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Download Linde Technology 1 | 2008 (PDF 2,5 - Linde Gas

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Ausgabe<br />

#1.<br />

08<br />

TITELThEma: GaSE IN DEr mEDIzIN<br />

SchLaGaNfaLL<br />

Sauerstofftherapie schützt das Gehirn<br />

fOTOvOLTaIk<br />

Spezialgase für den Solarboom<br />

auGENchIrurGIE<br />

Laser-OP mit Spezialgasen<br />

hELIum<br />

Neue Quelle in Algerien<br />

LINDE<br />

TECHNOLOGY<br />

BEaTmuNG<br />

Die „Eiserne Lunge“ hat ausgedient<br />

cO 2 - SPEIchEr<br />

Sanfte Ruhe in der Tiefe<br />

EXPEDITION IN SachEN SauErSTOffThEraPIE<br />

FITNESSTEST AUF<br />

DEM EVEREST


LINDE TECHNOLOGY // ImprEssum<br />

02<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

<strong>Linde</strong> AG<br />

Leopoldstraße 252, 80807 München<br />

Telefon +49.89.35757-0<br />

Telefax +49.89.35757-1398<br />

www.linde.com<br />

redaktion:<br />

Verantwortlich: Stefan Metz, <strong>Linde</strong> AG;<br />

wissen + konzepte – Kommunikation für<br />

Forschung, Technik und Medizin, München<br />

Layout:<br />

Peter Schmidt Group, Hamburg<br />

Übersetzung:<br />

eurocom Translation Services GmbH, Wien<br />

Druck:<br />

Media Print, Paderborn<br />

Anfragen und Bestellungen an:<br />

<strong>Linde</strong> AG, Kommunikation<br />

Leopoldstraße 252, 80807 München<br />

oder stefan.metz@linde.com<br />

Diese Heftreihe sowie weitere Fachberichte<br />

stehen unter www.linde.com als <strong>Download</strong><br />

zur Verfügung.<br />

Nachdrucke oder elektronische Verbreitung<br />

nur mit Zustimmung des Herausgebers. Mit<br />

Ausnahme der gesetzlich zugelassenen Fälle<br />

(und bei vollständiger Quellenangabe) ist die<br />

Nutzung der Berichte aus „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“<br />

ohne Einwilligung des Herausgebers nicht<br />

gestattet.<br />

ISSN 1612-2224, Printed in Germany – <strong>2008</strong><br />

Eisige forschung: Bei einer Expedition auf den<br />

Gipfel des Mount Everest untersuchten britische<br />

Mediziner die Auswirkungen von Sauerstoffmangel<br />

auf den menschlichen Körper (siehe Seite 26).<br />

#1.<br />

08


Liebe Leserinnen<br />

und Leser,<br />

unser Unternehmen hat in den vergangenen Monaten den umfassendsten Konzernumbau in seiner<br />

fast 130-jährigen Geschichte vollzogen. Mit der Übernahme der britischen BOC Group haben wir aus<br />

<strong>Linde</strong> einen fokussierten, global ausgerichteten und weltweit führenden <strong>Gas</strong>e- und Anlagenbaukonzern<br />

geformt: The <strong>Linde</strong> Group. Wir sind für die Zukunft sehr robust und wetterfest aufgestellt und gehen deutlich<br />

gestärkt an die vor uns liegenden Aufgaben.<br />

Auch unser Magazin „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ hat einen Umbau erfahren und erscheint mit der vorliegenden<br />

Ausgabe erstmals in neuer Aufmachung. Dabei haben wir aber nicht nur das Gesicht des Magazins<br />

modernisiert. Auch inhaltlich bietet Ihnen die Redaktion jetzt noch mehr und vielfältigere Informationen<br />

aus der erweiterten Bandbreite von Technologien der neuen <strong>Linde</strong> Group: Internationale Autoren<br />

und Fotografen berichten aus allen Teilen der Welt und bringen von ihren Vor-Ort-Recherchen spannende<br />

Reportagen und Bilder mit aus Themenbereichen, die für uns alle immer wichtiger werden: Umwelt, Energie,<br />

Gesundheit.<br />

Beispielsweise erfahren Sie Interessantes über eine umweltschonende Aluminiumproduktion in<br />

Australien und den Bau einer Anlage der Superlative zur Produktion synthetischer Kraftstoffe in der arabischen<br />

Wüste.<br />

Mit dem Titelthema beleuchtet die Redaktion diesmal unsichtbare Helfer in der Medizin: gasförmige<br />

Arzneimittel. Denn egal, ob bei einer Expedition auf den Mount Everest oder bei der häuslichen<br />

Patientenversorgung – die Bedeutung medizinischer <strong>Gas</strong>e steigt kontinuierlich. Als einer der führenden<br />

Anbieter auf diesem Gebiet erfüllen wir mit unserer globalen Geschäftseinheit Healthcare nicht nur die<br />

strengen Anforderungen, wie sie für die Arzneimittelindustrie gelten, sondern engagieren uns darüber<br />

hinaus auch in der Forschung.<br />

Auch die weiteren Beispiele in diesem Heft bieten Ihnen einen Einblick in die vielfältigen Innovationen<br />

und Projekte, mit denen The <strong>Linde</strong> Group unsere Zukunft in den unterschiedlichsten Lebensbereichen<br />

mitgestalten wird.<br />

Ich wünsche Ihnen einen spannende Lektüre.<br />

Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Reitzle<br />

Vorsitzender des Vorstands der <strong>Linde</strong> AG<br />

EDIToRIAL<br />

EDITOrIAL // LINDE TECHNOLOGY<br />

03


LINDE TECHNOLOGY // INHALT<br />

04<br />

_26<br />

fOrSchuNGSEXPEDITION: Bluttest auf dem mount Everest<br />

_10<br />

hELIum: Neue Produktionsanlage in algerien<br />

_44<br />

aLumINIum: Treibhausgase in der Produktion reduzieren<br />

_50<br />

SOLarzELLEN: Spezialgase sind unentbehrlich


03 EDITOrIaL<br />

06 NEwS<br />

10 kaLTES GaS – hEISS BEGEhrT<br />

<strong>Linde</strong> sichert Heliumversorgung durch neue Produktionsanlagen<br />

16 waSSErSPruDLEr GEGEN DEN TrEIBhauSEffEkT<br />

<strong>Linde</strong>-CO 2 -Technologie für den Klimaschutz<br />

TITELThEMA<br />

20 DIE UNSIchTBAREN hELFER<br />

Wo <strong>Linde</strong>-<strong>Gas</strong>e in der Medizin Verwendung finden<br />

22 INTENSIVE hILFE FüRS GEhIRN<br />

Sauerstofftherapie bei Schlaganfall<br />

26 KLINISchE TESTS AUF DEM DAch DER WELT<br />

Medizinische Forschungsexpedition zum Mount Everest<br />

32 opERATIoN SchARFBLIcK<br />

<strong>Linde</strong>-Spezialgase für die Laserchirurgie<br />

36 DIE „EISERNE LUNGE“ hAT AUSGEDIENT<br />

Heimbeatmung erhöht die Lebensqualität von Patienten<br />

38 zErLEGTE wüSTENLufT<br />

Glänzende Zukunft für traditionsreiche <strong>Linde</strong>-Technologie<br />

44 aLumINIum auS DOwN uNDEr<br />

<strong>Linde</strong>-Technologie reduziert CO 2 -Ausstoß in der Metallgewinnung<br />

50 SONNIGE auSSIchTEN<br />

Spezialgase für die Halbleiter- und Solarzellenfertigung<br />

54 mOBIL OhNE ÖL?<br />

<strong>Linde</strong> ist Hauptsponsor der Ausstellung „neuStart“<br />

GASE IN DER MEDIzIN<br />

Ob in der klinik, im häuslichen umfeld oder bei rettungseinsätzen – medizinische <strong>Gas</strong>e spielen eine wichtige<br />

rolle für Gesundheit und wohlbefinden. <strong>Linde</strong> healthcare bietet medizinische <strong>Gas</strong>e, medizinprodukte und<br />

vielfältige Therapiekonzepte.<br />

INHALT // LINDE TECHNOLOGY<br />

05


LINDE TECHNOLOGY // NEws<br />

06<br />

NEWS<br />

WASSERSTOFF:<br />

MIT DEM BMW hyDRoGEN 7 AUF WELTToURNEE<br />

Gemeinsam mit BMW arbeitet The <strong>Linde</strong> Group intensiv an der Realisierung einer wasserstoffbasierten, nachhaltigen<br />

Mobilität. Als weltweit erster Hersteller präsentierte der Münchner Autokonzern mit dem Hydrogen 7 ein Wasserstoffauto,<br />

das den Serienentwicklungsprozess durchlaufen hat. Die Versorgung mit klimaneutralem Wasserstoff übernimmt<br />

The <strong>Linde</strong> Group und dokumentiert damit sowohl ihre Wasserstoff-Logistikkompetenz als auch ihre Ambitionen in Hinblick<br />

auf eine nachhaltige Wasserstofferzeugung. Vielerorts wird die Versorgung durch die mobile <strong>Linde</strong>-Betankungseinheit<br />

traiLH2 TM gewährleistet. Dank eines 1.000 Liter fassenden Wasserstoffspeichers und einer eigenen Stromversorgung<br />

mittels Brennstoffzelle ist der traiLH2 TM für eine flexible Kraftstoffversorgung ideal geeignet.<br />

Vom Hydrogen 7 hat BMW zunächst 100 Modelle in Kleinserie produziert und größtenteils an bekannte Persönlichkeiten<br />

aus Wirtschaft und Politik übergeben. Auch Professor Dr. Wolfgang Reitzle, Vorsitzender des Vorstands<br />

der <strong>Linde</strong> AG, fährt seit Mitte Juli 2007 einen BMW Hydrogen 7 mit bivalentem Wasserstoff-Verbrennungsmotor, der<br />

ihm von Professor Dr. Joachim Milberg, Vorsitzender des Aufsichtsrats der BMW Group, persönlich übergeben wurde.<br />

Die Betankung seines neuen Dienstwagens mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff erfolgt am <strong>Linde</strong> Hydrogen Center<br />

in Unterschleißheim, das auch bereits die BMW eigenen Erprobungsfahrzeuge versorgt.<br />

Als der führende Anbieter von Flüssigwasserstoff-Betankungstechnologie begleitet <strong>Linde</strong> auch die Veranstaltungen,<br />

die BMW weltweit unter dem Motto ‚Drive for the Future’ mit dem Hydrogen 7 absolviert – unter anderem<br />

in Shanghai, Beijing, Guangzhou und Hong Kong, wo zahlreiche chinesische Regierungsbeamte und Vertreter von<br />

Umweltschutzbehörden die Gelegenheit nutzten, den neuen Wasserstoff-BMW zu testen.<br />

ERDGASVERFLÜSSIGUNG:<br />

GLoBALE ALLIANz FüR<br />

oFFShoRE-LNG-ANLAGEN<br />

Die Bedeutung von Erdgas auf dem weltweiten Energiemarkt steigt<br />

kontinuierlich: Die Nachfrage nach Flüssigerdgas (LNG – Liquefied<br />

Natural <strong>Gas</strong>) wächst derzeit um rund 10 Prozent pro Jahr. Damit<br />

steigt auch der Bedarf an entsprechenden Offshore-Förder- und Produktionsanlagen.<br />

Deshalb hat <strong>Linde</strong> jetzt eine weltweite Technologie-<br />

allianz mit der niederländischen SBM Offshore N.V. gegründet, um<br />

schwimmende Anlagen zur Produktion, Speicherung und Verladung<br />

von LNG – so genannte FPSOs (Floating Production, Storage and Offloading<br />

units) – zu entwickeln und zu vermarkten. Die gewählte Anlagenkapazität<br />

der FPSOs zielt auf Offshore-Erdgasfelder ab, die zu weit<br />

entfernt oder zu klein für die konventionelle Grundlastförderung sind.<br />

In die Entwicklung fließen auch die Erfahrungen aus dem Bau der ersten<br />

europäischen Grundlast-LNG-Anlage für das norwegische Snøhvit-<br />

Projekt ein, die <strong>Linde</strong> nördlich des Polarkreises errichtet hat.<br />

Der Start der Erdgasproduktion auf der ersten LNG-FPSO ist<br />

für 2012 anvisiert.<br />

LNG-CARRIER:<br />

WIEDERVERFLüSSIGUNGSANLAGEN<br />

FüR NEUE TANKERFLoTTE<br />

Cryostar, eine Tochtergesellschaft der <strong>Linde</strong> Group und ein führender<br />

Ausrüster von Flüssigerdgas-(LNG-)Tankern, hat von Samsung Heavy<br />

Industries einen Auftrag mit einem Gesamtvolumen von mehr als<br />

50 Millionen US-Dollar erhalten. Als Teil dieses Auftrags liefert Cryostar<br />

Anlagen für die An-Bord-Wiederverflüssigung von Boil-Off-<strong>Gas</strong><br />

(Abdampfverlusten) für fünf LNG-Tanker, die bis <strong>2008</strong> gebaut werden.<br />

Die modernen Membrantanker mit einem maximalen Ladevolumen<br />

von 265.000 Kubikmetern sind die größten, die jemals gebaut<br />

wurden, und sind für den LNG-Transport zwischen Katar und den Vereinigten<br />

Staaten bestimmt.<br />

Je größer der Tanker, desto lohnender ist eine Wiederverflüssigung<br />

des Boil-Offs des bei minus 163 Grad Celsius an Bord gelagerten,<br />

verflüssigten Erdgases, um die Lieferung der vollen Ladekapazität<br />

zu gewährleisten.


CO 2-ABTRENNUNG:<br />

KoopERATIoN FüR SAUBERE<br />

KohLEKRAFTWERKE<br />

Experten sind sich einig: Kohle wird noch auf Jahrzehnte hinaus<br />

weltweit eine der tragenden Säulen der Energieversorgung sein.<br />

Aber etwa ein Drittel des weltweiten Ausstoßes von Kohlendioxid<br />

(CO 2) verursachen mit fossilen Brennstoffen betriebene Kraftwerke.<br />

Abhilfe verspricht die „Carbon capture and storage“(CCS)-<br />

Technologie, die derzeit im brandenburgischen Ketzin in der Praxis<br />

erprobt wird (siehe auch Seite 16 „Wassersprudler gegen Treibhauseffekt“).<br />

Doch bevor das <strong>Gas</strong> sicher gelagert werden kann, muss es<br />

zunächst aus den Abgasen der Kraftwerke abgetrennt werden. The<br />

<strong>Linde</strong> Group hat deshalb jetzt gemeinsam mit RWE Power und BASF<br />

die Entwicklung neuer Verfahren zur CO 2 -Abtrennung aus Verbrennungsabgasen<br />

von Kohlekraftwerken vereinbart. Die Zusammenarbeit<br />

sieht den Bau und den Betrieb einer Pilotanlage am Braunkohlekraftwerk<br />

Niederaußem der RWE Power AG vor, in der neu entwickelte<br />

Technologien und Lösungsmittel der BASF zur CO 2 -Abtrennung<br />

erprobt werden. <strong>Linde</strong> ist für das Engineering und den Bau der Pilotanlage<br />

zuständig. „Von dieser vielversprechenden Kooperation dreier<br />

verantwortungsbewusster Großunternehmen kann ein wichtiger<br />

Impuls für den Klimaschutz ausgehen“, sagte Dr. Aldo Belloni, Mitglied<br />

des Vorstands der <strong>Linde</strong> AG.<br />

Ziel ist es, die CO 2 -Abtrennung in Braunkohlekraftwerken<br />

bis 2020 kommerziell zum Einsatz zu bringen. Auf Grundlage dieser<br />

Technik könnten dann mehr als 90 Prozent des CO 2 aus den Verbrennungsabgasen<br />

eines Kraftwerks entfernt und anschließend einer<br />

Speicherung im Untergrund zugeführt werden.<br />

NEU IN LEUNA:<br />

WASSERSToFFVERFLüSSIGER UND LUFTzERLEGUNGSANLAGE<br />

1<br />

FOTOVOLTAIK:<br />

GASE FüR SoLARMoDULE<br />

AUS SpANIEN UND ÖSTERREIch<br />

NEws // LINDE TECHNOLOGY<br />

07<br />

Die Solarenergiebranche boomt – auch in Spanien, wo der Aufbau<br />

der landesweit ersten Produktionslinie für die Herstellung von extragroßen<br />

Dünnschicht-Solarmodulen derzeit in vollem Gange ist. <strong>Linde</strong><br />

Nippon Sanso – ein Joint Venture zwischen der <strong>Linde</strong> Group und der<br />

japanischen Taiyo Nippon Sanso – hat jetzt einen Vertrag mit dem<br />

spanischen Fotovoltaik-Unternehmen T-Solar Global S.A. über die<br />

Lieferung einer breiten Palette von hochreinen <strong>Gas</strong>en für die neue<br />

Solarmodul-Produktion geschlossen (siehe auch Seite 50 „Sonnige<br />

Aussichten“). Die neuen Module sollen rund fünfmal größer sein als<br />

derzeit übliche Fotovoltaikzellen und helfen dadurch, die Kosten für<br />

Solarstrom zu verringern. Extragroße Dünnschicht-Module sind wegen<br />

ihrer Kosteneffizienz und Leistungsfähigkeit auch unter hohen Außentemperaturen<br />

ideal für Freiflächen-Installationen und großflächige<br />

Applikationen geeignet.<br />

Ebenfalls erfolgreich war LNS in Österreich, wo das Unternehmen<br />

die neue Fertigung der Blue Chip Energy GmbH mit allen notwendigen<br />

<strong>Gas</strong>en versorgen wird. In der Solarzellen-Produktion werden<br />

große Mengen Stickstoff als Schutzgas verwendet, während Silan<br />

(SiH 4 ) und Ammoniak (NH 3 ) für die anti-reflektierende Beschichtung<br />

benötigt werden, die den Zellen ihre charakteristische blaue Farbe<br />

verleiht.<br />

Die erste Anlage dieser Art in Österreich wird ab Frühjahr<br />

<strong>2008</strong> jährlich rund 800.000 Quadratmeter Solarzellen herstellen –<br />

genug, um 16.000 Haushalte mit Strom zu versorgen.<br />

Im September 2007 hat <strong>Linde</strong> in Leuna Deutschlands zweite Wasserstoff-Verflüssigungsanlage sowie eine<br />

neue Luftzerlegungsanlage offiziell in Betrieb genommen. Die gesamten Erweiterungsinvestitionen am<br />

größten <strong>Gas</strong>e-Produktionsstandort von <strong>Linde</strong> in Deutschland belaufen sich auf rund 60 Millionen Euro.<br />

Tiefkalt verflüssigter Wasserstoff (LH 2 ) weist eine wesentlich höhere Speicherdichte als gasförmiger Wasserstoff<br />

auf, wodurch in erster Linie bei Transport und Logistik Effizienzvorteile erzielt werden. Deutschlands<br />

bisher einziger Wasserstoffverflüssiger – ebenfalls eine <strong>Linde</strong>-Anlage – steht in Ingolstadt. Zu den<br />

heutigen Hauptabnehmern zählt die Halbleiterindustrie, die wegen der sehr hohen Reinheit nahezu ausschließlich<br />

flüssigen Wasserstoff einsetzt. Der neue Verflüssiger mit einer Kapazität von ca. 3.000 Litern<br />

LH 2 pro Stunde (rund fünf Tonnen LH 2 pro Tag) wird von den benachbarten Wasserstoff-Produktionsanlagen<br />

über eine Pipeline mit dem gasförmigen Rohprodukt versorgt.<br />

Der neue Luftzerleger hat eine Kapazität von 33.000 Kubikmetern Sauerstoff pro Stunde<br />

(1.130 Tonnen Sauerstoff pro Tag). Der größte Teil des Sauerstoffs wird in das lokale Rohrleitungsnetzwerk<br />

eingespeist und dient der Versorgung der dortigen Raffinerie. Außerdem werden Argon sowie kleinere<br />

Mengen weiterer Edelgase produziert.


LINDE TECHNOLOGY // NEws<br />

08<br />

Im Dezember 2007 hat <strong>Linde</strong> mit dem staatlichen Erdölkonzern The<br />

Abu Dhabi National Oil Corporation (ADNOC), Vereinigte Arabische<br />

Emirate, ein Joint Venture zur langfristigen Industriegase-Versorgung<br />

von Kunden in Abu Dhabi gegründet. An dem neuen Gemeinschaftsunternehmen,<br />

das unter dem Namen „Elixier“ am Markt auftritt, wird<br />

ADNOC 51 Prozent der Anteile halten, <strong>Linde</strong> 49 Prozent.<br />

„ADNOC hat Zugang zu rund 90 Prozent der Erdöl- und <strong>Gas</strong>vorkommen<br />

in Abu Dhabi. Diese Reserven gelten als die viertgrößten<br />

weltweit“, erläuterte Dr. Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der<br />

<strong>Linde</strong> AG, die strategische Bedeutung des Abkommens.<br />

SCHWEIZ:<br />

BERTRAMS hEATEc GEKAUFT<br />

Solarkraftanlagen bieten großes Wachstumspotenzial. Mit der Akquisition<br />

der Schweizer Anlagenbaugesellschaft Bertrams Heatec AG will<br />

sich The <strong>Linde</strong> Group neue Geschäftsfelder im Segment Wärmeträgeranlagen<br />

erschließen. Die Bertrams Heatec AG mit Sitz in Pratteln<br />

(bei Basel), Schweiz, ist ein führender Spezialist im Bau von Anlagen<br />

zur sicheren Übertragung von Prozesswärme, vor allem in der chemischen<br />

und petrochemischen Industrie. Diese Anlagen werden für die<br />

Herstellung von Kunstfasern, Kunstharzen (Melamin), bei der Aluminiumoxid-<br />

oder Farbproduktion, aber auch in der Textil- und Lebensmittelindustrie<br />

sowie in Solarkraftwerken eingesetzt. Das Unternehmen<br />

hat im Geschäftsjahr 2006 mit 35 Mitarbeitern einen Umsatz von<br />

rund 15 Millionen Euro erzielt. <strong>Linde</strong> wird Bertrams Heatec als eigenständige<br />

Tochtergesellschaft weiterführen.<br />

DEUTSCHLAND:<br />

FüNF NEUE SpALTÖFEN FüR GELSENKIRchEN<br />

Für die Ethylenanlage der Deutschen BP in Gelsenkirchen-Scholven<br />

sind im August 2007 fünf neue Spaltöfen installiert worden. Das<br />

Ungewöhnliche daran: Die Öfen, jeweils 46 Meter hoch und 2.500<br />

Tonnen schwer, wurden während eines planmäßigen Anlagenstillstands<br />

auf Rädern (genauer gesagt auf so genannten self-propelled<br />

modular trailern) dorthin transportiert, wo zuvor noch 17 alte Spaltöfen<br />

aus den 70er Jahren standen. Das innovative Montagekonzept<br />

der <strong>Linde</strong>-Division Engineering stellt die Lösung für die engen räumlichen<br />

und zeitlichen Restriktionen vor Ort dar. So war es möglich,<br />

einen wesentlichen Anlagenteil innerhalb von nur 35 Tagen grundlegend<br />

zu erneuern, langfristig wettbewerbsfähig zu machen und dabei<br />

aktuellen Umweltstandards gerecht zu werden.<br />

ABU DHABI:<br />

JoINT VENTURE MIT STAATLIchEM ERDÖLKoNzERN ADNoc GEGRüNDET<br />

„Elixier“ wird in einer ersten Phase für rund 65 Millionen US-Dollar<br />

eine Luftzerlegungsanlage im Industriegebiet Ruwais, Abu Dhabi,<br />

errichten. Die neue Anlage soll ab Ende 2009 Industriekunden in<br />

Ruwais mit Stickstoff versorgen und wird darüber hinaus verflüssigten<br />

Stickstoff und Sauerstoff erzeugen.<br />

Die enormen Erdgasvorkommen in den Vereinigten Arabi-<br />

schen Emiraten werden von ADNOC sowohl Onshore als auch Offshore<br />

erschlossen und in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG) exportiert<br />

beziehungsweise der lokalen Energieversorgung und den verschiedenen<br />

Industrien zugeführt.


NORWEGEN:<br />

WEITERE AUFTRäGE FüR ERDGASVERFLüSSIGUNG<br />

CHINA:<br />

ExKLUSIVER GASE-VERSoRGUNGSVERTRAG<br />

MIT NINGBo WANhUA poLyUREThANE<br />

The <strong>Linde</strong> Group hat einen langfristigen Versorgungsvertrag mit<br />

Ningbo Wanhua Polyurethane, einem der am schnellsten wachsenden<br />

Polyurethan-Hersteller Chinas, unterzeichnet. <strong>Linde</strong> wird ab 2010<br />

die Großanlagen von Wanhua in Ningbo mit Sauerstoff und Stickstoff<br />

beliefern. Diese Kooperation ist mit Investitionen in Höhe von rund<br />

125 Million US-Dollar verbunden, der bisher größten Einzelinvestition<br />

von <strong>Linde</strong> in China.<br />

NEws // LINDE TECHNOLOGY<br />

09<br />

Skangass AS, ein Joint Venture zwischen dem Versorgungsunternehmen Lyse <strong>Gas</strong>s und Finanzinvestor Celsius Invest, hat der <strong>Linde</strong> Group einen<br />

Auftrag über den schlüsselfertigen Bau einer Erdgasverflüssigungsanlage in Risavika nahe Stavanger, Norwegen, erteilt. Der Auftragswert<br />

beträgt rund 100 Millionen Euro. Die Erdgasverflüssigungsanlage hat eine Kapazität von 300.000 Tonnen pro Jahr und wird ab 2010 Kunden in<br />

Skandinavien und im baltischen Raum mit Flüssigerdgas (LNG) versorgen. Die <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft AGA <strong>Gas</strong> AB, Marktführer bei Industriegasen<br />

in Schweden, wird ein Sechstel der Gesamtmenge abnehmen und selbst vertreiben. Dank eines sehr energieeffizienten Verflüssigungsprozesses,<br />

den <strong>Linde</strong> selbst entwickelt hat, wird die neue Anlage wesentlich weniger Emissionen verursachen als vergleichbare Einheiten.<br />

Außerdem hat die Division Engineering der <strong>Linde</strong> Group von dem norwegischen Öl- und Erdgaskonzern StatoilHydro den Auftrag über<br />

Planungs- und Ingenieurleistungen für das so genannte „Kollsnes <strong>Gas</strong> Network Extension Project“ erhalten. Das Projekt umfasst einen weiteren<br />

Anlagenstrang zur Taupunktseinstellung des in Kollsnes/Norwegen angelandeten Erdgases und zwei Erdgasverdichterstränge mit<br />

einer Erdgasexportkapazität von jeweils 33 Millionen Normkubikmetern pro Tag sowie dazugehörige Nebenanlagen. Dadurch erhöht sich die<br />

Gesamt-exportkapazität des Standorts Kollsnes auf 183 Millionen Normkubikmeter Erdgas täglich.<br />

<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Ningbo, eine einhundertprozentige <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft,<br />

wird zwei Luftzerlegungsanlagen sowie eine neue, 30 Kilometer<br />

lange Pipeline errichten. Die Anlage wird sowohl Wanhua als auch<br />

Ningbo Steel mit <strong>Gas</strong>en beliefern. Zudem werden täglich 800 Tonnen<br />

(tpd) flüssiger Stickstoff und Sauerstoff sowie die Edelgase Krypton<br />

und Xenon für den freien Markt produziert. Mit der Inbetriebnahme<br />

der neuen Anlage 2010 wird <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Ningbo zum größten Hersteller<br />

von Luftgasen in China.<br />

SHANGHAI UND HAMBURG:<br />

WASSERSToFF-TANKSTELLEN ERÖFFNET<br />

Die chinesische Regierung hat im November 2007 die erste Wasserstoff-Tankstelle in Shanghai offi-<br />

ziell eröffnet. Sie wurde von <strong>Linde</strong>, der chinesischen Elite-Universität Tongji und Shell Hydrogen gemeinsam<br />

konzipiert und gebaut und ist Teil des „National 863“-Programms, das die Kommerzialisierung von<br />

Brennstoffzellen-Fahrzeugen vorantreibt. <strong>Linde</strong> versorgt die Tankstelle mit komprimiertem, gasförmigem<br />

Wasserstoff (CGH 2 ). Die Technologie zur Speicherung des Wasserstoffs sowie das Betankungssystem wurden<br />

ebenfalls von <strong>Linde</strong> mitentwickelt.<br />

Auch am Flughafen Hamburg hat eine von <strong>Linde</strong> entwickelte und gebaute Wasserstoff-Tankstelle<br />

den Betrieb aufgenommen. Die transportable Versorgungseinheit dient der Betankung von zwei brennstoffzellenbetriebenen<br />

Schleppern und einem Kleintransporter. Das Projekt ist eine Kooperation der Hamburger<br />

Landesinitiative für Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie, dem Hamburger Flughafen, der<br />

Wasserstoffgesellschaft Hamburg und The <strong>Linde</strong> Group. Die Klimaneutralität des verwendeten Wasserstoffs<br />

wird durch den Zukauf von CO 2-Zertifikaten gewährleistet.


