städtestrategien gegen armut und soziale ausgrenzung

STÄDTESTRATEGIEN GEGEN ARMUT
UND SOZIALE AUSGRENZUNG
Herausforderungen für eine sozialverträgliche Stadterneuerungs- und
Stadtentwicklungspolitik
durch stadt + raum
Verein für raumbezogene Sozialforschung
im Auftrag der Arbeiterkammer Wien
Andrea Breitfuss, Jens S. Dangschat, Oliver Frey,
Alexander Hamedinger

Inhaltsverzeichnis
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
TUINHALTSVERZEICHNISUT............................................................................................................... 1
TUVORWORTUT.................................................................................................................................... 3
TU0 AUSGANGSSITUATION
TU1 EINLEITUNGUT............................................................................................................................
TU2 ZENTRALE
TU3 THEMENSCHWERPUNKTEUT
UND ZIELSETZUNGUT...................................................................... 5
TUAUSGANGSITUATIONUT ................................................................................................................................5
TUAUFTRAGUT.................................................................................................................................................. 5
TUMSETZUNGUT............................................................................................................................................. 6
7
TU1.1UT TUHERAUSFORDERUNGEN DURCH ARMUT UND DEREN RÄUMLICHE KONZENTRATIONUT ................ 7
TU1.2UT TUZIELE DER STUDIEUT................................................................................................................... 10
ERGEBNISSE DER LÄNDERSTUDIENUT........................................................... 11
TU2.1 GROSSBRITANNIENUT ........................................................................................................... 11
TU2.1.1 Nationale RahmenbedingungenUT.............................................................................................. 11
TU2.1.2 WohnungspolitikUT..................................................................................................................... 14
TU2.1.3 Stadtpolitik – Städtestrategien gegen Armut und soziale AusgrenzungUT ................................. 16
TU2.1.4 Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Lernen vom „Dritten Weg“ in
Großbritannien?UT ...................................................................................................................... 18
TU2.2UT TU FRANKREICHUT....................................................................................................................... 22
TU2.2.1 Nationale RahmenbedingungenUT.............................................................................................. 22
TU2.2.2. WohnungspolitikUT..................................................................................................................... 25
TU2.2.2. Stadtpolitik – Städtische Strategien gegen Armut und soziale AusgrenzungUT ........................ 30
TU2.2.3.UT TUStädtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Lernen aus Erfahrungen mit einer
„Stadtpolitik“ in FrankreichUT .................................................................................................... 35
TU2.3UT TU NIEDERLANDEUT .................................................................................................................. 37
TU2.3.1UT TUNationale RahmenbedingungenUT............................................................................................. 37
TU2.3.2 UT TUWohnungspolitikUT.................................................................................................................... 39
TU2.3.3UT TUStadtpolitik - Städtestrategien gegen Armut und soziale AusgrenzungUT ................................. 41
TU2.3.4UT TU Lernen von den NiederlandenUT ................................................................................................ 46
TU2.4 DEUTSCHLANDUT................................................................................................................ 48
TU2.4.1UT TU Nationale RahmenbedingungenUT ............................................................................................. 49
TU2.4.2. WohnungspolitikUT.................................................................................................................... 51
TU2.4.3 UT TUSozialintegrative Stadtentwicklungsprogramme in DeutschlandUT........................................... 53
TU2.4.4UT TULernen aus den Erfahrungen mit dem bundesdeutschen Programm „Soziale Stadt“UT............. 64
TU2.4UT TURESÜMEE DER LÄNDERSTUDIENUT .................................................................................. 65
................................................................................................. 70
ARMUTSENTWICKLUNG UND ARMUTSURSACHENUT.................................................. 70
TU3.3.1 Datenbasis und Informationen über die Armutsentwicklung in WienUT.................................... 70
TU3.1.2 Armutsentwicklung in WienUT................................................................................................... 70
TU3.1.3 Erfahrungen aus den Länderstudien zu ArmutsentwicklungUT .................................................. 73
TU3.1.4 Empfehlungen für Wien in Bezug auf ArmutsentwicklungUT.................................................... 75
TU3.1UT TU
TU
1

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
3.2 DIE BESTIMMUNG DER GEBIETE LOKALER INTERVENTION.................................. 76UT
TU3.2.1 Bestimmung der Gebiete zur lokalen Intervention in WienUT.................................................... 76
TU3.2.2 Erfahrungen aus den LänderstudienUT........................................................................................ 77
TU3.2.3 Empfehlungen für Wien zur Bestimmung von lokalen InterventionsgebietenUT........................ 78
TU3.3UT TU DIE BEDEUTUNG DER URBAN GOVERNANCEUT ............................................................ 79
TU3.3.1 Urban Governance in WienUT..................................................................................................... 79
TU3.3.2 Erfahrungen aus den Länderstudien zur ‚urban governance’UT.................................................. 84
TU3.3.3 Empfehlungen für WienUT.......................................................................................................... 87
TU3.4UT TUSTADTERNEUERUNGS- UND WOHNUNGSPOLITIKUT..................................................... 88
TU3.4.1UT TUWohnungs- und Stadterneuerungspolitik in WienUT................................................................... 88
TU3.4.2 Erfahrungen aus den LänderstudienUT........................................................................................ 92
TU3.4.3UT TUEmpfehlungen für WienUT.......................................................................................................... 93
TU3.5UT TU STADT(TEIL)ENTWICKLUNG UND QUARTIERSMANAGEMENTUT .............................. 94
TU3.5.1 Stadtteilentwicklung und Quartiersmanagement in WienUT........................................................ 94
TU3.5.2 Erfahrungen aus den LänderstudienUT......................................................................................... 98
TU3.5.3 Empfehlungen für WienUT........................................................................................................... 99
TU3.6 PARTIZIPATIONUT................................................................................................................ 101
TU4 ZUSAMMENFASSUNGUT
TU3.6.1 Partizipation in WienUT.............................................................................................................. 101
TU3.6.3 Erfahrungen aus den LänderstudienUT....................................................................................... 103
TU3.6.3 Empfehlungen für WienUT......................................................................................................... 105
....................................................................................................... 106
TULITERATURUT .............................................................................................................................. 112
2

Vorwort
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Arbeiterkammer sieht es als eine ihrer wichtigsten Aufgaben an, sich besonders auch mit
der Situation von Menschen auseinander zu setzen, die aus irgend einem Grund sozial benachteiligt
sind. Vor allem die Auswirkungen staatlichen Handelns - des Bundes, der Länder oder
der Städte - auf diese Personengruppen stehen im Mittelpunkt des Interesses und werden
immer wieder kritisch hinterfragt.
Armut und soziale Ausgrenzung hängen von einer Reihe von Faktoren ab, die oft in einem
direkten Zusammenhang zueinander stehen und auch kumuliert auftreten. Die räumlichen
Faktoren spielen dabei eine wesentliche Rolle, nicht nur auf Grund der häufigen räumlichen
Konzentration von Armut, sondern auch, weil zum Beispiel Planungsmaßnahmen soziale
Ungleichheiten ausgleichen oder verschärfen können.
Eine ausschließlich räumliche Betrachtung des Problems greift aber bei weitem zu kurz, was
zum Teil auch aus der Betrachtung der in mehreren europäischen Städten angewandten
Strategien hervorgeht. Wenn gerade in den reichsten Ländern der Welt die Armut wieder
massiv im Ansteigen ist – auch in Wien, wenn auch (noch?) in einem geringeren Ausmaß –
dann wird deutlich, dass es sich hier um ein gesellschaftspolitisches Problem handelt. Es geht
um die Verteilung von Reichtum auf allen Ebenen, auf der globalen, der nationalen und der
kommunalen, um die Setzung von Prioritäten bei allen politischen Entscheidungen. Wenngleich
die Entscheidungsspielräume auf der kommunalen bzw. lokalen Ebene gegenüber der
nationalen und auch der globalen sicher eingeschränkt sind, bleiben doch auch auf dieser
Ebene staatlichen Handelns noch Einflussmöglichkeiten, die über Korrekturen der
gravierendsten Auswirkungen von Armut und sozialer Ausgrenzung hinausgehen.
Vor allem gilt es, den sich intensivierenden Tendenzen der - zum Teil staatlich verordneten -
Entsolidarisierung und somit der Verschärfung sozialer Ausgrenzung entgegen zu wirken,
welche die Armutsgefährdung bestimmter sozialer Gruppen noch verstärken.
Die Definition von Armut kann sich nicht am durchschnittlichen Einkommen allein orientieren,
sondern es geht vor allem um die Möglichkeit der Teilhabe am sozialen Leben, um den Zugang
zu sozialen Dienstleistungen, zum Arbeitsmarkt, zu angemessenem Wohnraum, zu Bildung,
Gesundheit etc. Armutsbekämpfung stellt sich daher als Strategie zur Beseitigung bzw. zum
Ausgleich sozialer Ungleichheiten dar.
Es gibt in Wien eine Fülle von Sozialleistungen und Initiativen, die sozial benachteiligten Personen
und Gruppen zur Verfügung stehen, eine Vernetzung und Koordination dieser Leistungen
findet jedoch kaum statt. Außerdem fallen immer mehr Menschen aus verschiedenen Gründen
aus diesen Netzen, oder sie sind von vornherein nicht anspruchsberechtigt.
Der vorliegenden Publikation liegt ein umfangreicher Bericht aus 5 Beispiel-Ländern zugrunde,
ein von Arbeiterkammer und Stadt Wien veranstalteter Workshop im November 2003 mit
Wiener PraktikerInnen lieferte zusätzliche Impulse.
Ziel ist eine Dokumentation der Strategien anderer europäischer Städte und deren Wirksamkeit,
um das Thema Ungleichheiten in Wien über die Grenzen der jeweiligen Fachdienststellen
hinweg und unter Einbeziehung diverser städtischer und privater Initiativen gezielt und
koordiniert in Angriff nehmen zu können.
Es wäre aus Sicht der Arbeiterkammer wichtig, dass die Ergebnisse sowohl in den derzeit in
Arbeit befindlichen Stadtentwicklungsplan einfließen als auch in andere Konzepte und
Maßnahmen der Stadt Wien, beispielsweise die gerade stattfindende Umorganisation des
3

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
gesamten Sozialbereichs oder die Entwicklung einer neuen Orientierung der Integrationspolitik
in Richtung Diversitätspolitik. Dabei sollten die jeweils betroffenen Personen bzw. die in den
jeweiligs relevanten Bereichen arbeitenden PraktikerInnen aktiv in diese Prozesse eingebunden
werden.
Mit der vorliegenden Publikation wird ein mit der AK-Veranstaltung „Stadt der Menschen“ im
Frühjahr 2002 begonnener Diskussionsprozess fortgesetzt und ein weiterer Impuls zur
Erarbeitung eines Leitbildes für eine „Stadt der sozialen Integration“ und einer darauf
aufbauenden Politik gesetzt, die auf eine möglichst gleichmäßige Verteilung von
Lebenschancen und Lebensbedingungen für alle BewohnerInnen der Stadt gerichtet ist.
Antonia Coffey, Arbeiterkammer Wien
4

0 AUSGANGSSITUATION UND ZIELSETZUNG
Ausgangsituation
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die (Wieder-)Zunahme von Armut und sozialer Ausgrenzung ist begleitendes Merkmal des
intensiven sozialen und ökonomischen Wandels. Dieses betrifft im europäischen Maßstab vor
allem die Städte als Orte des flexibilisierten Arbeitsmarktes, insbesondere im
Dienstleistungssektor, als Orte neuer Inszenierungen „des Städtischen“ mit Mitteln des
Städtebaus und der Architektur und als Orte zunehmender Individualisierung und fragil
werdender sozialer Netzwerke.
Neben der quantitativen Zunahme, die Bestandteil einer sozio-ökonomischen Polarisierung ist
(gleichzeitige Zunahme von Armut und Wohlstand), wird das Thema in den Städten
insbesondere auch deswegen diskutiert, weil die Haushalte mit niedrigen Einkommen sich
zunehmend in solchen Quartieren konzentrieren, die von städtebaulichen und
Wohnungsmängeln, von ausgedünnter Infrastruktur, oftmals hohen Immissionen
gekennzeichnet sind und eine Zusammensetzung der Wohnbevölkerung aufweist, die als
„problematisch“ eingeschätzt wird, weil die Anteile an Armut, Menschen mit Sozialhilfebezug,
Arbeitslosen oder Menschen mit Migrationshintergrund teilweise deutlich über dem gesamtstädtischen
Durchschnittswert liegt.
Deshalb haben Verwaltungen und Politik in europäischen Städten mittlerweile einen Richtungswechsel
vorgenommen, indem die klientelorientierte Sozialpolitik zu Gunsten eines
quartiersspezifischen Ansatzes zurückgenommen wird und letzterer unter der Prämisse von
Verwaltungsmodernisierung, neuen Kommunikations- und Beteiligungsprozessen in ein
horizontal und vertikal vernetztes „Management“ überführt wird.
Die Stadt Wien steht bezüglich dieser Trends eher noch am Anfang dieser polarisierenden
Entwicklung, auch wenn die Zunahme der Armut sowie die Konzentration von
Armutsbevölkerung in bestimmten Grätzeln kaum zu übersehen ist. Es spricht viel dafür, dass
die polarisierende Entwicklung auch in Wien stärker bestimmend wird, wenn nicht rechtzeitig
mit geeigneten Maßnahmen gegengesteuert wird. Insbesondere ist es für die Stadt Wien
wichtig festzustellen, wie sie mit eigenen Mitteln auf einen Trend reagieren kann, der
weitgehend von außen bestimmt ist (arbeitsmarktrelevante Des-Investitionen von Unternehmen,
neo-liberale Politik auf übergeordneten politischen und Verwaltungsebenen).
Anlass genug also, die Erfahrungen in anderen europäischen Großstädten vor allem mit den
‚area based initiatives’, ihren Kontexten und Auswirkungen zu analysieren und diese
Ergebnisse auf Wien zu übertragen.
Auftrag
Diese Studie – im Auftrag der Arbeiterkammer Wien, in Kooperation mit der MA 18
(Stadtentwicklung) und der MA 50 (Wohnungspolitik) – hat die Ziele:
• die TEntwicklung der Armut und sozialen AusgrenzungT beschreibend einzuschätzen
und
• lernend aus TErfahrungen in anderen europäischen GroßstädtenT Vorschläge zu
unterbreiten, wie die Stadtentwicklung in Wien (im weitesten Sinne, d.h. mit einer
Kombination mehrerer Geschäftsbereiche des Magistrats, entsprechenden Fonds und
anderen institutionellen AkteurInnen außerhalb des politisch-administrativen Systems)
vorgehen sollte, um insbesondere die Negativ-Effekte, die aus der Armutsentwicklung
5

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
selbst sowie insbesondere der territorialen Konzentration von sozialen Gruppen, die von
Armut und Armutsrisiko betroffen sind, aufzufangen oder gar nicht erst entstehen zu
lassen.
Das Tprimäre ZielT der Gesamtstudie ist, die TWirkungsweise von städtischen Programmen
1
gegen Armut und soziale AusgrenzungT in vier europäischen LändernTP PT einzuschätzen und
daraus Empfehlungen für angemessene Strategien und Interventionen in Wien abzuleiten.
Diese lokalen Interventionsstrategien gelten in Fachkreisen als besonders geeignet, die soziale
Ausgrenzung als Folge von Armut zu verringern.
Im Rahmen der Gesamtstudie sind die folgenden Fragestellungen von besonderem Interesse:
• Schilderung der Problementwicklung in vier EU-Ländern (Großbritannien, Frankreich,
Niederlande, Deutschland) in den Dimensionen:
o Arbeitsmarkt und Sozialstaatlichkeit,
o als komplexes Bündel des Entstehens und Verfestigens von Armutsentwicklung,
sozialer Ausgrenzung,
o Zuwanderung und Integration,
o veränderter demographische Strukturen und
o der räumlichen Konzentration sozialer Problematik (als Anlass für Aktionen des
politisch-administrativen Systems und als Bestandteil des Problemszenarios, welches
die Debatte um Segregation/Konzentration bestimmt);
• Identifizierung und Einschätzung von Armuts- und Armutsverdachtsgebieten;
• Verstärkungs- und Verhinderungseffekte von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie
deren räumlicher Konzentration durch Strategien und Maßnahmen der Stadtplanung und
Stadtentwicklungspolitik (vor allem: Quartiersmanagement);
• Einbettung der innovativen Strategien des Quartiersmanagements in Maßnahmen der
Verwaltungsmodernisierung und der neuen Aufgabenstellungen des politisch-
•
administrativen Systems (governance) und
Erfahrungen mit Partizipation und Empowerment.
Umsetzung
Diese Studie wurde als desk-research vom Institut der Soziologie für Architektur und
Raumplanung (ISRA) der TU Wien in Kooperation mit dem Verein stadt+raum durchgeführt. Die
vorliegende Fassung ist eine komprimierte Fassung des Gesamtberichts.
T1T Die
untersuchten Länder sind Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Deutschland. Zusätzlich wurde eine
Einschätzung der Armuts- und Ausgrenzungsentwicklung in Österreich und Wien vorgenommen sowie die
wesentlichen politischen und administrativen Maßnahmen in den Ländern/Städten in ihren armutsunterstützenden
und -verringernden Wirkungen analysiert. Letzteres ist sicherlich unter den Vorbehalt zu stellen, dass eine wirkliche
Evaluation der Politiken im Rahmen dieser Studie nicht möglich ist und daher auch nicht angestrebt wurde.
6

1 EINLEITUNG
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Eine Stadtentwicklungspolitik muss sich heute stärker als je zuvor an den ökonomischen,
demographischen, sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen Trends orientieren, wenn sie eine
2
angemessene VorsorgepolitikP P betreiben möchte. Dabei kann sich eine Stadt nicht nur auf die
Entwicklung innerhalb der eigenen Grenzen konzentrieren, sondern muss die Entwicklung
innerhalb der gesamten Stadtregion, die generellen Trends vergleichbarer Städte, ihrer
KooperationspartnerInnen und KonkurrentInnen sowie nationale und supranationale
Entwicklungen (EU-Erweiterung) (er)kennen und sich gemäß strategischer Überlegungen
positionieren. In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung wie
• mit ökonomischen Umstrukturierungen (z.B. De-Industrialisierung, Globalisierung,
•
Flexibilisierung von Produktionsprozessen etc.) im Rahmen des zunehmenden
Wettbewerbs zwischen Städten umgegangen wird,
auf die „Herausforderungen der Globalisierung“ seitens der politisch-administrativen
Systeme (z.B. durch die Modernisierung der Verwaltungen) reagiert und welche Form der
Modernisierung angestrebt wird (neoliberale oder nachhaltige) und
• Trends der gesellschaftlichen Entwicklung, etwa die zunehmende „Überalterung“ der
Gesellschaft, die Zunahme der Bedeutung von sozialen Milieus und Lebensstilen für
Gruppenbildungen sowie deren Konzentration im Stadtraum oder Migrationsbewegungen
interpretiert werden und welche Auswirkungen diese für unterschiedliche Felder der
politischen Steuerung haben (z.B. Gesundheits-, Sozial-, Integrationspolitik).
1.1 Herausforderungen durch Armut und deren räumliche Konzentration
Armut und soziale Ausgrenzung beherrschen, ebenso wie die Frage nach dem angemessenen
Umgang mit diesen Phänomenen, seit etwa 20 Jahren einen großen Teil der
sozialwissenschaftlichen und sozialpolitischen Debatten in West- und Nordeuropa. Die
Intensität dieser Debatten hat vor allem auch deshalb zugenommen, weil spezifische soziale
Gruppen von Armut besonders betroffen sind (Kinder und Jugendliche, ZuwanderInnen,
Alleinerziehende und ältere Frauen) und weil die von Armut betroffenen Menschen sich
zunehmend in bestimmten Wohnungsmarktsegmenten an bestimmten Orten konzentrieren –
einerseits in ökonomisch „strukturschwachen Regionen“ (hier überwiegt die „traditionelle Armut“
bei älteren Menschen und (Langzeit-)Arbeitslosen) und in spezifischen Wohnungsteilmärkten
3
(nicht modernisierter Altbau der Gründer- und Zwischenkriegszeit, „Schlichtwohnungen“TP PT der
1950er Jahre und der sozial geförderte Wohnungsbau in Großsiedlungen der 1960er bis 1990er
4
Jahre) auch und gerade in prosperierenden Stadtregionen (überwiegend „neue Armut“P P).
2
TP
3
TP
4
TP
PT Eine
PT Mit
PT Mit
Vorsorgepolitik kann sich jedoch nicht mehr ausschließlich auf ein ausreichendes Zur-Verfügung-Stellen von
Flächen beziehen, sondern sollte sich den aktuellen Entwicklungen entsprechend auf den Beginn völlig neuer Zeit-
und Raummuster unterschiedlicher Nachfragegruppen einstellen. In diesem Zusammenhang steht das materielle
Verfügen über Flächen (inklusive dem notwendigen Abwägungsschritten und Planungssicherheiten) am Ende eines
Prozesses des Aushandelns unterschiedlicher Interessen zwischen AkteurInnen, die an Zahl und Unterschiedlichkeit
zunehmen.
„Schlichtwohungen“ sind Wohnungen gemeint, die zum Zeitpunkt ihrer Errichtung unterhalb der gültigen
Standards gebaut wurden und in der Regel zur „Notversorgung“ sozialer Gruppen – meist befristet – dienen sollten.
„neuer Armut“ sind unterschiedliche Aspekte angesprochen: Zum einen eine quantitative Wieder-Zunahme von
Armut seit den 1980er Jahren, zum anderen die Tatsache, dass nun auch zunehmend solche Menschen von Armut
betroffen sind, die sich aufgrund ihrer (Aus-)Bildung, ihrer Berufsposition und ihrer sozialen Einbindung „auf der
sicheren Seite“ wähnten und durch Arbeitslosigkeit von Armut betroffen sind, sowie schließlich die Zunahme
prekärer Arbeitsverhältnisse mit einerseits hohem Kündigungsrisiko und zum anderen einer Bezahlung, die
unterhalb der Grenze der Sozialhilfe bleibt (‚working poor’) (vgl. Dangschat 1999b).
7

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Armut kann unterschiedlich definiert werden. Die örtlichen, regionalen und nationalen
5
Armutsberichte stützen sich dabei vor allem auf zwei Größen: geringes EinkommenP P und
Angewiesensein auf Sozialhilfe. Innerhalb der Sozialwissenschaften, wird die ausschließliche
Betrachtung finanzieller Engpässe zur Bestimmung der Armut meist zurückgewiesen.
6
Insbesondere im deutschsprachigen Raum wird die multiple ArmutP P als benachteiligende
7
Lebenslage thematisiertP P. Unter „Armut“ werden in dieser Studie „zu geringe materielle
Ressourcen, für eine kulturell und ökonomisch angemessene Lebensweise“ verstanden.
In Großbritannien und Frankreich hat sich seit den 1990er Jahren die Diskussion über Armut zu
einer über soziale Ausgrenzung (‚social exclusion’) resp. zur Notwendigkeit des
Wiedererlangens des gesellschaftlichen Zusammenhalts (‚social cohesion’) verlagert. ‚Social
exclusion’ wurde in Folge zum zentralen Begriff der Sozialpolitik der EU und hat in der
internationalen Debatte den Armuts-Begriff abgelöst. Mit sozialer Ausgrenzung sind hier vor
allem die Folgen von Armut gemeint – soziale Isolation, problematische Sozialisation,
abweichendes Verhalten (von Krankheit bis zu Kriminalität).
Die Sichtweise auf die Ursachen von Armut wird von nahezu allen WissenschaftlerInnen geteilt:
Neben individuellen Gründen, Anlässen und Unzulänglichkeiten, in Armut abzurutschen, sind
vor allem ökonomische Umstrukturierungen, die damit verbundenen Veränderungen auf den
forciert modernisierten Arbeitsmärkten sowie der teilweise Rückzug des Sozialstaates für die
8
„Scherenbewegungen“P P bezüglich der Arbeitsplatzsicherheit und der Einkommenshöhen (z.B.
durch Deregulierung und Flexibilisierung der Erwerbsarbeit) verantwortlich.
Bezüglich der Bewertung der räumlichen Konzentration von ärmeren Haushalten im Stadtraum
gibt es weniger klare Übereinstimmungen. Die Konzentrationen der Wohnstandorte von ärmerer
und ausländischer Bevölkerung im städtischen Raum – meist Segregation genannt – wird dabei
überwiegend als negativ angesehen und daher abgelehnt und u.a. über die Setzung von
Maßnahmen zur „sozialen Durchmischung“ „bekämpft“. Meist wird behauptet, die Segregation/
Konzentration an sich sei nachteilig, weil sie die Inter-Gruppenkontakte verhindere und daher
Muster der Intoleranz gegenüber „den Anderen“ stärke. Diese Thesen stehen zumindest im
Widerspruch zu der Tatsache, dass beispielsweise die örtliche Konzentration der Reichen und
Wohlhabenden, der autochthonen Bevölkerung, der Inhaber höherer Schulbildung etc. allenfalls
5
TP
6
TP
7
TP
8
TP
PT Innerhalb
PT In
PT Solche
PT Hiermit
der EU wurde die Berechnung des sog. (Netto-)Äquivalenzeinkommens zum Vergleichsstandard erhoben.
Ausgangspunkt ist das durchschnittliche, nach Haushaltsgröße und -zusammensetzung standardisierte Netto-
Haushaltseinkommen aller Haushalte eines Nationalstaates. Ein Unterschreiten dieses Durchschnittswertes um 60%
wird in der Regel als Armutsgrenze definiert. Damit wird die Grenze bezeichnet – so die dahinter stehenden
Annahmen, bis zu der ein Leben geführt werden kann, das die jeweiligen nationalen ökonomischen und kulturellen
Standards erfüllt. Diese statistischen Informationen liegen jedoch in Österreich (und Deutschland) weder in der
Amtlichen Statistik, noch in Verwaltungsvollzugsdaten flächendeckend vor. In der EU-weit standardisierten
Einkommens- und Verbrauchsstichprobe werden die entsprechenden Daten zwar erhoben, doch sind diese Daten
nicht regionalisierbar, also für Planungszwecke kaum geeignet.
Österreich wird häufig der Begriff „akute Armut“ verwendet, wenn neben dem zu geringen Einkommen (60%-
Schwelle) eine weitere Einschränkung in einem wichtigen Lebensbereich (wie beispielsweise Wohnen, Ernährung,
Gesundheit etc.) oder ein hohes Maß an Verschuldung hinzutreten (vgl. Förster & Heitzmann 2002).
Lebenslagen-Ansätze gehen auf die ersten Analysen zum Ende des 19. Jahrhunderts zurück und umfassen
unterschiedliche Dimensionen zusätzlicher Benachteilungen, meist aufgrund des zu knappen Geldes (z.B. soziale
Isolation, ungesunde Ernährung, krank machende Wohnbedingungen etc.) oder aber auch aufgrund von
Diskriminierungen.
soll ausgedrückt werden, dass die Risiken der Arbeitsplatzversorgung sich ebenso ungleich entwickeln wie
die Höhe der Einkommen – hier sprechen einige Autoren sogar von einer Polarisierung. Damit steht die
Armutsentwicklung im Zusammenhang mit einer Stabilisierung des Wohlstandes in der Mitte und am oberen Ende
der gesellschaftlichen Hierarchie. Auf diese Weise wird verständlich, dass eine Zunahme der durchschnittlichen
Erwerbseinkommen nicht in paradoxem Widerspruch zur zunehmenden Armutsentwicklung steht (vgl. Dangschat
1999b: 21).
8

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
zur Kenntnis genommen, nicht aber kritisiert oder gar „bekämpft“ wird, obwohl die höheren
Einkommensgruppen die höchsten Segregationswerte aufweisen.
Auch wenn es anders formuliert wird: Es geht bei der Ablehnung weniger um die Segregation/
Konzentration bestimmter sozialer Gruppen an sich, sondern die Konzentration von „Fremden“,
sozial Benachteiligten oder Randgruppen verunsichert die EntscheidungsträgerInnen in Politik
und Verwaltung. Ob und in welcher Weise das Leben in solchen Gebieten, die häufig durch
benachteiligende Wohn- und Wohnumfelder gekennzeichnet sind, sich auf Biographien und
Lebenschancen negativ auswirken, ist wissenschaftlich allenfalls ansatzweise geklärt (vgl.
Dangschat 1998b, Friedrichs & Blasius 2000). Sicherlich spielt auch die Befürchtung eine Rolle,
dass aus den Lebenssituationen Formen abweichenden Verhaltens entstehen könnten (‚culture
of poverty’, vgl. Goetze 1982), die sich auch außerhalb der Armutsquartiere negativ auswirken.
Die Gebiete selbst zeichnen sich jedoch sehr häufig durch enge soziale Beziehungen aus,
insbesondere durch Netzwerke der „ZuwanderInnen“, die als „soziales“ und „kulturelles Kapital“
mittlerweile in den Einschätzungen dieser Quartiere an Bedeutung gewinnen, und die durch
eine „Entzerrung“ verloren gehen – damit geht oftmals das einzige Kapital von
Armutsbevölkerung verloren. Diese Argumentation darf allerdings nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sozial Benachteiligte durch ihre Wohn- und Wohnumfeldsituationen in
ihrer Lebensweise eingeschränkt und damit zusätzlich benachteiligt werden (vgl. Alisch &
Dangschat 1998).
Die Eindeutigkeit der Ablehnung von Segregation/ Konzentration und eine Befürwortung der
„Durchmischung“ bei den meisten VertreterInnen des politisch-administrativen Systems, aber
auch der Mehrheit der SozialwissenschaftlerInnen bezüglich der Bewertung der örtlichen
Konzentration sozial benachteiligter Gruppen steht also in einem gewissen Widerspruch zu
empirischen Ergebnissen, welche bisher allenfalls schwache Zusammenhänge von
Quartiersausstattungen und dem Verbleiben in Armut konstatieren können. Keine
wissenschaftliche Arbeit hat zudem bislang auch nur andeutungsweise zeigen können, welche
„soziale Mischung“ die „richtige“ ist, weder auf der Ebene des Stiegenhauses, des Blocks, des
Grätzels, des Bezirks, einer Stadt noch einer großstädtischen Agglomeration, um eine
Integration unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu unterstützen. Heitmeyer & Anhut (2000)
haben am Beispiel der Situation türkischer ZuwanderInnen in Städten in Nordrhein-Westfalen
zeigen können, dass die Qualität der Integration von Zuwanderungsgruppen nicht vom
AusländerInnenanteil abhängt (und nur minimal von der Größe einer dominanten allochthonen
Gruppe), sondern es kommt vielmehr auf die politische und soziale Kultur des Miteinander-
Umgehens vor Ort an: Haben alle Gruppen die gleichen Rechte an der Partizipation in ihrem
unmittelbaren Lebensumfeld? Wie steht es um die Gleichheit der staatsbürgerlichen Rechte?
Werde ich im meiner Wertvorstellung akzeptiert und kann ich diese demonstrativ leben? Wen
störe oder „bedrohe“ ich damit?
Vor diesem Hintergrund lauten die Herausforderungen der Städte, diese Gebiete, die durch
städtebauliche, ökonomische und soziale Missstände und Probleme gekennzeichnet sind, und
die dort lebenden Menschen wieder Anschluss an die städtische Entwicklung finden zu lassen.
Gerade über die lokalen Strategien (‚area based initiatives’) wird gegenwärtig versucht, im
Rahmen einer allgemeinen Verwaltungsmodernisierung innovative Lösungen zu erarbeiten.
Bedingt durch die unterschiedlichen Intensitäten von Armut, sozialer Ausgrenzung und örtlicher
Konzentration benachteiligter Gruppen, die unterschiedlichen nationalen und lokalen Diskurse
über Wahrnehmungen und Bewertungen dieser Phänomene sowie die unterschiedliche
„politische Kultur“ werden unterschiedliche Strategien und Maßnahmen ausprobiert, die alle
dem gleichen Ziel dienen: Die Armut und soziale Ausgrenzung verringern und die davon
9

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
betroffenen Menschen dabei zu unterstützen, selbst dauerhaft aus dieser Situation
herauszukommen (help-for-self-help-Strategien).
9
1.2 Ziele der StudieP P
Das primäre Ziel dieser Studie ist, die Wirkungsweise von städtischen Programmen
10
gegen Armut und soziale Ausgrenzung in vier europäischen LändernP
P einzuschätzen
und daraus Empfehlungen für angemessene Strategien und Interventionen in Wien
abzuleiten. Dazu werden die ökonomischen, sozialen und institutionellen Rahmenbedingungen
im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung aufgezeigt, welche die politische Steuerungsfähigkeit
von Nationalstaaten, Bundesländern und vor allem Städten beeinflussen. Die Studie wurde als
„desk research“ durchgeführt, wobei wissenschaftliche Literatur, politisch-planerische
Zielsetzungen sowie Interventions-Programme und deren Evaluationen einer genaueren
Analyse unterzogen wurden. Obwohl die Nationalstaaten bezüglich ihrer politischen und
administrativen Strukturen, politischen Kulturen, Ausprägungen der nationalen
Volkswirtschaften, Sozialstrukturentwicklungen und der Zielgruppen einer Politik gegen Armut
und soziale Ausgrenzung stark variieren, gibt es dennoch einige Merkmale solcher Strategien,
die in allen Ländern anzutreffen sind.
Im Rahmen der Gesamtstudie sind die folgenden Fragestellungen von besonderem Interesse
sind die folgenden Fragestellungen von besonderem Interesse:
9
TP
10
TP
11
TP
PT Neben
PT Die
PT THiermit
• Wie ist der jeweilige nationale und regionale Kontext der Problementwicklung von Armut,
sozialer Ausgrenzung und Konzentrationseffekten in spezifischen Stadtteilen und
Wohnungsmarktsegmenten zu beschreiben?
• Welche Rolle übernehmen die Kommunen im Rahmen der Städtestrategien gegen Armut
und soziale Ausgrenzung in den Politikfeldern der Stadt(teil)entwicklung, Stadt(teil)planung
und dem Wohnungswesen?
• Welches sind die Verstärkungs- und Verhinderungseffekte von Armut und sozialer
Ausgrenzung sowie deren räumlicher Konzentration durch Strategien und Maßnahmen
der Stadtplanung und Stadtentwicklungspolitik?
• Wie sind die innovativen Strategien in Maßnahmen der Verwaltungsmodernisierung und
11
der neuen Aufgabenstellungen des politisch-administrativen Systems (‚governance’P
P)
eingebettet?
• Auf welchem Weg und mit welchem Erfolg werden Partizipation und Empowerment
angestrebt?
dieser Studie für die Kammer für Arbeiter und Angestellte Wien die MA 18 sind dieses Teilstudien für die MA
50 (Breitfuss et al. 2004a) und für die MA 18 (Breitfuss et al. 2004b) sowie eine Langfassung, in der neben einem
umfassenderen Theorieteil auch Umsetzungs-Beispiele aus den analysierten Ländern aufgeführt werden (Breitfuss
et al. 2004c).
untersuchten Länder sind Großbritannien, Frankreich, die Niederlande und Deutschland. Zusätzlich wurde die
Armuts- und Ausgrenzungsentwicklung in Österreich und Wien eingeschätzt sowie die wesentlichen politischen und
administrativen Maßnahmen in den Ländern/Städten in ihren armutsunterstützenden und -verringernden Wirkungen
analysiert. Letzteres ist sicherlich unter den Vorbehalt zu stellen, dass eine wirkliche Evaluation der Politiken im
Rahmen dieser Studie nicht möglich ist und daher auch nicht angestrebt wurde.
sind flexible und integrative Formen des Regierungshandelns gemeint, welche die traditionellen Formen des
Regierens ergänzen.T
10

2 Zentrale Ergebnisse der Länderstudien
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Mit den in der Folge knapp geschilderten zentralen Ergebnissen der Länderstudien werden
jeweils im ersten Schritt die Entwicklung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie der
wissenschaftliche und politische Diskurs darüber (Problemwahrnehmung) beschrieben. Im
zweiten Schritt werden die wesentlichen Strategien und Maßnahmen zur Bekämpfung von
Armut und sozialer Ausgrenzung im Kontext der Entwicklung des politisch-administrativen
Systems dargestellt. Schließlich werden die für die Aufgabenstellung wesentlichen Elemente
zusammengestellt und abschließend vergleichend eingeordnet.
2.1 GROSSBRITANNIEN
Stadtpolitik und damit die Konzipierung von Städtestrategien gegen Armut und soziale
Ausgrenzung stehen in Großbritannien nach wie sehr weit oben auf der politischen Agenda des
Nationalstaates. Die Initiierung solcher Städtestrategien hängt u.a. damit zusammen, dass die
räumliche Konzentration von armen und sozial ausgegrenzten Menschen in den britischen
Städten schon sehr früh als ein zentrales gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt wurde.
In einem umfangreichen wissenschaftlichen Gutachten zur Lage der Städte in Großbritannien
wurden die De-Industrialisierung und der damit verbundene funktionale Wandel der Städte als
Ursache der Entwicklungen betont (vgl. DETR 2000: 7). Neben der problematischen
wirtschaftlichen Entwicklung dieser Gebiete ist vor allem auch die soziale Kohäsion in den
12
‘deprived urban areas’P
P immer mehr vor große Herausforderungen gestellt; die Konflikte
zwischen den unterschiedlichen sozialen Gruppierungen in den benachteiligten Gebieten
wurden immer stärker im öffentlichen Raum ausgetragen (z.B. Unruhen in Manchester 1981
und im Mai 2001, oder in Bradford im Sommer 2001). Nicht zuletzt auch aufgrund dieser
öffentlichen Aufmerksamkeit sieht es die gegenwärtige Regierung als eine ihrer zentralen
Aufgaben an, ‘deprived urban areas’, wieder an den ‚mainstream’ der städtischen Entwicklung
anzubinden (vgl. Parkinson 1998).
2.1.1 Nationale Rahmenbedingungen
Problementwicklung von Armut und sozialer Ausgrenzung
Die ökonomische Krise der 1970er Jahre veränderte die fordistische, keynesianisch orientierte
Regierungspolitik in Großbritannien grundlegend. Aufgrund niedrigen Wirtschaftswachstums,
sinkender Steuereinnahmen, steigender Inflation und Arbeitslosigkeit, des Rückgangs von
Produktivitätsraten und einer nachlassenden Unterstützung seitens der Bevölkerung kam
dieses Steuerungsmodell ins Wanken. Das Pro-Kopf-Einkommen sank zwischen 1960 und
1980 in Großbritannien beträchtlich. Das fordistische Regime wurde schließlich durch den
Antritt von Margaret Thatcher als britische Premierministerin im Jahre 1979 durch eine
monetaristisch und (neo-)liberal orientierte Politik abgelöst: Privatisierung von staatlichen
Betrieben (‘rolling back the state’), Stärkung der Privatwirtschaft, Zentralisierung der Politik mit
gleichzeitiger Schwächung der Rolle der Kommunal- und Regionalverwaltungen sowie Stärkung
der Rolle der AkteurInnen aus der Privatwirtschaft in der Umsetzung von Stadtpolitik (z.B. über
die ‘Urban Development Corporations’), waren die zentralen Ziele der konservativen Regierung.
Durch die Privatisierung von British Telecom, British Gas Corporation sowie BP ging der Anteil
12
TP
PT TDer
Begriff ‚deprived (urban) areas’ hat sich in der britischen Debatte für die ökonomisch, sozial und städtebaulich
benachteiligten Gebiete durchgesetzt.T
11

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
der in öffentlichen Unternehmen beschäftigen Personen deutlich zurück. Dem standen positive
Entwicklungen in den Sektoren der Finanzdienstleistungen gegenüber, die sich im Zuge der
beginnenden Globalisierung in Großbritannien besonders günstig entwickelt hatte.
Die Neo-liberale Politik wurde bis in die 1990er Jahre hinein von Maßnahmen zur Deregulierung
von Finanz- und Gütermärkten (z.B. Deregulierung des Strommarktes) sowie von Maßnahmen
zur Senkung von Steuer- und Abgabenquoten (vor allem Senkung des Spitzensteuersatzes auf
13
40% und Senkung der Ertragssteuern für Unternehmen; Einführung einer „Kopfsteuer“TP
PT Ende
der 1980er Jahre) flankiert. Vor allem Bestrebungen zur Privatisierung von unterschiedlichen
Dienstleistungen wurden enorm forciert. Diese Strategien sowie der beginnende Umbau des
Sozialsystems trafen vor allem die BezieherInnen niedriger Einkommen sowie die von
Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen.
Die Arbeitslosenquote stieg im Jahr 1994 auf 10%, und innerhalb von drei Jahren wieder auf
7,1%. Die Arbeitslosigkeit von Männern nahm zwischen 1977 und 1994 stärker zu als die der
Frauen, da die Männer vom ökonomischen Strukturwandel (De-Industrialisierung) stärker
betroffen waren und erwerbslose Frauen häufig nicht in der Arbeitslosenstatistik aufscheinen,
da sie sich auf ihre Hausfrauenrolle zurückziehen. Im Laufe der Regentschaft der konservativen
14
Regierung hat sich die ArmutsquoteP
P innerhalb von nur 15 Jahren von 8% (1979) auf 24%
(1994) verdreifacht. Zudem erhöhte sich der Anteil der ‘working poor’ von 6,4% auf 15,3%
(1994) (Koch 2003). Damit ist zwischen den 1970er und den 1990er Jahren eine erhebliche
Zunahme von absoluter und relativer Armut festzustellen, die vor allem Folge von Teilzeitarbeit
(vor allem bei Frauen) und flexiblen Beschäftigungsverhältnissen ist. Der Anteil der ‘working
poor’ stieg durch die Etablierung neuer, schlecht bezahlter Jobs (Mc-Jobs) sowie durch
Einkommenseinbußen vor allem im unteren Gehaltsbereich bei den bestehenden Jobs.
Zusätzlich stiegen die Jugendarbeitslosigkeit und die Langzeitarbeitslosigkeit deutlich an.
Der britische Premierminister, Tony Blair, machte ab 1997 in der Wirtschafts- und Sozialpolitik
der strikt monetaristischen Politik der konservativen Regierung ein Ende (‘New Deal’). Die
Einführung von Mindestlöhnen, die Unterschrift unter die Sozialcharta der Europäischen Union,
sowie Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Kinderbetreuung
waren ein Symbol für die neue Politik und den neuen Aufbruch. In der Anfangsphase der
Labour Regentschaft gelang es allerdings noch nicht, Armut und soziale Ausgrenzung zu
verringern. Aus dem ‘Poverty and Social Exclusion Survey of Britain 2000’ (PSE) (Joseph
Rowntree Foundation 2000) geht hervor, dass die Armutsraten seit den frühen 1980er Jahren
deutlich gestiegen sind. Der Anteil der in Armut lebenden Haushalte stieg von 14% 1983 auf
26,4% 1999, wobei die Armutsraten bei Frauen, Kindern, alleinerziehenden Müttern,
Jugendlichen und Menschen, die in kommunalen Wohnungen leben, höher sind als beim
Bevölkerungsdurchschnitt. Viele Menschen können sich kein adäquates Wohnen leisten (z.B.
Fehlen von ausreichender Heizung), nicht an sozialen Aktivitäten (z.B. Freunde besuchen)
teilnehmen oder sich nicht ausreichend mit Nahrung und warmer Kleidung versorgen. Um
soziale Ausgrenzung zu quantifizieren, wurden vier Dimensionen der sozialen Deprivation
berücksichtigt: Kein adäquates Einkommen oder adäquate Ressourcen, Nicht-Teilhabe am Arbeitsmarkt,
Nicht-Erreichbarkeit von Dienstleistungen sowie Ausschluss von sozialen
Beziehungen (vgl. Joseph Rowntree Foundation 2000: 10).
13
TP
PT Damit werden vor allem Personen und Haushalte benachteiligt, die über ein geringes Einkommen verfügen.
14
TP
PT TUnter der Armutsquote wird der Anteil der Bevölkerung verstanden, der weniger als die Hälfte des gesellschaftlichen
Durchschnitteinkommens verdient (EU-Konvention, s.o).T
12

