezeit vor Ort.<br />
Auch nach der Tieftemperaturtrennung<br />
enthält das Rohgas (Heliumanteil<br />
> 95 Prozent) noch zuviel Stickstoff<br />
und Methan, um es direkt verflüssigen<br />
zu können. Denn die <strong>Gas</strong>e würden<br />
bei der Verflüssigung gefrieren. Deshalb<br />
wird das angereicherte Helium<br />
zunächst bei Umgebungstemperatur<br />
in einer so genannten Druckwechseladsorptionsanlage<br />
gereinigt. Zurück<br />
DAS ELEMENT<br />
hELIUM WURDE<br />
WEGEN SEINES<br />
VoRKoMMENS<br />
AUF DER SoNNE<br />
NAch DER<br />
GRIEchISchEN<br />
BEzEIchNUNG<br />
FüR UNSER<br />
zENTRALGESTIRN<br />
(SoNNE = hELIoS)<br />
BENANNT.<br />
bleibt gasförmiges Helium mit einer Reinheit von 99,999 Prozent.<br />
Auch dieser Anlagenteil gehörte in Skikda zum <strong>Linde</strong>-Lieferumfang.<br />
Nach der Reinigung wird das Helium für den weiteren Transport verflüssigt.<br />
Das Prinzip eines Heliumverflüssigers gleicht dem der Luftverflüssigung<br />
nach dem <strong>Linde</strong>-Verfahren, benötigt jedoch drei Kühlstufen<br />
zur Abkühlung des Edelgases bis auf minus 269 Grad Celcius. Zunächst<br />
wird das Helium bei einem Druck von etwa 2 Mega pascal oder<br />
20 bar durch Rückführung von bereits kaltem Heliumgas und Verdampfung<br />
von flüssigem Stickstoff auf minus 193 Grad Celcius abgekühlt.<br />
Für die weitere Abkühlung bis zur Verflüssigungstemperatur sorgt<br />
ein so genannter Turboexpander, gebaut von den Tieftemperatur-<br />
Experten der <strong>Linde</strong> Kryotechnik AG aus Pfungen in der Schweiz. An-<br />
schließend wird ein Teil des Heliums verflüssigt und in supervakuumisolierte<br />
Container mit einer Kapazität von etwa 27.000 Kubikmetern<br />
abgefüllt. So verpackt, verdampfen nur etwa 0,3 Prozent des Heliums<br />
pro Tag und das flüssige Edelgas kann seine Reise nach Europa an<br />
Bord eines Container-Schiffs beginnen.<br />
Logistikzentrum in südfrankreich<br />
Das Helium aus Skikda ist in erster Linie für den europäischen Markt<br />
bestimmt. Es wird von Algerien binnen weniger Tage in die französische<br />
Hafenstadt Berre nahe Marseille verschifft. Dort hat <strong>Linde</strong> im<br />
Februar 2006 ein Heliumlogistikzentrum eröffnet. In Berre werden<br />
auf 13.500 Quadratmetern Fläche die in Marseille angelandeten Spezialcontainer<br />
mit flüssigem Helium zwischengelagert. Von dort wird
HELIumprODukTION uND -rEsErVEN<br />
Quelle: U.S. Geological Survey; Januar 2007<br />
* geschätzt<br />
Produktion / Jahr 2006 * (in mio. m3) reserven (in mio. m 3)<br />
uSa (aus Erdgas) 76 8.300<br />
uSa (cliffside-Speicher **) 58 –<br />
algerien 22 8.400<br />
kanada – 2.000<br />
china – 1.100<br />
Polen 3 280<br />
katar 7 10.000<br />
russland 7 6.700<br />
andere – 2.800<br />
weltweit (gerundet) 170 40.000 DIE fAkTEN<br />
** Der Rohheliumspeicher im texanischen Cliffside sicherte seit den 1960er Jahren den langfristigen<br />
Heliumbedarf von NASA und Airforce. Hier lagerte die bis zu zehnfache Menge der Weltjahresproduktion.<br />
Das Helium-Privatisierungsgesetz von 1996 sieht eine deutliche Reduktion dieses<br />
Bestands bis zum Jahr 2015 vor. Quelle: U.S. Geological Survey; Januar 2006<br />
Name helium<br />
Gruppe Edelgase<br />
Ordnungszahl 2<br />
aussehen farbloses <strong>Gas</strong><br />
Dichte 0,1785 kg·m-3<br />
Siedepunkt −268,93 °c<br />
wärmeleitfähigkeit 0,152 w/(m·k)<br />
relative atommasse 4,002602 g / mol<br />
HELIum // LINDE TECHNOLOGY<br />
13<br />
hELIUM<br />
Edelgas in alle welt: von der algerischen hafenstadt Skikda,<br />
nahe der tunesischen Grenze, beginnt der weg des heliums<br />
zu anwendungen in Quantenoptik, Nanotechnologie und<br />
medizintechnik.
LINDE TECHNOLOGY // HELIum<br />
14<br />
aufwändige Technik:<br />
Die heliumgewinnung ist<br />
ein kältetechnischer prozess,<br />
bei dem man ein Gemisch<br />
niedrig siedender <strong>Gas</strong>e durch<br />
Abkühlung und Verflüssigung<br />
auftrennt. Das prinzip eines<br />
heliumverflüssigers gleicht dem<br />
der Luftverflüssigung nach<br />
dem <strong>Linde</strong>-Verfahren, benötigt<br />
jedoch drei Kühlstufen<br />
zur Abkühlung des Edelgases<br />
bis auf minus 269 Grad celcius.
IN 100 LITERN<br />
LUFT BEFINDEN<br />
SIch NUR RUND<br />
0,5 MILLILITER<br />
hELIUM.<br />
dann das Helium sicher und pünktlich auf zwölf europäische Abfüll-<br />
und Lagerstationen und anschließend an die Kunden in Europa und<br />
darüber hinaus verteilt. Pro Woche werden bis zu sieben Container<br />
aus Skikda gelöscht. Auf dem Gelände der Heliumlogistikplattform<br />
werden außerdem die teuren Helium-Container gereinigt und gewartet,<br />
bevor sie im regelmäßigen Schiffsverkehr leer nach Skikda zur<br />
erneuten Befüllung zurückgeschickt werden.<br />
„Auch die eigene Produktion dieser Helium-Container war ein<br />
wichtiger strategischer Schritt für <strong>Linde</strong>, um unseren Kunden speziell<br />
optimierte Transportbehälter anbieten zu können“, erklärt Brandl.<br />
Die schwedische <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft Cryo AB hat zu diesem<br />
Zweck eigene Tankcontainer für den Transport von flüssigem Helium<br />
mit einem Fassungsvermögen von etwa 36.000 Litern entwickelt. In<br />
diesem Tankcontainer können rund 28.000 Kubikmeter gasförmiges<br />
Helium verflüssigt transportiert werden. In speziellen Flüssiggasbehältern<br />
oder gasförmig in Trailern und Druckgasflaschen gelangt das<br />
Helium anschließend zum Kunden. Der Transport des Heliums von<br />
Algerien bis zum Endkunden nach Europa nimmt nur etwa ein Drittel<br />
der Zeit in Anspruch, die eine Lieferung aus US-Quellen benötigt.<br />
Skikda stellt einen weiteren Meilenstein in der <strong>Linde</strong>-Heliumstrategie<br />
dar: Bereits im Mai 2006 hat die <strong>Linde</strong> Group ein neues Distributionszentrum<br />
für Helium in den USA in Betrieb genommen. Von<br />
Montgomery bei Chicago aus versorgt der Konzern seitdem die Kunden<br />
im gesamten Mittleren Westen der USA mit gasförmigem und<br />
flüssigem Helium sowie mit allen dazugehörenden Dienstleistungen.<br />
Die neue, ausschließlich auf Helium spezialisierte Distributionseinrichtung<br />
in Montgomery ersetzt die bisherige Heliumverteilung des<br />
auTOrIN:<br />
Andrea Gruß arbeitet als Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalistin<br />
in Darmstadt und ist als Autorin für Kindersachbücher tätig.<br />
HELIum // LINDE TECHNOLOGY<br />
15<br />
Standorts Carol Stream, Illinois. Das weltweite Heliumnetzwerk wurde<br />
auch durch ein neues Distributionszentrum in Dubai ergänzt. Von dieser<br />
ersten <strong>Linde</strong>-Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten aus<br />
beliefert der Konzern seit September 2006 Kunden im Mittleren Osten<br />
und in Asien mit flüssigem und gasförmigem Helium aus Katar. Diese<br />
Heliumquelle ist die bislang erste und einzige im Mittleren Osten und<br />
verarbeitet Erdgas aus Katars riesigem North Field.<br />
position im Heliummarkt weiter ausbauen<br />
Zur Sicherung der weltweiten Heliumversorgung investiert <strong>Linde</strong> aber<br />
auch weiter in eigene Heliumproduktionsanlagen: So begannen 2006<br />
in Australien die Vorarbeiten zum Bau der ersten eigenen Produktionsanlage<br />
für flüssiges Helium in der südlichen Hemisphäre. Die neue<br />
Anlage, eine von nur 15 auf der gesamten Welt, wird nach ihrer Fertigstellung<br />
das Helium aus dem Erdgas einer neuen Erdgasverflüssigungsanlage<br />
von Darwin LNG gewinnen, verflüssigen, reinigen und<br />
in Tankcontainern auf dem australischen Markt, aber auch in Neuseeland<br />
und Asien vertreiben. Die neue Anlage soll jährlich rund<br />
4,2 Millionen Kubikmeter Flüssig-Helium produzieren, das sind zwischen<br />
zwei und drei Prozent der weltweiten Nachfrage.<br />
Und <strong>Linde</strong> will seine Position auf dem Weltmarkt auch weiter<br />
ausbauen: „Unser mittelfristiges Ziel ist es, den Anteil am weltweiten<br />
Heliummarkt um weitere Prozentpunkte zu steigern, und wir fokussieren<br />
daher unser Geschäft auf wachstumsstarke Regionen“, erklärt<br />
Brandl, der einige Regionen dieser Erde kennt, „wo es zwar heute<br />
noch keine Straßen, aber vielleicht schon bald Heliumproduktionsstätten<br />
gibt“.<br />
LINkS:<br />
www.linde-kryotechnik.ch<br />
www.sonatrach-dz.com<br />
www.wilayadeskikda.com<br />
www.linde-gas.de<br />
www.helison.ch
LINDE TECHNOLOGY // CO 2 sINk<br />
16<br />
CO 2-sEquEsTrIEruNG<br />
mIT LINDE-TECHNOLOGIE<br />
Zur Abtrennung und umweltverträglichen<br />
unterirdischen<br />
Speicherung von CO 2 kommt<br />
<strong>Linde</strong>-Technologie auch in<br />
anderen Projekten zum Einsatz.<br />
So liefert der Konzern für die<br />
Pilotanlage des Energiekonzerns<br />
Vattenfall in Schwarze Pumpe in<br />
der Lausitz Komponenten für ein<br />
emissionsarmes Kraftwerk auf<br />
Basis der Oxyfuel-Technologie.<br />
Das Kraftwerk mit 30 Megawatt<br />
Leistung soll <strong>2008</strong> in Betrieb<br />
gehen. In Schwarze Pumpe soll<br />
im nächsten Jahrzehnt zudem<br />
ein Oxyfuel-Kraftwerk mit 250<br />
bis 600 Megawatt Leistung<br />
errichtet werden, gefolgt von<br />
einer kommerziellen Anlage im<br />
Jahr 2020 mit 1.000 Megawatt<br />
Leistung zu wettbewerbsfähigen<br />
Stromerzeugungskosten.<br />
Ein weiteres Beispiel für die<br />
CO 2 -Sequestrierung ist die<br />
Erdgas verflüssigungsanlage in<br />
Hammerfest, Norwegen. Die von<br />
<strong>Linde</strong> errichtete Anlage ist die<br />
weltweit erste, in der das im<br />
Erdgas enthaltene Kohlendioxid<br />
nicht nur physikalisch abgetrennt,<br />
sondern nach dem<br />
Prozess entfeuchtet, verdichtet<br />
und in die Lagerstätte zurückgepumpt<br />
werden kann. So<br />
gelangen rund 700.000 Tonnen<br />
CO 2 pro Jahr weniger in die<br />
Atmosphäre.<br />
Bohren für die forschung: In Ketzin<br />
untersuchen Geologen erstmals die<br />
Ausbreitung von co 2 im Untergrund<br />
am ort der Injektion.<br />
Bildquelle: laif<br />
Autor: Bernd Müller<br />
1 1
<strong>Linde</strong>-co 2 -Technologie für den Klimaschutz<br />
WASSERSpRUDLER GEGEN<br />
DEN TREIBhAUSEFFEKT<br />
Im brandenburgischen Ketzin untersucht das GeoForschungsZentrum Potsdam, ob<br />
sich Kohlendioxid (CO2 ) dauerhaft unterirdisch lagern lässt. Bevor es in 700 Metern<br />
Tiefe seine letzte Ruhestätte findet, wird das <strong>Gas</strong> durch <strong>Linde</strong>-Technologie unter<br />
Druck gesetzt.<br />
Frank Schilling drückt auf den Knopf seines Trinkwassersprudlers.<br />
Kohlendioxid schießt aus dem Metallzylinder in die wassergefüllte<br />
Flasche. „Genauso funktioniert CO 2 SINK“, sagt der Professor für Mineralogie<br />
und Gesteinsphysik am Geoforschungszentrum Potsdam und<br />
schmunzelt. Der Wassersprudler, den Schilling meint, liegt 20 Kilometer<br />
von seinem Büro entfernt in Ketzin auf einer grünen Wiese –<br />
besser gesagt 700 Meter darunter. Drei Bohrlöcher, angeordnet in<br />
Form eines rechtwinkligen Dreiecks, markieren die Stelle, an der die<br />
Potsdamer Forscher gemeinsam mit Industriepartnern einen wichtigen<br />
Erkenntnisfortschritt im Dienste des Weltklimas erzielen wollen.<br />
Seit Ende 2007 werden dort zwei Jahre lang pro Stunde 1,5 Tonnen<br />
Kohlendioxid durch ein armdickes Rohr in das Tiefengestein gepresst.<br />
Gelingt das Experiment, wäre der Beweis erbracht, dass Kohlendioxid<br />
aus Kohlekraftwerken mit CO 2 -Abscheidung, wie sie gerade von der<br />
Energieindustrie entwickelt werden, dauerhaft unterirdisch gelagert<br />
werden kann. Dem Erdklima wäre damit ein großer Dienst erwiesen.<br />
Lagerstätte für millionen Jahre<br />
Die Lagerung von CO 2 im Untergrund ist an sich nichts Neues: In der<br />
Wüste von Algerien presst der Ölkonzern BP pro Jahr eine Million Tonnen<br />
des klimaschädlichen <strong>Gas</strong>es, das bei der Förderung von Erdgas mit an die<br />
Oberfläche gelangt, zurück in die Erde. Die norwegische StatoilHydro<br />
tut das Gleiche bei ihrem Erdgasfeld Snøhvit unter der Barentssee.<br />
Bei der im Oktober 2007 aufgenommenen Erdgasförderung und -verflüssigung<br />
ist <strong>Linde</strong> für die Technik der CO 2 -Abscheidung, -Komprimierung<br />
und -Rückführung zuständig. Unklar ist allerdings bisher, ob das<br />
Kohlendioxid wirklich für Tausende oder sogar Millionen von Jahren im<br />
Untergrund verbleiben wird. Würde es schon nach einigen Jahzehnten<br />
durch Risse im Gestein wieder an die Oberfläche gelangen, wäre dem<br />
CO2sINk // LINDE TECHNOLOGY<br />
17<br />
Klima nicht geholfen. Aber die Geologen sind optimistisch, dass dies<br />
nicht passieren wird. Schließlich lagert auch Erdgas seit zig Millionen<br />
Jahren in der Tiefe. Und bei den bisher realisierten Pilotprojekten wird<br />
in der Erdkruste im Grunde nur ein <strong>Gas</strong> durch ein anderes ersetzt.<br />
salzwasser speichert CO 2<br />
Etwas komplizierter ist der Fall in Ketzin. Dort wird das CO 2 in ein salines<br />
Aquifer verpresst – ein Grundwasserspeicher aus porösem Sandstein,<br />
der hochkonzentriertes Salzwasser enthält. Presst man das <strong>Gas</strong><br />
mit einem ausreichend hohen Druck hinein, löst sich ein Teil davon<br />
im Wasser – genauso wie es bei einem Trinkwassersprudler passiert.<br />
Das restliche CO 2 verdrängt das Wasser aus den Poren des löchrigen<br />
Gesteins. Was dann geschieht, ist der eigentliche Forschungsgegenstand<br />
von CO 2 SINK: Messungen sollen erstmals im Detail zeigen, wie<br />
sich das CO 2 im Untergrund ausbreitet. Dazu sind alle drei Bohrlöcher<br />
in bestimmten Tiefen perforiert und mit Sensoren gespickt, die ihre<br />
Daten über Glasfaserleitungen ans Tageslicht und in einen Messcontainer<br />
zur Datenauswertung schicken.<br />
Nach wenigen Wochen, vielleicht auch erst nach einem Jahr,<br />
wird sich im 50 Meter entfernten Bohrloch Krypton nachweisen lassen,<br />
das als Markergas in geringen Mengen dem CO 2 zugegeben wird.<br />
Andere Sensoren messen die elektrische Leitfähigkeit, die abnimmt,<br />
weil das CO 2 das salzige und damit gut leitende Wasser verdrängt.<br />
Seismische Untersuchungen, bei denen durch zu Boden fallende<br />
Gewichte Erschütterungen in die Erde geschickt und deren Echo<br />
registriert wird, liefern sogar dreidimensionale Bilder der Ausbreitung<br />
in der Tiefe. Wenn es im Gestein hochdurchlässige Rinnen gibt, könne<br />
alles auch ganz schnell gehen, so Schilling: „Dann kann das CO 2 auch<br />
schon nach einem Tag das nächste Bohrloch erreichen.“
LINDE TECHNOLOGY // CO 2 sINk<br />
18<br />
CO 2 Anlieferung<br />
Gips-/Tongestein<br />
CO 2 speicher/<br />
gefüllt<br />
Gips-/Tongestein<br />
sandstein/<br />
CO 2 speicher-schicht<br />
CO 2<br />
CO 2 CO 2<br />
sensoren<br />
7<br />
7<br />
7<br />
Einleitung +<br />
Verdichtung<br />
cO 2 unter der Erde: In Ketzin wird co 2 in eine Schicht aus porösem Sandstein<br />
geleitet. Ein Teil des <strong>Gas</strong>es löst sich im darin enthaltenen Wasser. Gips- und<br />
Tonschichten halten das co 2 wie einen Deckel unter der Erde fest. Um die<br />
Ausbreitung des co 2 im Untergrund messen zu können, sind die drei Bohrlöcher<br />
in bestimmten Tiefen perforiert und mit Sensoren gespickt.<br />
In der wichtigsten Frage, die CO 2 sINk beantworten<br />
soll, ist sich schilling aber sehr sicher: „Nach oben geht so<br />
gut wie nichts durch das Abdeckgebirge raus.“ Soll heißen: Nach<br />
allem, was die Geologen wissen, wird die Schicht aus Gips und Ton,<br />
die wie eine Käseglocke über der mehrere Quadratkilometer großen<br />
Sandsteinwölbung liegt, absolut dicht halten, auch wenn das Lager<br />
die zehnfache Menge der geplanten 60.000 Tonnen CO 2 aufnehmen<br />
müsste. Die vermutlich einzige Lücke sind die drei Bohrungen, doch<br />
die werden nach Abschluss des Projekts versiegelt. Zudem liegt die<br />
Kohlendioxid-Menge, die in Ketzin verpresst wird, auf einem Niveau,<br />
das auch von Bakterien oder aus Gesteinen – beispielsweise durch<br />
Bodenerosion – emittiert wird: Weltweit gelangen 3.000 Gigatonnen<br />
CO 2 auf natürlichem Weg in die Atmosphäre, vergleichsweise geringe<br />
25 Gigatonnen steuert der Mensch bei – dennoch genug, um das sensible<br />
CO 2 -Gleichgewicht zwischen Boden und Atmosphäre aus dem Lot<br />
zu bringen.<br />
Das Kohlendioxid für Ketzin stammt aus dem 175 Kilometer<br />
entfernten Chemiepark Leuna, wo es als Nebenprodukt der Ammoniaksynthese<br />
anfällt und von <strong>Linde</strong> in einem mehrstufigen Aufbereitungsprozess<br />
gereinigt und bei minus 35 bis minus 25 Grad verflüssigt<br />
wird, so dass es am Ende in Lebensmittelqualität vorliegt.<br />
Hauptabnehmer ist die Getränkeindustrie, aber es gibt auch einen<br />
so genannten Pelletizer für Trockeneis. Weitere Einsatzgebiete sind<br />
unter anderem das Lebensmittel-Schockfrosten und die Feuerlöscher-<br />
Herstellung. Das für Ketzin bestimmte Flüssig-CO 2 wird per Tankwagen<br />
dorthin geliefert und in zwei Tanksilos gespeichert. Neben den<br />
Tanks stehen zwei unscheinbare Gebäude, in denen ein <strong>Linde</strong>-Kom-<br />
7<br />
7<br />
7<br />
sensoren<br />
800m<br />
pressor das <strong>Gas</strong> auf einen Druck von über 70 bar und eine Temperatur<br />
von 30 Grad Celsius bringt. Bei diesen Parametern ist das CO 2 überkritisch,<br />
das heißt, flüssige und gasförmige Phase lassen sich nicht<br />
mehr unterscheiden. Diese Form der Aufbereitung ist nötig, weil der<br />
überkritische Zustand auch in 700 Metern Tiefe herrscht und das<br />
CO 2 nur so vom Gestein aufgesogen wird. Wenn der Klimaschädling<br />
wie geplant ab <strong>2008</strong> im großen Maßstab aus Kraftwerken in tiefen<br />
Gesteinsschichten gelagert wird, soll das verflüssigte <strong>Gas</strong> nicht mehr<br />
per Lkw, sondern per Pipeline transportiert werden. Im Idealfall entsteht<br />
das Kraftwerk gleich über der künftigen <strong>Gas</strong>lagerstätte.<br />
Nicht nur zur Erfrischung, sondern auch um die Nützlichkeit<br />
des CO 2 zu demonstrieren, steht im Besucherinformationszentrum von<br />
Ketzin ein Trinkwassersprudler. Zum Scherz forderte der Mineraloge<br />
Schilling den Partner <strong>Linde</strong> auf, diesen Sprudler mit einem großen<br />
CO 2 -Tank zu verbinden. Die <strong>Linde</strong>-Techniker verstanden den Spaß,<br />
nahmen die Aufgabe aber dennoch ernst. So kam es, dass Schilling<br />
am 13. Juni 2007 das Projekt CO 2 SINK mit einem Druck auf die Taste<br />
des Trinkwassersprudlers feierlich in Betrieb nahm.<br />
auTOr:<br />
Bernd Müller ist freier Technikjournalist in Esslingen. Er schreibt unter<br />
anderem regelmäßig für „bild der wissenschaft“ und „Focus“.<br />
LINkS:<br />
www.co2sink.org
cO 2 -versorgung:<br />
Die Technologie zum<br />
Verpressen von co 2 in den<br />
Boden wurde von <strong>Linde</strong><br />
mitentwickelt. Das co 2<br />
für das Forschungsprojekt<br />
stammt aus einer Raffinerie<br />
in Leuna, wird per Tankwagen<br />
nach Ketzin geschafft<br />
und dort in Tanks zwischengespeichert.<br />
„WIR SIND NIchT zUM<br />
ERFoLG VERDAMMT.”<br />
Das Projekt CO2 SINK soll klären, wie sich die Lagerung<br />
von Kohlendioxid im Untergrund auswirkt. „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“<br />
sprach mit dem Projekt-Koordinator Prof. Frank<br />
Schilling vom GeoForschungsZentrum in Potsdam.<br />
kANN DIE CO 2-LAGEruNG DAs kLImA rETTEN?<br />
Alleine nicht, natürlich bedarf es auch anderer Maßnahmen wie Energiesparen<br />
oder die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen. Aber ein Drittel der vom<br />
Menschen verursachten CO 2 -Emissionen fallen bei der Stromerzeugung aus<br />
fossilen Brennstoffen an. Deshalb wäre die CO 2 -Lagerung eine interessante<br />
Brückentechnologie für die kommenden Jahrzehnte. Sie hat den Vorteil, dass<br />
man die Energie zunächst weiter so erzeugen kann wie bisher, was vor allem<br />
für die USA und China interessant ist. In China geht jede Woche ein neues Kohlekraftwerk<br />
ans Netz, und wir dürfen uns keine Illusionen machen, dass sich<br />
dieser rasante Ausbau auf absehbare Zeit verlangsamen könnte. Aber auch für<br />
Deutschland und Europa gewinnt diese Technologie damit wieder an Attraktivität.<br />
wIE sTEHT DIE BEVöLkEruNG zu DEm prOJEkT?<br />
Begeisterung wird so was nie auslösen, das ist klar. Aber bisher registrieren wir<br />
keine ernsthafte Beunruhigung. Das liegt vielleicht daran, dass hier bereits früher<br />
ein unterirdischer Erdgasspeicher war. Auf jeden Fall werden wir weiter mit<br />
Transparenz für Akzeptanz werben. Auf der Webseite des Projekts berichten<br />
wir tagesaktuell, was wir gerade machen.<br />
IN zwEI JAHrEN IsT DAs prOJEkT zu ENDE. wAs DANN?<br />
Wir bemühen uns um weitere Mittel, um die Langzeitmessungen fortsetzen zu<br />
können. Wir würden uns auch wünschen, dass man in Ketzin an das im Aufbau<br />
befindliche Biogaskraftwerk eine CO 2 -Abscheidung baut und das CO 2 weiter in<br />
das Gestein presst. Aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik.<br />
wENN DAs prOJEkT EIN ErfOLG wIrD – kOmmT DANN<br />
DIE CO 2 -EINLAGEruNG Im GrOssEN sTIL?<br />
Davon gehe ich aus. Genügend geeignete Lagerstätten gibt es sowohl in<br />
Deutschland als auch weltweit. Wir schätzen, dass deren Aufnahmefähigkeit<br />
mindestens für die produzierte CO 2 -Menge der nächsten 100 Jahre ausreichen<br />
wird. Ein Problem zeichnet sich aber jetzt schon ab: Uns fehlen Fachkräfte. Es<br />
gibt kaum noch Universitäten, die Studenten mit entsprechendem Know-how<br />
ausbilden. Und die wenigen Leute werden seit einigen Jahren von der Industrie<br />
stark umworben, zum Beispiel für die Erschließung von Erdöl- oder Erzvorkommen.<br />
Es ist daher sehr schwierig, gute Leute für die weitere Erforschung und<br />
Erprobung der CO 2-Lagerung zu gewinnen.<br />
Im INTErVIEw<br />
CO2sINk // LINDE TECHNOLOGY<br />
19<br />
Geologie-Experte:<br />
prof. Dr. Frank Schilling beschäftigt<br />
sich am GeoForschungszentrum<br />
potsdam (GFz) vor allem mit<br />
Mineralogie und Gesteinsphysik.