LINDE TECHNOLOGY // HELIum<br />

10<br />

helium direkt aus der Quelle:<br />

In der so genannten Truckstation<br />

wird das verflüssigte Edelgas in<br />

spezielle Lkw zum weitertransport<br />

abgefüllt. Die anlage in algerien<br />

stellt einen weiteren meilenstein in<br />

der <strong>Linde</strong>-heliumstrategie dar.<br />

Fotos: <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong><br />

Autorin: Andrea Gruß<br />

1<br />

1


Skikda<br />

KALTES GAS –<br />

hEISS BEGEhRT<br />

<strong>Linde</strong> sichert heliumversorgung<br />

durch neue produktionsanlagen<br />

In der algerischen Küstenstadt Skikda, nahe der tunesische Grenze,<br />

tummeln sich in den Sommermonaten gerne inländische Touristen.<br />

Das Strandgelände lädt zum Bummel ein. Im Hafen der rund 170.000<br />

Einwohner zählenden Stadt ankern seit neustem aber immer öfter<br />

Schiffe mit kalten Containern. Sie werden hier mit Helium befüllt und<br />

transportieren das edle <strong>Gas</strong>, verflüssigt bei minus 269 Grad Celsius,<br />

übers Mittelmeer nach Marseille. Denn seit April 2007 verfügt Skikda<br />

über eine der weltgrößten Heliumgewinnungsanlagen, an der The<br />

<strong>Linde</strong> Group zu 51 Prozent beteiligt ist: Derzeit erzeugt sie pro Jahr<br />

etwa 8,5 Millionen Kubikmeter des Edelgases, das sind rund fünf Prozent<br />

der Weltproduktion. In den kommenden Jahren soll die Kapazität<br />

aber mehr als verdoppelt werden. Denn Helium ist sehr gefragt:<br />

Die Preise für das seltene <strong>Gas</strong> sind in den vergangenen Jahren stark<br />

angestiegen.<br />

Der weltweite Heliumverbrauch steigt derzeit um drei bis fünf<br />

Prozent pro Jahr. Denn das Edelgas kombiniert eine Reihe ungewöhnlicher<br />

Eigenschaften: Es ist das Element mit dem niedrigsten Siedepunkt,<br />

nach Wasserstoff das leichteste <strong>Gas</strong>, ungiftig und nicht brennbar.<br />

Zudem weist es eine hohe Wärmeleitfähigkeit auf. All dies macht<br />

es in vielen Anwendungsfeldern der Medizin, Industrie und For-<br />

HELIum // LINDE TECHNOLOGY<br />

11<br />

Für starke Magnetfelder, glatte Schweißnähte oder leichte Ballons – der Nutzen von Helium ist<br />

vielfältig. Weltweit steigt der jährliche Verbrauch um drei bis fünf Prozent. Auf der Sonne reichlich<br />

vorhanden, sind die Ressourcen des Edelgases auf der Erde aber dünn gesät. In Algerien hat <strong>Linde</strong><br />

eine weitere Heliumproduktion in Betrieb genommen – um die wachsende Nachfrage nach dem<br />

Edelgas zu decken.<br />

schung unersetzlich. Etwa ein Drittel des Verbrauchs fällt dabei auf<br />

Anwendungen, bei denen flüssiges Helium beispielsweise zur Kühlung<br />

von Supraleitern eingesetzt wird – eine besonders wachstumsstarke<br />

Anwendung.<br />

Um die stetig steigende Nachfrage schnell und wirtschaftlich<br />

befriedigen zu können und die weltweite Heliumversorgung seiner<br />

Kunden sicherzustellen, gründete <strong>Linde</strong> mit der algerischen Firma<br />

Sonatrach zwei Unternehmen: die Helison Production S.P.A., verantwortlich<br />

für die Produktion von flüssigem Helium, und die Helison<br />

Marketing Ltd., verantwortlich für die erfolgreiche Vermarktung des<br />

Heliums aus Skikda. Für <strong>Linde</strong> ist die Inbetriebnahme der Anlage in<br />

Skikda ein strategisch wichtiger Schritt, da der Konzern damit über<br />

einen weiteren direkten Zugang zu einer Rohheliumquelle verfügt.<br />

The <strong>Linde</strong> Group besetzt damit weltweit eine der führenden Positionen<br />

im Heliumgeschäft – in einem derzeit schwierigen Marktumfeld.<br />

Bereits im Jahr 1921 baute <strong>Linde</strong> einen ersten großtechnischen<br />

Heliumverflüssiger in den USA. Damals erzeugte dieser drei<br />

bis vier Liter Helium pro Stunde. Moderne Anlagen erreichen heute<br />

dagegen eine Verflüssigungsleistung von mehr als 3.500 Litern pro<br />

Stunde. Mehr als 500 Heliumverflüssiger in Grössenordnungen von


LINDE TECHNOLOGY // HELIum<br />

12<br />

20 bis über 3.500 Litern pro Stunde Verflüssigungsleistung hat <strong>Linde</strong><br />

weltweit bereits errichtet. Helium – auch Kind der Sonne genannt und<br />

im Universum nach Wasserstoff das zweithäufigste Element – ist auf<br />

der Erde ein seltener und nicht erneuerbarer Rohstoff. Das Edelgas ist<br />

nur in geringen Mengen – zu etwa 0,0005 Volumenprozent – in der<br />

Erdatmosphäre enthalten und kann deshalb im Gegensatz zu anderen<br />

Industrie- und Spezialgasen nicht durch Luftzerlegung gewonnen<br />

werden. Eine wirtschaftliche Produktion ist nur in Verbindung mit<br />

der Erdgasaufbereitung und einem Heliumrohgehalt von mindestens<br />

0,2 Prozent möglich. Aber nur an wenigen Stellen der Erde hat sich<br />

das Element, das sich nur unter bestimmten geologischen Bedingungen<br />

durch radioaktiven Zerfall im Erdreich bildet, auf solch hohe<br />

Konzentration angereichert. Allein Erdgaslagerstätten in Nordamerika,<br />

Russland, Polen, Nordafrika und im Persischen Golf sowie Australien<br />

und Indonesien erfüllen diese Voraussetzung. Die erste heliumreiche<br />

Erdgasquelle wurde vor rund 100 Jahren in den USA entdeckt,<br />

weitere folgten. Über viele Jahrzehnte waren die Vereinigten Staaten<br />

auch der größte Produzent dieses Edelgases. Auch heute noch stammen<br />

große Teile der globalen Heliumproduktion, die im Jahr 2006 auf<br />

etwa 160 Millionen Kubikmeter geschätzt wurde, aus Nordamerika.<br />

Weltweit gibt es derzeit nur vier weitere Quellen außerhalb den USA,<br />

aus denen Helium wirtschaftlich gewonnen wird: Algerien, Polen,<br />

Katar und Russland.<br />

Joint Venture zur Heliumgewinnung<br />

Während Prognosen einen Rückgang der US-Heliumgewinnung aus<br />

der laufenden Erdgasproduktion um etwa fünf bis zehn Prozent voraussagen,<br />

werden in Russland, Katar, Ozeanien und Algerien neue<br />

Heliumressourcen erschlossen. In Algerien, das über sehr große Erdgasvorkommen<br />

verfügt, nutzt man das Potenzial der heliumreichen<br />

<strong>Gas</strong>quellen erst seit rund 15 Jahren. Der staatliche Energieversorger<br />

Sonatrach fördert Erdgas aus der Lagerstätte Hassi R’Mel in der Saha ra<br />

und transportiert es über Pipelines nach Spanien und Italien sowie<br />

in zwei Hafenstädte im Westen und Osten des Landes. Dort wird das<br />

Erdgas für den weiteren Transport per Schiff in großen LNG-Anlagen<br />

(LNG: Liquefied Natural <strong>Gas</strong>) verflüssigt. „Lange Zeit wurde das<br />

Restgas bei der Erdgasverflüssigung verbrannt und das darin enthaltene<br />

Helium in die Luft geblasen“, erinnert sich Klaus Brandl, Director<br />

Helium für Europa, den mittleren Osten und Afrika. Seit Mitte der<br />

1990er Jahre betreibt Sonatrach einen ersten Heliumverflüssiger in<br />

Arzew im Westen des Landes und startete erfolgreich gemeinsam mit<br />

<strong>Linde</strong> in Skikda im April 2007 die zweite Heliumproduktion. Bei der<br />

Verflüssigung von Erdgas aus heliumreichen Quellen bleibt ein <strong>Gas</strong>gemisch<br />

aus niedrig siedenden Komponenten wie Methan, Stickstoff,<br />

Wasserstoff und verschiedenen Kohlenwasserstoffen zurück, das in<br />

Algerien etwa fünf Prozent Helium enthält. Im Vergleich zu anderen<br />

Quellen ist der Heliumanteil des algerischen Erdgases gering. Da aber<br />

Sonatrach gleich mehrere LNG-Anlagen in Skikda betreibt und sehr<br />

große Mengen an Erdgas verflüssigt, wird die Heliumproduktion auch<br />

dort wirtschaftlich interessant. Das „Abfallprodukt“ der Erdgasverflüssigung<br />

ist zugleich der Rohstoff für die Heliumgewinnung. Diesen liefert<br />

Sonatrach dann zur weiteren Verarbeitung via Pipeline an das<br />

Joint Venture Helison Production (Helison: Helium <strong>Linde</strong> Sonatrach),<br />

an dem der <strong>Linde</strong>-Konzern 51 Prozent der Anteile hält. Das Gemeinschaftsunternehmen<br />

wurde im Jahr 2003 für den Betrieb der Heliumgewinnung<br />

in Skikda gegründet. Den Bau und die Planung bezüglich<br />

Erzeugung und Verflüssigung übernahm dabei ein Team von<br />

40 Experten der <strong>Linde</strong> Divison Engineering. Die Heliumgewinnung ist ein<br />

kältetechnischer Prozess, bei dem man ein Gemisch niedrig siedender<br />

<strong>Gas</strong>e durch Abkühlung und Verflüssigung auftrennt. In einem ersten<br />

Schritt wird die heliumreiche <strong>Gas</strong>mixtur im Tieftemperaturprozess<br />

angereichert und bei minus 180 Grad Celcius weitgehend von Methan<br />

und Stickstoff befreit. Dies geschieht in<br />

einer so genannten Coldbox, die mehrere,<br />

acht Meter lange Plattenwärmetauscher<br />

aus Aluminium, Kolonnen,<br />

Rohrleitungen und Ventile in einer gut<br />

isolierten Hülle vereint. Die Coldbox<br />

gelangt verschweißt und fertig montiert<br />

zur Baustelle. Das verkürzt die<br />

Montagezeit vor Ort.<br />

Auch nach der Tieftemperaturtrennung<br />

enthält das Rohgas (Heliumanteil<br />

> 95 Prozent) noch zuviel Stickstoff<br />

und Methan, um es direkt verflüssigen<br />

zu können. Denn die <strong>Gas</strong>e würden<br />

bei der Verflüssigung gefrieren. Deshalb<br />

wird das angereicherte Helium<br />

zunächst bei Umgebungstemperatur<br />

in einer so genannten Druckwechseladsorptionsanlage<br />

gereinigt. Zurück<br />

DAS ELEMENT<br />

hELIUM WURDE<br />

WEGEN SEINES<br />

VoRKoMMENS<br />

AUF DER SoNNE<br />

NAch DER<br />

GRIEchISchEN<br />

BEzEIchNUNG<br />

FüR UNSER<br />

zENTRALGESTIRN<br />

(SoNNE = hELIoS)<br />

BENANNT.<br />

bleibt gasförmiges Helium mit einer Reinheit von 99,999 Prozent.<br />

Auch dieser Anlagenteil gehörte in Skikda zum <strong>Linde</strong>-Lieferumfang.<br />

Nach der Reinigung wird das Helium für den weiteren Transport verflüssigt.<br />

Das Prinzip eines Heliumverflüssigers gleicht dem der Luftverflüssigung<br />

nach dem <strong>Linde</strong>-Verfahren, benötigt jedoch drei Kühlstufen<br />

zur Abkühlung des Edelgases bis auf minus 269 Grad Celcius. Zunächst<br />

wird das Helium bei einem Druck von etwa 2 Mega pascal oder<br />

20 bar durch Rückführung von bereits kaltem Heliumgas und Verdampfung<br />

von flüssigem Stickstoff auf minus 193 Grad Celcius abgekühlt.<br />

Für die weitere Abkühlung bis zur Verflüssigungstemperatur sorgt<br />

ein so genannter Turboexpander, gebaut von den Tieftemperatur-<br />

Experten der <strong>Linde</strong> Kryotechnik AG aus Pfungen in der Schweiz. An-<br />

schließend wird ein Teil des Heliums verflüssigt und in supervakuumisolierte<br />

Container mit einer Kapazität von etwa 27.000 Kubikmetern<br />

abgefüllt. So verpackt, verdampfen nur etwa 0,3 Prozent des Heliums<br />

pro Tag und das flüssige Edelgas kann seine Reise nach Europa an<br />

Bord eines Container-Schiffs beginnen.<br />

Logistikzentrum in südfrankreich<br />

Das Helium aus Skikda ist in erster Linie für den europäischen Markt<br />

bestimmt. Es wird von Algerien binnen weniger Tage in die französische<br />

Hafenstadt Berre nahe Marseille verschifft. Dort hat <strong>Linde</strong> im<br />

Februar 2006 ein Heliumlogistikzentrum eröffnet. In Berre werden<br />

auf 13.500 Quadratmetern Fläche die in Marseille angelandeten Spezialcontainer<br />

mit flüssigem Helium zwischengelagert. Von dort wird


HELIumprODukTION uND -rEsErVEN<br />

Quelle: U.S. Geological Survey; Januar 2007<br />

* geschätzt<br />

Produktion / Jahr 2006 * (in mio. m3) reserven (in mio. m 3)<br />

uSa (aus Erdgas) 76 8.300<br />

uSa (cliffside-Speicher **) 58 –<br />

algerien 22 8.400<br />

kanada – 2.000<br />

china – 1.100<br />

Polen 3 280<br />

katar 7 10.000<br />

russland 7 6.700<br />

andere – 2.800<br />

weltweit (gerundet) 170 40.000 DIE fAkTEN<br />

** Der Rohheliumspeicher im texanischen Cliffside sicherte seit den 1960er Jahren den langfristigen<br />

Heliumbedarf von NASA und Airforce. Hier lagerte die bis zu zehnfache Menge der Weltjahresproduktion.<br />

Das Helium-Privatisierungsgesetz von 1996 sieht eine deutliche Reduktion dieses<br />

Bestands bis zum Jahr 2015 vor. Quelle: U.S. Geological Survey; Januar 2006<br />

Name helium<br />

Gruppe Edelgase<br />

Ordnungszahl 2<br />

aussehen farbloses <strong>Gas</strong><br />

Dichte 0,1785 kg·m-3<br />

Siedepunkt −268,93 °c<br />

wärmeleitfähigkeit 0,152 w/(m·k)<br />

relative atommasse 4,002602 g / mol<br />

HELIum // LINDE TECHNOLOGY<br />

13<br />

hELIUM<br />

Edelgas in alle welt: von der algerischen hafenstadt Skikda,<br />

nahe der tunesischen Grenze, beginnt der weg des heliums<br />

zu anwendungen in Quantenoptik, Nanotechnologie und<br />

medizintechnik.


LINDE TECHNOLOGY // HELIum<br />

14<br />

aufwändige Technik:<br />

Die heliumgewinnung ist<br />

ein kältetechnischer prozess,<br />

bei dem man ein Gemisch<br />

niedrig siedender <strong>Gas</strong>e durch<br />

Abkühlung und Verflüssigung<br />

auftrennt. Das prinzip eines<br />

heliumverflüssigers gleicht dem<br />

der Luftverflüssigung nach<br />

dem <strong>Linde</strong>-Verfahren, benötigt<br />

jedoch drei Kühlstufen<br />

zur Abkühlung des Edelgases<br />

bis auf minus 269 Grad celcius.


IN 100 LITERN<br />

LUFT BEFINDEN<br />

SIch NUR RUND<br />

0,5 MILLILITER<br />

hELIUM.<br />

dann das Helium sicher und pünktlich auf zwölf europäische Abfüll-<br />

und Lagerstationen und anschließend an die Kunden in Europa und<br />

darüber hinaus verteilt. Pro Woche werden bis zu sieben Container<br />

aus Skikda gelöscht. Auf dem Gelände der Heliumlogistikplattform<br />

werden außerdem die teuren Helium-Container gereinigt und gewartet,<br />

bevor sie im regelmäßigen Schiffsverkehr leer nach Skikda zur<br />

erneuten Befüllung zurückgeschickt werden.<br />

„Auch die eigene Produktion dieser Helium-Container war ein<br />

wichtiger strategischer Schritt für <strong>Linde</strong>, um unseren Kunden speziell<br />

optimierte Transportbehälter anbieten zu können“, erklärt Brandl.<br />

Die schwedische <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft Cryo AB hat zu diesem<br />

Zweck eigene Tankcontainer für den Transport von flüssigem Helium<br />

mit einem Fassungsvermögen von etwa 36.000 Litern entwickelt. In<br />

diesem Tankcontainer können rund 28.000 Kubikmeter gasförmiges<br />

Helium verflüssigt transportiert werden. In speziellen Flüssiggasbehältern<br />

oder gasförmig in Trailern und Druckgasflaschen gelangt das<br />

Helium anschließend zum Kunden. Der Transport des Heliums von<br />

Algerien bis zum Endkunden nach Europa nimmt nur etwa ein Drittel<br />

der Zeit in Anspruch, die eine Lieferung aus US-Quellen benötigt.<br />

Skikda stellt einen weiteren Meilenstein in der <strong>Linde</strong>-Heliumstrategie<br />

dar: Bereits im Mai 2006 hat die <strong>Linde</strong> Group ein neues Distributionszentrum<br />

für Helium in den USA in Betrieb genommen. Von<br />

Montgomery bei Chicago aus versorgt der Konzern seitdem die Kunden<br />

im gesamten Mittleren Westen der USA mit gasförmigem und<br />

flüssigem Helium sowie mit allen dazugehörenden Dienstleistungen.<br />

Die neue, ausschließlich auf Helium spezialisierte Distributionseinrichtung<br />

in Montgomery ersetzt die bisherige Heliumverteilung des<br />

auTOrIN:<br />

Andrea Gruß arbeitet als Wirtschafts- und Wissenschaftsjournalistin<br />

in Darmstadt und ist als Autorin für Kindersachbücher tätig.<br />

HELIum // LINDE TECHNOLOGY<br />

15<br />

Standorts Carol Stream, Illinois. Das weltweite Heliumnetzwerk wurde<br />

auch durch ein neues Distributionszentrum in Dubai ergänzt. Von dieser<br />

ersten <strong>Linde</strong>-Anlage in den Vereinigten Arabischen Emiraten aus<br />

beliefert der Konzern seit September 2006 Kunden im Mittleren Osten<br />

und in Asien mit flüssigem und gasförmigem Helium aus Katar. Diese<br />

Heliumquelle ist die bislang erste und einzige im Mittleren Osten und<br />

verarbeitet Erdgas aus Katars riesigem North Field.<br />

position im Heliummarkt weiter ausbauen<br />

Zur Sicherung der weltweiten Heliumversorgung investiert <strong>Linde</strong> aber<br />

auch weiter in eigene Heliumproduktionsanlagen: So begannen 2006<br />

in Australien die Vorarbeiten zum Bau der ersten eigenen Produktionsanlage<br />

für flüssiges Helium in der südlichen Hemisphäre. Die neue<br />

Anlage, eine von nur 15 auf der gesamten Welt, wird nach ihrer Fertigstellung<br />

das Helium aus dem Erdgas einer neuen Erdgasverflüssigungsanlage<br />

von Darwin LNG gewinnen, verflüssigen, reinigen und<br />

in Tankcontainern auf dem australischen Markt, aber auch in Neuseeland<br />

und Asien vertreiben. Die neue Anlage soll jährlich rund<br />

4,2 Millionen Kubikmeter Flüssig-Helium produzieren, das sind zwischen<br />

zwei und drei Prozent der weltweiten Nachfrage.<br />

Und <strong>Linde</strong> will seine Position auf dem Weltmarkt auch weiter<br />

ausbauen: „Unser mittelfristiges Ziel ist es, den Anteil am weltweiten<br />

Heliummarkt um weitere Prozentpunkte zu steigern, und wir fokussieren<br />

daher unser Geschäft auf wachstumsstarke Regionen“, erklärt<br />

Brandl, der einige Regionen dieser Erde kennt, „wo es zwar heute<br />

noch keine Straßen, aber vielleicht schon bald Heliumproduktionsstätten<br />

gibt“.<br />

LINkS:<br />

www.linde-kryotechnik.ch<br />

www.sonatrach-dz.com<br />

www.wilayadeskikda.com<br />

www.linde-gas.de<br />

www.helison.ch


LINDE TECHNOLOGY // CO 2 sINk<br />

16<br />

CO 2-sEquEsTrIEruNG<br />

mIT LINDE-TECHNOLOGIE<br />

Zur Abtrennung und umweltverträglichen<br />

unterirdischen<br />

Speicherung von CO 2 kommt<br />

<strong>Linde</strong>-Technologie auch in<br />

anderen Projekten zum Einsatz.<br />

So liefert der Konzern für die<br />

Pilotanlage des Energiekonzerns<br />

Vattenfall in Schwarze Pumpe in<br />

der Lausitz Komponenten für ein<br />

emissionsarmes Kraftwerk auf<br />

Basis der Oxyfuel-Technologie.<br />

Das Kraftwerk mit 30 Megawatt<br />

Leistung soll <strong>2008</strong> in Betrieb<br />

gehen. In Schwarze Pumpe soll<br />

im nächsten Jahrzehnt zudem<br />

ein Oxyfuel-Kraftwerk mit 250<br />

bis 600 Megawatt Leistung<br />

errichtet werden, gefolgt von<br />

einer kommerziellen Anlage im<br />

Jahr 2020 mit 1.000 Megawatt<br />

Leistung zu wettbewerbsfähigen<br />

Stromerzeugungskosten.<br />

Ein weiteres Beispiel für die<br />

CO 2 -Sequestrierung ist die<br />

Erdgas verflüssigungsanlage in<br />

Hammerfest, Norwegen. Die von<br />

<strong>Linde</strong> errichtete Anlage ist die<br />

weltweit erste, in der das im<br />

Erdgas enthaltene Kohlendioxid<br />

nicht nur physikalisch abgetrennt,<br />

sondern nach dem<br />

Prozess entfeuchtet, verdichtet<br />

und in die Lagerstätte zurückgepumpt<br />

werden kann. So<br />

gelangen rund 700.000 Tonnen<br />

CO 2 pro Jahr weniger in die<br />

Atmosphäre.<br />

Bohren für die forschung: In Ketzin<br />

untersuchen Geologen erstmals die<br />

Ausbreitung von co 2 im Untergrund<br />

am ort der Injektion.<br />

Bildquelle: laif<br />

Autor: Bernd Müller<br />

1 1


<strong>Linde</strong>-co 2 -Technologie für den Klimaschutz<br />

WASSERSpRUDLER GEGEN<br />

DEN TREIBhAUSEFFEKT<br />

Im brandenburgischen Ketzin untersucht das GeoForschungsZentrum Potsdam, ob<br />

sich Kohlendioxid (CO2 ) dauerhaft unterirdisch lagern lässt. Bevor es in 700 Metern<br />

Tiefe seine letzte Ruhestätte findet, wird das <strong>Gas</strong> durch <strong>Linde</strong>-Technologie unter<br />

Druck gesetzt.<br />

Frank Schilling drückt auf den Knopf seines Trinkwassersprudlers.<br />

Kohlendioxid schießt aus dem Metallzylinder in die wassergefüllte<br />

Flasche. „Genauso funktioniert CO 2 SINK“, sagt der Professor für Mineralogie<br />

und Gesteinsphysik am Geoforschungszentrum Potsdam und<br />

schmunzelt. Der Wassersprudler, den Schilling meint, liegt 20 Kilometer<br />

von seinem Büro entfernt in Ketzin auf einer grünen Wiese –<br />

besser gesagt 700 Meter darunter. Drei Bohrlöcher, angeordnet in<br />

Form eines rechtwinkligen Dreiecks, markieren die Stelle, an der die<br />

Potsdamer Forscher gemeinsam mit Industriepartnern einen wichtigen<br />

Erkenntnisfortschritt im Dienste des Weltklimas erzielen wollen.<br />

Seit Ende 2007 werden dort zwei Jahre lang pro Stunde 1,5 Tonnen<br />

Kohlendioxid durch ein armdickes Rohr in das Tiefengestein gepresst.<br />

Gelingt das Experiment, wäre der Beweis erbracht, dass Kohlendioxid<br />

aus Kohlekraftwerken mit CO 2 -Abscheidung, wie sie gerade von der<br />

Energieindustrie entwickelt werden, dauerhaft unterirdisch gelagert<br />

werden kann. Dem Erdklima wäre damit ein großer Dienst erwiesen.<br />

Lagerstätte für millionen Jahre<br />

Die Lagerung von CO 2 im Untergrund ist an sich nichts Neues: In der<br />

Wüste von Algerien presst der Ölkonzern BP pro Jahr eine Million Tonnen<br />

des klimaschädlichen <strong>Gas</strong>es, das bei der Förderung von Erdgas mit an die<br />