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Diese verfestigte Armut und soziale Ausgrenzung bestand, obwohl die britische Volkswirtschaft
in den 1990er Jahren im europäischen Vergleich hohe Wachstumsraten hatte (beispielsweise
ein Wachstum von 1,9% im Jahr 2002). Die Wachstumsraten hatten zwar einen positiven
Beschäftigungseffekt, dennoch änderte sich die Zahl der Armen nur geringfügig. Zwar sank die
Armutsgefährdungsrate von 20% im Jahr 1995 auf 19% im Jahr 2000, sie lag jedoch mit 17%
im Jahr 2001 noch immer über dem EU-Durchschnitt von 15% (vgl. Europäische Kommission
2003: 213).
Organisation und Veränderung der Staatlichkeit bezogen auf Stadtpolitik
Bis zum Jahre 1994 haben im zentralistischen Einheitsstaat Großbritannien Regionen in der
Gestaltung und Umsetzung der Politik keine große Rolle gespielt. Zur Stärkung der regionalen
Ebene wurden Mitte der 1990er Jahre die ‘Government Offices for the Region’ (GORs)
installiert. Zentrale Aufgabe dieser zehn Büros (acht verwaltungstechnisch getrennte
geographische Regionen, sowie je eines für die Ballungsräume London und Merseyside) ist das
Zusammenführen von Initiativen der nationalen Ministerien sowie die Bereitstellung des ‘Single
Regeneration Budget’ (SRB). Da sie über die Verteilung von finanziellen Mitteln mit entscheiden
und Planungsprozesse kontrollieren können, haben sie großen Einfluss auf
Stadterneuerungsprogramme. Diese Regionalbüros sind der verlängerte Arm der
Zentralregierung in den Regionen. Sie sorgen zum Beispiel für die Umsetzung nationaler Politik
in den für die Regionen zugeschnittenen regionalen Plänen und Raumordnungsrichtlinien.
Große Teile ihrer Agenden wurden Ende der 90er Jahre von den ‘Regional Development
Agencies’ (RDA) übernommen. Durch das ‘Regional Governance White Paper’ forcierte die
Blair-Regierung den Prozess der sogenannten ‘Devolution’, der Stärkung von Regionen durch
eigene Regional Development Agencies und die ‘Regional Planning Guidance’ (was eine
Konkretisierung von Planungspolitik auf regionaler Ebene ermöglichte).
Die Institutionen der lokalen Ebene, die ‘local authorities’, haben eine hohe lokale
Planungsautorität, unterliegen aber de facto der Einflussnahme durch die Nationalregierung, da
die Unabhängigkeit der Kommunalverwaltung keinen verfassungsmäßigen Schutz besitzt. Die
lokalen Parlamente werden alle vier Jahre von der lokalen Bevölkerung gewählt und unterliegen
damit einer demokratischen Kontrolle seitens der Bevölkerung. Kommunale Strukturen können
allerdings jederzeit von der Nationalregierung verändert werden. Diese Abhängigkeit zeigte sich
etwa in der Auflösung der 1974 gegründeten Verwaltungseinheiten für Ballungsräume, den
zumeist labour-bestimmten ‘Metropolitan County Councils’ und des ‘Greater London Councils’
durch die Tory-Regierung im Jahr 1986. Die Reformen, die durch den ‘Local Government Act’
1992 eingeführt wurden, brachten eine weitere Schwächung der lokalen Ebene in der
Politikgestaltung. Das Verhältnis zwischen den beiden für Stadtpolitik bedeutsamsten
Regierungsebenen, also zwischen der lokalen (kommunalen) und der nationalen Ebene ist
durch diese Entwicklungen und durch die strukturelle Dominanz der nationalen Ebene
vorbelastet. Dieses Verhältnis zwischen beiden Ebenen war zudem lange Zeit dadurch
bestimmt, dass von 1979 bis 1997 die Nationalregierung von der konservativen Partei gestellt
wurde, während ein großer Teil der Städte labour-dominiert waren.
Die Labour-Regierung versuchte mit ihrem Regierungsantritt im Jahr 1997 das Verhältnis
zwischen den beiden staatlichen Ebenen zu verbessern. Den Kommunen wurden weitere
Spielräume zur Erhebung von Steuern eingeräumt und die strikte Kontrolle von lokalen Budgets
wurde gelockert. Im Rahmen der Unterzeichnung der ‘European Charter of Local Self-
Government’ sowie im Rahmen von nationalen Dezentralisierungs- und „Devolution“-
13

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Bestrebungen wurde die Position der kommunalen Ebene aufgewertet.
Schon die konservative Regierung hat zu Beginn der 80er und 90er Jahre eine Reformierung
vor allem der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen durch den Einsatz von Indikatoren zur
Messung des Outputs und der Qualität dieser Leistungen durchgeführt. Die konservative
Regierung setzte dabei auf das ganze Spektrum von Maßnahmen zum ‘new public
management’: Privatisierung und Aufgabenauslagerung, Schaffung teilautonomer
Verwaltungseinheiten, Kundenorientierung sowie verpflichtend öffentliche Ausschreibung der
Erbringung von Dienstleistungen. Diese Politik wurde von der Labour-Regierung fortgesetzt und
stärker in Verbindung mit Stadtpolitik gebracht.
2.1.2 Wohnungspolitik
Im Rahmen des Aufbaus der Städte entstanden in den Nachkriegsjahren große
Flächensanierungs- und Slumbeseitigungsprogramme sowie Prozesse der Auswanderung von
Teilen der Bevölkerung aus den Kernstädten in die neu gegründeten Satellitenstädte („New
Towns-Politik“). Diese planungspolitischen Eingriffe trugen zu einer stärkeren sozialen
Polarisierung in den Städten bei, da vor allem die von diesen Maßnahmen betroffenen ärmeren
Haushalte in bereits benachteiligte und benachteiligende Quartiere übersiedeln mussten.
Der groß angelegte Wohnbau, als eine Reaktion auf die steigende Bevölkerungszahl initiiert,
wurde anfangs primär von den Gemeinden durchgeführt. Dies führte dazu, dass sich 1980 noch
etwa ein Drittel des gesamten Wohnungsbestandes in den Händen der Gemeinden befand.
Durch den Antritt der konservativen Regierung im Jahre 1979 wurde die Rolle der öffentlichen
Hand im Wohnungsmarkt sukzessive zurückgedrängt. In dieser Zeit wurden den MieterInnen
hohe Preisabschläge beim Kauf ihrer Wohnungen angeboten, was bewirkte, dass ca. zwei
Millionen Wohnung verkauft wurden (vgl. Donner 2000). Weitere große kommunale
Wohnungsbestände wurden in der Folge gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften übergeben,
die Verwaltungs- und Bauträgerfunktionen stärker übernehmen sollten.
Die Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus erfolgte bis dahin in erster Linie durch staatliche
Beihilfen, wobei der lokale Staat eine zentrale Rolle gespielt hat, den sozialen Wohnbau
bereitzustellen. Privates Kapital spielte in der Finanzierung des sozialen Wohnbaus eine eher
untergeordnete Rolle. Dies änderte sich jedoch mit dem „Housing Act“ von 1988 radikal, das zu
einem Anstieg der Zahl an Eigentumswohnungen zu Lasten der Zahl der öffentlich geförderten
Wohnungen führte (s. Tab. 1).
Tabelle. 1: Wohnungen nach Besitzart in Großbritannien (in Prozent)
1980
1988
1995
Owneroccupied
56
64
67
Quelle: nach Whitehead 1999: 658
Private rented
11
9
10
Housing Association
2
3
4
Total Public
Ausgehend von ursprünglich intensiven Rechten der MieterInnen und einem hohen Anspruch
der Steuerung des „Marktes“ sind in Großbritannien also weite Teile des öffentlich geförderten
und im öffentlichen Eigentum stehenden Wohnungsbestandes privatisiert, die Umwandlung von
31
24
19
14

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Miet- in Eigentumswohnungen steuerlich massiv gefördert und der Mieterschutz sehr stark
zurückgenommen worden. Das hat im Zuge einer einsetzenden Gentrification die Mieten
erheblich verteuert, was insbesondere für Haushalte mit niedrigen Einkommen zu massiven
Mietbelastungen geführt hat, was wiederum im Zusammenhang mit der ausgeweiteten
Umwandlung von Miets- in Eigentumswohnungen zu Verdrängungen geführt hat. Zudem gingen
umfangreiche preisgünstige Mietwohnungsbestände – und damit ein kommunales
Steuerungspotenzial für eine sozialverträgliche Entwicklung – für immer verloren. Darüber
hinaus kam es durch starke ethnisch-rassische Segmentierungen des Wohnungsmarktes
zwischen verschiedenen Angehörigen des Commonwealth, die in englischen Städten mit vollen
staatsbürgerlichen Rechten leben, zu massiven Ausbeutungsverhältnissen, die der englischen
15
Geographen John Rex als ‚housing classes’ bezeichnete (vgl. Rex & Moore 1967)P
P.
Gegenwärtig wird in Großbritannien von einer anhaltenden „housing crisis“ gesprochen. Das
drückt sich etwa in steigenden Wohnungspreisen aus, die im Zusammenhang mit steigenden
Grundstückspreisen stehen. Diese Entwicklung wurde u.a. durch das sog. „60% Brownfield
Target“ der Blair-Regierung induziert. „Es beinhaltet die Verpflichtung bis zum Jahr 2008
mindestens 60% des Wohnungsbaus auf vormals genutzten Flächen zu realisieren“ (Ganser &
Rumberg 2002: 13) – allerdings ein großer Teil davon eher im mittelständischen Bereich.
Dadurch wurde von den lokalen Verwaltungen zwar das Bauen auf der grünen Wiese
zurückgedrängt und damit der ’urban sprawl’ eingegrenzt und die im europäischen Vergleich
16
geringe Rate des jährlichen Neubaus an Wohnungen angehobenTP
PT, doch
wurde der
Wohnungsbau kaum dazu genutzt, preiswerten und damit für untere Einkommen
erschwinglichen Wohnraum zu errichten.
Die nationale Regierung will der „housing crisis“ vor allem dadurch begegnen, dass
umfangreiche finanzielle Mittel für den Wohnungsbau in den nächsten Jahren zur Verfügung
gestellt werden sollen, um vor allem einer ungleichen Versorgung mit Wohnraum
entgegenzuwirken. Vor allem die Menschen im Großraum London sowie in Teilen
Südostenglands werden vom zusätzlichen Angebot an kostengünstigen Wohnungen profitieren.
Auf der Programmebene gibt es seit Anfang der 80er Jahre in Großbritannien die sog. ‚Housing
Action Areas’. Das sind Gebiete, welche durch hohe Arbeitslosigkeit sowie durch hohe Anteile
ethnischer Minderheiten gekennzeichnet sind. Der Focus der in diesem Rahmen
durchgeführten Projekte liegt auf der Erneuerung der baulich-räumlichen Struktur von
Stadtteilen. Zudem gibt es ‚Neighbourhood-based-Management’ im sozialen Wohnungsbau in
Großbritannien seit ca. 20 Jahren. Dies war ein Weg für lokale Behörden, um ihre großen
Wohnungsbestände verwalten zu können. ‚Neighbourhood Management’ war schon damals
eine Antwort auf die räumliche Konzentration von sozial Ausgegrenzten in kommunalen
Wohnungsbeständen. Es stellte ein Instrument dar, um Mieter an Modernisierungsprozessen zu
beteiligen und das alte zentralisierte, bürokratische und paternalistische Verwaltungssystem
abzulösen. Auch im aktuellen „New Deal for Communities“ spielt „Housing Management“ eine
zentrale Rolle.
15
TP
PT TDamit
war gemeint, dass aufgrund eines Mangels von bezahlbaren Mietwohnungen und versperrter Zugänge zum
vorhandenen Bestand VertreterInnen einiger ethnischer Gruppen günstige Zinshäuser in schlechtem Zustand in den
‚declining areas’ aufkauften und diese an Mitglieder anderer, stärker diskriminierter ethnischer Gruppen unter
erheblichen Profiten und weitgehend ohne Verbesserung der Wohnungen und Gebäude weiter vermieteten. Dieses
Phänomen soll es nach Auskunft der Mobilen Gebietsbetreuung vor allem auch im 2. Wiener Gemeindebezirk
geben.T
16
TP
PT Nach ExpertInnen-Meinung werden in Großbritannien bei einer anwachsenden Bevölkerung ab dem Jahr 2022
Defizite im Wohnungsangebot befürchten.
15

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
2.1.3 Stadtpolitik – Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Geschichte der Stadtpolitik in Großbritannien beginnt in den 1930er Jahren mit den
‘Regional Assistance Areas’, findet ihre Fortsetzung in der Nachkriegszeit mit den ‘New Town’ –
Policies, dem ‘Urban Programm’, den ‘Inner Area’-Experimenten, gefolgt von den ‘Partnership
and Programme Authority Initiatives’ der späten 1970er Jahre, von den ‘Urban Development
Corporations’ sowie der ‘Estate Action’ der 1980er Jahre, und den Programmen ‘City Challenge’
und ‘Single Regeneration Budget’. Gegenwärtig fußt Stadtpolitik auf dem ‘Urban White Paper’
(DETR 2001), auf der ‘National Strategy for Neighbourhood Renewal’, welche federführend von
der ‘Social Exclusion Unit’ (SEU 2001) durchgeführt wird, und auf dem ‘New Deal for
Communities’.
‘City Challenge’ (1992 – 1998)
Dieses Programm wurde 1992 eingerichtet und hatte das primäre strategische Ziel, die
Situation sozial benachteiligter Menschen zu verbessern, wobei die Beteiligung des privaten
Sektors eine Schlüsselrolle spielen sollte. Als neues und innovativ geltendes
Stadterneuerungsprogramm, das auf neuen Kooperationsformen zwischen Nationalstaat,
lokalen Verwaltungen, der lokalen Bevölkerung sowie der lokalen Ökonomie fußte, wurde mit
ihm das Ziel verfolgt, ökonomische und physische Revitalisierungen zu unterstützen sowie die
lokale Arbeitsmarktsituation zu verbessern. Zentraler Bestandteil dieses Programms war die
Einführung des ‘Wettbewerbsprinzips’. Die Kommunen sollten um die Zuweisung von
nationalen Fördermittel zur Entwicklung der ‚deprived neighbourhoods’ im Rahmen von fünf
Ausschreibungsrunden (die letzte war 1998) konkurrieren. Entscheidende Faktoren für die Bewertung
der Anträge war die Einbindung der BewohnerInnen in den Erneuerungsprozess und
das Ausmaß zusätzlicher Mittel, welche die Gemeinde aus der lokalen Ökonomie lukrieren
konnte. Damit sollte die Qualität und der Innovationsgehalt von beantragten Projekten erhöht
werden. Die Kommunen hatten bei der Einreichung und Implementierung von Projekten die
Federführung, obgleich (ähnlich wie in den Niederlanden) zentrale Vorgaben von der
Zentralregierung gemacht wurden.
Bei der vom ‚Department of Environment, Transport and the Regions’ in Auftrag gegebenen
abschließenden Evaluation wurde als wesentlicher Erfolg die Tatsache betont, privates
17
Investment-Kapital für die ‚deprived areas’ bewegt zu habenTP
PT. Hinter diesem Mittelwert
verbergen sich jedoch sehr unterschiedliche „Erfolgs-Storys“ der Gebiete; in einigen Gebieten
waren aufgrund der hohen Konzentration einkommensschwacher Haushalte und
niedergehender lokaler Ökonomie die zivilgesellschaftlichen, ökonomischen und administrativen
Grundstrukturen und neben dem ökonomischen auch das soziale und kulturelle Kapital derart
erodiert, dass die lokalen Stakeholder und Institutionen nicht in der Lage waren, die bereit
stehenden Mittel abzurufen resp. angemessen einzusetzen. Das Wettbewerbsprinzip zwischen
den Stadtquartieren trug daher in einigen Fällen zur Verstärkung der sozialen Exklusion
insbesondere von den sozial, ökonomisch und städtebaulich besonders stark benachteiligten
Gebieten bei.
17
TP
PT Die
Umwegrentabilität war recht hoch, denn ein von der öffentlichen Hand investiertes englisches Pfund bewirkte im
Durchschnitt weitere 3,8 englische Pfund Investment aus der Privatwirtschaft.
16

‘Single Regeneration Budget’ (seit 1993)
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Mit diesem Stadterneuerungsprogramm, das im Jahr 1993 implementiert wurde, sollte eine
flexible Förderung der Stadterneuerung und eine ökonomische Entwicklung unterstützt werden,
welche auf die lokalen Bedürfnisse stärker abgestimmt ist. Die Umsetzung sollte durch multisektorale
Partnerschaften durchgeführt werden (vgl. Kemper & Schmals 2000). Die zentrale
Zielsetzung des Programms war die Förderung von partnerschaftlichen lokalen Projekten (mit
einer Laufzeit zwischen fünf und sieben Jahren), um in sozial, ökonomisch und städtebaulich
benachteiligten Gebieten nachhaltige Erneuerungsprozesse zu induzieren. Damit stand wie bei
dem ‚City Challenge Programm’ die Gründung von Partnerschaften im Zentrum der Bewertung
von Anträgen zum Programm. Die ‚Government Offices for the Region’, welche für die
Umsetzung dieses Programms geschaffen wurden, waren für die Vergabe der Budgetmittel
verantwortlich, die sich aus „Zuschüssen“ von fünf Ministerien zusammensetzten, die, teilweise
aus anderen Förderprogrammen stammend, in diesem ressortübergreifenden Budget
zusammengeführt wurden. Die Freiheit der Kommunen in der Ausgestaltung und Form ihrer
Programme wurde dadurch beträchtlich erhöht: „Die Struktur der Mittelverwendung musste
nicht der Struktur und Zweckbindung in der Herkunft der Mittel entsprechen“ (Empirica 2001: 3).
Zugunsten des übergeordneten Ziels der Erneuerung von Stadtteilen wurden also sektorale
Zweckbindungen aufgehoben. Neben der weiterhin geforderten, stärkeren lokalen Vernetzung
und Zusammenarbeit sowie der Einbeziehung der lokalen Bevölkerung stehen in diesem
Programm Maßnahmen zur Förderung der lokalen Ökonomie sowie zur Bekämpfung sozialer
Exklusion stärker im Mittelpunkt. Die Qualität der kooperativen Verfahren sowie die langfristige
Orientierung waren erneut die entscheidenden Auswahlkriterien für im Wettbewerb eingereichte
Projekte.
‘New Deal for Communities’ (seit 1999)
Ende der 1990er Jahre wurde auf Initiative der mittlerweile von der Labour Party gestellten
Nationalregierung verdeutlicht, dass es mittels der Vorgängerprogramme kaum gelungen ist,
die Probleme von sozial, ökonomisch und städtebaulich benachteiligten Gebieten zu lösen. Es
wurde im Gegenteil eine Verfestigung der Konzentration von sozial Benachteiligten, steigende
Kriminalitätsraten, weiterhin schlechte Ausstattung mit öffentlichen Dienstleistungen festgestellt.
Daher wurde mit dem ‚New Deal for Communities’ eine neue Strategie entwickelt, mittels derer
man hoffte, die Probleme der ‚deprived areas’ in besserer Weise zu lösen. Verantwortlich dafür
war die neu eingerichtete ‘Social Exclusion Unit’ (SEU). Ausgangspunkt der neuen Strategie
war der Bericht der SEU mit dem Titel ‘Bringing Britain Together’. Darüber hinaus wurde von
der SEU die ‘National Strategy for Neighbourhood Renewal’ entwickelt, die anfangs auf die 88
am stärksten benachteiligten Quartiere angewendet wurde, denn es zeigte sich, so Wilson
(2001: 91), dass Armut sich im Laufe der letzten 20 Jahre stärker in einzelnen Nachbarschaften
und Siedlungen konzentriert hatte und dass die Soziale Exklusion in diesen Nachbarschaften
zugenommen habe. Das Ziel der Nationalregierung ist es daher, komplexe Lösungen für
komplexe Probleme zu finden (‚joined up solutions to joined up problems’).
Eine wichtige Schlussfolgerung war, dass in der Vergangenheit zu stark ausschließlich auf die
Verbesserung des Wohnens und der Lebensqualität geachtet wurde und dabei Probleme wie
ökonomische Ghettoisierung, Erosion des sozialen Kapitals und Mangel an klarer, koordinierter
Strategie eher eine geringe Rolle gespielt haben. Um die Kluft zwischen den Armen und den
Reichen in der britischen Gesellschaft zu überwinden, konzentriert man sich im neuen
Programm noch stärker auf die besonders ‘deprived urban areas’. Das erste Förderprogramm
im Rahmen der neuen Strategie heißt ‘New Deal for Communities’. Der ‘New Deal for
17

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Communities’ soll sich nun (seit 1998) auf die 50 am stärksten benachteiligten Stadtviertel in
Großbritannien beziehen. In einer ersten Förderungsrunde wurden 17 ‚Pathfinder-
Partnerschaften’ und in der zweiten Runde 22 weitere Modell-Partnerschaften ausgewählt. Für
die 39 Modell-Gebiete wird ein Budget in der Höhe von 2bn Pfund zur Verfügung gestellt. Die
Partnerschaften werden begleitend evaluiert.
Der ‘New Deal for Communities’ wurde in einem langen Prozess zwischen mehreren
Ministerien erarbeitet. Obwohl es im `New Deal’ fachspezifische Programme wie ‘Sure Start’
und ‘New Start’ gibt, wurde die sektorale Logik zum Teil in einen umfassenden Gebietsansatz
transformiert, in welchem die einzelnen öffentlichen AkteurInnen in ihren Handlungen die
Quartiersstrategie berücksichtigen sollten. „Aus der Logik der Aufgabe und ihrer
Lösungsstruktur folgt, dass die Gebiete und die in ihnen herrschenden Missstände selbst zum
Gegenstand politischen Handelns werden“ (Empirica 2001: 8). Das Ziel ist, räumlich gebündelte
Konzepte in Abstimmung mit den einzelnen Ressorts umzusetzen.
Im Kern wird kooperatives und ressortübergreifendes Verwaltungshandeln im neuen Programm
vor allem auf lokaler Ebene gefordert (etwa durch die Bildung von ‘local strategic partnerships’),
wobei die BürgerInnen zentrale Mitwirkungsrechte bekommen. Die Kommunen sind zumeist
Initiatorinnen von Programmen, für die von der Zentralregierung aus einem zentralen Fonds
Gelder zur Verfügung gestellt werden. Gleichzeitig erfolgt eine zentral finanzierte Evaluation,
die den Mitteleinsatz optimieren soll. Das System der spezialisierten Verwaltung wird nicht
aufgehoben, sondern die öffentlichen Akteure werden aufgefordert ihr Handeln gebietsbezogen
besser abzustimmen und zu koordinieren (Konzept ‘dezentrale Verantwortung – zentrale
Finanzierung’).
Im neuen Ansatz wird erstmals hervorgehoben,
• dass es auch um die Veränderung des Handelns des Sozialstaates geht. Erstmals wurde
offiziell thematisiert, dass u.a. der Staat Verursacher der örtlichen Konzentration sozialer
Ungleichheit sein kann (in Bezug auf die selektive Erbringung öffentlicher
•
Dienstleistungen).
In der neuen Strategie spielt weiterhin die Etablierung von ’Neighbourhood Managements’
als Teil von ‘Local Strategic Partnerships’ eine große Rolle bei der Bekämpfung von
Armut und sozialer Ausgrenzung. Nachbarschaftsmanager können ein eigenes Budget
verwalten und auf Verwaltungsebenen im Sinne der BewohnerInnen Einfluss nehmen.
• Zudem wurden in den Pilotprojekten Bürgerforen eingerichtet, die den ‘Board’ beraten
können; oder es wurden ‘Citizen’s Panels’ etabliert, um sicherzustellen, dass
BewohnerInnen jedes Straßenzuges des Gebietes vertreten waren.
• Prinzipien für die Durchführung von ‘Neighbourhood Management’ sind: Übernahme von
Verantwortung für die Nachbarschaft, Verbesserung der Bürgerbeteiligung und
‘leadership’ durch die lokale Bevölkerung in der Entwicklung des Gebietes (z.B. über
BürgerInnen-Foren), Verbesserung der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen in den
Gebieten (z.B. durch Vereinbarungen mit lokalen Anbietern, durch Übernahme dieser
Dienstleistungen durch die BewohnerInnen selbst), Implementierung eines
systematischen und geplanten Ansatzes zur Gebietsentwicklung.
2.1.4 Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Lernen vom
„Dritten Weg“ in Großbritannien?
Der Versuch der Erneuerung der sozialdemokratischen Politik durch den britischen
Premierminister Tony Blair, führte ihn zum hinlänglich bekannten „Dritten Weg“, der sich
18

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
inzwischen auch in der Stadtpolitik manifestiert hat. Laut dem Wegbereiter des Dritten Weges,
dem englischen Soziologien Anthony Giddens, ist dieser Weg eine mögliche Antwort auf die
Herausforderungen der Globalisierung, der Individualisierung und des technologischen
Wandels. „Der Dritte Weg ziele unter anderem auf eine Erneuerung der Demokratie, eine aktive
Zivilgesellschaft, eine neue gemischte Wirtschaft, die ein Gleichgewicht zwischen Regulierung
und Deregulierung und ein Gleichgewicht zwischen dem ökonomischen und nichtökonomischen
Bereich der Gesellschaft anstrebe, sowie auf eine Reform des
Wohlfahrtsstaates. Sie will dem Prinzip ‚Keine Rechte ohne Pflichten’ folgen, ohne linke
Leitwerte wie soziale Gerechtigkeit und Solidarität zu demontieren“ (Gallus & Jesse 2001: 8).
Die folgenden im Zuge des ‚Dritten Weges’ entwickelten Städtestrategien gegen Armut und
soziale Ausgrenzung bieten die Möglichkeit, eigene positive Strategien abzuleiten:
• Der Bezug der staatlichen Interventionen auf ‘areas’, d.h. der Bezug auf bestimmte
Stadtquartiere, die physisch, ökonomisch und sozial erneuert werden sollen, und die sich
daraus ergebende vertikale und horizontale Integration des Staatshandelns.
• Der hohe Grad an Formalisierung von ‘Partnerships’ als Trägerinnen von
•
Stadterneuerungsprojekten und als Plattform für die Involvierung multi-sektoraler
AkteurInnen und Institutionen in die Entwicklung von Quartieren.
Die genaue Identifizierung und Analyse von benachteiligten Quartieren und deren
Einbettung in umfassenden Strategien zur Stadt- und Regionalentwicklung, verbunden
mit der Evaluation der Umsetzung der Strategien.
• Der Versuch der Etablierung einer „Quartierslogik“ vor allem im Handeln der AkteurInnen
aus Politik und Verwaltung (Raumbezug des Einsatzes der finanziellen Mittel).
• Damit ist auch die Verknüpfung von Städtestrategien mit Maßnahmen der Modernisierung
der lokalen Verwaltungen verbunden.
• Die rechtzeitige Einbeziehung der AkteurInnen aus der „lokalen Ökonomie“ in die
Entwicklung eines Stadtquartiers.
• Die Anerkennung von regionstypischen Unterschieden in der Struktur der
Wohnungsmärkte und die damit verbundenen regionsspezifischen Anforderungen an eine
Wohnungspolitik; die stärkere Berücksichtigung der sozialräumlichen Polarisierung in den
Städten sowie die Aufwertung von Modellen des ‚neighbourhood management’ als
partnerschaftlich organisierte Instrumente zur Lösung von Problemen in sozial
benachteiligten Quartieren.
Diese positive Einschätzung wird durch folgende negative Lernerfahrungen relativiert, welche
sich vor allem auf die Umsetzung der „idealen“ Anforderungen bezieht:
• Verlässt man sich ausschließlich auf den Einsatz von „kleinräumlichen“ Strategien, können
Armut und soziale Ausgrenzung nicht beseitigt werden.
• Der Wettbewerbsgedanke kann auch zu weiteren Benachteiligen von bereits benachteiligten
Gebieten führen.
• Fachspezifische staatliche Programme müssen mit ressortübergreifenden, raumbezogenen
Programmen gut abgestimmt werden (Abstimmung auch in Bezug auf Ziele der Strategien,
z.B. Privatisierung vs. Bekämpfung von Armut).
• Bei der Bildung von „Partnerschaften“ ist die vorhandene Organisations- und Entscheidungsstruktur
aller PartnerInnen zu berücksichtigen.
• Hinter einer konsens- und partnerschaftsorientierten Politik können sich Machtungleich-
19

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
gewichte entwickeln, die Kooperation erschweren.
• Strategien müssen langfristig angelegt sein, um Quartiersprobleme angehen zu können
(Kritik am ‚City Challenge').
Auch der „Dritte Weg“ nach britischem Muster folgt letztlich einer zwar abgeschwächten,
dennoch durchwegs neo-liberalen Politik, deren Liberalisierungsbestrebungen durch einen
kontrollierenden und überwachenden Staat flankiert werden. „Eine Abkehr von der
projektorientierten Städtebaupolitik mit ihrer seit der neoliberalen Wende in der britischen
Städtepolitik institutionalisierten Public Private Partnership der Urban Development Cooperation
nimmt New Labour ausdrücklich nicht vor ...“ (Eckardt 2001a: 38). Die zentralen Initiativen zur
Erneuerung der Städte sind Teil von stark zentralstaatlich gelenkten Programmen („Kontrolle
durch Evaluierung“) und entstehen zumeist in der alten Tradition des „top-down-Regierens“, in
welchem der lokale und nationale Staat über die Bildung von Partnerschaften entscheidet resp.
diese einfordert. Auch in der Regentschaft der Sozialdemokraten wird eine Politik der
Kulturalisierung und Festivalisierung der Innenstädte betrieben, welche vor allem der
Positionierung der Städte im internationalen Wettbewerb dienen sollen, was auf der einen Seite
die sozio-ökonomische Polarisierung beschleunigt und auf der anderen Seite die Mittel und
Aufmerksamkeit der Stakeholder in den lokalen politisch-administrativen Systeme in eher
mittelschicht-orientierten Projekten bindet.
Beispiel für gebietsbezogene Kooperations- und Managementstrukturen: London
Borough of Tower Hamlets, Ocean Estate
Die Kommune war der Initiator der strategischen Partnerschaft im „London Borough of Tower
Hamlets“ im Rahmen des „New Deal For Communities“ (NDC). Der „Partnership Board“ hat
zentrale Steuerungs- und Entscheidungsfunktionen und zeichnet für den Erfolg der lokalen
Strategie gegenüber den BürgerInnen verantwortlich. Folgende Aufgaben fallen in seinen
Kompetenzbereich (empirica 2001):
• Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen in Entscheidungsprozesse (vor allem der sozial
benachteiligten Gruppen),
• Strategische Ausrichtung und Durchführung des NDC-Programmes in Form von
konkreten Projekten,
• Monitoring und Evaluierung,
• Verbesserung der Qualität des Angebotes von öffentlichen Dienstleistungen,
• Planung und Koordinierung von Dienstleistungsverträgen und
• Festlegung von Dienstleistungs- und Serviceverträgen mit unterschiedlichen Anbietern.
Die rechtliche Form des „Parntership Board“ im Falle von „Tower Hamlet Ocean Estate“ ist die
Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nachdem der London Borough of Tower Hamlet
anfangs die Leitungsaufgaben erfüllt hat, wurde der gesamte „board“ von den BewohnerInnen
gewählt. Der „board“ besteht aus 15 Personen, die aus der lokalen Ökonomie, der Bevölkerung,
der lokalen Politik, aus lokalen gemeinnützigen Organisationen, aus der Verwaltung und aus
der Exekutive kommen. Mindestens 51% der Mitglieder sind VertreterInnen der
Bewohnerschaft. Damit soll gewährleistet werden, dass die BewohnerInnen primär selber über
die Entwicklung ihres Gebietes entscheiden können.
Die „Neighbourhood Forums“ sind Lenkungsgruppen, die sich mit Themen wie z.B.
„Neighbourhood Management“ oder Ausbildung, Beschäftigung und lokale Ökonomie
auseinandersetzen. Dazu gibt es noch fünf weitere Foren zu den Themen Frauen, Jugend,
ältere Menschen, Gleichstellung, behinderte Menschen. Die Funktion der Foren besteht in
20

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
der Beratung und der Vorbereitung von strategischen Entscheidungen. Begleitet wird der
Beteiligungsprozess durch ein Trainingsprogramm, das Coaching-Funktionen für
unterschiedliche Akteure erfüllt und Wissen sowie Kompetenzen für die erfolgreiche Beteiligung
vermitteln soll. Das „Programme Management Team“, das vom „board“ eingestellt wird, hat vor
allem Verwaltungs- und Programmkoordinationsaufgabe und ist für die Erstellung von Berichten
an den „board“ sowie für die Übertragung der Ergebnisse der externen Evaluation auf das Programm
verantwortlich.
21

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
2.2 FRANKREICH
Die Krise der Städte in Frankreich mit Phänomenen zunehmender Arbeitslosigkeit, Segregation,
Ghettobildung und Kriminalität manifestierte sich in den 1980er Jahren durch gewaltförmige
Unruhen in den Vorstädten (Banlieues) der großen Städte Frankreichs. Seither haben sich die
gesellschaftlichen Spaltungsprozesse, die soziale Ausgrenzung und Armut in den Städten
räumlich weiter verfestigt und teilweise auch verschärft. Vor allem hat sich die Polarisierung
zwischen autochthoner Bevölkerung und den meist nordafrikanischen EinwanderInnen weiter
zugespitzt. Diesen Problemen versuchte man zuerst beizukommen, indem man die
„Problemhäuser“ entmietete und dann sprengte; zuerst in Lyon in der Großsiedlung "Les
Minguettes", später in Marseille und an anderen Orten. Eine weitere erste Maßnahme war, die
„Problembevölkerung“ gleichmäßiger in einer Region zu verteilen.
In den Banlieues ist trotz allem eine Generation von Jugendlichen herangewachsen, die durch
Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit, Frustration, Aggression und Gewaltbereitschaft geprägt wurde
und wird. Diese ausgegrenzten Jugendlichen leben in einer eigenen „Welt“, mit Werten,
Normen, Sprachregelungen und Verhaltensmustern, die sich zunehmend von denen der
Gesamtgesellschaft abspaltet. Sichtbar wird dies dann, wenn S-Bahnen oder Busse einige
Haltepunkte in der Pariser Banlieue nicht mehr anfahren oder wenn, wie im Januar 1999
beschlossen wurde, so genannte „Auffanghäuser“ für straffällig gewordene Jugendliche mit
hohem finanziellen Aufwand errichtet werden, um die Jugendlichen „wegzuschließen“, die
straffällig geworden sind.
Auf diese Krisenerscheinungen in bestimmten Stadtvierteln wurde in Frankreich seit den 1970er
Jahren mit unterschiedlichen Programmen und Maßnahmen im Rahmen der ‚Politique de la
Ville’ reagiert, einer Stadtpolitik, welche die Bekämpfung der territorialen Verfestigung von
Armutslagen und sozialer Ausgrenzung zu ihrem Grundgedanken erhebt. Die politischstrategische
Ausrichtung dieses Politikfeldes variierte in unterschiedlichen Phasen. In den
anfänglichen Programmen war die Zielsetzung durch eine bauliche Aufwertung der Wohnungen
und Wohnhäuser im Rahmen von städtebaulich-architektonischen Verbesserungsmaßnahmen
gekennzeichnet. Im weiteren Verlauf bildeten sich Programmschwerpunkte wie die Förderung
der lokalen Ökonomie, verstärkte Investitionen in die städtebauliche Infrastruktur der Quartiere,
die Förderung kultureller und sportlicher Aktivitäten durch finanzielle Unterstützung der oftmals
vielfältigen Vereinsstrukturen in den Quartieren sowie die besondere Unterstützung von
Integrationsmaßnahmen für Zugewanderte.
Die Stadtpolitik hat sich also in Frankreich von anfänglich städtebaulich-architektonischen
Zielsetzungen hin zu einem integrierten Konzept von Maßnahmen gegen Armut und soziale
Ausgrenzung entwickelt, das unterschiedliche politische Zielsetzungen in sozialer, kultureller
und ökonomischer Hinsicht in einem gebietsbezogenen Ansatz miteinander verknüpft.
2.2.1 Nationale Rahmenbedingungen
Problementwicklung von Armut und sozialer Ausgrenzung
Die Krise des Fordismus führte im Gefolge eines Abbaus von industriellen Arbeitsplätzen und
der Neustrukturierung der französischen Ökonomie zu Beginn der 1980er Jahre zu einem
starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. In den Jahren 1983 und 1984 wurden jedes Jahr mehr als
250.000 Menschen arbeitslos. Man sprach in Frankreich von einer „neuen Armut“, die
verdeutlichte, dass viele Arbeitskräfte vorzeitig aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden mussten und
gleichzeitig der Zugang zum Arbeitsmarkt immer schwieriger wurde. (PNAI 2003: 6). Die Zahl
22

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
der Arbeitslosen stieg von 0,8 Millionen im Jahr 1972, über 2,1 Millionen im Jahr 1982 auf 3,4
Millionen im Jahr 2000. (vgl. Jaquier 2001: 5).
Trotz einer prosperierenden Volkswirtschaft (Wachstumsraten des BIP um etwa 3,7% zwischen
1997 und 2000 jährlich und einer geringen Inflationsrate von 0,7%) konnte die Arbeitslosigkeit
nicht wesentlich reduziert werden: Die Arbeitslosenquote lag im Jahr 1997 bei 12,4% der
aktiven Bevölkerung und ging auf 11% im Jahr 2000 zurück (PNAI-France 2003: 6).
Die Zunahme von Armut und sozialer Ausgrenzung wurden im Präsidentschaftswahlkampf von
1995 mit einer sehr breit angelegten Kampagne thematisiert. Chirac prägte den Begriff vom
„sozialen Riss“ (fracture social) in der französischen Gesellschaft, die mit zwei
Geschwindigkeiten („La France à deux vitesse“) drohe auseinander zu fallen.
Diese Thematisierung der drohenden Spaltung der französischen Gesellschaft fand schließlich
ihren Niederschlag in einem Gesetz zum „Kampf gegen die Ausgrenzung“ („Loi des luttes
contre les exclusions“ (LCE)) im Juli 1998. Dieses Gesetz beinhaltete Maßnahmen zur
Integration ökonomisch schwacher Personen und zur Stärkung ihrer Rechte.
Armut und soziale Ausgrenzung sind in Frankreich nicht nur ein Folgeproblem von
Arbeitslosigkeit, sondern auch von prekären Arbeitsverhältnissen. Wenn auch ein
Arbeitseinkommen einen gewissen Schutz gegen Armut und soziale Ausgrenzung darstellt, so
stieg doch der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Personen mit einem
Arbeitseinkommen im Zeitraum von 1990 bis 1996 von 4,9% auf 6,6%. Unter der Armutsgrenze
von 60% des Durchschnittshaushaltseinkommens lebten im Jahr 1999 12,3% der Haushalte.
Die Zahlen für den Anteil an Haushalten unter der Armutsgrenze vor staatlichen
Transferleistungen liegen fast doppelt so hoch, nämlich bei 21,6%.
Alleinerziehende und Jugendliche sind die am stärksten gefährdeten Personengruppen. Der
Anteil der alleinerziehenden Haushalte, denen weniger als 60% des nationalen
Durchschnittseinkommens vor staatlichen Transferleistungen zur Verfügung stand, lag im Jahr
1999 bei 43,1%. Nach Zahlung der staatlichen Transferleistungen lebten immerhin noch 24,5%
der alleinerziehenden Haushalte unter der monetären Armutsgrenze (Plan national d’action
pour l’inclusion sociale en France. 2003-2005. Annexes: 30ff).
Der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen, die ein Jahr nach Ausbildungsabschluss immer noch
keine Arbeit gefunden hatten, lag im Jahr 2000 bei 25%. Hier gibt es geschlechtsspezifische
Unterschiede. Der Anteil weiblicher Jugendlicher lag um 3%-Punkte höher als die der männ-
lichen (Plan national d`action pour l`inclusion sociale en France. 2003-2005. Annexes: 25 f.).
Arbeitslosigkeit ist in Frankreich auch stark räumlich ungleich verteilt. Verdeutlicht wird dies
durch einen Koeffizienten, der die Variation von Arbeitslosigkeit unter den französischen
18
Regionen misstP
P, der für das Jahr 2000 einen Wert von 23,1% annahm. Das bedeutet, dass
der Wohnort in einer Region bis etwa zu einem Viertel die Chancen auf dem Arbeitsmarkt
bestimmt (vgl. Plan national d`action pour l`inclusion sociale en France. 2003-2005. Annexes:
84).
Die Wohnorte der Arbeitslosen sind vor allem die Quartiere des sozialen Wohnungsbaus an der
Peripherie der größeren Städte, wo sich die ausgegrenzten und ökonomisch armen Personen
konzentrieren.
18
TP
PT TDieser
Koeffizient der Variation von Arbeitslosigkeit im regionalen Kontext wird errechnet aus der Quadratwurzel der
Varianz des Arbeitslosigkeitsanteils und des nationalen Mittelwertes (Plan national d`action pour l`inclusion sociale
en France. 2003-2005. Annexes: 84).
23