LINDE TECHNOLOGY // GAsE IN DEr mEDIzIN<br />
20<br />
DIE UNSIchTBAREN hELFER<br />
Man sieht sie nicht, man schmeckt sie nicht, man kann sie nicht anfassen –<br />
aber sie helfen: Medizinische <strong>Gas</strong>e lindern Schmerzen, beschleunigen<br />
heilungsprozesse, können Leben retten und machen manche Innovation<br />
in der Medizintechnik überhaupt erst möglich.<br />
1 Bereits<br />
seit fast 200 Jahren werden <strong>Gas</strong>e für medizinische Zwecke verwendet und dienen Ärzten als<br />
unsichtbare Helfer, von der Anästhesie über die Chirurgie bis hin zur außerklinischen Beatmung von Lungenkranken,<br />
denen sie einen Gewinn an Lebensqualität verschaffen.<br />
Für The <strong>Linde</strong> Group gewinnt die Global Business Unit Healthcare, also das Geschäft mit medizinischen<br />
<strong>Gas</strong>en, immer mehr an Bedeutung. Die Healthcare-Aktivitäten wurden in der Geschäftseinheit<br />
<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics gebündelt – einem der weltweit führenden Hersteller und Anbieter gasförmiger<br />
Arzneimittel und zugehöriger Medizinprodukte. Das Geschäft teilt sich in die beiden Bereiche Hospital Care<br />
und Homecare: Die Kernkompetenz von Hospital Care liegt in der Versorgung von Kliniken und Arztpraxen<br />
mit medizinischen <strong>Gas</strong>e, dem dazugehörigen Equipment und Dienstleistungen. Der Bereich Homecare bietet<br />
qualitativ hochwertige und zugleich kostengünstige Therapiekonzepte, hauptsächlich für atemwegserkrankte<br />
Patienten im häuslichen Umfeld. Darüber hinaus stellt <strong>Linde</strong> seit 2003 alle zwei Jahre Fördermittel<br />
in Höhe von einer Million US-Dollar für einen weltweit einzigartigen Forschungsfonds auf dem Gebiet<br />
gasförmiger Arzneimittel, den „<strong>Gas</strong> Enabled Medical Innovations (GEMI) Fund“, zur Verfügung.<br />
Das Titelthema dieser Ausgabe von „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ zeigt die vielfältigen Aspekte der Anwendung<br />
von <strong>Gas</strong>en in der Medizin. Angefangen von einem neuartigen Therapieansatz gegen Schlaganfallfolgen<br />
auf Basis von Sauerstoff über eine medizinische Forschungsexpedition zum Mount Everest und neue<br />
Möglichkeiten der außerklinischen Beatmung bis hin zur Augen-OP mittels Laserskalpell.
<strong>Gas</strong>e in der medizin<br />
INTENSIvE hILfE fürS GEhIrN<br />
Sauerstofftherapie bei Schlaganfall .........22<br />
kLINISchE TESTS auf DEm Dach DEr wELT<br />
Medizinische Forschungsexpedition<br />
zum Mount Everest ....................................26<br />
OPEraTION ScharfBLIck<br />
<strong>Linde</strong>-Spezialgase für die Laserchirugie ...32<br />
DIE „EISErNE LuNGE“ haT auSGEDIENT<br />
Heimbeatmung erhöht die Lebensqualität<br />
von Patienten .............................................36<br />
unauffällig: patienten mit chronischen<br />
Atemwegserkrankungen verhilft Sauerstoff –<br />
verabreicht über einen transportablen<br />
Generator und eine unscheinbare Nasenbrille<br />
– zu neuer Lebensqualität.<br />
Fotografin: claudia Kempf<br />
1<br />
GAsE IN DEr mEDIzIN // LINDE TECHNOLOGY<br />
21
LINDE TECHNOLOGY // sAuErsTOffTHErApIE<br />
22<br />
Gefahr fürs Gehirn: Einem Schlaganfall<br />
liegt ein plötzlicher Mangel der Nerven-<br />
zellen an Sauerstoff und anderen<br />
Substraten zu Grunde. Das hirngewebe<br />
wird nicht mehr vollständig durchblutet.<br />
Dadurch können ganze Bereiche<br />
absterben.<br />
Foto: Getty Images<br />
Autor: Ute Kehse<br />
1<br />
1
INTENSIVE hILFE<br />
FüRS GEhIRN<br />
Sauerstofftherapie bei Schlaganfall<br />
Die nüchternen Fakten kennt Dr. Roland Veltkamp nur zu gut: Jedes<br />
Jahr, so berichtet der Neurologe vom Universitätsklinikum Heidelberg,<br />
erleiden 200.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Er ist<br />
nach Herzinfarkt und Krebs weltweit die dritthäufigste Todesursache<br />
und die häufigste Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter.<br />
Täglich sieht Veltkamp bei seiner Arbeit im Heidelberger Schlaganfallzentrum,<br />
welch tragische Folgen ein Hirnschlag haben kann – und<br />
das nicht nur bei älteren Menschen. Gerade bei Jüngeren wird das<br />
Risiko häufig unterschätzt. Dabei trifft der Schlaganfall auch fünf von<br />
100.000 Kindern und zehn Mal soviel Jugendliche und junge Erwachsene.<br />
„Der Schlaganfall ist ein unterschätztes und vernachlässigtes<br />
Problem“, sagt Veltkamp. „In die Erforschung von Herz- und Krebserkrankungen<br />
fließen wesentlich mehr Forschungsgelder.“ Die Folgen<br />
für die Patienten seien gravierend, sagt der 41-jährige: „Es gibt kaum<br />
Möglichkeiten, einen akuten Schlaganfall zu behandeln.“<br />
Nervenzellen unterversorgt<br />
Von einem Schlaganfall spricht man, wenn bestimmte Gehirnfunktionen<br />
plötzlich ausfallen: Betroffene leiden unter Sprachstörungen<br />
oder Lähmungserscheinungen. Die Ursache dafür kann entweder<br />
eine Hirnblutung oder aber der Verschluss eines Blutgefäßes<br />
sein. Der zweite Typ, den die Mediziner als ischämischen Schlaganfall<br />
bezeichnen, macht dabei mehr als vier Fünftel aller Fälle aus.<br />
Schuld an dem Infarkt können Ablagerungen an den Gefäßwänden<br />
oder Blutgerinnsel sein. Die Nervenzellen im betroffenen Gewebe<br />
werden nicht mehr oder nur noch ungenügend mit Sauerstoff versorgt<br />
und sterben rasch ab. „Bislang gibt es nur eine einzige anerkannte<br />
Therapie, um das Hirngewebe zu schützen“, berichtet Veltkamp.<br />
Bei der so genannten Thrombolyse wird ein bestehendes<br />
sAuErsTOffTHErApIE // LINDE TECHNOLOGY<br />
23<br />
Täglich werden gasförmige Pharmazeutika in Kliniken eingesetzt – von der Anästhesie über die<br />
Chirurgie bis hin zur Intensivmedizin. Aber können sie auch bei Schlaganfällen helfen? Ob eine<br />
rasche Versorgung mit Sauerstoff für Schlaganfall-Patienten tatsächlich hilfreich ist, untersucht<br />
der Neurologe Dr. Roland Veltkamp am Universitätsklinikum Heidelberg – dem weltweit führenden<br />
Schlaganfallzentrum. Unterstützt wird er dabei durch Fördergelder des GEMI Fund, den <strong>Linde</strong><br />
Healthcare alle zwei Jahre vergibt.<br />
Blutgerinnsel durch ein Enzym aufgelöst, so dass das Blut wieder<br />
fließen kann. Der Schaden im Gehirn lässt sich dadurch begrenzen.<br />
„Allerdings kommt diese Therapie nur bei fünf Prozent der Patienten<br />
in Frage, selbst in speziellen Schlaganfallzentren wie in Heidelberg<br />
werden nur zehn Prozent der Betroffenen so behandelt“, so<br />
Veltkamp. Der Grund: Die Thrombolyse nützt nur in den ersten drei<br />
Stunden nach dem Hirninfarkt etwas. Und weil dabei auch Hirnblutungen<br />
auftreten können, gibt es eine Reihe von Ausschlusskriterien,<br />
so dass sie bei vielen Patienten gar nicht angewendet werden kann.<br />
sauerstoff schützt die „schattenzone“<br />
Veltkamp erforscht deshalb seit Jahren eine andere Therapiemöglichkeit:<br />
In zahlreichen Versuchen hat er getestet, ob Sauerstoff das Gehirn<br />
schützen kann. „Der Gedanke dahinter ist einfach“, erläutert der Neurologe<br />
seine Grundidee: „Weil die Zellen im Gehirn aufgrund von Sauerstoffmangel<br />
absterben, müsste es den Patienten nützen, wenn sie<br />
mit mehr Sauerstoff als üblich versorgt werden.“ Vom Blutfluss völlig<br />
abgeschnittenes Hirngewebe ist auch so kaum zu erreichen, aber der<br />
zusätzliche Sauerstoff könnte zumindest die so genannte „Schattenzone“<br />
schützen – jenen Bereich im Gehirn, der den eigentlichen Infarkt<br />
umgibt und der noch gering durchblutet wird. Die Versorgung mit dem<br />
lebenswichtigen <strong>Gas</strong> wäre zudem relativ einfach: Jeder Krankenwagen<br />
hat Sauerstoff-Inhalationsgeräte an Bord, durch die Notfallpatienten<br />
reinen Sauerstoff einatmen können.<br />
Ob diese Akut-Therapie wirklich etwas nützt, lässt sich allerdings<br />
bislang noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen – obwohl sie<br />
schon seit mehr als 50 Jahren angewandt wird. „Bisherige Studien<br />
waren meist ziemlich unsystematisch angelegt“, berichtet Veltkamp.<br />
Physiologen hegen zudem Zweifel, dass der Sauerstoff überhaupt im
LINDE TECHNOLOGY // sAuErsTOffTHErApIE<br />
24<br />
Schnelle hilfe im OP: Nach einem Schlaganfall gilt es, das Gehirn vor einem<br />
dauerhaften Schaden zu bewahren. Dabei könnte Sauerstoff helfen und den<br />
Bereich im Gehirn schützen, der nur noch gering durchblutet wird.<br />
betroffenen Gewebe ankommt: Die O 2-Moleküle werden vor allem<br />
von den roten Blutkörperchen – auch Erythrocyten genannt – durch<br />
den Körper transportiert. Und deshalb bezweifeln Kritiker, dass das<br />
schützende <strong>Gas</strong> in die Gehirnregionen gelangt, die nicht mit Blut versorgt<br />
werden, weil dort eben die roten Sauerstoffträger nicht zirkulieren.<br />
Zudem ist Hämoglobin – der eisenhaltige, rote Blutfarbstoff in den<br />
Erythrocyten – gewöhnlich mit Sauerstoff gesättigt. Das heißt: Selbst<br />
wenn die Atemluft aus reinem O 2 besteht, kann das Blut den Überschuss<br />
gar nicht aufnehmen – so zumindest die Theorie.<br />
Hochdrucktherapie hilft dem Hirngewebe<br />
Als sich Veltkamp Mitte der 1990er Jahre während eines Studienaufenthalts<br />
in den USA erstmals mit dem Thema beschäftigte, kam er zu<br />
dem Schluss, dass es durchaus Anzeichen für eine schützende Wirkung<br />
des Sauerstoffs gibt. Er führte daher während seines US-Aufenthalts<br />
und später in Heidelberg mehrere präklinische Studien durch.<br />
Dabei kam zum Teil normale Atemluft, zum Teil reiner Sauerstoff zum<br />
Einsatz, dieser wiederum sowohl unter normalem Atmosphärendruck<br />
als auch in einer Druckkammer. Um herauszufinden, unter welchen<br />
Umständen die Anwendung am wirksamsten ist, variierte Veltkamp<br />
den Druck in der Sauerstoffkammer zwischen dem anderthalbfachen<br />
und dem dreifachen Atmosphärendruck. Außerdem ließ er unterschiedlich<br />
lange Zeitspannen bis zum Einsetzen der Sauerstoffversorgung<br />
verstreichen.<br />
Am besten, so stellte sich heraus, wirkte sich die Versorgung<br />
mit Hochdruck-Sauerstoff aus. Die Infarktgröße ließ sich um ein<br />
Drittel reduzieren. Das Zeitfenster für die Therapie betrug allerdings<br />
Diagnostik: Die perfusionsmessung<br />
visualisiert die Durchblutung von<br />
hirngewebe (o.) und Gefäßen (u.).<br />
nur wenige Stunden. Insgesamt war der Forscher mit dem Ergebnis<br />
zufrieden: „Wir haben erstmals gezeigt, dass die Hochdrucktherapie<br />
die Sauerstoffversorgung des Hirngewebes tatsächlich verbessern<br />
kann“, sagt er. In der Praxis wäre die Anwendung von Hochdruck-<br />
Sauerstoff freilich schwierig: Kaum ein Krankenhaus besitzt bisher<br />
eine Überdruckkammer, zudem könnten Patienten wegen der erhöhten<br />
Brandgefahr durch das Hochdruck-O 2 nicht so leicht mit elektronischen<br />
Apparaten überwacht werden.<br />
Was die Behandlung mit dem leichter zu handhabenden<br />
Normaldruck-Sauerstoff anbelangt, zeigten die Experimente widersprüchliche<br />
Ergebnisse. Bei Veltkamps präklinischen Modellen zeigte<br />
sich nur eine geringe schützende Wirkung, ein Forschungsteam von<br />
der Harvard University hatte dagegen mehr Erfolg. Wieder zeigte sich,<br />
dass die Behandlung sehr schnell nach dem Infarkt einsetzen musste.<br />
Veltkamp sieht inzwischen genug Anhaltspunkte für die<br />
Wirksamkeit der Sauerstofftherapie, um klinische Untersuchungen<br />
beginnen zu können. Und aus dem von <strong>Linde</strong> Healthcare finanzierten<br />
GEMI Fund (s. Kasten) hat er Forschungsmittel erhalten, mit<br />
denen er während der nächsten zwei Jahre zwei Projekte finanzieren<br />
kann. Ein Projekt soll mit Hilfe einer speziellen Methode der<br />
Kernspintomografie untersuchen, wie die Therapie mit Normaldruck-Sauerstoff<br />
den Energiestoffwechsel im Gehirn beeinflusst.<br />
„Wenn der Blutfluss unterbrochen wird, dann beginnt eine ganze<br />
Kaskade von Ereignissen in den Zellen, die das Gewebe schädigen<br />
und den Infarkt verschlimmern“, erläutert Veltkamp den Hintergrund.<br />
Mit der Kernspintomografie lassen sich einige der komplizierten<br />
Stoffwechselprozesse im Gehirn direkt sichtbar machen.