Oberfläche gelangt, zurück in die Erde. Die norwegische StatoilHydro<br />

tut das Gleiche bei ihrem Erdgasfeld Snøhvit unter der Barentssee.<br />

Bei der im Oktober 2007 aufgenommenen Erdgasförderung und -verflüssigung<br />

ist <strong>Linde</strong> für die Technik der CO 2 -Abscheidung, -Komprimierung<br />

und -Rückführung zuständig. Unklar ist allerdings bisher, ob das<br />

Kohlendioxid wirklich für Tausende oder sogar Millionen von Jahren im<br />

Untergrund verbleiben wird. Würde es schon nach einigen Jahzehnten<br />

durch Risse im Gestein wieder an die Oberfläche gelangen, wäre dem<br />

CO2sINk // LINDE TECHNOLOGY<br />

17<br />

Klima nicht geholfen. Aber die Geologen sind optimistisch, dass dies<br />

nicht passieren wird. Schließlich lagert auch Erdgas seit zig Millionen<br />

Jahren in der Tiefe. Und bei den bisher realisierten Pilotprojekten wird<br />

in der Erdkruste im Grunde nur ein <strong>Gas</strong> durch ein anderes ersetzt.<br />

salzwasser speichert CO 2<br />

Etwas komplizierter ist der Fall in Ketzin. Dort wird das CO 2 in ein salines<br />

Aquifer verpresst – ein Grundwasserspeicher aus porösem Sandstein,<br />

der hochkonzentriertes Salzwasser enthält. Presst man das <strong>Gas</strong><br />

mit einem ausreichend hohen Druck hinein, löst sich ein Teil davon<br />

im Wasser – genauso wie es bei einem Trinkwassersprudler passiert.<br />

Das restliche CO 2 verdrängt das Wasser aus den Poren des löchrigen<br />

Gesteins. Was dann geschieht, ist der eigentliche Forschungsgegenstand<br />

von CO 2 SINK: Messungen sollen erstmals im Detail zeigen, wie<br />

sich das CO 2 im Untergrund ausbreitet. Dazu sind alle drei Bohrlöcher<br />

in bestimmten Tiefen perforiert und mit Sensoren gespickt, die ihre<br />

Daten über Glasfaserleitungen ans Tageslicht und in einen Messcontainer<br />

zur Datenauswertung schicken.<br />

Nach wenigen Wochen, vielleicht auch erst nach einem Jahr,<br />

wird sich im 50 Meter entfernten Bohrloch Krypton nachweisen lassen,<br />

das als Markergas in geringen Mengen dem CO 2 zugegeben wird.<br />

Andere Sensoren messen die elektrische Leitfähigkeit, die abnimmt,<br />

weil das CO 2 das salzige und damit gut leitende Wasser verdrängt.<br />

Seismische Untersuchungen, bei denen durch zu Boden fallende<br />

Gewichte Erschütterungen in die Erde geschickt und deren Echo<br />

registriert wird, liefern sogar dreidimensionale Bilder der Ausbreitung<br />

in der Tiefe. Wenn es im Gestein hochdurchlässige Rinnen gibt, könne<br />

alles auch ganz schnell gehen, so Schilling: „Dann kann das CO 2 auch<br />

schon nach einem Tag das nächste Bohrloch erreichen.“


LINDE TECHNOLOGY // CO 2 sINk<br />

18<br />

CO 2 Anlieferung<br />

Gips-/Tongestein<br />

CO 2 speicher/<br />

gefüllt<br />

Gips-/Tongestein<br />

sandstein/<br />

CO 2 speicher-schicht<br />

CO 2<br />

CO 2 CO 2<br />

sensoren<br />

7<br />

7<br />

7<br />

Einleitung +<br />

Verdichtung<br />

cO 2 unter der Erde: In Ketzin wird co 2 in eine Schicht aus porösem Sandstein<br />

geleitet. Ein Teil des <strong>Gas</strong>es löst sich im darin enthaltenen Wasser. Gips- und<br />

Tonschichten halten das co 2 wie einen Deckel unter der Erde fest. Um die<br />

Ausbreitung des co 2 im Untergrund messen zu können, sind die drei Bohrlöcher<br />

in bestimmten Tiefen perforiert und mit Sensoren gespickt.<br />

In der wichtigsten Frage, die CO 2 sINk beantworten<br />

soll, ist sich schilling aber sehr sicher: „Nach oben geht so<br />

gut wie nichts durch das Abdeckgebirge raus.“ Soll heißen: Nach<br />

allem, was die Geologen wissen, wird die Schicht aus Gips und Ton,<br />

die wie eine Käseglocke über der mehrere Quadratkilometer großen<br />

Sandsteinwölbung liegt, absolut dicht halten, auch wenn das Lager<br />

die zehnfache Menge der geplanten 60.000 Tonnen CO 2 aufnehmen<br />

müsste. Die vermutlich einzige Lücke sind die drei Bohrungen, doch<br />

die werden nach Abschluss des Projekts versiegelt. Zudem liegt die<br />

Kohlendioxid-Menge, die in Ketzin verpresst wird, auf einem Niveau,<br />

das auch von Bakterien oder aus Gesteinen – beispielsweise durch<br />

Bodenerosion – emittiert wird: Weltweit gelangen 3.000 Gigatonnen<br />

CO 2 auf natürlichem Weg in die Atmosphäre, vergleichsweise geringe<br />

25 Gigatonnen steuert der Mensch bei – dennoch genug, um das sensible<br />

CO 2 -Gleichgewicht zwischen Boden und Atmosphäre aus dem Lot<br />

zu bringen.<br />

Das Kohlendioxid für Ketzin stammt aus dem 175 Kilometer<br />

entfernten Chemiepark Leuna, wo es als Nebenprodukt der Ammoniaksynthese<br />

anfällt und von <strong>Linde</strong> in einem mehrstufigen Aufbereitungsprozess<br />

gereinigt und bei minus 35 bis minus 25 Grad verflüssigt<br />

wird, so dass es am Ende in Lebensmittelqualität vorliegt.<br />

Hauptabnehmer ist die Getränkeindustrie, aber es gibt auch einen<br />

so genannten Pelletizer für Trockeneis. Weitere Einsatzgebiete sind<br />

unter anderem das Lebensmittel-Schockfrosten und die Feuerlöscher-<br />

Herstellung. Das für Ketzin bestimmte Flüssig-CO 2 wird per Tankwagen<br />

dorthin geliefert und in zwei Tanksilos gespeichert. Neben den<br />

Tanks stehen zwei unscheinbare Gebäude, in denen ein <strong>Linde</strong>-Kom-<br />

7<br />

7<br />

7<br />

sensoren<br />

800m<br />

pressor das <strong>Gas</strong> auf einen Druck von über 70 bar und eine Temperatur<br />

von 30 Grad Celsius bringt. Bei diesen Parametern ist das CO 2 überkritisch,<br />

das heißt, flüssige und gasförmige Phase lassen sich nicht<br />

mehr unterscheiden. Diese Form der Aufbereitung ist nötig, weil der<br />

überkritische Zustand auch in 700 Metern Tiefe herrscht und das<br />

CO 2 nur so vom Gestein aufgesogen wird. Wenn der Klimaschädling<br />

wie geplant ab <strong>2008</strong> im großen Maßstab aus Kraftwerken in tiefen<br />

Gesteinsschichten gelagert wird, soll das verflüssigte <strong>Gas</strong> nicht mehr<br />

per Lkw, sondern per Pipeline transportiert werden. Im Idealfall entsteht<br />

das Kraftwerk gleich über der künftigen <strong>Gas</strong>lagerstätte.<br />

Nicht nur zur Erfrischung, sondern auch um die Nützlichkeit<br />

des CO 2 zu demonstrieren, steht im Besucherinformationszentrum von<br />

Ketzin ein Trinkwassersprudler. Zum Scherz forderte der Mineraloge<br />

Schilling den Partner <strong>Linde</strong> auf, diesen Sprudler mit einem großen<br />

CO 2 -Tank zu verbinden. Die <strong>Linde</strong>-Techniker verstanden den Spaß,<br />

nahmen die Aufgabe aber dennoch ernst. So kam es, dass Schilling<br />

am 13. Juni 2007 das Projekt CO 2 SINK mit einem Druck auf die Taste<br />

des Trinkwassersprudlers feierlich in Betrieb nahm.<br />

auTOr:<br />

Bernd Müller ist freier Technikjournalist in Esslingen. Er schreibt unter<br />

anderem regelmäßig für „bild der wissenschaft“ und „Focus“.<br />

LINkS:<br />

www.co2sink.org


cO 2 -versorgung:<br />

Die Technologie zum<br />

Verpressen von co 2 in den<br />

Boden wurde von <strong>Linde</strong><br />

mitentwickelt. Das co 2<br />

für das Forschungsprojekt<br />

stammt aus einer Raffinerie<br />

in Leuna, wird per Tankwagen<br />

nach Ketzin geschafft<br />

und dort in Tanks zwischengespeichert.<br />

„WIR SIND NIchT zUM<br />

ERFoLG VERDAMMT.”<br />

Das Projekt CO2 SINK soll klären, wie sich die Lagerung<br />

von Kohlendioxid im Untergrund auswirkt. „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“<br />

sprach mit dem Projekt-Koordinator Prof. Frank<br />

Schilling vom GeoForschungsZentrum in Potsdam.<br />

kANN DIE CO 2-LAGEruNG DAs kLImA rETTEN?<br />

Alleine nicht, natürlich bedarf es auch anderer Maßnahmen wie Energiesparen<br />

oder die Entwicklung erneuerbarer Energiequellen. Aber ein Drittel der vom<br />

Menschen verursachten CO 2 -Emissionen fallen bei der Stromerzeugung aus<br />

fossilen Brennstoffen an. Deshalb wäre die CO 2 -Lagerung eine interessante<br />

Brückentechnologie für die kommenden Jahrzehnte. Sie hat den Vorteil, dass<br />

man die Energie zunächst weiter so erzeugen kann wie bisher, was vor allem<br />

für die USA und China interessant ist. In China geht jede Woche ein neues Kohlekraftwerk<br />

ans Netz, und wir dürfen uns keine Illusionen machen, dass sich<br />

dieser rasante Ausbau auf absehbare Zeit verlangsamen könnte. Aber auch für<br />

Deutschland und Europa gewinnt diese Technologie damit wieder an Attraktivität.<br />

wIE sTEHT DIE BEVöLkEruNG zu DEm prOJEkT?<br />

Begeisterung wird so was nie auslösen, das ist klar. Aber bisher registrieren wir<br />

keine ernsthafte Beunruhigung. Das liegt vielleicht daran, dass hier bereits früher<br />

ein unterirdischer Erdgasspeicher war. Auf jeden Fall werden wir weiter mit<br />

Transparenz für Akzeptanz werben. Auf der Webseite des Projekts berichten<br />

wir tagesaktuell, was wir gerade machen.<br />

IN zwEI JAHrEN IsT DAs prOJEkT zu ENDE. wAs DANN?<br />

Wir bemühen uns um weitere Mittel, um die Langzeitmessungen fortsetzen zu<br />

können. Wir würden uns auch wünschen, dass man in Ketzin an das im Aufbau<br />

befindliche Biogaskraftwerk eine CO 2 -Abscheidung baut und das CO 2 weiter in<br />

das Gestein presst. Aber das ist im Moment noch Zukunftsmusik.<br />

wENN DAs prOJEkT EIN ErfOLG wIrD – kOmmT DANN<br />

DIE CO 2 -EINLAGEruNG Im GrOssEN sTIL?<br />

Davon gehe ich aus. Genügend geeignete Lagerstätten gibt es sowohl in<br />

Deutschland als auch weltweit. Wir schätzen, dass deren Aufnahmefähigkeit<br />

mindestens für die produzierte CO 2 -Menge der nächsten 100 Jahre ausreichen<br />

wird. Ein Problem zeichnet sich aber jetzt schon ab: Uns fehlen Fachkräfte. Es<br />

gibt kaum noch Universitäten, die Studenten mit entsprechendem Know-how<br />

ausbilden. Und die wenigen Leute werden seit einigen Jahren von der Industrie<br />

stark umworben, zum Beispiel für die Erschließung von Erdöl- oder Erzvorkommen.<br />

Es ist daher sehr schwierig, gute Leute für die weitere Erforschung und<br />

Erprobung der CO 2-Lagerung zu gewinnen.<br />

Im INTErVIEw<br />

CO2sINk // LINDE TECHNOLOGY<br />

19<br />

Geologie-Experte:<br />

prof. Dr. Frank Schilling beschäftigt<br />

sich am GeoForschungszentrum<br />

potsdam (GFz) vor allem mit<br />

Mineralogie und Gesteinsphysik.


LINDE TECHNOLOGY // GAsE IN DEr mEDIzIN<br />

20<br />

DIE UNSIchTBAREN hELFER<br />

Man sieht sie nicht, man schmeckt sie nicht, man kann sie nicht anfassen –<br />

aber sie helfen: Medizinische <strong>Gas</strong>e lindern Schmerzen, beschleunigen<br />

heilungsprozesse, können Leben retten und machen manche Innovation<br />

in der Medizintechnik überhaupt erst möglich.<br />

1 Bereits<br />

seit fast 200 Jahren werden <strong>Gas</strong>e für medizinische Zwecke verwendet und dienen Ärzten als<br />

unsichtbare Helfer, von der Anästhesie über die Chirurgie bis hin zur außerklinischen Beatmung von Lungenkranken,<br />

denen sie einen Gewinn an Lebensqualität verschaffen.<br />

Für The <strong>Linde</strong> Group gewinnt die Global Business Unit Healthcare, also das Geschäft mit medizinischen<br />

<strong>Gas</strong>en, immer mehr an Bedeutung. Die Healthcare-Aktivitäten wurden in der Geschäftseinheit<br />

<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics gebündelt – einem der weltweit führenden Hersteller und Anbieter gasförmiger<br />

Arzneimittel und zugehöriger Medizinprodukte. Das Geschäft teilt sich in die beiden Bereiche Hospital Care<br />

und Homecare: Die Kernkompetenz von Hospital Care liegt in der Versorgung von Kliniken und Arztpraxen<br />

mit medizinischen <strong>Gas</strong>e, dem dazugehörigen Equipment und Dienstleistungen. Der Bereich Homecare bietet<br />

qualitativ hochwertige und zugleich kostengünstige Therapiekonzepte, hauptsächlich für atemwegserkrankte<br />

Patienten im häuslichen Umfeld. Darüber hinaus stellt <strong>Linde</strong> seit 2003 alle zwei Jahre Fördermittel<br />

in Höhe von einer Million US-Dollar für einen weltweit einzigartigen Forschungsfonds auf dem Gebiet<br />

gasförmiger Arzneimittel, den „<strong>Gas</strong> Enabled Medical Innovations (GEMI) Fund“, zur Verfügung.<br />

Das Titelthema dieser Ausgabe von „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ zeigt die vielfältigen Aspekte der Anwendung<br />

von <strong>Gas</strong>en in der Medizin. Angefangen von einem neuartigen Therapieansatz gegen Schlaganfallfolgen<br />

auf Basis von Sauerstoff über eine medizinische Forschungsexpedition zum Mount Everest und neue<br />

Möglichkeiten der außerklinischen Beatmung bis hin zur Augen-OP mittels Laserskalpell.


<strong>Gas</strong>e in der medizin<br />

INTENSIvE hILfE fürS GEhIrN<br />

Sauerstofftherapie bei Schlaganfall .........22<br />

kLINISchE TESTS auf DEm Dach DEr wELT<br />

Medizinische Forschungsexpedition<br />

zum Mount Everest ....................................26<br />

OPEraTION ScharfBLIck<br />

<strong>Linde</strong>-Spezialgase für die Laserchirugie ...32<br />

DIE „EISErNE LuNGE“ haT auSGEDIENT<br />

Heimbeatmung erhöht die Lebensqualität<br />

von Patienten .............................................36<br />

unauffällig: patienten mit chronischen<br />

Atemwegserkrankungen verhilft Sauerstoff –<br />

verabreicht über einen transportablen<br />

Generator und eine unscheinbare Nasenbrille<br />

– zu neuer Lebensqualität.<br />

Fotografin: claudia Kempf<br />

1<br />

GAsE IN DEr mEDIzIN // LINDE TECHNOLOGY<br />

21


LINDE TECHNOLOGY // sAuErsTOffTHErApIE<br />

22<br />

Gefahr fürs Gehirn: Einem Schlaganfall<br />

liegt ein plötzlicher Mangel der Nerven-<br />

zellen an Sauerstoff und anderen<br />

Substraten zu Grunde. Das hirngewebe<br />

wird nicht mehr vollständig durchblutet.<br />

Dadurch können ganze Bereiche<br />

absterben.<br />

Foto: Getty Images<br />

Autor: Ute Kehse<br />

1<br />

1


INTENSIVE hILFE<br />

FüRS GEhIRN<br />

Sauerstofftherapie bei Schlaganfall<br />

Die nüchternen Fakten kennt Dr. Roland Veltkamp nur zu gut: Jedes<br />

Jahr, so berichtet der Neurologe vom Universitätsklinikum Heidelberg,<br />

erleiden 200.000 Menschen in Deutschland einen Schlaganfall. Er ist<br />

nach Herzinfarkt und Krebs weltweit die dritthäufigste Todesursache<br />

und die häufigste Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter.<br />

Täglich sieht Veltkamp bei seiner Arbeit im Heidelberger Schlaganfallzentrum,<br />

welch tragische Folgen ein Hirnschlag haben kann – und<br />

das nicht nur bei älteren Menschen. Gerade bei Jüngeren wird das<br />

Risiko häufig unterschätzt. Dabei trifft der Schlaganfall auch fünf von<br />

100.000 Kindern und zehn Mal soviel Jugendliche und junge Erwachsene.<br />

„Der Schlaganfall ist ein unterschätztes und vernachlässigtes<br />

Problem“, sagt Veltkamp. „In die Erforschung von Herz- und Krebserkrankungen<br />

fließen wesentlich mehr Forschungsgelder.“ Die Folgen<br />

für die Patienten seien gravierend, sagt der 41-jährige: „Es gibt kaum<br />

Möglichkeiten, einen akuten Schlaganfall zu behandeln.“<br />

Nervenzellen unterversorgt<br />

Von einem Schlaganfall spricht man, wenn bestimmte Gehirnfunktionen<br />

plötzlich ausfallen: Betroffene leiden unter Sprachstörungen<br />

oder Lähmungserscheinungen. Die Ursache dafür kann entweder<br />

eine Hirnblutung oder aber der Verschluss eines Blutgefäßes<br />

sein. Der zweite Typ, den die Mediziner als ischämischen Schlaganfall<br />

bezeichnen, macht dabei mehr als vier Fünftel aller Fälle aus.<br />

Schuld an dem Infarkt können Ablagerungen an den Gefäßwänden<br />

oder Blutgerinnsel sein. Die Nervenzellen im betroffenen Gewebe<br />

werden nicht mehr oder nur noch ungenügend mit Sauerstoff versorgt<br />

und sterben rasch ab. „Bislang gibt es nur eine einzige anerkannte<br />

Therapie, um das Hirngewebe zu schützen“, berichtet Veltkamp.<br />

Bei der so genannten Thrombolyse wird ein bestehendes<br />

sAuErsTOffTHErApIE // LINDE TECHNOLOGY<br />

23<br />

Täglich werden gasförmige Pharmazeutika in Kliniken eingesetzt – von der Anästhesie über die<br />

Chirurgie bis hin zur Intensivmedizin. Aber können sie auch bei Schlaganfällen helfen? Ob eine<br />

rasche Versorgung mit Sauerstoff für Schlaganfall-Patienten tatsächlich hilfreich ist, untersucht<br />

der Neurologe Dr. Roland Veltkamp am Universitätsklinikum Heidelberg – dem weltweit führenden<br />

Schlaganfallzentrum. Unterstützt wird er dabei durch Fördergelder des GEMI Fund, den <strong>Linde</strong><br />

Healthcare alle zwei Jahre vergibt.<br />

Blutgerinnsel durch ein Enzym aufgelöst, so dass das Blut wieder<br />

fließen kann. Der Schaden im Gehirn lässt sich dadurch begrenzen.<br />

„Allerdings kommt diese Therapie nur bei fünf Prozent der Patienten<br />

in Frage, selbst in speziellen Schlaganfallzentren wie in Heidelberg<br />

werden nur zehn Prozent der Betroffenen so behandelt“, so<br />

Veltkamp. Der Grund: Die Thrombolyse nützt nur in den ersten drei<br />

Stunden nach dem Hirninfarkt etwas. Und weil dabei auch Hirnblutungen<br />

auftreten können, gibt es eine Reihe von Ausschlusskriterien,<br />

so dass sie bei vielen Patienten gar nicht angewendet werden kann.<br />

sauerstoff schützt die „schattenzone“<br />

Veltkamp erforscht deshalb seit Jahren eine andere Therapiemöglichkeit:<br />

In zahlreichen Versuchen hat er getestet, ob Sauerstoff das Gehirn<br />

schützen kann. „Der Gedanke dahinter ist einfach“, erläutert der Neurologe<br />

seine Grundidee: „Weil die Zellen im Gehirn aufgrund von Sauerstoffmangel<br />

absterben, müsste es den Patienten nützen, wenn sie<br />

mit mehr Sauerstoff als üblich versorgt werden.“ Vom Blutfluss völlig<br />

abgeschnittenes Hirngewebe ist auch so kaum zu erreichen, aber der<br />

zusätzliche Sauerstoff könnte zumindest die so genannte „Schattenzone“<br />

schützen – jenen Bereich im Gehirn, der den eigentlichen Infarkt<br />

umgibt und der noch gering durchblutet wird. Die Versorgung mit dem<br />

lebenswichtigen <strong>Gas</strong> wäre zudem relativ einfach: Jeder Krankenwagen<br />

hat Sauerstoff-Inhalationsgeräte an Bord, durch die Notfallpatienten<br />

reinen Sauerstoff einatmen können.<br />

Ob diese Akut-Therapie wirklich etwas nützt, lässt sich allerdings<br />

bislang noch nicht mit absoluter Sicherheit sagen – obwohl sie<br />

schon seit mehr als 50 Jahren angewandt wird. „Bisherige Studien<br />

waren meist ziemlich unsystematisch angelegt“, berichtet Veltkamp.<br />

Physiologen hegen zudem Zweifel, dass der Sauerstoff überhaupt im


LINDE TECHNOLOGY // sAuErsTOffTHErApIE<br />

24<br />

Schnelle hilfe im OP: Nach einem Schlaganfall gilt es, das Gehirn vor einem<br />

dauerhaften Schaden zu bewahren. Dabei könnte Sauerstoff helfen und den<br />

Bereich im Gehirn schützen, der nur noch gering durchblutet wird.<br />

betroffenen Gewebe ankommt: Die O 2-Moleküle werden vor allem<br />

von den roten Blutkörperchen – auch Erythrocyten genannt – durch<br />

den Körper transportiert. Und deshalb bezweifeln Kritiker, dass das<br />

schützende <strong>Gas</strong> in die Gehirnregionen gelangt, die nicht mit Blut versorgt<br />

werden, weil dort eben die roten Sauerstoffträger nicht zirkulieren.<br />

Zudem ist Hämoglobin – der eisenhaltige, rote Blutfarbstoff in den<br />

Erythrocyten – gewöhnlich mit Sauerstoff gesättigt. Das heißt: Selbst<br />

wenn die Atemluft aus reinem O 2 besteht, kann das Blut den Überschuss<br />

gar nicht aufnehmen – so zumindest die Theorie.<br />

Hochdrucktherapie hilft dem Hirngewebe<br />

Als sich Veltkamp Mitte der 1990er Jahre während eines Studienaufenthalts<br />

in den USA erstmals mit dem Thema beschäftigte, kam er zu<br />

dem Schluss, dass es durchaus Anzeichen für eine schützende Wirkung<br />

des Sauerstoffs gibt. Er führte daher während seines US-Aufenthalts<br />

und später in Heidelberg mehrere präklinische Studien durch.<br />

Dabei kam zum Teil normale Atemluft, zum Teil reiner Sauerstoff zum<br />

Einsatz, dieser wiederum sowohl unter normalem Atmosphärendruck<br />

als auch in einer Druckkammer. Um herauszufinden, unter welchen<br />

Umständen die Anwendung am wirksamsten ist, variierte Veltkamp<br />

den Druck in der Sauerstoffkammer zwischen dem anderthalbfachen<br />

und dem dreifachen Atmosphärendruck. Außerdem ließ er unterschiedlich<br />

lange Zeitspannen bis zum Einsetzen der Sauerstoffversorgung<br />

verstreichen.<br />

Am besten, so stellte sich heraus, wirkte sich die Versorgung<br />

mit Hochdruck-Sauerstoff aus. Die Infarktgröße ließ sich um ein<br />

Drittel reduzieren. Das Zeitfenster für die Therapie betrug allerdings<br />

Diagnostik: Die perfusionsmessung<br />

visualisiert die Durchblutung von<br />

hirngewebe (o.) und Gefäßen (u.).<br />

nur wenige Stunden. Insgesamt war der Forscher mit dem Ergebnis<br />

zufrieden: „Wir haben erstmals gezeigt, dass die Hochdrucktherapie<br />

die Sauerstoffversorgung des Hirngewebes tatsächlich verbessern<br />

kann“, sagt er. In der Praxis wäre die Anwendung von Hochdruck-<br />

Sauerstoff freilich schwierig: Kaum ein Krankenhaus besitzt bisher<br />

eine Überdruckkammer, zudem könnten Patienten wegen der erhöhten<br />

Brandgefahr durch das Hochdruck-O 2 nicht so leicht mit elektronischen<br />

Apparaten überwacht werden.<br />

Was die Behandlung mit dem leichter zu handhabenden<br />

Normaldruck-Sauerstoff anbelangt, zeigten die Experimente widersprüchliche<br />

Ergebnisse. Bei Veltkamps präklinischen Modellen zeigte<br />

sich nur eine geringe schützende Wirkung, ein Forschungsteam von<br />

der Harvard University hatte dagegen mehr Erfolg. Wieder zeigte sich,<br />

dass die Behandlung sehr schnell nach dem Infarkt einsetzen musste.<br />

Veltkamp sieht inzwischen genug Anhaltspunkte für die<br />

Wirksamkeit der Sauerstofftherapie, um klinische Untersuchungen<br />

beginnen zu können. Und aus dem von <strong>Linde</strong> Healthcare finanzierten<br />

GEMI Fund (s. Kasten) hat er Forschungsmittel erhalten, mit<br />

denen er während der nächsten zwei Jahre zwei Projekte finanzieren<br />

kann. Ein Projekt soll mit Hilfe einer speziellen Methode der<br />

Kernspintomografie untersuchen, wie die Therapie mit Normaldruck-Sauerstoff<br />

den Energiestoffwechsel im Gehirn beeinflusst.<br />

„Wenn der Blutfluss unterbrochen wird, dann beginnt eine ganze<br />

Kaskade von Ereignissen in den Zellen, die das Gewebe schädigen<br />

und den Infarkt verschlimmern“, erläutert Veltkamp den Hintergrund.<br />

Mit der Kernspintomografie lassen sich einige der komplizierten<br />

Stoffwechselprozesse im Gehirn direkt sichtbar machen.