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die geographische Konzentration von Armutsbevölkerung ist demnach im Wesentlichen eine
unmittelbare Folge der französischen Stadtentwicklungs- und Wohnungsbelegungspolitik. Um
diese Prozesse der kumulativen sozialen Ausgrenzung statistisch zu beschreiben, wurden 751
sog. „sensible städtische Zonen“ definiert, in denen etwa 4,5 Millionen Menschen leben. Diese
sensiblen städtischen Zonen (Zones urbaines sensibles (ZUS) sind die Quartiere in denen die
Programme der „Politique de la Ville“ wirksam werden). Die Haushalte dieser städtischen
„sensiblen Zonen“ repräsentieren nur 4% der Gesamtheit aller Haushalte, die in städtischen
Einheiten mit weniger als 50.000 EinwohnerInnen, aber schon 13% der Haushalte in
städtischen Einheiten mit über 50.000 EinwohnerInnen.
21% der Haushalte in diesen „städtischen sensiblen Zonen“ leben in monetärer Armut, was in
etwa doppelt so hoch ist wie der nationale Durchschnitt. In den „städtischen sensiblen Zonen“
von mehr als 200.000 EinwohnerInnen ist die räumliche Ungleichverteilung von
Armutsgefährdung noch deutlicher. Dort liegt der Anteil bei 27% (Plan national d`action pour
l`inclusion sociale en France. 2003-2005. Annexes: 84).
Veränderung von Staatlichkeit und neue Regulationsformen
Frankreich ist eine demokratisch-parlamentarische Republik, die durch eine starke Stellung des
Präsidenten geprägt ist. Wesentliches Charakteristikum ist eine historisch gewachsene
zentralistische Tradition des Staatswesens, das von der absoluten Monarchie über das Empire
bis hin zur Republik Bestand hat. Die vierte Republik (1946-1958) war durch den Wiederaufbau
der Industrie und eines Großteils der Städte sowie erste Maßnahmen zum Ausbau des Systems
sozialer Sicherungen gekennzeichnet. Die gesetzgebende Kraft lag allein in den Händen der
Zentralregierung mit einem machtvollen dezentralisierten, aber eingebundenen
Verwaltungsapparat. Auf den regionalen und lokalen Ebenen (Region, Département und
Kommune) wurde das staatliche Handeln durch Präfekte ausgeführt. Da die Gemeinden keine
eigene Planungshoheit besaßen, wurden selbst die lokalen städtebaulichen und
infrastrukturellen Planungen durch den Zentralstaat für die Gemeinden durchgeführt, der
letztlich festlegte, wo und in welcher Ausrichtung Schulgebäude, Polizeistationen oder auch
Großsiedlungen im Gemeindegebiet erbaut werden sollten.
In der fünften Republik kam es erstmals unter dem sozialistischen Präsidenten Francois
Mitterand mit der Dezentralisierungspolitik zu einer größeren Transformation des
zentralistischen Staatswesens. Die Dezentralisierung von 1981 brachte zwei wesentliche
Transformationen im Staatsaufbau mit sich:
• Mit den Conseil Régionales entstand eine neue politisch-administrative Ebene in der
Region,
• ein Teil der gesetzgeberischen Kompetenzen wurden vom Präfekten zum Präsidenten
des Conseil Régional und zum Bürgermeister der Gemeinden verlagert.
Durch diese Zäsur vergrößerten sich die gesetzgeberischen und finanziellen Möglichkeiten der
Regionen und Gemeinden; sie erhielten u.a. zusätzliche Kompetenzen im Rahmen der Stadtund
Regionalpolitik.
Allerdings sind die gesamte Städtestruktur und die regionalen Verflechtungen nach wie vor
durch ein starkes Ungleichgewicht geprägt. Es gibt insgesamt 57 Verdichtungsräume mit mehr
als 100.000 EinwohnerInnen, darunter den Großraum Paris, der allein schon 16% der
Bevölkerung Frankreichs repräsentiert. Im Land gibt es über 36.000 Kommunen, von denen
rund zwei Drittel weniger als 500 EinwohnerInnen zählen. Neben der Gemeindegrößen gilt
24

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
dieses Ungleichgewicht auch für die Wirtschaftskraft, denn trotz der „ … unternommenen
Dezentralisierungsbestrebungen zu Beginn der 80er Jahre herrscht in Frankreich weiterhin
(Anfang der 1990er Jahre, d. Autoren) ein umfassender Zentralismus: Der Großraum Paris
erzeugt 41 Prozent des gesamten Steueraufkommens und die zweitgrößte Region, das
Städtedreieck Lyon-Grenoble-St. Etienne, erreicht lediglich 7 Prozent“ (Lang et al. 1992: 25).
Der politische Wille zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung fand im Jahr 1998
seinen Ausdruck in der Verabschiedung eines „Gesetzes zum Kampf gegen die Ausgrenzung“
(Loi n° 98-657 du 29 juillet 1998 d'orientation relative à la lutte contre les exclusions). Darin wird
betont, dass die gesamte öffentliche Politik auf dieses Ziel ausgerichtet sein soll. Ein Jahr
später werden im nationalen französischen „Aktionsplan gegen Armut und soziale
Ausgrenzung“ (Plan national d`action pour l’inclusion social 2003-2005) drei Fundamente der
französischen Strategie gegen Armut und soziale Ausgrenzung benannt:
• In der Sozialpolitik besteht ein System sozialer Sicherung für spezielle Risiken, mittels
Sozialhilfe und Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt.
• In der Wohnungspolitik wird über den sozialen Wohnungsbau sowie über Subjektförderungen
finanzielle Hilfestellung für die ökonomisch schwächsten Mitglieder der Gesellschaft
bereitgestellt.
• Im Arbeitsrecht werden Maßnahmen gegen prekäre Arbeitsverhältnisse sowie Untergrenzen
beim Einkommen festgelegt.
2.2.2. Wohnungspolitik
Nach dem zweiten Weltkrieg hat Frankreich im Zuge der forcierten Industrialisierung ein
umfassendes Wohnungsbauprogramm beschlossen. Mit der Errichtung des geförderten
„sozialen Wohnungsbaus“ (HLM) wurden vor allem gemeinnützige Wohnungsunternehmen
beauftragt. Der Begriff „sozialer Wohnungsbau“ ist heute in Frankreich mit der Konzeption des
Wohnungsbaues im Nachkriegszeitraum zwischen 1955 und 1975 verbunden. In fordistischer
Produktionsweise wurden in dieser Zeitspanne etwa 1,5 Millionen Sozialwohnungen – sie
stellen 7 % des gesamten Wohnungsmarktes dar – in den sogenannten Vorstädten, den
„banlieues“, aus dem Boden gestampft. Sozialer Wohnungsbau (Habitation à Loyer Modéré) gilt
als Synonym für Wohnungen mit billiger Miete. Dies war nicht immer so: Das erste Gesetz vom
30.11.1894 (loi Siegfried), das den Grundstein für die Intervention des Staates im
Wohnungsbausektor legt, spricht von „Arbeiterwohnungen“, die neu zu erbauen sind. Später
war dann die Rede von „Volkswohnungen“ („logement populaire“) und „Billigwohnungen“
(„habitations à bon marché“).
Die juristischen Regelungen und institutionellen Organisationsformen, welche die Produktion
des Sozialen Wohnungsbaus definieren, basieren seit dem Ende des 19. Jh. auf folgenden
grundlegenden Prinzipien:
• Eingriff in das Bodenrecht, um die öffentlichen Investitionen im Wohnungsbau zu
erleichtern,
• Finanzielle Unterstützung der Investoren und
• Regulierungen des Verhältnisses zwischen EigentümerInnen und WohnungsmieterInnen.
Vom Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der 60er Jahre
Der französische Staat stellt in der Nachkriegszeit den größten Teil der finanziellen Ressourcen
für den sozialen Wohnungsbau zur Verfügung. Durch gesetzliche Rahmenbedingungen des
25

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Zentralstaates, wie durch das 1948 geschaffene „Ministerium des Wiederaufbaus und
Urbanismus“ (MRU: Ministère de la Reconstruction et de l`urbanisme) werden neue Flächen zur
Bebauung ausgewiesen.
1968 sind etwa 4,5% der BewohnerInnen der Grands Ensembles der oberen Mittelschicht
zuzurechnen, 39% der Mittelschicht und 56% der vorwiegend aus ArbeiterInnen bestehenden
Unterschicht. Überwiegend handelt es sich um eine Bevölkerung mit mäßigem, aber
regelmäßigem Einkommen.
Die Standortwahl sowie die Bebauungspläne für die Grands Ensembles (große Neubauviertel)
werden durch den Vertreter des Zentralstaates, den Präfekten festgelegt. Dies hat zur Folge,
dass gegen den Willlen einiger Gemeinden Stadtrandsiedlungen gebaut wurden. Als
Planungsinstrumente werden 1958 vorrangige Entwicklungszonen, die so genannten ZUP
(Zone à urbaniser en priorité) und 1969 die Zonen für integrierte Sanierungsmaßnahmen, die
ZAC (zones d`aménagement concerté) eingeführt, um mit diesen Instrumenten großflächige
Gebiete städtebaulich schnell entwickeln zu können. Durch den Massenwohnungsbau am
Rande der Städte sollten die Konstruktions- und Erschließungskosten niedrig gehalten und
Frankreich der Eintritt in das moderne, industrielle und fordistische Zeitalter erleichtert werden.
Diese Großwohnsiedlungen, die ab 1958 – legitimiert durch die Charta von Athen – mit zum Teil
bis zu 25.000 Wohnungen am Rande der Städte gebaut werden, haben hauptsächlich
MigrantInnen aus dem ländlichen Raum, Rückkehrende aus den ehemaligen Kolonien und
Haushalte aus den Innenstädten, die ihre Wohnungen durch Flächensanierungen verloren
haben, aufgenommen.
Die Siedlungen wurden in einer Phase der Vollbeschäftigung erbaut und besaßen anfangs die
Funktion von „Übergangswohnungen“. D.h. man ging davon aus, dass diese Wohnungen nur
eine Zwischenstation im sozialen Aufstieg sein sollten. Die Großsiedlungen sind heute jedoch
für die überwiegende Mehrheit der MieterInnen zu einem dauerhaften Aufenthaltsort geworden.
Diese veränderte Lage hat auch die Sichtweise der Wohnungsbaugesellschaften auf ihren
Bestand verändert. Sie wirken auf den Staat und die Gemeinden ein, um eine gemeinsame
Diskussion über die zukünftige Entwicklung der Großsiedlungen zu führen.
Diese Quartiere wurden zu einem Zeitpunkt und für einen Zweck entworfen und gebaut, als
ihnen noch keineswegs die Funktion abverlangt wurden, die sie heute erfüllen sollen. Die
dauerhaft hier lebenden BewohnerInnen haben andere Erwartungen an ihr Wohnumfeld, als
jemand, der davon ausgegangen ist, dass er/sie nur etwa zwei Jahre seiner/ihrer Lebenszeit
hier verbringen würde. Die Wohnungsträger der HLM müssen diese Veränderungen erfassen,
entsprechend handeln und im Dialog mit dem Staat und den Gebietskörperschaften zu
Lösungen zu gelangen.
Die 70er Jahre: Erste Konstruktionsmängel und Bauschäden in den Großsiedlungen
Zu Beginn der 1970er Jahre werden die ersten Konstruktionsmängel und Bauschäden an den
vorgefertigten Bauteilen in den Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus sichtbar. Dies führt
schon sehr schnell zu erheblichem Nachbesserungsbedarf. Die Träger des sozialen
Wohnungsbaus konnten diese Arbeiten aber meist finanziell nicht bewältigen, und so
verschlechterte sich zusehends die bauliche Substanz der Siedlungen, wobei diese das Image
des modernen, komfortablen Wohnens verloren.
Anfang der 1970er Jahre erfolgt auch eine Trendwende in der französischen
Wohnungsbaupolitik. Der französische Staat begann mit einer Neuorganisation der
26

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Wohnungsbauförderung, die einen tendenziellen Rückzug staatlichen Engagements und eine
stärkere Einbindung privaten Kapitals beinhaltete. Im Kontext dieser Bemühungen, private
Investitionen in den Wohnungsneubau zu lenken, wurden die Darlehensbedingungen für private
Wohnungsbaufinanzierungen verändert. Dadurch stieg der Anteil privater Mittel bei der
Wohnungsbaufinanzierung von 29 Prozent im Jahr 1962 auf 58 Prozent im Jahr 1975 (vgl. Lang
et al. 1992: 73).
Mit der zunehmenden Förderung von Wohneigentum in den 1970er Jahren sind vor allem
Haushalte der Mittelschicht aus den Quartieren des sozialen Wohnungsbaus in die
Eigenheimsiedlungen abgewandert. Es kam zu einer Massenmobilität aus dem sozialen
Wohnungsbaus in den Eigentumssektor der suburbanen Wohngegenden. Hinterlassenschaft
waren meist leere Wohnungen in den Großsiedlungen, geringere Einnahmen für die Träger des
sozialen Wohnungsbaus, und daher geringere Möglichkeiten der baulichen Instandsetzung.
Das Wohnungsgesetz von 1977 führte zu einer stärkeren Marktöffnung. Damit einhergehend
wurden zentralstaatliche Gelder für den sozialen Wohnungsbau gekürzt und noch stärker als
19
zuvor in die Eigentumsförderung gelenkt. Außerdem wurde die SubjektförderungP
P eingeführt.
Im selben Jahr wurde auch in der Stadterneuerung eine Wende eingeschlagen: Die neo-liberale
Regierung fasste in den „Programmierten Maßnahmen zur Verbesserung der
Wohnverhältnisse“ unterschiedliche Erneuerungsmaßnahmen zusammen (Abriss, Neubau,
Instandsetzung) und stärkte die Erneuerung im privaten Wohnungsbestand auf Initiative der
Eigentümer und der Kommunen. Die Rahmenbedingungen auf dem Wohnungsmarkt
veränderten die Zielsetzung der Trägerorganisationen des sozialen Wohnungsbaus: An die
Stelle der Entscheidung für den Neubau trat die Bemühung um Bestandserhaltung.
Die Wirtschaftskrise von 1973 erhöhte die Arbeitslosigkeit unter den FacharbeiterInnen und
gering ausgebildeten ArbeiterInnen. In diesem Prozess wurden die Großsiedlungen des
sozialen Wohnungsbaus am Rande der Städte zu Randgruppen-Wohngebieten. Die
wirtschaftliche Krise 1977/78 führte schließlich zu einem regelrechten Bevölkerungssautausch
zwischen den von der Krise getroffenen ärmeren Bevölkerungsschichten und den mittleren
Einkommensschichten, die sich im Zuge der Suburbanisierung und der stärkeren
Eigenheimförderung den Traum des eigenen Heims erfüllten.
In den Quartieren des sozialen Wohnungsbaus wurde die Instandhaltung vernachlässigt. Der
Staat war mit vielen seiner Verwaltungsaufgaben nicht präsent: Die üblichen Dienstleistungen in
den Bereichen Reinigung und Instandhaltung, Sicherheit, Freizeit fehlten oder waren
mangelhaft. Verwaltungs- und Dienstleistungspersonal waren nicht ausreichend für die
auftretenden Schwierigkeiten ausgebildet. Haltlose Jugendliche aus Familien, die Sozialhilfe
empfingen, fanden ihre Selbstbestätigung in der Kriminalität, wobei allerdings eingehende
Nachforschungen aufzeigen, dass die Kriminalitätsrate jene der sozial besser gestellten Viertel
nicht überstieg.
Die 1980er Jahre: Erste Erfahrungen mit einem Städtebauerneuerungsprogramm in den
Großsiedlungen
Die Misserfolge der ersten Sanierungsprogramme der Großsiedlungen im Rahmen des
Programms „Wohnen und Leben“ (Habitat et Vie) sind auf die rein technische Lösung von
städtebaulichen und sozialen Problemlagen zurückzuführen. Aus diesem Grund erweiterten die
Wohnungsbaugesellschaften ihr Aufgabenfeld:
19
TP
PT APL: „l`aide personnalisée au logement“
27

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Ihre Bestandspolitik wurde in umfassendere Quartierskonzepte eingebunden, die in
Partnerschaften mit dem Staat, der Gemeinde und anderen lokalen Akteuren abgestimmt
wurden.
Sie sahen ihre Aufgaben verstärkt in sozialen Bereichen und versuchen diese mit Mitteln wie
sozialer Animation, sozialer Quartiersarbeit sowie der Einstellung und Weiterbildung von
HausmeisterInnen und MediatorInnen zu lösen.
Anfang der 1970er Jahre haben die Wohnungsbaugesellschaften auf die infrastrukturellen
Defizite der Siedlungen und den baulichen Sanierungsbedarf der Gebäude hingewiesen und
forderten ihre Einbindung in die Stadtpolitik (Politique de la Ville).
Innerhalb des Verbandes der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, den HLM-
Organisationen, hat sich eine Diskussion entwickelt, die die Notwendigkeit einer
Wohnungspolitik betont, die nicht nur den Wohnungsbestand im Blickfeld hat, sondern ein
gesamtstädtisches Projekt entwickelt, das auch Fragen der städtebaulichen Umgebung und
infrastrukturellen Ausstattung eines Quartiers bearbeitet. Diese Sichtweise konnte sich durch
den Rückzug des Zentralstaates entwickeln und ermöglichte eine stärkere Beachtung der
lokalen Situationen: In diesem Prozess hat es eine deutliche Verlagerung der Zuständigkeiten
von der zentralen staatlichen Verwaltung hin zur lokalen Verantwortung gegeben.
Seit dem Jahr 1976 taucht der Begriff „Banlieues“ verstärkt auf und wird mit Vorstellungen wie
Spaltung, Gewalt und Krise verbunden. Das Symbol des modernen technischen Fortschritts,
der in den Großsiedlungen vermutet wurde, wird schnell zum Objekt architektonischer Kritik und
zu einer psychologischen Gefahr für die BewohnerInnen erklärt. Mit zunehmender Sichtbarkeit
der Probleme in den Banlieues und dem Beginn der politischen Maßnahmen im Sinne einer
sozialen Erneuerungspolitik änderte sich auch der Diskurs über die Siedlungen. Es wurde jetzt
von einer „masochistischen“ Architektur gesprochen, die soziale Probleme hervorgebracht
habe. Die ersten Sprengungen heruntergekommener Wohnblocks in La Courneuve und Les
Minguettes führten zu der z. B. von der Zeitung Figaro vertretenen Forderung, dass einhundert
der Großsiedlungen (Grands Ensembles) abzureißen seien.
Ende 1990 und Anfang 1991 kam es zu schweren Ausschreitungen in Paris, Vaulx-en-Velin
(Lyon), Mantes-la-Jolie. Die Gewalt der Jugendlichen wurde von zahlreichen SoziologInnen und
JournalistInnen beschrieben und analysiert. Für den Soziologen Alain Touraine, der vom Figaro
interviewt wurde, sind die Jugendlichen „eine Bevölkerungsgruppe, die durch gewaltförmige
Ausschreitungen ihr Recht auf Integration in die Gesellschaft verdeutlichen wollen.“ In den
Zeitungsartikeln tauchten Begriffe wie „Revolte, Wut, Anti-Stadt und Ausgrenzung“ (révolte,
colère, contre-cité, exclusion) auf. Die Banlieues werden mit den Begriffen „Ausgrenzung,
Unsicherheit, Arbeitslosigkeit, Elend, Rassismus und unmenschlicher Städtebau“ in Verbindung
gebracht.
Die 1990er Jahre: Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen des „Sozialen Wohnungsbaus“
fordern ihre Beteiligung in der aktuellen Städtepolitik
Ende der 1990er Jahre erfolgte eine Institutionalisierungen der Partnerschaft zwischen
Wohnungsbaugesellschaften und ihrer Partizipation in der Stadtpolitik (Politique de la Ville).
Anlässlich des Berichtes zur „Zukunft der Stadt“ (Demain la Ville) von SUEUR hat der
Zentralverband der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen Vorschläge einer stärkeren
Einbindung der Träger des sozialen Wohnungsbaus in die Politique de la Ville ausgearbeitet:
28

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
1. Eine Belegungspolitik mit der Zielsetzung einer sozialen Mischung der Bevölkerung kann
nicht im Rahmen der kommunalen Grenzen oder gar im Rahmen von benachteiligten
Quartieren erfolgreich sein. Dazu müsste vielmehr eine solidarische Zusammenarbeit in
städtischen Agglomerationsräumen entwickelt werden.
2. Beim Design der Integrationsprojekte für die Quartiere sollten die spezifischen lokalen
Situationen berücksichtigt werden und sowohl den gesamtstädtischen Bezugsrahmen
(Rolle und Funktion des Quartieres in der Gesamtstadt) als auch die praktische
Operationalisierung der Maßnahmen in bezug auf die Produkte (Wohnungen, öffentlicher
Raum) und auf die Dienstleistungen (Sauberkeit, Sicherheit) in partnerschaftlichen
Kooperationen festlegen.
3. Die Aktionen der sog. „positiven Diskriminierung“ müssen in Maßnahmen umgewandelt
werden, die darauf abzielen, die Gleichheit der Dienstleistungsangebote und die gleiche
Qualität bei der täglichen Verwaltung der Quartiere herzustellen. Dazu, so die
Wohnungsbaugesellschaften, bedarf es der gegenseitigen Akzeptanz von Verhandlungen
und Vereinbarungen zwischen Gebietskörperschaften, Staat, Wohnungsbauträger und
Bewohner/innen.
4. Auf lokaler Ebene waren die Wohnungsbauträger selten bei der Ausarbeitung der
Stadtverträge beteiligt. Auf nationaler Ebene ist der Gesamtverband der gemeinnützigen
Wohnungsunternehmen nicht im nationalen Städterat, dem Conseil national des Villes
vertreten und hat somit keine direkte Mitsprachemöglichkeit. Die gemeinnützigen
Wohnungsunternehmen fordern ihre volle Anerkennung als gleichberechtigter Partner,
neben Kommunen und Staat, bei der Erarbeitung der Städteverträge und der Projekte
einer Quartiersentwicklung. Es geht darum, dass die Politiker/innen die
Wohnungsbaugesellschaften als Akteurinnen wahrnehmen, welche die Legitimität
besitzen, auch über eine globale Reflexion der Funktion und Struktur der benachteiligten
Quartiere nachzudenken und mitzugestalten.
Zwischen dem Stadtminister, Bartolone, dem Staatssekretär für Wohnungsfragen, Besson, und
dem Präsidenten der nationalen Vereinigung der Wohnungsbauträger des sozialen
Wohnungsbaus, Delebarre, wurde Ende 1999 ein Protokoll unterzeichnet, mit dem zum
Ausdruck gebracht wurde, die Wohnungsbaugesellschaften stärker in die Erarbeitung der
Städteverträge einzubeziehen.
Im ersten Teil des Protokolls wurden die gemeinsamen Prioritäten festgelegt:
• Städtische und soziale Mischung (Mixité sociale et urbaine): Die Betonung liegt auf der
notwendigen Übereinstimmung mit den Festlegungen des Bereichs Wohnen in dem
Orientierungsgesetz zum Kampf gegen die Ausgrenzungen und den Städteverträgen. Die
Zielsetzung einer sozialen und städtebaulichen Mischung soll auf Agglomerationsebene
durch die gemeinsame Erarbeitung von Wohnungsraumentwicklungsplänen und einen
ausgeglichenen Neubau erfolgen. Das Wohnungsangebot in den Quartieren des sozialen
Wohnungsbaus soll diversifiziert werden.
• Tägliche Verwaltung der Quartiere (Gestion urbaine de proximité): In den Städteverträgen
sollen die Aufgaben und das Engagement des Staates, der Gebietskörperschaften und
der Wohnungsbauträger über die Verbesserung des täglichen Lebens in den Quartieren
festgelegt werden. Die Steigerung der Maßnahmen soll allerdings nicht zu einer alleinigen
Umlegung der Kosten auf die Bewohnerschaft führen.
• Städtische Restrukturierung (restructuration urbaine): Die Städteverträge definieren die
Gebiete, die eine städtische Umstrukturierung mit größeren städtebaulichen Maßnahmen
wie Sanierung, Abriss und Neubau erhalten sollen. In diesem Rahmen geht es um die
Festlegung des Beitrags der Wohnungsbaugesellschaften als städtische
Maßnahmeträger.
29

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
2.2.2. Stadtpolitik – Städtische Strategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Der Grad der Ausgrenzung und Armut unterscheidet sich von der österreichischen Situation
aufgrund historischer und struktureller Entwicklungen. In Frankreich hat die nachholende
ökonomische Modernisierung in der Nachkriegszeit und die Dekolonisation – die eine
Einwanderung im größeren Ausmaß zur Folge hatte – zu einer viel schnelleren Urbanisierung
geführt. Frankreich war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts ein agrarisch geprägtes Land, somit
haben sich die Folgen einer sozialräumlichen Polarisierung seit den 1970er Jahren verfestigt.
Als Folge der starken geographischen Konzentration sozialer Problematik und sicherlich auch
aufgrund der Einsicht in die (mit-)verursachende Rolle der zentralistischen Politik des Staates
wurde eine nationale territoriale Politik entwickelt, die das Quartier als Lebensort in
zunehmendem Maße berücksichtigte. Die ersten Programme bestanden noch überwiegend in
der Förderung (städte)baulicher Erneuerung, bis sie zu einem vernetzten und umfassenden
Handlungsansatz erweitert wurden.
Sozialintegratives Stadtentwicklungsprogramm – Die ‚politique de la ville’
20
Die Stadtpolitik (Politique de la Ville)P
P in Frankreich hat eine über 20jährige Geschichte: Im
Kontext der Dezentralisierungspolitik Mitterrands und unter dem Eindruck gewaltförmiger
Unruhen in der Banlieue "Les Minguettes" in Lyon wurde im Jahr 1981 das Programm "Soziale
Quartiersentwicklung“ (DSQ) (DIV & DATARD (Délégation Interministerielle à la Ville &
Délégation à l`aménagement du territoire et à l`action regionale) 1988) eingerichtet.
“TLa ‘Politique de la ville’ launched in 1981, is a consequence of the major changes in the
urban fields and approaches but also a way to adapt the political and administrative system
to the new urban stakes. Compared to the former ones, the aim of this policy is to reinforce
the development processes in the territories urbanised during the ‘three glorious ones’ by
implementing multi-sectorial approaches (integrated approaches) and promoting new
partnerships” (Jacquier 2001: 28).
Die erste Phase der Politique de la Ville in Frankreich ist dadurch gekennzeichnet, dass das
Quartier zum Ausgangspunkt für Maßnahmen gegen Armut und soziale Ausgrenzung
genommen wurde. Damit wurde ein territorial abgegrenztes Gebiet zu einem Raum, in dem die
Maßnahmen und Programme dieser Politik greifen sollten. Innerhalb dieses Programms wurde
zudem von Anfang an unterstrichen, welche Bedeutung ein multi-sektoraler Bündelungsansatz
für die einzelnen Politikfelder hat.
Zu Beginn dieser Programmphase wurden 16 und dann 22 Gebiete in den größten
französischen Städten (in Nordfrankreich, im Pariser Becken, der Region Rhône-Alpes und der
Agglomeration von Marseille) ausgewählt. Die Maßnahmen für diese Gebiete wurden in
Verträgen zwischen Staat und Stadt ausgehandelt und festgelegt (‚contrats de ville’, s.u.). Im
Zeitraum von 1984 bis 1988 wurde die Zahl der Gebiete auf 148 erweitert und für eine
Zeitspanne von erstmals fünf Jahren in einem Vertrag zwischen Staat und Region als
Maßnahmengebiete festgeschrieben. In den DSQ-Verträgen wurden unterschiedliche
Zielsetzungen für die Quartiere formuliert: Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft über
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und Beschäftigungsprogramme oder so genannte „erzieherische
Aktionen“, die kulturelle und sportliche Aktivitäten fördern sollen.
20
TP
PT Die
Bezeichnung „Stadtpolitik“ (Politique de la Ville) ist etwas irreführend, da mit diesen Programmen weder eine
rein städtische Politik noch eine rein städtebaulich orientierte Ausrichtung umgesetzt werden.
30

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die sozialistische Regierung unter Rocard erweiterte die Politique de la Ville um das Programm
Developpment social urbain (DSU) (VILLES & DATAR 1990). In dem Zeitraum des 10. Planes
(1989-1993) wurde die Zahl der Gebiete auf 540 Quartiere mit dem Ziel der Re-Integration
dieser Gebiete in die Agglomeration ausgedehnt. In den Städteverträgen wurde die Ebene der
Agglomeration unter stärkerer Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange intensiver
eingebunden.
Gegenwärtig ist das Instrument der Städteverträge, "Les nouveaux Contrats de villes 2000-
2006" (DIV (Délegation Interministérielle à la Ville) 2000), in 867 Gemeinden mit über 1300
Quartieren und rund 6,5 Millionen BewohnerInnen in Kraft.
Die Politique de la Ville hat zur Etablierung einer eigenen interministeriellen Behörde und einem
eigenen Stadtminister auf nationaler Ebene geführt, mit denen die Kommunen und Regionen
die Verträge aushandeln. Mit diesen Vertragswerken wurde die Dezentralisierungspolitik weiter
ausgebaut (vgl. Jacquier 2001: 28). Dennoch bleibt in Frankreich das „relativ schwerfällige und
auf seine Einfluss- und Machtmöglichkeiten beharrendes politisch-administrative System"
(Froessler 1999: 23) relativ geschlossen. Im „Land der starren Beharrlichkeit“ wird im Politikfeld
der sozialen Stadterneuerung seit zwei Jahrzehnten um den „richtigen Weg“ gerungen.
Die Politique de la Ville weist – auch wenn über den langen Zeitraum immer wieder mit neuen
Etiketten versehen – eine gewisse Kontinuität in den verschiedenen Programmen auf. Die Fort-
und Weiterentwicklung zeigt einen Konsens, der durch Innovation und Kontinuität geprägt ist.
Es besteht von der kommunistischen Partei bis zu den Konservativen Konsens bezüglich der
Notwendigkeit von Maßnahmen gegen die Segregationsprozesse. Doch über die Ziele, die
Maßnahmen und Mittel gibt es erhebliche Unterschiede. So präsentieren sich Neoliberale auf
dieser politischen Plattform mit ihren repressiven Vorstellungen von Polizei- und
Strafrechtseinsätzen ebenso, wie die Verfechter der republikanischen Werte, die einer
Ethnisierung des öffentlichen Raumes entgegentreten sowie SozialarbeiterInnen, die den
Jugendlichen aus den Vorstädten Gehör verschaffen und sich für eine Demokratisierung auf
lokaler Ebene einsetzen.
Dabei wird die wirksame Zusammenarbeit oftmals durch die verbreitete Leugnung der
Verantwortung beteiligter AkteurInnen und Institutionen für die Verschlechterung der Zustände
in den Vororten und der zunehmenden ökonomischen und sozialen Spaltung der Städte
behindert.
Auch wenn es sehr unterschiedliche Vorstellungen über die Zielsetzungen und Gestaltungen
dieses Politikfeldes gibt, gibt es einen Konsens über dessen Wichtigkeit:
„Die neue Etappe der Politique de la ville muss dazu beitragen, den republikanischen Pakt
mit Leben zu füllen. Sie muss im Besonderen die Zielsetzung des öffentlichen Dienstes, als
eine Integrationsfunktion für alle BewohnerInnen unterstützen indem der Sinn der Bürgerschaft
(citoyenneté) wieder gestärkt wird. Jede(r), egal welcher Herkunft, welchen Wohnortes
oder sozialen Status muss sich der gleichen Lebens- und Schicksalsgemeinschaft
zugehörig fühlen. Diese Stadt muss der Rahmen für eine bessere Integration der Bevölkerung
mit unterschiedlicher Herkunft darstellen, um die ausländerfeindlichen Tendenzen zu
bekämpfen, die unsere Demokratie gefährden“ (CIV (Comité interministerielle à la
Ville)1998: 1) (Übersetzt von den AutorInnen).
Aufgrund dieser übergreifenden Appelle gibt es auch eine Reihe von konsensualen
Entwicklungen:
• Von anfänglich baulichen Modellmaßnahmen zu integrativen, übergreifenden
Handlungsansätzen (Schule, Wirtschaft, Soziales, Polizei),
31

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• vom Quartier über die Gesamtstadt zur Agglomeration als Handlungsebene,
• von kurzfristigen Programmen zu einer zeitlichen Verstetigung,
• von einer nationalen, klientelorientierten Politik zu einer territorialen Politik, die das
Quartier als Lebensort stärker berücksichtigt und
• einer zunehmenden Einbindung in eine breit angelegte Integrationspolitik.
In zahlreichen Evaluationen der Politique de la ville wurde u.a. die Notwendigkeit der zeitlichen
Verstetigung der Programme hervorgehoben, beispielsweise im Rapport Sueur (1998), in dem
eine zehnjährige Laufzeit der Programme vorgeschlagen wird. Weitere Ergebnisse dieser
Evaluationen (u.a. Dubedout 1983; Suer 1998; Cavallier 1999; Brevan & Picard 2000) waren
insbesondere:
In den ersten Evaluationen zur Politique de la Ville wird noch betont, dass die wichtigste
Herausforderungen an diejenigen gestellt sind, die als Akteure in irgendeiner Art und Weise an
der Entwicklung des städtischen Gemeinwesens beteiligt sind, nämlich zu begreifen, dass „die
städtische Krise ebenso eine kulturelle, soziale, urbane wie ökonomische“ (Dubedout 1983: 5)
Dimension beinhaltet. Es wird eingefordert, dass die städtischen Verwaltungen eine
verantwortliche räumliche Logik etablieren müssen. Außerdem wird eine Aktivierungspolitik
gegenüber den BewohnerInnen empfohlen: „Es müssen Strukturen geschaffen werden, die auf
der Ebene des Quartiers und der Stadt Konzeptionen und Strategien ermöglichen die integrativ
und räumlich ausgerichtet sind: „Die aktive Präsenz der BewohnerInnen und der Vereine ist
weiterzuentwickeln. Es reicht nicht aus, dass die Vereine in den Quartieren präsent sind,
sondern man muss eine Strategie der Angebote zur Partizipation entwickeln“ (Dubedout 1983:
15; übersetzt von den AutorInnen).
Von Anfang an wird also eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung an der sozialen und
kulturellen Entwicklung eines Quartieres eingefordert, die auch auf die unterschiedlichen
Beteiligungsformen und -möglichkeiten einzugehen hat. Diese „Demokratisierung der
städtischen und quartierlichen Verwaltungsaufgaben“ ist ein immer wiederkehrendes Thema in
den Evaluationen zur Stadtpolitik. In der letzten Evaluation von Brevan & Picard (2000) wird
dann schließlich vorgeschlagen, diese Partizipations- und Aktivierungsbemühungen als
zentralen Bestandteil der Städteverträge auch als Kriterium für Subventionen festzuschreiben.
Weitere Evaluationsergebnisse sind die Forderung nach einer „sozialen Ausgewogenheit“ in
den Quartieren. Mittels einer gezielten Belegungspolitik im sozialen Wohnungsbau und durch
die Einbeziehung der sozialen Wohnbauträger als Akteure der Politique de la Ville soll eine
soziale Mischung (mixité social) erreicht werden. In der Evaluation von Cavallier (1999) wird
auch vorgeschlagen durch bauliche Eingriffe (Sprengung und Neubau) zusätzlich eine
Mischung des Wohnungsangebotes in den Quartieren der „Politique de la Ville“ zu schaffen.
Schon in den ersten Evaluationen wird ein Schwerpunkt auf die Frage der Integration von
Jugendlichen in die Stadt und die städtische Gesellschaft gelegt. Dubedout schreibt in seiner
Evaluation (1983) „das was sich in den Quartieren mit den Jugendlichen abspielt, ist
entscheidend für die Zukunft unserer Städte und der Gesellschaft“ (Dubedout 1983: 38) Es
werden in den Evaluationen Maßnahmen vorgeschlagen, welche eine Erziehungspolitik in den
Schulen mit der sozialen Stadtpolitik verbinden soll. In sog. „Erziehungsvorranggebieten“ sollen
zusätzliche LehrerInnen eingestellt werden und Programme in den Sommerferien angeboten
werden (Ville, Vie et Vacances (VVV).
In dem Bericht zur Politique de la Ville von Suer (1998) werden 50 Vorschläge erarbeitet, – so
der Appell – „die eine breite nationale Mobilisation auf einen langen Zeithorizont“ erfordern
32

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
(Suer 1998: 291). Die Evaluation fordert eine zeitliche Verstetigung der Stadtverträge auf
jeweils zehn Jahre.
Außerdem wird empfohlen, nicht nur zentraler Akteure aus der Schulpolitik, Sicherheitspolitik,
Wohnungspolitik etc. auf der Ebene des Quartiers einzubeziehen, sondern auch die gesamte
Strategie der Entwicklungspolitik der Agglomeration mit den Zielen der sozialen Städtepolitik
abzustimmen (Suer 1998: 306).
Zentrales Charakteristikum der französischen Städtepolitik ist also eine veränderte Logik des
Prozesses, wie „Stadt“ gedacht und „hergestellt“ wird. Die Politique de la Ville ist in eine
politische Strategie der Veränderung des Verwaltungshandelns und Verwaltungsdenkens
eingebettet. Insofern stellt dieser politisch-strategische Ansatz den Versuch dar, über neue
städtische Governance-Modelle andere Politikfelder in eine integrierte Logik und durch
Formalisierungen partnerschaftlicher Verträge zwischen horizontalen und vertikalen
Politikfeldern einzubeziehen.
„In fact, among others, this policy is part of a rebuilding movement of the politicoadministrative
and the urban governance systems in France. Any observers consider it as
the ‘policy of the policies’” (Jaquier 2001: 28).
Hauptprinzipien dieses Politikansatzes, der mit der Zeit immer komplexer und
unüberschaubarer geworden ist, aber auch über die Jahre hinweg eine in Frankreich nicht
gekannte Kontinuität beweist, sind nach Jacquier (2001: 55):
• Vom Prinzip der sektoralen Zugänge und der Abschottung einzelner Politikfelder hin zu
übergreifenden und horizontal integrierenden Konzepten
• vom Prinzip der Spezialisierung und Hierarchisierung hin zu Prinzipien einer Subsidiarität
und vertikalen Integration im Rahmen von vertraglichen und Mehrebenen-Ansätzen und
• vom Prinzip der Fragmentierung und Konkurrenzen von städtischen Räumen hin zu Prinzipien
der Kooperation und einer territorialen Integration.
Die Stadtpolitik strebt also den Übergang zu einem Staat an, der sich als Animateur begreift.
Der Vertragsabschluss zwischen öffentlichen AkteurInnen, die übergreifende Zusammenarbeit
zwischen Fachressorts, die Einbeziehung der Bewohnerschaft und das Vereinswesen in die
tägliche Verwaltung der Viertel zeigt, welche Innovationen von diesem Politikansatz
ausgegangen sind.
Zielsetzungen der Städteverträge ‚contrats de ville’
Die Politique de la Ville verfolgt eine auf ein bestimmtes räumliches Gebiet gerichtete Strategie
im Rahmen eines Vertragswerkes. Hiermit soll eine Politik entstehen und weiterentwickelt
werden, die über Ressortdenken hinweg Partnerschaften für die Zukunft eines Viertels schließt.
Verträge werden zwischen Staat und Kommune ("Contrats de Ville") sowie zwischen
unterschiedlichen sektoralen Politiken auf regionaler und lokaler Ebene geschlossen, zwischen
Regierung und Post, zwischen Staat und Region ("Contrats de Plan Etat-Region").
Die Politique de la Ville wirkt auf zwei Ebenen: der des Quartiers und der der Agglomeration.
Auf der Ebene des Quartiers stellen sich die Probleme der Ausgrenzung, auf der Ebene der
Agglomeration die Politik der öffentlichen Strukturmaßnahmen sowie der interkommunalen
Zusammenarbeit.
Der Städtevertrag ist ein Instrument des Zentralstaates, mit Hilfe dessen sich Gemeinden und
ihre Partner auf eine territoriale Politik verständigen sollen. Der Städtevertrag wird für sieben
33

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Jahre abgeschlossen; eine Evaluation ist vorgesehen, die auch zu Veränderungen im Vertrag
führen kann. Zwar wird den Kommunen mit diesen Regelungen ein breiterer
Handlungsspielraum zugestanden, doch sind die Quartiere immer noch eher EmpfängerInnen
von städtischen Plänen und Projekten und nicht gestaltende AkteurInnen (vgl. Sueur 1998). Die
Beteiligung des privaten Sektors bei der Veränderung der Monostrukturen wird verstärkt
gesucht, zum anderen werden auch Verträge mit Versorgungsunternehmen geschlossen.
Mit diesen Verträgen soll gegen einen Prozess der Entwertung bestimmter Stadtquartiere
angekämpft und damit eine solidarische Entwicklung in der gesamten Region unterstützt
werden. Dieser Kampf gegen die Segmentation und Segregation soll sowohl auf der Ebene der
Gemeinde als auch der Agglomeration zu Aktionsprogrammen führen. Themen dabei sind:
"Die Mischung des Wohnungsbestandes, die Funktionsmischung in Quartieren des
Sozialen Wohnungsbaus, die Koordination der Aktionen im Kampf gegen Ausgrenzung und
für Prävention, Arbeit, Entwicklung einer lokalen Ökonomie, die Erschließung der Viertel für
Transport und Verkehr, die Gleichheit der Bürger vor dem öffentlichen Dienst, die Kriminalitätsprävention
und die öffentliche Ruhe sowie die Integration der ImmigrantInnen" (Circulaire
N° 14-153 du 31 décembre 1998: 2).
Im aktuellen Ansatz der „Stadtpolitik“ in Frankreich stehen die Städte vor der großen
Herausforderung, auf lokaler Ebene Maßnahmen gegen die kulturelle, soziale und ökonomische
Ausgrenzung einzuleiten. Zentrale Frage ist dabei, wie auf lokaler Ebene eine integrative
Strategie umgesetzt werden kann. Im Folgenden sollen einige Schwerpunkte dieser
Städtestrategien benannt werden:
• Die französische Städtepolitik baut als tragende Säule auf fast 15.000 Vereine, die mit
den Städteverträgen in die Maßnahmen der sozialen, städtebaulichen, kulturellen und
ökonomischen Erneuerungsstrategien einbezogen werden. Im Rahmen der aktuellen
Städteverträge 2000 bis 2006 werden die Vereine in folgende Interventionen
eingebunden: In Strategien der ökonomischen Revitalisierung, der Erziehung, der
Prävention und Sicherheit, bei Strategien im Kampf gegen die Diskriminierung, bei
städtebaulichen Projekten und der Frage nach sozialer Mischung, bei Fragen der
BewohnerInnenbeteiligung und bei Maßnahmen zur kulturellen Integration.
• Im Rahmen der aktuellen Stadtverträge wird ein starker Akzent auf die kulturelle
Integration gelegt. Gefördert werden unter dem Aspekt einer kulturellen
Verständigungsarbeit zwischen den Einwandererkulturen und der autochthonen
•
Bevölkerung Stadtteilfeste, Schreib- und Tanzwerkstätten für Jugendliche, sportliche und
kulturelle Initiativen.
Evaluationen der Maßnahmen im Rahmen der Stadtverträge 2000-2006 sind fest
vorgeschrieben, um weitere Fördermöglichkeiten beantragen zu können. Einen
wesentlichen Punkt stellen dabei Maßnahmen der Aktivierung und Beteiligung dar.
Die sozialraumorientierte Jugendarbeit unterstützt die Jugendlichen, ihre Anliegen lautstark zu
artikulieren und die Sprachlosigkeit zu überwinden. In vielen Schreibwerkstätten oder HipHop-
Veranstaltungen in den Quartieren wird den oftmals perspektivlosen Jugendlichen Raum
gegeben, um ihrer Wut über die von der Mehrheitsgesellschaft verbauten Zukunftsvisionen
Ausdruck zu verleihen.
Beim Vergleich der europäischen Programme zur sozialintegrativen Stadtentwicklungspolitik
wird deutlich, dass in Frankreich ein stärkerer Akzent auf das Empowerment und die
konfliktreiche Auseinandersetzung gesetzt wird. Durch die finanziellen und organisatorischen
Förderungen der Vereinsarbeit in den Quartieren werden dort – oft auch gegen den Willen der
34