FoRSchUNG<br />
FÖRDERN<br />
In einem zweiten Projekt will der Mediziner untersuchen, ob Sauerstoff<br />
bei einem besonders schlimmen Schlaganfall-Typ, bei dem die mittlere<br />
Hirnarterie blockiert wird, Schutz bieten kann. Die klinischen Ausfälle<br />
sind bei diesen so genannten malignen Schlaganfällen besonders<br />
drastisch: Häufig bilden sich Wassereinlagerungen im Gehirn, die<br />
auf das Hirngewebe drücken und die Durchblutung zusätzlich stören.<br />
Wenn das passiert, muss ein Teil der Schädeldecke entfernt werden,<br />
damit der Gehirndruck nicht zu stark ansteigt. Bei diesen Schlaganfällen<br />
ereignen sich häufig auch unkontrollierte elektrische Entladungen<br />
im Gehirn, die weitere Infarkte nach sich ziehen können. Experimente<br />
der Forschungsgruppe aus Harvard zeigten, dass Sauerstoff die elektrischen<br />
Entladungen und damit die Folgeschäden womöglich verhindern<br />
kann. Veltkamp plant nun, bei Patienten mit malignen Schlaganfällen<br />
Sonden im Gehirn zu platzieren, die den Sauerstoffgehalt<br />
des Blutes direkt vor Ort messen.<br />
„Die Frage, ob Sauerstoff gegeben werden soll oder nicht,<br />
taucht bereits auf dem Transportweg zur Klinik ganz häufig auf“, berichtet<br />
der Mediziner. Eine schnelle Antwort wäre für Schlaganfallpatienten<br />
enorm wichtig. Mit Unterstützung des GEMI Funds, so hofft<br />
Veltkamp, kann Patienten in dieser kritischen Situation bald wirksamer<br />
geholfen werden.<br />
auTOrIN:<br />
Ute Kehse ist Wissenschaftsjournalistin und wohnt und arbeitet in<br />
Delmenhorst. Sie schreibt unter anderem für „bild der wissenschaft“,<br />
„Berliner zeitung“ und „Financial Times Deutschland“.<br />
GEförDErTE wIssENsCHAfTLEr uND IHrE fOrsCHuNGsprOJEkTE 2007:<br />
sAuErsTOffTHErApIE // LINDE TECHNOLOGY<br />
25<br />
The <strong>Linde</strong> Group stellt alle zwei Jahre Fördermittel in Höhe von 1 Million US-Dollar für den „<strong>Gas</strong> Enabled<br />
Medical Innovations (GEMI) Fund“ zur Verfügung. Gefördert werden Forschungs- und Entwicklungsprojekte<br />
in Form von projektbezogenen Fördergeldern, die sich mit dem Einsatz von <strong>Gas</strong>en in der Medizin<br />
auseinandersetzen. Der GEMI Fund Vorstand, der über die Vergabe der Forschungsgelder entscheidet,<br />
besteht aus acht international anerkannten wissenschaftlichen Experten auf den Gebieten Anästhesiologie,<br />
Intensivmedizin, Physiologie und Lungenmedizin. Gegründet wurde der GEMI Fund 2002 von<br />
<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics gemeinsam mit der Harvard Medical International (Boston/USA) und dem Karolinska<br />
Institut (Stockholm/Schweden). Insgesamt wurden bisher 23 Forschungsgruppen an über 15<br />
verschiedenen Instituten in aller Welt gefördert, die neue medizinische Anwendungen von <strong>Gas</strong>en wie<br />
Sauerstoff, Xenon, Stickstoffmonoxid, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid erforschen.<br />
Die Biochemikerin und Immunologin prof. Dr. Ana Claudia zenclussen (Charité – Universitätsmedizin<br />
Berlin) untersucht das therapeutische Potenzial von Kohlenmonoxid zur Verhinderung von Fehlgeburten.<br />
Der Neurologe Privatdozent Dr. roland Veltkamp (Universitätsklinikum Heidelberg) erforscht den<br />
protektiven Effekt einer speziellen Sauerstofftherapie bei akutem Schlaganfall. prof. Dr. russel morris<br />
(Großbritannien) forscht an einer Therapie bestimmter Herzkreislauferkrankungen mit Hilfe von Stickstoffmonoxid<br />
speichernden, hochporösen Materialien. prof. Dr. miguel soares (Portugal) untersucht<br />
die Rolle von Stickstoff- und Kohlenmonoxid bei der Malaria-Prävention. prof. Dr. fumito Ichinose<br />
(USA) befasst sich mit dem Effekt von Schwefelwasserstoff auf das Herz-Kreislauf-System. Dr. Hagir<br />
suliman (USA) entwickelt eine Kohlenmonoxid-Inhalationstherapie zum Schutz vor Herzerkrankungen.<br />
Der Biochemiker und Pharmakologe Dr. sylvain Doré (USA) untersucht die schützende Wirkung von<br />
Kohlenmonoxid auf das Nervensystem bei Schlaganfällen. prof. Dr. Joseph szurszewski (USA) befasst<br />
sich mit der Funktion von Schwefelwasserstoff in Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen.<br />
GASE FüR DIE ThERApIE<br />
seit über 100 Jahren spielen medizinische Therapien mit <strong>Gas</strong>en<br />
eine wichtige rolle in den Bereichen Anästhesie, Intensivmedizin<br />
und Lungenheilkunde. <strong>Linde</strong> Healthcare beteiligt sich aktiv an der<br />
Entwicklung von Anwendungsmöglichkeiten für verschiedene fachbereiche<br />
der medizin und gilt als führender Hersteller und Vertreiber<br />
von gasförmigen medikamenten, aber auch als Anbieter von<br />
Therapien und Dienstleistungen für universitätskliniken, krankenhäuser<br />
und Ärzte. Einige <strong>Gas</strong>e wie sauerstoff oder Lachgas (Distickstoffmonoxid)<br />
werden schon lange in der medizin verwendet.<br />
Viele Experten sind der meinung, dass auch andere substanzen,<br />
darunter kohlendioxid, kohlenmonoxid, schwefelwasserstoff, kohlenwasserstoffe<br />
und einige Edelgase ein enormes potenzial für Vorbeugung,<br />
Diagnose und Therapie bestimmter krankheiten haben.<br />
zurzeit steckt ihre Anwendung aber noch in den kinderschuhen.<br />
Neben medizinischen <strong>Gas</strong>en werden auch spezielle <strong>Gas</strong>gemische<br />
für vielfältige Aufgaben in der medizin benötigt. sie dienen meist<br />
als prüf- und Betriebsgase in medizinischen Geräten.<br />
LINkS:<br />
www.gemifund.org<br />
www.linde-gastherapeutics.de
LINDE TECHNOLOGY // mOuNT EVErEsT<br />
26<br />
Medizinische Forschungsexpedition zum Mount Everest<br />
KLINISchE TESTS AUF<br />
DEM DAch DER WELT<br />
Sauerstoffmangel im Blut kann tödlich sein. Dieser Gefahr sind vor allem künstlich beatmete<br />
Patienten auf Intensivstationen ausgesetzt – aber auch Bergsteiger in extremen Höhen.<br />
Um herauszufinden, welche Rolle Sauerstoff für die optimale Behandlung Schwerkranker<br />
spielt, starteten britische Forscher zu einer extremen Expedition: Auf dem Gipfel des Mount<br />
Everest testeten sie, wie sich Höhe und Sauerstoffmangel auf Herz, Denkleistung und<br />
Muskeln auswirken und schafften es sogar erstmals, auf dem höchsten Punkt der Erde<br />
arterielle Blutproben zu untersuchen.<br />
Eisige forschung: In rund 5.300 Metern<br />
höhe hatten britische Forscher ihr<br />
Labor aufgeschlagen, um die Auswirkungen<br />
von Sauerstoffmangel auf den<br />
menschlichen Körper zu untersuchen.<br />
Auf bis zu minus 40 Grad celsius<br />
kann hier die Temperatur sinken.<br />
BENöTIGTE LufTmENGE prO sTuNDE IN LITEr<br />
SchLAFEN 3 280<br />
LIEGEN 3 1.400<br />
SchWIMMEN 3 2.600<br />
BERGSTEIGEN 3 3.100<br />
RUDERN 3 3.600<br />
Um neue Therapien zu erforschen, gehen Wissenschaftler schon mal<br />
bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und manche Forscher gar bis<br />
ans Ende der Welt – oder bis zum höchsten Gipfel. So hat der britische<br />
Mediziner Mike Grocott sein Forschungslabor vorübergehend<br />
nach Nepal auf rund 5.300 Metern Höhe verlegt. Weit und breit sind<br />
aber weder Betten noch Häuser, weder fließend Wasser noch eine<br />
Heizung zu entdecken. Und das, obwohl die Temperaturen an kalten<br />
Tagen schon mal auf eisige minus 40 Grad Celsius sinken können.<br />
Aber Grocott ist kein spleeniger Wissenschaftler. Gemeinsam mit<br />
23 Kollegen und mit Unterstützung von <strong>Linde</strong> Healthcare hat der Mediziner<br />
vom University College London (UCL) im Frühjahr 2007 eine bislang<br />
einzigartige Forschungsexpedition zum Mount Everest gestartet:<br />
Um herauszufinden, wie der menschliche Körper auf extremen Sauerstoffmangel<br />
reagiert, sind die Wissenschaftler mit 200 freiwilligen<br />
Probanden zum Basislager auf 5.300 Metern aufgestiegen und haben<br />
sich dabei einer Vielzahl von Tests zur Funktion von Lunge, Herz und<br />
Muskeln unterzogen. Ein kleines Team von acht Wissenschaftlern,<br />
darunter auch Grocott, stieg sogar bis zum Gipfel auf – um selbst auf<br />
8.848 Metern noch Untersuchungen vorzunehmen.
mOuNT EVErEsT // LINDE TECHNOLOGY<br />
27<br />
Autor: cornelia Stolze<br />
Fotos: caudwell xtreme Everest<br />
1<br />
1
LINDE TECHNOLOGY // mOuNT EVErEsT<br />
28<br />
„Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht merkwürdig“, sagt Grocott,<br />
der Ende Juni 2007 wie alle anderen Teilnehmer gesund und wohlbehalten<br />
von der Expedition zurückgekehrt ist, „aber der Everest ist<br />
ein hervorragender Ort, um zu untersuchen, welche Rolle Sauerstoff<br />
für die optimale Behandlung schwerkran-<br />
ker Patienten spielt.“ Tatsächlich kann Hypoxämie,<br />
also eine Sauerstoff-Unterversorgung von<br />
Zellen und Organen, vor allem für Intensivpatienten<br />
ein Problem darstellen, das im Extremfall<br />
zum Tod führen kann. Millionen von Menschen<br />
sind davon jedes Jahr weltweit bedroht<br />
– sei es, weil sie einen lebensbedrohlichen<br />
Autounfall erlitten haben, an einem schweren<br />
Herzdefekt oder einer Lungenkrankheit leiden<br />
oder aber, wie im Fall von Neugeborenen, durch<br />
Komplikationen bei der Geburt vorübergehend<br />
keine Luft bekommen haben. Um eine Hypoxämie<br />
abzuwenden, müssen Ärzte zum Teil drastische<br />
Maßnahmen ergreifen: Die Patienten werden<br />
künstlich beatmet oder bekommen starke<br />
Medikamente verabreicht, die die Pumpleistung des Herzens erhöhen,<br />
damit ausreichende Mengen von Sauerstoff in alle Regionen des<br />
Körpers gelangen können.<br />
Diese Eingriffe können allerdings zu Entzündungen und Infektionen<br />
oder gar zu bleibenden Schäden an der Lunge oder am Herzen<br />
führen. Mediziner in aller Welt suchen deshalb nach Wegen, Hypoxä-<br />
„DER MT. EVEREST<br />
IST EIN pERFEKTER<br />
oRT, UM zU UNTER-<br />
SUchEN, WELchE<br />
RoLLE SAUERSToFF<br />
FüR DIE opTIMALE<br />
BEhANDLUNG<br />
SchWERKRANKER<br />
pATIENTEN SpIELT.“<br />
mien bei schwerkranken Patienten auf schonendere Weise zu behandeln<br />
als bisher. Auch <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics engagiert sich seit Jahren<br />
dafür, die Sauerstoffversorgung von Patienten zu optimieren – und<br />
sagte deshalb vor mehr als drei Jahren als einer der ersten Sponsoren<br />
mit einer Startsumme von 300.000 englischen<br />
Pfund seine Unterstützung für das „Caudwell<br />
Xtreme Everest“-Projekt der UCL-Forscher zu.<br />
Hubert Bland, Head of Clinical Research & Medical<br />
Affairs bei <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics, und seine<br />
Kollegen engagierten sich tatkräftig: „Unser<br />
Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, die<br />
Behandlung von Patienten zu verbessern, indem<br />
wir Kliniken Wissen über die therapeutischen<br />
Qualitäten von Sauerstoff und medizinischen<br />
<strong>Gas</strong>en vermitteln. Wo immer das möglich ist,<br />
arbeiten wir mit externen Forschern zusammen,<br />
um neue Einsatzbereiche für die <strong>Gas</strong>e zu ermitteln,<br />
und die Sicherheit im Umgang mit den<br />
<strong>Gas</strong>en weiter zu erhöhen. Bereits beim ersten<br />
Gespräch war klar, dass das, was Mike, Hugh<br />
und der Rest des Caudwell-Xtreme-Teams zu erreichen hofften, eine<br />
optimale Gelegenheit für <strong>Linde</strong> war. Sie leisten wirklich innovative<br />
und bahnbrechende Arbeit, deren Ergebnisse uns weitere Erkenntnisse<br />
liefern, wie der Körper Sauerstoff umsetzt.“ Durch die Zusammenarbeit<br />
mit Innovatoren wie dem Caudwell-Xtreme-Team beweise<br />
<strong>Linde</strong> sein Engagement für neue Entwicklungen und seine Kunden
Gen-Experte: hugh Montgomery vom<br />
University college London (UcL) und<br />
Expeditionsteilnehmer entdeckte eine<br />
Genvariante, die mit einer gesteigerten<br />
Ausdauerleistungsfähigkeit gekoppelt ist.<br />
1<br />
aufstieg zum Basislager: Teilweise<br />
per yak – dem traditionellen Transportmittel<br />
im himalajagebiet –<br />
schaffte die Forschergruppe neben<br />
Kleidung, zelten und Verpflegung auch<br />
Ergometer, computer und die Technik<br />
für medizinische Untersuchungen ins<br />
Basislager am Everest. Dort untersuchten<br />
die Mediziner dann intensiv, wie<br />
sich höhe und Sauerstoffmangel auf<br />
das herz, die geistigen Funktionen<br />
sowie die Muskeln und das Blut der<br />
Teilnehmer auswirkten.<br />
und differenziere sich damit von der Konkurrenz. Grocott erklärt weiter,<br />
dass die Unterstützung durch The <strong>Linde</strong> Group im Wesentlichen<br />
darin bestand, dass das Unternehmen frühzeitig bereitstand und dringend<br />
benötigte Mittel zur Verfügung stellte: „Sie halfen nicht nur, das<br />
Projekt ins Rollen zu bringen, sondern stellten außerdem sicher, dass<br />
wir sämtliche hochwertigen medizinischen <strong>Gas</strong>e hatten, die wir für<br />
unsere Experimente während der Expedition benötigten.“<br />
„Ausdauer-Gen“ und muskeleffizienz<br />
Die Forscher vom UCL gehen der Frage nach, warum manche Menschen<br />
deutlich besser mit niedrigen Sauerstoffmengen im Blut zurecht kommen<br />
als andere. „Wenn Sie zehn Patienten auf einer Station haben,<br />
die alle scheinbar gleich schwer erkrankt sind, gibt es immer einige,<br />
die sich erstaunlich gut erholen, während andere trotz aller therapeutischen<br />
Bemühungen nicht überleben“, sagt Hugh Montgomery, Direktor<br />
des Institute for Human Health & Performance am University College<br />
London (UCL), der die wissenschaftlichen Arbeiten während der Expedition<br />
geleitet hat. Woran das genau liegt, ließ sich bislang aber noch<br />
nicht genau sagen.<br />
Vieles spricht jedoch dafür, dass zumindest ein Teil der Antwort<br />
im Erbgut liegt. Das zeigten Studien mit britischen Rekruten, die<br />
Montgomery vor wenigen Jahren im renommierten Wissenschaftsmagazin<br />
„Nature“ veröffentlicht hat. Damals identifizierte er eine<br />
menschliche Genvariante, die mit einer gesteigerten Ausdauerleistungsfähigkeit<br />
gekoppelt ist und entdeckte, dass dies teilweise von<br />
einer Veränderung der Muskeleffizienz abhängt. Mit Hilfe genetischer<br />
mOuNT EVErEsT // LINDE TECHNOLOGY<br />
29<br />
AUFSTIEG IN<br />
DIE ToDESzoNE<br />
Expeditionen in große Höhen sind<br />
körperlich extrem belastend. Denn<br />
mit zunehmender Höhe nehmen Luftdruck<br />
und sauerstoffanteil in der Luft<br />
rapide ab. mediziner unterscheiden<br />
dabei einzelne Höhenstufen, mit<br />
denen charakteristische reaktionen<br />
des Organismus einhergehen:<br />
3 Bis zu 1.500 Meter über dem<br />
Meeresspiegel spüren die meisten<br />
Personen keinerlei Gesundheitsbeeinträchtigungen.<br />
3 Wer gesund ist, kann von einem<br />
Aufenthalt zwischen 2.000 bis 2.500<br />
Metern sogar erheblich profitieren.<br />
Nach einiger Zeit passt sich der<br />
Organismus nämlich an die Höhe an,<br />
unter anderem dadurch, dass sich<br />
die Anzahl der roten Blutkörperchen<br />
erhöht. Dadurch kann das Blut mehr<br />
Sauerstoff aufnehmen und ans<br />
Gewebe abgeben. Ein Effekt, den vor<br />
allem Ausdauersportler gerne nutzen.<br />
3 Selbst auf einer Höhe zwischen<br />
3.000 und 5.500 Metern ist der Organismus<br />
noch in der Lage, sich nach<br />
einer entsprechenden Adaptationszeit<br />
vollständig an den Sauerstoffmangel<br />
anzupassen und nahezu normal leistungsfähig<br />
zu bleiben.<br />
1 Oberhalb von 5.500 Metern ist<br />
das nicht mehr möglich. Bei längeren<br />
Aufenthalten kommt es zum kontinuierlichen<br />
Abbau der körperlichen und<br />
geistigen Leistungsfähigkeit. Über<br />
dieser Höhe findet sich daher keine<br />
menschliche Dauerbesiedelung. Sie ist<br />
auch die maximale Höhe, auf der ein<br />
Basislager für Expeditionsbergsteiger<br />
liegen sollte.<br />
3 Über 7.500 Metern beginnt die<br />
„Todeszone“: Wer sich hier aufhält,<br />
unterliegt einem akuten Kräfteverfall.<br />
Einen Aufenthalt in diesem Bereich<br />
können Menschen nur kurze Zeit<br />
überleben.