FoRSchUNG<br />

FÖRDERN<br />

In einem zweiten Projekt will der Mediziner untersuchen, ob Sauerstoff<br />

bei einem besonders schlimmen Schlaganfall-Typ, bei dem die mittlere<br />

Hirnarterie blockiert wird, Schutz bieten kann. Die klinischen Ausfälle<br />

sind bei diesen so genannten malignen Schlaganfällen besonders<br />

drastisch: Häufig bilden sich Wassereinlagerungen im Gehirn, die<br />

auf das Hirngewebe drücken und die Durchblutung zusätzlich stören.<br />

Wenn das passiert, muss ein Teil der Schädeldecke entfernt werden,<br />

damit der Gehirndruck nicht zu stark ansteigt. Bei diesen Schlaganfällen<br />

ereignen sich häufig auch unkontrollierte elektrische Entladungen<br />

im Gehirn, die weitere Infarkte nach sich ziehen können. Experimente<br />

der Forschungsgruppe aus Harvard zeigten, dass Sauerstoff die elektrischen<br />

Entladungen und damit die Folgeschäden womöglich verhindern<br />

kann. Veltkamp plant nun, bei Patienten mit malignen Schlaganfällen<br />

Sonden im Gehirn zu platzieren, die den Sauerstoffgehalt<br />

des Blutes direkt vor Ort messen.<br />

„Die Frage, ob Sauerstoff gegeben werden soll oder nicht,<br />

taucht bereits auf dem Transportweg zur Klinik ganz häufig auf“, berichtet<br />

der Mediziner. Eine schnelle Antwort wäre für Schlaganfallpatienten<br />

enorm wichtig. Mit Unterstützung des GEMI Funds, so hofft<br />

Veltkamp, kann Patienten in dieser kritischen Situation bald wirksamer<br />

geholfen werden.<br />

auTOrIN:<br />

Ute Kehse ist Wissenschaftsjournalistin und wohnt und arbeitet in<br />

Delmenhorst. Sie schreibt unter anderem für „bild der wissenschaft“,<br />

„Berliner zeitung“ und „Financial Times Deutschland“.<br />

GEförDErTE wIssENsCHAfTLEr uND IHrE fOrsCHuNGsprOJEkTE 2007:<br />

sAuErsTOffTHErApIE // LINDE TECHNOLOGY<br />

25<br />

The <strong>Linde</strong> Group stellt alle zwei Jahre Fördermittel in Höhe von 1 Million US-Dollar für den „<strong>Gas</strong> Enabled<br />

Medical Innovations (GEMI) Fund“ zur Verfügung. Gefördert werden Forschungs- und Entwicklungsprojekte<br />

in Form von projektbezogenen Fördergeldern, die sich mit dem Einsatz von <strong>Gas</strong>en in der Medizin<br />

auseinandersetzen. Der GEMI Fund Vorstand, der über die Vergabe der Forschungsgelder entscheidet,<br />

besteht aus acht international anerkannten wissenschaftlichen Experten auf den Gebieten Anästhesiologie,<br />

Intensivmedizin, Physiologie und Lungenmedizin. Gegründet wurde der GEMI Fund 2002 von<br />

<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics gemeinsam mit der Harvard Medical International (Boston/USA) und dem Karolinska<br />

Institut (Stockholm/Schweden). Insgesamt wurden bisher 23 Forschungsgruppen an über 15<br />

verschiedenen Instituten in aller Welt gefördert, die neue medizinische Anwendungen von <strong>Gas</strong>en wie<br />

Sauerstoff, Xenon, Stickstoffmonoxid, Kohlenmonoxid und Kohlendioxid erforschen.<br />

Die Biochemikerin und Immunologin prof. Dr. Ana Claudia zenclussen (Charité – Universitätsmedizin<br />

Berlin) untersucht das therapeutische Potenzial von Kohlenmonoxid zur Verhinderung von Fehlgeburten.<br />

Der Neurologe Privatdozent Dr. roland Veltkamp (Universitätsklinikum Heidelberg) erforscht den<br />

protektiven Effekt einer speziellen Sauerstofftherapie bei akutem Schlaganfall. prof. Dr. russel morris<br />

(Großbritannien) forscht an einer Therapie bestimmter Herzkreislauferkrankungen mit Hilfe von Stickstoffmonoxid<br />

speichernden, hochporösen Materialien. prof. Dr. miguel soares (Portugal) untersucht<br />

die Rolle von Stickstoff- und Kohlenmonoxid bei der Malaria-Prävention. prof. Dr. fumito Ichinose<br />

(USA) befasst sich mit dem Effekt von Schwefelwasserstoff auf das Herz-Kreislauf-System. Dr. Hagir<br />

suliman (USA) entwickelt eine Kohlenmonoxid-Inhalationstherapie zum Schutz vor Herzerkrankungen.<br />

Der Biochemiker und Pharmakologe Dr. sylvain Doré (USA) untersucht die schützende Wirkung von<br />

Kohlenmonoxid auf das Nervensystem bei Schlaganfällen. prof. Dr. Joseph szurszewski (USA) befasst<br />

sich mit der Funktion von Schwefelwasserstoff in Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen.<br />

GASE FüR DIE ThERApIE<br />

seit über 100 Jahren spielen medizinische Therapien mit <strong>Gas</strong>en<br />

eine wichtige rolle in den Bereichen Anästhesie, Intensivmedizin<br />

und Lungenheilkunde. <strong>Linde</strong> Healthcare beteiligt sich aktiv an der<br />

Entwicklung von Anwendungsmöglichkeiten für verschiedene fachbereiche<br />

der medizin und gilt als führender Hersteller und Vertreiber<br />

von gasförmigen medikamenten, aber auch als Anbieter von<br />

Therapien und Dienstleistungen für universitätskliniken, krankenhäuser<br />

und Ärzte. Einige <strong>Gas</strong>e wie sauerstoff oder Lachgas (Distickstoffmonoxid)<br />

werden schon lange in der medizin verwendet.<br />

Viele Experten sind der meinung, dass auch andere substanzen,<br />

darunter kohlendioxid, kohlenmonoxid, schwefelwasserstoff, kohlenwasserstoffe<br />

und einige Edelgase ein enormes potenzial für Vorbeugung,<br />

Diagnose und Therapie bestimmter krankheiten haben.<br />

zurzeit steckt ihre Anwendung aber noch in den kinderschuhen.<br />

Neben medizinischen <strong>Gas</strong>en werden auch spezielle <strong>Gas</strong>gemische<br />

für vielfältige Aufgaben in der medizin benötigt. sie dienen meist<br />

als prüf- und Betriebsgase in medizinischen Geräten.<br />

LINkS:<br />

www.gemifund.org<br />

www.linde-gastherapeutics.de


LINDE TECHNOLOGY // mOuNT EVErEsT<br />

26<br />

Medizinische Forschungsexpedition zum Mount Everest<br />

KLINISchE TESTS AUF<br />

DEM DAch DER WELT<br />

Sauerstoffmangel im Blut kann tödlich sein. Dieser Gefahr sind vor allem künstlich beatmete<br />

Patienten auf Intensivstationen ausgesetzt – aber auch Bergsteiger in extremen Höhen.<br />

Um herauszufinden, welche Rolle Sauerstoff für die optimale Behandlung Schwerkranker<br />

spielt, starteten britische Forscher zu einer extremen Expedition: Auf dem Gipfel des Mount<br />

Everest testeten sie, wie sich Höhe und Sauerstoffmangel auf Herz, Denkleistung und<br />

Muskeln auswirken und schafften es sogar erstmals, auf dem höchsten Punkt der Erde<br />

arterielle Blutproben zu untersuchen.<br />

Eisige forschung: In rund 5.300 Metern<br />

höhe hatten britische Forscher ihr<br />

Labor aufgeschlagen, um die Auswirkungen<br />

von Sauerstoffmangel auf den<br />

menschlichen Körper zu untersuchen.<br />

Auf bis zu minus 40 Grad celsius<br />

kann hier die Temperatur sinken.<br />

BENöTIGTE LufTmENGE prO sTuNDE IN LITEr<br />

SchLAFEN 3 280<br />

LIEGEN 3 1.400<br />

SchWIMMEN 3 2.600<br />

BERGSTEIGEN 3 3.100<br />

RUDERN 3 3.600<br />

Um neue Therapien zu erforschen, gehen Wissenschaftler schon mal<br />

bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit und manche Forscher gar bis<br />

ans Ende der Welt – oder bis zum höchsten Gipfel. So hat der britische<br />

Mediziner Mike Grocott sein Forschungslabor vorübergehend<br />

nach Nepal auf rund 5.300 Metern Höhe verlegt. Weit und breit sind<br />

aber weder Betten noch Häuser, weder fließend Wasser noch eine<br />

Heizung zu entdecken. Und das, obwohl die Temperaturen an kalten<br />

Tagen schon mal auf eisige minus 40 Grad Celsius sinken können.<br />

Aber Grocott ist kein spleeniger Wissenschaftler. Gemeinsam mit<br />

23 Kollegen und mit Unterstützung von <strong>Linde</strong> Healthcare hat der Mediziner<br />

vom University College London (UCL) im Frühjahr 2007 eine bislang<br />

einzigartige Forschungsexpedition zum Mount Everest gestartet:<br />

Um herauszufinden, wie der menschliche Körper auf extremen Sauerstoffmangel<br />

reagiert, sind die Wissenschaftler mit 200 freiwilligen<br />

Probanden zum Basislager auf 5.300 Metern aufgestiegen und haben<br />

sich dabei einer Vielzahl von Tests zur Funktion von Lunge, Herz und<br />

Muskeln unterzogen. Ein kleines Team von acht Wissenschaftlern,<br />

darunter auch Grocott, stieg sogar bis zum Gipfel auf – um selbst auf<br />

8.848 Metern noch Untersuchungen vorzunehmen.


mOuNT EVErEsT // LINDE TECHNOLOGY<br />

27<br />

Autor: cornelia Stolze<br />

Fotos: caudwell xtreme Everest<br />

1<br />

1


LINDE TECHNOLOGY // mOuNT EVErEsT<br />

28<br />

„Auf den ersten Blick wirkt es vielleicht merkwürdig“, sagt Grocott,<br />

der Ende Juni 2007 wie alle anderen Teilnehmer gesund und wohlbehalten<br />

von der Expedition zurückgekehrt ist, „aber der Everest ist<br />

ein hervorragender Ort, um zu untersuchen, welche Rolle Sauerstoff<br />

für die optimale Behandlung schwerkran-<br />

ker Patienten spielt.“ Tatsächlich kann Hypoxämie,<br />

also eine Sauerstoff-Unterversorgung von<br />

Zellen und Organen, vor allem für Intensivpatienten<br />

ein Problem darstellen, das im Extremfall<br />

zum Tod führen kann. Millionen von Menschen<br />

sind davon jedes Jahr weltweit bedroht<br />

– sei es, weil sie einen lebensbedrohlichen<br />

Autounfall erlitten haben, an einem schweren<br />

Herzdefekt oder einer Lungenkrankheit leiden<br />

oder aber, wie im Fall von Neugeborenen, durch<br />

Komplikationen bei der Geburt vorübergehend<br />

keine Luft bekommen haben. Um eine Hypoxämie<br />

abzuwenden, müssen Ärzte zum Teil drastische<br />

Maßnahmen ergreifen: Die Patienten werden<br />

künstlich beatmet oder bekommen starke<br />

Medikamente verabreicht, die die Pumpleistung des Herzens erhöhen,<br />

damit ausreichende Mengen von Sauerstoff in alle Regionen des<br />

Körpers gelangen können.<br />

Diese Eingriffe können allerdings zu Entzündungen und Infektionen<br />

oder gar zu bleibenden Schäden an der Lunge oder am Herzen<br />

führen. Mediziner in aller Welt suchen deshalb nach Wegen, Hypoxä-<br />

„DER MT. EVEREST<br />

IST EIN pERFEKTER<br />

oRT, UM zU UNTER-<br />

SUchEN, WELchE<br />

RoLLE SAUERSToFF<br />

FüR DIE opTIMALE<br />

BEhANDLUNG<br />

SchWERKRANKER<br />

pATIENTEN SpIELT.“<br />

mien bei schwerkranken Patienten auf schonendere Weise zu behandeln<br />

als bisher. Auch <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics engagiert sich seit Jahren<br />

dafür, die Sauerstoffversorgung von Patienten zu optimieren – und<br />

sagte deshalb vor mehr als drei Jahren als einer der ersten Sponsoren<br />

mit einer Startsumme von 300.000 englischen<br />

Pfund seine Unterstützung für das „Caudwell<br />

Xtreme Everest“-Projekt der UCL-Forscher zu.<br />

Hubert Bland, Head of Clinical Research & Medical<br />

Affairs bei <strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics, und seine<br />

Kollegen engagierten sich tatkräftig: „Unser<br />

Unternehmen hat es sich zum Ziel gesetzt, die<br />

Behandlung von Patienten zu verbessern, indem<br />

wir Kliniken Wissen über die therapeutischen<br />

Qualitäten von Sauerstoff und medizinischen<br />

<strong>Gas</strong>en vermitteln. Wo immer das möglich ist,<br />

arbeiten wir mit externen Forschern zusammen,<br />

um neue Einsatzbereiche für die <strong>Gas</strong>e zu ermitteln,<br />

und die Sicherheit im Umgang mit den<br />

<strong>Gas</strong>en weiter zu erhöhen. Bereits beim ersten<br />

Gespräch war klar, dass das, was Mike, Hugh<br />

und der Rest des Caudwell-Xtreme-Teams zu erreichen hofften, eine<br />

optimale Gelegenheit für <strong>Linde</strong> war. Sie leisten wirklich innovative<br />

und bahnbrechende Arbeit, deren Ergebnisse uns weitere Erkenntnisse<br />

liefern, wie der Körper Sauerstoff umsetzt.“ Durch die Zusammenarbeit<br />

mit Innovatoren wie dem Caudwell-Xtreme-Team beweise<br />

<strong>Linde</strong> sein Engagement für neue Entwicklungen und seine Kunden


Gen-Experte: hugh Montgomery vom<br />

University college London (UcL) und<br />

Expeditionsteilnehmer entdeckte eine<br />

Genvariante, die mit einer gesteigerten<br />

Ausdauerleistungsfähigkeit gekoppelt ist.<br />

1<br />

aufstieg zum Basislager: Teilweise<br />

per yak – dem traditionellen Transportmittel<br />

im himalajagebiet –<br />

schaffte die Forschergruppe neben<br />

Kleidung, zelten und Verpflegung auch<br />

Ergometer, computer und die Technik<br />

für medizinische Untersuchungen ins<br />

Basislager am Everest. Dort untersuchten<br />

die Mediziner dann intensiv, wie<br />

sich höhe und Sauerstoffmangel auf<br />

das herz, die geistigen Funktionen<br />

sowie die Muskeln und das Blut der<br />

Teilnehmer auswirkten.<br />

und differenziere sich damit von der Konkurrenz. Grocott erklärt weiter,<br />

dass die Unterstützung durch The <strong>Linde</strong> Group im Wesentlichen<br />

darin bestand, dass das Unternehmen frühzeitig bereitstand und dringend<br />

benötigte Mittel zur Verfügung stellte: „Sie halfen nicht nur, das<br />

Projekt ins Rollen zu bringen, sondern stellten außerdem sicher, dass<br />

wir sämtliche hochwertigen medizinischen <strong>Gas</strong>e hatten, die wir für<br />

unsere Experimente während der Expedition benötigten.“<br />

„Ausdauer-Gen“ und muskeleffizienz<br />

Die Forscher vom UCL gehen der Frage nach, warum manche Menschen<br />

deutlich besser mit niedrigen Sauerstoffmengen im Blut zurecht kommen<br />

als andere. „Wenn Sie zehn Patienten auf einer Station haben,<br />

die alle scheinbar gleich schwer erkrankt sind, gibt es immer einige,<br />

die sich erstaunlich gut erholen, während andere trotz aller therapeutischen<br />

Bemühungen nicht überleben“, sagt Hugh Montgomery, Direktor<br />

des Institute for Human Health & Performance am University College<br />

London (UCL), der die wissenschaftlichen Arbeiten während der Expedition<br />

geleitet hat. Woran das genau liegt, ließ sich bislang aber noch<br />

nicht genau sagen.<br />

Vieles spricht jedoch dafür, dass zumindest ein Teil der Antwort<br />

im Erbgut liegt. Das zeigten Studien mit britischen Rekruten, die<br />

Montgomery vor wenigen Jahren im renommierten Wissenschaftsmagazin<br />

„Nature“ veröffentlicht hat. Damals identifizierte er eine<br />

menschliche Genvariante, die mit einer gesteigerten Ausdauerleistungsfähigkeit<br />

gekoppelt ist und entdeckte, dass dies teilweise von<br />

einer Veränderung der Muskeleffizienz abhängt. Mit Hilfe genetischer<br />

mOuNT EVErEsT // LINDE TECHNOLOGY<br />

29<br />

AUFSTIEG IN<br />

DIE ToDESzoNE<br />

Expeditionen in große Höhen sind<br />

körperlich extrem belastend. Denn<br />

mit zunehmender Höhe nehmen Luftdruck<br />

und sauerstoffanteil in der Luft<br />

rapide ab. mediziner unterscheiden<br />

dabei einzelne Höhenstufen, mit<br />

denen charakteristische reaktionen<br />

des Organismus einhergehen:<br />

3 Bis zu 1.500 Meter über dem<br />

Meeresspiegel spüren die meisten<br />

Personen keinerlei Gesundheitsbeeinträchtigungen.<br />

3 Wer gesund ist, kann von einem<br />

Aufenthalt zwischen 2.000 bis 2.500<br />

Metern sogar erheblich profitieren.<br />

Nach einiger Zeit passt sich der<br />

Organismus nämlich an die Höhe an,<br />

unter anderem dadurch, dass sich<br />

die Anzahl der roten Blutkörperchen<br />

erhöht. Dadurch kann das Blut mehr<br />

Sauerstoff aufnehmen und ans<br />

Gewebe abgeben. Ein Effekt, den vor<br />

allem Ausdauersportler gerne nutzen.<br />

3 Selbst auf einer Höhe zwischen<br />

3.000 und 5.500 Metern ist der Organismus<br />

noch in der Lage, sich nach<br />

einer entsprechenden Adaptationszeit<br />

vollständig an den Sauerstoffmangel<br />

anzupassen und nahezu normal leistungsfähig<br />

zu bleiben.<br />

1 Oberhalb von 5.500 Metern ist<br />

das nicht mehr möglich. Bei längeren<br />

Aufenthalten kommt es zum kontinuierlichen<br />

Abbau der körperlichen und<br />

geistigen Leistungsfähigkeit. Über<br />

dieser Höhe findet sich daher keine<br />

menschliche Dauerbesiedelung. Sie ist<br />

auch die maximale Höhe, auf der ein<br />

Basislager für Expeditionsbergsteiger<br />

liegen sollte.<br />

3 Über 7.500 Metern beginnt die<br />

„Todeszone“: Wer sich hier aufhält,<br />

unterliegt einem akuten Kräfteverfall.<br />

Einen Aufenthalt in diesem Bereich<br />

können Menschen nur kurze Zeit<br />

überleben.


LINDE TECHNOLOGY // mOuNT EVErEsT<br />

30<br />

sICHErHEIT NICHT Nur IN GrOssEr HöHE<br />

1 mobile<br />

SAUERSToFF:<br />

LEBENSWIchTIGES<br />

ELEMENT UND<br />

MEDIKAMENT<br />

Höhenbergsteigen ist eine Herausforderung<br />

für den menschlichen<br />

Körper, weil der Luftdruck mit<br />

zunehmender Höhe exponentiell<br />

abnimmt. So steht auf 5.300 Metern<br />

Höhe nur noch etwa die Hälfte an<br />

Sauerstoff zur Verfügung, auf dem<br />

Gipfel des Mount Everest (8.848<br />

Meter) nur noch ein Drittel. Bereits<br />

in Höhen über 3.000 Meter können<br />

durch den geringeren Sauerstoffgehalt<br />

der Luft lebensgefährliche<br />

Erkrankungen wie Höhenlungen-<br />

oder Höhenhirnödeme auftreten.<br />

Neben dem möglichst raschen<br />

Abstieg aus der Höhe oder der<br />

zeitweiligen Behandlung in transportablen<br />

Überdruckkammern ist<br />

in diesen Fällen reiner Sauerstoff<br />

das wichtigste Medikament zur<br />

Behandlung. Mit dem portablen Sauerstoffversorgungssystem<br />

LIV ® von<br />

<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Therapeutics steht jetzt<br />

erstmals ein leichtes, zuverlässiges<br />

und einfach zu bedienendes Applikationssystem<br />

zur Verfügung. Auf<br />

zwei Himalaja-Expeditionen zum<br />

Nanga Parbat (Pakistan) sowie zum<br />

Kailash (Tibet) wurden damit bereits<br />

zwei erkrankte Personen erfolgreich<br />

behandelt. LIV ® hat damit die<br />

„Feuerprobe“ für den medizinischen<br />

Einsatz beim Höhenbergsteigen<br />

ausgezeichnet bestanden.<br />

Beatmung: Für den mobilen Einsatz im Krankenhaus hat <strong>Linde</strong><br />

das System LIV ® (<strong>Linde</strong> Integrated Valve) entwickelt: ein sehr leichtes<br />

und sofort einsetzbares mobiles Flaschensystem für die Versorgung<br />

mit medizinischen <strong>Gas</strong>en. LIV ® zeichnet sich außerdem durch leichte<br />

Bedienbarkeit, Wirtschaftlichkeit und vor allem durch sein integriertes<br />

Regelventil aus, das während der Beatmung – sensorgesteuert – den<br />

Druck automatisch reguliert und kontrolliert.<br />

Expeditionsleiter: Dr. Mike Grocott<br />

vom University college London<br />

(UcL) startete im Frühjahr 2007 die<br />

einzigartige Forschungsexpedition<br />

zum Mount Everest.<br />

Analysen entdeckten die Forscher, welcher Faktor für diese Ungleichheit<br />

offenbar verantwortlich war: Die Sportskanonen hatten allesamt<br />

eine längere Variante eines bestimmten Gens, das den Bauplan für<br />

das so genannte Angiotensin-Konversions-Enzym (ACE) liefert. Das<br />

Enzym findet sich im Blut und reguliert dort den Wasserhaushalt und<br />

den Blutdruck. Darüber hinaus findet es sich auch in den Muskeln. Tatsächlich<br />

arbeiteten die Muskeln der Cracks dank des Trainings deutlich<br />

effektiver als zuvor, zudem benötigten sie für die erhöhte Leistung<br />

weniger Energie. Anders dagegen bei den Rekruten, bei denen die<br />

ganzen Mühen nutzlos blieben. Sie alle hatten von ihren Eltern nur die<br />

verkürzten Versionen des ACE-Gens geerbt.<br />

Auf welchem biochemischen Weg die lange ACE-Variante<br />

die körperliche Leistungskraft steigert, ist noch unklar. Fest steht nur,<br />

dass die Bedeutung von Montgomerys Entdeckung weit über sportliche<br />

Aktivitäten hinausgeht. Spätere Untersuchungen deuten nämlich<br />

darauf hin, dass das ACE-Gen auch in der Medizin eine maßgebliche<br />

Rolle spielen könnte: Patienten, die wegen einer lebensbedrohlichen<br />

Komplikation wie etwa akutem Lungenversagen im Krankenhaus liegen,<br />

haben demnach deutlich bessere Chancen zu überleben, wenn<br />

sie die langen Versionen des Gens geerbt haben. Derlei Erkenntnisse<br />

allein bringen zwar noch keine neuen Therapien hervor. Trotzdem<br />

könnte sie Medizinern beispielsweise helfen herauszufinden, welche<br />

Patienten eine besonders intensive Beatmung brauchen, um gerettet<br />

zu werden, und welchen Kranken vielleicht schon mit einer sanfteren<br />

Therapie geholfen ist, weil sie den wenigen Sauerstoff, den ihr Blut<br />

noch transportieren kann, äußerst effektiv nutzen können.<br />

Optimale Testbedingungen am Everest<br />

Das Problem ist nur: „Wissenschaftliche Untersuchungen an schwerkranken,<br />

häufig bewusstlosen Patienten, sind ethisch komplex – und es<br />

ist extrem schwierig, den Effekt einer einzigen Variablen wie Sauerstoffmangel<br />

zu erkennen“, sagt Grocott. Denn wer auf einer Intensivstation<br />

liegt, leidet in der Regel nicht nur an Sauerstoffmangel – er<br />

ist meist so krank, dass mehrere Funktionen des Körpers beeinträchtigt<br />

sind. Selbst für erfahrene Mediziner ist es da kaum noch möglich<br />

zu beurteilen, welche Reaktionen auf den fehlenden Sauerstoff und<br />

welche auf ganz andere Ursachen zurückzuführen sind. Die beste<br />

Alternative sei daher, so Grocott, Tests an gesunden Probanden vorzunehmen.<br />