Politik – gegenkulturelle Konzepte gestärkt.
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
2.2.3. Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung – Lernen aus
Erfahrungen mit einer „Stadtpolitik“ in Frankreich
Um die Frage beantworten zu können, was Wien durch einen Blick nach Frankreich lernen
kann, müssen auch die unterschiedlichen Ausgangssituationen bezüglich der sozialräumlichen
Segregation in den Großstädten und der staatlichen Einbettung in das französische politische
System vergegenwärtigt werden. Die Besonderheiten der französischen Stadtpolitik (Politique
de la Ville) sind:
• Armut und soziale Ausgrenzung manifestieren sich in den französischen Städten
überwiegend in der Peripherie der Städte, den sog. Banlieues. Dort sind es die Quartiere
des sozialen Wohnungsbaus (HLM), in denen sich die ausgrenzten und ökonomisch
schwachen Personen konzentrieren. Die Armutskonzentration ist in Frankreich somit eine
Folge der staatlichen und kommunalen Wohnungspolitik der 1950er bis 1970er Jahre, die
den sozialen Wohnungsbau in neu errichteten städtischen Entwicklungszonen
•
konzentrierte.
Die städtebauliche und lebensweltliche Situation in diesen Quartieren hat sich seit den
1980er Jahren stetig verschlechtert, wodurch sich die Strukturen der Ausgrenzung
verfestigt haben. Hohe Bevölkerungsanteile an EinwanderInnen, die meist nur über
prekäre Arbeitseinkommen verfügen, und ein relativ hoher Anteil an
•
Jugendarbeitslosigkeit haben in den Quartieren eine Generation von Jugendlichen
heranwachsen lassen, die sich mit ihren Werten, Normen, Sprachregelungen und
Verhaltensmustern stark von der Gesamtgesellschaft abspalten. Die Phänomene der
Ausgrenzung dieser Jugendlichen gehen zumeist mit gewaltförmigen Unruhen einher und
erzeugten und erzeugen so in der französischen Öffentlichkeit eine hohe Sensibilität für
Strategien gegen soziale Ausgrenzung und Armut.
Die französische Stadtpolitik ist in gesetzliche Maßnahmen eingebettet, welche die
Gesamtheit der französischen Politik betrifft: In diesen Kampf gegen die Ausgrenzungen
ist die Stadt- und Regionalpolitik mit Gesetzen für eine nachhaltige territoriale Entwicklung
und der Zielsetzung einer Verringerung der räumlichen Ungleichheiten eingebunden, wie
die Wirtschafts-, Sozial-, und Wohnungspolitik. Die Stadtpolitik in Frankreich hat sich in
ihrer 20jährigen Geschichte stetig institutionell verfestigt, bis hin zur Etablierung eines
Stadtministers mit einer eigenen interministeriellen Behörde (Délégation Interministerielle
à la Ville).
• Die gemeinnützigen Wohnungsunternehmen und ihr Gesamtverband (UNFOHLM)
spielen eine wesentliche Rolle bei der Ausgestaltung der Stadtpolitik in Frankreich, die
ihren Aushandlungs- und Vertragscharakter durch „Städteverträge“ erhält. Da die
sozialräumliche Ausgrenzung und Armut in den Quartieren des sozialen Wohnungsbaus
am deutlichsten spür- und sichtbar wird, sind die Träger des sozialen Wohnungsbaus bei
städtebaulichen Maßnahmen, bei Weiterqualifizierungsangeboten sowie der Beteiligung
der MieterInnen an Maßnahmen im Wohnumfeld beteiligt. Auch auf nationaler Ebene
werden innerhalb der Wohnungspolitik Schwerpunkte auf die soziale Ausgewogenheit im
Sozialmietwohnungsbestand
Belegungspolitik gefordert.
sowie auf regionale Zusammenarbeit bei der
• Die anfängliche Konzentration auf die bauliche Erneuerung der Großsiedlungen wich im
Laufe der Jahre einer integrierten und umfassenden Vorgehensweise, bei der die
35

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Quartiere in ein Gesamtkonzept eingebunden wurden, das städtebauliche, soziale,
ökonomische und kulturelle Erneuerungsstrategien miteinander verknüpft.
Trotz der nun über 20jährigen Existenz sozialer Stadtentwicklungsprogramme sind die
Resultate oftmals enttäuschend: Die Phänomene der Segregation, Ghettobildung und
Polarisierung zwischen arm und reich, zwischen ImmigrantInnen und FranzösInnen, zwischen
Peripherie und Zentrum haben sich trotz aller Maßnahmen in den letzten Jahren nicht deutlich
verbessert. Die Politique de la Ville ist in ihrer über 20jährigen Geschichte immer einem
territorialen Politikansatz verpflichtet geblieben, der durch vertragliche Aushandlungsprozesse
zwischen diversen AkteurInnen versucht, Antworten auf die soziale Frage zu geben und zwar
an jenen Orten, wo sich soziale, ökonomische und städtebauliche Probleme akkumulieren. Die
Bilanz dieser Politik ist weder umfassend positiv noch negativ. Die Politique de la Ville hat
sicherlich ein weiteres Abrutschen vieler Quartiere in einen Exklusionsmechanismus verhindert.
Sie hat neue Arbeitslogiken im Denken und Handeln der staatlichen AkteurInnen sowie der
vertraglich eingebundenen PartnerInnen hervorgebracht. Beispielsweise auf der
Quartiersebene hat die Politique de la Ville durch die Förderung der BewohnerInnenbeteiligung
und des Vereinswesens zu neuen Kommunikationsformen beigetragen. Das politische
Bewusstsein für die Bedeutung der konkreten Lebenswelten in den Quartieren ist dadurch
sicherlich gestiegen. Die BewohnerInnen der Quartiere sind in den Mittelpunkt der politischstrategischen
Ansätze gerückt. Zwei Aspekte einer positiven Bilanz sollen am Ende noch
hervorgehoben werden:
1. Das Verwaltungsdenken und –handeln der staatlichen AkteurInnen hat sich durch die
Politique de la Ville zu einem integrativen, kooperierenden Ansatz entwickelt. Im
Rahmen der Dezentralisierungspolitik haben die lokalen und regionalen AkteurInnen
unterschiedlichster Provinienz gemeinsame Strategien entwickelt und sind so politisch
gestärkt geworden. So wurde zum Beispiel eine Präventionspolitik zusammen mit
SozialarbeiterInnen, MediatorInnen, PolizistInnen und VertreterInnen des
Gemeinderates entwickelt.
2. Die Politique de la Ville hat es geschafft, verstärkt Programme der kulturellen Förderung
für Jugendliche auf die prioritären Quartiere zu lenken. Ziel dieser gemeinsamen
Ansätze aus dem Ministerium für Kultur und Kommunikation in Kooperation mit dem
Stadtministerium ist es, insbesondere die künstlerischen Fähigkeiten der Jugendlichen
zu stärken, die kulturelle Vielfalt hervorzuheben, intergenerationellen Austausch zu
fördern, um eine „democratie culturelle“ zu entwickeln (vgl. Ministère de la culture et de
la Communication 2002). Die Stärkung des lokalen Vereinswesens in den Quartieren
wurde so z.B. im Jahr 2002 durch ein Kulturprogramm zur Förderung von
Kunstprojekten über ein Volumen von über 7 Millionen Euro verstetigt.
36

2.3 NIEDERLANDE
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Niederlande gelten als Vorzeigebeispiel für einen gesellschaftspolitischen Konsens zum
Erhalt bzw. Aufbau leistungsfähiger Sozialsysteme (Koch 2003: 246), für eine lange Tradition
einer starken Einbeziehung des Staates und anderer öffentlicher Organe in die
Wohnungsversorgung (Rosemann 1992: 7) sowie für eine starke Bürgerprotestbewegung der
1970er Jahre in Fragen der Stadterneuerungspolitik, die zu einer Etablierung von aktuellen und
erfolgreichen Partizipationsmodellen und zivilgesellschaftlichen Strukturen im Rahmen einer
sozialintegrativen Stadtentwicklungspolitik geführt hat (Coffey 1994: 7). Die Niederlande zählen
zu den am stärksten urbanisierten Staaten in Europa, dominiert durch die vier großen Städte
der ‚Randstadt’ (Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht).
Armut, Arbeitslosigkeit und soziale Ausgrenzung haben trotz der im letzten Jahrzehnt
boomenden niederländischen Ökonomie und den damit verbundenen positiven Entwicklungen
auf dem holländischen Arbeitsmarkt auch in den Niederlanden zu einer Verschärfung der
sozialen Problemlagen in den Städten geführt. Mit zunehmender Tendenz verfestigen sich
Ausgrenzungen und Marginalisierungen gegenüber benachteiligten Bevölkerungsgruppen in
spezifischen Wohnquartieren, die sich in meist städtischen Nachbarschaften konzentrieren. In
bestimmten Wohnquartieren, in denen die MigrantInnen anteilsmäßig um die 20% der
Bevölkerung ausmachen, sind die sozio-ökonomischen Probleme für diese
Bevölkerungsgruppe gravierend. Die Kumulation sozialer, ökonomischer, städtebaulicher und
kultureller Probleme hat auch in den Niederlanden zu neuen Formen sozialräumlicher
Segregation geführt.
2.3.1 Nationale Rahmenbedingungen
Problementwicklung von Armut und sozialer Ausgrenzung
Mitte der 1970er Jahre gingen die Wachstumsraten der wirtschaftlichen Produktivität in den
Niederlanden stark zurück, da die Niederlande stark vom Export abhängig sind und somit
besonders von der Wirtschaftskrise von 1974/75 betroffen waren. Der niederländische
Wohlfahrtsstaat geriet in der Folge in eine Krise und das Budgetdefizit nahm in dieser Phase
enorm zu. Zwischen den Jahren 1970 und 1985 stieg die Anzahl derjenigen Personen, die von
wohlfahrtstaatlichen Programmen abhängig waren von 1,6 Millionen. auf 3,2 Millionen. Die Zahl
der EmpfängerInnen von Arbeitslosenunterstützung verzehnfachte sich, es kam in diesem
Zeitraum zu einer Verdreifachung der Zahl der SozialhilfeempfängerInnen (vgl. Koch 2003:
219). Der nationale Haushalt wurde zudem durch die Tatsache belastet, dass die Höhe der
Sozialhilfe an die Entwicklung der Löhne gekoppelt war und die Löhne im öffentlichen Sektor an
die Lohnentwicklung des privaten Sektors nach oben angepasst wurden. Die Arbeitslosigkeit
erhöhte sich auf über 10% im nationalen Durchschnitt, in den Städten Rotterdam und Amsterdam
kletterte sie auf rund 15%.
Im Rahmen der Reformierung des Wohlfahrtsstaates erinnerte man sich in den 1980er Jahren
an das Erfolgsrezept der 1950er Jahre und verständigte sich auf „moderate Lohnanhebungen“
im Gefolge von Arbeitszeitverkürzungen. „Kernstück der neuen Regierung (Koalition aus
Christdemokraten und Liberalen) war aber die Rückkehr zur Niedriglohnstrategie“ (Koch 2003:
221). Die Kürzung der Arbeitszeit wurde flankiert durch die Einführung von flexiblen
Beschäftigungsverhältnissen, durch eine Verschiebung der Aushandlung von Löhnen und von
Arbeitszeiten auf die Ebene des Betriebes, durch Job-Umverteilungspolitik sowie die
Entwicklung von arbeitsintensiven Dienstleistungsbereichen.
37

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Schattenseite dieses Wunders waren hohe Arbeitslosigkeitszahlen bei älteren
Arbeitskräften (über 57 Jahren) sowie bei „arbeitsunfähigen“ Personen, die in der
Vergangenheit enorme staatliche Unterstützungsleistungen bekommen haben. Nach Koch
(2003) war Armut bis in die 1990er Jahre vor allem ein Problem der Arbeitslosen und
Teilzeitarbeitenden. Er vermutet in der aktuellen Lage eine Zunahme der Part Time Working
Poor, was zu verstärkter Armutsgefährdung geführt haben dürfte. Dennoch, im europäischen
Vergleich sind die Armuts- und Arbeitslosigkeitsquoten immer noch moderat:
„In 2001, 11% of the population run poverty risks, one of the lowest shares within the EU. As
elsewhere poverty risks have a gender, age and ethnic dimension. … In order to keep the
budget deficit below the Maastricht ceiling of 3%, the government has decided upon extra
budget cuts of EUR 11 billion in 2004, mainly in social security and in health care. From a
historically low level in 2001, unemployment increased by 40% between 2002 and 2003 and
this trend is expected to persist in the coming year. Especially young people, women, low
skilled and ethnic minorities will be hit. Youth unemployment has exceeded 10%. These
trends are not yet visible in the Eurostat figures of 2002. In this year, with 2.7% overall and
3% for women, the Dutch unemployment rates were the lowest in the EU” (Europäische
Kommission 2003: 190/191).
Eine in den letzten Jahren forcierte nationale Strategie zur Bekämpfung von Armut besteht
darin, die Kommunen für Sozialtransfers und Integrationsmaßnahmen finanziell stärker
verantwortlich zu machen. Diejenigen Kommunen, die es schaffen, viele Menschen aus
sozialstaatlicher Abhängigkeit in das System der Erwerbstätigkeit zurück zu bringen, werden
von nationaler Seite finanziell „belohnt“. Vor allem im Bereich der Integrationspolitik wird auf
nationaler wie kommunaler Ebene versucht, eine Politik des Ausgleichs von Benachteiligungen
und der Herstellung einer offenen, multikulturellen Gesellschaft umzusetzen. Dies zeigt sich auf
kommunaler Ebene etwa in einer konsequenten „Diversitätspolitik“.
Durch die erwähnten Umstrukturierungen und den Umbau des Wohlfahrtsstaates ergibt sich
auch in den Niederlanden gegenwärtig eine stärkere Polarisierung der Gesellschaft in arme und
reiche Bevölkerungsgruppen (Armutsquote 1991: 8,4%; vgl. Koch 2003: 243). Diese Prozesse
der Spaltung der Gesellschaft manifestieren sich räumlich immer mehr, vor allem in den großen
Städten der Niederlande. Dennoch: „spatial segregation by income cannot be characterised as
very high in the four largest Dutch cities (Amsterdam, Rotterdam, The Hague, Utrecht). … Although
the low-income households are spatially more concentrated in some cities (The Hague)
than in others (notably Utrecht), all four cities showed a decline in income segregation between
1991 and 1994” (van Kempen & Priemus 1999: 644-645).
Organisation und Veränderung der Staatlichkeit bezogen auf Stadtpolitik
Das Zusammenspiel der drei institutionellen Ebenen Reich (Nationalregierung), Provinzen (12)
und Kommunen (ca. 600) ist sowohl durch eine starke Machtposition der Zentralregierung
gekennzeichnet, als auch gleichzeitig durch eine seit dem 17. und 18. Jahrhundert wichtige
Stellung der Gemeinden.
Ähnlich wie in Österreich gehen Politologen in den Niederlanden von einer „Versäulung“ der
Gesellschaft aus. Die „Versäulung“ beschreibt eine gesellschaftliche Prägung durch
unterschiedliche weltanschauliche Gruppen wie Katholiken, Sozialdemokraten oder Calvinisten,
die das gesamte politische und gesellschaftliche Leben durchzieht.
Die Niederlande wird daher auch als „Konkordanzdemokratie“ bezeichnet, da die Spaltung der
Gesellschaft in die erwähnten Säulen auf Regierungsebene zwischen den verhandelnden
politischen Eliten durch Koalitions- und Konsenspolitik sowie durch eine „Politik des
38

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
wechselseitigen Entgegenkommens“ überlagert wird (Kennzeichen einer solchen Politik sind
z.B.: Dezentralisierung von politischer Entscheidungsfindung an „Vorfeld-Organisationen“ der
Säulen, Proportionalität im Wahlrecht). Ein weiteres zentrales Kennzeichen der politischen
Landschaft in den Niederlanden ist der ausgeprägte Korporatismus, d.h. die Interessen von
organisierten Gruppierungen werden in den politischen Entscheidungsprozess auf allen
politischen Ebenen eingebunden.
Gegenüber den Provinzen sind die lokalen politisch-administrativen Systeme immer schon die
relativen Gewinner der nationalen Politik der Dezentralisierung gewesen. Die Struktur der
lokalen Systeme wird von der nationalen Ebene vorgegeben, und ist unabhängig von der
Gemeindegröße. Die lokalen Parlamente werden alle vier Jahre gleichzeitig an einem Tag
direkt gewählt. Aspekte der Dezentralisierung, die von nationaler Seite forciert werden,
betreffen die Bestellung der BürgermeisterInnen sowie die Wahl der GemeinderätInnen. In
diesen Fragen wurde inzwischen dahingehend ein „holländischer Konsens“ gefunden, als die
BürgermeisterInnen zwar immer noch von der nationalen Regierung bestellt werden, aber
lokale PolitikerInnen in den Nominierungsprozess stärker einbezogen werden. Die Gemeinden
haben autonomen politischen Handlungsspielraum in einigen politischen Feldern, allerdings
wird dieser Spielraum von der Nationalregierung definiert. Vor allem in den Bereichen Freizeit,
öffentlicher Wohnungsbau, Sozialarbeit, Denkmalpflege etc. besteht dieser autonome Handlungsspielraum.
Auch die niederländischen Städte weisen fiskalpolitische Engpässe auf, die durch eine
Verbesserung der Effizienz, durch Transferkürzungen und durch Maßnahmen zur
Verwaltungsreform aufgefangen werden sollten. Als Leitkonzept wird dabei immer wieder auf
das „Tilburger-Modell“ der Verwaltungsreform verwiesen, das vor allem auf die Implementierung
von Kontraktmanagement setzt. Im internationalen Vergleich sind die
Dezentralisierungsmaßnahmen allerdings recht bescheiden ausgefallen und die Kommunen
sehen sich nach wie vor primär als „Mitverwalter“ in einem dezentralen Einheitsstaat (vgl.
Eckardt 2001b: 147).
2.3.2 Wohnungspolitik
Die Wohnungspolitik und der Wohnungsmarkt in den Niederlanden ist durch einige
Besonderheiten im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern gekennzeichnet.
Traditionell ist die Wohnungsversorgung eine Kernaufgabe des niederländischen Staates. Mit
dem Wohnungsgesetz von 1901 wurde die Wohnungsversorgung erstmals als eine staatliche
Aufgabe anerkannt und festgeschrieben. Das System der Wohnungsversorgung in den
Niederlanden zeichnete sich daher lange durch eine überwiegend starke Kontrolle des privaten
Wohnungsmarktes, durch eine staatliche Bodenpreiskontrolle und Mietpreisregulierung aus.
Der staatliche Zugriff und der öffentliche Einfluss auf den Wohnungsmarkt hatten einen hohen
staatlichen Anteil an sozialen Mietwohnungen am Gesamtwohnungsbestand und einen hohen
staatlichen Anteil am städtischen Boden zur Folge. Dies ermöglichte, dass auch oft in
Innenstadtlagen Sozialwohnungen gebaut werden konnten (vgl. Rosemann 1992: 8).
Die Niederlande verfügen heute mit ca. 36% des Gesamtwohnungsbestandes über einen im
europäischen Vergleich hohen Anteil an Sozialwohnungen (10% davon wurden vor dem
Zweiten Weltkrieg errichtet). In den großen Städten beträgt der Anteil teilweise sogar über 60%
(vgl. Rosemann 2001: 83). Hintergrund für diese Entwicklung waren Vereinbarungen zwischen
Gewerkschaften, Regierung und Arbeitgebern, die kostengünstige Wohnungen im Tausch
gegen niedrige Löhne vorsahen.
39

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Stadterneuerungs- und die Wohnungsmarktpolitik sind durch folgende Phasen
gekennzeichnet:
• Die alte Stadterneuerungspolitik führte in Verbindung mit einer Abrisslogik alter Gebäude
im Zeitraum von 1968 bis 1972 zu einem jährlichen Abrissvolumen von ca. 20.000
Gebäuden (vgl. Priemus 2003: 1).
• Die Reformulierung der alten Stadterneuerungspolitik in den 1970er Jahren führte zu der
Politik des „Bauens für das Quartier“ (siehe 2.3.3).
• In den 1980er Jahren erfolgte eine Neuorientierung der Wohnungs- und Planungspolitik
dahingehend, dass der Staat verstärkt Kompetenzen an die Kommunen und die
Wohnungsbauträger abgab (s.u.). Außerdem wurden Förderprogramme für MieterInnen
konzipiert, die den Erwerb von Wohnungseigentum erleichtern sollten. 55% aller
Wohnungen, so Rosemann (2001), sind inzwischen Eigentumswohnungen. Diese Politik
wurde in den 1990er Jahren fortgesetzt.
Obwohl in den 1980er Jahren das niederländische Wohnungssystem noch stark
sozialdemokratisch und korporatistisch orientiert war (z.B. mit großen Subjektförderungen im
Mietsektor, Objektförderungen für die Wohnbauproduzenten, Preisregulierungen, lokaler Anti-
Spekulationspolitik, staatlicher Neubauproduktion, Allokation von Mietwohnungen nach
Bedürfnissen, Prämien für Eigentumswohnungen; vgl. Hoekstra 2002), wurden auch gleichzeitig
stetig Maßnahmen zur Deregulierung des Wohnungsmarktes gesetzt (vgl. Ministerie VROM
1989). Das Umstrukturierungsprogramm des Wohnungsmarktes beinhaltete einen stärkeren
Zuschnitt des sozialen Wohnungsbaus auf die Versorgung der unteren Einkommensschichten
und damit einhergehend eine stärkere Initiative in Richtung des frei finanzierten Wohnungsbaus
zugunsten des Eigentumssektors (vgl. Rosemann 1992: 25). Dadurch ergab sich im Miet-
Wohnungsmarkt eine Bewegung weg von einem Angebots- zu einem Nachfragemarkt, wobei
auf Qualitätskriterien bei der Wohnungsausstattung und dem Wohnumfeld mehr Wert gelegt
wurde (Ouwehand 2002).
In den 1990er Jahren zeichnete sich ein Trend ab, in welchem sozialdemokratische Elemente
des Wohnungssystems weiter verloren gingen und korporatistische Elemente gestärkt wurden.
Zentrale Elemente dieser neuen Politik waren: Abschaffung der Prämien sowie von Teilen der
Objektförderung, Stärkung der Subjektförderung im Sinne der Schaffung von Wohnraum für
Familien mit niedrigem Einkommen, keine Preisregulierungen für teurere Wohnungen, Stärkung
der nicht staatlich gestützten Wohnbauproduktion.
Weiterhin ist die Wohnungspolitik durch nationale Sparmaßnahmen, durch steigende
Immobilienpreise und durch eine Verschärfung der Kriterien für die Vergabe von Wohngeld
gekennzeichnet. „Insgesamt gesehen ergibt sich durch die politischen Veränderungen in der
niederländischen Wohnungspolitik eine deutliche Verschlechterung für die sozial schwachen
Gruppen auf dem Wohnungsmarkt, besonders in den Städten, die bisher noch durch die sozial
geförderte Wohnungspolitik eine Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt abfedern konnten“
(Eckardt 2001: 69). In diesem Wechsel von einer zentralistisch regulierten zu einer
marktorientierten Wohnungspolitik wurde die Rolle der Kommunen bezogen auf
Steuerungsmöglichkeiten allerdings auch aufgewertet (Heins 2002).
Auch in den Niederlanden hat die allgemeine Modernisierung zu einer sozialen und
ökonomischen Abwärtsspirale im sozialen Wohnungsbau geführt. Rosemann (2001: 84)
schätzt, dass ca. 1 Million der insgesamt 2,4 Millionen Sozialwohnungen von sozialer
Degradation bis hin zu Leerstand bedroht sind. Um dem entgegensteuern zu können, wurden
etwa Maßnahmen gesetzt, die speziell die sozial-räumliche Spaltung der städtischen
40

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Gesellschaften aufhalten sollten. Um Prozesse der Segregation zu verhindern, wurden Projekte
unterstützt, die auf die Errichtung von „teuren“ Wohnungen in Quartieren mit überwiegend
sozial gefördertem Wohnbau abzielten. Im politischen Memorandum „Stedelijke Vernieuwing“
(Stadterneuerung) von 1997 wurde zudem festgeschrieben, dass die soziale Durchmischung
von städtischen Quartieren eine zentrale Voraussetzung für eine lebenswerte Stadt sei. Dafür
musste der Wohnungsbestand in verschiedenen Quartieren durch Abrissmaßnahmen, Neubau,
Renovierung, Verkauf von Mietwohnungen bezogen auf Größe, Form, Qualität, Preis und
Besitzverhältnisse stärker ausdifferenziert werden.
Diese Politik wurde zudem durch eine „Relokations-Politik“ flankiert, die vor allem auf Menschen
mit niedrigem Einkommen ausgerichtet war, die aufgrund der erwähnten
Stadterneuerungsmaßnahmen umziehen mussten (z.B. durch Erhalt der Wohnbeihilfe auch bei
Umzug in teurere Wohnungen, Vorreihung in der Vergabe von neuen Sozialwohnungen,
Schaffung von neuem Wohnraum im Quartier).
Damit wurde versucht, die durch die erwähnten Umstrukturierungsmaßnahmen möglicherweise
induzierten negativen sozialen Effekte (wie z.B. Konzentration von sozialen Gruppen mit
niedrigem Einkommen im qualitativ schlechtesten Wohnungsmarktsegment) zu verhindern.
Solche Effekte werden sich auch deswegen nicht so deutlich einstellen, weil immer noch eine
wohlfahrtspolitische Linie der Nationalregierung vorhanden ist, und „mainly because of the
relatively high quality of the social rented housing stock (as a consequence of heavy subsidies),
the housing allocation system, and the existence of income related rent subsidies“ (Kempen van
& Priemus 1999: 643). Im neuen „Wohnungsmemorandum“ von 2000 wurde betont, dass
Abriss, Zusammenlegungen, Qualitätsverbesserungen vor allem in den Beständen der
Wohnungsbaugesellschaften sowie Neubau und Verkauf von Wohnungen weiterhin zentrale
Elemente der Stadterneuerungspolitik sein werden.
2.3.3 Stadtpolitik - Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Anfänge der Stadterneuerung in den Niederlanden
Die traditionelle Stadterneuerungspolitik in den Niederlanden geht auf die 1960er Jahre zurück.
In der ersten Phase dieses Prozesses waren Flächensanierungen und der Abriss dieser
Wohnungen eine zentrale Strategie. In den Jahren von 1968 bis 1972 kam es zu einer wahren
Abrisswelle von mehr als 20.000 Wohnungen pro Jahr (Priemus 2003: 1).
Schrittweise gewannen jedoch der Neubau und die Sanierung von Wohnungen in den
Stadterneuerungsgebieten an Bedeutung. Die Orientierung dieser Stadterneuerungsphase in
den 1970er Jahren lautete: „Bauen für die Nachbarschaft“ (Bouwen voor de Buurt). Dieses
Prinzip einer sanften Stadterneuerung, das beinhaltete, dass die BewohnerInnen aus
abgerissenen Häusern möglichst wieder in soziale Neubauwohnungen in derselben
Nachbarschaft umgesiedelt werden sollten, wurde auch durch urbane Protestbewegungen
unterstützt, die oft von links-alternativen Studierenden und einer HausbesetzerInnen-Szene
(„Krakers“) getragen wurden. In diesem Rahmen wurden BewohnerInnen-Organisationen
erstmals Mitbestimmungsrechte im Zuge der Erneuerung des Quartiers eingeräumt. Der
Zielsetzung „Bouwen voor de Buurt„ – Bauen fürs Quartier – wurde in Rotterdam und
Amsterdam beispielhaft umgesetzt und wurde auf diese Weise zum Vorbild für viele
Stadterneuerungsstrategien in anderen europäischen Ländern. Insbesondere die gut
organisierten BewohnerInnen-Proteste und quartiersbezogenen Netzwerke machten die
niederländische Stadterneuerungspolitik in Fragen der Bewohnerbeteiligung und sozialen
41

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Absicherung von Maßnahmen der Stadterneuerung zu Vorreitern in Europa (vgl. Froessler
1995: 54).
42

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Probleemcumulatiegebieden-beleid (PCG-beleid) – „Initiative für Gebiete mit
akkumulierten Problemen“ (1985-1990)
1985 wurde von der niederländischen Regierung das PCG-beleid als ein integrierter
Politikansatz eingeführt, der zur Verbesserung der ökonomischen und sozialen Situation
insbesondere in Altbauquartieren beitragen sollte. Diese PCG-beleid-Initiative hatte als
primäres Ziel, die Ressourcen aus verschiedenen Ministerien zu bündeln, um einen effektiveren
Mitteleinsatz zu erreichen. Dazu wurde ein Fonds gegründet, der die Realisierung von lokalen
Konzepten sicherstellen sollte. Die Höhe der Mittel wurde dabei allerdings nicht verändert.
Dadurch, dass finanzielle Ressourcen gebündelt wurden, mussten unterschiedliche Ressorts
auch inhaltlich zusammenarbeiten. In vielen Berichten über diese neue Politikinitiative wird
hervorgehoben, dass damit unterschiedliche Politikbereiche zu einem „integrativen Ansatz“
verbunden wurden (Froessler 1995: 85; Kemper & Schmals 2000: 26).
Die Herstellung von win-win-Situationen im Rahmen einer integrativen Kooperation ist eine
wesentliche Voraussetzung für das Gelingen dieser Strategie. Die Umsetzung der PCG-beleid–
Politik erforderte von den Städten und Gemeinden große Anstrengungen und beträchtlichen
Abstimmungs- und Koordinationsaufwand. Von den 30 Quartieren in 16 Städten, die am PCGbeleid
beteiligt waren, wurde von der Zentralregierung, namentlich in der Federführung des
Innenministeriums, eingefordert, dass so genannte „Gebietspläne“ erarbeitet werden, die eine
Beschreibung der Problemkumulation und einen Lösungsansatz im Rahmen einer integrativen
Strategie beinhalten. Um den Organisationsaufwand zu bewältigen, wurden neue
Steuerungsformen eingerichtet. Zwischen den Ämtern – der Gemeindeverwaltung, dem
Arbeitsamt oder anderen sozialen Einrichtungen – wurden Arbeitsgruppen und
Koordinationsrunden eingerichtet. Es wurden Verwaltungsvereinbarungen zwischen zentralen
und lokalen Stellen abgeschlossen sowie von Seiten des Zentralstaates finanzielle Zusagen
gegeben, die allerdings im Endeffekt nicht immer eingehalten wurden. Für die Dauer von vier
Jahren erhielten die Kommunen einen Fonds, der sich aus Geldern von sechs Ministerien
speiste (z.B. Innenministerium, Arbeits- und Sozialministerium). Auf der lokalen Ebene wurden
für die Realisierung der Entwicklungskonzepte eigene „Kooperationsverbände“ gegründet,
welche die Koordination zwischen Ämtern, anderen Einrichtungen und Gruppen im Quartier
gewährleisten sollten.
Sociale vernieuwing - „Die Politik der sozialen Erneuerung“ (seit 1989)
Die Politik der „Sozialen Erneuerung“ (Sociale vernieuwing) ist seit 1989 ein wichtiger Eckpfeiler
der Stadterneuerung. Diese Politik hatte ihren Impuls der Stadt Rotterdam zu verdanken und
baute auf den Erfahrungen des PCG-beleid auf. Die Unterschiede zur vorhergegangenen
Stadterneuerungspolitik sind schnell erläutert:
• An der „Politik der sozialen Erneuerung“ können sich alle niederländischen Gemeinden
beteiligen, insofern sie einen Vertrag mit der Zentralregierung abschließen. Ca. 600
Gemeinden haben sich an dieser Politik beteiligt.
• Sie stellt kein zeitlich befristetes Experiment dar, sondern ist als dauerhafte
Politikstrategie angelegt, und zielt auf eine dauerhafte Veränderung des
•
Verwaltungshandelns ab.
Die Gemeinden verpflichten sich dazu, ein integriertes Handlungskonzept zu erarbeiten.
Damit soll die horizontale Kooperation vor Ort gestärkt werden.
Verwaltungsvereinbarungen sind wiederum ein zentrales Element dieser Politik.
43

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• Die „Politik der sozialen Erneuerung“ wird mit einer jährlichen Berichterstattung der
Gemeinden im Rahmen einer kontinuierlichen Evaluationsvereinbarung verknüpft, die
allen Kommunen auferlegt, sozialräumliche Daten zu sammeln und zu analysieren.
Um Prozesse der Segregation zu verhindern, werden Projekte unterstützt, die auf die Errichtung
von „teuren“ Wohnungen in Quartieren mit überwiegend sozialem Wohnbau abzielten, denn es
besteht die Überzeugung, dass die soziale Durchmischung von städtischen Quartieren eine
zentrale Voraussetzung für eine lebenswerte Stadt ist. Dafür muss der Wohnungsbestand in
verschiedenen Quartieren durch Abrissmaßnahmen, Neubau, Renovierung, Verkauf von
Mietwohnungen bezogen auf Größe, Form, Qualität, Preis und Besitzverhältnisse stärker
ausdifferenziert werden. Diese Politik wird durch eine „Relokations-Politik“ flankiert, die vor
allem auf Menschen mit niedrigem Einkommen, die aufgrund der erwähnten
Stadterneuerungsmaßnahmen umziehen mussten, ausgerichtet ist (z.B. durch Auszahlung von
Wohnbeihilfe auch bei Umzug in teurere Wohnungen, Vorreihung in der Vergabe von neuen
Sozialwohnungen, Schaffung von neuem Wohnraum im Quartier). Für die Finanzierung dieses
Programms wurde der „Fonds Soziale Erneuerung“ gegründet, dessen Finanzvolumen sich aus
der Umlenkung von Mitteln aus Förderprogrammen unterschiedlicher Ministerien ergab.
Grote steden beleid – „Die Großstadtpolitik“ (seit 1994)
Auch der aktuelle Politikansatz, die „Großstadtpolitik“, hat seinen Ursprung auf kommunaler
Ebene. Dieser Steuerungsansatz wurde von den vier größten Städten des Landes –
Amsterdam, Rotterdam, Den Haag und Utrecht - im Rahmen eines „Memorandums“ entwickelt.
Das Ziel der Großstadtpolitik ist es, soziale Probleme in den Städten dadurch zu bekämpfen,
dass sie stärker in einem regionalen und nationalen ökonomischen Kontext betrachtet werden.
Sie sollte nicht bestehende politische Programme ersetzen, sondern diese stärker integrieren
und besser koordinieren. Im Kern geht es um die bessere Integration der Aktivitäten
unterschiedlicher Ministerien (z.B. Installierung einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe)
sowie der nationalen und der kommunalen Ebene, um die Etablierung von Partnerschaften
zwischen nationaler Regierung und Kommunen, und um die Verbesserung der Leistungsfähigkeit
von politischen Programmen (z.B. durch Quantifizierung der Ziele der
abgeschlossenen Verträge). Bis zum Jahr 2010 sollen fünf Milliarden Gulden in Maßnahmen im
Rahmen der Großstadtpolitik fließen.
Im Unterschied zur Politik der sozialen Erneuerung wird allerdings stärker auf ökonomische
Ziele, auf die Betrachtung des gesamten städtischen Arbeits- und Wohnungsmarktes und auf
die Möglichkeiten der Selbstorganisation der Quartiersbevölkerung sowie der Stärkung
endogener Potentiale geachtet. (vgl. Kemper & Schmals 2000: 31-32) Die zentralen politischen
Themen der Großstadtpolitik sind Beschäftigung und Ausbildung, Sicherheit und
Lebensqualität.
Die Großstadtpolitik wird vom „Minister für große Städte und Minderheitenpolitik“ und vom
Innenministerium koordiniert. Von dieser Ebene werden die Rahmenrichtlinien für das
Programm vorgegeben, während auf lokaler Ebene das Programm an die spezifischen
Probleme und Bedürfnisse angepasst werden kann. 31 Städte sind Teil dieser Politik und haben
Verträge (für ca. 173 Stadtquartiere) mit der Zentralregierung abgeschlossen, in welchen sie
sich auf die Erreichung bestimmter, messbarer Ziele (z.B. Verringerung der Arbeitslosigkeit um
x%) verpflichten. Das Prinzip der (Selbst)-Organisation und der Stärkung der Eigeninitiative der
Städte ist eine Neuerung der Großstadtpolitik. Die Fördermittel, die von nationaler Seite zur
Verfügung gestellt werden, dienen als sogenanntes „trigger money“, das Anreize für weitere
44

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Investitionen aus dem privaten Sektor schaffen soll. Weiterhin werden die Verträge einer
ständigen Evaluierung unterzogen, die sich auf die vertraglich festgeschriebenen Zielvorgaben
beziehen.
In der neuen Großstadtpolitik seit 1998 müssen nun die Städte Entwicklungspläne mit einem
Zeithorizont von 10 Jahren vorlegen. Dies ist die Voraussetzung, um nationale Mittel als
gebietsorientierte Programmfinanzierung zu erhalten. Diese Pläne, welche die Zusammenarbeit
von öffentlichen und privaten Wohnbauakteuren beinhalten, Beteiligung der Bevölkerung bei
den Umstrukturierungsmaßnahmen vorsehen und horizontale und vertikale Abstimmungen im
politisch-administrativen System gewährleisten sollen, sind von allen relevanten lokalen
Akteuren gemeinsam zu erarbeiten.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Großstadtpolitik ist das „Herstructurering“
(Umstrukturierung), das von der nationalen Regierung im Jahr 1997 beschlossen wurde. Vor
allem die Erneuerung und Neupositionierung von benachteiligten Quartieren (und dabei
wiederum von homogenen Nachkriegssiedlungen) steht im Mittelpunkt dieses Ansatzes, der die
physische Umstrukturierung des Wohnungsbestandes als zentralen Hebel für die Erneuerung
der Quartiere betrachtet. Die Beteiligung der BewohnerInnen an den Umstrukturierungsmaßnahmen
spielt dabei eine zentrale Rolle.
Stedelijk Beheer
Die Idee, Stadterneuerung als eine integrierte Handlungsstrategie zu konzipieren, findet in den
Niederlanden schon längere Zeit ihren Ausdruck im Konzept des „stedelijk beheer“. Dieses
umfasst Maßnahmen zur Entwicklung und kontinuierlichen Verbesserung von Quartieren, um
deren soziale Stabilität gewährleisten zu können. Dieser Ansatz hat seine Wurzeln in der
Neubestimmung des Aufgabenfeldes der Stadterneuerung in den 1970er Jahren.
Die soziale Stadterneuerung im niederländischen Sinne baut dabei auf zwei zentrale Thesen
auf: Zum einen wird Stadterneuerung als ein kontinuierlicher organisatorisch-planerischer
Prozess gesehen, der einmal durchgeführte Erneuerungsmaßnahmen in
Stadterneuerungsgebieten fortsetzt und in eine ständige Begleitung der Quartiere mündet. Zum
anderen werden die baulichen Erneuerungsmaßnahmen im Zusammenspiel mit sozialen
Maßnahmen durchgeführt. Dabei ist insbesondere auf den grossen Stellenwert der
Gemeinwesenarbeit (GWA) innerhalb der Sozialen Arbeit in den Niederlanden hinzuweisen.
Burthuisen (Nachbarschaftshäuser) und wijkcentra (Stadtteilzentren) gehören zur Standardausstattung
in den niederländischen Städten.
Die Konzeption des stedelijk beheer, welche sich auch auf Stadtteile (wijk beheer) und
Quartiere (buurt beheer) bezieht, baut auf diesem integrierten Ansatz auf und entwickelte sich
„von der Nachsorge in den ehemaligen Stadterneuerungsgebieten über eine breiter angelegte
Prävention in tendenziell gefährdeten Gebieten bis hin zu einem umfassenden Instrument
integraler Entwicklungssteuerung, das die klassischen Felder der Raumordnung und
Stadtplanung mit anderen raumrelevanten Bereichen der Kommunalpolitik integriert“
(Rosemann 1998: 4). Mit dem „beheer“ soll soziale Stabilität hergestellt werden.
Typische Elemente des „stedelijk beheer“ sind nach Rosemann (2001):
• das Monitoring-System, das Daten aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbringt;
• die Entwicklung einer Gebietstypologie, welche die Sinnhaftigkeit der Einführung eines
Quartiersmanagements legitimieren soll;
45

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• die Entwicklung von unterschiedlichen Interventionskategorien (technische, soziale,
ökonomische Maßnahmen).
• Zentrale Ziele dieses Konzepts sind
• die Integration unterschiedlicher Bereiche städtischer Politik über stärkeren Gebietsbezug,
• die Koordination der Erbringung von Dienstleistungen und des Einsatzes von Mitteln,
• die Dezentralisierung (auch finanzielle) von Entscheidungen zugunsten der
Quartiersebene sowie die Bürgerbeteiligung.
2.3.4 Lernen von den Niederlanden
Abschließend werden diejenigen Elemente von Städtestrategie gegen Armut und soziale
Ausgrenzung hervorgehoben, die für den Wiener Fall interessant erscheinen:
• Wichtig ist, wenn man Armut und soziale Ausgrenzung wirklich bekämpfen möchte, dass
der gesamte städtische Wohnungs- und Arbeitsmarkt mit einbezogen werden muss;
Darüber hinaus sollten quartiersbezogene Strategien in gesamtstädtische Strategien
eingebunden und langfristig durchgeführt werden. Dabei geht es auch um die Prävention
von möglichen negativen gesellschaftlichen Entwicklungen in der Stadt und in
spezifischen Quartieren.
• Trotz der Konzentration auf die Erneuerung der physischen Strukturen in den
benachteiligten Quartieren wird auf eine integrale und umfassende Vorgehensweise in
Bezug auf sozial, ökonomisch und städtebaulich benachteiligte Gebiete gesetzt (anstatt
der Setzung von sektorspezifischen Maßnahmen).
• Die integrale Vorgehensweise zeigt sich auch im gezielten und integrierten Einsatz von
finanziellen Mitteln, die seitens des Nationalstaates zur Verfügung gestellt werden.
Dadurch wird ressortübergreifendes Verwaltungshandeln auf nationaler wie lokaler Ebene
induziert sowie gefordert, dass weitere Finanzierungsquellen seitens der Städte
erschlossen werden.
• Den Städten wird bei der Ausformulierung von Strategien der „lokalen Maßarbeit“ ein
großer Spielraum eingeräumt. Durch den Gebietsbezug bei der Mittelvergabe wird auf
lokaler Ebene ein integriertes Verwaltungshandeln erreicht. Stadtpolitik soll nicht
einheitlich gestaltet sein, sondern den Unterschieden der einzelnen Städte, resp. der
lokalen Situation gerecht werden.
• Der Gebietsauswahl muss eine genaue Problemanalyse vorangehen; genaue
•
Zielkataloge und Maßnahmenbündel müssen entwickelt werden, um Förderungen zu
bekommen; Evaluierung und Monitoring sind zentrale Elemente für die Messung des
Erfolges von Städtestrategien und konkreten Projekten.
Die Erweiterung der Möglichkeiten der Städte, Kooperationen und Partnerschaften mit
lokalen Partnern einzugehen, ist ein wichtiges Element zur Etablierung von governance-
Strukturen und von Quartiersmanagement-Modellen.
• BürgerInnen-Beteiligung, die finanziell unterstützt und in die bestehenden Systeme
eingebunden wird, ist ein Instrument, um governance-Strukturen einzurichten, die
Demokratisierung und Dezentralisierung auf lokaler Ebene voranzutreiben, die
Mitverantwortung und damit auch die Motivation der BewohnerInnen etwa von sozial
benachteiligten Quartieren zu stärken, das Verwaltungshandeln transparenter zu
gestalten, und die soziale Kohäsion zu verbessern. Besonders überzeugend gelang dies
46