LINDE TECHNOLOGY // mOuNT EVErEsT<br />
30<br />
sICHErHEIT NICHT Nur IN GrOssEr HöHE<br />
1 mobile<br />
SAUERSToFF:<br />
LEBENSWIchTIGES<br />
ELEMENT UND<br />
MEDIKAMENT<br />
Höhenbergsteigen ist eine Herausforderung<br />
für den menschlichen<br />
Körper, weil der Luftdruck mit<br />
zunehmender Höhe exponentiell<br />
abnimmt. So steht auf 5.300 Metern<br />
Höhe nur noch etwa die Hälfte an<br />
Sauerstoff zur Verfügung, auf dem<br />
Gipfel des Mount Everest (8.848<br />
Meter) nur noch ein Drittel. Bereits<br />
in Höhen über 3.000 Meter können<br />
durch den geringeren Sauerstoffgehalt<br />
der Luft lebensgefährliche<br />
Erkrankungen wie Höhenlungen-<br />
oder Höhenhirnödeme auftreten.<br />
Neben dem möglichst raschen<br />
Abstieg aus der Höhe oder der<br />
zeitweiligen Behandlung in transportablen<br />
Überdruckkammern ist<br />
in diesen Fällen reiner Sauerstoff<br />
das wichtigste Medikament zur<br />
Behandlung. Mit dem portablen Sauerstoffversorgungssystem<br />
LIV ® von<br />
<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics steht jetzt<br />
erstmals ein leichtes, zuverlässiges<br />
und einfach zu bedienendes Applikationssystem<br />
zur Verfügung. Auf<br />
zwei Himalaja-Expeditionen zum<br />
Nanga Parbat (Pakistan) sowie zum<br />
Kailash (Tibet) wurden damit bereits<br />
zwei erkrankte Personen erfolgreich<br />
behandelt. LIV ® hat damit die<br />
„Feuerprobe“ für den medizinischen<br />
Einsatz beim Höhenbergsteigen<br />
ausgezeichnet bestanden.<br />
Beatmung: Für den mobilen Einsatz im Krankenhaus hat <strong>Linde</strong><br />
das System LIV ® (<strong>Linde</strong> Integrated Valve) entwickelt: ein sehr leichtes<br />
und sofort einsetzbares mobiles Flaschensystem für die Versorgung<br />
mit medizinischen <strong>Gas</strong>en. LIV ® zeichnet sich außerdem durch leichte<br />
Bedienbarkeit, Wirtschaftlichkeit und vor allem durch sein integriertes<br />
Regelventil aus, das während der Beatmung – sensorgesteuert – den<br />
Druck automatisch reguliert und kontrolliert.<br />
Expeditionsleiter: Dr. Mike Grocott<br />
vom University college London<br />
(UcL) startete im Frühjahr 2007 die<br />
einzigartige Forschungsexpedition<br />
zum Mount Everest.<br />
Analysen entdeckten die Forscher, welcher Faktor für diese Ungleichheit<br />
offenbar verantwortlich war: Die Sportskanonen hatten allesamt<br />
eine längere Variante eines bestimmten Gens, das den Bauplan für<br />
das so genannte Angiotensin-Konversions-Enzym (ACE) liefert. Das<br />
Enzym findet sich im Blut und reguliert dort den Wasserhaushalt und<br />
den Blutdruck. Darüber hinaus findet es sich auch in den Muskeln. Tatsächlich<br />
arbeiteten die Muskeln der Cracks dank des Trainings deutlich<br />
effektiver als zuvor, zudem benötigten sie für die erhöhte Leistung<br />
weniger Energie. Anders dagegen bei den Rekruten, bei denen die<br />
ganzen Mühen nutzlos blieben. Sie alle hatten von ihren Eltern nur die<br />
verkürzten Versionen des ACE-Gens geerbt.<br />
Auf welchem biochemischen Weg die lange ACE-Variante<br />
die körperliche Leistungskraft steigert, ist noch unklar. Fest steht nur,<br />
dass die Bedeutung von Montgomerys Entdeckung weit über sportliche<br />
Aktivitäten hinausgeht. Spätere Untersuchungen deuten nämlich<br />
darauf hin, dass das ACE-Gen auch in der Medizin eine maßgebliche<br />
Rolle spielen könnte: Patienten, die wegen einer lebensbedrohlichen<br />
Komplikation wie etwa akutem Lungenversagen im Krankenhaus liegen,<br />
haben demnach deutlich bessere Chancen zu überleben, wenn<br />
sie die langen Versionen des Gens geerbt haben. Derlei Erkenntnisse<br />
allein bringen zwar noch keine neuen Therapien hervor. Trotzdem<br />
könnte sie Medizinern beispielsweise helfen herauszufinden, welche<br />
Patienten eine besonders intensive Beatmung brauchen, um gerettet<br />
zu werden, und welchen Kranken vielleicht schon mit einer sanfteren<br />
Therapie geholfen ist, weil sie den wenigen Sauerstoff, den ihr Blut<br />
noch transportieren kann, äußerst effektiv nutzen können.<br />
Optimale Testbedingungen am Everest<br />
Das Problem ist nur: „Wissenschaftliche Untersuchungen an schwerkranken,<br />
häufig bewusstlosen Patienten, sind ethisch komplex – und es<br />
ist extrem schwierig, den Effekt einer einzigen Variablen wie Sauerstoffmangel<br />
zu erkennen“, sagt Grocott. Denn wer auf einer Intensivstation<br />
liegt, leidet in der Regel nicht nur an Sauerstoffmangel – er<br />
ist meist so krank, dass mehrere Funktionen des Körpers beeinträchtigt<br />
sind. Selbst für erfahrene Mediziner ist es da kaum noch möglich<br />
zu beurteilen, welche Reaktionen auf den fehlenden Sauerstoff und<br />
welche auf ganz andere Ursachen zurückzuführen sind. Die beste<br />
Alternative sei daher, so Grocott, Tests an gesunden Probanden vorzunehmen.<br />
Eine Möglichkeit dies zu tun – eine Untersuchung an zahlreichen<br />
Probanden, die mehrere Wochen lang in speziellen Unterdruckkammern<br />
wohnen – sei allerdings kaum umsetzbar. Zum einen
stehen selbst in hoch industrialisierten Ländern wie England nur<br />
wenige solcher Kammern zur Verfügung und eine wochenlange Nutzung<br />
wäre extrem teuer. Zum anderen würden sich für ein solches<br />
Experiment wohl nur wenige Freiwillige finden. Denn: Wer will sich<br />
schon wochenlang mit wildfremden Menschen in eine enge Kammer<br />
einsperren lassen – ohne eine Chance, sich irgendwann einmal<br />
zurückzuziehen? „Eine solche Studie wäre vielleicht für Psychiater<br />
interessant“, sagt Grocott leicht schmunzelnd, „für uns aber wenig<br />
hilfreich“.<br />
Eine Tour auf den Mount Everest dagegen bietet gleich in<br />
mehrfacher Hinsicht optimale Bedingungen. Mit zunehmender Höhe<br />
nimmt nicht nur der Sauerstoffgehalt der Luft kontinuierlich ab: Auf<br />
5.300 Metern Höhe beträgt er nur noch die Hälfte des Wertes auf<br />
Meereshöhe, am Gipfel sogar nur noch ein Drittel. Während des Aufstiegs<br />
konnten die Forscher auch kontinuierlich<br />
untersuchen, wie sich der Körper der Probanden<br />
„DIE SAUERSToFF-<br />
MENGEN IM BLUT<br />
SIND AUF DEM<br />
MoUNT EVEREST<br />
VIEL NIEDRIGER<br />
ALS ERWARTET.“<br />
nach und nach auf den Sauerstoffmangel einstellt<br />
und verändert.<br />
Nach Teilnehmern mussten die Forscher<br />
nicht lange suchen. Schon nach kurzer Zeit hatten<br />
sich mehr Interessierte gemeldet, als die Wissenschaftler<br />
mitnehmen konnten. Die glücklichen<br />
„Auserwählten“ – eine Gruppe von 200 Männern<br />
und Frauen im Alter von 18 bis 73 Jahren – durchliefen<br />
zunächst einen Tag lang mehrere Tests, um<br />
den Stoffwechsel ihres Körpers auf Meereshöhe<br />
zu bestimmen. Jeder der Probanden wurde dabei von Kopf bis Fuß<br />
durchgecheckt: Mit Hilfe spezieller Infrarotmessgeräte bestimmten die<br />
Forscher die Durchblutung des Gehirns und der Muskeln, sie maßen<br />
die Fließgeschwindigkeit des Blutes, prüften per Ultraschall die Funktion<br />
der Lungenarterien und setzen die Teilnehmer schließlich auf ein<br />
Ergometer, auf dem sie bis an ihre absolute Leistungsgrenze strampeln<br />
mussten.<br />
Für manch einen Hobby-Sportler unter den Teilnehmer war<br />
allein der Check auf dem Ergometer schon eine neue Erfahrung.<br />
„Ich ging schon damals drei bis vier Mal pro Woche ins Fitness-<br />
studio“, erzählt Greg McNeill, Public Relations Manager bei <strong>Linde</strong>,<br />
der als Versuchsperson ebenfalls an den Testreihen in England teilgenommen<br />
hat. „Erst durch die Studie habe ich aber erfahren, dass<br />
meine maximale Leistungsgrenze viel höher liegt, als ich dachte. Normalerweise<br />
pusht man seinen Körper einfach nicht so weit über die<br />
Komfortzone hinaus, dass man an diese Grenze herankommt“, so<br />
McNeill.<br />
Kurze Zeit später hieß es für alle „Caudwell Xtreme Everest“–<br />
Teilnehmer: auf nach Nepal, zum ersten „mobilen Labor“ in Kathmandu<br />
– 1.400 Meter über dem Meeresspiegel. Was wie eine entspannte<br />
Reise klingt, setzte jedoch auch logistische Höchstleistungen<br />
voraus. Denn für ihre Expedition brauchten die Forscher nicht nur Klei-<br />
auTOrIN:<br />
cornelia Stolze arbeitet als freie Wissenschafts- und Medizinjournalistin<br />
in hamburg und schreibt unter anderem für „zeit“, „Stern“ und<br />
„Süddeutsche zeitung“.<br />
mOuNT EVErEsT // LINDE TECHNOLOGY<br />
31<br />
dung, Zelte, Verpflegung und ein komplettes Set an bergsteigerischem<br />
Equipment. Sie mussten auch Ergometer, Messgeräte, Computer und<br />
die komplette Technik für alle medizinischen Untersuchungen in den<br />
Himalaja befördern. Insgesamt eine 26 Tonnen schwere Fracht von<br />
900 Containern, deren Inhalt zum Mount Everest zu befördern war.<br />
Außer in Kathmandu waren auch mobile Labore auf 3.400 Metern und<br />
4.200 Metern sowie am Basislager (5.300 Meter) zu errichten. „Das<br />
Schwierigste daran“, erzählt Mac Mackenny, im Team für die Logistik<br />
zuständig, „war sicherzustellen, dass jedes Teil am richtigen Ort landete.<br />
Wenn wir aus Versehen etwas ins Base Camp geschickt hätten,<br />
das in Kathmandu sein sollte, hätte es zwei Wochen gedauert, es<br />
zurückzuholen“.<br />
Doch die Logistik klappte – und wenige Wochen später kamen<br />
alle freiwilligen Expeditionsteilnehmer sicher im Basislager an. Hier<br />
untersuchten die Forscher – die fast zwei Wochen<br />
im Basislager verbrachten – erneut, wie sich Höhe<br />
und Sauerstoffmangel auf das Herz, die geistigen<br />
Funktionen sowie die Muskeln und das Blut der<br />
Teilnehmer auswirkten. Die Probanden hatten<br />
damit den höchsten Punkt ihrer Tour erreicht. Für<br />
Grocott, Montgomery und sieben weitere Forscher<br />
– allesamt erfahrene Bergsteiger, die in<br />
den vergangenen Jahren bereits mehrere Gipfel<br />
über 5.000 Meter erklommen hatten – begann<br />
hier jedoch der kniffligste Teil der Expedition, der<br />
Aufstieg zum höchsten Berg der Welt. Innerhalb<br />
weniger Tage mussten die Forscher nicht nur mit der extremen körperlichen<br />
Anstrengung fertig werden. Auf dem Weg zum Gipfel sollten sie<br />
an sich selbst weitere Messungen wie Blutprobenentnahmen und Muskelbiopsien<br />
vornehmen.<br />
Keine leichte Aufgabe. Denn spätestens in der so genannten<br />
Todeszone über 7.500 Metern heißt es für jeden Bergsteiger selbst<br />
mit Hilfe von zusätzlichem Sauerstoff: So schnell wie möglich auf- und<br />
wieder absteigen. Nur so lassen sich Schäden, die die lebensfeindliche<br />
Umgebung am menschlichen Körper anrichten kann, in Grenzen<br />
halten. Das außergewöhnliche Unterfangen glückte: Den Forschern<br />
gelang es, erstmals auf dem Gipfel des Mount Everest Blutproben zu<br />
entnehmen.<br />
Nach ihrer Rückkehr nach England stand den Forschern<br />
einer der wichtigsten Teile der Arbeit noch bevor. Sechs bis neun<br />
Monate, schätzt Grocott, wird es wohl dauern, bis die riesigen Mengen<br />
von Daten, die sie gesammelt haben, in eine Datenbank eingeflossen<br />
und noch Jahre, bis die Untersuchungen abschließend ausgewertet<br />
sind. Eines aber hat sich bereits in den ersten Analysen<br />
gezeigt: „Die Sauerstoffmengen im Blut sind in so extremen Höhen<br />
wie auf dem Mount Everest viel niedriger als wir je erwartet hätten,“<br />
verrät Hugh Montgomery. „Nach der gängigen Lehrmeinung<br />
hätte niemand diese Expedition überleben dürfen.“<br />
LINkS:<br />
www.caudwell-xtreme-everest.co.uk<br />
www.high-altitude-medicine.com<br />
www.linde-gastherapeutics.de
LINDE TECHNOLOGY // AuGENCHIrurGIE<br />
32<br />
LAsEr IN DEr mEDIzIN<br />
Neben der korrektur von sehfehlern<br />
werden Laser auch zu vielen anderen<br />
Anwendungen in der medizin verwendet,<br />
unter anderem:<br />
3 Chirurgie, insbesondere Gefäßchirurgie:<br />
hauptsächlich im Bereich Endoskopie<br />
oder als Skalpell. Weitere Anwendung<br />
ist die Behandlung von defekten Venen<br />
(Krampfadern).<br />
3 Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde: zur<br />
Abtragung von Veränderungen an den<br />
Stimmbändern, außerdem zur Teilabtragung<br />
der Mandeln (Tonsillotomie) und<br />
von Tumoren in Mund und Rachen.<br />
3 Allgemeinmedizin: vorwiegend zur<br />
Diagnose beispielsweise bei der Messung<br />
von Blutstrom und -zirkulation.<br />
3 Augenheilkunde: Laserlicht niedriger<br />
Leistung zur Diagnose, zum Beispiel in<br />
der optischen Kohärenztomografie (OCT).<br />
3 Dermatologie: Laserstrahlen für<br />
Schnitte und Verödungen, um Blutgefäße<br />
zu koagulieren oder um Pigmentflecken<br />
selektiv zu zerstören. Der Excimer-Laser<br />
(Wellenlänge 308 nm) wird zur Behandlung<br />
entzündlicher Hauterkrankungen, wie<br />
Psoriasis (Schuppenflechte) eingesetzt.<br />
3 krebsbehandlung: für die fotodynamische<br />
Therapie.<br />
3 urologie: zur Behandlung von Nierenund<br />
Harnleitersteinen und der Prostata<br />
(Greenlight Laser).<br />
3 zahnmedizin: Laser können den<br />
Bohrer ersetzen oder zur Zahnweißung<br />
(Bleaching) verwendet werden.<br />
zugang zum Gehirn: über 60 Millionen<br />
Nervenfasern verbinden das Auge direkt<br />
mit dem Denkorgan. Das Foto zeigt die<br />
Strukturen von Iris, pupille und ziliarmuskel,<br />
der die Brechkraft der Linse reguliert.<br />
Die Linse wurde zur besseren Erkennbarkeit<br />
entfernt.<br />
<strong>Linde</strong>-Spezialgase für die Laserchirurgie<br />
opERATIoN<br />
SchARFBLIcK<br />
Mit Augenlasern können heute selbst größere Sehfehler korrigiert<br />
werden. Und immer mehr Menschen legen sich jedes Jahr weltweit<br />
unters Laserskalpell statt Brillen oder Kontaktlinsen zu tragen.<br />
Für die Hightech-Augen-OP benötigen Augenärzte in Kliniken und<br />
Praxen aber Spezialgase mit besonderer Reinheit. <strong>Linde</strong> produziert<br />
deshalb spezielle <strong>Gas</strong>e-Mischungen für die Laserbehandlung.
SIE SIND UNSER FENSTER zUR WELT:<br />
DIE AUGEN – WIchTIGSTES SINNESoRGAN<br />
DES MENSchLIchEN<br />
KÖRpERS. DENN DER MENSch IST<br />
EIN AUGENTIER:<br />
Rund 80 Prozent aller Eindrücke sam-<br />
melt er über Hornhaut, Pupille und Retina, jedenfalls so lange sie<br />
einwandfrei funktionieren. Aber seit Computerbildschirme Einzug in<br />
Büros, Fabrikhallen und private Haushalte gehalten haben, wird die<br />
menschliche Optik im Alltag immer stärker strapaziert: Die Zahl der<br />
Brillen- und Kontaktlinsenträger steigt weltweit – allein in<br />
Europa nutzen rund 46 Prozent der Bevölkerung bereits<br />
eine Sehhilfe. Auch der zunehmende Wohlstand, wachsende<br />
Alphabetisierung und eine immer älter werdende<br />
Gesellschaft in vielen Teilen der Erde tragen dazu bei.<br />
Dass die Sehkraft mit den Jahren abnimmt, ist ein<br />
ganz natürlicher Prozess: Schon ab der Geburt verliert die<br />
Linse nach und nach ihre Elastizität durch eine ganz allmähliche<br />
Einlagerung von Kalk. Zwischen 40 und 50 lässt<br />
die Sehfähigkeit besonders im Nahbereich nach, die Linse<br />
wird dicker und damit starrer, unflexibler. Die Folge: Der<br />
Mensch wird kurzsichtig. Aber Sehfehler wie Kurz- und<br />
Weitsichtigkeit hängen nicht unbedingt von den Lebensjahren<br />
ab, sie treten in allen Altersgruppen auf. Und seit<br />
vielen Jahren steigt die Tendenz bei Brillen- und Kontaktlinsenträgern<br />
zu einem Leben ohne lästige Sehhilfe:<br />
Bildquelle: laif<br />
Autor: Michael Kömpf<br />
1<br />
1<br />
Mittels Laser korrigieren Augenärzte weltweit starke<br />
Kurzsichtigkeiten, Hornhautverkrümmungen und Weitsichtigkeiten<br />
– refraktive Chrirugie nennt sich das Fachgebiet<br />
und ist eine boomende Branche. Die große Hoff-<br />
nung von Millionen Brillenträgern und das populärste OP-Verfahren<br />
heißt Lasik und steht für „Laser in situ Keratomileusis“, eine Methode,<br />
bei der die Augenärzte tiefere Hornhautschichten ihrer Patienten mit<br />
ultraviolettem Laserlicht ins Visier nehmen. Allein in den USA ließen<br />
sich 2006 rund 1,4 Millionen Menschen mit dem gebündelten Hochenergie-Lichtstrahl<br />
am Auge operieren. Wer noch eine Brille trägt, gilt<br />
dort fast schon als unterprivilegiert.<br />
Die Lasik-Technik erlaubt es, in Bereichen weit unter einem<br />
Tausendstel Millimeter zu arbeiten. Dadurch kann der Laserspezialist<br />
Brechkraftfehler des Auges, die für die Fehlsichtigkeit verantwortlich<br />
sind, ganz individuell korrigieren. Bei der Lasik hebt der Chirurg mit<br />
einem Mikrokeratom – ein winziges, mechanisches Präzisionsskalpell –<br />
ein dünnes Scheibchen von etwa 0,15 Millimetern Dicke von der<br />
obersten Hornhautschicht und klappt es zur Seite wie einen Buchdeckel.<br />
Dann trägt er mit dem Laser Gewebe der tiefer liegenden<br />
Hornhautschicht ab. Anschließend wird das Deckelchen – auch Flap<br />
genannt – wieder zurückgeklappt. Dabei saugt es sich an und schützt<br />
AuGENCHIrurGIE // LINDE TECHNOLOGY<br />
33<br />
das Auge wie ein körpereigenes Pflaster. Die Operation dauert nur<br />
wenige Minuten – die eigentliche Lasernutzungszeit rund 40 Sekunden.<br />
Lasik kommt für Kurzsichtige bis -10 Dioptrien, Weitsichtige bis<br />
+3 Dioptrien sowie Patienten mit leichter Hornhautverkrümmung,<br />
so genannte Stabsichtige, infrage. Die meisten Behandelten können<br />
schon 24 Stunden nach der Operation ohne Brille oder Kontaktlinsen<br />
sehen. Dabei verursacht das Verfahren weder Wundschmerzen<br />
noch Narben.<br />
Die ersten praktischen Lasererfahrungen der Neuzeit machte<br />
T. H. Maiman im Jahre 1960, als er Licht aus einem Rubinstab erzeugte.<br />
Der Siegeszug der Laserchirurgie in der Augenheilkunde – in der Fachsprache<br />
Ophthalmologie genannt – begann in den 1970er Jahren mit<br />
dem Hitzelaser. Seine gezielten Verbrennungen schweißten beispielsweise<br />
Netzhautablösungen sicher wieder an.<br />
Bei der Lasik-Methode verwendet man heute allerdings so<br />
genannte Kaltlichtlaser wie den Excimer-Laser. Das Wort Excimer setzt<br />
sich zusammen aus excited (angeregt) und dimer, was für zweiatomige<br />
angeregte Moleküle steht. Der Excimer-Laser ist also ein <strong>Gas</strong>entladungs-Laser.<br />
„Als laseraktives Medium hat sich ein Gemisch aus<br />
einem Edelgas, das nicht sehr reaktionsfreudig ist, und einem sehr<br />
reaktionsfreudigen Halogen durchgesetzt“, erklärt Dr. Hans-Jürgen<br />
Diehl, bei der <strong>Linde</strong>-Division <strong>Gas</strong>es als Projektleiter im Marketing für<br />
Spezialgase tätig. Der promovierte Chemiker erklärt das Funktionsprinzip<br />
des Excimer-Lasers: „Elektroden, die impulsartig mit Hochspannung<br />
versorgt werden, regen das <strong>Gas</strong>gemisch an, ionisieren die<br />
Atome also und überführen sie in einen höheren Energiezustand.<br />
Das <strong>Gas</strong>gemisch entlädt sich – ähnlich wie in einer Leuchtstoffröhre<br />
– wobei Energie in Form von Licht frei wird, und die <strong>Gas</strong>teilchen in<br />
den Ausgangszustand zurückfallen.“ Die Wellenlänge eines Excimer-<br />
Lasers ist durch das bei der Anregung entstehende Molekül festgelegt<br />
und reicht von 157 bis 351 Nanometer. Als Edelgasmolekül verwendet<br />
man üblicherweise Argon, Krypton oder Xenon.<br />
qualität der <strong>Gas</strong>e ist entscheidend<br />
„Für die Operationen an den tieferliegenden Hornhautschichten hat<br />
sich der Argon-Fluorid-Laser mit einer Wellenlänge von 193 Nanometern<br />
– also im ultravioletten Bereich – etabliert“, so Diehl. Grund:<br />
Die Eindringtiefe dieser Laserphotonen ist in Wasser sehr gering. Und<br />
weil die Hornhaut zu rund 78 Prozent aus Wasser besteht, kann der<br />
Augenarzt minimale Schichten mit weniger als 0,2 Mikrometer Dicke<br />
mit dem Laserlicht bearbeiten. Das verdampft die anvisierte Hornhautstelle<br />
einfach, aber schädigt das umliegende Gewebe nicht. Das<br />
für diesen Excimer-Laser notwendige <strong>Gas</strong>gemisch besteht aus Neon,<br />
Fluor, Argon und Helium und wird in <strong>Gas</strong>flaschen in die Augenkliniken<br />
und Laserzentren geliefert. Bei einer Augen-OP verbraucht es<br />
sich mit jedem Laserschuss, den der Arzt zur Korrektur der Hornhaut<br />
setzt. Und dabei kommt es besonders auf die Qualität der verwendeten<br />
<strong>Gas</strong>e an. „Die Anforderungen der Laserhersteller an die Reinheit<br />
und exakte Zusammensetzung der <strong>Gas</strong>gemische sind sehr hoch“,
LINDE TECHNOLOGY // AuGENCHIrurGIE<br />
34<br />
Bildquelle: picture press<br />
Blutgefäße<br />
Sehnerv<br />
Lederhaut<br />
Netzhaut<br />
Aderhaut<br />
Stäbchen Sehnerv<br />
Zäpfchen<br />
1<br />
Licht<br />
wENN DAs BILD VErsCHwImmT:<br />
IM INNEREN DES AUGES<br />
Der Aufbau des Auges ähnelt einer Kamera. So wie Objektive Lichtstrahlen auf einen Film<br />
bündeln muss auf der Netzhaut das ins Auge einfallende Licht durch Hornhaut und Linse<br />
gesammelt werden. Nur wenn deren Brechwert exakt auf die Länge des Auges abgestimmt<br />
ist, können scharfe Bilder entstehen. Sind Brechkraft von Hornhaut und Linse und die<br />
Augapfellänge nicht aufeinander abgestimmt, liegt eine Fehlsichtigkeit vor.<br />
augen-Tüv: Beim Sehtest werden<br />
neben Schärfe auch die Fähigkeit<br />