Eine Möglichkeit dies zu tun – eine Untersuchung an zahlreichen<br />

Probanden, die mehrere Wochen lang in speziellen Unterdruckkammern<br />

wohnen – sei allerdings kaum umsetzbar. Zum einen


stehen selbst in hoch industrialisierten Ländern wie England nur<br />

wenige solcher Kammern zur Verfügung und eine wochenlange Nutzung<br />

wäre extrem teuer. Zum anderen würden sich für ein solches<br />

Experiment wohl nur wenige Freiwillige finden. Denn: Wer will sich<br />

schon wochenlang mit wildfremden Menschen in eine enge Kammer<br />

einsperren lassen – ohne eine Chance, sich irgendwann einmal<br />

zurückzuziehen? „Eine solche Studie wäre vielleicht für Psychiater<br />

interessant“, sagt Grocott leicht schmunzelnd, „für uns aber wenig<br />

hilfreich“.<br />

Eine Tour auf den Mount Everest dagegen bietet gleich in<br />

mehrfacher Hinsicht optimale Bedingungen. Mit zunehmender Höhe<br />

nimmt nicht nur der Sauerstoffgehalt der Luft kontinuierlich ab: Auf<br />

5.300 Metern Höhe beträgt er nur noch die Hälfte des Wertes auf<br />

Meereshöhe, am Gipfel sogar nur noch ein Drittel. Während des Aufstiegs<br />

konnten die Forscher auch kontinuierlich<br />

untersuchen, wie sich der Körper der Probanden<br />

„DIE SAUERSToFF-<br />

MENGEN IM BLUT<br />

SIND AUF DEM<br />

MoUNT EVEREST<br />

VIEL NIEDRIGER<br />

ALS ERWARTET.“<br />

nach und nach auf den Sauerstoffmangel einstellt<br />

und verändert.<br />

Nach Teilnehmern mussten die Forscher<br />

nicht lange suchen. Schon nach kurzer Zeit hatten<br />

sich mehr Interessierte gemeldet, als die Wissenschaftler<br />

mitnehmen konnten. Die glücklichen<br />

„Auserwählten“ – eine Gruppe von 200 Männern<br />

und Frauen im Alter von 18 bis 73 Jahren – durchliefen<br />

zunächst einen Tag lang mehrere Tests, um<br />

den Stoffwechsel ihres Körpers auf Meereshöhe<br />

zu bestimmen. Jeder der Probanden wurde dabei von Kopf bis Fuß<br />

durchgecheckt: Mit Hilfe spezieller Infrarotmessgeräte bestimmten die<br />

Forscher die Durchblutung des Gehirns und der Muskeln, sie maßen<br />

die Fließgeschwindigkeit des Blutes, prüften per Ultraschall die Funktion<br />

der Lungenarterien und setzen die Teilnehmer schließlich auf ein<br />

Ergometer, auf dem sie bis an ihre absolute Leistungsgrenze strampeln<br />

mussten.<br />

Für manch einen Hobby-Sportler unter den Teilnehmer war<br />

allein der Check auf dem Ergometer schon eine neue Erfahrung.<br />

„Ich ging schon damals drei bis vier Mal pro Woche ins Fitness-<br />

studio“, erzählt Greg McNeill, Public Relations Manager bei <strong>Linde</strong>,<br />

der als Versuchsperson ebenfalls an den Testreihen in England teilgenommen<br />

hat. „Erst durch die Studie habe ich aber erfahren, dass<br />

meine maximale Leistungsgrenze viel höher liegt, als ich dachte. Normalerweise<br />

pusht man seinen Körper einfach nicht so weit über die<br />

Komfortzone hinaus, dass man an diese Grenze herankommt“, so<br />

McNeill.<br />

Kurze Zeit später hieß es für alle „Caudwell Xtreme Everest“–<br />

Teilnehmer: auf nach Nepal, zum ersten „mobilen Labor“ in Kathmandu<br />

– 1.400 Meter über dem Meeresspiegel. Was wie eine entspannte<br />

Reise klingt, setzte jedoch auch logistische Höchstleistungen<br />

voraus. Denn für ihre Expedition brauchten die Forscher nicht nur Klei-<br />

auTOrIN:<br />

cornelia Stolze arbeitet als freie Wissenschafts- und Medizinjournalistin<br />

in hamburg und schreibt unter anderem für „zeit“, „Stern“ und<br />

„Süddeutsche zeitung“.<br />

mOuNT EVErEsT // LINDE TECHNOLOGY<br />

31<br />

dung, Zelte, Verpflegung und ein komplettes Set an bergsteigerischem<br />

Equipment. Sie mussten auch Ergometer, Messgeräte, Computer und<br />

die komplette Technik für alle medizinischen Untersuchungen in den<br />

Himalaja befördern. Insgesamt eine 26 Tonnen schwere Fracht von<br />

900 Containern, deren Inhalt zum Mount Everest zu befördern war.<br />

Außer in Kathmandu waren auch mobile Labore auf 3.400 Metern und<br />

4.200 Metern sowie am Basislager (5.300 Meter) zu errichten. „Das<br />

Schwierigste daran“, erzählt Mac Mackenny, im Team für die Logistik<br />

zuständig, „war sicherzustellen, dass jedes Teil am richtigen Ort landete.<br />

Wenn wir aus Versehen etwas ins Base Camp geschickt hätten,<br />

das in Kathmandu sein sollte, hätte es zwei Wochen gedauert, es<br />

zurückzuholen“.<br />

Doch die Logistik klappte – und wenige Wochen später kamen<br />

alle freiwilligen Expeditionsteilnehmer sicher im Basislager an. Hier<br />

untersuchten die Forscher – die fast zwei Wochen<br />

im Basislager verbrachten – erneut, wie sich Höhe<br />

und Sauerstoffmangel auf das Herz, die geistigen<br />

Funktionen sowie die Muskeln und das Blut der<br />

Teilnehmer auswirkten. Die Probanden hatten<br />

damit den höchsten Punkt ihrer Tour erreicht. Für<br />

Grocott, Montgomery und sieben weitere Forscher<br />

– allesamt erfahrene Bergsteiger, die in<br />

den vergangenen Jahren bereits mehrere Gipfel<br />

über 5.000 Meter erklommen hatten – begann<br />

hier jedoch der kniffligste Teil der Expedition, der<br />

Aufstieg zum höchsten Berg der Welt. Innerhalb<br />

weniger Tage mussten die Forscher nicht nur mit der extremen körperlichen<br />

Anstrengung fertig werden. Auf dem Weg zum Gipfel sollten sie<br />

an sich selbst weitere Messungen wie Blutprobenentnahmen und Muskelbiopsien<br />

vornehmen.<br />

Keine leichte Aufgabe. Denn spätestens in der so genannten<br />

Todeszone über 7.500 Metern heißt es für jeden Bergsteiger selbst<br />

mit Hilfe von zusätzlichem Sauerstoff: So schnell wie möglich auf- und<br />

wieder absteigen. Nur so lassen sich Schäden, die die lebensfeindliche<br />

Umgebung am menschlichen Körper anrichten kann, in Grenzen<br />

halten. Das außergewöhnliche Unterfangen glückte: Den Forschern<br />

gelang es, erstmals auf dem Gipfel des Mount Everest Blutproben zu<br />

entnehmen.<br />

Nach ihrer Rückkehr nach England stand den Forschern<br />

einer der wichtigsten Teile der Arbeit noch bevor. Sechs bis neun<br />

Monate, schätzt Grocott, wird es wohl dauern, bis die riesigen Mengen<br />

von Daten, die sie gesammelt haben, in eine Datenbank eingeflossen<br />

und noch Jahre, bis die Untersuchungen abschließend ausgewertet<br />

sind. Eines aber hat sich bereits in den ersten Analysen<br />

gezeigt: „Die Sauerstoffmengen im Blut sind in so extremen Höhen<br />

wie auf dem Mount Everest viel niedriger als wir je erwartet hätten,“<br />

verrät Hugh Montgomery. „Nach der gängigen Lehrmeinung<br />

hätte niemand diese Expedition überleben dürfen.“<br />

LINkS:<br />

www.caudwell-xtreme-everest.co.uk<br />

www.high-altitude-medicine.com<br />

www.linde-gastherapeutics.de


LINDE TECHNOLOGY // AuGENCHIrurGIE<br />

32<br />

LAsEr IN DEr mEDIzIN<br />

Neben der korrektur von sehfehlern<br />

werden Laser auch zu vielen anderen<br />

Anwendungen in der medizin verwendet,<br />

unter anderem:<br />

3 Chirurgie, insbesondere Gefäßchirurgie:<br />

hauptsächlich im Bereich Endoskopie<br />

oder als Skalpell. Weitere Anwendung<br />

ist die Behandlung von defekten Venen<br />

(Krampfadern).<br />

3 Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde: zur<br />

Abtragung von Veränderungen an den<br />

Stimmbändern, außerdem zur Teilabtragung<br />

der Mandeln (Tonsillotomie) und<br />

von Tumoren in Mund und Rachen.<br />

3 Allgemeinmedizin: vorwiegend zur<br />

Diagnose beispielsweise bei der Messung<br />

von Blutstrom und -zirkulation.<br />

3 Augenheilkunde: Laserlicht niedriger<br />

Leistung zur Diagnose, zum Beispiel in<br />

der optischen Kohärenztomografie (OCT).<br />

3 Dermatologie: Laserstrahlen für<br />

Schnitte und Verödungen, um Blutgefäße<br />

zu koagulieren oder um Pigmentflecken<br />

selektiv zu zerstören. Der Excimer-Laser<br />

(Wellenlänge 308 nm) wird zur Behandlung<br />

entzündlicher Hauterkrankungen, wie<br />

Psoriasis (Schuppenflechte) eingesetzt.<br />

3 krebsbehandlung: für die fotodynamische<br />

Therapie.<br />

3 urologie: zur Behandlung von Nierenund<br />

Harnleitersteinen und der Prostata<br />

(Greenlight Laser).<br />

3 zahnmedizin: Laser können den<br />

Bohrer ersetzen oder zur Zahnweißung<br />

(Bleaching) verwendet werden.<br />

zugang zum Gehirn: über 60 Millionen<br />

Nervenfasern verbinden das Auge direkt<br />

mit dem Denkorgan. Das Foto zeigt die<br />

Strukturen von Iris, pupille und ziliarmuskel,<br />

der die Brechkraft der Linse reguliert.<br />

Die Linse wurde zur besseren Erkennbarkeit<br />

entfernt.<br />

<strong>Linde</strong>-Spezialgase für die Laserchirurgie<br />

opERATIoN<br />

SchARFBLIcK<br />

Mit Augenlasern können heute selbst größere Sehfehler korrigiert<br />

werden. Und immer mehr Menschen legen sich jedes Jahr weltweit<br />

unters Laserskalpell statt Brillen oder Kontaktlinsen zu tragen.<br />

Für die Hightech-Augen-OP benötigen Augenärzte in Kliniken und<br />

Praxen aber Spezialgase mit besonderer Reinheit. <strong>Linde</strong> produziert<br />

deshalb spezielle <strong>Gas</strong>e-Mischungen für die Laserbehandlung.


SIE SIND UNSER FENSTER zUR WELT:<br />

DIE AUGEN – WIchTIGSTES SINNESoRGAN<br />

DES MENSchLIchEN<br />

KÖRpERS. DENN DER MENSch IST<br />

EIN AUGENTIER:<br />

Rund 80 Prozent aller Eindrücke sam-<br />

melt er über Hornhaut, Pupille und Retina, jedenfalls so lange sie<br />

einwandfrei funktionieren. Aber seit Computerbildschirme Einzug in<br />

Büros, Fabrikhallen und private Haushalte gehalten haben, wird die<br />

menschliche Optik im Alltag immer stärker strapaziert: Die Zahl der<br />

Brillen- und Kontaktlinsenträger steigt weltweit – allein in<br />

Europa nutzen rund 46 Prozent der Bevölkerung bereits<br />

eine Sehhilfe. Auch der zunehmende Wohlstand, wachsende<br />

Alphabetisierung und eine immer älter werdende<br />

Gesellschaft in vielen Teilen der Erde tragen dazu bei.<br />

Dass die Sehkraft mit den Jahren abnimmt, ist ein<br />

ganz natürlicher Prozess: Schon ab der Geburt verliert die<br />

Linse nach und nach ihre Elastizität durch eine ganz allmähliche<br />

Einlagerung von Kalk. Zwischen 40 und 50 lässt<br />

die Sehfähigkeit besonders im Nahbereich nach, die Linse<br />

wird dicker und damit starrer, unflexibler. Die Folge: Der<br />

Mensch wird kurzsichtig. Aber Sehfehler wie Kurz- und<br />

Weitsichtigkeit hängen nicht unbedingt von den Lebensjahren<br />

ab, sie treten in allen Altersgruppen auf. Und seit<br />

vielen Jahren steigt die Tendenz bei Brillen- und Kontaktlinsenträgern<br />

zu einem Leben ohne lästige Sehhilfe:<br />

Bildquelle: laif<br />

Autor: Michael Kömpf<br />

1<br />

1<br />

Mittels Laser korrigieren Augenärzte weltweit starke<br />

Kurzsichtigkeiten, Hornhautverkrümmungen und Weitsichtigkeiten<br />

– refraktive Chrirugie nennt sich das Fachgebiet<br />

und ist eine boomende Branche. Die große Hoff-<br />

nung von Millionen Brillenträgern und das populärste OP-Verfahren<br />

heißt Lasik und steht für „Laser in situ Keratomileusis“, eine Methode,<br />

bei der die Augenärzte tiefere Hornhautschichten ihrer Patienten mit<br />

ultraviolettem Laserlicht ins Visier nehmen. Allein in den USA ließen<br />

sich 2006 rund 1,4 Millionen Menschen mit dem gebündelten Hochenergie-Lichtstrahl<br />

am Auge operieren. Wer noch eine Brille trägt, gilt<br />

dort fast schon als unterprivilegiert.<br />

Die Lasik-Technik erlaubt es, in Bereichen weit unter einem<br />

Tausendstel Millimeter zu arbeiten. Dadurch kann der Laserspezialist<br />

Brechkraftfehler des Auges, die für die Fehlsichtigkeit verantwortlich<br />

sind, ganz individuell korrigieren. Bei der Lasik hebt der Chirurg mit<br />

einem Mikrokeratom – ein winziges, mechanisches Präzisionsskalpell –<br />

ein dünnes Scheibchen von etwa 0,15 Millimetern Dicke von der<br />

obersten Hornhautschicht und klappt es zur Seite wie einen Buchdeckel.<br />

Dann trägt er mit dem Laser Gewebe der tiefer liegenden<br />

Hornhautschicht ab. Anschließend wird das Deckelchen – auch Flap<br />

genannt – wieder zurückgeklappt. Dabei saugt es sich an und schützt<br />

AuGENCHIrurGIE // LINDE TECHNOLOGY<br />

33<br />

das Auge wie ein körpereigenes Pflaster. Die Operation dauert nur<br />

wenige Minuten – die eigentliche Lasernutzungszeit rund 40 Sekunden.<br />

Lasik kommt für Kurzsichtige bis -10 Dioptrien, Weitsichtige bis<br />

+3 Dioptrien sowie Patienten mit leichter Hornhautverkrümmung,<br />

so genannte Stabsichtige, infrage. Die meisten Behandelten können<br />

schon 24 Stunden nach der Operation ohne Brille oder Kontaktlinsen<br />

sehen. Dabei verursacht das Verfahren weder Wundschmerzen<br />

noch Narben.<br />

Die ersten praktischen Lasererfahrungen der Neuzeit machte<br />

T. H. Maiman im Jahre 1960, als er Licht aus einem Rubinstab erzeugte.<br />

Der Siegeszug der Laserchirurgie in der Augenheilkunde – in der Fachsprache<br />

Ophthalmologie genannt – begann in den 1970er Jahren mit<br />

dem Hitzelaser. Seine gezielten Verbrennungen schweißten beispielsweise<br />

Netzhautablösungen sicher wieder an.<br />

Bei der Lasik-Methode verwendet man heute allerdings so<br />

genannte Kaltlichtlaser wie den Excimer-Laser. Das Wort Excimer setzt<br />

sich zusammen aus excited (angeregt) und dimer, was für zweiatomige<br />

angeregte Moleküle steht. Der Excimer-Laser ist also ein <strong>Gas</strong>entladungs-Laser.<br />

„Als laseraktives Medium hat sich ein Gemisch aus<br />

einem Edelgas, das nicht sehr reaktionsfreudig ist, und einem sehr<br />

reaktionsfreudigen Halogen durchgesetzt“, erklärt Dr. Hans-Jürgen<br />

Diehl, bei der <strong>Linde</strong>-Division <strong>Gas</strong>es als Projektleiter im Marketing für<br />

Spezialgase tätig. Der promovierte Chemiker erklärt das Funktionsprinzip<br />

des Excimer-Lasers: „Elektroden, die impulsartig mit Hochspannung<br />

versorgt werden, regen das <strong>Gas</strong>gemisch an, ionisieren die<br />

Atome also und überführen sie in einen höheren Energiezustand.<br />

Das <strong>Gas</strong>gemisch entlädt sich – ähnlich wie in einer Leuchtstoffröhre<br />

– wobei Energie in Form von Licht frei wird, und die <strong>Gas</strong>teilchen in<br />

den Ausgangszustand zurückfallen.“ Die Wellenlänge eines Excimer-<br />

Lasers ist durch das bei der Anregung entstehende Molekül festgelegt<br />

und reicht von 157 bis 351 Nanometer. Als Edelgasmolekül verwendet<br />

man üblicherweise Argon, Krypton oder Xenon.<br />

qualität der <strong>Gas</strong>e ist entscheidend<br />

„Für die Operationen an den tieferliegenden Hornhautschichten hat<br />

sich der Argon-Fluorid-Laser mit einer Wellenlänge von 193 Nanometern<br />

– also im ultravioletten Bereich – etabliert“, so Diehl. Grund:<br />

Die Eindringtiefe dieser Laserphotonen ist in Wasser sehr gering. Und<br />

weil die Hornhaut zu rund 78 Prozent aus Wasser besteht, kann der<br />

Augenarzt minimale Schichten mit weniger als 0,2 Mikrometer Dicke<br />

mit dem Laserlicht bearbeiten. Das verdampft die anvisierte Hornhautstelle<br />

einfach, aber schädigt das umliegende Gewebe nicht. Das<br />

für diesen Excimer-Laser notwendige <strong>Gas</strong>gemisch besteht aus Neon,<br />

Fluor, Argon und Helium und wird in <strong>Gas</strong>flaschen in die Augenkliniken<br />

und Laserzentren geliefert. Bei einer Augen-OP verbraucht es<br />

sich mit jedem Laserschuss, den der Arzt zur Korrektur der Hornhaut<br />

setzt. Und dabei kommt es besonders auf die Qualität der verwendeten<br />

<strong>Gas</strong>e an. „Die Anforderungen der Laserhersteller an die Reinheit<br />

und exakte Zusammensetzung der <strong>Gas</strong>gemische sind sehr hoch“,


LINDE TECHNOLOGY // AuGENCHIrurGIE<br />

34<br />

Bildquelle: picture press<br />

Blutgefäße<br />

Sehnerv<br />

Lederhaut<br />

Netzhaut<br />

Aderhaut<br />

Stäbchen Sehnerv<br />

Zäpfchen<br />

1<br />

Licht<br />

wENN DAs BILD VErsCHwImmT:<br />

IM INNEREN DES AUGES<br />

Der Aufbau des Auges ähnelt einer Kamera. So wie Objektive Lichtstrahlen auf einen Film<br />

bündeln muss auf der Netzhaut das ins Auge einfallende Licht durch Hornhaut und Linse<br />

gesammelt werden. Nur wenn deren Brechwert exakt auf die Länge des Auges abgestimmt<br />

ist, können scharfe Bilder entstehen. Sind Brechkraft von Hornhaut und Linse und die<br />

Augapfellänge nicht aufeinander abgestimmt, liegt eine Fehlsichtigkeit vor.<br />

augen-Tüv: Beim Sehtest werden<br />

neben Schärfe auch die Fähigkeit<br />

zur Unterscheidung von Farben<br />

sowie das räumliche Sehen geprüft.<br />

Eine Fehlsichtigkeit hat verschiedene Ursachen und kann mit einer Laser-OP – je nach Schwere des Sehfehlers – korrigiert werden.<br />

Normalsichtigkeit<br />

Der Brennpunkt liegt auf der Netzhaut.<br />

Mittels An- oder Entspannung des<br />

ziliarmuskels wird die Linse auf unterschiedliche<br />

Entfernungen eingestellt.<br />

Glaskörper<br />

Glaskörper<br />

Lederhaut<br />

myopie = kurzsichtigkeit<br />

Das Auge ist zu lang. Die Lichtstrahlen<br />

werden vor der Netzhaut gebündelt.<br />

Gegenstände in größerer Entfernung<br />

werden unscharf gesehen.<br />

Iris<br />

Linse<br />

Pupille<br />

Hornhaut<br />

Bindehaut<br />

Ziliarmuskel<br />

hyperopie = weitsichtigkeit<br />

Das Auge ist zu kurz. Die Lichtstrahlen<br />

werden hinter der Netzhaut gebündelt.<br />

Gegenstände in der Nähe werden<br />

unscharf gesehen.<br />

astigmatismus = Stabsichtigkeit<br />

Die hornhaut ist ungleichmäßig gekrümmt,<br />

die einfallenden Lichtstrahlen werden unterschiedlich<br />

gebrochen und treffen gestreut auf<br />

die Netzhaut. Es entsteht ein verzerrtes Bild,<br />

d. h., ein punkt wird beispielsweise strichförmig<br />

abgebildet.<br />

1


erklärt Diehl „weil jede Verunreinigung die Laserleistung mindert.“<br />

Diehl und seine Kollegen arbeiten deshalb eng mit den Laserherstellern<br />

zusammen: Mit Coherent – einem der weltweit führenden Excimer-Laserproduzenten<br />

– entwickeln und testen sie darüber hinaus<br />

neue <strong>Gas</strong>gemische.<br />

multitalent Excimer-Laser<br />

Zur <strong>Linde</strong> Group gehört seit Ende 2005 auch der Weltmarktführer in<br />

Sachen Spezialgase für Augenlaser: Die Spectra <strong>Gas</strong>es, Inc. – eine Tochtergesellschaft<br />

mit Sitz in Branchburg, New Jersey (USA). Von dort versorgt<br />

es aber weltweit nicht nur Augenkliniken und Ärzte mit<br />

<strong>Gas</strong>en für den Excimer-Laser. Denn nur rund ein Drittel aller<br />

Excimer-Laseranwendungen macht die Augenchirurgie aus.Ein<br />

weiteres Drittel wird in der Elektronikindustrie eingesetzt, beispielsweise<br />

für die Mikrolithografie von elektronischen Schaltungen.<br />

Auch Displays von Mobiltelefonen und die Mikrobohrungen<br />

der Düsen von Tintenstrahldruckern werden mit<br />

Excimer-Lasern erzeugt. Im Automobilbau nutzt man das ultraviolette<br />

Laserlicht zur Bearbeitung von Zylinderlaufbahnen<br />

im Motor und in der Medizintechnik zur Herstellung von Mikrokathetern<br />

oder zur Beschriftung von Minibauteilen.<br />

Das <strong>Linde</strong>-<strong>Gas</strong>ezentrum in Unterschleißheim bei<br />

München liefert seine Fluor-Argon-Neon-Gemische zu<br />

90 Prozent an Produzenten von Augenlaser-Geräten. Die<br />

Herstellung dieser Spezialgase erfordert besonderes Knowhow,<br />

denn Fluor ist das reaktivste aller Elemente und zudem<br />

toxisch. „Fluor setzt sich in Gegenwart von Feuchte sofort<br />

in Flusssäure um“, erläutert der Chemiker Diehl, „weshalb<br />

strenge Sicherheitsvorschriften gelten.“ Auch die Analytik<br />

der Fluorgemische erfordert umfassende Erfahrung im<br />

Umgang mit Spezialgasen. Diehl: „Eine ausgefeilte Flaschenvorbehandlung<br />

ist erforderlich damit der Fluoranteil exakt<br />

eingehalten werden kann und so die optimale Laserleistung<br />

erzeugt wird.“ Die Fluorkonzentration in der gefüllten <strong>Gas</strong>flasche<br />

liegt aber unter 0,2 Prozent. Deshalb fällt sie auch beim Transport<br />

schon nicht mehr unter die Gefahrstoffverordnung. „Und bei der<br />

Augenlaser-OP werden die verwendeten <strong>Gas</strong>e direkt im Mischkopf<br />

abgesaugt und gelangen so erst gar nicht in die Umgebungsluft“,<br />

erklärt Susanne Grethlein, Bereichsleiterin Marketing bei der Wave-<br />

Light AG, Erlangen – einem großen Abnehmer von Augenlaser-<strong>Gas</strong>en<br />

von <strong>Linde</strong>.<br />

markt wächst in Osteuropa und Asien<br />

WaveLight entwickelt, produziert und vertreibt seit 1996 unter anderem<br />

komplette Anlagen zur Augenlaser-Chirurgie. Dabei beobachten<br />

die Erlanger zwei unterschiedliche Marktentwicklungen: „In den USA<br />

wächst der Markt nicht mehr, weil das Augenlasern dort schon seit<br />

mehr als zehn Jahren etabliert ist. Dort läuft vor allem das Replacement-Geschäft<br />

– also Ersatz bestehender Anlagen“, so Grethlein.<br />

Anders dagegen sieht es in aufstrebenden Gebieten wie Indien,<br />

China und Lateinamerika aus. Der wachsende Wohlstand führt dazu,<br />

dass sich auch dort zunehmend mehr Menschen lieber unter das<br />

AuGENCHIrurGIE // LINDE TECHNOLOGY<br />

35<br />

„Lasermesser“ legen als Brillen oder Kontaktlinsen zu tragen. Auch<br />

Osteuropa sei ein wachsender Markt, sagt Grethlein. Generell rechnet<br />

die Branche weltweit mit einem mittleren Wachstum von rund<br />

6 Prozent jährlich. „Wobei zum Beispiel Japan wesentlich höhere<br />

Raten verzeichnen dürfte“, schätzt Grethlein, die weltweit von jährlich<br />

rund 3,5 Millionen Lasik-Operationen ausgeht. „In asiatischen<br />

Ländern sind beispielsweise etwa 66 Prozent der Bevölkerung kurzsichtig<br />

und damit potenzielle Kunden für die refraktive Sehkorrektur<br />

mit dem Laser“, so Dr. Klaus Vogler, Bereichsleiter Technik/Applikation<br />

bei WaveLight.<br />

Seit seiner Gründung arbeitet WaveLight mit <strong>Linde</strong>-<strong>Gas</strong>en.<br />

Ausschlaggebend dafür war vor allem das umfassende <strong>Linde</strong>-<br />

Know-how im Umgang mit den Argon-Fluorid-Gemischen. „Wir liefern<br />

Augenlaser-Geräte nach Kanada genauso wie nach Australien,<br />

Japan und Brasilien. Dafür brauchen wir einen <strong>Gas</strong>e-Partner, der auf<br />

der ganzen Welt gleiche Qualität und gleichen Service gewährleisten<br />

kann“, erklärt Grethlein die langjährige Vertragspartnerschaft zwischen<br />

<strong>Linde</strong> und WaveLight.<br />

Das Erlanger Unternehmen arbeitet auch an der Weiterentwicklung<br />

der Augenlaser. Vor allem die noch individuellere Behandlungsmethode<br />

steht dabei im Fokus. „Denn“, so Grethlein, „jede<br />

Hornhaut ist so einzigartig wie ein Fingerabdruck. Und die Sehfehler<br />

entsprechend individuell. Deshalb wollen wir nicht nur die Diagnose<br />

verfeinern, sondern auch die Abstimmung des Lasers mit den Diagnoseverfahren<br />

noch weiter verbessern.“ Schon heute können aber beispielsweise<br />

kleinste ungewollte Augenbewegungen während der OP<br />

mit so genannten Eye-Trackern verfolgt und ausgeglichen werden.<br />

Auch Hans-Jürgen Diehl ist von der Laser-OP überzeugt und würde<br />

sich ganz sicher mit dem Excimer-Laser operieren lassen, wenn er<br />

„statt nur fürs Autofahren auch beim Lesen der Tageszeitung“ demnächst<br />

eine Brille bräuchte.<br />

auTOr:<br />

Michael Kömpf, Wissenschaftsjournalist von „wissen + konzepte“ in München,<br />

betreut die Redaktion von „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ und schreibt unter anderem<br />

für Kundenmagazine über Themen aus Forschung, Technik und Medizin.<br />

LINkS:<br />

www.visionsurgeryrehab.org<br />

www.operationauge.de<br />

www.vsdar.de


LINDE TECHNOLOGY // HEImBEATmuNG<br />

36<br />

heimbeatmung erhöht die Lebensqualität von patienten<br />

DIE „EISERNE LUNGE“<br />

hAT AUSGEDIENT<br />

„Solange ich atme, hoffe ich“, wird Cicero zitiert: „Dum spiro, spero“. Bedeutet das<br />

im Umkehrschluss, dass mit dem Atmen auch die Hoffnung ein Ende findet? Zum<br />

Glück für viele Patienten hat sich seit Cicero die Medizin weiterentwickelt, und so<br />

können auch Patienten, deren Atmung teilweise oder gar nicht mehr funktioniert,<br />

„weiter hoffen“.<br />

Die Ursachen für ein Versagen der Atmungspumpe können vielfältiger<br />

Natur sein, sei es eine Schädigung des Hirnstamms nach einem Unfall<br />

oder eine krankheitsbedingte Schwächung der Atmungsmuskulatur.<br />

In solchen Fällen ist eine künstliche, mechanische Beatmung oder<br />

Atmungsunterstützung notwendig, bei der medizinische Geräte die<br />

Arbeit der Atmungsorgane übernehmen und mechanisch Luft in die<br />

Lungen pumpen. Ihren Ursprung hat diese Therapie in der bekannten<br />

„Eisernen Lunge“, die in den 1950er Jahren verwendet wurde.<br />

Moderne Beatmungsgeräte schränken den Pati-<br />

enten aber heute weit weniger ein und bieten<br />

verschiedene Arten der Beatmung, je nachdem<br />

wie stark er unterstützt werden muss.<br />

Trotz dieser verbesserten Möglichkeiten<br />

der Therapie ist die Gruppe der beatmeten Patienten<br />

weiterhin ein Sorgenkind im Gesundheitswesen.<br />

Die Zahl der Patienten, die langfristig<br />

beatmet werden muss, ist zwar nicht hoch,<br />

durch die aufwändige und komplexe Therapie<br />

verursacht diese Gruppe jedoch beträchtliche<br />

Kosten bei den Krankenversicherungen. Und es<br />

stellen sich auch Fragen wie: Wo kann für diese<br />

Patienten am besten gesorgt werden? Und mittels<br />

welcher Technologien kann diese Pflege verbessert werden?<br />

Traditionell wird die Beatmung von Patienten im Krankenhaus<br />

auf der Intensivstation durchgeführt. Aufgrund der hohen Kosten<br />

der Behandlung im Krankenhaus und der besseren medizinischen<br />

Möglichkeiten wird seit einigen Jahren vermehrt auch eine Beatmung<br />

zu Hause angestrebt. Im Jahr 2001 wurden in Europa bereits<br />

etwa 20.000 Patienten außerhalb der Klinik beatmet. Oftmals verhindern<br />

jedoch äußere Umstände, dass die Patienten nach Hause<br />

„AUSSERKLINISchE<br />

BEATMUNG hILFT<br />

pATIENTEN TRoTz<br />

GRAVIERENDER<br />

ATEMpRoBLEME<br />

EIN hohES MASS<br />

AN LEBENSqUALITäT<br />

zU ERhALTEN.“<br />

zurückkehren können. Die aufwändige Pflege für einen beatmeten<br />

Patienten erfordert ein hohes Engagement der Angehörigen, und<br />

nicht immer sind diese den physischen und psychischen Belastungen<br />

gewachsen. Pflegeheime hingegen beschränken sich auf grundpflegerische<br />

Tätigkeiten, das benötigte, speziell geschulte Pflegepersonal<br />

steht in diesen Einrichtungen oft nicht zur Verfügung. Dadurch<br />

verbringen beatmete Patienten meist mehr Zeit im Krankenhaus als<br />

medizinisch notwendig. Hier explodieren die Kosten für die Pflege.<br />

Ein beatmeter Patient auf der Intensivstation<br />

kann in einem Jahr Kosten von bis zu 300.000<br />

Euro für die Kassen verursachen. Außerdem<br />

bietet das häusliche Umfeld dem beatmeten<br />

Patienten auch eine vertraute Atmosphäre.<br />

Die Heimbeatmung, auch als „außerklinische<br />

Beatmung“ bezeichnet, ist die chronische<br />

Beatmung von Patienten mit respiratorischer<br />

Insuffizienz in der häuslichen Umgebung oder<br />

in einem geeigneten Pflegeheim. Eine respiratorische<br />

Insuffizienz liegt vor, wenn der <strong>Gas</strong>austausch<br />

in den Lungenbläschen oder die mechanische<br />

Atmung – Ventilation – gestört sind, oder<br />

beides in Kombination auftritt. Die Beatmung<br />

kann entweder nicht-invasiv über eine Beatmungsmaske erfolgen<br />

oder chronisch-invasiv über einen Luftröhrenschnitt – Tracheostoma<br />

genannt.<br />

In den letzten Jahrzehnten konnte zum Wohle der Patienten<br />

ein immenser technologischer und medizinischer Fortschritt verzeichnet<br />

werden. Hierzu hat insbesondere die zunehmend breite Anwendung<br />

nicht-invasiver Beatmungstechniken (NIV), also Beatmungsverfahren<br />

ohne die so genannte tracheale Intubation, beigetragen.