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
im Fall Rotterdam durch die Installierung der gebietsbezogenen Projektgruppen
(dezentralisierte Partizipationsplanung mit Stimmenmehrheit der BewohnerInnen in den
Projektgruppen).
Obwohl einige Kritikpunkte an diesen Strategien angeführt werden, wird weiterhin eine
gebietsbezogene und integrierende Politikstrategie verfolgt. Die Kritikpunkte sind primär:
• Ressortübergreifendes Handeln von AkteurInnen aus Politik und Verwaltung findet nur
zögerlich statt; die Zusammenarbeit zwischen städtischen Einrichtungen auf
•
Quartiersebene funktioniert nur ansatzweise.
Der Diskurs über Maßnahmen zur „sozialen Durchmischung“ wird zuwenig kritisch
geführt; Maßnahmen der physischen Erneuerung von Quartieren werden bezogen auf
eventuelle soziale Sortierungsprozesse zuwenig hinterfragt.
• Die Abstimmung zwischen gesamtstädtischen und quartiersbezogenen Strategien erfolgt
nicht oder nur unzureichend.
47

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
2.4 DEUTSCHLAND
Armut, soziale Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit sind auch in Deutschland keine neuen
Phänomene in Städten. Neu sind seit den 1990er Jahren hingegen die Dimensionen,
Intensitäten, Überlagerungen und räumlichen Konzentrationen von Armut und sozialer
Ausgrenzung als Folge dieser Prozesse. Die Verfestigung von sozialer Ungleichheit im
städtischen Raum bildet neue Phänomene für die Stadtentwicklung und stellt eine besondere
Herausforderung für die Stadtpolitik dar. Bezeichnendes Dokument der damaligen Zeit ist das
„Manifest der Bürgermeister“: „Rettet unsere Städte jetzt!“ (Kronawitter et al. 1994), in dem der
Hamburger Oberbürgermeister, Voscherau, seine Stadt insgesamt als „sozialen Brennpunkt“
bezeichnete (vgl. Voscherau 1994) – der Stadtstaat ist immerhin die Region, die in Europa nach
London die zweithöchste Wertschöpfung pro Einwohner erzielt.
Durch die Krise des Sozialstaates, durch Ausschlussmechanismen des Arbeitsmarktes und
selektive Wanderungsprozesse verschärfen sich die ökonomischen und gesellschaftlichen
Bedingungen in diesen städtischen Gebieten, die in der deutschen Diskussion als „sozialer
Brennpunkt“, „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf“, „Überforderte Nachbarschaften“,
„Stadtteile mit Entwicklungspriorität“ oder „Armutsghettos“ bezeichnet werden.
Mit dem Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ haben
Bund, Länder und Gemeinden auf diese neuen städtischen Situationen mit dem Ziel reagiert,
die drohende soziale Polarisierung in den Städten stoppen. Im „Leitfaden zur Ausgestaltung der
Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt“ heißt es:
„Mit dieser Initiative ist ein nationales Aktionsprogramm ins Leben gerufen worden, das eine
nachhaltige Entwicklung in Stadt- und Ortsteilen mit besonderen sozialen, wirtschaftlichen
und städtebaulichen Problemen sicherstellen soll.“ Und weiter: „In den alten Bundesländern
sind es meist Quartiere, in denen sich private Investoren seit langem nicht mehr engagieren
und Stadterneuerungsprozesse nicht in Gang gekommen sind. Ursachen für die Stagnation
sind sehr schlechte, hoch verdichtete Bausubstanz, fehlende Grün- und Freiflächen, Immissionsbelastungen,
Gewerbebrachen mit Altlasten, Beeinträchtigung durch Verkehrsstraßen
und -lärm, Mangel an Gemeinschaftseinrichtungen, Planungsunsicherheit und insgesamt
fehlende Zukunftsperspektiven“ (Argebau 2000: 1).
Inzwischen sind seit dem Beginn des Programms im Jahr 1999 300 Gebiete in das Programm
aufgenommen worden, davon allein 17 aus Berlin, 48 aus Bayern, 45 aus Nordrhein-Westfalen
aber lediglich je sieben bzw. neun aus Thüringen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern und
Schleswig-Holstein (Stand 2002). In den Programmgebieten der Jahre 1999 bis 2001 leben
insgesamt etwa 1,74 Mio. EinwohnerInnen, davon 1,34 Mio. in den alten und 0,4 Mio. in den
neuen Bundesländern (vgl. Difu 2003: 9).
Für ein vom Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) geleitetes wissenschaftlichen
Begleitprogramm konnte jedes Bundesland ein Gebiet auswählen, das in seiner Entwicklung
vom Difu und anderen von ihm beauftragten Institutionen begleitet und unterstützt wurde. Durch
diese Betreuung wurden Informationen und Erfahrungen vermittelt, lokale Aktionen initiiert und
21
unterstützt, sowie eine begleitende Dokumentation erstelltP
P.
21
TP
PT Zur
Dokumentation und Kommunikation hat das Deutsche Institut für Urbanistik eine Plattform im Internet eingerichtet:
.
48

2.4.1 Nationale Rahmenbedingungen
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Der Ausbau des westdeutschen Wohlfahrtstaates gelangte Ende der 1970er Jahre durch den
sozioökonomischen Wandel vom fordistischen zum postfordistischen Gesellschaftssystem an
seine Grenzen. Wie in allen westeuropäischen Ländern – wenn auch jeweils in anderen
Ausprägungen – waren Ende der 1980er Jahre deutlich geringere Wachstumsraten der
Wertschöpfung und steigende Arbeitslosenzahlen zu verzeichnen. Neue Steuerungsmodelle
zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung wurden als eine Reaktion darauf erprobt.
Die Besonderheit der deutschen Entwicklung liegt vor allem in den ökonomischen, sozialen und
kulturellen Auswirkungen der Vereinigung mit der ehemaligen DDR im Jahr 1990. In den Jahren
1990-1993 kam es noch zu einer kurzen Phase eines Wachstumsschubes mit einer
ökonomischen Wachstumsrate (BIP) von etwa 9% in Westdeutschland und 8% in
Ostdeutschland. In den meisten anderen europäischen Ländern lag sie bei etwa 2%. Nach
1993 wurde die sozioökonomische Entwicklung in Deutschland jedoch durch eine drastische
Zunahme an Arbeitslosigkeit und hohen Ausgaben für die Restrukturierung der ostdeutschen
22
Ökonomie belastet (vgl. Friedrichs 2001: 3).P
P
Die Restrukturierung der ostdeutschen Ökonomie, die kulturelle und soziale Neuorganisation
der ostdeutschen Gesellschaft sowie die Umstrukturierungsprozesse der westdeutschen
produzierenden Wirtschaftsbranchen mit Auslagerungen von Investitionen und Arbeitsplätzen in
ökonomisch schwächere Länder sind für Deutschland zusätzliche Belastungen in dem Prozess
der Änderung von politischer Steuerung bei der Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung
und verstärkenden sozialräumlichen Segregationsprozessen in den west- und ostdeutschen
Städten.
Die Kräfte der ökonomischen Restrukturierung führten zu einer neuen Verteilung der
Bevölkerung in städtischen Gebieten bzw. verstärken die Trends einer sozialräumlichen
Segregation, einer polarisierenden Struktur, die zu gespaltenen Stadtstrukturen führte. In
diesem Prozess veränderten sich auch die staatlichen Regulationsformen städtischer Politiken
und die Maßnahmen zur Armutsbekämpfung und der Bekämpfung sozialer Ausgrenzung.
Im Folgenden soll auf eine Entwicklung im wissenschaftlichen Diskurs eingegangen werden,
der die Phänomene einer zunehmenden Armut und sozialen Ausgrenzung als zwei
Beschreibungen extremer sozialer Ungleichheit darstellt, beide Begriffe beschreiben jedoch
unterschiedliche Zustände bzw. Prozesse.
Die Bestimmung von Armut wird meistens auf das durchschnittliche Einkommen einer
Bevölkerung bezogen („Äquivalenzeinkommen“). Zusätzlich werden oftmals noch qualitative
Indikatoren und askriptive Merkmale sozialer Ungleichheit hinzugezogen, um zu beschreiben,
dass „arme“ Menschen von der gesellschaftlichen Teilhabe im ökonomischen, sozialen, kulturellen
oder politischen Bereich ausgeschlossen resp. in diesen Bereichen benachteiligt sind.
Soziale Ausgrenzung beschreibt eher den Prozess einer Desintegration im Sinne von „drinnen“
oder „draußen“ (vgl. Kronauer 1997).
Die Strategien zur Bekämpfung von Armut sind in Deutschland historisch als eine sektorale
Fachpolitik mit den Instrumenten der Sozialgesetzgebung (Sozialhilfe, Arbeitsförderung) und als
eine räumliche Strategie mit den Instrumenten der Raumordnung und Stadterneuerung
(Baugesetzbuch) konzipiert. Im Verlauf der Entwicklung seit den 1980er Jahren hat es sich
22
TP
PT Die
Transferkosten für Westdeutschland in die ostdeutsche Ökonomie zur Modernisierung der Infrastruktur (Schulen,
Krankenhäuser, Straßen) und in die Wirtschaftsbetriebe hatten folgende Ausmaße: 1991/1992: 150,8 Milliarde DM;
1993/1994: 176,1 Milliarde DM und 152 Milliarde DM in den folgenden Jahren (zit. nach Friedrichs 2001:3).
49

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
gezeigt, dass es nicht mehr adäquat ist, beide Politiken getrennt voneinander zu entwickeln, um
die komplexen und vernetzten Aspekte von zunehmender sozialräumlicher Ausgrenzung zu
bekämpfen. Soziale Ausgrenzung ist nicht nur eine Frage des Zugangs zum Arbeitsmarkt,
sondern bezieht sich auf unterschiedlichste gesellschaftliche Bereiche und erfordert aus diesem
Grunde eine integrative, übergreifende und vernetzte Strategie im Sinne eines Governance-
Modells.
Problementwicklung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Deutschland
Im „Nationalen Aktionsplan gegen Armut und soziale Ausgrenzung 2003-2005“ (NAP 2002) wird
23
für Deutschland von einer ArmutsgefährdungP
P im Jahr 2001 von 10,9% der Bevölkerung
ausgegangen. Dabei sind 10,3% der männlichen und 11,5% der weiblichen Bevölkerung
armutsgefährdet. Die Armutsgefährdung bei MigrantInnen ist etwa doppelt so hoch und liegt bei
über 21% (vgl. NAP 2002: 60).
Hierbei wird jedoch aufgrund der unterschiedlichen Intensitäten, Dynamiken und Ursachen
zwischen West- und Ostdeutschland unterschieden: In Gesamtdeutschland beträgt die aktuelle
Armutsquote (2001) 5,6% (50% des Netto-Äquivalenzeinkommens), wobei die „Armutsquoten
bei einheitlicher Armutsschwelle (unter 60% des Medianeinkommens)“ im Westen 9,8% und im
Osten 15,9% betrug. (NAP 2002: Anhänge VIII).
Die Situation am Arbeitsmarkt hat sich im Verlauf der letzten 20 bis 25 Jahre laufend verschärft;
seit Mitte der 1990er Jahre sprang die Zahl der Arbeitslosen nach oben, weil sich nun die
strukturellen Probleme in Ostdeutschland auch in den Arbeitslosenzahlen statistisch
niederschlugen: Die Zahl der arbeitslos Gemeldeten stieg von 2,6 Millionen (1991) auf 4,06 Mio.
im Jahr 2002, was einer Arbeitslosenquote von 9,8% entspricht. In Ostdeutschland sind die
Arbeitslosenquoten doppelt so hoch (ANBA 2003).
Im Jahr 2001 betrug die Arbeitslosenquote in Deutschland 9,4% wobei die Arbeitslosenquote
bei AusländerInnen deutlich höher bei 16,5% lag (vgl. NAP 2002: Anhang V). Von den als
arbeitslos Gemeldeten, waren im Jahr 1999 35% langzeitarbeitslos, d.h. länger als ein Jahr
ohne Erwerbstätigkeit.
Die politische Reaktion auf diese Arbeitsmarktkrise und die Belastungen der sozialen
Sicherungssysteme war und ist kontrovers. Die ArbeitgeberInnen argumentierten, dass der
Sozialstaat umgebaut, soziale Sicherungen und Transferleistungen abgebaut und eine
Flexibilisierung und Deregulierung auf dem Arbeitsmarkt durchgesetzt werden müsse. Anders
als in den Niederlanden reagierten und reagieren die Gewerkschaften in Deutschland nicht mit
Lohnzurückhaltung, sondern setzten überwiegend auf die Sicherung der bestehenden
Arbeitsplätze und weniger auf Maßnahmen zum Abbau der Arbeitslosigkeit.
Neben der allgemeinen Armutsentwicklung wurden vor allem die Konzentrationen der
Armutsbevölkerung in wenigen Wohnungsmarktsegmenten und Nachbarschaften als großes
Problem angesehen. Insbesondere die starke Segmentierung des Wohnungsmarktes spielt in
Deutschland in diesen Prozessen eine wesentliche Rolle: Im Gegensatz zu der Situation in
Österreich verbleiben die mit Mitteln der Förderung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus
erstellten Mietwohnungen nur befristet in diesem geschützten Segment. Das zeitliche Auslaufen
23
TP
PT Man
geht für den Kreis der Bevölkerung von „Armutsgefährdung“ aus, der weniger als 60% des durchschnittlichen
gewichteten Netto-Haushaltseinkommens bezieht (vgl. NAP 2002: Anhang III57). Die Statistiken beruhen auf einem
bundesweiten Panel zur Messung und zum Monitoring der sozialen Lage der Bevölkerung in West- und
Ostdeutschland (Sozio-ökonomisches Panel – SOEP).
50

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
von Belegungs- und Mietpreisbindungen im sozialen Wohnungsbau hat zu einer hohen
Konzentration an sozialen Notfällen im verbleibenden Rest des sozialen Wohnungsbaus und
damit in den Großsiedlungen der 1980er und 1990er Jahre sowie in Sanierungsgebieten
24
geführtP
P.
Dieser Herabfilterungsprozess ist vor allem auch dadurch ausgelöst worden, dass die
BezieherInnen mittlerer Einkommen aus den gefährdeten Gebieten weggezogen sind und dass
in die frei gewordenen Wohnungen Haushalte mit Migrationshintergrund, SozialhilfeempfängerInnen
und sonstige BezieherInnen niedrigen Einkommens einzogen. Man hoffte aber
auch, durch Grundriss-Veränderungen, Baulückenfüllung, Neubau und eine gestaffelte
Förderpolitik die einseitige Bevölkerungsstruktur der „4A“ (Arme, Alte, Ausländer, Arbeitslose)
zu korrigieren (vgl. Löhr 2002: 39).
Durch diese Konzentrationsprozesse benachteiligter Bevölkerung ist der Wohnort selbst zu
einer Ursache von sozialer Ungleichheit geworden (vgl. Alisch & Dangschat 1998). Aufgrund
schlechter oder fehlender Infrastruktureinrichtungen, Ausbildungsmöglichkeiten und
Beschäftigungschancen sind die BewohnerInnen dieser Quartiere mehrfach benachteiligt und
ausgegrenzt: Ökonomische Ausgrenzungen aufgrund mangelnder Zugangsmöglichkeiten zum
ersten Arbeitsmarkt, kulturelle Ausgrenzungen durch Stigmatisierungen und Diskriminierungen
und soziale Ausgrenzungen „aufgrund sozialer Isolation und einem Leben in einem
geschlossenen Milieu“ (Häußermann 2000; vgl. auch Difu 2002b).
Die Befindlichkeit vieler Deutschen sowie die aktuellen Debatten in Deutschland zur Reform der
Systeme der sozialen Transferleistungen und zur Pensionsreform zeigen, wie sehr dieses Land
unter Druck geraten ist, neue politische Orientierungen und entsprechende Regelungen zu
finden. Auf die Frage nach dem subjektiven Gefühl des gesellschaftlichen
Ausgeschlossenseins, antworteten im Jahr 2000 9% der Westdeutschen und 28% der
Ostdeutschen, dass sie sich zu einem gewissen Grad ausgeschlossen fühlen. Noch 1998 lagen
diese Werte auf deutlich niedrigerem Niveau (vgl. Böhnke 2001: 15).
2.4.2. Wohnungspolitik
Der bundesdeutsche Wohnungsmarkt ist immer noch mehrheitlich durch den
Mietwohnungssektor gekennzeichnet: Im Jahr 1998 betrug der Anteil der Eigentumswohnungen
in Eigenmiete rund 40%. Dennoch ist auch hier der Trend deutlich, denn war die deutsche
Wohnungspolitik in der ersten Nachkriegszeit auf den Mietwohnungsbau ausgerichtet, so
wurden seit den 1970er Jahren die Förderungen auf den Wohnungseigentumssektor
ausgedehnt. Im Jahr 1990 erfolgte schließlich die Aufhebung des
Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetzes mit der Folge, dass die (ehemals) gemeinnützigen
Wohnungsunternehmen steuerlich wie die gewinnorientierten behandelt werden.
Der Soziale Wohnungsbau
Die soziale Wohnungsbaupolitik in Deutschland beruht auf zwei Prinzipien: Der Objektförderung
im Sinne der materiellen Investition in Neubau oder Sanierung und die Subjektförderung für
24
TP
PT Die
zeitlichen Befristungen der Belegungs- und Mietpreisbindungen wurden zudem immer kürzer; in Sanierungsgebieten
ist es zudem den Eigentümern freigestellt, ob sie öffentliche Fördergelder annehmen und damit ihr
Eigentum für in der Regel zehn Jahre unter diese Bindung stellen, oder ob sie uneingeschränkt von der
Standortaufwertung durch Sanierung profitieren können. Diese „Gratwanderung“ zwischen Mieterschutz und
ökonomischer Aufwertung wurde oftmals zu Gunsten einer ‚Gentrification’ entschieden, resp. war die Förderungspolitik
im Zuge der Stadterneuerung oftmals eine verzögerte resp. eine „schrittweise Gentrification“ (vgl.
Froessler & Selle 1990).
51

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
bedürftige MieterInnen, die eine bestimmte Einkommensgrenze unterschreiten. Das System in
der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus hat als Grundidee die Versorgung der
einkommensschwächeren Gesellschaftsmitglieder mit billigem Wohnraum. Dabei wurden die
25
Mieten auf einen längeren ZeitraumP
P festgelegt, mit dem Ziel, dass die Miete nicht stärker als
das Einkommen ansteigen soll. In den 1980er Jahren konnte dieses Prinzip nicht mehr
durchgehalten werden, da die Steigerungsraten der niedrigen Einkommen konstant oder leicht
rückläufig waren. Insofern mussten viele Kommunen finanziell mit Wohngeld oder Sozialhilfe
„einspringen“, wollten sie nicht in Kauf nehmen, dass MieterInnen des sozialen Wohnungsbaus
aufgrund gestiegener Mieten ihre Wohnung räumen mussten oder zwangsweise verlieren
26
würden.TP
PT
Im Jahr 1990 wurde eine weitere wichtige Entscheidung von der Regierung getroffen, die den
Umbau der sozialen Wohnungspolitik prägt: Die Steuerbefreiung für gemeinnützige
Wohnungsbaugesellschaften wurde gestrichen. Darauf hin erhöhte sich der Druck für die
gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften, sich nach Marktgesetzen zu verhalten. Folge
war, dass immer mehr Sozialwohnungen verkauft wurden. Der Vorsitzende des
Gesamtverbandes deutscher Wohnungsunternehmer (GdW), Jürgen Steinert, weist bei einem
wohnungspolitischen Kongress auf die dramatische Lage im sozialen Wohnungsbestand hin:
1980 gab es in der Bundesrepublik eine Million Arbeitslose bei einem Bestand von vier
Millionen Sozialwohnungen. Im Jahr 2000 hat sich das Verhältnis quasi umgekehrt: Über vier
Millionen Arbeitslosen stehen nur noch etwas über zwei Millionen Sozialwohnungen gegenüber,
bei weiter abnehmender Tendenz (vgl. Steinert 1998).
Am Beispiel der Stadt Köln kann dieser Trend verdeutlicht werden. Im Jahr 1990 beträgt der
Bestand an Sozialwohnungen 104.187 Wohnungen. Neun Jahre später sind es nur noch
71.213 Wohnungen (vgl. Friedrichs 2001: 10).
Die „überforderten Nachbarschaften“ in Deutschland
In Deutschland hat der Gesamtverband deutscher Wohnungsunternehmer (GdW) in die
Debatte über die benachteiligten Quartiere und die Rolle der Wohnungswirtschaft durch eine
1998 veröffentlichte Studie mit dem Titel „Überforderte Nachbarschaften“ eingegriffen (vgl. GdW
1998). Mit dem Begriff „überforderte Nachbarschaften“ sollte auf mehrere Dimensionen von
„Überforderungen“ aufmerksam gemacht werden:
25
TP
26
TP
PT Im
PT Das
• Überforderung der alteingesessenen Mieter in den Großsiedlungen: Die benachteiligte
deutsche Unterschicht in den Großsiedlungen mit hohem AusländerInnen-Anteil ist durch
die alltägliche Integrationsleistung mit den fremden Kulturen und Lebensgewohnheiten
der Ausländer/innen und Aussiedler/innen überfordert. Sie würden sich häufig als
„Fremde im eigenen Land“ fühlen und fühlen sich von der Politik im Stich gelassen.
Reaktionen darauf seien Politikverweigerung oder die Wahl rechtsextremer Parteien.
• Überforderung der jugendlichen AussiedlerInnen und EinwanderInnen: Die jugendlichen
EinwanderInnen in den stigmatisierten Quartieren sind überproportional von
Arbeitslosigkeit bedroht. Viele der ZuwanderInnen der 1990er Jahre wurden in die
Großsiedlungen eingewiesen. Dort erreichten sie bis zu 60% der Mieter/innen. Diese
Gegensatz zu Österreich ist die Miet- und Belegungsbindung befristet. Diese Fristen wurden zudem im Laufe der
Zeit immer mehr verkürzt (auf gegenwärtig zehn bis zwölf Jahre).
hat im Extremfall dazu geführt, dass Verwaltungsgerichte die städtischen, nunmehr nicht mehr gemeinnützigen
Wohnungsunternehmen gezwungen haben, die Mieten zu erhöhen, um eine betriebswirtschaftlich ausgeglichene
Bilanz zu erzielen.
52

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
PT
einseitige Belegungspolitik hat häufig zu erheblichen Konflikten zwischen
•
27
(deutschstämmigen) SpätaussiedlerInnenTP und TürkInnen der zweiten und dritten
Generation von Jugendlichen insbesondere unter den männlichen Jugendlichen geführt.
Überforderung der Städte und Gemeinden: Der Bestand an Sozialwohnungen in
öffentlicher Hand wird durch das Auslaufen der Belegungsbindungen immer geringer und
stellt damit die Städte und Gemeinden vor ein Versorgungsproblem für
•
einkommensschwache MieterInnen.
Überforderung der Wohnungsunternehmen: Die Wohnungsunternehmen würden zum
„Verwalter der ungelösten Probleme des Sozialstaates“. Die Konflikte, die die
zunehmende sozio-ökonomische Spaltung der Gesellschaft hervorbringt, werden oft den
Quartieren des sozialen Wohnungsbaus zugeordnet.
Neue Aufgabenfelder der Wohnungswirtschaft und der Wohnungspolitik
Als Folgestudie zu den Untersuchungen über „überforderte Nachbarschaften“ hat das
Forschungsbüro Empirica im Auftrag des Freistaates Bayern und des Landes Brandenburg
„problembezogene Maßnahmen zur Bekämpfung und Vermeidung sozialer Erosion in
28
Stadtquartieren“P
P untersucht. In der Bandbreite der Maßnahmen werden die neuen Aufgaben
der Wohnungswirtschaft deutlich:
• Soziale Aufgabenfelder mit der Zielsetzung einer Stabilisierung der Sozialstrukturen in
den benachteiligten Quartieren,
• Ökonomische Aufgabenfelder mit der Zielsetzung einer Arbeitsförderung und
Beschäftigungsinitiative für arbeitslose MieterInnen,
• Städtebauliche Aufgabenfelder mit der Zielsetzung einer städtebaulichen
Rahmenplanung, als Gestaltung von Außenanlagen, als Sicherheitskonzeptionen für
Eingangsbereiche,
• Wohnungswirtschaftliche Maßnahmen mit der Zielsetzung einer dezentraleren
•
Verwaltungsstruktur, einer verbesserten Öffentlichkeitsarbeit oder Partizipation der
MieterInnen und
Entwicklung von Sicherheitskonzepten.
2.4.3 Sozialintegrative Stadtentwicklungsprogramme in Deutschland
Das im Jahr 1999 von der deutschen Bundesregierung auf den Weg gebrachte Bund-Länder-
Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die soziale Stadt“ ist eine Reaktion
auf die Situation der zunehmenden Segregation und der Konzentration von Armut in
bestimmten städtischen Teilgebieten und Wohnungsmarktsegmenten. Dieses Forschungs- und
Handlungsfeld „Soziale Stadt“ stellt zugleich eine strategische Neuorientierung der
Städtebauförderung und eine deutliche Aufgabenerweiterung dar: Aufgrund der Erfahrungen mit
der klassischen Modernisierung und Sanierung nach dem Städtebauförderungsgesetz und den
27
TP
28
TP
PT „SpätaussiedlerInnen“
PT Dieser
sind deutschstämmige Menschen, die mehrere Generationen lang in Osteuropa gelebt haben
und aufgrund bilateraler Abkommen nach Deutschland ausreisen können. Da sie von der Nationalität her Deutsche
sind, stehen ihnen alle bürgerlichen Rechte zu. Dieses führt insbesondere zu Auseinandersetzungen mit TürkInnen,
weil diese weniger Rechte haben, aber deutlich besser integriert sind (Sprachfähigkeit, Vertrautheit mit deutscher
und städtischer Lebensweise).
Maßnahmenkatalog kann im Internet unter „Aktuelles“ auf der Homepage des Innenministeriums:
abgerufen werden.
53

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
verschiedenen Programmen auf Länderebene zur sozialen Stadtentwicklung wird nun verstärkt
versucht, investive und nicht-investive Vorhaben miteinander zu verknüpfen.
Mit diesem Bund-Länder-Programm wird das Ziel verfolgt, möglichst viele Ressourcen auf der
Quartiersebene zu bündeln und zu vernetzen. Obwohl die genaue Schwerpunktsetzung den
einzelnen Bundesländern vorbehalten sind, ist das wesentliche inhaltliche Ziel eine
Verbesserung der Lebensbedingungen in den benachteiligten Stadtquartieren durch aktive und
integrative Stadtentwicklungspolitiken. Neben Aktivierung und Beteiligung von BürgerInnen
sollen insbesondere die Integration und Vernetzung bislang nebeneinander stehender
politischer Handlungsfelder erfolgen. Darüber hinaus sollen Wege gefunden werden, privates
Kapital stärker für diese Gemeinschaftsaufgabe zu lukrieren. Auch die Entwicklung
sozialraumbezogener Handlungsansätze in der sozialen Arbeit soll in enger Kooperation mit
den lokalen Strukturen eines Quartiers und den dortigen AkteurInnen wie beispielsweise dem
Quartiermanagement erfolgen. Das Programm wird als eine „Gesellschaftspolitik charakterisiert,
mit der Stadtpolitik und Erneuerungspolitik in Stadtteilen verknüpft“ wird (Walther 2002b: 23).
Historische Entwicklung der sozialintegrativen Stadtentwicklungsprogramme in
Deutschland
Nach den ersten Flächensanierungen und BürgerInnenprotesten wurde Ende der 1960er Jahre
im Zuge der Formulierung der Sanierungspolitik in Deutschland im Städtebau-
29
Förderungsgesetz (StBFG) ein Sozialplan gesetzlich festgeschriebenP
P. Dieser sah Beteiligung
aller Sanierungsbetroffenen vor, beschränkte sich aber überwiegend auf ein Offenlegen der
Pläne und ein sich daran anschließendes Diskussionsverfahren, mit dem allenfalls geringe
Veränderungen der Top-Down-Planungen vorgenommen werden konnten. Dennoch boten die
Diskussionen über das Wie der Einflussnahme auf gebaute Strukturen, ökonomische und
kulturelle Netzwerke sowie alltägliche Lebensbedingungen erste Arenen der
BürgerInnenbeteiligung mit den bekannten „Kinderkrankheiten“ auf allen Seiten.
Dem Sozialplan lag eine sorgfältige Erhebung der Sozialstrukturen sowie der Erwartungen an
den Sanierungsprozess, inklusive der Bereitschaft, dort mittun zu wollen, zugrunde. Mit der sog.
„Beschleunigungsnovelle“ wurde dieses Element jedoch Ende der 1970er Jahre ersatzlos
gestrichen und auch der Kreis derer, die in die Diskussion einbezogen wurden, räumlich (enger)
30
und sachlich (meist auf Gewerbetreibende) eingegrenztP
P. Meist auf Druck lokaler Initiativen und
der Netzwerke von Organisationen, die im weitesten Sinne Sozialarbeit betrieben, wurden in
einzelnen Bundesländern und den Stadtstaaten jedoch unterschiedliche Modelle entwickelt,
welche auch die Rechte der BürgerInnen in den formellen Beteiligungsverfahren ausweitete
(vgl. Alisch & Dangschat 1993).
Neben speziellen Modernisierungs- und Sanierungsprogrammen sowie dem bundesweiten
Programm „Nachbesserung von Großsiedlungen“ sind es lokal wirksame Aktivitäten wie
beispielsweise der „Essener Konsens“ – einer strategischen Beratungsrunde zwischen der
Stadtverwaltung, Kommunalpolitik, den wichtigsten Wirtschaftsbetrieben und NGOs, bei der die
29
TP
30
TP
PT Nach
PT Das
Berichten von Augenzeugen der damaligen Debatten im Deutschen Bundestages soll in der Sitzung der
Enquete-Kommission vor der abschließenden Lesung die Idee zu einem Sozialplan gekommen sein, die der
Sprecher – Hans-Paul Bahrdt – in sein Redemanuskript einarbeitete und der nach der Lesung relativ widerstandslos
und spontan „durchkam“.
entsprach dann der österreichischen Regelung des „Parteienstatus“. Bis dahin konnte sich jedeR, die/der sich
von den Sanierungsmaßnahmen betroffen fühlte, gleichberechtigt beteiligen; dieses ist sicherlich einer von einer
Reihe von Faktoren, die dazu geführt haben, dass soziale Bewegungen und die Beteiligungsszene in deutschen
Städten lebendiger sind als die der österreichischen Städte.
54

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Stakeholder der Stadtregion zu gemeinsamen, lokal und regional wirksamen Initiativen
gefunden haben (Triple-Z, Zeche Zollverein, Katernberg-Konferenz) – oder aber die alternativen
Baubetreuer „Stattbau“, die seit etwa 20 Jahren in Berlin und Hamburg im Auftrag der beiden
Städte tätig sind. Ihre Aufgabe ist, auf städtischem Boden resp. in Liegenschaften, die der Stadt
gehören, Wohn- und Gewerbe- resp. gemischte Projekte unterzubringen und dabei den Um-
und Neubau zu koordinieren. Diese so versorgten Gruppen leben meist in prekären ökonomischen
Bedingungen oder haben aufgrund der Zielsetzung oder Größe ihres Projektes
Probleme, einen geeigneten Platz zu finden.
Der gegenwärtige Stand der sozialen Stadtpolitik in Deutschland ist aus solchen Einzel-
Initiativen und vor allem aus entsprechenden Programmen zur Förderung der sozialen
Integration einzelner Bundesländer hervorgegangen. Pioniere waren Nordrhein-Westfalen, das
am stärksten von der De-Industrialisierung betroffene Bundesland (in dem mit dem Programm
„Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf“ eine sozial integrative Stadtpolitik im Jahr 1993
eingeführt wurde), und Hamburg (hier wurde im Jahr 1993 ein „Armutsbekämpfungsprogramm“
aufgelegt, das später – etwas modifiziert –„soziale Stadtteilentwicklung“ genannt wurde (vgl.
Alisch 1998: 111-113, Alisch 2002: 79-82). Auf diesen Modellen aufbauend, aber auch die
Erfahrungen Frankreichs, Großbritanniens und der Niederlande einbeziehend (vgl. Froessler et
al. 1994), entstand das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“. Im Jahr 1996 wurde in der
Ministerkonferenz der Ausschüsse für Bauwesen und Städtebau sowie für Wohnungswesen der
Beschluss über die „Gemeinschaftsinitiative ‚soziale Stadt’“ gefasst. In Hessen entstand im Jahr
1997 das Programm „Einfache Stadterneuerung“, inzwischen „Hessische Gemeinschaftsinitiative
Soziale Stadt (HEGISS)“ genannt, in Bremen wurde im Jahr 1998 das
Programm „Wohnen in Nachbarschaften (WiN)“ begonnen und im Jahr 1999 fasste der Berliner
Senat schließlich einen Beschluss zur Einrichtung von „integrativen Stadtteilverfahren eines
Quartiersmanagements“ als Pilotvorhaben in 15 Gebieten.
Zielsetzungen des Programms „Soziale Stadt“
In der „Verwaltungsvereinbarung über die Gewährung von Finanzhilfen zur Förderung
städtebaulicher Maßnahmen“ vom 10. Juni 1999 wird betont, dass das neue Programm „soziale
Stadt“ eine Ergänzung der klassischen Städtebauförderung durch einen neuen integrativen
Ansatz darstellt: Ziel ist es, „investive und nicht-investive Maßnahmen mit dem Schwerpunkt der
städtebaulichen Erneuerung ‚aus einer Hand’ zu kombinieren und integrieren“
(Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen 1999: 1). Der Bund und die Länder
koordinieren und bündeln ihre Mittel und Maßnahmen, insbesondere aus den Politikfeldern
Wohnungswesen, Verkehr, Arbeits- und Ausbildungsförderung, Sicherheit, Frauen, Familien-
und Jugendhilfe, Wirtschaft, Umwelt, Kultur und Freizeit.
Ziel ist es also, einen räumlichen Aktionsrahmen für die integrativen Maßnahmen zu definieren.
Somit ist das Programm „Soziale Stadt“ ein lebensweltlich orientierter Ansatz, bei dem die
Individuen in ihrem Milieu in den Mittelpunkt gestellt werden (Becker & Löhr 2000: 5). Die
herkömmliche Städtebauförderung ist im Grundsatz auf investive Maßnahmen beschränkt.
Nicht-investive Maßnahmen sind nur förderfähig, wenn sie zur Vorbereitung oder Durchführung
der Investition erforderlich ist. Der in dem Programm angedeutete Perspektivenwechsel besteht
darin, nicht nur gebaute Umwelt, sondern den Menschen mit seinem Umfeld in den Mittelpunkt
zu rücken.
Im Leitfaden der Argebau (1996) zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative „Soziale Stadt“
werden zwei Gebietstypen beschrieben, in denen die Maßnahmen und Programme greifen
55

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
sollen:
• Innerstädtische oder innenstadtnahe Quartiere mit einer schlechten Bausubstanz und
schlechter Umweltqualität
• Großsiedlungen
Infrastruktur.
mit fehlender Nutzungsmischung und unzureichender sozialer
Die Ausweisung eines Gebietes als „Gebiet mit besonderem Entwicklungsbedarf“ erfolgt
aufgrund der sozialen, ökonomischen und infrastrukturellen Problemlage: Hohe Fluktuation und
Wanderungsverluste, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Sozialhilfequote, hoher Anteil an
MigrantInnen, soziale Konflikte und Negativimage sind dabei ausschlaggebend.
Zentrales Anliegen ist die Förderung von „Bürgermitwirkung, Stadtteilleben“. Von der interministeriellen
Arbeitsgemeinschaft (Argebau 1996) wird die Zielsetzung benannt: den „sozialen
Verbund wieder herstellen“, „vorhandene örtliche Potentiale stärken“ und „Bewohner
motivieren“. Die Aufgaben einer Förderung von „Lokaler Wirtschaft, Arbeit, Beschäftigung“ soll
durch Projekte der Public-Private Partnerships (ppp) sowie Social Sponsoring erfolgen. In den
Quartierszentren ist die Aufgabe eines Stadtmarketings und der Förderung von
Nutzungsmischung zentral. Das hauptsächliche Problem wurde darin gesehen, dass die
„ethnische Vielfalt der Bewohner droht, die Integrationskraft der Bewohner zu überfordern“. Es
gehe daher darum, das Wohnungsangebot um fehlende Wohnungstypen (Eigentum,
Wohngemeinschaften) zu erweitern und eine gezielte Belegungspolitik durchzuführen, wobei
beispielsweise Sonderregelungen bei der Wohnungsbelegung festzulegen sind.
Weiter wird gefordert, dass ein „gebündelter und zielgenauer Einsatz aller verfügbaren
Ressourcen“ vorgenommen wird, eine „enge Kooperation der betroffenen Fachressorts
organisatorisch“ sichergestellt wird. Die Einrichtung eines leistungsfähigen
Stadtteilmanagements mit einem Erfahrungsaustausch, Erfolgskontrolle und Begleitforschung
wird empfohlen (vgl. Argebau 1996).
Döhne & Walter (1999: 26) betonen, dass sie sich von dem neuen Programm
„Beschäftigungsimpulse sowie soziale, ökologische und politische Impulse“ erhoffen. Durch den
integrativen Einsatz verschiedener Politikfelder – auf Ebene des Bundes wurde dies durch die
Verräumlichung des Programms „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen
Brennpunkten“ (E&C) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
beispielhaft vorgeführt.
Strukturmerkmale der aktuellen Stadtentwicklungspolitik in Deutschland
Dem Programm „Soziale Stadt“ liegt ein „Appellcharakter“ zugrunde. Der Appellcharakter
besteht darin, die unterschiedlichen staatlichen Ebenen und AkteurInnen in neue
Aushandlungsprozesse einzubeziehen und ein kooperatives Handeln einzufordern. Diese
neuen Kooperationsformen haben zum Ziel, eine Ressourcenbündelung auf Bundes-, Landes-
und kommunaler Ebene zu erreichen. In vielen Ländern wurden dafür interministerielle
Arbeitsgruppen von den jeweiligen Landesregierungen eingesetzt. Doch der entscheidende Ort
für die Ressourcenbündelung ist die kommunale Ebene. Dort bezieht sich die Bündelung meist
auf die traditionellen Felder der Städtebauförderung, der Wohnungsbauförderung, des
Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes und der Arbeitsverwaltung (Löhr 2002: 17).
Ein weiteres Strukturmerkmal des neuen Politikansatzes ist der Versuch, auch nicht-staatliche
Ressourcen in die Revitalisierung der benachteiligten Gebiete zu lenken. Dabei spielt die Idee
des Public-Private Partnerships eine wesentliche Rolle. Gerade die Wohnungsunternehmen
56

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
sollen für die Stabilisierung der Nachbarschaften in den Großsiedlungen gewonnen werden.
Durch Modernisierungen der Wohnungen, Investitionen in das Wohnumfeld und den
öffentlichen Raum sowie die Erprobung neuer Modelle von Hausmeister- oder Concierge-
Einrichtungen oder auch die Einstellung von SozialarbeiterInnen werden Kooperationen
zwischen staatlichen Institutionen, privater Wirtschaft und den MieterInnen gefördert.
Neben der Bündelung der Ressourcen ist die Aktivierung der Quartiersbevölkerung ein
zentrales Strukturelement des Programms. Die Beteiligung und Aktivierung der
Quartiersbevölkerung am Stadtteilentwicklungsprozess soll über das Instrument des
Quartiersmanagements umgesetzt werden. Häufig, so die Evaluation des Deutschen Instituts
für Urbanistik (vgl. Difu 2002c: 47), orientieren sich die ModeratorInnen in ihren Methoden und
Instrumenten jedoch an der Mittelschicht. Die Arbeit in den Beteiligungsgremien wie
Stadtteilkonferenzen oder Stadtteilforen steht vor der Schwierigkeit, dass viele Menschen,
insbesondere Familien mit Migrationshintergrund, Langzeitarbeitslose, Jugendliche und alte
Menschen es nicht gewohnt sind, ihre Interessen in größerem Kreise zu artikulieren und oftmals
nicht ernst genommen werden. Um die „richtige Sprache“ zu sprechen, sollten die
Lebenssituationen der in Beteiligungsverfahren Unterrepräsentierten besser bekannt sein.
Darüber hinaus ist es für die VertreterInnen des politisch-administrativen Systems immer noch
schwierig, Macht und Entscheidungskompetenzen in stärkerem Maße auf die Quartiersebene
zu verlagern. Die Einrichtung von Quartiersfonds im Berliner Quartiersmanagementkonzept ist
ein Schritt in diese Richtung. Dort haben ausgewählte BewohnerInnen die Möglichkeit über die
Vergabe von etwa € 500.000 (Etat für zwei Jahre) an Initiativen und Projekte im Stadtteil zu
diskutieren und zu entscheiden.
Das Programm „Soziale Stadt“ spiegelt in Teilbereichen Elemente der von Bundeskanzler
Schröder eingeforderten „Erneuerung des Sozialstaates“ wider. Der Umbau staatlichen
Handelns zum „aktivierenden Staat“ hat als Leitidee, die Menschen zu aktivieren und sie in die
Selbstbestimmung zu führen. Kernelement der veränderten sozialstaatlichen Programmatik ist
eine sozialpolitische Förderung und Forderung verantwortungsbewusster Subjekte. Daher
werden als zentrale Impulse des Programms „Soziale Stadt“ benannt:
„soziale Impulse durch Verbesserung der Wohnverhältnisse, Unterstützung des sozialen
Miteinanders, Wiederherstellung von gemischten Bewohnerstrukturen, Schaffung von mehr
Sicherheit im öffentlichen Raum, Verbesserung des Infrastrukturangebotes; ökologische
Impulse durch ökologisches Planen, Bauen und Wohnen; partizipatorische Impulse durch
Entwicklung und Nutzung der Initiativen der Bewohner zur attraktiven Quartiersgestaltung“
(Klimmt 2000).
Quartiersmanagement: Zwischen Leerformel neuer Steuerungsstrategie und Instrument
für eine sozialintegrative Quartiersentwicklung
Das Instrument des Quartiermanagements wird in der sozialintegrativen Stadt(teil)entwicklung
im Rahmen des bundesdeutschen Programms „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf
– die Soziale Stadt“ als eine zentrale Organisationsform propagiert und diskutiert. Es soll
Impulse für ein verändertes Verwaltungshandeln ebenso wie für eine partizipativ engagierte
Stadtteilarbeit liefern. Die Bedeutung dieser Diskussionen findet ihren Ausdruck in zahlreichen
wissenschaftlichen und politikberatenden Publikationen und Dokumentationen von Kongressen
31
zum Quartiersmanagement in DeutschlandP
P.
31
TP
PT Einige
der zentralen Publikationen sind: Alisch 1998, Alisch & Dangschat 1998, ILS 2000, Difu 2001, Grimm et al.
2001, Schader-Stiftung 2001, Alisch 2002, Franke & Grimm 2002, Burgers et al. 2003, Krummacher et al. 2003.
57