zur Unterscheidung von Farben<br />
sowie das räumliche Sehen geprüft.<br />
Eine Fehlsichtigkeit hat verschiedene Ursachen und kann mit einer Laser-OP – je nach Schwere des Sehfehlers – korrigiert werden.<br />
Normalsichtigkeit<br />
Der Brennpunkt liegt auf der Netzhaut.<br />
Mittels An- oder Entspannung des<br />
ziliarmuskels wird die Linse auf unterschiedliche<br />
Entfernungen eingestellt.<br />
Glaskörper<br />
Glaskörper<br />
Lederhaut<br />
myopie = kurzsichtigkeit<br />
Das Auge ist zu lang. Die Lichtstrahlen<br />
werden vor der Netzhaut gebündelt.<br />
Gegenstände in größerer Entfernung<br />
werden unscharf gesehen.<br />
Iris<br />
Linse<br />
Pupille<br />
Hornhaut<br />
Bindehaut<br />
Ziliarmuskel<br />
hyperopie = weitsichtigkeit<br />
Das Auge ist zu kurz. Die Lichtstrahlen<br />
werden hinter der Netzhaut gebündelt.<br />
Gegenstände in der Nähe werden<br />
unscharf gesehen.<br />
astigmatismus = Stabsichtigkeit<br />
Die hornhaut ist ungleichmäßig gekrümmt,<br />
die einfallenden Lichtstrahlen werden unterschiedlich<br />
gebrochen und treffen gestreut auf<br />
die Netzhaut. Es entsteht ein verzerrtes Bild,<br />
d. h., ein punkt wird beispielsweise strichförmig<br />
abgebildet.<br />
1
erklärt Diehl „weil jede Verunreinigung die Laserleistung mindert.“<br />
Diehl und seine Kollegen arbeiten deshalb eng mit den Laserherstellern<br />
zusammen: Mit Coherent – einem der weltweit führenden Excimer-Laserproduzenten<br />
– entwickeln und testen sie darüber hinaus<br />
neue <strong>Gas</strong>gemische.<br />
multitalent Excimer-Laser<br />
Zur <strong>Linde</strong> Group gehört seit Ende 2005 auch der Weltmarktführer in<br />
Sachen Spezialgase für Augenlaser: Die Spectra <strong>Gas</strong>es, Inc. – eine Tochtergesellschaft<br />
mit Sitz in Branchburg, New Jersey (USA). Von dort versorgt<br />
es aber weltweit nicht nur Augenkliniken und Ärzte mit<br />
<strong>Gas</strong>en für den Excimer-Laser. Denn nur rund ein Drittel aller<br />
Excimer-Laseranwendungen macht die Augenchirurgie aus.Ein<br />
weiteres Drittel wird in der Elektronikindustrie eingesetzt, beispielsweise<br />
für die Mikrolithografie von elektronischen Schaltungen.<br />
Auch Displays von Mobiltelefonen und die Mikrobohrungen<br />
der Düsen von Tintenstrahldruckern werden mit<br />
Excimer-Lasern erzeugt. Im Automobilbau nutzt man das ultraviolette<br />
Laserlicht zur Bearbeitung von Zylinderlaufbahnen<br />
im Motor und in der Medizintechnik zur Herstellung von Mikrokathetern<br />
oder zur Beschriftung von Minibauteilen.<br />
Das <strong>Linde</strong>-<strong>Gas</strong>ezentrum in Unterschleißheim bei<br />
München liefert seine Fluor-Argon-Neon-Gemische zu<br />
90 Prozent an Produzenten von Augenlaser-Geräten. Die<br />
Herstellung dieser Spezialgase erfordert besonderes Knowhow,<br />
denn Fluor ist das reaktivste aller Elemente und zudem<br />
toxisch. „Fluor setzt sich in Gegenwart von Feuchte sofort<br />
in Flusssäure um“, erläutert der Chemiker Diehl, „weshalb<br />
strenge Sicherheitsvorschriften gelten.“ Auch die Analytik<br />
der Fluorgemische erfordert umfassende Erfahrung im<br />
Umgang mit Spezialgasen. Diehl: „Eine ausgefeilte Flaschenvorbehandlung<br />
ist erforderlich damit der Fluoranteil exakt<br />
eingehalten werden kann und so die optimale Laserleistung<br />
erzeugt wird.“ Die Fluorkonzentration in der gefüllten <strong>Gas</strong>flasche<br />
liegt aber unter 0,2 Prozent. Deshalb fällt sie auch beim Transport<br />
schon nicht mehr unter die Gefahrstoffverordnung. „Und bei der<br />
Augenlaser-OP werden die verwendeten <strong>Gas</strong>e direkt im Mischkopf<br />
abgesaugt und gelangen so erst gar nicht in die Umgebungsluft“,<br />
erklärt Susanne Grethlein, Bereichsleiterin Marketing bei der Wave-<br />
Light AG, Erlangen – einem großen Abnehmer von Augenlaser-<strong>Gas</strong>en<br />
von <strong>Linde</strong>.<br />
markt wächst in Osteuropa und Asien<br />
WaveLight entwickelt, produziert und vertreibt seit 1996 unter anderem<br />
komplette Anlagen zur Augenlaser-Chirurgie. Dabei beobachten<br />
die Erlanger zwei unterschiedliche Marktentwicklungen: „In den USA<br />
wächst der Markt nicht mehr, weil das Augenlasern dort schon seit<br />
mehr als zehn Jahren etabliert ist. Dort läuft vor allem das Replacement-Geschäft<br />
– also Ersatz bestehender Anlagen“, so Grethlein.<br />
Anders dagegen sieht es in aufstrebenden Gebieten wie Indien,<br />
China und Lateinamerika aus. Der wachsende Wohlstand führt dazu,<br />
dass sich auch dort zunehmend mehr Menschen lieber unter das<br />
AuGENCHIrurGIE // LINDE TECHNOLOGY<br />
35<br />
„Lasermesser“ legen als Brillen oder Kontaktlinsen zu tragen. Auch<br />
Osteuropa sei ein wachsender Markt, sagt Grethlein. Generell rechnet<br />
die Branche weltweit mit einem mittleren Wachstum von rund<br />
6 Prozent jährlich. „Wobei zum Beispiel Japan wesentlich höhere<br />
Raten verzeichnen dürfte“, schätzt Grethlein, die weltweit von jährlich<br />
rund 3,5 Millionen Lasik-Operationen ausgeht. „In asiatischen<br />
Ländern sind beispielsweise etwa 66 Prozent der Bevölkerung kurzsichtig<br />
und damit potenzielle Kunden für die refraktive Sehkorrektur<br />
mit dem Laser“, so Dr. Klaus Vogler, Bereichsleiter Technik/Applikation<br />
bei WaveLight.<br />
Seit seiner Gründung arbeitet WaveLight mit <strong>Linde</strong>-<strong>Gas</strong>en.<br />
Ausschlaggebend dafür war vor allem das umfassende <strong>Linde</strong>-<br />
Know-how im Umgang mit den Argon-Fluorid-Gemischen. „Wir liefern<br />
Augenlaser-Geräte nach Kanada genauso wie nach Australien,<br />
Japan und Brasilien. Dafür brauchen wir einen <strong>Gas</strong>e-Partner, der auf<br />
der ganzen Welt gleiche Qualität und gleichen Service gewährleisten<br />
kann“, erklärt Grethlein die langjährige Vertragspartnerschaft zwischen<br />
<strong>Linde</strong> und WaveLight.<br />
Das Erlanger Unternehmen arbeitet auch an der Weiterentwicklung<br />
der Augenlaser. Vor allem die noch individuellere Behandlungsmethode<br />
steht dabei im Fokus. „Denn“, so Grethlein, „jede<br />
Hornhaut ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Und die Sehfehler<br />
entsprechend individuell. Deshalb wollen wir nicht nur die Diagnose<br />
verfeinern, sondern auch die Abstimmung des Lasers mit den Diagnoseverfahren<br />
noch weiter verbessern.“ Schon heute können aber beispielsweise<br />
kleinste ungewollte Augenbewegungen während der OP<br />
mit so genannten Eye-Trackern verfolgt und ausgeglichen werden.<br />
Auch Hans-Jürgen Diehl ist von der Laser-OP überzeugt und würde<br />
sich ganz sicher mit dem Excimer-Laser operieren lassen, wenn er<br />
„statt nur fürs Autofahren auch beim Lesen der Tageszeitung“ demnächst<br />
eine Brille bräuchte.<br />
auTOr:<br />
Michael Kömpf, Wissenschaftsjournalist von „wissen + konzepte“ in München,<br />
betreut die Redaktion von „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ und schreibt unter anderem<br />
für Kundenmagazine über Themen aus Forschung, Technik und Medizin.<br />
LINkS:<br />
www.visionsurgeryrehab.org<br />
www.operationauge.de<br />
www.vsdar.de
LINDE TECHNOLOGY // HEImBEATmuNG<br />
36<br />
heimbeatmung erhöht die Lebensqualität von patienten<br />
DIE „EISERNE LUNGE“<br />
hAT AUSGEDIENT<br />
„Solange ich atme, hoffe ich“, wird Cicero zitiert: „Dum spiro, spero“. Bedeutet das<br />
im Umkehrschluss, dass mit dem Atmen auch die Hoffnung ein Ende findet? Zum<br />
Glück für viele Patienten hat sich seit Cicero die Medizin weiterentwickelt, und so<br />
können auch Patienten, deren Atmung teilweise oder gar nicht mehr funktioniert,<br />
„weiter hoffen“.<br />
Die Ursachen für ein Versagen der Atmungspumpe können vielfältiger<br />
Natur sein, sei es eine Schädigung des Hirnstamms nach einem Unfall<br />
oder eine krankheitsbedingte Schwächung der Atmungsmuskulatur.<br />
In solchen Fällen ist eine künstliche, mechanische Beatmung oder<br />
Atmungsunterstützung notwendig, bei der medizinische Geräte die<br />
Arbeit der Atmungsorgane übernehmen und mechanisch Luft in die<br />
Lungen pumpen. Ihren Ursprung hat diese Therapie in der bekannten<br />
„Eisernen Lunge“, die in den 1950er Jahren verwendet wurde.<br />
Moderne Beatmungsgeräte schränken den Pati-<br />
enten aber heute weit weniger ein und bieten<br />
verschiedene Arten der Beatmung, je nachdem<br />
wie stark er unterstützt werden muss.<br />
Trotz dieser verbesserten Möglichkeiten<br />
der Therapie ist die Gruppe der beatmeten Patienten<br />
weiterhin ein Sorgenkind im Gesundheitswesen.<br />
Die Zahl der Patienten, die langfristig<br />
beatmet werden muss, ist zwar nicht hoch,<br />
durch die aufwändige und komplexe Therapie<br />
verursacht diese Gruppe jedoch beträchtliche<br />
Kosten bei den Krankenversicherungen. Und es<br />
stellen sich auch Fragen wie: Wo kann für diese<br />
Patienten am besten gesorgt werden? Und mittels<br />
welcher Technologien kann diese Pflege verbessert werden?<br />
Traditionell wird die Beatmung von Patienten im Krankenhaus<br />
auf der Intensivstation durchgeführt. Aufgrund der hohen Kosten<br />
der Behandlung im Krankenhaus und der besseren medizinischen<br />
Möglichkeiten wird seit einigen Jahren vermehrt auch eine Beatmung<br />
zu Hause angestrebt. Im Jahr 2001 wurden in Europa bereits<br />
etwa 20.000 Patienten außerhalb der Klinik beatmet. Oftmals verhindern<br />
jedoch äußere Umstände, dass die Patienten nach Hause<br />
„AUSSERKLINISchE<br />
BEATMUNG hILFT<br />
pATIENTEN TRoTz<br />
GRAVIERENDER<br />
ATEMpRoBLEME<br />
EIN hohES MASS<br />
AN LEBENSqUALITäT<br />
zU ERhALTEN.“<br />
zurückkehren können. Die aufwändige Pflege für einen beatmeten<br />
Patienten erfordert ein hohes Engagement der Angehörigen, und<br />
nicht immer sind diese den physischen und psychischen Belastungen<br />
gewachsen. Pflegeheime hingegen beschränken sich auf grundpflegerische<br />
Tätigkeiten, das benötigte, speziell geschulte Pflegepersonal<br />
steht in diesen Einrichtungen oft nicht zur Verfügung. Dadurch<br />
verbringen beatmete Patienten meist mehr Zeit im Krankenhaus als<br />
medizinisch notwendig. Hier explodieren die Kosten für die Pflege.<br />
Ein beatmeter Patient auf der Intensivstation<br />
kann in einem Jahr Kosten von bis zu 300.000<br />
Euro für die Kassen verursachen. Außerdem<br />
bietet das häusliche Umfeld dem beatmeten<br />
Patienten auch eine vertraute Atmosphäre.<br />
Die Heimbeatmung, auch als „außerklinische<br />
Beatmung“ bezeichnet, ist die chronische<br />
Beatmung von Patienten mit respiratorischer<br />
Insuffizienz in der häuslichen Umgebung oder<br />
in einem geeigneten Pflegeheim. Eine respiratorische<br />
Insuffizienz liegt vor, wenn der <strong>Gas</strong>austausch<br />
in den Lungenbläschen oder die mechanische<br />
Atmung – Ventilation – gestört sind, oder<br />
beides in Kombination auftritt. Die Beatmung<br />
kann entweder nicht-invasiv über eine Beatmungsmaske erfolgen<br />
oder chronisch-invasiv über einen Luftröhrenschnitt – Tracheostoma<br />
genannt.<br />
In den letzten Jahrzehnten konnte zum Wohle der Patienten<br />
ein immenser technologischer und medizinischer Fortschritt verzeichnet<br />
werden. Hierzu hat insbesondere die zunehmend breite Anwendung<br />
nicht-invasiver Beatmungstechniken (NIV), also Beatmungsverfahren<br />
ohne die so genannte tracheale Intubation, beigetragen.
Bei der trachealen Intubation wird ein Schlauch<br />
über Mund oder Nase in die Luftröhre (Trachea)<br />
eingeführt. Die nicht-invasive Beatmung wird in<br />
der Regel mit einer Nasenmaske durchgeführt,<br />
die für den Patienten wesentlich schonender ist<br />
und keine Intubation benötigt.<br />
Insbesondere die Erforschung und Be-<br />
handlung des so genannten obstruktiven Schlaf-<br />
apnoe-Syndroms – eine Atmungsstörung, die im<br />
Schlaf auftritt – Anfang der 1980er Jahre führte<br />
zu einer zunehmenden Entwicklung verschiedenster<br />
Nasen- und Gesichtsmasken, die auch für die nicht-invasiven<br />
Beatmung eingesetzt werden können. Durch die Entwicklung einer<br />
Fülle von Beatmungsgeräten, die auch außerhalb von Intensivstationen<br />
und sogar außerhalb des Krankenhauses betrieben werden<br />
können, hat die Zahl derjenigen Patienten mit respiratorischer Insuffizienz,<br />
die im außerklinischen Bereich im Sinne einer Heimbeatmung<br />
beatmet werden, im letzten Jahrzehnt weltweit stetig zugenommen.<br />
Die neue Generation von Heimbeatmungsgeräten bietet dem<br />
Patienten und dem betreuenden Personal ein hohes Maß an Sicherheit.<br />
Egal, ob für Erwachsene oder Kinder, es lassen sich alle gängigen<br />
Beatmungsmuster, sowohl für invasive als auch nicht-invasive<br />
LINDE ENGAGEMENT:<br />
Um die Heimbeatmung stärker zu unterstützen, sind spezielle<br />
Beatmungszentren eingerichtet worden: Beispielsweise die<br />
<strong>Linde</strong> REMEO ® Zentren in Berlin im Jahr 2001 und in Bogota in<br />
2007, die dem Patienten ein früheres Verlassen des Krankenhauses<br />
ermöglichen und ihn und seine Familie – sofern möglich<br />
– auf eine Rückkehr nach Hause vorbereiten. Ein REMEO ®<br />
Zentrum bietet dem Patienten und den Angehörigen ein angenehmeres<br />
Umfeld als das Krankenhaus, nebenbei wird der<br />
Kostenträger um bis zu 60 Prozent entlastet. Durch die Spezialisierung<br />
auf beatmete Patienten haben REMEO ® Zentren<br />
auch eine größere Erfolgsrate bei der Entwöhnung der Patienten<br />
vom Beamtungsgerät. Dies ist ein aufwändiger Prozess, für<br />
den im Krankenhaus, das auf Akutpatienten ausgerichtet ist,<br />
oft die Zeit und die passende räumliche Umgebung fehlen.<br />
Beatmung, problemlos durchführen.<br />
Neben der Möglichkeit, die Geräte<br />
mit Raumluft oder Zumischung von<br />
medizinischem Sauerstoff zu betreiben,<br />
ist besonders die Absicherung<br />
mit einem Akku wichtig. Dadurch<br />
gewährleisten die Geräte dem Patienten<br />
zusätzlich ein hohes Maß an<br />
Mobilität. Die Umstellung auf das<br />
mobile Gerät erfolgt in der Regel<br />
bereits in der Klinik, um dem Patienten<br />
vor der Entlassung aus der<br />
Intensivstation die notwendige<br />
Sicherheit zu geben. Wenn keine<br />
Notfallsituation vorliegt, wird versucht,<br />
durch stundenweise und<br />
zunehmend ausgedehnte Anwendung<br />
den Patienten an die Beatmung<br />
zu gewöhnen. Hierbei muss<br />
auf die geeignete Wahl des Beatmungsgerätes,<br />
-zugangs und -modus<br />
geachtet werden. Bei einer Heimbeatmung<br />
müssen das Beatmungszentrum<br />
und der technische Bereitschaftsdienst<br />
24 Stunden erreichbar<br />
sein.<br />
Für viele Patienten haben<br />
also diese neuen Technologien<br />
HEImBEATmuNG // LINDE TECHNOLOGY<br />
37<br />
DER AUToR:<br />
Prof. Dr. med. Kurt Rasche ist<br />
Facharzt für Innere Medizin<br />
mit den Schwerpunkten<br />
Pneumologie, Allergologie,<br />
Schlafmedizin und Internistische<br />
Intensivmedizin. Er<br />
promovierte 1985 an der<br />
Westfälischen Wilhelms-<br />
Universität in Münster und<br />
ist seit 2001 Chefarzt am<br />
Zentrum für Innere Medizin<br />
der Kliniken St. Antonius<br />
in Wuppertal. Seit 2002<br />
lehrt er auch als Professor<br />
für Innere Medizin an der<br />
Heinrich-Heine-Universität<br />
Düsseldorf. Professor Rasche<br />
ist zudem Mitglied in zahlreichen<br />
nationalen und<br />
internationalen Fachverbänden,<br />
unter anderem wurde<br />
er 2007 zum ersten Vorsitzenden<br />
der „Gesellschaft<br />
für Lungen- und Atmungsforschung“<br />
gewählt.<br />
großen Einfluss auf ihr tägliches Leben. Denn die außerklinische Beatmung<br />
leistet nicht nur einen Beitrag zur Reduzierung der Kosten im<br />
Gesundheitssystem, sondern bietet vor allem den betroffenen Patienten<br />
eine Möglichkeit, sich trotz gravierender Atemprobleme ein<br />
relativ hohes Maß an Lebensqualität zu erhalten.<br />
LINkS:<br />
www.heimbeatmung.de
LINDE TECHNOLOGY // LufTzErLEGEr<br />
38<br />
Luftzerleger: Im Wüstensand von Katar<br />
soll schon bald die größte Luftzerlegungsanlage<br />
der Welt entstehen. Nicht nur als<br />
technischer Entwurf – wie dieses Schema<br />
des <strong>Linde</strong>-Verfahrens –, sondern als reale<br />
Bauteile existieren zahlreiche Komponenten<br />
der Anlage bereits. In vielen Bereichen<br />
gleichen diese dem Luftzerleger, den<br />
<strong>Linde</strong> in Leuna betreibt (siehe Seite 40).<br />
Luft<br />
filter<br />
verdichter 6 Bar<br />
1 2<br />
regeneratoren<br />
O 2<br />
gasförmig<br />
N 2<br />
gasförmig<br />
verflüssigte Luft<br />
kälteboxe<br />
O 2<br />
N 2<br />
N 2<br />
1,4 Bar<br />
5,5 Bar<br />
flüssige Luft<br />
(an O 2 angereichert)<br />
O 2 flüssig<br />
N 2 flüssig<br />
Fotograf: Rüdiger Nehmzow<br />
Autor: Frank Frick<br />
1<br />
1
zERLEGTE<br />
WüSTENLUFT<br />
Glänzende zukunft für traditionsreiche <strong>Linde</strong>-Technologie<br />
Luftzerlegung hört sich eigentlich ganz unspektakulär an, nach einem<br />
simplen Versuchsaufbau im Chemiesaal einer Gymna sialklasse. Doch<br />
das, was The <strong>Linde</strong> Group derzeit im Emirat Katar im Nordosten der<br />
Arabischen Halbinsel im Auftrag der Qatar Shell GTL Ltd. baut, bedeutet<br />
Weltrekord. Dort sollen im Jahr 2010 insgesamt acht große Luftzerleger<br />
pro Stunde 860.000 Kubikmeter Sauerstoff ausspucken –<br />
ein Volumen, das etwa dem anderthalbfachen Rauminhalt eines<br />
Supertankers entspricht. Oder anders ausgedrückt: Die Anlage produziert<br />
in nur 15 Minuten eine Menge, mit der man den legendären<br />
Zeppelin „Hindenburg“ – das größte jemals gebaute Luftschiff – komplett<br />
füllen könnte. Zum Ver gleich: Die erste Anlage zur Zerlegung<br />
von Luft – entwickelt und konstruiert von Carl von <strong>Linde</strong> und seinen<br />
Mitarbeitern – lieferte 1902 gerade einmal drei Kubikmeter Sauerstoff<br />
pro Stunde. Doch die Anlage in Ras Laffan Industrial City am Persischen<br />
Golf dient auch einem völlig anderen Zweck als jene, die der<br />
<strong>Linde</strong>-Gründer vor mehr als 100 Jahren entwarf: Der in der Weltrekordanlage<br />
produzierte Sauerstoff wird im Shell-Werk Pearl helfen, Erdgas<br />
mittels <strong>Gas</strong>-to-Liquid-Technologie (GTL) in hochreine Dieselkraftstoffe<br />
umzuwandeln.<br />
51.000 Tonnen stahl werden benötigt<br />
Aber nicht erst der Betrieb, auch schon die Errichtung der Pearl-Luftzerleger<br />
ist ein Projekt der Superlative: Obwohl <strong>Linde</strong> we sent liche<br />
Elemente der Anlagen fertig anliefert, werden auf dem Gelän de in<br />
Ras Laffan bis zu 2.700 Menschen tätig sein und 59.000 Kubikmeter<br />
Beton, 51.000 Tonnen Stahl und 2.950 Tonnen Aluminium verbauen.<br />
Dabei setzen sie Kräne ein, von denen der größte 80 Meter hoch ist<br />
und 800 Tonnen tragen kann. „Ein solches Großprojekt alleinverantwortlich<br />
von der Planung bis zur schlüsselfertigen Anlagenübergabe<br />
LufTzErLEGEr // LINDE TECHNOLOGY<br />
39<br />
In Katar errichtet The <strong>Linde</strong> Group derzeit die weltweit größte Luftzerlegungsanlage. Sauerstoff- und<br />
stickstoffproduzierende Anlagen von den Erfindern des Luftzerlegungsprozesses sind aber nicht nur<br />
am Persischen Golf, sondern auch global immer gefragter. Angefacht wird der Boom durch steigende<br />
Energiepreise und strengere Klimaschutzauflagen.<br />
durchzuführen, ist eine echte Herausforderung“, sagt Dr. Gerhard<br />
Beysel, bei der <strong>Linde</strong>-Division Engineering zuständig für die Entwicklung<br />
und Vermarktung von Luftzerlegungsanlagen. „Um zu belegen,<br />
dass wir das Projekt stemmen können, mussten wir gegenüber dem<br />
Kunden viele Daten offenlegen: beispielsweise die Kapazität unserer<br />
Fertigungsstätten und die bereits bestehenden Verpflichtungen durch<br />
andere Aufträge“, so der <strong>Linde</strong>-Manager. Was die Shell-Verantwortlichen<br />
erfuhren, war offensichtlich überzeugend – wie auch der Hinweis<br />
auf die lange Erfahrung der <strong>Linde</strong> Group bei der Errichtung großer<br />
Luftzerlegungsanlagen.<br />
Viele parallel laufende Großbaustellen binden im boomen den<br />
Katar qualifizierte Arbeitskräfte und schaffen Engpässe bei Maschinen<br />
und Materialien. Auch deshalb gehörte es bereits in der Angebotsphase<br />
zum Konzept der <strong>Linde</strong>-Experten, den Montageaufwand vor Ort<br />
möglichst gering zu halten. So fertigt <strong>Linde</strong> ein wichtiges Modul jeder<br />
Luftzerlegungsanlage, die Rektifikations-Coldbox, in seinem Werk in<br />
Dalian, China. Jedes dieser Anlegenteile ist rund 58 Meter hoch und<br />
450.000 Kilogramm schwer. Für das Pearl-Projekt werden acht davon<br />
benötigt. Ab April <strong>2008</strong> treten sie ihre Reise auf Schwerlastschiffen<br />
nach Ras Laffan an. <strong>Linde</strong> wendet damit also prinzipiell das gleiche<br />
innovative Montagekonzept an, das sich bereits beim Bau der Erdgasverflüssigungs-(LNG)-Anlage<br />
im norwegischen Hammerfest glänzend<br />
bewährt hat (siehe „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ vom Januar 2006).<br />
Ein anderes wesentliches Element von Luftzerlegungsanlagen<br />