Bei der trachealen Intubation wird ein Schlauch<br />

über Mund oder Nase in die Luftröhre (Trachea)<br />

eingeführt. Die nicht-invasive Beatmung wird in<br />

der Regel mit einer Nasenmaske durchgeführt,<br />

die für den Patienten wesentlich schonender ist<br />

und keine Intubation benötigt.<br />

Insbesondere die Erforschung und Be-<br />

handlung des so genannten obstruktiven Schlaf-<br />

apnoe-Syndroms – eine Atmungsstörung, die im<br />

Schlaf auftritt – Anfang der 1980er Jahre führte<br />

zu einer zunehmenden Entwicklung verschiedenster<br />

Nasen- und Gesichtsmasken, die auch für die nicht-invasiven<br />

Beatmung eingesetzt werden können. Durch die Entwicklung einer<br />

Fülle von Beatmungsgeräten, die auch außerhalb von Intensivstationen<br />

und sogar außerhalb des Krankenhauses betrieben werden<br />

können, hat die Zahl derjenigen Patienten mit respiratorischer Insuffizienz,<br />

die im außerklinischen Bereich im Sinne einer Heimbeatmung<br />

beatmet werden, im letzten Jahrzehnt weltweit stetig zugenommen.<br />

Die neue Generation von Heimbeatmungsgeräten bietet dem<br />

Patienten und dem betreuenden Personal ein hohes Maß an Sicherheit.<br />

Egal, ob für Erwachsene oder Kinder, es lassen sich alle gängigen<br />

Beatmungsmuster, sowohl für invasive als auch nicht-invasive<br />

LINDE ENGAGEMENT:<br />

Um die Heimbeatmung stärker zu unterstützen, sind spezielle<br />

Beatmungszentren eingerichtet worden: Beispielsweise die<br />

<strong>Linde</strong> REMEO ® Zentren in Berlin im Jahr 2001 und in Bogota in<br />

2007, die dem Patienten ein früheres Verlassen des Krankenhauses<br />

ermöglichen und ihn und seine Familie – sofern möglich<br />

– auf eine Rückkehr nach Hause vorbereiten. Ein REMEO ®<br />

Zentrum bietet dem Patienten und den Angehörigen ein angenehmeres<br />

Umfeld als das Krankenhaus, nebenbei wird der<br />

Kostenträger um bis zu 60 Prozent entlastet. Durch die Spezialisierung<br />

auf beatmete Patienten haben REMEO ® Zentren<br />

auch eine größere Erfolgsrate bei der Entwöhnung der Patienten<br />

vom Beamtungsgerät. Dies ist ein aufwändiger Prozess, für<br />

den im Krankenhaus, das auf Akutpatienten ausgerichtet ist,<br />

oft die Zeit und die passende räumliche Umgebung fehlen.<br />

Beatmung, problemlos durchführen.<br />

Neben der Möglichkeit, die Geräte<br />

mit Raumluft oder Zumischung von<br />

medizinischem Sauerstoff zu betreiben,<br />

ist besonders die Absicherung<br />

mit einem Akku wichtig. Dadurch<br />

gewährleisten die Geräte dem Patienten<br />

zusätzlich ein hohes Maß an<br />

Mobilität. Die Umstellung auf das<br />

mobile Gerät erfolgt in der Regel<br />

bereits in der Klinik, um dem Patienten<br />

vor der Entlassung aus der<br />

Intensivstation die notwendige<br />

Sicherheit zu geben. Wenn keine<br />

Notfallsituation vorliegt, wird versucht,<br />

durch stundenweise und<br />

zunehmend ausgedehnte Anwendung<br />

den Patienten an die Beatmung<br />

zu gewöhnen. Hierbei muss<br />

auf die geeignete Wahl des Beatmungsgerätes,<br />

-zugangs und -modus<br />

geachtet werden. Bei einer Heimbeatmung<br />

müssen das Beatmungszentrum<br />

und der technische Bereitschaftsdienst<br />

24 Stunden erreichbar<br />

sein.<br />

Für viele Patienten haben<br />

also diese neuen Technologien<br />

HEImBEATmuNG // LINDE TECHNOLOGY<br />

37<br />

DER AUToR:<br />

Prof. Dr. med. Kurt Rasche ist<br />

Facharzt für Innere Medizin<br />

mit den Schwerpunkten<br />

Pneumologie, Allergologie,<br />

Schlafmedizin und Internistische<br />

Intensivmedizin. Er<br />

promovierte 1985 an der<br />

Westfälischen Wilhelms-<br />

Universität in Münster und<br />

ist seit 2001 Chefarzt am<br />

Zentrum für Innere Medizin<br />

der Kliniken St. Antonius<br />

in Wuppertal. Seit 2002<br />

lehrt er auch als Professor<br />

für Innere Medizin an der<br />

Heinrich-Heine-Universität<br />

Düsseldorf. Professor Rasche<br />

ist zudem Mitglied in zahlreichen<br />

nationalen und<br />

internationalen Fachverbänden,<br />

unter anderem wurde<br />

er 2007 zum ersten Vorsitzenden<br />

der „Gesellschaft<br />

für Lungen- und Atmungsforschung“<br />

gewählt.<br />

großen Einfluss auf ihr tägliches Leben. Denn die außerklinische Beatmung<br />

leistet nicht nur einen Beitrag zur Reduzierung der Kosten im<br />

Gesundheitssystem, sondern bietet vor allem den betroffenen Patienten<br />

eine Möglichkeit, sich trotz gravierender Atemprobleme ein<br />

relativ hohes Maß an Lebensqualität zu erhalten.<br />

LINkS:<br />

www.heimbeatmung.de


LINDE TECHNOLOGY // LufTzErLEGEr<br />

38<br />

Luftzerleger: Im Wüstensand von Katar<br />

soll schon bald die größte Luftzerlegungsanlage<br />

der Welt entstehen. Nicht nur als<br />

technischer Entwurf – wie dieses Schema<br />

des <strong>Linde</strong>-Verfahrens –, sondern als reale<br />

Bauteile existieren zahlreiche Komponenten<br />

der Anlage bereits. In vielen Bereichen<br />

gleichen diese dem Luftzerleger, den<br />

<strong>Linde</strong> in Leuna betreibt (siehe Seite 40).<br />

Luft<br />

filter<br />

verdichter 6 Bar<br />

1 2<br />

regeneratoren<br />

O 2<br />

gasförmig<br />

N 2<br />

gasförmig<br />

verflüssigte Luft<br />

kälteboxe<br />

O 2<br />

N 2<br />

N 2<br />

1,4 Bar<br />

5,5 Bar<br />

flüssige Luft<br />

(an O 2 angereichert)<br />

O 2 flüssig<br />

N 2 flüssig<br />

Fotograf: Rüdiger Nehmzow<br />

Autor: Frank Frick<br />

1<br />

1


zERLEGTE<br />

WüSTENLUFT<br />

Glänzende zukunft für traditionsreiche <strong>Linde</strong>-Technologie<br />

Luftzerlegung hört sich eigentlich ganz unspektakulär an, nach einem<br />

simplen Versuchsaufbau im Chemiesaal einer Gymna sialklasse. Doch<br />

das, was The <strong>Linde</strong> Group derzeit im Emirat Katar im Nordosten der<br />

Arabischen Halbinsel im Auftrag der Qatar Shell GTL Ltd. baut, bedeutet<br />

Weltrekord. Dort sollen im Jahr 2010 insgesamt acht große Luftzerleger<br />

pro Stunde 860.000 Kubikmeter Sauerstoff ausspucken –<br />

ein Volumen, das etwa dem anderthalbfachen Rauminhalt eines<br />

Supertankers entspricht. Oder anders ausgedrückt: Die Anlage produziert<br />

in nur 15 Minuten eine Menge, mit der man den legendären<br />

Zeppelin „Hindenburg“ – das größte jemals gebaute Luftschiff – komplett<br />

füllen könnte. Zum Ver gleich: Die erste Anlage zur Zerlegung<br />

von Luft – entwickelt und konstruiert von Carl von <strong>Linde</strong> und seinen<br />

Mitarbeitern – lieferte 1902 gerade einmal drei Kubikmeter Sauerstoff<br />

pro Stunde. Doch die Anlage in Ras Laffan Industrial City am Persischen<br />

Golf dient auch einem völlig anderen Zweck als jene, die der<br />

<strong>Linde</strong>-Gründer vor mehr als 100 Jahren entwarf: Der in der Weltrekordanlage<br />

produzierte Sauerstoff wird im Shell-Werk Pearl helfen, Erdgas<br />

mittels <strong>Gas</strong>-to-Liquid-Technologie (GTL) in hochreine Dieselkraftstoffe<br />

umzuwandeln.<br />

51.000 Tonnen stahl werden benötigt<br />

Aber nicht erst der Betrieb, auch schon die Errichtung der Pearl-Luftzerleger<br />

ist ein Projekt der Superlative: Obwohl <strong>Linde</strong> we sent liche<br />

Elemente der Anlagen fertig anliefert, werden auf dem Gelän de in<br />

Ras Laffan bis zu 2.700 Menschen tätig sein und 59.000 Kubikmeter<br />

Beton, 51.000 Tonnen Stahl und 2.950 Tonnen Aluminium verbauen.<br />

Dabei setzen sie Kräne ein, von denen der größte 80 Meter hoch ist<br />

und 800 Tonnen tragen kann. „Ein solches Großprojekt alleinverantwortlich<br />

von der Planung bis zur schlüsselfertigen Anlagenübergabe<br />

LufTzErLEGEr // LINDE TECHNOLOGY<br />

39<br />

In Katar errichtet The <strong>Linde</strong> Group derzeit die weltweit größte Luftzerlegungsanlage. Sauerstoff- und<br />

stickstoffproduzierende Anlagen von den Erfindern des Luftzerlegungsprozesses sind aber nicht nur<br />

am Persischen Golf, sondern auch global immer gefragter. Angefacht wird der Boom durch steigende<br />

Energiepreise und strengere Klimaschutzauflagen.<br />

durchzuführen, ist eine echte Herausforderung“, sagt Dr. Gerhard<br />

Beysel, bei der <strong>Linde</strong>-Division Engineering zuständig für die Entwicklung<br />

und Vermarktung von Luftzerlegungsanlagen. „Um zu belegen,<br />

dass wir das Projekt stemmen können, mussten wir gegenüber dem<br />

Kunden viele Daten offenlegen: beispielsweise die Kapazität unserer<br />

Fertigungsstätten und die bereits bestehenden Verpflichtungen durch<br />

andere Aufträge“, so der <strong>Linde</strong>-Manager. Was die Shell-Verantwortlichen<br />

erfuhren, war offensichtlich überzeugend – wie auch der Hinweis<br />

auf die lange Erfahrung der <strong>Linde</strong> Group bei der Errichtung großer<br />

Luftzerlegungsanlagen.<br />

Viele parallel laufende Großbaustellen binden im boomen den<br />

Katar qualifizierte Arbeitskräfte und schaffen Engpässe bei Maschinen<br />

und Materialien. Auch deshalb gehörte es bereits in der Angebotsphase<br />

zum Konzept der <strong>Linde</strong>-Experten, den Montageaufwand vor Ort<br />

möglichst gering zu halten. So fertigt <strong>Linde</strong> ein wichtiges Modul jeder<br />

Luftzerlegungsanlage, die Rektifikations-Coldbox, in seinem Werk in<br />

Dalian, China. Jedes dieser Anlegenteile ist rund 58 Meter hoch und<br />

450.000 Kilogramm schwer. Für das Pearl-Projekt werden acht davon<br />

benötigt. Ab April <strong>2008</strong> treten sie ihre Reise auf Schwerlastschiffen<br />

nach Ras Laffan an. <strong>Linde</strong> wendet damit also prinzipiell das gleiche<br />

innovative Montagekonzept an, das sich bereits beim Bau der Erdgasverflüssigungs-(LNG)-Anlage<br />

im norwegischen Hammerfest glänzend<br />

bewährt hat (siehe „<strong>Linde</strong> <strong>Technology</strong>“ vom Januar 2006).<br />

Ein anderes wesentliches Element von Luftzerlegungsanlagen<br />

sind Aluminium-Plattenwärmetauscher. Hergestellt werden sie<br />

in den <strong>Linde</strong>-Werken in Pullach und Schalchen bei München. Die<br />

ersten Exemplare für das Pearl-Projekt verließen Schalchen bereits<br />

im November 2007. Auf einer temporären Baustelle in Bremen bauen<br />

Facharbeiter sie samt zugehöriger Ventile, Rohre und Instrumente in


LINDE TECHNOLOGY // LufTzErLEGEr<br />

// LufTzErLEGEr<br />

40


4<br />

3<br />

LufTzErLEGEr Im DETAIL<br />

2<br />

63<br />

4<br />

1<br />

5<br />

6<br />

1<br />

5<br />

7<br />

Luft<br />

Sauerstoff<br />

Sauerstoffangereicherte Luft<br />

Luft<br />

Stickstoff Sauerstoff<br />

Sauerstoffangereicherte Luft<br />

Restgas<br />

Stickstoff<br />

Restgas<br />

7<br />

8<br />

8<br />

11<br />

11<br />

9<br />

9<br />

10<br />

12<br />

10<br />

13<br />

12<br />

14<br />

LufTzErLEGEr // LINDE TECHNOLOGY<br />

41<br />

Im prinzip beruhen die Anlagen zur zerlegung von Luft in deren hauptbestandteile bis heute auf den Verfahren, die carl von <strong>Linde</strong> zwischen 1895 und 1910 entwickelte.<br />

Seit den pionierleistungen von <strong>Linde</strong>s produzieren Luftzerlegungsanlagen nicht nur immer mehr <strong>Gas</strong>, sondern sind auch sehr viel zuverlässiger, effizienter und bedienerfreundlicher<br />

geworden. Gleichzeitig benötigen sie immer weniger Energie. Die prinzipskizze zeigt alle relevanten Bauteile einer modernen Luftzerlegungsanlage und<br />

erklärt ihre Funktion.<br />

1<br />

Luftfilter 3 Entfernung von mechanischen<br />

Verunreingungen in der Prozessluft.<br />

2<br />

Luftverdichter 3 Verdichtung der Prozessluft in<br />

einem Schrauben- oder Turboverdichter.<br />

3<br />

Luft-/wasserkühler 3 Vorkühlung der Prozessluft<br />

durch Kühlwasser.<br />

4<br />

kälteanlage 3 Weitere Abkühlung auf Molsieb-<br />

Einlasstemperatur.<br />

5<br />

wasserabscheider 3 Entfernung von Kondenswasser<br />

aus der Prozessluft.<br />

6<br />

molsiebadsorber 3 Entfernung von Wasserdampf,<br />

Kohlendioxid und Kohlenwasserstoffen<br />

aus der Luft in umschaltenden Molekularsiebadsorbern.<br />

7<br />

Schalldämpfer 3 Auslass-Schalldämpfer für<br />

Molekularsieb-Regeneriergas.<br />

8<br />

Elektroerhitzer 3 Anwärmung des Regeneriergases<br />

für Molekularsieb.<br />

9<br />

wärmeaustauscher 3 Abkühlung der Luft<br />

im Gegenstrom zu den Produkten: gasförmiger<br />

Sauerstoff und Stickstoff sowie Restgas.<br />

10<br />

unterkühler 3 Unterkühlung von Waschstickstoff<br />

gegen Restgas.<br />

11<br />

Expansionsturbine 3 Entspannung von Restgas<br />

zur Deckung des Kältebedarfs.<br />

12<br />

rektifikationssäule 3 Zerlegung der Prozessluft<br />

in reinen Sauerstoff, reinen Stickstoff und Restgas.<br />

13<br />

16<br />

13<br />

17<br />

15<br />

18<br />

O 2 -Speichertank 3 Der erzeugte flüssige Sauerstoff<br />

wird bei tiefer Temperatur gespeichert.<br />

14<br />

O 2 -verdampfer 3 Flüssiger Sauerstoff aus<br />

dem Tank wird verdampft und gasförmig in<br />

die Produktleitung eingespeist.<br />

15<br />

O 2 -flaschenabfüllstation 3 Bei Bedarf Abfüllung<br />

des gasförmigen Sauerstoffs in Stahlflaschen<br />

unter hohem Druck.<br />

16<br />

Sauerstoffverdichter 3 <strong>Gas</strong>förmiger Sauerstoff<br />

wird für entsprechende Anwendungen auf den<br />

benötigten Druck verdichtet.<br />

17<br />

Sauerstoff/wasserkühler 3 Rückkühlung des<br />

verdichteten Sauerstoffs durch Kühlwasser.<br />

18<br />

Sauerstoffdruckbehälter 3 Um Schwankungen<br />

im Sauerstoffverbrauch auszugleichen, wird<br />

der verdichtete Sauerstoff im Druckbehälter<br />

gespeichert.<br />

14


3<br />

3<br />

3<br />

3<br />

3<br />

3<br />

LINDE TECHNOLOGY // LufTzErLEGEr<br />

42<br />

WELTREKoRD<br />

IN KATAR<br />

kunde: Qatar Shell GTL Ltd.<br />

Standort: ras Laffan, Emirat katar<br />

region: Nordosten der arabischen halbinsel<br />

Inbetriebnahme: 2010<br />

1<br />

arbeitsweise: 8 Luftzerleger werden pro Stunde 860.000 kubikmeter Sauerstoff produzieren<br />

anwendung: Der in der weltrekordanlage produzierte Sauerstoff wird im Shell-werk „Pearl“ helfen,<br />

Erdgas mittels <strong>Gas</strong>-to-Liquid-Technologie (GTL) in hochreine Dieselkraftstoffe umzuwandeln.<br />

3 materialverbrauch: 59.000 kubikmeter Beton / 51.000 Tonnen Stahl / 2.950 Tonnen aluminium<br />

selbsttragende Stahlgehäuse ein. Die so entstandenen Wärmetauscher-Coldboxen<br />

– jede mit einem Volumen von fast 1.700 Kubikmetern<br />

– werden dann zeitlich parallel zum Transport der Rektifikationsboxen<br />

nach Katar verschifft. Andere wesentliche Module und<br />

Container mit Bauteilen gelangen von Häfen in Belgien, Italien, China<br />

und der Türkei an den Persischen Golf. „Logistische Optimierung ist<br />

wichtig, um die Kosten möglichst niedrig halten zu können“, erläutert<br />

Beysel. Günstig auf die Kosten wirkt sich außerdem aus, dass die<br />

<strong>Linde</strong>-Ingenieure das Aufstellungskonzept der Anlagen innerhalb des<br />

Pearl-Geländes gegenüber dem ursprünglichen Entwurf des Kunden<br />

verbesserten.<br />

<strong>Linde</strong>-Technologie mit Tradition<br />

Im Prinzip beruhen die Anlagen zur Zerlegung von Luft in deren<br />

Haupt bestandteile bis heute auf den Verfahren, die Carl von <strong>Linde</strong><br />

zwischen 1895 und 1910 entwickelte. Am Anfang stand ein Experiment,<br />

das darauf abzielte, Luft bei Temperaturen von rund minus<br />

190 Grad Celcius zu verflüssigen. Von <strong>Linde</strong> wollte dabei den bereits<br />

bekannten Effekt nutzen, dass sich Luft erwärmt, wenn sie verdichtet<br />

wird und abkühlt, wenn sie sich entspannt. Seine Idee: Die Kälte,<br />

die beim Ausströmen der Luft von einem höheren zu einem niedrigeren<br />

Druck entsteht, sollte zur weiteren Kühlung eingesetzt werden.<br />

Daher konstruierte er einen Apparat, in dem die Entspannungskälte<br />

im Gegenstrom kontinuierlich auf die komprimierte, vorgekühlte Luft<br />

übertragen wurde. „Wie vorausberechnet, nahm die Abkühlung des<br />

schweren Apparates so lange Zeit in Anspruch, dass ein Tag hierzu<br />

nicht ausreichte und dass während der Nacht je ein Teil der erzielten<br />

Temperatursenkung wieder verloren ging“, erinnerte sich Carl von<br />

<strong>Linde</strong> später. Doch am dritten Tag des Experimentes, dem 29. Mai<br />

1895, war es dann so weit: „Zwischen aufsteigenden Wolken ließen<br />

wir die schöne bläuliche Flüssigkeit in einen großen Blecheimer sich<br />

ergießen“, so von <strong>Linde</strong>.<br />

Da Stickstoff beim Erwärmen von flüssiger Luft früher verdampft<br />

als Sauerstoff, liegt der Gedanke nahe, die beiden <strong>Gas</strong>e<br />

auf diese Weise voneinander zu trennen. Doch die Siedepunkte<br />

von Stickstoff und Sauerstoff liegen nur 13 Grad Celsius auseinander.<br />

Daher versuchten von <strong>Linde</strong> und seine Mitarbeiter die Abtren-<br />

nung mit einem Verfahren, das bereits erfolgreich eingesetzt wurde,<br />

um Alkohol von Wasser abzuscheiden: die Rektifikation. In einem mit<br />

Glasperlen gefüllten Stahlrohr ließ das <strong>Linde</strong>-Team flüssige Luft im<br />

Gegenstrom zum aufsteigenden Sauerstoffdampf herunterrieseln.<br />

Dabei nahm die Luft Sauerstoff auf und gab Stickstoff ab. Im fortlaufenden<br />

Prozess von Verflüssigung und Verdampfung entstand so<br />

nahezu reiner Sauerstoff.<br />

„Mit der technologischen Weiterentwicklung von Luftzerlegungsanlagen<br />

ist es ähnlich wie bei Autos: Diese hatten Anfang<br />

des 20. Jahrhunderts genau wie heute Reifen, ein Lenkrad und einen<br />

Motor – und doch gibt es riesige Unterschiede zwischen den einstigen<br />

und modernen Modellen“, erklärt Witold Balczarczyk von der<br />

<strong>Linde</strong> <strong>Gas</strong> Produktionsgesellschaft in Leuna. Seit von <strong>Linde</strong>s Pionierleistungen<br />

produzieren Luftzerlegungsanlagen nicht nur immer mehr<br />

<strong>Gas</strong>, sondern sind auch sehr viel zuverlässiger, effizienter und bedienerfreundlicher<br />

geworden. Gleichzeitig benötigen sie immer weniger<br />

Energie.<br />

Luftzerleger im Verbund<br />

In Leuna hatte <strong>Linde</strong> bereits 1916 einen Luftzerleger errichtet. Heute<br />

befindet sich an dieser Stätte das weltgrößte <strong>Gas</strong>e-Produktionszentrum<br />

von <strong>Linde</strong>. Es beliefert Unternehmen im mitteldeutschen Chemiedreieck<br />

unter anderem mit Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff.<br />

Als Antwort auf den steigenden Bedarf dieser Kunden hat dort im<br />

September gemeinsam mit einer neuen Wasserstoff-Verflüssigungsanlage<br />

der insgesamt achte Luftzerleger den Betrieb aufgenommen –<br />

in Ergänzung zu den drei noch produzierenden Luftzerlegern vor Ort.<br />

Größter Sauerstoff-Abnehmer ist die TOTAL Raffinerie in unmittelbarer<br />

Nachbarschaft, die damit schwere Bestandteile des Erdöls unter<br />

anderem in Methanol umwandelt – ein wichtiger Ausgangsstoff etwa<br />

für Isoliermaterialien, Farben und Lacke. Andere Unternehmen benötigen<br />

den Sauerstoff, um Vorstufen von Polyamid-Kunstfasern oder<br />

von transparenten Kunststoffen wie Plexiglas herzustellen. Luftzerleger<br />

Nummer 8 stellt sicher, dass diesen Kunden jederzeit ausreichende<br />

Mengen Sauerstoff geliefert werden können. Mit dem anderen Hauptbestandteil<br />

der Luft, dem Stickstoff, versorgt <strong>Linde</strong> neben Leuna über<br />

Rohrleitungen auch die Chemiestandorte Bitterfeld, Piesteritz und


ERFAhRENE<br />

LUFTzERLEGER<br />

The <strong>Linde</strong> Group besitzt eine langjährige Erfahrung in Sachen Luftzerlegung: In den letzten 20 Jahren hat <strong>Linde</strong> rund<br />