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
In nahezu allen Programmen zur sozialintegrativen Stadt(teil)entwicklung wird
Quartiersmanagement als ein strategischer Ansatz für die Umsetzung einer integrierten
32
Stadtentwicklungspolitik gefordert. Wenn auch die Begrifflichkeit teilweise variiertP
P und neu
klingt – die Anlehnung an den Managementbegriff aus dem Unternehmensbereich drückt eine
gewisse Modernität und Effektivität aus – so wird die Frage der Zielsetzung, der
Aufgabenfelder, des Gebietszuschnittes und der Finanzierung teilweise unterschiedlich
beantwortet und kontrovers diskutiert.
„Generell ist Quartiersmanagement ein strategischer Ansatz zum systematischen Aufbau
selbsttragender und nachhaltig wirksamer personeller und materieller Strukturen zur Entwicklung
eines Wohnquartiers durch den gezielten Einsatz vorhandener kommunaler
Ressourcen, der in die gesamtstädtische Entwicklungspolitik integriert und bereichsübergreifend
angelegt ist. Allgemein sollen durch die Einrichtung eines Quartiermanagements
Strategien und Akteure der Quartiersentwicklung integriert, vernetzt, ökonomische und
soziale Entwicklungsmaßnahmen miteinander verknüpft sowie die Handlungsmöglichkeiten
und -kompetenzen der Bewohnerschaft gestärkt werden. …In diesem Rahmen (der
integrierten Handlungskonzepte’) übernimmt das Quartiersmanagement Aufgaben der
Bewohneraktivierung, Stadtteilkoordination (z.B. Aufbau von Kooperationen auf
gesamtstädtischer und Stadtteilebene), Projektinitiierung, Mittelakquisition, Öffentlichkeitsarbeit
und ErfolgskontrolIe/Berichterstattung. Es ist die antreibende Kraft’ vor Ort“ (Franke &
Löhr 2002: 2).
Mit der Implementierung eines Quartiersmanagements auf lokaler Ebene werden in der Regel
drei Aufgabenbereiche verbunden:
• Die Koordination der sozialen Stadtentwicklung vor Ort,
• die BewohnerInnenbeteiligung und Aktivierung sowie
• die Projektinitiierung bzw. -entwicklung.
Quartiersmanagement wird als der Schlüssel zur Umsetzung des Programms „Soziale Stadt“
angesehen. Quartiersmanagement kann als „strategischer Ansatz zum systematischen Ausbau
von selbsttragenden sowie nachhaltig wirksamen personellen und materiellen Strukturen zur
Entwicklung eines Quartiers“ (Difu 2002a: 37) charakterisiert werden. Dabei geht es um die
horizontale Vernetzung von Ressorts und deren gebietsbezogenen Maßnahmen auf
kommunaler Ebene. Es soll eine Steuerung der kommunalen Ressourcen in Abstimmung mit
den zuständigen Fachbereichen und Ämtern erfolgen.
Bei den AkteurInnen vor Ort, die bei den Maßnahmen und Projekten miteinander kooperieren
und vernetzt werden sollen, lassen sich folgende Gruppen benennen:
32
TP
PT So
• Verwaltung,
• BewohnerInnen und BewohnerInnengruppen wie Nachbarschaftsnetzwerke,
•
Stadtteilgruppen, Interessengemeinschaften,
Kulturelle, religiöse und sonstige Vereine,
• Sanierungsbeiräte, MieterInnenbeiräte, Präventionsräte, Jugendräte,
• Lokale Gewerbetreibende, lokale Einzelhandelsverbände,
• VertreterInnen der Wohnungswirtschaft,
• Parteien, Bezirksfraktionen und
• Lokale Agenda 21 Gruppen.
werden die Begriffe „Stadtteilmanagement“, „Quartier(s)management“ – oder in Wien – „Grätzelmanagement“
nahezu synonym verwendet.
58

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Für eine erfolgreiche Umsetzung ist ein neues Politikverständnis Voraussetzung, das „sich
gegenüber eher informellen Verfahren und Konzepten öffnet, auf Routinen verzichtet sowie den
Eigenwilligkeiten und Verhaltensmustern, den bürgerlich-bürokratischen Vorstellungen teilweise
widerspricht und sich mit ihnen auseinandersetzt“ (Becker & Löhr 2000: 140).
Durch die Einrichtung eines Quartiersmanagements sollen Strategien und Akteure der
Quartiersentwicklung integriert und vernetzt, ökonomische und soziale Entwicklungsmaßnahmen
miteinander verknüpft sowie Handlungsmöglichkeiten- und Kompetenzen der
Bewohner gestärkt werden. Aufgaben sind Stadtteilkoordination, BewohnerInnen-Aktivierung,
Projektinitiierung, Bündelung, Öffentlichkeitsarbeit und Erfolgskontrolle.
Franke & Grimm (2002: 7-13) stellen die Funktionsbereiche des Quartiersmanagements auf
drei Ebenen dar:
• Auf der Verwaltungsebene wird ein Gebietsbeauftragter eingesetzt, der die horizontale
Vernetzung der Ämter, Steuerungsaufgaben der Maßnahmen, Finanzplanung und die
Evaluierungsverantwortung übernimmt.
• Auf der intermediären Ebene wird vorgeschlagen einen Gebietsmoderator, der die
Vernetzung zwischen „Verwaltungs“- und „Lebenswelt“ und die Vernetzung zwischen
Verwaltung, Politik, Wirtschaft und zivilgesellschaftlichen Strukturen übernimmt.
• Auf der Quartiersebene wird ein Vor-Ort Büro eingerichtet, in denen ein bis zwei
QuartiersmanagerInnen die Vernetzung mit lokalen AkteurInnen, die Aktivierung und
Beteiligung der Quartiersbevölkerung, sowie die „Schlichtung von Interessenskonflikten in
der Nachbarschaft“ gestalten.
Die Idee einer gebietsbezogenen und sozial engagierten Quartiersarbeit ist jedoch keineswegs
neu, sondern baut auf historischen Wurzeln der sozialen Arbeit insbesondere der
33
Gemeinwesenarbeit in DeutschlandP
P sowie auf den Erfahrungen der Stadtplanung im Rahmen
der „behutsamen Stadterneuerung“ auf.
Hinte (2004) vollzieht die Entwicklung eines sozialräumlichen Ansatzes in den letzten 25 Jahren
über die Stationen Gemeinwesenarbeit, stadtteilbezogene soziale Arbeit und schließlich
Quartiersmanagement nach. Kern des Quartiersmanagements ist seiner Meinung nach die
Vermittlung zwischen der Lebenswelt der Menschen in den Wohnquartieren und der Welt der
Bürokratie. Für ihn geht es um „Kommunikation, Ideenproduktion sowie Organisation von
Menschen und Ressourcen.“
Politisch-programmatisch soll das Quartiersmanagement die Spaltung der Lebensräume
aufhalten, die sozialräumliche Segregation abschwächen und die Lebenswelt der
BewohnerInnen benachteiligter Stadtquartiere verbessern. Die Mittel der sozialen Arbeit, der
Armutsbekämpfung und der städtebaulichen Erneuerung sollen mit dieser Organisations- und
Handlungsstruktur effektiver eingesetzt, aber auch reduziert werden. Das
Quartiersmanagement soll politische und administrative Strukturen schaffen, die flexibel,
kooperativ, aktivierend, integrativ, aber eben auch dereguliert sind. Im Grunde werden die
Erfahrungen aus der Gemeinwesenarbeit und der „behutsamen Stadterneuerung“ – die meist
mit Widerspruchsgeist, urbaner Opposition und Gesellschaftskritik in den 1980er Jahren
verbunden waren – für die Politik der sozialen Stadterneuerung nutzbar gemacht und
weiterentwickelt.
33
TP
PT Das
Konzept der „stadteilbezogenen Sozialarbeit“ der 1980er Jahre und der „Gemeinwesenarbeit“ als Arbeitsprinzip
sind ausführlich bei Boulet et al. (1980), Alisch (1998) und Hinte (1998) erläutert.
59

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
„Quartiersmanagement als strategisches Instrument garantiert für sich genommen noch
keine sozialintegrative Politik zur Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung in benachteiligten
Stadtteilen. In Abhängigkeit von den politisch gesetzten Leitzielen der Kommunalpolitik,
der Steuerungsphilosophie von Politik und Verwaltung sowie der Umsetzung „vor Ort“ kann
Quartiersmanagement genauso als Spar- und Befriedungsstrategie und als Instrument zur
Kolonisierung und weiteren Ausgrenzung durchsetzungsschwacher Minderheiten im
Stadtteil genutzt werden“ (Krummacher et al. 2003: 202).
Analysiert man das Quartiersmanagement als ein Element der Bemühungen um die Etablierung
eines neuen Governance-Modells im Rahmen von Modernisierungen des Sozialstaates und der
Verwaltungsorganisation, so zeigen sich drei Kernthemen, die auch der theoretischen
Begründung des Quartiersmanagements zugrunde liegen:
34
TP
PT Neben
P
• Die politisch gestaltenden Möglichkeiten des Nationalstaates im Feld der Arbeitsmarkt-,
Wohnungsmarkt- und Sozialpolitik sind seit den globalen Umstrukturierungsprozessen in
Wirtschaft und Gesellschaft in den 1980er Jahren geringer geworden und unter enormen
Druck geraten. Die sozialdemokratisch geführte Regierung in Deutschland hat mit dem
Konzept des „aktivierenden Sozialstaates“ ein Steuerungsmodell eingeführt, das
Aufgaben und Verantwortlichkeiten zunehmend auch an die Individuen abgibt und ihnen
mehr Eigeninitiative, Selbstverantwortung und Spielraum ermöglicht bzw. aufzwingt. Die
BürgerInnen sollen in die Lage versetzt werden, mehr Verantwortung für sich und das
Gemeinwesen zu übernehmen. Die staatlichen und städtischen Strategien zur
Bekämpfung von sozialer Ausgrenzung und Armut werden in einer Kombination aus
„gesellschaftlicher Selbstregulierung“ und neuem „Steuerungsmodell der Verwaltungsmodernisierung“
umgesetzt. Die Debatten um das Quartiersmanagement zeigen
diesen Spagat auf.
• Die größeren Städte sind im Rahmen der globalen Veränderungen in der
Wirtschaftsstruktur und auf dem Arbeitsmarkt in immer stärkerem Ausmaß territorialen
und sozialräumlichen Disparitäten und Ungleichheiten ausgesetzt. Die Bedeutung des
städtischen Raumes im Verteilungskampf um Arbeitsplätze, um gute und bezahlbare
Wohnungen, um moderne Infrastruktureinrichtungen sowie um das Aufenthaltsrecht im
öffentlichen Raum hat zugenommen. Insofern lässt sich eine „Verräumlichung“ von
34
Stadtpolitik feststellen, die der Bedeutung des QuartiersP eine zentralere Stellung im
vertikalen Verwaltungsgefüge einnimmt. In der Folge werden soziale Arbeit, städtische
Verwaltungsstrukturen und Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer
Ausgrenzung verräumlicht und stärker über einen Gebietsbezug umgesetzt. Das Quartiersmanagement
ist genau dieser territorialen Spannung zwischen lokalen
•
Quartiersproblematiken und der gesamtstädtischen Politikstrategie angesiedelt.
Die Veränderungen durch die technischen Möglichkeiten der Kommunikations- und
Informationsweitergabe und -vermittlung haben im Dienstleistungsbereich und in der
Verwaltung zu neuen Handlungsformen geführt und Aushandlungsprozesse haben
hierarchische Strukturen neu geordnet. Die Stichwörter lauten: Vernetzung, Kooperation,
Koordination. In der Debatte um gesellschaftliche Steuerungsstrategien wurde diese
Entwicklung mit dem Sachverhalt des Neokorporatismus thematisiert, später dann als
Kooperation oder Netzwerkbildung (Mayntz 1997). Der Steuerungsansatz des
den stadtteilspezifischen Strategien der Armutsbekämpfung hat die Aufwertung der Innenstädte im Zuge der
Wettbewerbsorientierung der Städte eine ebenso große Bedeutung; diese im Zuge einer „Festivaliiserung“ (vgl.
Häußermann & Siebel 1993) staatlich geförderte Gentrification bildet das komplementäre Bild zu den Interventionen
in den Armutsgebieten; damit zeigt sich nicht nur die Widersprüchlichkeit gegenwärtiger Stadtentwicklung, sondern
weist auch auf die „hausgemachten“ Polarisierungstendenzen der Städte selbst hin (vgl. Dangschat 1994).
60

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Quartiersmanagements versucht, genau diese Vernetzung und Koordination zwischen
sozialer Arbeit und Stadtplanung, zwischen BürgerInnen und BewohnerInnen im Quartier
und der städtischen Verwaltung, zwischen privaten AkteurInnen der Wohnungswirtschaft
und den politisch Verantwortlichen der Stadterneuerung zu erreichen.
Das bundesdeutsche Programm „Soziale Stadt“ wird – nach gewissen Evaluierungsschritten im
Rahmen der Projektbegleitung durch das difu (2002c) – gegenwärtig erstmals grundlegend
evaluiert. Insofern können hier noch keine genauen Aussagen über Wirkungen und Effekte
dieser politischen Strategie zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Städten
getroffen werden. Man kann jedoch davon ausgehen, dass vor dem Hintergrund der nationalen
und städtischen Entwicklungen in Richtung einer verstärkt marktförmigen Steuerung von
Wohnraum und einer Privatisierung von öffentlichen Aufgaben unter dem fiskalischen Zwang
der kommunalen Haushalte die zunehmende Armut und soziale Ausgrenzung sich nicht mit
einer „Quartierspolitik“ steuern lassen. Es ist offensichtlich, dass die Folgen des
sozialökonomischen Wandels nicht nur dort, wo die negativen Auswirkungen wie Armut,
Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung räumlich sichtbar werden, bekämpft werden können. In
den „abgehängten Quartieren“ konzentrieren sich Problemlagen, die von gesellschaftlichen Entwicklungen
außerhalb der Quartiere verursacht sind. Massenarbeitslosigkeit, unzureichende
Einwanderungspolitik, Rassismus, Zurückschrauben von sozialen Transferleistungen
manifestieren sich in sozialräumlichen Ungleichheiten, können aber kaum grundlegend mit
einer quartiersbezogenen Politik bekämpft werden.
Integrierte Handlungskonzepte: Kernelement der Sozialen Stadtentwicklung in
Deutschland
Integrierte Entwicklung und Planung haben sich mittlerweile in Deutschland als Kernbegriffe in
der Stadt(teil)entwicklung herauskristallisiert. So wird dem integrierten Handlungskonzept bei
der Entwicklung von „Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“ zentrale strategische
Bedeutung im Rahmen des Programms „Soziale Stadt“ beigemessen. Sie werden als „flexibler
Orientierungsrahmen“ und strategisches Instrument einer sozial orientierten
Stadterneuerungspolitik eingesetzt.
Dass Bund und Länder dem integrierten Handlungskonzept für die Umsetzung des Programms
„Soziale Stadt“ eine große strategische Bedeutung beimessen, wird in der von ihnen
beschlossenen Verwaltungsvereinbarung in Artikel 2, Absatz 6 deutlich:
„Die Probleme der Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf sind mit einem integrierten
Konzept im Sinne einer ganzheitlichen Aufwertungsstrategie in einem umfassenden
Zusammenhang zielgerichteter sozialer und ökologischer Infrastrukturpolitik anzugehen. [...]
Maßnahmebegleitend ist ein auf Fortschreibung angelegtes gebietsbezogenes integriertes
stadtentwicklungspolitisches Handlungskonzept durch die Gemeinden aufzustellen. Das
Handlungskonzept (Planungs- und Umsetzungskonzept sowie Kosten- und Finanzierungsübersicht)
soll zur Lösung der komplexen Probleme zielorientierte Lösungsansätze
aufzeigen, alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele – auch die anderer Bau- und Finanzierungsträger
– erfassen sowie die geschätzten Ausgaben und deren Finanzierung darstellen“
(Verwaltungsvereinbarung 1999: 10).
Auch der Leitfaden zur Ausgestaltung der Gemeinschaftsinitiative „Soziale Stadt“ verlangt
integrierte Handlungskonzepte als „offene Rahmenplanung“, die „von den örtlichen Akteuren –
den Bewohnern, den Gewerbetreibenden, den Grundstückseigentümern, den örtlichen
Institutionen – während des Stadtteilentwicklungsprozesses mit möglichst viel Eigeninitiative
auszufüllen sind“ und die in den Kosten- und Finanzierungsübersichten „den notwendigen
61

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
gebündelten Mitteleinsatz aus unterschiedlichen privaten und öffentlichen Haushalten
widerspiegeln“ müssen (Argebau 1996: 4).
Darüber hinaus präzisieren einzelne an dem Programm teilnehmende Länder organisatorische
und inhaltliche Aspekte und Anforderungen an die Städte und Gemeinden als Kriterien für die
Förderfähigkeit.
Integrierte Handlungskonzepte: Mit welcher Zielsetzung?
Bausteine integrierter Handlungskonzepte sind
• „die Identifizierung von Problemen und Potenzialen sowie die Klärung von
•
Handlungsbedarfen
„die Formulierung von Leitvorstellungen oder Leitbildern und von Zielen sowie den daraus
abgeleiteten Maßnahmen und Projekten
• „die Überlegungen zur Umsetzungsprogrammatik und zur Bündelung möglicher
Finanzierungsquellen“
• sowie eine „Evaluierung der Programmsetzung als unabdingbarer Bestandteil“ (Becker et
al. 2003: 80 ff).
Weiter bemerken die Autorinnen: „Bei den 164 Programmgebieten, für die Angaben zu den
Bausteinen ihrer Integrierten Handlungskonzepte gemacht wurden, dominieren als
Konzeptbestandteile Aussagen zu Strategien, Maßnahmen und Projekten, zu Leitlinien und
Entwicklungszielen sowie Struktur-, Problem-, und Potenzialanalysen. Jeweils für etwa drei
Viertel der Konzepte sind außerdem noch die Begründung für die Gebietsauswahl, Konzepte zu
Organisation, Management und Projektsteuerung sowie zu Aktivierung und Beteiligung
vorhanden. (...) Lücken werden bisher noch bei den Vorschlägen zur begleitenden Evaluierung
sichtbar. Das Schlusslicht bilden Aussagen zur Geschlechtergleichstellung (Gender
Mainstreaming)“ (Becker et al. 2003: 83).
Integrierte Handlungskonzepte sollen ressortübergreifend erarbeitet und (sozial-)raumorientiert
ausgerichtet sein und verstehen sich als Strategie- und Koordinierungsinstrumente für eine
erfolgreiche Stadtteilentwicklung. Dem Anspruch des ressortübergreifenden und
sozialraumorientierten Handelns als Grundvoraussetzung für eine positive Stadtteilentwicklung
liegen zwei Erkenntnisse zu Grunde:
• Ein nicht bzw. zu wenig am Ort orientiertes Handeln von Politik und Verwaltung in den
Städten über längere Zeiträume hinweg hat eine Kumulation von negativen
•
Teilentwicklungen in bestimmten Stadtteilen bewirkt, die zu einer umfassenden
Überlastung geführt haben.
Die Problemlagen in diesen Stadtteilen sind so vielschichtig und komplex, dass sie mit
Hilfe sektoralen, ressortzentrierten Verwaltungshandelns nicht gelöst werden können.
Dies bedeutet, dass die Zuschnitte der Verwaltungsressorts nicht mit den vielschichtigen
Problemlagen vor Ort übereinstimmen und eine positive resp. eine die negative Entwicklung
stoppende Strategie nur über ressortübergreifendes, integriertes Handeln erreicht werden kann.
Nicht die Probleme sollen weiterhin entlang der Ressortgrenzen zugeschnitten werden, sondern
die ressortübergreifende Arbeit soll an die Problemlagen im Quartier angepasst werden.
Weiterhin gilt es, die Verwaltung näher an die Lebenswelt der Menschen heranzuführen. Dies
kann nur erreicht werden, wenn die Verwaltung viel stärker ortsorientiert agiert und bei der
Problemlösung direkt an die Lebenswelt vor Ort anknüpft. Dazu müssen neue flexible,
62

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
problemorientierte Verwaltungsstrukturen und Bearbeitungsformen entwickelt werden, die sich
an modernem Management orientieren (New Public Management) und sich gleichzeitig
gegenüber anderen AkteurInnen öffnen.
Somit sind integrierte Handlungskonzepte und deren Steuerungsmodelle nach Boos-Krüger
(2002: 2) „ein originäres Thema der Verwaltungsmodernisierung und Verwaltungsreform“ und
können aufgrund des hohen Handlungsdrucks in den entsprechenden Stadtteilen einerseits
Impulse für Verwaltungsmodernisierung geben, andererseits ideale Prüfsteine für die Effizienz
von neuen Steuerungsmodellen sein, da Erfolg und Misserfolg in kurz- bis mittelfristigen
Zeitspannen überprüft werden können.
Sauter (2002) unterstreicht in diesem Zusammenhang die Wichtigkeit der Outcome-
Orientierung (Wirkung) einer bisher weitgehend von Kriterien des Inputs (Ressourcen)
geleiteten Verwaltung, wie sie auch aus Diskursen über Verwaltungsmodernisierung und neuen
Steuerungsmodellen bekannt ist. Demnach unterscheidet er zwischen drei Bezugsebenen
„Planung“, „Handlung“ und „Resultat“ integrierter Handlungskonzepte für die jeweils
differenzierte Aussagen zu machen sind. Auf der Ebene der Planung sind Ziele, Strategien und
Indikatoren zu definieren. Von wem und auf welchem Wege die angestrebten Ziele erreicht
werden sollen, ist auf der Ebene „Handlung“ angesiedelt und beinhaltet die Frage nach den
benötigten Ressourcen (Input) und den notwendigen (Verwaltungs-)leistungen (Output). Das
Resultat resp. die Wirkung und die Ergebnisse, also die erreichten Veränderungen im Programmgebiet
(Outcome) sind das entscheidende Kriterium über den Erfolg des
Gesamtprogramms und seiner Maßnahmen und Projekte und werden über Evaluation und
Controlling gemessen. Daher sind ein Monitoring und die Definition von geeigneten Indikatoren
essentielle Bestandteile integrierter Handlungskonzepte genauso wie die laufende
Rückkoppelung zwischen den einzelnen Bezugsebenen.
Ein stärker mit den Lebenswelten im Stadtteil abgestimmtes ressortübergreifendes und
ortsbezogenes Verwaltungshandeln bedeutet natürlich auch, den unterschiedlichen
„Geschwindigkeiten“, mit denen Stadtteil und Verwaltung arbeiten und agieren, Rechnung zu
tragen. Flachere Entscheidungshierarchien, die Delegation von Entscheidungsbefugnissen
nach außen und unten, größere Flexibilität und Eigenverantwortung für die MitarbeiterInnen im
Rahmen einer modernen Personalentwicklung innerhalb der Verwaltung sowie die Ergänzung
tendenziell starrer und schwerfälliger formeller und gesetzlich geregelter Prozesse der
Entscheidungsfindung durch informelle und flexible Entscheidungsnetzwerke werden
zunehmend notwendig.
Problemlagen und Handlungserfordernisse in „Stadtteilen mit besonderem Entwicklungsbedarf“
verlangen nicht nur baulich-räumliche Aufgaben, sondern Handlungsfelder übergreifende
Maßnahmen und Projekte, die über die baulich-städtebaulichen Aufgaben der traditionellen
Stadterneuerung hinausgehen.
Daraus folgt, dass die wesentliche Aufgabe integrierter Handlungskonzepte die ortsbezogene
Verknüpfung von städtebaulichen, infrastrukturellen, sozialen, ökonomischen und kulturellen
und umweltbezogenen Aktivitäten ist. Querschnittsorientierung ist daher ein wesentliches
Merkmal integrierter Stadtentwicklung.
63

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
2.4.4 Lernen aus den Erfahrungen mit dem bundesdeutschen Programm
„Soziale Stadt“
Das bundesdeutsche Programm „Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf – die Soziale
Stadt“ stellt eine Weiterentwicklung der Städtebauförderung dar. Die traditionellen investiven
Strategien der (baulichen) Erneuerung wie Modernisierung und Instandsetzung werden ergänzt
durch Maßnahmen im sozialen, ökonomischen und kulturellen Bereich:
• Eine Neuorientierung in der Städtebauförderung bedeutet eine stärkere Einbeziehung des
privaten Sektors und eine horizontale wie vertikale Vernetzung von Fachpolitiken. Im
Rahmen des Programms werden Mittel und Instrumente gebündelt.
•
Beschäftigungsinitiativen, Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, Förderungen des lokalen
Gewerbes, Existenzgründungen, Wohnungsbau- und Stadterneuerungspolitiken werden
aufeinander bezogen. Auf lokaler Ebene wird eine integrative Strategie umgesetzt, die
eine „Bündelung verfügbarer Ressourcen und Programme“ zum Ziel hat.
Das Programm „Soziale Stadt“ ist ein „Anreizprogramm“, um Ressortdenken und -
grenzen zu überwinden. Es wurde als Pilotprogramm für die Verwaltungsmodernisierung
konzipiert, da – so die These – die Probleme von Armut und sozialer Ausgrenzung nur in
ihrer vielfältigen und komplexen Auswirkung in einem ressort- und sektorübergreifendem
Vorgehen gelöst werden können.
• Die Diskussionen über das Programm „Soziale Stadt“ haben zu einer erhöhten
Aufmerksamkeit in Politik und Verwaltung geführt. Armut und soziale Ausgrenzung sind in
ihren Auswirkungen und Problemlagen stärker in das Bewusstsein von lokalen
PolitikerInnen und VerwaltungsbeamtInnen verankert worden. Es wurde über den Begriff
„integrierte Stadtteilentwicklung“ ein Bewusstsein dafür geschaffen, dass die
•
„abgehängten Stadtteile“ wieder in die Gesamtstadt zu integrieren sind. Das Leitbild der
„Sozialen Stadt“ bezieht sich auf die Stadt als Ganzes.
Ziel des Programms ist es, den Krisenphänomenen der sozialen Entmischung
entgegenzuwirken und Strategien der Reintegration zu entwickeln. Das Programm trägt
damit der besonderen Bedeutung des Quartiers zur Bewältigung schwieriger
Lebensumstände Rechnung. Dem Quartier kommt besonders für benachteiligte und
ärmere Bevölkerungsgruppen, die ein stark an die Wohnumgebung gebundenes Leben
führen, eine große Bedeutung zu. Das Quartier dient als soziales Netz und wird damit zu
einer Ressource und Integrationsinstanz, die es zu stärken gilt.
Der grundlegende Mangel des Programms „Soziale Stadt“ besteht darin, dass Entwicklungen,
aufgrund derer sich benachteiligte und benachteiligende Quartiere herausbilden, nicht zum
Gegenstand der Politik für eine sozial gerechte oder sozial integrative Stadt gemacht werden.
Dennoch soll daraus nicht abgeleitet werden, dass das bundesdeutsche Programm „Soziale
Stadt“ sinnlos oder überflüssig wäre. Um die Frage zu beantworten, was aus den deutschen
Programmen zur „sozialen Stadterneuerung“ gelernt werden kann, muss auch auf die föderale
Struktur dieses Politikansatzes hingewiesen werden. Die Wirkungen sind von Kommune zu
Kommune und von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich, da die Zielsetzungen jeweils
anders gewichtet werden.
64

2.4 RESÜMEE DER LÄNDERSTUDIEN
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Der internationale Vergleich macht deutlich, dass Armut und soziale Ausgrenzung dort noch
verhältnismäßig gering sind, wo der Arbeitsmarkt noch relativ stark reguliert ist und der
Sozialstaat intakt ist. Das gilt vor allem für Österreich, bedingt auch für Skandinavien und
Deutschland, während das einstige „Erfolgsmodell Niederlande“ gegenwärtig auch verstärkte
Probleme am Arbeitsmarkt zeigt.
Hinsichtlich sozio-ökonomischer Polarisierung und Segregation steht sicherlich Großbritannien
am schlechtesten da, auch wenn die nationale Wirtschaft innerhalb der vergangenen zehn,
zwölf Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten aufwies. Mit der neo-liberalen Politik wurde
die Arbeitsorganisation flexibilisiert und die Wirtschaft wettbewerbsfähig gemacht, jedoch um
den Preis, eine Reihe von VerliererInnen zu erzeugen – beispielsweise Stadtregionen wie
Liverpool ebenso wie bestimmte soziale Gruppen. Öffentliche Infrastrukturen und
Dienstleistungen wurden privatisiert – vieles wurde dabei selektiver, schlechter und teurer.
Daher stehen Themen wie ‚social exclusion’ und das Heranführen von „abgehängten“
Wohnquartieren an die gesamtstädtischen Entwicklungen in Großbritannien immer noch sehr
weit oben auf der politischen Agenda. In diesem Kontext wurden sehr viele Projekte zu den
‚area based initiatives’ durchgeführt, so dass man davon ausgehen kann, dass in Großbritannien
die breiteste und längst andauernde Erfahrung im Quartiersmanagement vorliegt
(vgl. Parkinson 1998).
In Frankreich wurde die (Mit-)Verantwortung der nationalen Politik dadurch berücksichtigt, dass
im Zuge der Dezentralisierung Verträge zwischen dem Nationalstaat, den Regionen und
Kommunen, aber auch öffentlichen Dienstleistern und Versorgungsbetrieben geschlossen
wurden, um in einer solidarisierenden Aktion die hohen Konzentrationen von Armut und den
daraus entstehenden Formen der sozialen Ausgrenzung bekämpfen zu können. Vor Ort sind
die Träger der Integrations-, Qualifikations- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen meist
Wohnungsbaugesellschaften und Vereine. Dennoch sind die Probleme der räumlichen
Konzentration sozialer Benachteiligung und Diskriminierung nach wie vor hoch und in starkem
Maße an soziale Gruppen, Wohnungsmarktsegmente, bestimmte Wohnsiedlungen,
städtebauliche und architektonische Muster gebunden.
In den Niederlanden wurden demgegenüber – basierend auf einer bereits schon sehr lange
bestehenden Kultur der Einbindung der Wohnbevölkerung und von Interessensgruppen in
lokale politische Entscheidungen – die größten Fortschritte im Bereich der Partizipation erzielt.
Eine Reihe von Fragestellungen und Problemlösungen, die das Leben und Arbeiten in
einzelnen Wohnquartieren betreffen, werden von Kommissionen entschieden, bei denen
gewählte BürgerInnen die Mehrheit haben – die lokale Politik und die kommunalen
Verwaltungen scheinen damit keine oder nur geringe Probleme zu haben.
In Deutschland wird das Quartiermanagement im Rahmen des „Soziale Stadt“-Programms
über Mittel des Nationalstaates, der Bundesländer und der Kommunen finanziert, die zwar
nominell aus mehreren Ressorts kommen (Anspruch an eine horizontale Integration), dennoch
überwiegend aus Mitteln der Stadterneuerung finanziert und von Stadtplanungsämtern und -
35
abteilungen strategisch betreut und in deren Auftrag umgesetzt wirdP
P. Der Erfolg dieser
35
TP
PT In
Hamburg hat es lange Streit zwischen Behörden darüber gegeben, wer die Federführung über das „Armutsbekämpfungsprogramm“
und das „Programm Soziale Stadtentwicklung“ (vgl. STEB 1999) haben sollte. Die
Stadtentwicklungsbehörde hat sich schließlich durchgesetzt, weil diese als „Querschnittsbehörde“ konzipiert und die
Interventionen vor allem gegen die geographische Konzentration von armen Menschen gerichtet war (vgl. Alisch &
65

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Interventionen ist gegenwärtig noch nicht ablesbar und muss vor dem Hintergrund des parallel
laufenden Um- und Abbau des Sozialstaates in Deutschland gesehen werden. Auch in
Deutschland sind Partizipationsstrukturen etabliert oder sog. „Verfügungstöpfe“ für die Vor-Ort-
Umsetzung eingerichtet worden, die von „intermediären Institutionen“ (Quartiersmanagement)
verwaltet, mehrheitlich bezüglich der Präferenzen des Einsatzes der Mittel jedoch von
gewählten BürgerInnen beschlossen werden.
Trotz häufig anders lautender Absichten, können mit den Strategien zur Bekämpfung von Armut
und sozialer Ausgrenzung, die auf die Gebiete mit hohen Konzentrationen armer und
benachteiligter Bevölkerungsgruppen gerichtet sind, meist nicht die Ursachen der Probleme
erreicht werden, sondern lediglich die Erscheinungsformen (als zu hoch empfundene
Konzentration „sozialer Problematik“ in einem Grätzel) mildern und einen Beitrag dazu leisten,
dass Armut nicht allzu stark zu sozialer Ausgrenzung führt. Die positiven Auswirkungen der
‚area based initiatives’ liegen hingegen vor allem in der Verbesserung der lokalen politischen
Kultur, einer Verstärkung der sozialen Netzwerke und im Empowerment einzelner
sozialer Gruppen.
In den Ländern,
• in deren Städten der AusländerInnen-Anteil rasch anstieg (meist aufgrund der Zuwanderungen
aus den ehemaligen Kolonien),
• die Segregation und Konzentration dieser Zugewanderten rasch „amerikanische Ausmaße“
annahm und
• es in den Großstadt-Agglomerationen zu erheblichen sozialen Unruhen und Ausschreitungen
kam,
wurde die gesellschaftliche Gesamtverantwortung für die Phänomene, die sich in spezifischen
Wohnungsmarktsegmenten und/oder an städtischen Orten zeigten und zuspitzten, zuerst
erkannt und entsprechende nationalen Programme etabliert.
In den so betroffenen Städten verabschiedete man sich daher von der Vorstellung, man
könne das Problem der Armut durch geschickte Umverteilung der Menschen innerhalb
der Großstadt-Agglomerationen lösen. Vielmehr intervenierte das politisch-administrative
System zunehmend an den Orten, an denen sich die städtebaulichen und sozialen Probleme
zeigten. TIm Extremfall resignierte man davor, innerhalb des Baubestandes angemessene
„soziale Verhältnisse“ (wieder-)herstellen zu können. In diesen Fällen wurden die „Problem“-
Gebäude gesprengt und abgerissen, um auf diese Weise die Belegungsproblematik, die
Symbolik des diskreditierten „Betonhochhauses“ resp. der Negativ-Zuweisungen zu gesamten
Siedlungen „auszumerzen“. In jüngster Vergangenheit, ist man in Großbritannien, Frankreich,
Niederlande und Ostdeutschland dazu übergegangen, obere Stockwerke der Hochhäuser in
Großsiedlungen abzutragen und teilweise unter Wiederverwendung der bereits vorhandenen
Materialien zweigeschossige Wohnhäuser in die Abstandsflächen zu bauen. Man erreichte
damit eine Nachverdichtung und eine soziale Aufwertung dieser Gebiete, weil man Mittelschicht-Familien
in den neuen Wohnstrukturen ansiedelte. Das bedeutet, dass das Image der
Orte aufgewertet werden konnte, kaum aber die Lebensbedingungen der Armutsbevölkerung
selbst; ein Teil von ihnen wurde hingegen durch die Maßnahmen aus ihren Wohnungen
verdrängt und damit auch die sozialen Netzwerke zerstört.T
Nahezu überall begann man die Interventionen mit Hilfe von städtebaulichen und
wohnungspolitischen „Reparaturmaßnahmen“ und hoffte so, die „Wunden der Gesellschaft“ zu
Dangschat 1998: 111-156).
66

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
heilen, was in der Regel misslang oder zumindest nicht in ausreichendem Maße die
gewünschten Effekte hatte.
Der langjährige Misserfolg dieser ausschließlich am Baubestand ansetzenden Strategien der
Bekämpfung der Armut und der Unterstützung der sozialen (Re-)Integration hat dazu
beigetragen, an diesen Orten völlig neue Formen der Steuerung (‚urban governance’) zu
entwickeln und damit einen innovativen Beitrag zur Verwaltungsmodernisierung zu leisten.
Seitens der Nationalstaaten und/oder Bundesländern/ Regionen wurden Programme initiiert, die
ebenenübergreifend (‚multi level governance’) sind und verschiedene Politikfelder und
Verwaltungsressorts integrieren (‚horizontal integration’), also „ganzheitlich“ resp. „integrativ“
angelegt sind. Ein wichtiger, zweiter Aspekt ist, dass der Kreis der beteiligten AkteurInnen
erheblich ausgeweitet wird und die Partizipationsansätze nicht beim Mitspracherecht enden,
sondern völlig neue institutionelle Formen und Gremien „erfunden“ werden, die sich mit
inhaltlicher Entscheidung, Umsetzung und Finanzierung befassen. Ein dritter Aspekt der Veränderungen
ist, dass die Entwicklung dieser Gebiete in gesamtstädtische und regionale
Entwicklungskonzepte eingebunden wird.
Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Trends der Orientierung der Politik der EU und der
meisten Nationalstaaten an neo-liberalen Zielen besteht die Herausforderung für die Städte als
Orte des Sichtbar-Werdens, aber auch der Mit-Verursachung der gesellschaftlichen
Polarisierungen vor allem auch darin, die lokalen Bedingungen so zu gestalten, dass die
Ursachen von Armut und sozialer Ausgrenzung erkannt und deren Folgen abgemildert werden.
Mit den in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Politikfeldern (das sind meist: Sozial- und
Gesundheitspolitik, Bildungspolitik, Arbeitsmarkt- und Qualifizierungspolitik, Stadtentwicklungs-,
Stadterneuerungs- und Wohnungspolitik) soll zudem einen Beitrag dazu geleistet werden, dass
Armut und Armutsrisiken (als Kategorien des zu geringen resp. unsicheren Einkommens) nicht
zur sozialen Ausgrenzung führen, oder diese zumindest so gering wie möglich gehalten
werden.
Die in den untersuchten europäischen Ländern entwickelten Städtestrategien zielen
insbesondere auf „Befähigungsstrategien“ (Empowerment, Help-for-self-help) und auf
Ansätze, die (problem)gebietsbezogen sind (‚area-based initiatives’). Das ist zwar einerseits
begrüßenswert, es bedeutet jedoch in vielen Fällen auch, dass parallel dazu die stadtweite
Zielsetzung der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit, der Ursachen von Sozialhilfebezug und zu
geringer Einkommen an Bedeutung verlieren.
Statt der Bekämpfung der Ursachen von Armut wird das Schwergewicht vor allem auf jene
Strategien gelegt, welche verhindern (sollen), dass sich die bestehende Armut als soziale
Ausgrenzung auswirkt – einerseits möchte man damit den von Armut Betroffenen helfen,
andererseits befürchtet man vor allem „Quartierseffekte“, d.h. dass die Konzentration von Armut
die soziale Problematik verstärkt und entweder vor Ort negativ wirksam wird oder auf andere
städtische Teilgebiete „durchschlägt“.
Bei den Evaluationen und Einschätzungen dieser Strategien und Umsetzungsprozesse ist
darüber hinaus zu wenig beachtet worden, dass die Städte selbst durch die Strategien mit
denen sie ökonomische Wettbewerbsfähigkeit stärken und die Standortsicherung betreiben,
auch Prozesse erzeugen, welche die Armutsentwicklung resp. die räumliche Konzentration
von Armut verstärken. Durch die Forcierung der Modernisierungsgeschwindigkeit und
die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte entstehen Risiken der Präkarisierung von Erwerbsarbeit,
die von einem sich tendenziell zurückziehenden Sozialstaat zunehmend weniger aufgefangen
werden (können). In diesem Bereich gibt es jedoch zu wenige fundierte Kenntnisse über
67

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Zusammenhänge und die Bedeutsamkeit von Übergangsphasen, wie die gegenwärtige. In
jedem Fall – und hier besteht in nahezu allen untersuchten Städten Nachholbedarf – sollten
gebietsbezogene Politikstrategien im Vorfeld der Implementierung von Programmen gegen
Armut und soziale Ausgrenzung mit zielgruppenorientierten, sektoralen Politikstrategien
abgestimmt werden.
Wenn sich das politisch-administrative System darauf beschränkt, die befürchteten negativen
Auswirkungen aus der (zu hohen) Konzentration an sozial Benachteiligten abzumildern und
„kleinzuarbeiten“, wird Armut nicht geringer werden. Da zudem der Zusammenhang aus
zusätzlicher Beschleunigung der Modernisierung der lokalen Wirtschaftsstruktur und der
Zunahme an Armut und sozialer Ausgrenzung meist nicht gesehen werden soll und daher
ausgeblendet wird, erzeugen oder verstärken die gängigen Standort- und Wettbewerbspolitiken
oftmals gerade jene Armut, welche die Städte andererseits mit den neuen Strategien zu
„bekämpfen“ versuchen.
36
In den vorhandenen EvaluationenP
P wird immer wieder hervorgehoben, dass diese auf
spezifische Stadtteile gerichteten Städtestrategien einen positiven Beitrag geleistet haben:
• zur Verbesserung der Ausstattung von sozial benachteiligten Gruppen vor allem mit
Selbstbewusstsein, kommunikativer Kompetenz und Kenntnis ihrer Möglichkeiten,
• zur besseren (Wieder-)Eingliederung von benachteiligten Bevölkerungsgruppen in den
regulären Arbeitsmarkt,
• zur Re-Integration der Gebiete in die Gesamtstadt oder Stadtregion,
• zur Verbesserung der Kooperation zwischen Verwaltungsabteilungen,
• zur Erhöhung der Effizienz des Verwaltungshandelns und
• zur Demokratisierung von bestehenden Systemen.
Wie die Vergleiche der von uns untersuchten europäischen Länder zeigen, haben die
städtischen Institutionen die Ausweitung und räumliche Konzentration Armut innerhalb der
letzten 20 Jahre jedoch kaum verhindern können resp. zu wenig getan, um diese zu verhindern.
Es sind jedoch eine Fülle innovativer Strukturen und Prozesse entwickelt worden, mit
welchen die negativen Auswirkungen von Armut, insbesondere die sozial ausgrenzenden
Auswirkungen von Armut zumindest abgeschwächt wurden. Damit konnten die Lebensqualität,
die lokalen ökonomischen Verhältnisse und das Selbstwertgefühl der von Armut betroffenen
resp. der in den Konzentrationsgebieten von Armut lebenden Menschen zwar stabilisiert und
verbessert, aber die Armut nicht verringert werden.
Ein weiterer Faktor, der von allen wissenschaftlichen Reports als zentral angesehen wird, der in
der Regel aber meist noch unzureichend umgesetzt ist, ist die strategische Verantwortung
der Gebietskörperschaften. Schon Parkinson hat im Rahmen einer europaweiten Vergleichsstudie
folgende Schlussfolgerungen gezogen:
„Die Forscher kommen zu dem Ergebnis, dass Erfolg und Misserfolg der europäischen Ansätze
davon abhängen, dass
- die zentralen Verwaltungseinheiten ortsbezogen stärker einvernehmlich zusammen
arbeiten,
- stadtweite Partnerschaften einen formellen Status erhalten,
36
TP
PT In Deutschland und Österreich stehen genaue Evaluationen der durchgeführten Programme noch aus.
68