sind Aluminium-Plattenwärmetauscher. Hergestellt werden sie<br />
in den <strong>Linde</strong>-Werken in Pullach und Schalchen bei München. Die<br />
ersten Exemplare für das Pearl-Projekt verließen Schalchen bereits<br />
im November 2007. Auf einer temporären Baustelle in Bremen bauen<br />
Facharbeiter sie samt zugehöriger Ventile, Rohre und Instrumente in
LINDE TECHNOLOGY // LufTzErLEGEr<br />
// LufTzErLEGEr<br />
40
4<br />
3<br />
LufTzErLEGEr Im DETAIL<br />
2<br />
63<br />
4<br />
1<br />
5<br />
6<br />
1<br />
5<br />
7<br />
Luft<br />
Sauerstoff<br />
Sauerstoffangereicherte Luft<br />
Luft<br />
Stickstoff Sauerstoff<br />
Sauerstoffangereicherte Luft<br />
Restgas<br />
Stickstoff<br />
Restgas<br />
7<br />
8<br />
8<br />
11<br />
11<br />
9<br />
9<br />
10<br />
12<br />
10<br />
13<br />
12<br />
14<br />
LufTzErLEGEr // LINDE TECHNOLOGY<br />
41<br />
Im prinzip beruhen die Anlagen zur zerlegung von Luft in deren hauptbestandteile bis heute auf den Verfahren, die carl von <strong>Linde</strong> zwischen 1895 und 1910 entwickelte.<br />
Seit den pionierleistungen von <strong>Linde</strong>s produzieren Luftzerlegungsanlagen nicht nur immer mehr <strong>Gas</strong>, sondern sind auch sehr viel zuverlässiger, effizienter und bedienerfreundlicher<br />
geworden. Gleichzeitig benötigen sie immer weniger Energie. Die prinzipskizze zeigt alle relevanten Bauteile einer modernen Luftzerlegungsanlage und<br />
erklärt ihre Funktion.<br />
1<br />
Luftfilter 3 Entfernung von mechanischen<br />
Verunreingungen in der Prozessluft.<br />
2<br />
Luftverdichter 3 Verdichtung der Prozessluft in<br />
einem Schrauben- oder Turboverdichter.<br />
3<br />
Luft-/wasserkühler 3 Vorkühlung der Prozessluft<br />
durch Kühlwasser.<br />
4<br />
kälteanlage 3 Weitere Abkühlung auf Molsieb-<br />
Einlasstemperatur.<br />
5<br />
wasserabscheider 3 Entfernung von Kondenswasser<br />
aus der Prozessluft.<br />
6<br />
molsiebadsorber 3 Entfernung von Wasserdampf,<br />
Kohlendioxid und Kohlenwasserstoffen<br />
aus der Luft in umschaltenden Molekularsiebadsorbern.<br />
7<br />
Schalldämpfer 3 Auslass-Schalldämpfer für<br />
Molekularsieb-Regeneriergas.<br />
8<br />
Elektroerhitzer 3 Anwärmung des Regeneriergases<br />
für Molekularsieb.<br />
9<br />
wärmeaustauscher 3 Abkühlung der Luft<br />
im Gegenstrom zu den Produkten: gasförmiger<br />
Sauerstoff und Stickstoff sowie Restgas.<br />
10<br />
unterkühler 3 Unterkühlung von Waschstickstoff<br />
gegen Restgas.<br />
11<br />
Expansionsturbine 3 Entspannung von Restgas<br />
zur Deckung des Kältebedarfs.<br />
12<br />
rektifikationssäule 3 Zerlegung der Prozessluft<br />
in reinen Sauerstoff, reinen Stickstoff und Restgas.<br />
13<br />
16<br />
13<br />
17<br />
15<br />
18<br />
O 2 -Speichertank 3 Der erzeugte flüssige Sauerstoff<br />
wird bei tiefer Temperatur gespeichert.<br />
14<br />
O 2 -verdampfer 3 Flüssiger Sauerstoff aus<br />
dem Tank wird verdampft und gasförmig in<br />
die Produktleitung eingespeist.<br />
15<br />
O 2 -flaschenabfüllstation 3 Bei Bedarf Abfüllung<br />
des gasförmigen Sauerstoffs in Stahlflaschen<br />
unter hohem Druck.<br />
16<br />
Sauerstoffverdichter 3 <strong>Gas</strong>förmiger Sauerstoff<br />
wird für entsprechende Anwendungen auf den<br />
benötigten Druck verdichtet.<br />
17<br />
Sauerstoff/wasserkühler 3 Rückkühlung des<br />
verdichteten Sauerstoffs durch Kühlwasser.<br />
18<br />
Sauerstoffdruckbehälter 3 Um Schwankungen<br />
im Sauerstoffverbrauch auszugleichen, wird<br />
der verdichtete Sauerstoff im Druckbehälter<br />
gespeichert.<br />
14
3<br />
3<br />
3<br />
3<br />
3<br />
3<br />
LINDE TECHNOLOGY // LufTzErLEGEr<br />
42<br />
WELTREKoRD<br />
IN KATAR<br />
kunde: Qatar Shell GTL Ltd.<br />
Standort: ras Laffan, Emirat katar<br />
region: Nordosten der arabischen halbinsel<br />
Inbetriebnahme: 2010<br />
1<br />
arbeitsweise: 8 Luftzerleger werden pro Stunde 860.000 kubikmeter Sauerstoff produzieren<br />
anwendung: Der in der weltrekordanlage produzierte Sauerstoff wird im Shell-werk „Pearl“ helfen,<br />
Erdgas mittels <strong>Gas</strong>-to-Liquid-Technologie (GTL) in hochreine Dieselkraftstoffe umzuwandeln.<br />
3 materialverbrauch: 59.000 kubikmeter Beton / 51.000 Tonnen Stahl / 2.950 Tonnen aluminium<br />
selbsttragende Stahlgehäuse ein. Die so entstandenen Wärmetauscher-Coldboxen<br />
– jede mit einem Volumen von fast 1.700 Kubikmetern<br />
– werden dann zeitlich parallel zum Transport der Rektifikationsboxen<br />
nach Katar verschifft. Andere wesentliche Module und<br />
Container mit Bauteilen gelangen von Häfen in Belgien, Italien, China<br />
und der Türkei an den Persischen Golf. „Logistische Optimierung ist<br />
wichtig, um die Kosten möglichst niedrig halten zu können“, erläutert<br />
Beysel. Günstig auf die Kosten wirkt sich außerdem aus, dass die<br />
<strong>Linde</strong>-Ingenieure das Aufstellungskonzept der Anlagen innerhalb des<br />
Pearl-Geländes gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des Kunden<br />
verbesserten.<br />
<strong>Linde</strong>-Technologie mit Tradition<br />
Im Prinzip beruhen die Anlagen zur Zerlegung von Luft in deren<br />
Haupt bestandteile bis heute auf den Verfahren, die Carl von <strong>Linde</strong><br />
zwischen 1895 und 1910 entwickelte. Am Anfang stand ein Experiment,<br />
das darauf abzielte, Luft bei Temperaturen von rund minus<br />
190 Grad Celcius zu verflüssigen. Von <strong>Linde</strong> wollte dabei den bereits<br />
bekannten Effekt nutzen, dass sich Luft erwärmt, wenn sie verdichtet<br />
wird und abkühlt, wenn sie sich entspannt. Seine Idee: Die Kälte,<br />
die beim Ausströmen der Luft von einem höheren zu einem niedrigeren<br />
Druck entsteht, sollte zur weiteren Kühlung eingesetzt werden.<br />
Daher konstruierte er einen Apparat, in dem die Entspannungskälte<br />
im Gegenstrom kontinuierlich auf die komprimierte, vorgekühlte Luft<br />
übertragen wurde. „Wie vorausberechnet, nahm die Abkühlung des<br />
schweren Apparates so lange Zeit in Anspruch, dass ein Tag hierzu<br />
nicht ausreichte und dass während der Nacht je ein Teil der erzielten<br />
Temperatursenkung wieder verloren ging“, erinnerte sich Carl von<br />
<strong>Linde</strong> später. Doch am dritten Tag des Experimentes, dem 29. Mai<br />
1895, war es dann so weit: „Zwischen aufsteigenden Wolken ließen<br />
wir die schöne bläuliche Flüssigkeit in einen großen Blecheimer sich<br />
ergießen“, so von <strong>Linde</strong>.<br />
Da Stickstoff beim Erwärmen von flüssiger Luft früher verdampft<br />
als Sauerstoff, liegt der Gedanke nahe, die beiden <strong>Gas</strong>e<br />
auf diese Weise voneinander zu trennen. Doch die Siedepunkte<br />
von Stickstoff und Sauerstoff liegen nur 13 Grad Celsius auseinander.<br />
Daher versuchten von <strong>Linde</strong> und seine Mitarbeiter die Abtren-<br />
nung mit einem Verfahren, das bereits erfolgreich eingesetzt wurde,<br />
um Alkohol von Wasser abzuscheiden: die Rektifikation. In einem mit<br />
Glasperlen gefüllten Stahlrohr ließ das <strong>Linde</strong>-Team flüssige Luft im<br />
Gegenstrom zum aufsteigenden Sauerstoffdampf herunterrieseln.<br />
Dabei nahm die Luft Sauerstoff auf und gab Stickstoff ab. Im fortlaufenden<br />
Prozess von Verflüssigung und Verdampfung entstand so<br />
nahezu reiner Sauerstoff.<br />
„Mit der technologischen Weiterentwicklung von Luftzerlegungsanlagen<br />
ist es ähnlich wie bei Autos: Diese hatten Anfang<br />
des 20. Jahrhunderts genau wie heute Reifen, ein Lenkrad und einen<br />
Motor – und doch gibt es riesige Unterschiede zwischen den einstigen<br />
und modernen Modellen“, erklärt Witold Balczarczyk von der<br />
<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Produktionsgesellschaft in Leuna. Seit von <strong>Linde</strong>s Pionierleistungen<br />
produzieren Luftzerlegungsanlagen nicht nur immer mehr<br />
<strong>Gas</strong>, sondern sind auch sehr viel zuverlässiger, effizienter und bedienerfreundlicher<br />
geworden. Gleichzeitig benötigen sie immer weniger<br />
Energie.<br />
Luftzerleger im Verbund<br />
In Leuna hatte <strong>Linde</strong> bereits 1916 einen Luftzerleger errichtet. Heute<br />
befindet sich an dieser Stätte das weltgrößte <strong>Gas</strong>e-Produktionszentrum<br />
von <strong>Linde</strong>. Es beliefert Unternehmen im mitteldeutschen Chemiedreieck<br />
unter anderem mit Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff.<br />
Als Antwort auf den steigenden Bedarf dieser Kunden hat dort im<br />
September gemeinsam mit einer neuen Wasserstoff-Verflüssigungsanlage<br />
der insgesamt achte Luftzerleger den Betrieb aufgenommen –<br />
in Ergänzung zu den drei noch produzierenden Luftzerlegern vor Ort.<br />
Größter Sauerstoff-Abnehmer ist die TOTAL Raffinerie in unmittelbarer<br />
Nachbarschaft, die damit schwere Bestandteile des Erdöls unter<br />
anderem in Methanol umwandelt – ein wichtiger Ausgangsstoff etwa<br />
für Isoliermaterialien, Farben und Lacke. Andere Unternehmen benötigen<br />
den Sauerstoff, um Vorstufen von Polyamid-Kunstfasern oder<br />
von transparenten Kunststoffen wie Plexiglas herzustellen. Luftzerleger<br />
Nummer 8 stellt sicher, dass diesen Kunden jederzeit ausreichende<br />
Mengen Sauerstoff geliefert werden können. Mit dem anderen Hauptbestandteil<br />
der Luft, dem Stickstoff, versorgt <strong>Linde</strong> neben Leuna über<br />
Rohrleitungen auch die Chemiestandorte Bitterfeld, Piesteritz und
ERFAhRENE<br />
LUFTzERLEGER<br />
The <strong>Linde</strong> Group besitzt eine langjährige Erfahrung in Sachen Luftzerlegung: In den letzten 20 Jahren hat <strong>Linde</strong> rund<br />
100 maßgeschneiderte Luftzerlegungsanlagen mit einer Produktionskapazität von jeweils mehr als 450 Tonnen Sauerstoff<br />
pro Tag gebaut, darunter die in der Tabelle aufgeführten. Dazu kommen über 500 kleinere, modular konstruierte Anlagen.<br />
kuNDE/fABrIk LAND IN BETrIEB sEIT TAGEsprODukTION (in t) wEITErE prODukTE<br />
Saudi Basic Industrial corporation (SABIc) Al Jubail 3 Saudi-Arabien 1993 1.200 (o 2 ) /900 (N 2 ) Argon<br />
SABIc, yanbu Saudi-Arabien 1999 1.200 (o 2 ) /1.500 (N 2 ) Argon<br />
SABIc, Al Jubail 5 Saudi-Arabien 2004 3.200 (o 2 ) /1.740 (N 2 ) Argon, Krypton, xenon<br />
pemex, cantarell Mexiko 2001 63.000 (N 2 )<br />
Wuhan Iron and Steel company, Fabrik E/F china 1992 2.100 (o 2 ) /1.810 (N 2 ) Argon, Krypton, xenon<br />
LufTzErLEGEr // LINDE TECHNOLOGY<br />
43<br />
Wuhan Iron and Steel company, Fabrik G/h china 2004 4.190 (o 2 ) /1.860 (N 2 ) Argon, Krypton, xenon, helium, Neon<br />
Schkopau: Dort wird das reaktionsträge <strong>Gas</strong> beispielsweise eingesetzt,<br />
um Apparate sicher von brennbaren Rückständen zu befreien<br />
oder um für verschiedene chemische Prozesse eine Schutzatmosphäre<br />
zu schaffen.<br />
Trotz des im Laufe der Jahrzehnte erreichten technologischen<br />
Reifegrads des Luftzerlegungsprozesses ist die Leunaer Anlage Nummer<br />
8 aber keineswegs eine „Anlage von der Stange“: Sie lässt sich<br />
auf vergleichsweise niedrige 70 Prozent der<br />
Maximalleistung herunterregeln. Somit kann<br />
ohne Energieverlust flexibel auf den stark variierenden<br />
Bedarf der Kunden reagiert werden.<br />
Andererseits ist „Nummer 8“ so geschickt in<br />
den Verbund mit den anderen Luftzerlegern<br />
am Standort und in Schko pau integriert, dass<br />
der Ausfall beispielsweise eines Luftverdichters<br />
problemlos von anderen Anlagen kompensiert<br />
werden kann. Damit ist sichergestellt,<br />
dass die Werke, die auf die <strong>Gas</strong>e angewiesen<br />
sind, stets zuverlässig beliefert werden können.<br />
Auch dass die Abnehmer mehr Sauerstoff als Stickstoff benötigen,<br />
wurde bei der Konstruktion des neuen Luftzerlegers berücksichtigt:<br />
Er nutzt überschüssigen Stickstoff in einem Verdunstungskühler.<br />
Somit entfällt eine sonst notwendige Kälteanlage, die zusätzliche<br />
Energie verbrauchen und Kosten verursachen würde.<br />
Die welt neu zusammensetzen<br />
„Mit Sauerstoff lassen sich viele Prozesse in der Chemie- und Stahlindustrie<br />
so optimieren, dass sie weniger Ressourcen und Energie<br />
ver brauchen. Das kommt der Umwelt zugute, denn so werden auch<br />
weniger Treibhausgase ausgestoßen“, sagt Balczarczyk. Der Experte<br />
ist von einer rosigen Zukunft für die Luftzerlegungstechnologie über-<br />
auTOr:<br />
Frank Frick ist promovierter chemiker und arbeitet als freier<br />
Wissenschaftsjournalist in der Nähe von Bonn unter anderem für<br />
„Frankfurter Allgemeine zeitung“, „bild der wissenschaft“ und „handelsblatt“.<br />
MIT SAUERSToFF LASSEN<br />
SIch VIELE pRozESSE IN<br />
DER chEMIE- UND STAhL-<br />
INDUSTRIE So opTIMIE-<br />
REN, DASS SIE WENIGER<br />
RESSoURcEN UND ENER-<br />
GIE VERBRAUchEN.<br />
zeugt. Schließlich wird es angesichts steigender Energiepreise und<br />
strengerer Klima schutzauflagen zunehmend attraktiv, Verfahren,<br />
die bisher mit Hilfe normaler Umgebungsluft abliefen, auf Sauer-<br />
stoff umzustellen. „Hinzu kommt: Technologien zur Gewinnung von<br />
sauberen Kraftstoffen oder von Strom aus kohlendioxidfreien Kraftwerken<br />
werden künftig immer bedeutsamer. Und diese benötigen<br />
Sauerstoff“, so <strong>Linde</strong>-Manager Beysel. Dabei über rascht es nicht,<br />
dass The <strong>Linde</strong> Group als Weltmarkführer<br />
auf ihrem urei gen sten Kompetenzgebiet auf<br />
eine langjährige Erfahrung zurückblicken<br />
kann: In den letzten 20 Jahren hat <strong>Linde</strong><br />
rund 100 maßgeschneiderte Luftzerlegungsanlagen<br />
mit einer Produktionskapazität von<br />
jeweils mehr als 450 Tonnen Sauerstoff pro<br />
Tag gebaut (siehe Tabelle). Dazu kommen<br />
über 500 kleinere, modular konstruierte<br />
An lagen. Die bisher weltweit größte einzelne<br />
Luftzerlegungsanlage steht in Cantarell<br />
am Golf von Mexiko. Hier hat 2006 <strong>Linde</strong><br />
Engine ering die mittlerweile fünfte Einheit fertiggestellt. In diesem<br />
Fall steht nicht der Sauerstoff, sondern der Stickstoff im Mittelpunkt<br />
des Kundeninteresses: Die mexikanische PEMEX steigert mit seiner<br />
Hilfe die Ausbeute der nahe gelegenen Offshore-Förderplattformen,<br />
indem sie den natürlichen Öldruck durch gezielte unterirdische Stickstoff-Injektionen<br />
erhöht – Stichwort „Enhanced Oil Recovery“ (EOR).<br />
Ob Stickstoff oder Sauerstoff, Mexiko oder Katar – angesichts<br />
der steigenden Nachfrage nach seinen Produkten kann es als sicher<br />
gelten, dass der klassische Luftzerleger bei der Lösung der Energieprobleme<br />
noch eine wichtige Rolle spielen wird – oder, um es im<br />
etwas euphemistischeren Stil eines Anzeigentexts auszudrücken:<br />
„Wer die Luft teilt, setzt die Welt neu zusammen.“<br />
LINkS:<br />
www.shell.com/home/Framework?siteId=qatar<br />
www.infraleuna.de/cms/index.php?chemiestandort<br />
www.linde-anlagenbau.de/anlagenbau/luftzerlegungsanlagen
LINDE TECHNOLOGY // ALumINIum<br />
44<br />
<strong>Linde</strong>-Technologie reduziert co 2 -Ausstoß in der Metallgewinnung<br />
ALUMINIUM AUS<br />
DoWN UNDER<br />
In Westaustralien arbeiten drei Unternehmen an einem gemeinsamen Projekt, das weltweit<br />
Schule machen könnte: Aluminium-Gigant Alcoa entsorgt das CO2 einer benachbarten<br />
Ammoniak-Fabrik mit Hilfe der eigenen Reststoffe. Ein Prozess, der nicht nur Treibhausgase<br />
reduziert, sondern zugleich Rückstände der Bauxit-Förderung neutralisiert. Verbindendes<br />
Glied ist die australische <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft BOC, deren Mitarbeiter das innovative<br />
Projekt möglich gemacht haben und koordinieren.<br />
Die Erde jenseits der Dämme ist rot, nicht ungewöhnlich im Westen<br />
Australiens. Doch das Rot dieser Felder im Industriegebiet Kwinana,<br />
30 Kilometer südlich von Perth, wirkt fast purpurn, leuchtend<br />
und knallig. Das liegt an der Extra-Ration Eisen in dem auch als<br />
„red mud“ bezeichneten Rotschlamm, einem Nebenprodukt, das<br />
bei der Produktion von Aluminiumoxid (englisch alumina) aus Bauxit<br />
entsteht. Der Weg vom Bauxit zum Aluminium ist nicht unkompliziert:<br />
Zunächst wird das Erz gemahlen und mit Kalk und Natronlauge<br />
gemischt, danach in Hochdruckbehälter gepumpt und erhitzt.<br />
Das Aluminiumoxid wird in der Natronlauge gelöst, dann werden<br />
Schlamm und Sand von der Lösung getrennt. Als Abfallprodukt fällt<br />
in dieser Phase der Bauxitrückstand – bis zu einer Tonne pro Tonne<br />
Aluminiumoxid – an. Pro Jahr ergibt das etwa 16 Millionen Tonnen.<br />
Anschließend wird die Lösung ausgefällt, gewaschen und schließlich<br />
erhitzt, um Aluminiumoxid zu erhalten.<br />
Kein Wunder, dass diese Rückstände bisher höchst unwillkommen<br />
waren, denn sie haben hohe pH-Werte und müssen deshalb<br />
in speziellen Absetzbecken gelagert werden. Seit einigen Jahren aber<br />
ist der pH-Wert auf der Beliebtheitsskala der Beteiligten ein ganzes<br />
Stück geklettert, denn er ist zu einem Problemlöser geworden: Die<br />
Rotschlamm-Anteile der Bauxit-Rückstände absorbieren das Kohlendioxid<br />
einer benachbarten Ammoniak-Fabrik und speichern es permanent.<br />
Dieses „Dreiecks-Verhältnis“ funktioniert so: Das überschüssige<br />
CO 2 von Chemie- und Düngemittel-Hersteller CSBP wird aufgefangen,<br />
zur BOC Anlage geleitet, dort nach einem <strong>Linde</strong>-Verfahren behandelt<br />
und anschließend weiter auf Alcoas neun Kilometer entfernte Rückstandsfelder<br />
transportiert. Dort binden die Bauxit-Rückstände das<br />
Treibhausgas in einer chemischen Reaktion, die Alcoa entwickelt hat:<br />
Ein Prozess, der „Residue Carbon Capture“ genannt wird und den pH-<br />
Wert des unpopulären Schlamms verbessert.<br />
„Auf den ersten Blick klingt das relativ einfach”, sagt Tim<br />
Few, Tonnage Account Manager für die <strong>Linde</strong> Group in Westaustralien<br />
und Commercialisaton Manager für dieses Projekt. „Schaut man<br />
aber genauer hin, galt es, eine Vielzahl von Details und Hürden zu<br />
überwinden”, so der <strong>Gas</strong>e-Experte. Und damit meint er nicht allein<br />
eine Bahnlinie, Zäune und eine hochempfindliche <strong>Gas</strong>-Pipeline, die<br />
die CO 2 -Rohrleitung auf ihrem Weg von der einen zur anderen Fabrik<br />
kreuzte. Personal- und Materialmangel in Australiens Westen sowie<br />
diverse technische Tücken des völlig neuen Verfahrens stellten <strong>Linde</strong><br />
und die beiden Partner fast täglich vor neue Herausforderungen.<br />
„So blieb es spannend“, sagt Few, der als Ingenieur die chemischen<br />
Aspekte des Verfahrens kennt und zugleich als Manager die wirtschaftliche<br />
Seite betreut.<br />
Zugute kam dem Ingenieur bei dem Projekt aber auch seine<br />
umfassende Erfahrung aus der Aluminium-Produktion, die sehr energieintensiv<br />
ist: Denn bevor aus Aluminiumoxid das silbrig-schimmernde<br />
Metall wird, ist noch eine elektrolytische Reduktion nötig,<br />
die als Schmelzen oder „Smelting“ bezeichnet wird. Die Tonerde<br />
Autor: Julica Jungehülsing<br />
Foto: Bilderberg, Archiv der Fotografen<br />
1<br />
1
Pinjarra<br />
ALumINIum // LINDE TECHNOLOGY<br />
45<br />
Bauxitabbau: In pinjarra, im Südwesten<br />
Australiens, betreibt der USamerikanische<br />
Aluminiumhersteller<br />
Alcoa eine produktionsstätte, die<br />
rund sieben prozent des gesamten<br />
Weltbedarfs herstellt. Ausgangsstoff<br />
dafür ist Bauxit. Die Abbaustätten<br />
dafür gleichen aus der Vogelperspektive<br />
einem abstrakten Gemälde.<br />
BAUxIT<br />
ist ein Gestein und der wichtigste<br />
rohstoff zur aluminium-Gewinnung.<br />
Es besteht vorwiegend aus den aluminium-mineralen<br />
Gibbsit, Böhmit,<br />
Diaspor sowie den Eisenoxiden<br />
hämatit und Goethit, dem Tonmineral<br />
kaolinit und geringen anteilen<br />
des Titanoxids anatas. Bauxit ist<br />
ein weiches Sedimentgestein, das<br />
bei der tiefgründigen verwitterung<br />
von carbonatgesteinen und in den<br />
Tropen auch von Silicatgesteinen<br />
entsteht. Es ist weißlich, meist aber<br />
durch Eisenoxid-Beimengungen rötlich<br />
bis bräunlich gefärbt. für Bauxit<br />
gibt es keine genaue Definition oder<br />
formel. Die verschiedenen arten<br />
unterscheiden sich durch ihre mineralogische<br />
form durch die das aluminiumoxyd<br />
(Tonerde) gebunden ist.<br />
Den Namen verdankt es seinem ersten<br />
fundort Les Baux-de-Provence<br />
in Südfrankreich, wo es von Pierre<br />
Berthier 1821 entdeckt wurde.<br />
Bauxit wird überwiegend im Tage-<br />
bau gefördert. Die bedeutendsten<br />
vorkommen liegen in australien,<br />
Brasilien, Guinea und Jamaika.<br />
weitere vorkommen befinden sich<br />
unter anderem in Indien, Nordchina<br />
und russland. Im Jahr 2005 wurden<br />
insgesamt mehr als 152 millionen<br />
Tonnen Bauxit gefördert. aus etwa<br />
95 Prozent des abgebauten Bauxits<br />
wird aluminium produziert. Geringe<br />
mengen dienen bei günstiger zusammensetzung<br />
der herstellung von<br />
aluminium-chemikalien, Schleifmitteln<br />
und feuerfesten Steinen. um<br />
eine Tonne aluminium zu produzieren,<br />
werden etwa vier Tonnen<br />
Bauxit benötigt.