100 maßgeschneiderte Luftzerlegungsanlagen mit einer Produktionskapazität von jeweils mehr als 450 Tonnen Sauerstoff<br />

pro Tag gebaut, darunter die in der Tabelle aufgeführten. Dazu kommen über 500 kleinere, modular konstruierte Anlagen.<br />

kuNDE/fABrIk LAND IN BETrIEB sEIT TAGEsprODukTION (in t) wEITErE prODukTE<br />

Saudi Basic Industrial corporation (SABIc) Al Jubail 3 Saudi-Arabien 1993 1.200 (o 2 ) /900 (N 2 ) Argon<br />

SABIc, yanbu Saudi-Arabien 1999 1.200 (o 2 ) /1.500 (N 2 ) Argon<br />

SABIc, Al Jubail 5 Saudi-Arabien 2004 3.200 (o 2 ) /1.740 (N 2 ) Argon, Krypton, xenon<br />

pemex, cantarell Mexiko 2001 63.000 (N 2 )<br />

Wuhan Iron and Steel company, Fabrik E/F china 1992 2.100 (o 2 ) /1.810 (N 2 ) Argon, Krypton, xenon<br />

LufTzErLEGEr // LINDE TECHNOLOGY<br />

43<br />

Wuhan Iron and Steel company, Fabrik G/h china 2004 4.190 (o 2 ) /1.860 (N 2 ) Argon, Krypton, xenon, helium, Neon<br />

Schkopau: Dort wird das reaktionsträge <strong>Gas</strong> beispielsweise eingesetzt,<br />

um Apparate sicher von brennbaren Rückständen zu befreien<br />

oder um für verschiedene chemische Prozesse eine Schutzatmosphäre<br />

zu schaffen.<br />

Trotz des im Laufe der Jahrzehnte erreichten technologischen<br />

Reifegrads des Luftzerlegungsprozesses ist die Leunaer Anlage Nummer<br />

8 aber keineswegs eine „Anlage von der Stange“: Sie lässt sich<br />

auf vergleichsweise niedrige 70 Prozent der<br />

Maximalleistung herunterregeln. Somit kann<br />

ohne Energieverlust flexibel auf den stark variierenden<br />

Bedarf der Kunden reagiert werden.<br />

Andererseits ist „Nummer 8“ so geschickt in<br />

den Verbund mit den anderen Luftzerlegern<br />

am Standort und in Schko pau integriert, dass<br />

der Ausfall beispielsweise eines Luftverdichters<br />

problemlos von anderen Anlagen kompensiert<br />

werden kann. Damit ist sichergestellt,<br />

dass die Werke, die auf die <strong>Gas</strong>e angewiesen<br />

sind, stets zuverlässig beliefert werden können.<br />

Auch dass die Abnehmer mehr Sauerstoff als Stickstoff benötigen,<br />

wurde bei der Konstruktion des neuen Luftzerlegers berücksichtigt:<br />

Er nutzt überschüssigen Stickstoff in einem Verdunstungskühler.<br />

Somit entfällt eine sonst notwendige Kälteanlage, die zusätzliche<br />

Energie verbrauchen und Kosten verursachen würde.<br />

Die welt neu zusammensetzen<br />

„Mit Sauerstoff lassen sich viele Prozesse in der Chemie- und Stahlindustrie<br />

so optimieren, dass sie weniger Ressourcen und Energie<br />

ver brauchen. Das kommt der Umwelt zugute, denn so werden auch<br />

weniger Treibhausgase ausgestoßen“, sagt Balczarczyk. Der Experte<br />

ist von einer rosigen Zukunft für die Luftzerlegungstechnologie über-<br />

auTOr:<br />

Frank Frick ist promovierter chemiker und arbeitet als freier<br />

Wissenschaftsjournalist in der Nähe von Bonn unter anderem für<br />

„Frankfurter Allgemeine zeitung“, „bild der wissenschaft“ und „handelsblatt“.<br />

MIT SAUERSToFF LASSEN<br />

SIch VIELE pRozESSE IN<br />

DER chEMIE- UND STAhL-<br />

INDUSTRIE So opTIMIE-<br />

REN, DASS SIE WENIGER<br />

RESSoURcEN UND ENER-<br />

GIE VERBRAUchEN.<br />

zeugt. Schließlich wird es angesichts steigender Energiepreise und<br />

strengerer Klima schutzauflagen zunehmend attraktiv, Verfahren,<br />

die bisher mit Hilfe normaler Umgebungsluft abliefen, auf Sauer-<br />

stoff umzustellen. „Hinzu kommt: Technologien zur Gewinnung von<br />

sauberen Kraftstoffen oder von Strom aus kohlendioxidfreien Kraftwerken<br />

werden künftig immer bedeutsamer. Und diese benötigen<br />

Sauerstoff“, so <strong>Linde</strong>-Manager Beysel. Dabei über rascht es nicht,<br />

dass The <strong>Linde</strong> Group als Weltmarkführer<br />

auf ihrem urei gen sten Kompetenzgebiet auf<br />

eine langjährige Erfahrung zurückblicken<br />

kann: In den letzten 20 Jahren hat <strong>Linde</strong><br />

rund 100 maßgeschneiderte Luftzerlegungsanlagen<br />

mit einer Produktionskapazität von<br />

jeweils mehr als 450 Tonnen Sauerstoff pro<br />

Tag gebaut (siehe Tabelle). Dazu kommen<br />

über 500 kleinere, modular konstruierte<br />

An lagen. Die bisher weltweit größte einzelne<br />

Luftzerlegungsanlage steht in Cantarell<br />

am Golf von Mexiko. Hier hat 2006 <strong>Linde</strong><br />

Engine ering die mittlerweile fünfte Einheit fertiggestellt. In diesem<br />

Fall steht nicht der Sauerstoff, sondern der Stickstoff im Mittelpunkt<br />

des Kundeninteresses: Die mexikanische PEMEX steigert mit seiner<br />

Hilfe die Ausbeute der nahe gelegenen Offshore-Förderplattformen,<br />

indem sie den natürlichen Öldruck durch gezielte unterirdische Stickstoff-Injektionen<br />

erhöht – Stichwort „Enhanced Oil Recovery“ (EOR).<br />

Ob Stickstoff oder Sauerstoff, Mexiko oder Katar – angesichts<br />

der steigenden Nachfrage nach seinen Produkten kann es als sicher<br />

gelten, dass der klassische Luftzerleger bei der Lösung der Energieprobleme<br />

noch eine wichtige Rolle spielen wird – oder, um es im<br />

etwas euphemistischeren Stil eines Anzeigentexts auszudrücken:<br />

„Wer die Luft teilt, setzt die Welt neu zusammen.“<br />

LINkS:<br />

www.shell.com/home/Framework?siteId=qatar<br />

www.infraleuna.de/cms/index.php?chemiestandort<br />

www.linde-anlagenbau.de/anlagenbau/luftzerlegungsanlagen


LINDE TECHNOLOGY // ALumINIum<br />

44<br />

<strong>Linde</strong>-Technologie reduziert co 2 -Ausstoß in der Metallgewinnung<br />

ALUMINIUM AUS<br />

DoWN UNDER<br />

In Westaustralien arbeiten drei Unternehmen an einem gemeinsamen Projekt, das weltweit<br />

Schule machen könnte: Aluminium-Gigant Alcoa entsorgt das CO2 einer benachbarten<br />

Ammoniak-Fabrik mit Hilfe der eigenen Reststoffe. Ein Prozess, der nicht nur Treibhausgase<br />

reduziert, sondern zugleich Rückstände der Bauxit-Förderung neutralisiert. Verbindendes<br />

Glied ist die australische <strong>Linde</strong>-Tochtergesellschaft BOC, deren Mitarbeiter das innovative<br />

Projekt möglich gemacht haben und koordinieren.<br />

Die Erde jenseits der Dämme ist rot, nicht ungewöhnlich im Westen<br />

Australiens. Doch das Rot dieser Felder im Industriegebiet Kwinana,<br />

30 Kilometer südlich von Perth, wirkt fast purpurn, leuchtend<br />

und knallig. Das liegt an der Extra-Ration Eisen in dem auch als<br />

„red mud“ bezeichneten Rotschlamm, einem Nebenprodukt, das<br />

bei der Produktion von Aluminiumoxid (englisch alumina) aus Bauxit<br />

entsteht. Der Weg vom Bauxit zum Aluminium ist nicht unkompliziert:<br />

Zunächst wird das Erz gemahlen und mit Kalk und Natronlauge<br />

gemischt, danach in Hochdruckbehälter gepumpt und erhitzt.<br />

Das Aluminiumoxid wird in der Natronlauge gelöst, dann werden<br />

Schlamm und Sand von der Lösung getrennt. Als Abfallprodukt fällt<br />

in dieser Phase der Bauxitrückstand – bis zu einer Tonne pro Tonne<br />

Aluminiumoxid – an. Pro Jahr ergibt das etwa 16 Millionen Tonnen.<br />

Anschließend wird die Lösung ausgefällt, gewaschen und schließlich<br />

erhitzt, um Aluminiumoxid zu erhalten.<br />

Kein Wunder, dass diese Rückstände bisher höchst unwillkommen<br />

waren, denn sie haben hohe pH-Werte und müssen deshalb<br />

in speziellen Absetzbecken gelagert werden. Seit einigen Jahren aber<br />

ist der pH-Wert auf der Beliebtheitsskala der Beteiligten ein ganzes<br />

Stück geklettert, denn er ist zu einem Problemlöser geworden: Die<br />

Rotschlamm-Anteile der Bauxit-Rückstände absorbieren das Kohlendioxid<br />

einer benachbarten Ammoniak-Fabrik und speichern es permanent.<br />

Dieses „Dreiecks-Verhältnis“ funktioniert so: Das überschüssige<br />

CO 2 von Chemie- und Düngemittel-Hersteller CSBP wird aufgefangen,<br />

zur BOC Anlage geleitet, dort nach einem <strong>Linde</strong>-Verfahren behandelt<br />

und anschließend weiter auf Alcoas neun Kilometer entfernte Rückstandsfelder<br />

transportiert. Dort binden die Bauxit-Rückstände das<br />

Treibhausgas in einer chemischen Reaktion, die Alcoa entwickelt hat:<br />

Ein Prozess, der „Residue Carbon Capture“ genannt wird und den pH-<br />

Wert des unpopulären Schlamms verbessert.<br />

„Auf den ersten Blick klingt das relativ einfach”, sagt Tim<br />

Few, Tonnage Account Manager für die <strong>Linde</strong> Group in Westaustralien<br />

und Commercialisaton Manager für dieses Projekt. „Schaut man<br />

aber genauer hin, galt es, eine Vielzahl von Details und Hürden zu<br />

überwinden”, so der <strong>Gas</strong>e-Experte. Und damit meint er nicht allein<br />

eine Bahnlinie, Zäune und eine hochempfindliche <strong>Gas</strong>-Pipeline, die<br />

die CO 2 -Rohrleitung auf ihrem Weg von der einen zur anderen Fabrik<br />

kreuzte. Personal- und Materialmangel in Australiens Westen sowie<br />

diverse technische Tücken des völlig neuen Verfahrens stellten <strong>Linde</strong><br />

und die beiden Partner fast täglich vor neue Herausforderungen.<br />

„So blieb es spannend“, sagt Few, der als Ingenieur die chemischen<br />

Aspekte des Verfahrens kennt und zugleich als Manager die wirtschaftliche<br />

Seite betreut.<br />

Zugute kam dem Ingenieur bei dem Projekt aber auch seine<br />

umfassende Erfahrung aus der Aluminium-Produktion, die sehr energieintensiv<br />

ist: Denn bevor aus Aluminiumoxid das silbrig-schimmernde<br />

Metall wird, ist noch eine elektrolytische Reduktion nötig,<br />

die als Schmelzen oder „Smelting“ bezeichnet wird. Die Tonerde<br />

Autor: Julica Jungehülsing<br />

Foto: Bilderberg, Archiv der Fotografen<br />

1<br />

1


Pinjarra<br />

ALumINIum // LINDE TECHNOLOGY<br />

45<br />

Bauxitabbau: In pinjarra, im Südwesten<br />

Australiens, betreibt der USamerikanische<br />

Aluminiumhersteller<br />

Alcoa eine produktionsstätte, die<br />

rund sieben prozent des gesamten<br />

Weltbedarfs herstellt. Ausgangsstoff<br />

dafür ist Bauxit. Die Abbaustätten<br />

dafür gleichen aus der Vogelperspektive<br />

einem abstrakten Gemälde.<br />

BAUxIT<br />

ist ein Gestein und der wichtigste<br />

rohstoff zur aluminium-Gewinnung.<br />

Es besteht vorwiegend aus den aluminium-mineralen<br />

Gibbsit, Böhmit,<br />

Diaspor sowie den Eisenoxiden<br />

hämatit und Goethit, dem Tonmineral<br />

kaolinit und geringen anteilen<br />

des Titanoxids anatas. Bauxit ist<br />

ein weiches Sedimentgestein, das<br />

bei der tiefgründigen verwitterung<br />

von carbonatgesteinen und in den<br />

Tropen auch von Silicatgesteinen<br />

entsteht. Es ist weißlich, meist aber<br />

durch Eisenoxid-Beimengungen rötlich<br />

bis bräunlich gefärbt. für Bauxit<br />

gibt es keine genaue Definition oder<br />

formel. Die verschiedenen arten<br />

unterscheiden sich durch ihre mineralogische<br />

form durch die das aluminiumoxyd<br />

(Tonerde) gebunden ist.<br />

Den Namen verdankt es seinem ersten<br />

fundort Les Baux-de-Provence<br />

in Südfrankreich, wo es von Pierre<br />

Berthier 1821 entdeckt wurde.<br />

Bauxit wird überwiegend im Tage-<br />

bau gefördert. Die bedeutendsten<br />

vorkommen liegen in australien,<br />

Brasilien, Guinea und Jamaika.<br />

weitere vorkommen befinden sich<br />

unter anderem in Indien, Nordchina<br />

und russland. Im Jahr 2005 wurden<br />

insgesamt mehr als 152 millionen<br />

Tonnen Bauxit gefördert. aus etwa<br />

95 Prozent des abgebauten Bauxits<br />

wird aluminium produziert. Geringe<br />

mengen dienen bei günstiger zusammensetzung<br />

der herstellung von<br />

aluminium-chemikalien, Schleifmitteln<br />

und feuerfesten Steinen. um<br />

eine Tonne aluminium zu produzieren,<br />

werden etwa vier Tonnen<br />

Bauxit benötigt.


LINDE TECHNOLOGY // ALumINIum<br />

46<br />

wird dazu in einem Kryolithbad aufgelöst, in dem starker elektrischer<br />

Strom Aluminium von Sauerstoff trennt. Das flüssige Metall kann nun<br />

abgeschöpft, zu den verschiedensten Legierung weiterverarbeitet<br />

und in beliebige Formen gegossen werden.<br />

Zwei bis drei Tonnen Bauxit sind nötig, um eine Tonne Tonerde<br />

– wie Aluminiumoxid auch bezeichnet wird – zu produzieren, für<br />

eine Tonne Aluminium braucht man zwei Tonnen Tonerde. Das klingt<br />

aufwändig, und ist es auch: Allein die Elektrolyse eines Kilogramms<br />

Aluminium erfordert etwa 13 Kilowattstunden Strom. Recycling, Ergie-<br />

in Mio.<br />

1<br />

t/a<br />

quelle:<br />

European Aluminium Association (EAA);<br />

International Aluminium Institude, oEA<br />

bigkeit und Beschaffenheit des Materials machen den hohen Energieverbrauch<br />

bei der Herstellung zum Teil wieder wett: Eine Tonne<br />

Aluminium reicht für über 60.000 Bierdosen oder für sieben Personenwagen.<br />

Da Aluminium nur etwa ein Drittel so schwer ist wie Stahl,<br />

wird es zunehmend im Fahrzeugbau eingesetzt und hilft so durch<br />

seine Gewichtsersparnis Treibstoff zu sparen. 85 bis 90 Prozent des<br />

Aluminiums aus Autos werden inzwischen ebenfalls wiederverwertet.<br />

Und für Recycling-Alu sind nur etwa fünf Prozent der Energie nötig,<br />

die die Herstellung von Hüttenaluminium kostet.<br />

Auf dem Weltmarkt hat sich Aluminium rasant entwickelt. Im<br />

Jahr 1900 produzierten nur fünf Länder – die USA, Schweiz, Frankreich,<br />

Deutschland und Großbritannien – 6.700 Tonnen Hüttenaluminium.<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

1916 waren es bereits über 100.000, Ende der 1930er Jahre hatte die<br />

Produktion mit 700.000 Tonnen alle anderen Nichteisenmetalle überflügelt.<br />

Im Kriegsjahr 1943 wurden fast zwei Millionen Tonnen hergestellt,<br />

ein Stand, der in den 1950ern erstmals wieder übertroffen<br />

wurde. Von da an stieg die Produktion steil und stetig. 2001 kam mit<br />

über 20 Millionen Tonnen zehnmal so viel Aluminium auf den Markt<br />

wie 1952. Heute sind die größten Produzenten China, Russland und die<br />

USA. Dort wird, neben Europa, auch das meiste Alu verbraucht. Chinas<br />

Verbrauch holt allerdings aufgrund seiner boomenden Wirtschaft stark<br />

ALUMINIUMpRoDUKTIoN<br />

WELTWEIT<br />

0 1960 1970 1980 1990 2000 2005 2010 2020<br />

(geschätzt) (geschätzt)<br />

Gesamt-Aluminium<br />

Sekundär-Aluminium<br />

Primär-Aluminium<br />

Begehrtes metall: Aufgrund seiner Eigenschaften ist Aluminium ein gefragter<br />

Werkstoff in vielen Bereichen. Wichtigster Abnehmer ist die Autoindustrie. Autohersteller<br />

wie BMW im Werk Leipzig (li.) bauen mittlerweile komplette Karosserien<br />

aus dem Metall. Das führt zu wachsender Nachfrage nach Aluminium,<br />

das über Schmelzprozesse (re.), Guss-, press-, Walz- und Schmiedeverfahren in<br />

nahezu jede gewünschte Form gebracht werden kann.<br />

auf. Die wichtigsten Bauxitvorkommen befinden sich in Australien, Guinea,<br />

Brasilien, Jamaika, Indien, Guyana und Indonesien, wobei sich der<br />

fünfte Kontinent in den vergangenen 50 Jahren zum Hauptproduzenten<br />

und -exporteur entwickelt hat: 2005 produzierte Australien 62 Millionen<br />

Tonnen Bauxit.<br />

Dass Kohlendioxid die Alkalität von Bauxit-Rückständen verringert,<br />

war dem amerikanischen Aluminium-Produzenten Alcoa schon<br />

länger bekannt. Durch das <strong>Gas</strong> verliert der Rotschlamm einige seiner<br />

umweltschädigen Eigenschaften, und er ist so nicht nur einfacher zu<br />

lagern, sondern auch besser wieder verwertbar, denn „CO 2 senkt den<br />

pH-Wert von 13,5 auf 10,5 Prozent – ein Niveau, das man auch sonst<br />

in vielen alkalischen Böden findet”, erklärt David Cooling, Forschungs


Manager von Alcoa in Kwinana. „Der Schlamm kann so nicht nur<br />

neutralisiert werden, wir arbeiten sogar daran, ihn künftig anderswo<br />

einzusetzen, etwa im Straßenbau oder in der Landwirtschaft.” Bislang<br />

kaufte Alcoa für diese „Neutralisierung“ flüssiges CO 2 zu. Nicht nur<br />

wegen der Kosten suchte der weltweit größte Aluminium-Produzent<br />

nach neuen Wegen, um Abfallprodukte zu verringern. Dass CO 2 in der<br />

Nachbarschaft vorhanden war, machte die Sache doppelt interessant:<br />

Einerseits entwich das <strong>Gas</strong> ungenutzt aus Schornsteinen von CSBP.<br />

Zugleich war es mit einer Reinheit von 99 Prozent nicht nur gut genug<br />

für Alcoas Zwecke, es gab auch mehr als genug davon: Bis zu 450.000<br />

Tonnen CO 2 verursacht die Ammoniak-Fabrik jährlich. Der Erfolg für<br />

den Klimaschutz ist entsprechend groß: Etwa 200 Tonnen Kohlendioxid<br />

kann die neue Anlage pro Tag auffangen. Das sind 70.000 Tonnen<br />

CO 2 im Jahr – etwa die gleiche Menge, die 17.500 Autos verursachen.<br />

„Die enormen Ausmaße haben einen echten Effekt auf die Umwelt<br />

und zugleich ist ein Projekt dieser Dimension für die Firmen rentabel“,<br />

sagt Few mit Stolz über die Erfindung, die außer viel Geduld und<br />

Diplomatie auch technischen Pioniergeist erforderte. Denn natürlich<br />

reist das CO 2 nicht unbehandelt vom Schornstein gen rote Erde. Ein<br />

ausgefeilter chemischer Prozess ist nötig, ehe aus dem Abfallprodukt<br />

des Einen ein Rohstoff des Anderen wird.<br />

kaum größer als ein ferienhaus<br />

Gemessen an der klimatechnischen Bedeutung des Projekts ist die<br />

tatsächliche Größe der Verarbeitungsanlagen allerdings ziemlich<br />

überschaubar. Ein feuchter CO 2 -Strom, der Wasserstoffspuren enthält,<br />

wird in den CSBP-Schornsteinen abgefangen und in einen Prozessor<br />

geleitet. „Dort macht ein Gebläse den Strom druckfest, und<br />

eine Kühleinheit trennt <strong>Gas</strong> vom Kondensat”, erläutert CSBP-Projekt-Manager<br />

Harish Copra und zeigt auf eine Anlage, die – wenig<br />

größer als ein Ferienhaus – zwischen den riesigen Kesseln und Türmen<br />

der Dünger-Fabrik fast unscheinbar wirkt. Von dort aus werden<br />

wIssENswErTEs ÜBEr ALumINIum<br />

LEIchT, JUNG, VIELSEITIG,<br />

UND SEhR BEGEhRT.<br />

ALumINIum // LINDE TECHNOLOGY<br />

47<br />

Aluminium ist das am häufigsten in der Erdkruste vorkommende<br />

metall. Es existiert in der Natur jedoch nur in gebundener<br />

form: vor allem als Aluminiumoxid.<br />

Im Vergleich zu anderen Metallen ist die Aluminiumherstellung<br />

ausgesprochen jung: Als Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals mit<br />

dem Material experimentiert wurde, war das silbrige Leichtmetall<br />

noch teurer als Gold. Heute wird das Metall in fast allen Bereichen<br />

des Alltags benutzt – im Küchenschrank<br />

ebenso wie in der<br />

Weltraumforschung. Dank seiner<br />

geringen Dichte und Leichtigkeit<br />

ist Aluminium überall da beliebt,<br />

wo Masse bewegt werden muss:<br />

in der Luft- und Raumfahrt, in<br />

der Verpackungsindustrie und im<br />

Maschinenbau. Die Gewinnung<br />

des Materials ist äußerst energieintensiv,<br />

zugleich ist seine<br />

Wiederverwertbarkeit enorm:<br />

Fast 70 Prozent des je produzierten<br />

Aluminiums ist dem<br />

amerikanischen Branchenriesen<br />

Alcoa zufolge bis heute im Umlauf.<br />

Das sind 480 Millionen der<br />

690 Millionen Tonnen, die seit<br />

1886 hergestellt wurden.<br />

Da Aluminium heute das begehrteste Nichteisen-Metall der<br />

Welt ist, werden die Kapazitäten ausgebaut, vor allem natürlich<br />

in Ländern mit niedrigen Energiekosten: China baut neue<br />

Alu-hütten und hat seine Produktion seit 1995 von zwei auf<br />

11 Millionen Tonnen im Jahr gesteigert. Aber auch andere Staaten<br />

mit günstiger Energie stocken auf: In der Golfregion beispielsweise<br />

soll sich die Produktion bis 2012 verdoppeln. Die Beliebtheit<br />

des Leichtmetalls ist auch an den Rohstoffbörsen sichtbar.<br />

Während 2006 die Produktion um sechs Prozent auf 34 Millionen<br />

Tonnen (Hütten und Recycling) stieg, kletterten die Preise um<br />

rund 30 Prozent. Analysten rechnen damit, dass dieser Trend<br />

anhält. Von der guten Konjunktur profitiert auch Deutschland:<br />

In den Hamburger Aluminiumwerken, die 2005 wegen hoher<br />

Strompreise stillgelegt werden sollten, sind fast alle Hochöfen<br />

wieder in Betrieb.