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
- regionale Entwicklungsgesellschaften Möglichkeiten eingeräumt bekommen, die
jeweiligen Maßnahmen und Politiken der zentralen Verwaltungsabteilungen integrieren
zu können,
- die nationalen Übereinkünfte zu Partnerschaften bedeutsam und langfristig sind und
- es wichtig ist, dass ein breiter Politikansatz gewählt wird, wenn soziale Ausgrenzung
verringert werden sollen.“ (Parkinson 1998, übersetzt von den AutorInnen)
69

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
3 THEMENSCHWERPUNKTE
3.1 ARMUTSENTWICKLUNG UND ARMUTSURSACHEN
3.3.1 Datenbasis und Informationen über die Armutsentwicklung in Wien
Die Behandlung von Armut als politisches Thema und die Qualität der Datenbasis über die
Ausprägung und Entwicklung von Armut in Wien stehen im Gegensatz zur Dringlichkeit der
Problematik. Die vorhandenen Statistiken basieren auf unterschiedlichen Stichtagen und
beziehen sich auf unterschiedliche, nicht klar voneinander abgrenzbare Gruppen. Da es in
37
Österreich nur eine sehr kleine Stichprobe über Einkommen und deren Verwendung gibtP
P,
liegen keine kleinräumig differenzierten Daten über Einkommen vor, d.h. es fehlen die für die
Stadtplanung relevanten flächendeckenden Daten.
Aufgrund der Vielfalt von sozialen Sicherungssystemen und den damit verbundenen
Zugangsvoraussetzungen, Richtwerten und Anrechnungsmodi ist es zudem schwierig, die
vorhandenen Daten zu interpretieren; man ist häufig auf Schätzungen angewiesen, die sich
bisweilen widersprechen (vgl. Dimmel 2003). Längsschnittanalysen über einen längeren
Zeitraum fehlen ganz, man erfährt also nur Vages über die Armutsentwicklung.
Es gibt keine Sozialberichterstattung in Wien, politisch wird das Thema bisher vor allem von
38
NGOsP
P auf die Tagesordnung gesetzt.
3.1.2 Armutsentwicklung in Wien
Wien ist, vor allem auch aufgrund seiner Größe und Bedeutung, diejenige österreichische
Großstadt, die bereits derzeit am stärksten mit Armut konfrontiert ist und wohl auch in Zukunft
39
40
sein wird. Zwar lag die ArmutsgefährdungsrateP
P Wiens im Jahr 1997P
P mit 10,9% unter dem
41
nationalen Durchschnitt ÖsterreichsP
P(11,1%), im Gegensatz dazu ist jedoch die Rate akuter
42
ArmutP
P in Wien mit 7,4% deutlich höher als in ländlichen Regionen (4,1%) und im
österreichischen Durchschnitt (4,3%) (vgl. Novy 2001). Dies weist darauf hin, dass es zwar
weniger Menschen mit geringem Einkommen in Wien gibt, die Möglichkeiten der Kompensation
von geringem Einkommen hingegen in Wien deutlich geringer ist: Armut schlägt hier also
stärker durch und wirkt vermutlich in stärkerem Maße sozial ausgrenzend.
Ein weiterer Hinweis auf die Anzahl von Menschen mit niedrigem Einkommen und damit für
Armutsgefährdung ist die Anzahl der SozialhilfeempfängerInnen. Nach Pailler (2001: 8)
lebten Ende des Jahres 2000 in Wien 67.425 Personen (4,2% der WienerInnen) von Sozialhilfe
37
TP
PT Diese Informationen basieren zudem auf Umfragedaten. Bei Umfragen gelten die Fragen nach dem Einkommen als
besonders heikel, weil einerseits die Verweigerungsquote hoch ist und andererseits die „Ehrlichkeit“ der Antworten
an den beiden Enden der Einkommensskalen besonders niedrig ist. So stimmen die Daten der MA 12 (interne
Revision/Controlling) nicht mit den an die ÖSTAT gelieferten Daten überein (vgl. Dimmel 2003).
38
TP
PT Zum Beispiel über die Kampagne „ÖsterREICH hilft ÖsterARM“ der Caritas oder aber die Österreichische
Armutskonferenz.
39
TP
PT „Armutsgefährdung“ heißt, dass weniger als 60% des durchschnittlichen gewichteten Pro-Kopf-Einkommen des
Landes zur Verfügung stehen. Dieses lag in Österreich im Jahr 1999 für einen Einpersonenhaushalt bei € 780,- pro
Monat und € 9.370,- pro Jahr; für zwei Erwachsene mit zwei Kindern betrugen die Werte € 19.680,- pro Jahr resp.
€ 1.640,- pro Monat (vgl. Förster & Heitzmann 2002: 189).
40
TP
PT Die Tatsache, dass es sekundär gegenwärtig keine aktuellen Zahlen gibt, zeigt die „Qualität“ der Datenlage (s.o.)
deutlich.
41
TP
PT Armutsgefährdung, also ein geringes Einkommen, ist in Österreich vor allem in ländlichen Regionen höher (12,1%).
42
TP
PT„ Akute Armut“ heißt, dass neben dem geringen Einkommen (Unterschreitung des nationalen Medians um 60%)
mindestens eine der folgenden Einschränkungen auftritt: Substandardwohnung, Verschuldung, Probleme beim
Beheizen der Wohnung, Unmöglichkeit, abgenutzte Kleidung durch neue zu ersetzen, Unmöglichkeit, zumindest
einmal monatlich jemand zum Essen zuhause einzuladen (vgl. Förster & Heitzmann 2002: 188).
70

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
und Ausgleichszulagen. Die EinkommensdisparitätP
P ist in Wien höher als in den restlichen
Bundesländern. Der mittlere Einkommensabstand zwischen Haushalten mit über- bzw.
unterdurchschnittlichem Pro-Kopf-Jahreseinkommen lag in Wien im Jahr 1981 bei jährlich rund
€ 7.900 pro Kopf (Ö: € 7.000) und nahm dann bis zum Jahr 1999 real um gut € 2.100 auf etwa
€ 10.000 (Ö: € 8.800) zu (vgl. Czasny & Bständig 2001: II). Darüber hinaus ist die
Wachstumsrate des realen Pro-Kopf-Einkommens der Wiener Haushalte schwächer, als die der
44
Haushalte in den anderen österreichischen BundesländernP
P. Tatsächlich hat sich das
Wohlstandsgefälle zwischen Wien und dem übrigen Bundesgebiet – noch stärker als es die
Statistiken ausdrücken – zu Ungunsten Wiens verschoben, da die Wohnkosten in Wien in den
letzten Jahren überproportional gestiegen sind.
Armut entsteht meist aus dem Zusammenspiel vieler verschiedener, sozial selektiver Faktoren.
Ein wichtiger Faktor für das Einkommen und damit für Armutsgefährdung ist der
(eingeschränkte) Zugang zum Arbeitsmarkt und – daraus abgeleitet – der Zugang zu den
45
Budgets des Sozialen SicherungssystemsP
P. Zu den einkommensschwächsten Teilen der
Wiener Bevölkerung zählen MigrantInnen, Frauen und Kinder. Da Zuwanderung vor allem ein
(groß-)städtisches Phänomen ist, hat Wien österreichweit den größten Anteil der
ZuwanderInnen unter der Wohnbevölkerung und auch die höchsten Zuwachsraten an
46
MigrantInnenP
P.
Durch die engen arbeitsrechtlichen Bestimmungen für ausländische StaatsbürgerInnen
und die damit verbundene Segmentation des Wiener Arbeitsmarktes arbeiten MigrantInnen in
Wien vor allem in Berufen mit niedrigem sozialen Prestige, hoher Arbeitsplatzunsicherheit,
geringen Löhnen und kaum vorhandenen Aufstiegsmöglichkeiten (vgl. WIF 2002: 15). Dies gilt,
anders als beispielsweise in Deutschland, auch für die zweite und dritte Generation der
Zugewanderten, d.h. auch für jene, die in Österreich zur Schule gegangen sind, die Sprache
und die Regeln vor Ort beherrschen (vgl. WIF 2002: 15). Da die von den ZuwanderInnen
belegten Bereiche des Arbeitsmarktes auch stärker vom Abbau von Arbeitsplätzen geprägt
sind, sind MigrantInnen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen: Die durchschnittliche
Arbeitslosenquote der ausländischen Staatsangehörigen in Wien lag im Jahr 2002 bei 12.5%,
die der InländerInnen bei 8,4% (AMS-Daten, vgl. WIF 2003: 17). In Wirklichkeit ist die Anzahl
der von Arbeitslosigkeit bedrohten ZuwanderInnen beträchtlich höher, da diese Gruppe durch
47
das so genannte „Inländerprimat“P
P nach wie vor als „Verschiebebahnhof“ für den Arbeitsmarkt
genutzt wird. Verlieren sie ihre Arbeit, so ist ihr Aufenthalt in Österreich bedroht. Dies gilt auch
bei einem bereits „verfestigten“ Aufenthaltsstatus nach fünf Jahren.
Die Arbeitslosenquote von Wien ist seit dem Jahr 1991 höher als der österreichische
48
DurchschnittP
P, nach einem vorübergehenden Absinken zwischen den Jahren 1998 und 2000
43
TP
PT Die Einkommensdisparität, die Differenz zwischen den höchsten und den niedrigsten Einkommen, kann als ein
Hinweis für die soziale Integrationskraft einer Gesellschaft gelesen werden.
44
TP
PT Zwar sind die durchschnittlichen Einkommen in Wien höher als in den anderen Bundesländern, diese holen jedoch
zunehmend auf. Lag das mittlere monatliche Pro-Kopf-Einkommen in Wien im Jahr 1981 noch um € 175 über dem
nationalen Durchschnitt, so ist der Abstand im Jahr 1999 auf € 157 gesunken (vgl. Czasny & Bständig 2001: II).
45
TP
PT Sozialhilfe steht grundsätzlich nur österreichischen StaatsbürgerInnen, EWR-Angehörigen und Menschen zu, denen
politisches Asyl gewährt wurde, sie kann jedoch in Notfällen und zur Vermeidung von Härtefällen auch Nicht-EWR-
BürgerInnen gewährt werden. Andererseits kann der Sozialhilfe-Bezug für die Nicht-EWR-MigrantInnen zu
Problemen bei der Aufenthaltsverfestigung führen.
46
TP
PT Auch Salzburg hat eine ähnliche Steigerungsrate, aber auf einem sehr viel niedrigeren Ausgangsniveau.
47
TP
PT Das „Inländerprimat“ besagt, dass ausländische ArbeitnehmerInnen nur beschäftigt werden dürfen, wenn keine
inländischen dafür gefunden werden und sie müssen auch vor diesen entlassen werden (vgl. Perchinig 2001a, WIF
2002).
48
TP
PT Dieses ist ein Fakt, der parteipolitischen Auseinandersetzungen entzogen sein sollte, weil seit Beginn der 1980er
43
71

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
steigt sie beständig weiter an. Sie liegt gegenwärtig (2002) bei 9,0% (AMS-Daten, vgl. WIF
2003: 17), die Steigerungskurven von Wien und Österreich verlaufen weitgehend parallel.
Ein weiterer wichtiger Verstärkungsaspekt von Armutsgefährdung ist der Zugang zu adäquatem
Wohnraum. Seit Anfang der 1990er Jahre sind die Mieten in Wien überdurchschnittlich stark
angestiegen. Damals trafen eine sinkende Neubauleistung, eine verstärkte Nachfrage und eine
Verteuerung der Bodenpreise aufeinander. Dies führte zu Preissprüngen, wie sie in Wien seit
der Gründerzeit unbekannt waren (vgl. Matznetter 1996). Trotz einer darauf reagierenden
Erhöhung der Tgeförderten Neubauleistung, die Taufgrund der hohen Bau- und
Grundstückskosten jedoch vor allem der Mittelschicht zu Gute kam (vgl. Förster 1997), konnten
die TMietsteigerungen in den preiswerten Wohnungssegmenten nicht abgefedert werden.
Seit Mitte der 90er Jahre ist der Preisanstieg bei privaten und geförderten Mietwohnungen zwar
49
wieder zum Stillstand gekommen (Amann 1999), im Bereich der ehemals günstigen MietenTP
PT im
Altbaubestand blieben sie jedoch relativ hoch (Matznetter 1996: 85).
Die Folge davon ist, dass etwa jeder sechste Wiener Haushalt im Jahr 1996 über keinen
50
ausreichenden Wohnstandard verfügteP
P und jeder vierte finanziell sehr schlecht gestellte
Haushalt mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens für Wohnzwecke aufwenden musste.
51
Von dieser schwierigen Situation sind ZuwanderInnenP
P in besonderem Maße betroffen. Die
Chance, bei geringerem Einkommen trotzdem befriedigende Wohnverhältnisse zu erreichen, ist
52
für InländerInnenP
P etwa dreimal so hoch, wie für AusländerInnen (vgl. Feiglfeld & Hartig 2001:
2-23). Zudem ist der Aufenthaltsstatus für AusländerInnen gefährdet, wenn sie nicht über eine
53
„für InländerInnen ortsübliche Unterkunft“TP
PT verfügen, d.h. sie sind gezwungen, entsprechend
große Wohnungen anzumieten und damit eine hohe Mietpreisbelastung in Kauf zu nehmen.
Zwar sind ZuwanderInnen ohne EWR-Staatsbürgerschaft auch zum Bezug der allgemeinen
54
WohnbeihilfeTP
PT berechtigt,
55
doch dürfen die Mieten nicht höher sein, als gesetzlich erlaubtTP
PT,
damit diese in Anspruch genommen werden kann. Ist der Mietzins zu hoch, so kann der/die
MieterIn eine Überprüfung des Hauptmietzinses bei den Schlichtungsstellen einleiten. Für
MieterInnen ohne österreichische StaatsbürgerInnenschaft mit ihrem prekären Rechtsstatus
wird die Entscheidung zu diesem Schritt nicht einfach sein.
Mit der Liberalisierung des Mietrechts und dem Zulassen befristeter Mietverträge ist für arme
Haushalte, insbesondere für AusländerInnen, die Versorgungssicherheit im privaten
Mietwohnungssegment noch weiter gesunken: Etwa 30% der ausländischen Haushalte
verfügen nur über einen befristeten Mietvertrag (Czasny et al. 2000), was sie zu höherer
Jahre in vielen EU-europäischen Großstädten die Arbeitslosenrate höher als der nationale Durchschnitt liegt (s.u.).
49
TP
PT TWien hat 1999 mit der Einführung der allgemeinen Wohnbeihilfe darauf reagiert. T
50
TP
PT Genügend Wohnfläche pro Person und einen zeitgemäßen Ausstattungsstandard gemäß den Festlegungen von
Feiglfeld & Harting (2001) in der Auswertung der Daten von „Leben in Wien“.
51
TP
PT MigrantInnen ohne EU-Staatsbürgerschaft sind bis auf Ausnahmesituationen (Notfallswohnungen) von einem für die
Versorgung von Haushalten mit geringem Einkommen wichtigen Wiener Wohnungsteilmarkt, den Gemeindewohnungen
ausgeschlossen.
52
TP
PT Unter den Eingebürgerten verbessert sich der Wohnstandard mit der Dauer der Einbürgerung und nähert sich erst
für die vor etwa 20 bis 25 Jahren Eingebürgerten dem der inländischen schlechter Gestellten an.
53
TP
PT Unter einer „für InländerInnen ortsüblichen Unterkunft“ wird eine Wohnungsversorgung verstanden, die außer
mindestens einem Wohnraum auch einen eigenen Schlafraum für jede Generation vorsieht. Es gibt jedoch keine
Vorschriften für eine bestimmte Wohnfläche (vgl. Linsinger 1998).
54
TP
PT Bei Mietwohnungen wird höchstens der Richtwert der TWohnungskategorie AT ohne Zuschläge gemäß Richt-
2
wertgesetz (derzeit 4,37 € pro mP
P Wohnnutzfläche) anerkannt. Bei Tbefristeten MietverträgenT bzw. TWohnungen der
2
Kategorie BT werden nur 75 Prozent (derzeit 3,28 € pro mP
P Wohnnutzfläche), bei TWohnungen der Kategorie C und
2
DT nur 50 Prozent (derzeit 2,19 € pro mP
P Wohnnutzfläche) dieses Betrages berücksichtigt.
(http://www.wien.gv.at/ma50st/wohnbeihilfe/wbh_wohnungsaufwand.htm)
55
TP
PT § 61 a des WWFSG 1989: „Der Magistrat hat die Richtigkeit und Angemessenheit der Mieten zu überprüfen“.
72

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Mobilität und dazu zwingt, durch den Abschluss neuer Mietverträge immer wieder enge
Befristungen und Erhöhungen der Miete akzeptieren zu müssen. Diese „Zwangsmobilität“
behindert die Integration auf der Ebene sozialer Netzwerke und vor allem erster Kontakte mit
der autochthonen Gesellschaft vor allem für Kinder, Jugendliche und Frauen.
Darüber hinaus ist ihre Wohnsituation oft sehr problematisch: Nach einer Untersuchung von
Czasny et al. (2000) klagen ein Drittel der befragten MigrantInnenhaushalte über starke
Vernachlässigung des Wohnhauses und über einen sehr niedrigen Ausstattungsstandard der
Wohnungen: Mehr als ein Drittel der ZuwanderInnen-Haushalte benutzt noch ein Gang-WC,
jeder dritte Haushalt musste eine Duschgelegenheit einbauen, 20% mussten Wasser einleiten,
rund ein Drittel hat Fenster, Türen und Böden selbst repariert. Trotz dieser schlechten
Ausstattung der Wohnungen sind die Mieten besonders für ZuwanderInnen relativ hoch: Ihr
durchschnittlicher Mietaufwand liegt mit 5 € im nationalen Durchschnitt um einen Euro pro m2
höher als der von österreichischen MieterInnen (vgl. WIF 2002: 11). Dies führt dazu, dass die
Wohnkostenbelastung für Haushalte mit geringem Einkommen trotz geringer Wohnfläche
wesentlich höher ist als für besser gestellte Haushalte: ZuwanderInnen geben trotz meist
Überbelag und oftmals schlechter Wohnqualität doppelt so viel ihres Einkommens für Wohnen
aus, als die besser versorgten höheren Einkommensklassen (vgl. Czasny et al. 1995).
Für mehr als die Hälfte der von Czasny et al. (1995) befragten ZuwanderInnen-Haushalte ist
daher das größte Problem bei der Wohnungssuche die zu hohe Miete. Die Folge ist häufig ein
Überbelag, denn 45% der (in der Regel größeren) Haushalte lebt auf einem Wohnraum von
weniger als 40 qm. Neue aufenthaltsrechtliche Verschärfungen wie eine „inländerortsübliche
Unterkunft“ sind bei der schwierigen Wohnsituation der ZuwanderInnen ein weiteres
Integrationshindernis und zwingen dazu, mehr Geld für Miete auszugeben, als es mit dem
vorhandenen Einkommen eigentlich möglich ist.
3.1.3 Erfahrungen aus den Länderstudien zu Armutsentwicklung
Die Armut hat sich offensichtlich in den letzten etwa 20 Jahren in Europa als ein
Großstadtphänomen verfestigt. Für die Entstehung und Verfestigung von Armut sind der
Arbeitsmarkt und dessen Regulation von hoher Bedeutung. Die Arbeitsmarktpolitik der
untersuchten europäischen Länder variiert bezüglich des Ausmaßes der Flexibilisierung sehr
stark. Das hat sehr unterschiedliche Quoten der Arbeitslosigkeit zur Folge und auch die Struktur
der Arbeitslosigkeit (nach Dauer, Geschlechter- oder Altersproportionen) variiert deutlich. Die
Armutsquote hingegen erscheint davon relativ unberührt: Bisweilen ist die Armut in den Ländern
mit niedriger Arbeitslosigkeit verbreiteter (beispielsweise Großbritannien) als in den Ländern mit
höherer Arbeitslosigkeit (beispielsweise Deutschland). Das liegt vor allem daran, dass die
Sozialpolitik parallel zur Arbeitsmarktpolitik dereguliert und flexibilisiert wird, denn die hohen
Armutsraten bei niedriger Arbeitslosigkeit sind auf das Phänomen der ‚working poor’
zurückzuführen, d.h. auf prekär Beschäftigte und darauf, dass diese kaum noch Absicherungen
über die Sozialpolitik erhalten. In allen Fällen sind die Städte die Orte, an denen sich neue und
alte Armut stark konzentrieren; hier macht Österreich insofern eine Ausnahme, weil noch immer
ein großer Teil der „traditionellen Armut“ sehr stark im strukturschwachen ländlichen Raum
konzentriert ist und auch die Armutsquote der Witwen deutlich höher liegt als in andern EU-
Ländern.
In allen Großstädten der untersuchten Länder ist seit Beginn der 1980er Jahre die
Arbeitslosenquote höher als im Landesdurchschnitt. Die Stadt Wien unterscheidet sich in
einem Punkt von vergleichbaren Großstädten in Europa; während in allen europäischen
73

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Großstädten die Arbeitslosenquoten seit den späten 1960er Jahren zwei oder drei ‚peaks’
56
aufwiesen, befindet sich Wien noch immer im ersten Anstieg der ArbeitslosenquotenP
P.
Diese Entwicklungen in den europäischen Städten sind einerseits auf die Entwicklungen auf
den städtischen Arbeitsmärkten zurückzuführen, andererseits auf die deutlich höhere Quote der
ZuwanderInnen in den Großstädten, die unter dem größten Risiko der Arbeitslosigkeit stehen,
weil sie sowohl überproportional in den Branchen beschäftigt sind, die umstrukturiert werden,
als auch, weil europaweit in der rechtlichen Stellung im Arbeitsmarkt erhebliche Unterschiede
zwischen EWR- und Nicht-EWR-BürgerInnen gemacht werden. Neben den Nicht-EWR-
BürgerInnen sind überall die Risikogruppen gleich – es gibt jedoch bei der
Jugendarbeitslosigkeit erhebliche Unterschiede: diese sind in Frankreich und Süd-Europa
deutlich am höchsten (vgl. Koch 2003).
Die Armutsentwicklung ist die andere Seite einer – und nach manchen Autoren auch: die
Ursache einer – generellen Wachstumsentwicklung, d.h. der Wohlstandsentwicklung steht
zwangsläufig eine Armutsentwicklung gegenüber, was insbesondere die StadtforscherInnen in
den USA und Europa zur „Polarisierungsthese“ bewogen hat (vgl. Allen & Massey 1989,
Sassen 1991, Hamnett 1994, Häußermann & Siebel 1987a, 1987b, Marcuse 1989, Krätke
1990, Dangschat 1999b).
Die Ursachen hierfür liegen in den Städten resp. die Polarisierungen werden von den Städten
mit erzeugt. Allen Großstädten in Europa ist zwar gemeinsam, dass sie wenig direkten Einfluss
auf die Arbeitsmarkt- und Zuwanderungspolitik haben, die Armuts-Wohlstands-Gegensätze in
den Städten und insbesondere auch deren teilräumliche Verfestigung wird jedoch von aktuellen
Stadtpolitiken und -planungen meist zusätzlich unterstützt und forciert. Städtische Standort- und
Wettbewerbspolitiken konzentrieren sich auf die neuen Branchen und erhöhen damit den Druck
auf ökonomische Umstrukturierungen, was einerseits die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte
nach sich zieht, andererseits auch traditionelle Branchen ab- und neue Branchen aufwertet. Mit
letzteren gehen Wertvorstellungen einher, die von Wettbewerb und Konkurrenz, Unternehmer-
und Ich-Aktien-Mentalitäten gekennzeichnet sind, deren TrägerInnen sich nur ungern in
traditionelle Solidaritätssysteme einbinden lassen – damit wird sich auf das „Gemeinwohl“ zu
berufen als Handlungsorientierung immer schwieriger.
Weiterhin werden gerade durch Stadtentwicklungspolitik, Städtebau und Architektur die „neuen
Bühnen“ dieser neuen „urbanen Eliten“ in den öffentlichen Raum gebaut, was erneut die
57
gesellschaftliche Ab- und Ausgrenzung der „ausgemusterten Gruppen“ unterstütztP
P. Auf diesen
Bühnen werden die „Events“ inszeniert, mit denen sich die Stadt nach außen verkauft und um
die neuen relevanten Gruppen wirbt: jüngere, kaufkräftige TouristInnen, Kongress- und
58
Messe(TouristInnen), Unternehmen im IuK-BereichTP
PT oder den ‚creative industries’ sowie
‚foreign direct investments’ und die (regionalen) Headquarter multinationaler Unternehmen.
Die Armutsentwicklung steht damit in engem Zusammenhang zur gleichzeitigen
Wohlstandsentwicklung und findet trotz (oder besser: wegen) der im Durchschnitt steigenden
56
TP
PT Das gilt trotz des geringfügigen Rückgangs zu Beginn dieses Jahrtausends, denn die Werte steigen gegenwärtig
wieder an.
57
TP
PT Man spricht in diesem Zusammenhang von der städtebaulichen Entwicklung der „Stadtkrone“, die unter Zuhilfenahme
von „Zitadellen-Architektur“ inszeniert wird (vgl. Häußermann & Siebel 1993). Gerade die Star-
Architekten sind in den vergangenen 15 Jahren in eine Rolle geraten, dass Städte (und Unternehmen) sich mit
Namen wie Jahn, Rodgers, Foster, Grimshaw, Nouvel, Piano, Gehry, Hadid „schmücken“ – hier findet die These,
dass die Gegenwartsgesellschaft von einer „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ (Franck 1998) geprägt sei, reichlich
Nahrung.
58
TP
PT IuK = Informations- und Kommunikationssektor.
74

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Einkommen statt (vgl. Dangschat 1999b). Um diese These im Einzelfall besser zu stützen fehlt
es jedoch an vergleichender wissenschaftlicher Forschung, vor allem aber an den Diskursen in
den Städten selbst. Diese hätten beispielsweise anhand der Strategie-Konzepte europäischer
Großstädte, die um die Jahrtausendwende entstanden sind, geführt werden können, was aber
meist – wie auch in Wien – tunlichst vermieden wurde (nur der Strategieplan von Berlin macht
hier eine Ausnahme). Politik, Verwaltung, Stadtplanung und Architektur – sie alle wollen ganz
offensichtlich davon möglichst wenig hören.
3.1.4 Empfehlungen für Wien in Bezug auf Armutsentwicklung
Die Armutsentwicklung nimmt in Wien an Dynamik zu, dies wird jedoch bisher nur wenig zur
Kenntnis genommen. Daher sollte die Stadt
• eine Sozialberichterstattung etablieren, mit der eine hinreichend differenzierte
•
Beobachtung der heterogenen Armuts- und Ausgrenzungsprozesse möglich ist. Um den
Handlungsbedarf gerade für die räumliche Planung zu erkennen, ist insbesondere die
Möglichkeit zur kleinräumigen Analyse entscheidend.
In Vorbereitung auf den STEP 05 sollten die räumlichen Auswirkungen aller städtischen
Politikfelder zur Sicherstellung der Wettbewerbsfähigkeit einerseits und zur
gesellschaftlichen Integration andererseits in ihren Ambivalenzen antizipiert und gesteuert
werden; das setzt voraus, dass die Zusammenhänge dieser zeitgleichen Politiken und
Verwaltungspraxen reflektiert und in ihren erwünschten und unerwünschten
(Neben)effekten analysiert werden. Dieser Schritt ist bei der Erstellung und Umsetzung
des Strategieplans „Qualität verpflichtet – Innovationen für Wien“ nur unzureichend
geschehen – hierin ist Wien eben nicht anders, sondern verhält sich wie die meisten
59
TP
PT Mittlerweile
59
Städte, die diese „Queranalyse“ meist unterlassen.TP
PT
• Wenn mittels der Stadt(teil)entwicklung kein unnötig hoher Beitrag zur gesellschaftlichen
Desintegration geleistet werden soll, sollte bei den Projekten der städtebaulichen
Umstrukturierung erstens die unmittelbare Wirkung auf die ökonomische Aufwertung
berücksichtigt werden. Ökonomische Aufwertung kann durchaus gewünscht sein, nur
sollte das auch deutlich kommuniziert und eben auch sozialverträglich abgefedert
werden. Zweitens rufen die symbolischen Wirkungen der aktuellen Architektur und des
Städtebaus bei der Produktion von „Bühnen“ „Selbst-Inszenierungen“ bestimmter sozialer
Gruppen hervor, welche die Ökonomische Umwertungsprozesse und die daraus
resultierenden Verdrängungsprozesse weiter forcieren. Es sollte eben nicht nur auf eine
architektonische und städtebauliche Qualität geachtet werden, wie Wien es tut, sondern
eben auch auf die Sozialverträglichkeit, denn die „neue Urbanität“ spricht eine selektive
Sprache, womit bestimmte soziale Gruppen angezogen (und darauf achtet die Stadtplanung
überwiegend) und andere ausgegrenzt werden (was häufig entweder nicht
wahrgenommen, billigend in Kauf genommen oder aber explizit angestrebt wird).
• Die städtebaulichen Maßnahmen in den Armuts-Gebieten müssen mit besonderer
Sorgfalt und Sensibilität gegenüber der sozio-ökonomischen und sozio-kulturellen
Zusammensetzung der Wohnbevölkerung vorgenommen werden. Maßnahmen
städtebaulicher und wirtschaftlicher Aufwertung sollten nicht zu einer ökonomischen
Verdrängung führen und zumindest durch begleitende Maßnahmen aufgefangen werden.
hat die Verwaltung der Stadt Wien ihren Strategieplan aktualisiert (allerdings ohne jegliche Beteiligung
von Gruppen außerhalb der Verwaltung) und auf die neuen geo-politischen Bedingungen angepasst („Strategieplan
Wien im erweiterten Europa“, - Entwurf, Stand 6.8.2004). Die gegen den Vorläufer zu richtenden Vorbehalte gelten
jedoch auch für die aktuelle Fassung.
75

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Ähnlich verhält es sich mit einer kulturellen „Umwertung“, die oftmals „Steigbügelhalter“
für eine Gentrification ist. Eine mögliche Form solcher impact-Analysen kann durch eine
Sozialverträglichkeits-Prüfung (SVP) gewährleistet werden.
3.2 DIE BESTIMMUNG DER GEBIETE LOKALER INTERVENTION
3.2.1 Bestimmung der Gebiete zur lokalen Intervention in Wien
Nach Deutsch et al. (1998) konzentrieren sich in Wien arme und ärmere Haushalte im
preisgünstigen und häufig schlecht erhaltenen privaten Mietwohnungssektor. Das gilt nicht nur
für ZuwanderInnen, sondern auch für Einpersonenhaushalte und ältere Menschen aus
Österreich (vgl. Amann 1999, Czasny 1992, Czasny et al. 1995). Die schwierige finanzielle
Situation vieler ZuwanderInnen und ihr weitgehender Ausschluss aus dem sozial geförderten
Wohnungsbau führt zu einer besonders deutlichen Konzentration der ZuwanderInnen in
bestimmten innerstädtischen Gebieten: Mehr als die Hälfte der Menschen mit ausländischer
Staatsbürgerschaft konzentriert in weniger als einem Drittel der 23 Wiener Gemeindebezirke.
Stadträumlich und baulich sind dies vor allem die Gebiete mit gründerzeitlicher Bausubstanz,
meist in schlechtem baulichem und Ausstattungszustand und in nicht ganz zentraler Lage
(entlang des West- und des Südgürtels) und häufig mit hoher Lärmbelastung durch den
Straßenverkehr. Den höchsten Anteil an ausländischen StaatsbürgerInnen wies im Jahr 2001
der 15. Wiener Gemeindebezirk mit fast 30% auf, gefolgt vom 2., 20., 16., 5. und 17.
Gemeindebezirk mit je rund 25% (vgl. WIF 2002: 10). In den Bezirken östlich der Donau (21.
und 22. Bezirk) und in den Bezirken 13 und 23 sind die AusländerInnen-Anteile eher niedrig.
Das Ausmaß der Konzentration von ZuwanderInnen bestimmte die Prioritäten für die Standorte
der Außenstellen des (ehemaligen) Integrationsfonds – damit folgte man hier den üblichen
Standortentscheidungen von Einrichtungen dezentralisierter Klientelpolitik.
Die Festlegung der Gebiete in den europäischen Städten, in die aus städtebaulichen, später
auch aus sozialen und/oder ökonomischen Gründen interveniert wurde, war einem beständigen
Wandel unterworfen. Zu Beginn solcher Maßnahmen standen vor allem die baulichen und
Ausstattungsmängel dieser Gebiete im Vordergrund. Entsprechend der Konzentration dieser
Sanierungsdefizite wurden ursprünglich Sanierungsgebiete ausgewiesen und die
dazugehörigen „Gebietsbetreuungen“ eingerichtet. Im Zuge zunehmender gesellschaftlicher
Problematik (Armut, abweichendes Verhalten, Nachbarschaftskonflikte, Wahlunterstützung der
FPÖ) wurden auch in größeren Wohnhausanlagen der Stadt Wien so genannte
„Gebietsbetreuungen Neu“ geschaffen, so dass Wien mittlerweile flächendeckend
Gebietsbetreuungen eingerichtet hat.
Seit Anfang der 1990er Jahre spielen bei der Betrachtung von Gebieten mit sozialen,
ökonomischen und städtebaulichen Mängeln auch EU-Fördermittel eine Rolle. Mit den
Ausweisungen der Gebiete der Interventionen zur Armutsbekämpfung werden gleichzeitig die
Schwellenwerte und die Indikatoren resp. Dimensionen zur Messung sozialer Problematik
festgelegt: Armuts- und Risikobevölkerung (niedrige Einkommen, Arbeitslosigkeit, hohe
Transferleistungen, aber auch AusländerInnenanteil und Altersaufbau), schlechte Bausubstanz
(Mängel in sanitär-technischer Ausstattung, wie sie in den Kategorien C und D zum Ausdruck
kommen, Bauschäden, Immissionen), relativ schwache lokale Ökonomie, hoher Anteil an
Industriebachen. Qualitätsstandards bezüglich der Umsetzung der Maßnahmen resp. der
horizontalen Integration haben – im Gegensatz zu insbesondere den britischen Städten – in
Wien noch keine Bedeutung bei der Auswahl der Gebiete.
76

3.2.2 Erfahrungen aus den Länderstudien
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Gebiete für lokale Interventionen werden in Europa nach nahezu gleichen Indikatoren
bestimmt, die zunächst überwiegend Strukturdaten der Wohnbevölkerung, des
Wohnungsbestandes und der infrastrukturellen Ausstattung, bisweilen auch Indikatoren zu
belastenden Umweltfaktoren waren. In denjenigen Ländern, in denen der größte Anteile der
Mittel aus überlokalen Programmen (EU, national) fließen und in denen die Gelder in
60
Konkurrenz der Gebiete zueinander vergeben werdenP
P, sind die Indikatoren- und Benchmark-
Systeme am weitesten fortgeschritten. Werden die Programme zur Armutsbekämpfung und
Unterstützung der sozialen Integration (überwiegend) aus eigenen Mitteln bestritten und/oder
wurde kaum evaluiert, sind oftmals politische Rücksichtsnahmen stärker ausschlaggebend für
die Gebietsauswahl als die Bedürftigkeit oder aber die Qualität des Managements und des
integrierten Politikansatzes, dann herrschen Proporzdenken, Gefälligkeiten, (parteipolitische)
Rücksichtnahmen und Angst vor Konflikten vor.
Aufgrund der Tatsache, dass mit diesen stadtteilbezogenen Interventionen gerade in den
letzten Jahren in starkem Maße auch Elemente der Verwaltungsmodernisierung verbunden
werden, ist der Nachweis einer hohen Bedürftigkeit in vielen Ländern (UK, NL) eine notwendige,
aber kein hinreichende Begründung mehr, um nationale Unterstützungen zu erhalten. Vielmehr
gewinnt an Bedeutung, bezüglich der Programmatik und des „Managements“ den aktuellen
Standards zu entsprechen.
Mittlerweile gibt es in Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland (sowie der EU) in
diesen Strategielinien kein Geld mehr für singuläre, d.h. nicht horizontal vernetzte Problemlösungen
(der Stadterneuerung oder der Integration von ZuwanderInnen oder der Schaffung
von Arbeitsplätzen etc.) und ebenfalls kein Geld mehr, wenn man nicht Willens und in der Lage
ist, eine vernetzte Entscheidungs- und Finanzierungsstruktur der wichtigsten institutionellen
AkteurInnen (auch außerhalb der Verwaltung) zusammenzustellen und dabei auch die private
Wirtschaft einzubinden. Sind Städte Antragstellerinnen, so wird mittlerweile neben der
horizontalen Integration auch eine deutliche vertikale Integration der Steuerung verlangt, d.h.
eine Einbindung der Entwicklungskonzepte der Stadtteile in gesamtstädtische resp. regionale
Entwicklungskonzepte und -strategien.
Die Methoden zur Ermittlung der Gebiete, die zur Auswahl gestellt werden, um in Programme
aufgenommen zu werden, mit denen Armut und soziale Ausgrenzung lokal bekämpft werden,
sind also in den vergangenen zehn Jahren einem Wandel unterworfen gewesen:
60
TP
PT In
Großbritannien, wo unter der aktuellen Regierung vermutlich das meiste Geld „in die Hand genommen“ wird, gibt
es ein landesweites Punktesystem, nach dem man die Rangordnung der ‚most deprived areas’ ablesen kann. Die
Indikatoren sind unter dem Hauptindex Einkommen: Erwachsene und Kinder in Haushalten, die von der Sozialhilfe
leben, Erwachsene und Kinder in Haushalten, die Arbeitslosengeld zur Unterstützung erhalten, Erwachsene und
Kinder in Haushalten, die Erwerbsunfähigkeitsentschädigung bekommen, etc.; unter dem Hauptindex Beschäftigung:
Arbeitslose, Arbeitslose, die in Beschäftigungsprogrammen sind, Jugendliche und Erwachsene zwischen 16 und 59
Jahren, die Arbeitsunfähigkeitsbeihilfe beziehen, etc.; unter dem Hauptindex Gesundheit und Behinderung:
Sterbeziffer für Männer und Frauen unter 65 Jahren, Rate der Langzeitkranken differenziert nach Alter und
Geschlecht, etc.; unter dem Hauptindex Bildung: Erwachsene im erwerbsfähigen Alter ohne Ausbildung in
Fortbildungskursen, Grundschulkinder, für die Englisch eine zusätzliche Sprache ist, 16-jährige und ältere
Jugendliche, die nicht in einer Vollzeitausbildung sind, etc.; unter dem Hauptindex Wohnen: Obdachlose in
Übergangswohnungen, Wohnraum pro Haushalt, etc.; unter dem Hauptindex geographischer Zugang zu
Dienstleistungen: Zugang zu Ärzten, zur Grundschule, zur Post etc.
Die Programm-Mittel werden vor allem an diejenigen ‚neighbourhoods’ vergeben, die in der Hierarchie ganz unten
stehen (wobei der Anteil je nach Programm-Ausstattung schwankt und bei etwa 20% liegt) – allerdings zunehmend
auch aufgrund effizienter und effektiver Umsetzungsstrategien.
77