LINDE TECHNOLOGY // ALumINIum<br />
46<br />
wird dazu in einem Kryolithbad aufgelöst, in dem starker elektrischer<br />
Strom Aluminium von Sauerstoff trennt. Das flüssige Metall kann nun<br />
abgeschöpft, zu den verschiedensten Legierung weiterverarbeitet<br />
und in beliebige Formen gegossen werden.<br />
Zwei bis drei Tonnen Bauxit sind nötig, um eine Tonne Tonerde<br />
– wie Aluminiumoxid auch bezeichnet wird – zu produzieren, für<br />
eine Tonne Aluminium braucht man zwei Tonnen Tonerde. Das klingt<br />
aufwändig, und ist es auch: Allein die Elektrolyse eines Kilogramms<br />
Aluminium erfordert etwa 13 Kilowattstunden Strom. Recycling, Ergie-<br />
in Mio.<br />
1<br />
t/a<br />
quelle:<br />
European Aluminium Association (EAA);<br />
International Aluminium Institude, oEA<br />
bigkeit und Beschaffenheit des Materials machen den hohen Energieverbrauch<br />
bei der Herstellung zum Teil wieder wett: Eine Tonne<br />
Aluminium reicht für über 60.000 Bierdosen oder für sieben Personenwagen.<br />
Da Aluminium nur etwa ein Drittel so schwer ist wie Stahl,<br />
wird es zunehmend im Fahrzeugbau eingesetzt und hilft so durch<br />
seine Gewichtsersparnis Treibstoff zu sparen. 85 bis 90 Prozent des<br />
Aluminiums aus Autos werden inzwischen ebenfalls wiederverwertet.<br />
Und für Recycling-Alu sind nur etwa fünf Prozent der Energie nötig,<br />
die die Herstellung von Hüttenaluminium kostet.<br />
Auf dem Weltmarkt hat sich Aluminium rasant entwickelt. Im<br />
Jahr 1900 produzierten nur fünf Länder – die USA, Schweiz, Frankreich,<br />
Deutschland und Großbritannien – 6.700 Tonnen Hüttenaluminium.<br />
70<br />
60<br />
50<br />
40<br />
30<br />
20<br />
10<br />
1916 waren es bereits über 100.000, Ende der 1930er Jahre hatte die<br />
Produktion mit 700.000 Tonnen alle anderen Nichteisenmetalle überflügelt.<br />
Im Kriegsjahr 1943 wurden fast zwei Millionen Tonnen hergestellt,<br />
ein Stand, der in den 1950ern erstmals wieder übertroffen<br />
wurde. Von da an stieg die Produktion steil und stetig. 2001 kam mit<br />
über 20 Millionen Tonnen zehnmal so viel Aluminium auf den Markt<br />
wie 1952. Heute sind die größten Produzenten China, Russland und die<br />
USA. Dort wird, neben Europa, auch das meiste Alu verbraucht. Chinas<br />
Verbrauch holt allerdings aufgrund seiner boomenden Wirtschaft stark<br />
ALUMINIUMpRoDUKTIoN<br />
WELTWEIT<br />
0 1960 1970 1980 1990 2000 2005 2010 2020<br />
(geschätzt) (geschätzt)<br />
Gesamt-Aluminium<br />
Sekundär-Aluminium<br />
Primär-Aluminium<br />
Begehrtes metall: Aufgrund seiner Eigenschaften ist Aluminium ein gefragter<br />
Werkstoff in vielen Bereichen. Wichtigster Abnehmer ist die Autoindustrie. Autohersteller<br />
wie BMW im Werk Leipzig (li.) bauen mittlerweile komplette Karosserien<br />
aus dem Metall. Das führt zu wachsender Nachfrage nach Aluminium,<br />
das über Schmelzprozesse (re.), Guss-, press-, Walz- und Schmiedeverfahren in<br />
nahezu jede gewünschte Form gebracht werden kann.<br />
auf. Die wichtigsten Bauxitvorkommen befinden sich in Australien, Guinea,<br />
Brasilien, Jamaika, Indien, Guyana und Indonesien, wobei sich der<br />
fünfte Kontinent in den vergangenen 50 Jahren zum Hauptproduzenten<br />
und -exporteur entwickelt hat: 2005 produzierte Australien 62 Millionen<br />
Tonnen Bauxit.<br />
Dass Kohlendioxid die Alkalität von Bauxit-Rückständen verringert,<br />
war dem amerikanischen Aluminium-Produzenten Alcoa schon<br />
länger bekannt. Durch das <strong>Gas</strong> verliert der Rotschlamm einige seiner<br />
umweltschädigen Eigenschaften, und er ist so nicht nur einfacher zu<br />
lagern, sondern auch besser wieder verwertbar, denn „CO 2 senkt den<br />
pH-Wert von 13,5 auf 10,5 Prozent – ein Niveau, das man auch sonst<br />
in vielen alkalischen Böden findet”, erklärt David Cooling, Forschungs
Manager von Alcoa in Kwinana. „Der Schlamm kann so nicht nur<br />
neutralisiert werden, wir arbeiten sogar daran, ihn künftig anderswo<br />
einzusetzen, etwa im Straßenbau oder in der Landwirtschaft.” Bislang<br />
kaufte Alcoa für diese „Neutralisierung“ flüssiges CO 2 zu. Nicht nur<br />
wegen der Kosten suchte der weltweit größte Aluminium-Produzent<br />
nach neuen Wegen, um Abfallprodukte zu verringern. Dass CO 2 in der<br />
Nachbarschaft vorhanden war, machte die Sache doppelt interessant:<br />
Einerseits entwich das <strong>Gas</strong> ungenutzt aus Schornsteinen von CSBP.<br />
Zugleich war es mit einer Reinheit von 99 Prozent nicht nur gut genug<br />
für Alcoas Zwecke, es gab auch mehr als genug davon: Bis zu 450.000<br />
Tonnen CO 2 verursacht die Ammoniak-Fabrik jährlich. Der Erfolg für<br />
den Klimaschutz ist entsprechend groß: Etwa 200 Tonnen Kohlendioxid<br />
kann die neue Anlage pro Tag auffangen. Das sind 70.000 Tonnen<br />
CO 2 im Jahr – etwa die gleiche Menge, die 17.500 Autos verursachen.<br />
„Die enormen Ausmaße haben einen echten Effekt auf die Umwelt<br />
und zugleich ist ein Projekt dieser Dimension für die Firmen rentabel“,<br />
sagt Few mit Stolz über die Erfindung, die außer viel Geduld und<br />
Diplomatie auch technischen Pioniergeist erforderte. Denn natürlich<br />
reist das CO 2 nicht unbehandelt vom Schornstein gen rote Erde. Ein<br />
ausgefeilter chemischer Prozess ist nötig, ehe aus dem Abfallprodukt<br />
des Einen ein Rohstoff des Anderen wird.<br />
kaum größer als ein ferienhaus<br />
Gemessen an der klimatechnischen Bedeutung des Projekts ist die<br />
tatsächliche Größe der Verarbeitungsanlagen allerdings ziemlich<br />
überschaubar. Ein feuchter CO 2 -Strom, der Wasserstoffspuren enthält,<br />
wird in den CSBP-Schornsteinen abgefangen und in einen Prozessor<br />
geleitet. „Dort macht ein Gebläse den Strom druckfest, und<br />
eine Kühleinheit trennt <strong>Gas</strong> vom Kondensat”, erläutert CSBP-Projekt-Manager<br />
Harish Copra und zeigt auf eine Anlage, die – wenig<br />
größer als ein Ferienhaus – zwischen den riesigen Kesseln und Türmen<br />
der Dünger-Fabrik fast unscheinbar wirkt. Von dort aus werden<br />
wIssENswErTEs ÜBEr ALumINIum<br />
LEIchT, JUNG, VIELSEITIG,<br />
UND SEhR BEGEhRT.<br />
ALumINIum // LINDE TECHNOLOGY<br />
47<br />
Aluminium ist das am häufigsten in der Erdkruste vorkommende<br />
metall. Es existiert in der Natur jedoch nur in gebundener<br />
form: vor allem als Aluminiumoxid.<br />
Im Vergleich zu anderen Metallen ist die Aluminiumherstellung<br />
ausgesprochen jung: Als Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals mit<br />
dem Material experimentiert wurde, war das silbrige Leichtmetall<br />
noch teurer als Gold. Heute wird das Metall in fast allen Bereichen<br />
des Alltags benutzt – im Küchenschrank<br />
ebenso wie in der<br />
Weltraumforschung. Dank seiner<br />
geringen Dichte und Leichtigkeit<br />
ist Aluminium überall da beliebt,<br />
wo Masse bewegt werden muss:<br />
in der Luft- und Raumfahrt, in<br />
der Verpackungsindustrie und im<br />
Maschinenbau. Die Gewinnung<br />
des Materials ist äußerst energieintensiv,<br />
zugleich ist seine<br />
Wiederverwertbarkeit enorm:<br />
Fast 70 Prozent des je produzierten<br />
Aluminiums ist dem<br />
amerikanischen Branchenriesen<br />
Alcoa zufolge bis heute im Umlauf.<br />
Das sind 480 Millionen der<br />
690 Millionen Tonnen, die seit<br />
1886 hergestellt wurden.<br />
Da Aluminium heute das begehrteste Nichteisen-Metall der<br />
Welt ist, werden die Kapazitäten ausgebaut, vor allem natürlich<br />
in Ländern mit niedrigen Energiekosten: China baut neue<br />
Alu-hütten und hat seine Produktion seit 1995 von zwei auf<br />
11 Millionen Tonnen im Jahr gesteigert. Aber auch andere Staaten<br />
mit günstiger Energie stocken auf: In der Golfregion beispielsweise<br />
soll sich die Produktion bis 2012 verdoppeln. Die Beliebtheit<br />
des Leichtmetalls ist auch an den Rohstoffbörsen sichtbar.<br />
Während 2006 die Produktion um sechs Prozent auf 34 Millionen<br />
Tonnen (Hütten und Recycling) stieg, kletterten die Preise um<br />
rund 30 Prozent. Analysten rechnen damit, dass dieser Trend<br />
anhält. Von der guten Konjunktur profitiert auch Deutschland:<br />
In den Hamburger Aluminiumwerken, die 2005 wegen hoher<br />
Strompreise stillgelegt werden sollten, sind fast alle Hochöfen<br />
wieder in Betrieb.
LINDE TECHNOLOGY // ALumINIum<br />
48<br />
DIE CHEmIE DEs ALumINIums<br />
AMMoNIUM UND cSBp<br />
Ammoniak (NH 3) ist eine chemische Verbindung von Stickstoff<br />
und Wasserstoff. Seinen Namen verdankt das <strong>Gas</strong> dem Ammonsalz,<br />
das der Sage nach im Tempel von Jupiter Ammon in Libyen<br />
durch die Destillation von Kameldung hergestellt wurde. Das <strong>Gas</strong><br />
ist giftig, farblos, leichter als Luft und hat einen scharfen Geruch.<br />
Durch Druck lässt es sich gut komprimieren und verflüssigen.<br />
Es dient zu 90 Prozent als Grundlage bei der Düngemittelherstellung<br />
und wird dafür zu Ammoniumsalzen (Ammoniumsulfat,<br />
-nitrat und -phosphat) und Harnstoff weiterverarbeitet. Daneben<br />
wird flüssiges Ammoniak in Kältemaschinen eingesetzt, in der<br />
Textilveredlung, zum Plastifizieren von Holz und als Lösungsmittel.<br />
Ein Großteil des Ammoniaks bei CSBP wird für die Herstellung<br />
von Ammoniumnitrat für den Bergbau verwendet. Während<br />
der Ammoniak-Herstellung wird Dampf mit Erdgas komprimiert<br />
und der entstandene Wasserstoff mit Stickstoff aus der Luft<br />
verbunden. Dieser Prozess setzt große Mengen an CO 2 frei, die<br />
bislang vielerorts komplett in die Atmosphäre ventiliert werden.<br />
In dem Pilotprojekt von <strong>Linde</strong>, Alcoa und CSBP wird CO 2 aufgefangen,<br />
verarbeitet und gebunden, was den täglichen Ausstoss<br />
von Kohlenstoffdioxid stark verringert.<br />
CSBP ist die Abkürzung für Cumming Smith British Petroleum,<br />
ein Name, der mit der Geschichte der Firma zusammenhängt:<br />
Der Kunstdüngerbetrieb Cumming Smith wurde 1910 in<br />
Westaustralien gegründet, BP war von Mitte der 1960er Jahre bis<br />
1987 Partner in deren Stickstoff-Produktion in Kwinana. Heute<br />
gehört der Chemiekonzern zur australischen Wesfarmers-Gruppe<br />
und beschäftigt 730 Mitarbeiter. CSBP beliefert vor allem die<br />
chemische Industrie, den australischen Bergbau sowie Mineralien<br />
verarbeitende Betriebe und Raffinerien. CSBPs Ammonium-<br />
Werk kann bis zu 700 Tonnen Ammoniak pro Tag herstellen.<br />
die Ströme in einem doppelten Plastikrohr unterirdisch auf die zwei<br />
Kilometer lange Reise in Richtung BOC geschickt.<br />
Auf dem Gelände von <strong>Linde</strong>s australischer <strong>Gas</strong>e-Tochter<br />
werden Kohlendioxidstrom und Kondensat getrennt weiterver-<br />
arbeitet: CO 2 wird mit Luft vermischt und komprimiert, ehe ihm ein<br />
so genannter Catox-Katalysator Wasserstoff entzieht. „Die geringsten<br />
Wasserstoffspuren könnten in der Anlage von Alcoa zu einer explosiven<br />
Mischung werden”, erklärt Tim Few. Die <strong>Linde</strong>-Ingenieure entwickelten<br />
daher hochsensible Analysegeräte, die den Kohlendioxid-<br />
Strom ständig an mehreren Stellen prüfen. Ebenso exakt kontrolliert<br />
wird der Methangehalt, der bei zu hohen Dosen riskant sein könnte.<br />
An anderer Stelle setzt die Anlage Stickstoff zu, der in den Mischkesseln<br />
bei Alcoa ausgleichend auf die Konsistenz des Endprodukts<br />
wirkt. Doch noch ein weiteres Risiko musste ausgeschlossen werden:<br />
die Kondensation. CO 2 wird in der <strong>Linde</strong>-Anlage gekühlt, um dessen<br />
Taupunkt soweit wie möglich zu reduzieren. Denn mischt sich CO 2<br />
mit Wasser, entsteht Kohlensäure, die sehr korrosiv auf Stahl wirkt.<br />
Um den Stahl der neun Kilometer langen Rohrleitung zwischen BOC<br />
und Alcoa zu schützen, galt es, jegliche Kondensation zu vermeiden.<br />
Um Schwankungen bei der Temperatur zu minimieren, wurde die<br />
Pipeline daher soweit wie möglich unterirdisch verlegt. Eine Arbeit,<br />
die an vielen Stellen sozusagen per Hand erfolgen musste. „Außer<br />
Straßen und Schienen überquert die CO 2 -Leitung gleich mehrfach die<br />
gut 1.500 Kilometer lange Dampier-Bunbury-Pipeline – die wichtigste<br />
<strong>Gas</strong>-Versorgungsleitung der Region”, erklärt Few. Ein Spezialteam<br />
ging daher mit größter Vorsicht ans Werk, um beim Bau jedes Risiko<br />
auszuschließen. Denn Pannen waren nicht erlaubt. Westaustraliens<br />
Mineralien- und Rohstoffindustrie erlebt zwar derzeit einen immensen<br />
Boom, der aber nicht ohne Nebenwirkungen für die Betriebe<br />
bleibt: Qualifizierte Arbeitskräfte sind knapp, und die Unternehmen
müssen oft sehr lange auf Materialnachschub und Ersatzteile warten.<br />
Der Spezialkühler von <strong>Linde</strong> wurde aus diesem Grund kurzerhand<br />
aus Italien eingeflogen, die Kompressoren aus England. „Nachdem<br />
die komplizierten Vertragsmodalitäten und die technischen Aspekte<br />
geklärt waren, wollten alle nur noch eines: dass das Projekt endlich<br />
läuft”, erinnert sich Few an die spannende Entwicklungszeit zurück.<br />
Seine profunden Kenntnisse der Alu-Produktion und das gute<br />
Vertrauensverhältnis – darin stimmen die Beteiligten von CSBP und<br />
Alcoa überein – spielten eine entscheidende Rolle beim Gelingen<br />
des Projekts.<br />
David Cooling steht auf einem Hügel, unter dem Bauxit-<br />
Rückstände aus den Alcoa-Minen lagern. Jenseits der umliegenden<br />
Felder, auf denen schillernd der Rotschlamm trocknet, kann man im<br />
Süden die Schornsteine von CSBP erkennen. Seit Monaten fließt das<br />
CO 2 von der Ammonium-Fabrik nahzu störungsfrei dorthin, wird vom<br />
Schlamm gebunden und erspart der Atmosphäre täglich 200 Tonnen<br />
Treibhausgas. Bislang sind die drei Unternehmen in Kwinana weltweit<br />
die einzigen, die auf diese Art zusammenarbeiten, um Kohlendioxid zu<br />
verwerten und zu entsorgen. „Aber eine Reihe anderer Erzeuger haben<br />
inzwischen angeklopft, weil sie sich für das Verfahren interessieren”,<br />
sagt Cooling. „Das freut uns natürlich, und wir überlegen, wie wir<br />
unser Wissen am effektivsten weitergeben können. Wir sehen darin<br />
vor allem eine großartige Chance, zum Klimaschutz beizutragen.”<br />
auTOrIN:<br />
Julica Jungehülsing lebt und arbeitet seit 2001 in Sydney als Autorin<br />
für diverse Magazine in Deutschland. Unter anderem berichtet sie<br />
über den Rohstoff-Boom in Westaustralien.<br />
vom Bauxit zum aluminium: Eine<br />
Extra-Ration Eisen verleiht dem auch<br />
als „red mud“ bezeichneten Rotschlamm<br />
(li.) seine Farbe. Das Abfallprodukt<br />
entsteht bei der herstellung<br />
von Aluminiumoxid, das mit hilfe von<br />
Natronlauge aus Bauxit herausgelöst<br />
wird und nach weiteren chemischen<br />
prozessen in pulverform via riesiger<br />
containerschiffe von Australien in die<br />
Welt transportiert wird.<br />
copyright: Klaus D. Francke/Bilderberg<br />
ALumINIum // LINDE TECHNOLOGY<br />
49<br />
AUS VIER ToNNEN BAUxIT ENTSTEhEN UNTER DRUcK<br />
UND hITzE zWEI ToNNEN ALUMINIUMoxID<br />
LINkS:<br />
www.world-aluminium.org<br />
www.alcoa.com
LINDE TECHNOLOGY // spEzIALGAsE<br />
50<br />
Spezialgase für die halbleiter- und Solarzellenfertigung<br />
SoNNIGE AUSSIchTEN<br />
Ätzen, Dotieren, Schichten und Reinigen: Bei der Herstellung von Halbleiter-Chips<br />
und Bauteilen für Flachbildschirme erfüllen Elektronikgase vielfältige Aufgaben.<br />
In der modernen Solartechnik entwickeln sie sich mittlerweile zu einem bedeutenden<br />
Produktionsfaktor. Mit innovativen Technologien erhöhen <strong>Linde</strong>-Ingenieure jetzt die<br />
Effizienz im Herstellungsprozess der Solarzellen. Das kommt auch der Umwelt zugute.<br />
Im Osten geht bekanntlich die Sonne auf. Für Frankfurt/Oder gilt das<br />
künftig im doppelten Sinne: Mitte 2007 hat die Conergy AG, eines der<br />
führenden Solarunternehmen in Europa, in der deutsch-polnischen<br />
Grenzstadt die weltweit erste, vollintegrierte Massenproduktion von<br />
Solarmodulen in Betrieb genommen. Bislang führte der Weg von der<br />
unbehandelten Silizium-Scheibe (Wafer) bis zur fertig verdrahteten<br />
Solarzelle (Modul) über Firmen- und meist sogar Ländergrenzen<br />
hinweg. Conergy hat den gesamten Prozess nun unter einem Dach<br />
vereint. <strong>2008</strong> sollen bereits Module mit einer Gesamtleistung von<br />
250 Megawatt vom Band laufen. Mehr als 50.000 Haushalte könnten<br />
so mit Strom versorgt werden.<br />
Um die Qualität hoch und die Kosten niedrig zu halten, wurde<br />
die Anlage konsequent auf Effizienz getrimmt. So verkürzt die kompakte<br />
Anordnung der Produktionslinien die Transportwege, während<br />
ihr hoher Automatisierungsgrad die Bruchgefahr der empfindlichen<br />
Zellen mindert. Auch die Auswahl der Zulieferer erfolgte nach Effizienzkriterien:<br />
So erhielt das <strong>Linde</strong>-Joint Venture <strong>Linde</strong> Nippon Sanso<br />
den Auftrag für die Lieferung von Stickstoff sowie den Spezialgasen<br />
Argon, Helium, Wasserstoff, Ammoniak und Silan, weil das Unternehmen<br />