LINDE TECHNOLOGY // ALumINIum<br />

48<br />

DIE CHEmIE DEs ALumINIums<br />

AMMoNIUM UND cSBp<br />

Ammoniak (NH 3) ist eine chemische Verbindung von Stickstoff<br />

und Wasserstoff. Seinen Namen verdankt das <strong>Gas</strong> dem Ammonsalz,<br />

das der Sage nach im Tempel von Jupiter Ammon in Libyen<br />

durch die Destillation von Kameldung hergestellt wurde. Das <strong>Gas</strong><br />

ist giftig, farblos, leichter als Luft und hat einen scharfen Geruch.<br />

Durch Druck lässt es sich gut komprimieren und verflüssigen.<br />

Es dient zu 90 Prozent als Grundlage bei der Düngemittelherstellung<br />

und wird dafür zu Ammoniumsalzen (Ammoniumsulfat,<br />

-nitrat und -phosphat) und Harnstoff weiterverarbeitet. Daneben<br />

wird flüssiges Ammoniak in Kältemaschinen eingesetzt, in der<br />

Textilveredlung, zum Plastifizieren von Holz und als Lösungsmittel.<br />

Ein Großteil des Ammoniaks bei CSBP wird für die Herstellung<br />

von Ammoniumnitrat für den Bergbau verwendet. Während<br />

der Ammoniak-Herstellung wird Dampf mit Erdgas komprimiert<br />

und der entstandene Wasserstoff mit Stickstoff aus der Luft<br />

verbunden. Dieser Prozess setzt große Mengen an CO 2 frei, die<br />

bislang vielerorts komplett in die Atmosphäre ventiliert werden.<br />

In dem Pilotprojekt von <strong>Linde</strong>, Alcoa und CSBP wird CO 2 aufgefangen,<br />

verarbeitet und gebunden, was den täglichen Ausstoss<br />

von Kohlenstoffdioxid stark verringert.<br />

CSBP ist die Abkürzung für Cumming Smith British Petroleum,<br />

ein Name, der mit der Geschichte der Firma zusammenhängt:<br />

Der Kunstdüngerbetrieb Cumming Smith wurde 1910 in<br />

Westaustralien gegründet, BP war von Mitte der 1960er Jahre bis<br />

1987 Partner in deren Stickstoff-Produktion in Kwinana. Heute<br />

gehört der Chemiekonzern zur australischen Wesfarmers-Gruppe<br />

und beschäftigt 730 Mitarbeiter. CSBP beliefert vor allem die<br />

chemische Industrie, den australischen Bergbau sowie Mineralien<br />

verarbeitende Betriebe und Raffinerien. CSBPs Ammonium-<br />

Werk kann bis zu 700 Tonnen Ammoniak pro Tag herstellen.<br />

die Ströme in einem doppelten Plastikrohr unterirdisch auf die zwei<br />

Kilometer lange Reise in Richtung BOC geschickt.<br />

Auf dem Gelände von <strong>Linde</strong>s australischer <strong>Gas</strong>e-Tochter<br />

werden Kohlendioxidstrom und Kondensat getrennt weiterver-<br />

arbeitet: CO 2 wird mit Luft vermischt und komprimiert, ehe ihm ein<br />

so genannter Catox-Katalysator Wasserstoff entzieht. „Die geringsten<br />

Wasserstoffspuren könnten in der Anlage von Alcoa zu einer explosiven<br />

Mischung werden”, erklärt Tim Few. Die <strong>Linde</strong>-Ingenieure entwickelten<br />

daher hochsensible Analysegeräte, die den Kohlendioxid-<br />

Strom ständig an mehreren Stellen prüfen. Ebenso exakt kontrolliert<br />

wird der Methangehalt, der bei zu hohen Dosen riskant sein könnte.<br />

An anderer Stelle setzt die Anlage Stickstoff zu, der in den Mischkesseln<br />

bei Alcoa ausgleichend auf die Konsistenz des Endprodukts<br />

wirkt. Doch noch ein weiteres Risiko musste ausgeschlossen werden:<br />

die Kondensation. CO 2 wird in der <strong>Linde</strong>-Anlage gekühlt, um dessen<br />

Taupunkt soweit wie möglich zu reduzieren. Denn mischt sich CO 2<br />

mit Wasser, entsteht Kohlensäure, die sehr korrosiv auf Stahl wirkt.<br />

Um den Stahl der neun Kilometer langen Rohrleitung zwischen BOC<br />

und Alcoa zu schützen, galt es, jegliche Kondensation zu vermeiden.<br />

Um Schwankungen bei der Temperatur zu minimieren, wurde die<br />

Pipeline daher soweit wie möglich unterirdisch verlegt. Eine Arbeit,<br />

die an vielen Stellen sozusagen per Hand erfolgen musste. „Außer<br />

Straßen und Schienen überquert die CO 2 -Leitung gleich mehrfach die<br />

gut 1.500 Kilometer lange Dampier-Bunbury-Pipeline – die wichtigste<br />

<strong>Gas</strong>-Versorgungsleitung der Region”, erklärt Few. Ein Spezialteam<br />

ging daher mit größter Vorsicht ans Werk, um beim Bau jedes Risiko<br />

auszuschließen. Denn Pannen waren nicht erlaubt. Westaustraliens<br />

Mineralien- und Rohstoffindustrie erlebt zwar derzeit einen immensen<br />

Boom, der aber nicht ohne Nebenwirkungen für die Betriebe<br />

bleibt: Qualifizierte Arbeitskräfte sind knapp, und die Unternehmen


müssen oft sehr lange auf Materialnachschub und Ersatzteile warten.<br />

Der Spezialkühler von <strong>Linde</strong> wurde aus diesem Grund kurzerhand<br />

aus Italien eingeflogen, die Kompressoren aus England. „Nachdem<br />

die komplizierten Vertragsmodalitäten und die technischen Aspekte<br />

geklärt waren, wollten alle nur noch eines: dass das Projekt endlich<br />

läuft”, erinnert sich Few an die spannende Entwicklungszeit zurück.<br />

Seine profunden Kenntnisse der Alu-Produktion und das gute<br />

Vertrauensverhältnis – darin stimmen die Beteiligten von CSBP und<br />

Alcoa überein – spielten eine entscheidende Rolle beim Gelingen<br />

des Projekts.<br />

David Cooling steht auf einem Hügel, unter dem Bauxit-<br />

Rückstände aus den Alcoa-Minen lagern. Jenseits der umliegenden<br />

Felder, auf denen schillernd der Rotschlamm trocknet, kann man im<br />

Süden die Schornsteine von CSBP erkennen. Seit Monaten fließt das<br />

CO 2 von der Ammonium-Fabrik nahzu störungsfrei dorthin, wird vom<br />

Schlamm gebunden und erspart der Atmosphäre täglich 200 Tonnen<br />

Treibhausgas. Bislang sind die drei Unternehmen in Kwinana weltweit<br />

die einzigen, die auf diese Art zusammenarbeiten, um Kohlendioxid zu<br />

verwerten und zu entsorgen. „Aber eine Reihe anderer Erzeuger haben<br />

inzwischen angeklopft, weil sie sich für das Verfahren interessieren”,<br />

sagt Cooling. „Das freut uns natürlich, und wir überlegen, wie wir<br />

unser Wissen am effektivsten weitergeben können. Wir sehen darin<br />

vor allem eine großartige Chance, zum Klimaschutz beizutragen.”<br />

auTOrIN:<br />

Julica Jungehülsing lebt und arbeitet seit 2001 in Sydney als Autorin<br />

für diverse Magazine in Deutschland. Unter anderem berichtet sie<br />

über den Rohstoff-Boom in Westaustralien.<br />

vom Bauxit zum aluminium: Eine<br />

Extra-Ration Eisen verleiht dem auch<br />

als „red mud“ bezeichneten Rotschlamm<br />

(li.) seine Farbe. Das Abfallprodukt<br />

entsteht bei der herstellung<br />

von Aluminiumoxid, das mit hilfe von<br />

Natronlauge aus Bauxit herausgelöst<br />

wird und nach weiteren chemischen<br />

prozessen in pulverform via riesiger<br />

containerschiffe von Australien in die<br />

Welt transportiert wird.<br />

copyright: Klaus D. Francke/Bilderberg<br />

ALumINIum // LINDE TECHNOLOGY<br />

49<br />

AUS VIER ToNNEN BAUxIT ENTSTEhEN UNTER DRUcK<br />

UND hITzE zWEI ToNNEN ALUMINIUMoxID<br />

LINkS:<br />

www.world-aluminium.org<br />

www.alcoa.com


LINDE TECHNOLOGY // spEzIALGAsE<br />

50<br />

Spezialgase für die halbleiter- und Solarzellenfertigung<br />

SoNNIGE AUSSIchTEN<br />

Ätzen, Dotieren, Schichten und Reinigen: Bei der Herstellung von Halbleiter-Chips<br />

und Bauteilen für Flachbildschirme erfüllen Elektronikgase vielfältige Aufgaben.<br />

In der modernen Solartechnik entwickeln sie sich mittlerweile zu einem bedeutenden<br />

Produktionsfaktor. Mit innovativen Technologien erhöhen <strong>Linde</strong>-Ingenieure jetzt die<br />

Effizienz im Herstellungsprozess der Solarzellen. Das kommt auch der Umwelt zugute.<br />

Im Osten geht bekanntlich die Sonne auf. Für Frankfurt/Oder gilt das<br />

künftig im doppelten Sinne: Mitte 2007 hat die Conergy AG, eines der<br />

führenden Solarunternehmen in Europa, in der deutsch-polnischen<br />

Grenzstadt die weltweit erste, vollintegrierte Massenproduktion von<br />

Solarmodulen in Betrieb genommen. Bislang führte der Weg von der<br />

unbehandelten Silizium-Scheibe (Wafer) bis zur fertig verdrahteten<br />

Solarzelle (Modul) über Firmen- und meist sogar Ländergrenzen<br />

hinweg. Conergy hat den gesamten Prozess nun unter einem Dach<br />

vereint. <strong>2008</strong> sollen bereits Module mit einer Gesamtleistung von<br />

250 Megawatt vom Band laufen. Mehr als 50.000 Haushalte könnten<br />

so mit Strom versorgt werden.<br />

Um die Qualität hoch und die Kosten niedrig zu halten, wurde<br />

die Anlage konsequent auf Effizienz getrimmt. So verkürzt die kompakte<br />

Anordnung der Produktionslinien die Transportwege, während<br />

ihr hoher Automatisierungsgrad die Bruchgefahr der empfindlichen<br />

Zellen mindert. Auch die Auswahl der Zulieferer erfolgte nach Effizienzkriterien:<br />

So erhielt das <strong>Linde</strong>-Joint Venture <strong>Linde</strong> Nippon Sanso<br />

den Auftrag für die Lieferung von Stickstoff sowie den Spezialgasen<br />

Argon, Helium, Wasserstoff, Ammoniak und Silan, weil das Unternehmen<br />

garantierte, die gesamte Logistik sowie den Betrieb der Stickstofferzeugung<br />

vor Ort – also onsite – innerhalb von nur vier Monaten<br />

in Gang zu setzen. Normalerweise wird dafür die dreifache Zeit verplant.<br />

„Dieser Auftrag ist ein weiterer Beleg für die wachsenden Einsatzmöglichkeiten<br />

von <strong>Gas</strong>en bei erneuerbaren Energien“, erklärt Dr.<br />

Aldo Belloni, Mitglied des Vorstands der <strong>Linde</strong> AG und unter anderem<br />

verantwortlich für die Business Area Elektronikgase.<br />

Die Sorge um das globale Klima hat Energiequellen, die sich nicht<br />

aus der Verbrennung fossiler Rohstoffe speisen, einen wahren<br />

Boom beschert. Davon profitiert auch die Halbleiterindustrie, denn<br />

die Solarbranche entwickelt sich zum echten Umsatzmotor. Während<br />

Marktforscher beispielsweise in klassischen Halbleitersegmenten<br />

wie den Mikrochips und Flachbildschirmen bis 2010 Umsatzzuwächse<br />

von maximal acht Prozent pro Jahr erwarten, liegen die<br />

Prognosen im Solarbereich bei rund 30 Prozent – Tendenz steigend.<br />

„Wir rechnen damit, dass die Fotovoltaik-Produzenten ab 2012 mehr<br />

Geld für <strong>Gas</strong>e ausgeben als die Hersteller von Flachbildschirmen“,<br />

prognostiziert Dean O´Connor, Leiter der Marktentwicklung im <strong>Linde</strong>-<br />

Geschäftsbereich Elektronikgase. „Und 2017 werden sie in dieser Hinsicht<br />

wohl auch die Chip-Produzenten überholen.“<br />

<strong>Linde</strong> verstärkt Engagement bei fotovoltaik<br />

<strong>Linde</strong> hat auf diese Entwicklung frühzeitig reagiert. Bereits Mitte der<br />

1980er Jahre hatte das Unternehmen begonnen, hochreine <strong>Gas</strong>e speziell<br />

für die Halbleiterindustrie zu erzeugen, weil der damalige Großkunde<br />

Siemens in die Produktion von Speicherchips eingestiegen war.<br />

Angesichts der „sonnigen Aussichten“ wurden die Produktions- und<br />

Vertriebskapazitäten dieses Geschäftsbereichs in den vergangenen<br />

drei Jahren stark erweitert. So erwarb <strong>Linde</strong> 2004 die Mehrheit an<br />

<strong>Linde</strong> Nippon Sanso, einem Joint Venture mit dem japanischen <strong>Gas</strong>e-<br />

Hersteller Taiyo Nippon Sanso, um die europäische Halbleiterindustrie<br />

umfassend mit Elektronikgasen, Services und Geräten zu beliefern.<br />

Als <strong>Gas</strong>elieferant spielt <strong>Linde</strong> Nippon Sanso eine führende Rolle


Energiespender Sonne: Moderne Solarkraftwerke können heute bereits<br />

Spitzenleistungen von rund 12 Megawatt erreichen.<br />

DIE sONNE HAT zukuNfT<br />

prognose: weltweit neu<br />

installierte solarleistung<br />

(quelle: Sarasin 2006)<br />

Jahr Megawatt (peak)<br />

pro Jahr<br />

prognose: weltweit<br />

verkaufte solarzellen<br />

(quelle: EpIA)<br />

Mrd. €<br />

pro Jahr<br />

2006 1.501 9<br />

2007 1.834 12<br />

<strong>2008</strong> 2.322 16<br />

2009 3.053 21<br />

2010 4.097 25<br />

Solarstrom für die Bahn: Fotovoltaikanlage auf dem hauptbahnhof Berlin<br />

spEzIALGAsE // LINDE TECHNOLOGY<br />

51<br />

in der europäischen Fotovoltaikindustrie. Außerdem wurde die Marktposition<br />

der <strong>Linde</strong> Group in Amerika und Asien im Jahr 2006 durch die<br />

Übernahme von BOC gestärkt.<br />

Die globale Präsenz des Unternehmens wird ein wichtiger<br />

Wettbewerbsvorteil im Solarmarkt der Zukunft sein. Denn während<br />

das Gros der Mikrochips und Flachbildschirme vor allem in Asien und –<br />

in geringerem Umfang – in Amerika gefertigt wird, rückt mit dem<br />

aktuellen Solarboom auch Europa wieder ins Zentrum des Halbleitergeschehens.<br />

Allein im Osten Deutschlands sollen bis zum Jahr <strong>2008</strong><br />

mindestens sieben Fotovoltaik-Produktionsstätten den Betrieb aufnehmen.<br />

Technologisch bauen alle diese Anwendungsgebiete auf die<br />

gleiche Basis: auf Halbleiter, meist in Form von Silizium. Dieses Element<br />

stellt innerhalb der Erdhülle ein Viertel der Masse und zeichnet<br />

sich dadurch aus, dass seine elektrische Leitfähigkeit manipuliert<br />

werden kann. Je nach Zustand wirkt es wie ein Leiter oder wie ein<br />

Isolator. Die Solartechnik nutzt diese Eigenschaften, um Licht in elektrische<br />

Energie zu verwandeln. In der Mikrochip-Technik wiederum<br />

dienen sie zum Bau von elektrischen Schaltern (Transistoren), mit<br />

deren Hilfe die heutzutage fast allgegenwärtigen, winzigen Rechenmaschinen<br />

für Computer, Mobiltelefone und Kraftfahrzeuge hergestellt<br />

werden. Oder aber sie kommen in großflächigen Flüssigkristall-<br />

Displays (LCDs) zum Einsatz, wo sie die Beleuchtung der einzelnen<br />

Bildpunkte steuern.<br />

Bei der Metamorphose vom rohen Silizium-Wafer zum hochspezialisierten<br />

Bauelement übernehmen die Elektronikgase, die eine<br />

Autor: Frank Grünberg<br />

Bildquelle: laif<br />

1<br />

1


LINDE TECHNOLOGY // spEzIALGAsE<br />

52<br />

1<br />

SpEzIALIST FüR SpEzIALGASE<br />

<strong>Linde</strong> Nippon Sanso, das Joint Venture zwischen The <strong>Linde</strong> Group und Taiyo Nippon Sanso, wurde 1999<br />

gegründet, 2005 übernahm <strong>Linde</strong> einen mehrheitlichen Anteil. Heute hat das Unternehmen seinen<br />

Sitz in Pullach. Der <strong>Gas</strong>e-Spezialist beliefert die Halbleiter- und Fotovoltaikindustrie in Europa mit dem<br />

gesamten Portfolio an Elektronikgasen, <strong>Gas</strong>versorgungsanlagen und dazugehörigen Dienstleistungen –<br />

von der Beratung über kundenspezifische Lösungen bis hin zur schlüsselfertigen Projektplanung.<br />

maximale Verunreinigung von einem Fremdpartikel pro eine Millionen<br />

Moleküle aufweisen dürfen, vielfältige Aufgaben. Beispielsweise bei<br />

der Dotierung: Dabei werden Fremdatome in das Grundmaterial eines<br />

integrierten Schaltkreises eingebracht, um die elektrischen Eigenschaften<br />

nach Wunsch zu verändern. Dazu nutzt man beispielsweise<br />

so genannte Dotiergase wie Diboran, Arsin oder Phosphin – spezielle<br />

Verbindungen aus Wassserstoff und Bor beziehungsweise Arsen und<br />

Phosphor.<br />

Auch bei der Epitaxie – ein Vorgang, bei dem <strong>Gas</strong>e wie Silan<br />

und Wasserstoff reagieren, um feinste Siliziumschichten auf dem<br />

Wafer abzuscheiden – kommen Elektronikgase von <strong>Linde</strong> zum Einsatz.<br />

Atmosphärengase wie Stickstoff, Sauerstoff oder Argon wiederum<br />

erfüllen in Reinigungs- und Spülprozessen eine wichtige Aufgabe.<br />

Beim Ätzen schließlich tragen Fluorgase den vorbehandelten<br />

Halbleiter dort gezielt ab, wo die zuvor erfolgte Belichtung einen flächig<br />

verteilten Fotolack nicht zerstört hat, weil er durch eine Maske<br />

geschützt war. Bis zu mehrere hundert Male wiederholt, ermöglicht<br />

dieser fotolithografische Prozess, die elektronischen Schaltkreise<br />

Schicht für Schicht ins Silizium zu prägen. Weil die Strukturierungsprozesse<br />

aber keineswegs für alle Anwendungen gleich sind, werden<br />

die Elektronikgase je nach Bauelement in unterschiedlicher Zahl<br />

und Menge benötigt. „Während bei der Herstellung von Mikroprozessoren<br />

rund 20 verschiedene <strong>Gas</strong>e verwendet werden, sind es bei<br />

Solarzellen lediglich fünf“, erklärt Klaus Bomhard, Leiter des neuen<br />

Elektronikgase-Werks am <strong>Linde</strong>-Standort Unterschleißheim bei München.<br />

„Insgesamt allerdings wird bei den Solarzellen eine wesentlich<br />

1<br />

größere Menge benötigt“, so der Diplom-Physiker, der mit dafür verantwortlich<br />

ist, dass sein Unternehmen den wachsenden Bedarf an<br />

Elektronikgasen decken kann. Denn das zurzeit modernste Werk für<br />

Elektronikgase weltweit vor den Toren Münchens, das im September<br />

2006 den Betrieb aufgenommen hat, ist Teil des weltweiten Elektronikgas-Netzwerks,<br />

das 2005 durch die Übernahme des US-amerikanischen<br />

Spezialgaseunternehmens Spectra <strong>Gas</strong>es erheblich erweitert<br />

wurde. Spectra <strong>Gas</strong>es produziert nicht nur hochreine <strong>Gas</strong>e für die<br />

Halbleiterforschung und -produktion, sondern auch <strong>Gas</strong>mischungen<br />

für Excimer-Laser (siehe auch Seite 32 „Operation Scharfblick“). Diese<br />

Lichtquellen liefern die kurzwellige Strahlung, die für die Lithografie<br />

von Halbleitern unentbehrlich ist. In diesem Markt hält Spectra <strong>Gas</strong>es<br />

einen Anteil von 80 Prozent. Weitere Werke der <strong>Linde</strong> Group in China,<br />

Taiwain und den USA versorgen den Weltmarkt mit Spezialgasen für<br />

die Elektronikindustrie.<br />

Abfüllkapazität mehr als verdoppelt<br />

In Unterschleißheim wurden alle Abläufe, vom Handling über das<br />

Abfüllen der <strong>Gas</strong>zylinder bis hin zur Qualitätskontrolle des Endprodukts<br />

auf Massenproduktion getrimmt. Während im alten Werk,<br />

intern „B10“ abgekürzt, lediglich 5.000 Behälter pro Jahr befüllt werden<br />

konnten, sind es im neuen Werk „B21“ bis zu 12.000 Stück in<br />

Zylindergrößen zwischen zehn und 50 Litern. Trotz einer Erhöhung<br />

der Produktionspalette von 25 auf 30 unterschiedliche <strong>Gas</strong>e gelang<br />

es, die Lieferzeit teilweise von vier auf zwei Wochen zu reduzieren.<br />

Aber nicht nur die Kapazität, auch die Produktqualität ist gestiegen.


Um selbst kleinste Verunreinigungen zu vermeiden, werden alle<br />

Flaschen unter Reinraum-Bedingungen gewartet. So darf der Wartungsbereich<br />

nur mit reinraumtauglicher Bekleidung und durch eine<br />

Luftschleuse betreten werden.<br />

Die Reinigung, Aufbereitung und Abfüllung der <strong>Gas</strong>e, die<br />

als Rohware von der chemischen Industrie geliefert werden, erfolgt<br />

anschließend weitgehend automatisiert, Verunreinigungs-Schwankungen<br />

werden so vermieden. Außerdem können die Behälter nun<br />

in größeren Gebinden abgefüllt werden, als dies bislang möglich war.<br />

Bei der Qualitätssicherung setzt <strong>Linde</strong> im neuen Werk Prüfverfahren<br />

wie die <strong>Gas</strong>-Chromatografie und die Infrarot-Spektroskopie ein. Nun<br />

suchen die <strong>Linde</strong>-Experten in Unterschließheim nach Wegen, die Analyseverfahren<br />

weiter zu verfeinern, um beispielsweise den Feuchtgrad<br />

in korrosiven <strong>Gas</strong>en noch genauer bestimmen zu können und<br />

damit einer Beschädigung der Leitungsrohre langfristig vorzubeugen.<br />

„Wir sind das erste <strong>Linde</strong>-Werk, das eine Zertifizierung nach ISO-Norm<br />

TS 16949 erhalten hat“, freut sich Bomhard. „Wir können unsere <strong>Gas</strong>e<br />

damit nun leichter in die Automobilzulieferindustrie verkaufen, wo<br />

diese Norm flächendeckend gefordert wird.“<br />

Technologiewechsel bei solarzellen<br />

Eine Basis, auf der sich angesichts steigender Kundenanforderungen<br />

aufbauen lässt: Denn in Zukunft werden die Hersteller von Elektronikgasen<br />

ihren Kunden nicht nur die Produkt- und Prozessqualität nachweisen,<br />

sondern auch Fragen nach der Klimafreundlichkeit beantworten<br />

müssen. Schließlich wird sich die Wichtigkeit der Rolle, die<br />

Elektronikgase in der Halbleiterindustrie spielen, dramatisch erhöhen.<br />

Grund: Mit den Dünnschicht-Solarzellen (s. Kasten „Schön, schlank und<br />

sauber“) steht ein bedeutender Technologiewechsel bevor. Denn die<br />

auTOr:<br />

Frank Grünberg hat sich auf Technikgeschichten im Spannungsfeld<br />

von Wirtschaft und Wissenschaft spezialisiert.<br />

SchÖN, SchLANK UND SAUBER<br />

spEzIALGAsE // LINDE TECHNOLOGY<br />

53<br />

Technologisch unterscheidet Dünnschichtzellen von klassischen Solarzellen, dass sie nicht<br />

auf einen Silizium-Wafer bauen, sondern einen Träger aus Glas, Kunststoff oder Keramik<br />

besitzen. Ihre aktive Fotoschicht ist nur wenige Hundertstel Millimeter dick. Dünnschichtzellen<br />

lassen sich auch bereits während der Produktion strukturieren und zu Modulen ver-<br />

schalten. Statt wie bisher, Zellen von der Größe einer Untertasse per Hand zu großen<br />

Modulen zusammenzulöten, können nun Einheiten vom Ausmaß einer halben Zimmertür<br />

aus einem Guss gefertigt werden. Davon versprechen sich die Hersteller sinkende Produktionskosten.<br />

Schließlich bieten die Dünnschichtzellen optisch – zum Beispiel als Bestandteil<br />

einer Gebäudefassade – neue Möglichkeiten, da sie sich auch bedrucken lassen. Marktforscher<br />

erwarten, dass sich der Anteil der Dünnschicht-Technologie an der Gesamtproduktion<br />

von Solarmodulen in den kommenden Jahren von heute knapp sieben Prozent auf<br />

rund ein Viertel im Jahr 2010 erhöht.<br />

Solarzellen dieser neuen Generation werden nicht mehr auf Silizium-<br />

Wafern, sondern auf Glas, Folie oder Keramik gebaut. Die unstrukturierten<br />

Träger müssen daher zunächst einmal relativ dick mit Silizium<br />

überzogen werden, um ein elektronisches Fundament zu legen. Das<br />

macht sich auch in der Struktur der Produktionskosten bemerkbar:<br />

Während die <strong>Gas</strong>e bei konventionellen, kristallinen Solarzellen rund<br />

ein Prozent zu den Produktionskosten beitragen, klettert die Quote bei<br />

einfachen, amorphen Dünnschichtzellen auf bis zu acht Prozent, in der<br />

effizienteren Tandem-Version sogar auf 15 Prozent.<br />

fluorgas senkt kosten um bis zu 30 prozent<br />

Auch die Umweltbilanz der Dünnschicht-Solarzellen droht in Schieflage<br />

zu geraten, da mit den neuen Herstellungsverfahren der Reinigungsbedarf<br />

in den Epitaxiekammern wächst. Das Problem: Die<br />

gängigen Reinigungsgase Schwefelhexafluorid (SF6) und Stickstofftrifluorid<br />

(NF3) gelten als Klimakiller. So trägt ein NF3-Molekül rund<br />

11.000 Mal stärker zur Erderwärmung bei als ein Kohlendioxid-Molekül.<br />

Bei SF6 sind es sogar 22.000 Mal soviel.<br />

<strong>Linde</strong> will diese Herausforderungen technologisch lösen und<br />

hat einen Prozess entwickelt, der nicht genutztes SF6 aus der Epitaxiekammer<br />

in den Produktionsprozess zurückführt und die klimawirksamen<br />

Emissionen drastisch verringert. Mittelfristig setzt <strong>Linde</strong><br />

allerdings auf den Einsatz von reinem Fluorgas (F2). Denn: F2 ist<br />

klimaneutral und reinigt die Kammern effizienter als SF6 und NF3.<br />

Außerdem kann es direkt beim Kunden in großen Mengen produziert<br />

werden. „Mit einer On-Site-Fluorgas-Anlage könnten die Hersteller<br />

von Dünnschicht-Solarzellen ihre Kosten um bis zu 30 Prozent senken“,<br />

kalkuliert <strong>Linde</strong>-Manager Dean O´Connor. Die Umweltfreundlichkeit<br />

der Solarindustrie würde jedenfalls erheblich davon profitieren.<br />

LINkS:<br />

www.epia.org<br />

www.semiconductor.net<br />

www.solarbuzz.com<br />

www.sia-online.org


LINDE TECHNOLOGY // AussTELLuNG<br />

54<br />

<strong>Linde</strong> – HaupTsponsor der aussTeLLung<br />

neustart – Mobil ohne Öl?<br />

Vom 9. November 2007 bis zum 16. März <strong>2008</strong><br />

zeigte das Deutsche Technikmuseum Berlin<br />

„neuStart – Mobil ohne Öl? eine Ausstellung aus<br />

der Zukunft der Automobilität“: Originelle Exponate<br />

aus Automobilgeschichte und -gegenwart<br />

sowie interaktive Info-Terminals hinterfragten<br />

die „Faszination Auto“ vor dem Hintergrund von<br />

Klimawandel und Ressourcenknappheit. Welche<br />

Konzepte und Techniken sind heute schon verfügbar,<br />

und wie könnte der Individualverkehr im<br />

Jahre 2032 aussehen?<br />

LinkS:<br />

www.neustart-austellung.de<br />

Szenario 2032: Vision einer vollautomatischen<br />

Wasserstoff-Tankstelle.


Die<br />

Die<br />

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Chancen<br />

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früher<br />

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begreifen!<br />

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Sichern Sie sich jetzt 3 Hefte gratis!<br />

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Mehr infos unter www.technologyreview.de/linde<br />

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05137-882002!<br />

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Deutschlands Technologiemagazin.<br />

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Die Chancen früher begreifen.<br />

Die Chancen früher begreifen.<br />

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Als eines der weltweit führenden <strong>Gas</strong>e- und Engineeringunternehmen<br />

entwickeln wir unter anderem nachhaltige Energielösungen für die zukunft.<br />

wasserstoff ist als ideales speichermedium für regenerative Energiequellen<br />

besonders geeignet. Im <strong>Linde</strong> Hydrogen Center bei münchen findet die<br />

emissionsarme wasserstofftechnologie bereits heute täglich Anwendung.<br />

Diese weltweit einzigartige Einrichtung dient neben der Betankung von<br />

wasserstoffbetriebenen fahrzeugen auch als Test- und Erprobungszentrum.<br />

weitere Informationen finden sie unter www.linde.com/hydrogen<br />

so sieht<br />

zukunft aus:<br />

Wir zeigen unsere<br />

innovative Wasserstofftechnik<br />

im <strong>Linde</strong> Hydrogen Center.

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