garantierte, die gesamte Logistik sowie den Betrieb der Stickstofferzeugung<br />
vor Ort – also onsite – innerhalb von nur vier Monaten<br />
in Gang zu setzen. Normalerweise wird dafür die dreifache Zeit verplant.<br />
„Dieser Auftrag ist ein weiterer Beleg für die wachsenden Einsatzmöglichkeiten<br />
von <strong>Gas</strong>en bei erneuerbaren Energien“, erklärt Dr.<br />
Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der <strong>Linde</strong> AG und unter anderem<br />
verantwortlich für die Business Area Elektronikgase.<br />
Die Sorge um das globale Klima hat Energiequellen, die sich nicht<br />
aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe speisen, einen wahren<br />
Boom beschert. Davon profitiert auch die Halbleiterindustrie, denn<br />
die Solarbranche entwickelt sich zum echten Umsatzmotor. Während<br />
Marktforscher beispielsweise in klassischen Halbleitersegmenten<br />
wie den Mikrochips und Flachbildschirmen bis 2010 Umsatzzuwächse<br />
von maximal acht Prozent pro Jahr erwarten, liegen die<br />
Prognosen im Solarbereich bei rund 30 Prozent – Tendenz steigend.<br />
„Wir rechnen damit, dass die Fotovoltaik-Produzenten ab 2012 mehr<br />
Geld für <strong>Gas</strong>e ausgeben als die Hersteller von Flachbildschirmen“,<br />
prognostiziert Dean O´Connor, Leiter der Marktentwicklung im <strong>Linde</strong>-<br />
Geschäftsbereich Elektronikgase. „Und 2017 werden sie in dieser Hinsicht<br />
wohl auch die Chip-Produzenten überholen.“<br />
<strong>Linde</strong> verstärkt Engagement bei fotovoltaik<br />
<strong>Linde</strong> hat auf diese Entwicklung frühzeitig reagiert. Bereits Mitte der<br />
1980er Jahre hatte das Unternehmen begonnen, hochreine <strong>Gas</strong>e speziell<br />
für die Halbleiterindustrie zu erzeugen, weil der damalige Großkunde<br />
Siemens in die Produktion von Speicherchips eingestiegen war.<br />
Angesichts der „sonnigen Aussichten“ wurden die Produktions- und<br />
Vertriebskapazitäten dieses Geschäftsbereichs in den vergangenen<br />
drei Jahren stark erweitert. So erwarb <strong>Linde</strong> 2004 die Mehrheit an<br />
<strong>Linde</strong> Nippon Sanso, einem Joint Venture mit dem japanischen <strong>Gas</strong>e-<br />
Hersteller Taiyo Nippon Sanso, um die europäische Halbleiterindustrie<br />
umfassend mit Elektronikgasen, Services und Geräten zu beliefern.<br />
Als <strong>Gas</strong>elieferant spielt <strong>Linde</strong> Nippon Sanso eine führende Rolle
Energiespender Sonne: Moderne Solarkraftwerke können heute bereits<br />
Spitzenleistungen von rund 12 Megawatt erreichen.<br />
DIE sONNE HAT zukuNfT<br />
prognose: weltweit neu<br />
installierte solarleistung<br />
(quelle: Sarasin 2006)<br />
Jahr Megawatt (peak)<br />
pro Jahr<br />
prognose: weltweit<br />
verkaufte solarzellen<br />
(quelle: EpIA)<br />
Mrd. €<br />
pro Jahr<br />
2006 1.501 9<br />
2007 1.834 12<br />
<strong>2008</strong> 2.322 16<br />
2009 3.053 21<br />
2010 4.097 25<br />
Solarstrom für die Bahn: Fotovoltaikanlage auf dem hauptbahnhof Berlin<br />
spEzIALGAsE // LINDE TECHNOLOGY<br />
51<br />
in der europäischen Fotovoltaikindustrie. Außerdem wurde die Marktposition<br />
der <strong>Linde</strong> Group in Amerika und Asien im Jahr 2006 durch die<br />
Übernahme von BOC gestärkt.<br />
Die globale Präsenz des Unternehmens wird ein wichtiger<br />
Wettbewerbsvorteil im Solarmarkt der Zukunft sein. Denn während<br />
das Gros der Mikrochips und Flachbildschirme vor allem in Asien und –<br />
in geringerem Umfang – in Amerika gefertigt wird, rückt mit dem<br />
aktuellen Solarboom auch Europa wieder ins Zentrum des Halbleitergeschehens.<br />
Allein im Osten Deutschlands sollen bis zum Jahr <strong>2008</strong><br />
mindestens sieben Fotovoltaik-Produktionsstätten den Betrieb aufnehmen.<br />
Technologisch bauen alle diese Anwendungsgebiete auf die<br />
gleiche Basis: auf Halbleiter, meist in Form von Silizium. Dieses Element<br />
stellt innerhalb der Erdhülle ein Viertel der Masse und zeichnet<br />
sich dadurch aus, dass seine elektrische Leitfähigkeit manipuliert<br />
werden kann. Je nach Zustand wirkt es wie ein Leiter oder wie ein<br />
Isolator. Die Solartechnik nutzt diese Eigenschaften, um Licht in elektrische<br />
Energie zu verwandeln. In der Mikrochip-Technik wiederum<br />
dienen sie zum Bau von elektrischen Schaltern (Transistoren), mit<br />
deren Hilfe die heutzutage fast allgegenwärtigen, winzigen Rechenmaschinen<br />
für Computer, Mobiltelefone und Kraftfahrzeuge hergestellt<br />
werden. Oder aber sie kommen in großflächigen Flüssigkristall-<br />
Displays (LCDs) zum Einsatz, wo sie die Beleuchtung der einzelnen<br />
Bildpunkte steuern.<br />
Bei der Metamorphose vom rohen Silizium-Wafer zum hochspezialisierten<br />
Bauelement übernehmen die Elektronikgase, die eine<br />
Autor: Frank Grünberg<br />
Bildquelle: laif<br />
1<br />
1
LINDE TECHNOLOGY // spEzIALGAsE<br />
52<br />
1<br />
SpEzIALIST FüR SpEzIALGASE<br />
<strong>Linde</strong> Nippon Sanso, das Joint Venture zwischen The <strong>Linde</strong> Group und Taiyo Nippon Sanso, wurde 1999<br />
gegründet, 2005 übernahm <strong>Linde</strong> einen mehrheitlichen Anteil. Heute hat das Unternehmen seinen<br />
Sitz in Pullach. Der <strong>Gas</strong>e-Spezialist beliefert die Halbleiter- und Fotovoltaikindustrie in Europa mit dem<br />
gesamten Portfolio an Elektronikgasen, <strong>Gas</strong>versorgungsanlagen und dazugehörigen Dienstleistungen –<br />
von der Beratung über kundenspezifische Lösungen bis hin zur schlüsselfertigen Projektplanung.<br />
maximale Verunreinigung von einem Fremdpartikel pro eine Millionen<br />
Moleküle aufweisen dürfen, vielfältige Aufgaben. Beispielsweise bei<br />
der Dotierung: Dabei werden Fremdatome in das Grundmaterial eines<br />
integrierten Schaltkreises eingebracht, um die elektrischen Eigenschaften<br />
nach Wunsch zu verändern. Dazu nutzt man beispielsweise<br />
so genannte Dotiergase wie Diboran, Arsin oder Phosphin – spezielle<br />
Verbindungen aus Wassserstoff und Bor beziehungsweise Arsen und<br />
Phosphor.<br />
Auch bei der Epitaxie – ein Vorgang, bei dem <strong>Gas</strong>e wie Silan<br />
und Wasserstoff reagieren, um feinste Siliziumschichten auf dem<br />
Wafer abzuscheiden – kommen Elektronikgase von <strong>Linde</strong> zum Einsatz.<br />
Atmosphärengase wie Stickstoff, Sauerstoff oder Argon wiederum<br />
erfüllen in Reinigungs- und Spülprozessen eine wichtige Aufgabe.<br />
Beim Ätzen schließlich tragen Fluorgase den vorbehandelten<br />
Halbleiter dort gezielt ab, wo die zuvor erfolgte Belichtung einen flächig<br />
verteilten Fotolack nicht zerstört hat, weil er durch eine Maske<br />
geschützt war. Bis zu mehrere hundert Male wiederholt, ermöglicht<br />
dieser fotolithografische Prozess, die elektronischen Schaltkreise<br />
Schicht für Schicht ins Silizium zu prägen. Weil die Strukturierungsprozesse<br />
aber keineswegs für alle Anwendungen gleich sind, werden<br />
die Elektronikgase je nach Bauelement in unterschiedlicher Zahl<br />
und Menge benötigt. „Während bei der Herstellung von Mikroprozessoren<br />
rund 20 verschiedene <strong>Gas</strong>e verwendet werden, sind es bei<br />
Solarzellen lediglich fünf“, erklärt Klaus Bomhard, Leiter des neuen<br />
Elektronikgase-Werks am <strong>Linde</strong>-Standort Unterschleißheim bei München.<br />
„Insgesamt allerdings wird bei den Solarzellen eine wesentlich<br />
1<br />
größere Menge benötigt“, so der Diplom-Physiker, der mit dafür verantwortlich<br />
ist, dass sein Unternehmen den wachsenden Bedarf an<br />
Elektronikgasen decken kann. Denn das zurzeit modernste Werk für<br />
Elektronikgase weltweit vor den Toren Münchens, das im September<br />
2006 den Betrieb aufgenommen hat, ist Teil des weltweiten Elektronikgas-Netzwerks,<br />
das 2005 durch die Übernahme des US-amerikanischen<br />
Spezialgaseunternehmens Spectra <strong>Gas</strong>es erheblich erweitert<br />
wurde. Spectra <strong>Gas</strong>es produziert nicht nur hochreine <strong>Gas</strong>e für die<br />
Halbleiterforschung und -produktion, sondern auch <strong>Gas</strong>mischungen<br />
für Excimer-Laser (siehe auch Seite 32 „Operation Scharfblick“). Diese<br />
Lichtquellen liefern die kurzwellige Strahlung, die für die Lithografie<br />
von Halbleitern unentbehrlich ist. In diesem Markt hält Spectra <strong>Gas</strong>es<br />
einen Anteil von 80 Prozent. Weitere Werke der <strong>Linde</strong> Group in China,<br />
Taiwain und den USA versorgen den Weltmarkt mit Spezialgasen für<br />
die Elektronikindustrie.<br />
Abfüllkapazität mehr als verdoppelt<br />
In Unterschleißheim wurden alle Abläufe, vom Handling über das<br />
Abfüllen der <strong>Gas</strong>zylinder bis hin zur Qualitätskontrolle des Endprodukts<br />
auf Massenproduktion getrimmt. Während im alten Werk,<br />
intern „B10“ abgekürzt, lediglich 5.000 Behälter pro Jahr befüllt werden<br />
konnten, sind es im neuen Werk „B21“ bis zu 12.000 Stück in<br />
Zylindergrößen zwischen zehn und 50 Litern. Trotz einer Erhöhung<br />
der Produktionspalette von 25 auf 30 unterschiedliche <strong>Gas</strong>e gelang<br />
es, die Lieferzeit teilweise von vier auf zwei Wochen zu reduzieren.<br />
Aber nicht nur die Kapazität, auch die Produktqualität ist gestiegen.
Um selbst kleinste Verunreinigungen zu vermeiden, werden alle<br />
Flaschen unter Reinraum-Bedingungen gewartet. So darf der Wartungsbereich<br />
nur mit reinraumtauglicher Bekleidung und durch eine<br />
Luftschleuse betreten werden.<br />
Die Reinigung, Aufbereitung und Abfüllung der <strong>Gas</strong>e, die<br />
als Rohware von der chemischen Industrie geliefert werden, erfolgt<br />
anschließend weitgehend automatisiert, Verunreinigungs-Schwankungen<br />
werden so vermieden. Außerdem können die Behälter nun<br />
in größeren Gebinden abgefüllt werden, als dies bislang möglich war.<br />
Bei der Qualitätssicherung setzt <strong>Linde</strong> im neuen Werk Prüfverfahren<br />
wie die <strong>Gas</strong>-Chromatografie und die Infrarot-Spektroskopie ein. Nun<br />
suchen die <strong>Linde</strong>-Experten in Unterschließheim nach Wegen, die Analyseverfahren<br />
weiter zu verfeinern, um beispielsweise den Feuchtgrad<br />
in korrosiven <strong>Gas</strong>en noch genauer bestimmen zu können und<br />
damit einer Beschädigung der Leitungsrohre langfristig vorzubeugen.<br />
„Wir sind das erste <strong>Linde</strong>-Werk, das eine Zertifizierung nach ISO-Norm<br />
TS 16949 erhalten hat“, freut sich Bomhard. „Wir können unsere <strong>Gas</strong>e<br />
damit nun leichter in die Automobilzulieferindustrie verkaufen, wo<br />
diese Norm flächendeckend gefordert wird.“<br />
Technologiewechsel bei solarzellen<br />
Eine Basis, auf der sich angesichts steigender Kundenanforderungen<br />
aufbauen lässt: Denn in Zukunft werden die Hersteller von Elektronikgasen<br />
ihren Kunden nicht nur die Produkt- und Prozessqualität nachweisen,<br />
sondern auch Fragen nach der Klimafreundlichkeit beantworten<br />
müssen. Schließlich wird sich die Wichtigkeit der Rolle, die<br />
Elektronikgase in der Halbleiterindustrie spielen, dramatisch erhöhen.<br />
Grund: Mit den Dünnschicht-Solarzellen (s. Kasten „Schön, schlank und<br />
sauber“) steht ein bedeutender Technologiewechsel bevor. Denn die<br />
auTOr:<br />
Frank Grünberg hat sich auf Technikgeschichten im Spannungsfeld<br />
von Wirtschaft und Wissenschaft spezialisiert.<br />
SchÖN, SchLANK UND SAUBER<br />
spEzIALGAsE // LINDE TECHNOLOGY<br />
53<br />
Technologisch unterscheidet Dünnschichtzellen von klassischen Solarzellen, dass sie nicht<br />
auf einen Silizium-Wafer bauen, sondern einen Träger aus Glas, Kunststoff oder Keramik<br />
besitzen. Ihre aktive Fotoschicht ist nur wenige Hundertstel Millimeter dick. Dünnschichtzellen<br />
lassen sich auch bereits während der Produktion strukturieren und zu Modulen ver-<br />
schalten. Statt wie bisher, Zellen von der Größe einer Untertasse per Hand zu großen<br />
Modulen zusammenzulöten, können nun Einheiten vom Ausmaß einer halben Zimmertür<br />
aus einem Guss gefertigt werden. Davon versprechen sich die Hersteller sinkende Produktionskosten.<br />
Schließlich bieten die Dünnschichtzellen optisch – zum Beispiel als Bestandteil<br />
einer Gebäudefassade – neue Möglichkeiten, da sie sich auch bedrucken lassen. Marktforscher<br />
erwarten, dass sich der Anteil der Dünnschicht-Technologie an der Gesamtproduktion<br />
von Solarmodulen in den kommenden Jahren von heute knapp sieben Prozent auf<br />
rund ein Viertel im Jahr 2010 erhöht.<br />
Solarzellen dieser neuen Generation werden nicht mehr auf Silizium-<br />
Wafern, sondern auf Glas, Folie oder Keramik gebaut. Die unstrukturierten<br />
Träger müssen daher zunächst einmal relativ dick mit Silizium<br />
überzogen werden, um ein elektronisches Fundament zu legen. Das<br />
macht sich auch in der Struktur der Produktionskosten bemerkbar:<br />
Während die <strong>Gas</strong>e bei konventionellen, kristallinen Solarzellen rund<br />
ein Prozent zu den Produktionskosten beitragen, klettert die Quote bei<br />
einfachen, amorphen Dünnschichtzellen auf bis zu acht Prozent, in der<br />
effizienteren Tandem-Version sogar auf 15 Prozent.<br />
fluorgas senkt kosten um bis zu 30 prozent<br />
Auch die Umweltbilanz der Dünnschicht-Solarzellen droht in Schieflage<br />
zu geraten, da mit den neuen Herstellungsverfahren der Reinigungsbedarf<br />
in den Epitaxiekammern wächst. Das Problem: Die<br />
gängigen Reinigungsgase Schwefelhexafluorid (SF6) und Stickstofftrifluorid<br />
(NF3) gelten als Klimakiller. So trägt ein NF3-Molekül rund<br />
11.000 Mal stärker zur Erderwärmung bei als ein Kohlendioxid-Molekül.<br />
Bei SF6 sind es sogar 22.000 Mal soviel.<br />
<strong>Linde</strong> will diese Herausforderungen technologisch lösen und<br />
hat einen Prozess entwickelt, der nicht genutztes SF6 aus der Epitaxiekammer<br />
in den Produktionsprozess zurückführt und die klimawirksamen<br />
Emissionen drastisch verringert. Mittelfristig setzt <strong>Linde</strong><br />
allerdings auf den Einsatz von reinem Fluorgas (F2). Denn: F2 ist<br />
klimaneutral und reinigt die Kammern effizienter als SF6 und NF3.<br />
Außerdem kann es direkt beim Kunden in großen Mengen produziert<br />
werden. „Mit einer On-Site-Fluorgas-Anlage könnten die Hersteller<br />
von Dünnschicht-Solarzellen ihre Kosten um bis zu 30 Prozent senken“,<br />
kalkuliert <strong>Linde</strong>-Manager Dean O´Connor. Die Umweltfreundlichkeit<br />
der Solarindustrie würde jedenfalls erheblich davon profitieren.<br />
LINkS:<br />
www.epia.org<br />
www.semiconductor.net<br />
www.solarbuzz.com<br />
www.sia-online.org
LINDE TECHNOLOGY // AussTELLuNG<br />
54<br />
<strong>Linde</strong> – HaupTsponsor der aussTeLLung<br />
neustart – Mobil ohne Öl?<br />
Vom 9. November 2007 bis zum 16. März <strong>2008</strong><br />
zeigte das Deutsche Technikmuseum Berlin<br />
„neuStart – Mobil ohne Öl? eine Ausstellung aus<br />
der Zukunft der Automobilität“: Originelle Exponate<br />
aus Automobilgeschichte und -gegenwart<br />
sowie interaktive Info-Terminals hinterfragten<br />
die „Faszination Auto“ vor dem Hintergrund von<br />
Klimawandel und Ressourcenknappheit. Welche<br />
Konzepte und Techniken sind heute schon verfügbar,<br />
und wie könnte der Individualverkehr im<br />
Jahre 2032 aussehen?<br />
LinkS:<br />
www.neustart-austellung.de<br />
Szenario 2032: Vision einer vollautomatischen<br />
Wasserstoff-Tankstelle.
Die<br />
Die<br />
Die<br />
Chancen<br />
Chancen<br />
Chancen<br />
früher<br />
früher<br />
früher<br />
begreifen!<br />
begreifen!<br />
begreifen!<br />
Sichern Sie sich jetzt 3 Hefte gratis!<br />
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Mehr infos unter www.technologyreview.de/linde<br />
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oder unter<br />
infos unter www.technologyreview.de/linde<br />
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05137-882002!<br />
05137-882002!<br />
unter www.technologyreview.de/linde<br />
oder unter 05137-882002!<br />
Deutschlands Technologiemagazin.<br />
Deutschlands Technologiemagazin.<br />
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Die Chancen früher begreifen.<br />
Die Chancen früher begreifen.<br />
Die Chancen früher begreifen.
Als eines der weltweit führenden <strong>Gas</strong>e- und Engineeringunternehmen<br />
entwickeln wir unter anderem nachhaltige Energielösungen für die zukunft.<br />
wasserstoff ist als ideales speichermedium für regenerative Energiequellen<br />
besonders geeignet. Im <strong>Linde</strong> Hydrogen Center bei münchen findet die<br />
emissionsarme wasserstofftechnologie bereits heute täglich Anwendung.<br />
Diese weltweit einzigartige Einrichtung dient neben der Betankung von<br />
wasserstoffbetriebenen fahrzeugen auch als Test- und Erprobungszentrum.<br />
weitere Informationen finden sie unter www.linde.com/hydrogen<br />
so sieht<br />
zukunft aus:<br />
Wir zeigen unsere<br />
innovative Wasserstofftechnik<br />
im <strong>Linde</strong> Hydrogen Center.