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• Begann man ursprünglich mit Indikatoren der Erscheinungsform von Armut (Anteil der
61
Bevölkerung mit zu niedrigem EinkommenP
P, Anteil an SozialhilfeempfängerInnen, Anteil
an Arbeitslosen etc.),
• ging man im zweiten Schritt zusätzlich von Indikatoren benachteiligender Lebenslagen
aus, welche im Ursachen-Folgen-Verhältnis zur Einkommens-Armut stehen und oftmals
einen hohen Einfluss auf soziale Ausgrenzung nehmen können (Baualter, sanitärtechnische
Ausstattung, Wohnungsmängel – dunkel, feucht, undicht etc. –,
•
Gesundheitszustand, Versorgung mit Infrastruktur, Erreichbarkeit).
Im dritten Schritt – der eigentlichen Grundlage für Quartiersmanagement – wurde eine
inhaltliche Erweiterung über die klientelorientierte Sozialpolitik und eine an der Reparatur
der Bausubstanz orientierten Stadterneuerungspolitik und -planung hinaus
•
vorgenommen: Qualifizierungsmaßnahmen, Empowerment-Strategien, Einbindung von
kooperativen partizipativen Elementen, Schaffen von Arbeitsplätzen, Unterstützung der
lokalen Ökonomie waren die entscheidenden Voraussetzung dafür, ins Programm
aufgenommen zu werden.
Innerhalb der aktuellen Programme werden die Präferenzen zusätzlich auf die
Organisation der lokalen Interventionen gelegt (ressortübergreifende und ebenen-übergreifende
Ansätze des politisch-administrativen Systems, umfangreiche quantitative und
qualitative Einbindung von Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Strukturen,
erfahrenes professionelles Know-how der QuartiersmanagerInnen).
3.2.3 Empfehlungen für Wien zur Bestimmung von lokalen Interventionsgebieten
Die Stadt Wien muss sich – da keine offizielle Sozial- und/ oder Armutsberichterstattung vorliegt
– mit den Informationen behelfen, die der Stadt über die Amtliche Statistik und den
Verwaltungsvollzug zur Verfügung stehen. Die folgenden Indikatoren könnten dabei den
62
Kontext bildenP
P:
61
TP
62
TP
PT Diese
PT In
• Sozialstruktur
o Anteil der Arbeitslosen
o Anteil der SozialhilfeempfängerInnen
o Anteil der Personen mit niedrigem Schulabschluss
o Anteil der Personen mit Nicht-EWR-Staatsbürgerschaft
• Demographische Struktur
o Anteil an Alleinerziehenden
Österreich und Deutschland liegen hierzu keine flächendeckenden Statistiken über das Einkommen der
Wohnbevölkerung vor, deshalb behilft man sich mit den Indikatoren Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug, die Armut
entweder überschätzen (nicht jeder, der arbeitslos ist, fällt unter die Armutsgrenze) oder unterschätzen (es gibt eine
hohe Dunkelziffer über Personen, die keine Sozialhilfe beanspruchen, obwohl sie zu deren Bezug berechtigt sind –
ältere, eher konservative, sich nicht ausreichend mit der Verwaltung auskennende und der Landessprache nicht
mächtige Menschen erzeugen eine unbekannte Dunkelziffer. In Alisch & Dangschat (1998: 44-54) wurden die
Indikatoren untersucht, die üblicherweise in Armuts- und Sozialberichten verwendet werden, mit dem Ergebnis, dass
einer allein kaum wirklich aussagekräftig ist und die meisten von ihnen nur sehr bedingt Armut oder soziale
Ausgrenzung messen.
Die Auswahl des Gebiets zur Aufnahme in die EU-Zielgebiet 2-Förderung in Wien ist ein Lehrstück für das verbreitete
Vorgehen: Die Verwaltung (hier die MA 18) bedient sich aller zur Verfügung stehenden, relevant erscheinender
Indikatoren, nimmt die aktuellsten Werte, stellt diese nebeneinander und nimmt eine Bewertung,
verbunden mit einem Vorschlag vor. Die Politik soll nun entscheiden, in wie weit sie diesem Vorschlag folgt. Mit der
fachlichen Verfügung über das Statistikamt wurde ein Gewichtungsmodus eingeführt, welche die von
Interessensgruppen gewünschte Reihung erzielt, so dass die gewollte politische Entscheidung als „eindeutig“
erscheint.
Liste hat allenfalls einen Vorschlags-Status; in jedem Fall sollte für die Vor-Auswahl der Gebiete ein
geeigneter Kompromiss zwischen pragmatischem Vorgehen und detaillierter Problemanalyse gewählt werden.
78

o Anteil an kinderreichen Haushalten
o Anteil an über 65 Jährigen
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• Mietbelastung
o Anteil an Haushalten mit einer Mietbelastung > 35% des Einkommens
o Anteil der EmpfängerInnen von Wohnbeihilfe
• Wohnungsausstattung
o Anteil an Kategorie C-Wohnungen
o Anteil an Kategorie D-Wohnungen
o Anteil an Wohnungen mit baulichen Mängeln
o Anteil an Wohnungen mit einer Lärmbelastung > 65 dBA
• Wohnumfeldausstattung und Infrastruktur
o Anteil an leer stehenden Geschäftslokalen
o Ausstattungsgrad mit Geschäften für Güter des täglichen und mittelfristigen Bedarfs
o Wertschöpfung/Beschäftigten < 70% des Wiener Durchschnitts
o Anzahl der Arbeitsplätze pro EinwohnerInnen
Diese Input-Orientierung reicht jedoch nicht aus, wie wir aus den Fehlern der meisten
Gebietskörperschaften, die „eigenes Geld“ verteilt haben, lernen können. Es ist insbesondere
notwendig, ein Benchmark-System einzuführen, um die Input-Output-Relationen zu optimieren.
Aber auch das reicht nicht aus, denn gerade bei der Armutsbekämpfung und dem Ziel, Bürger-
Innen das Gefühl zu geben, nicht „abgehängt“ oder „vergessen“ worden zu sein, kommt es auf
den Outcome an, d.h. auf die Frage, wie diese Menschen die Veränderungen wahrnehmen und
bewerten, was also für die von Armut bedrohten BürgerInnen in den Interventionsgebieten
tatsächlich erreicht wurde. In diesem Zusammenhang sind selbst-tragende Kommunikations-,
Lern- und Selbstorganisationsstrukturen von entscheidender Bedeutung. Auch die Verbesserung
der Zusammenarbeit der Verwaltungseinheiten in vertikaler und insbesondere horizontaler
Vernetzung sollte über diese Programme gefördert und entsprechend „belohnt“ werden –
auf diese Elemente wird in nächsten Abschnitt eingegangen.
3.3 DIE BEDEUTUNG DER URBAN GOVERNANCE
3.3.1 Urban Governance in Wien
Verwaltungsmodernisierung
Die Stadt Wien hat sich seit dem Ende der 1990er Jahre die Aufgabe gestellt, den Wiener
Magistrat zum modernen Dienstleistungskonzern umzubauen (vgl. Theimer 2001: II/3) – die
Verwaltungsmodernisierung wurde im Strategieplan der Stadt Wien zum strategischen Projekt.
Das Handeln des Magistrats der Stadt Wien und seiner MitarbeiterInnen soll sich künftig stärker
am Ergebnis (Output) für die Menschen und die Wirtschaft der Stadt orientieren (vgl.
Nussgruber 2001: II/5).
Ziel ist es, die linearen Strukturen in der öffentlichen Verwaltung abzubauen und die
Verantwortung neu zu verteilen, um eine Querschnittsorientierung vor allem auch dort ansiedeln
zu können, wo die operativen Entscheidungen fallen. Dies soll von einer Kontrolle der
Zielerreichung, einer transparenten Kosten- und Leistungsrechnung, einer Kosten-Nutzen-
Abwägung und von laufenden Evaluierungen durch Controlling und Berichtswesen begleitet
werden.
79

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Der angestrebte Umbau der Verwaltung bedingt auch eine Veränderung der Unternehmens-
und Führungskultur „von der politischen Ebene, welche die Ziele vorgeben muss, über die
Führungskräfte, die weniger als oberste Sachbearbeiter, sondern als Manager gefordert sind,
bis zu jedem einzelnen Mitarbeiter, dessen Eigenverantwortung zunimmt“ (Theimer 2001: II/2).
Mit diesen organisatorischen Veränderungen sollen sich auch die Aufgaben der
Zentralverwaltung stärker hin zu Planung, Koordination (Erlassung von Rahmenrichtlinien) und
Überprüfung der Erreichung der vereinbarten Ziele ändern.
Dazu hat die Stadt im ersten Schritt ein Kontraktmanagement eingeführt, das durch weitere
Instrumente im Laufe der fünfjährigen Anfangsphase ergänzt werden soll. Dabei sind die
folgenden Arbeitsschritte geplant:
• Definition der Leistungen,
• Erfassen der Globalziele,
• Festlegen der KundInnen,
• Zuordnung der Arbeitszeit zu Produkten und KundInnen,
• Installierung einer Kosten-Leistungsrechnung und
• Aufbau eines Controllings und Berichtswesens.
Das Kontraktmanagement wird als Antwort auf die immer knapper werdenden Ressourcen und
steigenden Anforderungen gesehen. Die Einführung eines Kontraktmanagements führt nach
Hufnagel (2001: II/60) jedoch nur dann zu den gewünschten Ergebnissen, wenn
• „die Politik sich in vollem Umfang der vielfältigen Möglichkeiten der Steuerung bedient“,
• nicht „durch Vorschriften der Handlungsspielraum eingeengt und durch die Einsetzung
verschiedenster Kontrollmechanismen der Wunsch nach absoluter Fehlervermeidung
signalisiert wird“,
• Kontraktmanagement als kreatives und flexibles Steuerungsinstrument gesehen wird.
Parallel dazu wird die Verwaltungsreform der Stadt Wien von weiteren Aspekten des „New
Public Management“ begleitet:
• Einführung von e-government,
• Deregulierungen und Verfahrensvereinfachungen sowie
• Outsourcing.
Deregulierungen
Um einem der wesentlichen Kritikpunkte an der öffentlichen Verwaltung zu begegnen, sollen
Deregulierungen vorgenommen werden. Damit sollen Behördenwege verkürzt und die
Verfahren beschleunigt werden. Diese nachvollziehbaren und wünschenswerten Ziele sind
jedoch auch häufig mit einer Reduktion der Rechte von Betroffenen und einer reduzierten
Interessensabwägung verbunden. Das gilt beispielsweise für einen Teil der Vereinfachungen
und Beschleunigungen, die im Rahmen der Bauordnungsnovelle 1996 beschlossen wurden.
Durch das vereinfachte Baubewilligungsverfahren nach § 70a der Bauordnung für Wien wird
63
ZiviltechnikerInnen in fast allen BauprojektenTP
PT die Verantwortung für die ordnungsgemäße und
gesetzeskonforme Durchführung einer Bauaufgabe übertragen. Die Behörden überprüfen nur
63
TP
PT Ausnahmen
sind: Gebiete, für die eine Bausperre besteht, Gebiete der Bauklasse VI, Sonderbauten und bestehende,
aber nicht bewilligte Bauten.
80

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
noch die Übereinstimmung mit dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, das äußere
Erscheinungsbild des Gebäudes und die Wasser Ver- und Entsorgung. Durch den zusätzlichen
Wegfall der Benützungsbewilligung fällt auch die spätere Kontrolle durch die Baubehörde weg.
Dieses hat nicht nur eine Beschränkung der Nachbarschaftsrechte zur Folge (der Beginn einer
Bautätigkeit ist seither ohne Information der NachbarInnen möglich), vielmehr kann auch die
Kontrolle der Einhaltung baulicher Mindeststandards durch die Behörden damit nicht mehr
gewährleistet werden. Darüber hinaus wurden bauliche und ausstattungsmäßige
Mindeststandards reduziert (§ 88: geringere Belichtung von Aufenthaltsräumen).
Die mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung eingeführten Deregulierungen sollten sehr
genau auf ihre Konsequenzen untersucht werden. Eine völlige Aufgabe der staatlichen
Kontrollrechte in manchen Teilbereichen sollte nicht das Ziel von Deregulierung sein, zumal der
Staat dadurch seiner Pflicht, der Wahrung der Interessen des Gemeinwohls, nicht mehr
nachkommen kann. Moderne, schlanke Verwaltung sollte nicht ein Abgeben der
Kontrollfunktionen bedeuten, sondern ein Delegieren der Umsetzung unter Beibehaltung der
Kontrolle.
Outsourcing
Seit einigen Jahren gliedert die Stadt Wien einzelne kommunale Aufgaben der Daseinsvorsorge
aus dem Wiener Magistrat aus. Dabei scheint es bisher weniger um das Schaffen neuer
Einnahmen durch den Verkauf oder eine Übergabe an private Dienstleistende aus
Kostengründen zu gehen, sondern um die Frage, in welcher Organisationsform die
kommunalen Aufgaben der Daseinsvorsorge organisatorisch am besten gelöst werden können.
Dies wird auch magistratsintern so gesehen, denn ein Monopol, „das heute demokratischer
Kontrolle und Steuerbarkeit unterliegt, … durch ein anderes, privates, zu ersetzen, dessen
Kontrolle sich jedenfalls schwieriger gestalten würde, darin läge nur wenig Sinn“ (Theimer 2001:
II/3).
Die weitestreichende Ausgliederung ist bisher bei den Wiener Stadtwerken vorgenommen
worden, die von einer „kommunalen Unternehmung“ in eine Aktiengesellschaft (Wiener
Stadtwerke Holding AG) umgewandelt wurden. Daneben wurden die auf zwölf
Magistratsabteilungen aufgesplitterten Aufgaben der Wohnhäuserverwaltung des kommunalen
Wohnungsbestandes in der kommunalen Unternehmung „Wiener Wohnen“ und die
kommunalen Krankenhäuser Wiens im Wiener Krankenanstaltenverbund zusammengeführt.
Die ehemals bei den Magistratischen Bezirksämtern angesiedelten Schlichtungsstellen wurden
in einer neuen Magistratsabteilung mit dezentralen Außenstellen zusammengeführt.
Auch die umfangreiche Aufgabe der Entwicklung der ‚brownfields’ in Wien („Platte“ und
insbesondere Erdberger Mais) ist vom Magistrat an eine Ausgründung, die Wiener
Stadtentwicklungs-Holding übertragen worden. Die Holding tritt dabei als Developer auf und
versucht, sich so marktkonform wie möglich zu bewegen, um Investoren für die Bauflächen zu
gewinnen. Oftmals stehen in einem solchen Fall die Interessen betriebswirtschaftlicher
Optimierung denen einer nachhaltig zu entwickelnden Stadt entgegen.
Darüber hinaus gibt es seit Jahren in Wien eine Politik der Ausgründungen in Fonds: Wiener
Bodenbereitstellungs- und Stadtentwicklungsfonds (WBSF), Wiener Wirtschafts-
Förderungsfonds (WWFF), Wiener ArbeitnehmerInnen Förderungsfonds (WAFF), Wiener
Integrationsfonds (WIF) – gerade aufgelöst –, Fonds Soziales Wien (FSW) und Wiener
Wirtschafts- und Technologie-Förderungsfonds (WWTF).
81

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Es ist sicherlich nachvollziehbar, dass einige Aufgaben der kommunalen Daseinsvorsorge
besser in anderen Rechtsformen als innerhalb des Wiener Magistrats erfüllt werden können.
Dies muss auch nicht zwangsläufig zu einer Umorientierung auf eine rein marktwirtschaftliche
Zielsetzung führen. Ein „Ausverkauf“ kommunaler Unternehmungen ist in Wien bisher noch
nicht zu erkennen.
Dennoch sind mit diesen Umstrukturierungen einige Risiken verbunden:
• Die Bedeutung betriebswirtschaftlichen Kalküls steigt (innerhalb des Magistrats durch die
Umstrukturierungen, aber noch stärker bei den ausgegründeten Unternehmungen).
• Die gesamtwirtschaftlichen und gesamtstädtischen Zusammenhänge und Zielsetzungen
geraten noch ein Stück weiter aus den Augen, als dies bereits im Rahmen eines
„magistratischen Ressortegoismus“ der Fall ist (Hauptsache mein Bereich (Betrieb) steht
gut da, notfalls auch auf Kosten des Gesamtergebnisses oder der sozialen Verträglichkeit
der Maßnahmen).
• Die politische Verantwortung bleibt zwar grundsätzlich vorhanden, sie rutscht in der
politischen Diskussion und der Außenwahrnehmung jedoch ein gutes Stück weiter in den
Hintergrund („Die Unternehmung XY muss eben betriebswirtschaftlich denken“).
• Der politische Einfluss wird möglicherweise zwar nicht schwächer, aber weniger gut
sichtbar, die Umstrukturierungen verschleiern daher u.U. Entscheidungen.
Dezentralisierung
Eine wichtige Ebene für lokale Interventionen und Maßnahmen in benachteiligten Gebieten sind
die Bezirke. Die Wiener Gemeindebezirke sind keine eigenständigen juristischen Personen
oder Gebietskörperschaften; sie verwalten Haushaltsmittel in Höhe von etwa 1,6% des
64
gesamten GemeindebudgetsP
P (im Jahr 2002 rund € 150 Mio. (vgl. Stadt Wien 2002) in klar
definierten Bereichen. Außerdem haben sie Mitwirkungs-, Anhörungs- und Informationsrechte.
Ein Großteil des Budgets der Wiener Gemeindebezirke ist darüber hinaus gebunden, es gibt
jedoch die Möglichkeit, Rücklagen zu bilden und Vorgriffe auf künftige Budgets zu machen
sowie nicht verbrauchte Mittel für andere Aufgaben umzuwidmen und entsprechend
einzusetzen (vgl. Stadt Wien 2002).
Derzeit werden aufgrund gesamtstädtischer Sparmaßnahmen die Spielräume der
Bezirksbudgets kleiner (vgl. Sickinger 2003: 73) Darüber hinaus treffen Sparmaßnahmen der
Stadtverwaltung auch die Bezirke, wenn diese zunehmend Aufgaben übernehmen (müssen),
die von der Wiener Zentralverwaltung eingespart und für die sie nicht refundiert werden. Die
Bezirke haben zudem kein Weisungsrecht an Fachdienststellen des Bundeslandes Wien.
In bisher drei Dezentralisierungsschüben (1850, 1987 und 1998) wurden Aufgaben der Wiener
Stadtverwaltung an die Wiener Gemeindebezirke übertragen. Die jüngsten Dezentralisierungen
wurden insbesondere mit einer Stärkung der BürgerInnennähe begründet. Dies ist insofern
nachvollziehbar, als in den Bezirksvertretungen ein hohes Maß an Wissen über die Lage der
64
TP
PT Die
Bezirke entscheiden in folgenden Bereichen über den Einsatz von Budgetmitteln (Sachkosten, keine Personalmittel):
Instandhaltung der Kindertagesheime und Schulen, Herstellung und Instandhaltung von Haupt- und
Nebenstraßen, Errichtung und Instandhaltung der öffentlichen Beleuchtung, Planung, Errichtung und Instandhaltung
der Grünanlagen, Errichtung und Erhaltung der Kinder- und Jugendspielplätze, Führung der Pensionistenklubs,
Instandhaltung der Amtsgebäude, Instandhaltung der Märkte, Instandhaltung der Friedhöfe, Errichtung und
Instandhaltung von städtischen Bedürfnisanstalten, Errichtung und Instandhaltung der Kinderfreibäder sowie Warm-
und Volksbäder, außerschulische Jugendbetreuung, Kulturangelegenheiten des Bezirkes, Öffentlichkeitsarbeit im
Interesse des Bezirks .
82

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Bezirke, kleinteilige Probleme und Potenziale vorhanden ist. Allerdings sind die
65
Steuerungsmöglichkeiten der Bezirke deutlich begrenztP
P und hängen zu einem wesentlichen
Teil von den persönlichen Kontakten und der Durchsetzungsfähigkeit der einzelnen
BezirkspolitikerInnen ab (vgl. Sickinger 2003: 71-72, 75-76).
Dies begünstigt einerseits ein „Bezirkskaisertum“, also die lange, und unter Umständen sehr
einflussreiche Herrschaft eines/r Bezirksvorstehers/in mit allen Für und Wider personen- und
parteibezogener Herrschaft und unter Umständen einem gravierenden Mangel an
demokratischer Mitsprache. Andererseits ist es für Bezirksvertretungen oft nicht einfach, eigene
Positionen durchzusetzen, die Ergebnisse von Beteiligungsverfahren umzusetzen, wenn sie
keinen ausreichenden Einfluss auf die Umsetzung haben. Darüber hinaus fällt es manchen
Bezirksvorstehungen auch schwer, in Beteiligungsverfahren Gestaltungsmacht an BürgerInnen
abzugeben, wenn sie sich diese selbst erst mühsam erarbeiten resp. erhalten müssen.
66
Mit der Einführung des aktiven und passivenP
P Wahlrechts auf Bezirksebene für einen Großteil
67
68
der Nicht-EWR-BürgerInnenP
P ist bereits ein erster Schritt in die Richtung gemacht wordenTP
PT,
ZuwanderInnen als relevante Gruppe für (Bezirks-)PolitikerInnen zu etablieren. Damit erhalten
die Wohngebiete, in denen ein hoher Anteil an Nicht-EWR-BürgerInnen lebt, eine höhere
kommunalpolitische Bedeutung, mit der Folge, dass es künftig lohnender für PolitikerInnen sein
wird, Mittel der Stadtentwicklung und Stadterneuerung in diesen Grätzeln einzusetzen. Mit
diesem politischen Schritt werden auch die sozialen und kulturellen Wertvorstellungen der
ZuwanderInnen gestärkt, was wiederum zu ihrer sozialen Integration beiträgt.
65
TP
PT Gewünscht würden von einigen BezirksvorsteherInnen unter anderem Geldmittel und Verfügungstöpfe für
Sozialfälle, soziale Einrichtungen und Bezirkskultur (Sickinger 2003: 74-75).
66
TP
PT Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind die Funktionen von Bezirksvorstand und -vertretung sowie die Mitgliedschaft
im Bauausschuss davon ausgenommen.
67
TP
PT Nämlich allen, die länger als fünf Jahre in Wien ansässig sind.
68
TP
PT Dieser Beschluss ist gerade von obersten Verfassungsgericht „kassiert“ worden. Die Stadt Wien ist bemüht, eine
entsprechende Regelung zu verabschieden, die verfassungskonform ist.
83

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
3.3.2 Erfahrungen aus den Länderstudien zur ‚urban governance’
Verwaltungsmodernisierung
In der europäischen Programmatik der Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
wird immer wieder betont, dass es auch darum geht, das Verwaltungshandeln effizienter,
effektiver, integrativer, kundenorientierter und gebietsbezogener zu gestalten. Dabei wird die
traditionelle Input-Orientierung zu Gunsten einer (effizienten) Input-Output-Relation ersetzt
(Benchmarking), bisweilen sogar bereits eine Outcome-Orientierung eingeführt (Zufriedenheit
der Kunden, Orientierung an Effektivität). Die Städtestrategien sind zumeist Teil von
übergeordneten Programmen zur Modernisierung der lokalen Verwaltungen (z.B. ‚Modernising
Local Government’ in Großbritannien oder das „Tilburger-Modell“ des Kontraktmanagements in
den Niederlanden resp. das daraus abgeleitete Modell der deutschen Kommunalen
Gemeinschaftsstelle (KGSt). Dabei wird thematisiert, dass die Erbringung öffentlicher
Dienstleistungen modernisiert, stärker auf die Bedürfnisse der BewohnerInnen von sozial benachteiligten
Quartieren ausgerichtet und die Privatisierung der Erbringung städtischer
Dienstleistungen in Bezug auf ihre Auswirkungen auf Armut und soziale Ausgrenzung kritisch
betrachtet werden sollten. Schließlich soll die horizontale Integration vorangetrieben und die
Kooperation und Kommunikation auf dieser Ebene verbessert werden (z.B. Integration von
verschiedenen politischen Feldern auf nationaler Ebene und lokaler Ebene wie in der
niederländischen Großstadtpolitik, im ‚New Deal for Communities’ in Großbritannien und im
„Soziale Stadt“-Programm in Deutschland). In den Länderstudien zeigte sich jedoch auch, dass
funktionale Spezialisierung, stark hierarchischer Aufbau und politisches Selbstinteresse der
Verwaltungsabteilungen immer noch große Hindernisse für ein ressortübergreifendes Arbeiten
darstellen.
Im Zuge der Verwaltungsmodernisierung werden in der Regel auch Privatisierungs- und
Outsourcing-Strategien gewählt. Privatisierungen haben in der Regel den Nachteil, dass
Kommunen nur die Bereiche verkaufen können, in denen ein Potenzial zur Gewinnerzielung
steckt (unter Umständen erst dann, wenn die parlamentarische Kontrolle der
Gebietskörperschaften abgeschwächt resp. umgangen wird); zudem werden privatisierte
Dienstleistungen nur im Ausnahmefall unter dem Aspekt der Sozialverträglichkeit oder gar des
69
Ausgleichs von Disparitäten angebotenTP
PT. Im
Fall des mit der Effizienzsteigerung häufig
verbundenen Personalabbaus wirken sich Privatisierungen in jedem Fall armutsrisikoverstärkend
aus.
Derzeit gibt es zudem einen massiven Druck seitens der EU (beispielsweise über die
Konvergenzkriterien und den Stabilitätspakt), der WTO und großer multinationaler Konzerne,
die sich von Liberalisierungen von Märkten und von Privatisierungen kommunaler
Versorgungsbetriebe weitere Unternehmensübernahmen erhoffen, die Erbringung öffentlicher
Dienstleistungen auf lokaler Ebene zu „vermarktlichen“. Der Handlungsspielraum der
Kommunen wird auf diese Weise massiv eingeschränkt und es ist nicht absehbar, wie es den
Kommunen gelingt, sich in den politischen Entscheidungsprozess vor allem auf EU-Ebene
69
TP
PT Erste
Ansätze gibt es im Rahmen der ‚business improvement districts’, von Stadt(teil)management resp. im
Bemühen um einen USP in Feldern strategischer Partnerschaft, des ‚social sponsorings’ oder des ‚social investments’
– bislang im deutschsprachigen Raum eher die Ausnahme.
84

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
stärker Gehör zu verschaffen, um ihre Interessen adäquat vertreten zu können. Schließlich
werden momentan der neoliberalen Doktrin kaum andere politische Modelle entgegengesetzt:
70
„Die zunehmend auch in sozialdemokratischen PositionenP
Perkennbare Akzeptanz von
Wettbewerb bzw. unternehmerischem Handlungskalkül als Grundlage auch für die Erbringung
von Leistungen der Daseinsvorsorge, gepaart mit den vorhandenen und zum Teil gravierenden
Haushaltsschwierigkeiten vieler Kommunen deuten aber letztlich darauf hin, dass
der generelle Trend zur Liberalisierung von Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge
sich fortsetzen wird“ (Raza 2003: 21).
Obwohl ein zunehmender Druck seitens der EU auf die Liberalisierung der Erbringung lokaler
öffentlicher Dienstleistungen (z.B. durch die Notwendigkeit der öffentlichen Ausschreibung)
ausgeübt wird, sollten die Kommunen sorgfältiger prüfen, in welchen Bereichen
Privatisierungen sinnvoll erscheinen und welche Nebeneffekte daraus entstehen. Denn eine
„breite“ Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen (wie z.B. im Fall Großbritannien) kann
negative Effekte auf die Qualität dieser Dienstleistungen, die Kosten und auf die
gleichberechtigten Zugangsmöglichkeiten zu diesen Dienstleistungen erzeugen. Vor allem für
Menschen, die sich in einer Situation sozialer Ausgrenzung befinden, können sich damit
zusätzliche Benachteiligungen ergeben.
Dezentralisierung - Zentralistierte Strukturen
Wie sich in allen untersuchten europäischen Ländern gezeigt hat, sind Städtestrategien gegen
Armut und soziale Ausgrenzung dem eigenen Anspruch nach immer mit der Ausweitung von
bestehenden und der Etablierung von neuen Formen der Kooperation zwischen AkteurInnen
aus dem politisch-administrativen System, aus dem privaten ökonomischen Sektor und aus der
Zivilgesellschaft verbunden. Im Kern geht es dabei auch immer um neue Partnerschaften und
Netzwerke, die wichtige Teile von ‚urban governance’ darstellen.
In allen Länderstudien wird deutlich, dass für eine effektive Stadtpolitik (wie alle
problemorientierten Politikansätze) neben einer politischen Grundsatzentscheidung ein
integrierter Handlungsansatz notwendig ist. Dazu gehören:
• eine vertikale Integration (Verbindung der nationalstaatlichen, Länder-, Stadt- und
Stadtteil-/ Bezirks-Ebenen),
• eine horizontale Vernetzung der einzelnen Verwaltungsabteilungen in einer Stadt (resp.
der nationalen Ministerien),
• eine Partnerschaft zwischen dem staatlichen, dem lokalen und dem privaten Sektor
(‚public-public-private partnership’),
• das aufeinander Beziehen von ökonomischen, sozialen und Umweltzielsetzungen
(nachhaltige Regionalentwicklung),
• die Konzentration der vorhandenen Ressourcen auf Schwerpunkte gemäß politischer
Präferenzen unter Berücksichtigung der Mobilisierung weiterer Ressourcen und
• das wieder Heranführen der sozial überforderten und ökonomisch abgehängten Quartiere
an den gesellschaftlichen und ökonomischen Durchschnitt (vgl. auch Parkinson 1998).
Trotz dieser Ausrichtung der politischen Programmatiken wird in nahezu allen
wissenschaftlichen Reflexionen das Hauptproblem der Umsetzung der Urban Governance im
Fehlen eines integrierten Handlungsansatzes in den Städten und Nationalstaaten resp. in deren
70
TP
PT Beispielsweise
das Pariser Manifest der Union der sozialistischen Kommunal- und RegionalpolitikerInnen Europas
vom 25.4.1999 oder den Entwurf „Kommunalpolitische Leitsätze der SPD“ vom 13.1.2001 – s. unter www.spd.de.
85

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
zögerlichen Implementation gesehen. Die Tatsache, dass offensichtlich Anspruch und
Wirklichkeit meist im Widerspruch zueinander stehen wird seitens der Wissenschaft und der
Politikberatung als wesentliche Ursache einer unzureichenden Bekämpfung von Armut und
sozialer Ausgrenzung gesehen. Als konkrete Ursachen werden genannt:
• (zu enge) fachliche Spezialisierung der Ressorts,
• Kameralistik und Besitzstandswahrung der eigenen Abteilungen bzgl. Personal und
Finanzmittel,
• Beharren auf exklusive Zuständigkeit innerhalb eines Politik- und Verwaltungsfeldes,
• daraus überbetonte Eigeninteressen der Ressorts,
• Auseinandersetzungen zwischen den Ebenen über Zuständigkeiten und Finanzierung der
Aufgaben,
• zu geringe Bewertung der Arenen zur Organisation der Querschitts-Themen („Straf-
Delegation“, Delegation mit nachrangigen MitarbeiterInnen ohne
•
Entscheidungskompetenz, unzureichende kommunikative Kompetenzen), daher kaum
institutionelle Entscheidungskompetenz, meist fehlt der verbindliche politische Beschluss
und
aufgrund der geringer werdenden eigenen Kompetenzen in der Verwaltung nur geringe
Bereitschaft, die eigenen Ressourcen infrage stellen zu lassen.
Es ist also das politisch-administrative System selbst und es sind die mit dem System
verbundenen Entscheidungsbefugnisse, Motivationsstrukturen, Anreizsysteme und
Machtverhältnisse, welche verhindern oder es zumindest erschweren, dass die Logik effizienter
Verwaltung und optimalen Mitteleinsatzes im Zuge des Übergangs zur Governance konsequent
umgesetzt wird.
Wenn das so ist, dann ist allerdings gegenüber der Wissenschaft kritisch anzumerken, dass es
noch keine Studie dazu gibt, die erforscht hat, warum diese Barrieren bestehen, warum
bestimmte Grundprinzipien des Verwaltungshandelns nicht in Frage gestellt werden und warum
es so schwierig ist, die Macht zwischen den traditionellen und den neuen ‚playern’ angemessen
zu verteilen. Wenn das gleiche Dilemma nahezu überall konstatiert wird, liegt der Verdacht
nahe, dass die Ursachen weniger bei den handelnden Personen, sondern überwiegend in den
institutionellen Konstruktionen, Logiken und Reproduktionsformen öffentlicher Verwaltung
liegen.
In subsidiär strukturierten politisch-administrativen Mehr-Ebenen-Systemen gewinnt vor allem
die höchste Ebene an Bedeutung hinzu. Sie sollte, sehr viel stärker und bewusster als jemals
zuvor, strategische Aufgaben wahrnehmen (Festlegung der Mittel, Zuschnitt und Ziel-Definition
der Politikfelder entsprechend der Präferenzen der Politik-Ziele, Schaffen von
Evaluationskriterien und -prozessen für die umfangreicheren Controlling-Aufgaben etc.) Die
nachrangigen Hierarchieebenen sollten demgegenüber in stärkerem Maße mit
Umsetzungsaufgaben betraut werden. Innerhalb von Großstädten, insbesondere wenn sie –
wie Wien – zugleich Bundesländer sind, bedeutet das, insbesondere den Bezirken und
Stadtteilen mehr Umsetzungs(voll)macht einzuräumen. Nur diejenigen Einheiten und
Personen, denen ihrerseits der Handlungsspielraum (von oben) erweitert wird, sind in
der Lage, von ihren Entscheidungsbefugnissen Elemente nach unten und außen
weiterzugeben – das wiederum ist die Voraussetzung zu einer angemessenen
Partizipation von zivilgesellschaftlichen Institutionen als neo-korporative AkteurInnen.
86

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Die Länderstudien zeigen, dass lokale Städtestrategien gegen Armut und soziale
Ausgrenzung sinnvolle Verknüpfungen von vertikaler und horizontaler Integration, von
Top-down- und Bottom-up-Modellen im Gegenstrom-Prinzip voraussetzen. Diese
Strategien stehen oft im Kontext umfangreicher Verwaltungsmodernisierungen in diesen
Städten resp. gehören zu deren Vorreitern. Mit diesen governance-Elementen geht eine
neue „Kultur“ des Vereinbarens (z.B. durch „Städteverträge“) und des Zusammen-
arbeitens einher resp. ist sie Folge dieser neuen Politik-Kultur.
In den Länderstudien zeigte sich, dass folgende Punkte für eine erfolgreiche Implementierung
von Städtestrategien zentral sind (aber oftmals fehlen und ein wesentlicher Faktor für
eingeschränkte Erfolge der Maßnahmen sind):
• Die Entscheidungskompetenz und Verantwortung der Umsetzung sollte in stärkerem
Maße innerhalb der Verwaltung nach unten und nach außen zu zivilgesellschaftlichen
oder „intermediären“ Organisationen delegiert werden. Dafür sollten die oberen Ebenen
von Politik und Verwaltung ihre strategische Verantwortung stärker annehmen (Leitbild,
Zielformulierung, Erfolgskontrolle, Sicherstellen der Mittel); insbesondere die
•
niederländischen Beispiele machen deutlich, welche Spielräume hier liegen, die oftmals in
Deutschland und Österreich noch nicht wahrgenommen werden.
Die Umsetzentscheidungen vor Ort sollen durch diese strategischen Leitlinien in das
übergeordnete System eingebunden sein.
• Evaluationen, welche dringend erforderlich sind, kommen häufig zu früh, sind durch
(partei-)politische Opportunitäten geprägt (meist durch die Terminierung rechtzeitig zum
Wahlkampf) und zeigen zu selten die nicht erreichten Potenziale auf.
• Eine mittelfristige Wirksamkeit der Programme sollte dadurch gewährleistet werden, dass
die geschaffenen Strukturen später von den BewohnerInnen und Gewerbetreibenden vor
Ort organisatorisch weitergeführt werden können; der finanzielle „Ausstieg“ sollte
ebenfalls aufgrund der Evaluationen als schrittweiser, aber geordneter Rückzug geplant
werden.
3.3.3 Empfehlungen für Wien
Die Bezirksebene ist diejenige, die ein großes Potenzial an Demokratisierung von
Entscheidungen in sich trägt. Um dieses zu nutzen, sollten die Entscheidungsspielräume der
Bezirke durch neue Dezentralisierungsschritte weiter erhöht werden. Dazu sind eine
Priorisierung der Aufgaben und eine zeitliche Reihenfolge der Dezentralisierungsschritte
notwendig. Die Weitergabe von Entscheidungskompetenzen an BürgerInnen im Rahmen von
Beteiligungsverfahren oder LA 21 Prozessen, die über die Kompetenzen der Bezirke
hinausgehen, kann auf der Ebene der Bezirke Widerstände hervorrufen und diese schwächen,
wenn die Umsetzung der Ergebnisse von BürgerInnenbeteiligung an Entscheidungen scheitert,
die von den Bezirken nicht beeinflusst werden können, diese jedoch politisch dafür
verantwortlich gemacht werden.
Daher sollten
• die angestrebten Änderungen politisch abgesichert und gewollt sein, sonst ändern sich
die Aufgabenverteilungen nicht,
• das Kontraktmanagement nicht zu formalistisch behandelt werden, sondern
Verwaltungsmodernisierung sollte auch als Teilbereich einer Demokratisierung begriffen
werden,
87

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• die Verwaltungsstrukturen sollten flexibler gehandhabt werden und
• weitere Dezentralisierungsschritte überlegt werden.
• Dabei sollte nicht nur auf betriebswirtschaftliches Kalkül abgezielt werden, es sollte viel
mehr sichergestellt werden, dass die sozialen Ziele angemessen beachtet werden.
• Durch regelmäßige Evaluierungen der sozialen Auswirkungen der Veränderungen (von
outsourcing, Dezentralisierung, Verwaltungsmodernisierung),
• durch Schulungen und Fortbildung des Personals,
• und durch die Neu-Verteilung der Verantwortung,
• kann aus Fehlern und Rückschritten gelernt werden und
• es ist somit die Voraussetzung für ein lokal gebundenes ‚capacity building’ gegeben.
3.4 STADTERNEUERUNGS- UND WOHNUNGSPOLITIK
3.4.1 Wohnungs- und Stadterneuerungspolitik in Wien
Die Wohnungspolitik ist einer derjenigen Regulationsbereiche, die in Österreich in weiten Teilen
71
auf der Länder- und kommunalen EbeneTP
PT entschieden werden. Da der Zugang zum
Wohnungsmarkt und die Wohnungsversorgung zudem einen bedeutenden Einfluss auf die
Folgewirkungen von Einkommensarmut haben, ist die Wohnungspolitik ein zentrales
städtisches Politikfeld bei der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Für die
Beurteilung der sozialen Effekte der Wiener Wohnungspolitik ist daher die Frage bedeutsam, ob
und mittels welcher städtischen Steuerungsinstrumente die Wiener Wohnungspolitik einen
Beitrag zur Wohnungsversorgung und damit zur Integration von Armen und Armutsgefährdeten
leistet.
Wohnungspolitik in Wien
Wohnungspolitik hatte in Wien immer mehrere Zielsetzungen und Motive: Sie hatte einerseits
ausgeprägte wirtschaftspolitische Zielsetzungen im Rahmen einer keynesianischen,
antizyklischen Wirtschaftssteuerung. Diese wurde zunächst durch die Wohnbautätigkeit der
Gemeinde Wien selbst und dann zunehmend durch verschiedene Modelle und Regelungen im
Rahmen der Wohnbauförderung betrieben.
Sehr bedeutsam waren in Wien immer auch die sozialpolitischen Ziele der Wohnungspolitik.
Besonders bekannt sind zwei Modelle: Das eine ist der Wiener Kommunale Wohnungsbau, der
in den 1920er Jahren als sozialistisches Sozialreformprojekt begann. Diese Zeit und ihre
Wohnbautätigkeit mit 65.000 Wohnungen zwischen 1919 und 1934 legten den Grundstein für
die heutige Situation. Wien besitzt und verwaltet als „größter Hausbesitzer Europas“ auch heute
noch ca. 230.000 Wohnungen. Das zweite bekannte wohnungspolitische Instrument der Stadt
Wien das Wiener Modell der bewohnerorientierten „Sanfte Stadterneuerung“. Beide Modelle
verbindet ein dezidiert sozialer Anspruch. Ein weiteres wichtiges stabilisierendes Element der
Wohnungspolitik war lange Zeit die (national geregelte) Mietengesetzgebung.
Aufgrund der erwartbaren Armutsentwicklung und der äußeren Rahmenbedingungen
(steigende Einstiegsmieten und zunehmende Unsicherheit durch Befristungen aufgrund der
Liberalisierung des Mietrechts), ist Wien heute in einer Situation, in der die Bedeutung des
71
TP
PT TIn
zwei bedeutenden Bereichen Aspekten der Wohnungspolitik hat Wien keinen direkten Einfluss: in der
Mietengesetzgebung und in der Höhe der Bundesmittel für Wohnbauförderung.T
88

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
geförderten Wohnungsbaus für die Versorgung der einkommensschwachen und -schwächsten
Haushalte weiter steigen wird. Dass Wien, wie alle anderen Bundesländer auch, über den
Einsatz der Wohnbauförderungsmittel des Bundes selbständig entscheiden kann, verschafft der
Stadt ein im europäischen Vergleich hohes Ausmaß an Handlungsspielräumen. Darüber hinaus
wird der Neubau von Wohnungen in Wien fast ausschließlich mit Mitteln der Wohnbauförderung
finanziert und die Gemeinde Wien verfügt über einen beträchtlichen selbst verwalteten
kommunalen Wohnungsbestand (siehe oben).
Die umfassende Förderung des Wohnungsneubaus mit öffentlichen Mitteln schlägt sich in einer
hohen Produktionsleistung und in einem hohen Qualitätsstandard des geförderten Neubaus
nieder. Der Preis dafür ist jedoch im wahrsten Sinne des Wortes sehr hoch: Neu errichtete
72
geförderte Wohnungen, auch neu erbaute GemeindewohnungenP
P sind in der Errichtung relativ
teuer und erfordern einmalige finanzielle Beiträge der MieterInnen und zukünftigen
EigentümerInnen.
Die Objektförderung der Neubauproduktion, die den weitaus größten Teil der Förderung des
73
Wohnungsneubaus ausmacht, wird daher tendenziell als mittelschichtorientiert eingestuftP
P. Um
dem sozialen Anspruch öffentlich geförderten Wohnungsbaus gerecht zu werden und sozialen
Härten zu begegnen, wird derzeit durch individuelle Subjektförderung für einzelne Gruppen mit
unterschiedlichen Regelungen punktuell „nachgebessert“. Dazu hat Wien einige Instrumente
und Individualförderschienen entwickelt: die Wohnbeihilfe und Eigenmittelersatzdarlehen, sowie
einen zusätzlichen Weg für einzelne Gruppen zum kommunalen Wohnungsbestand: die soziale
Wohnungsvergabe sowie die „Jungwieneraktion“ für die Versorgung junger WienerInnen ohne
eigene Wohnung mit Wohnraum.
Eine spezielle Schiene der sozialen Wohnungsvergabe sind die so genannten
„Notfallswohnungen“, die für Menschen geschaffen wurde, die in Krisenunterkünften (z.B.
Mutter-Kind-Heime usw.) wohnen oder bei denen eine besondere soziale Notlage vorliegt. Seit
dem Jahr 2000 gibt es einen Pool von 2.000 „Notfallswohnungen“ (vgl. Kohlbacher & Schwab
2002: 198), die an Nicht-EWR-BürgerInnen vergeben werden können, wenn sie seit mindestens
fünf Jahren legal in Österreich und seit mindestens einem Jahr in Wien leben, wenn sie
Spekulationsopfer sind oder in gesundheitsschädlichen Wohnungen leben oder wenn eine
ernste Gefährdung für die Entwicklung und Gesundheit von Kindern (aber auch von bereits
kranken Personen) besteht. Die zur Verfügung gestellten Wohnungen sind geförderte
Wohnungen, darunter 600 Gemeindewohnungen. Im Falle einer positiven Entscheidung erfolgt
nur ein Wohnungsangebot – meist der Kategorie C (kein Bad und keine Heizung). Wünsche
bezüglich des Wohnortes (Bezirk) können nicht berücksichtigt werden, was sicherlich einer Integration
eher abträglich ist.
Grundsätzlich kann Wien derzeit noch einen relativ teuren sozialen Wohnungsbau mit
Individualförderungsmitteln heruntersubventionieren und auf diese Weise die eigentliche
Mittelschichtsförderung „nach unten“ ausdehnen. Problematisch sind dabei folgende Aspekte:
• Was passiert, wenn die Wohnbauförderungsmittel des Bundes reduziert werden? Können
die zusätzlichen Individualförderungsmittel dann noch aufrechterhalten werden?
• ZuwanderInnen ohne EWR-Mitgliedschaft sind zwar zu Teilen des geförderten
Wohnungsbaus grundsätzlich zugangsberechtigt, sie sind jedoch mit einer Reihe von
72
TP
PT Die Gemeinde Wien baut heute – im Gegensatz zum Beginn des kommunalen Wohnungsbaus in Wien – unter
denselben Rahmenbedingungen wie andere (gemeinnützige) Bauträger und auf Basis derselben Förderungen.
73
TP
PT Dies gilt für ganz Österreich und führt auch immer wieder zu Kritik an der Wohnbauförderung.
89

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Einschränkungen und Diskriminierungen konfrontiert: Mindestaufenthaltsdauer in
Österreich fünf Jahre, keine Eigentumsbildung möglich, kein Zugang zum kommunalen
Wohnungsbestand. Sie sind dem gemäß auch nur zu einem geringen Prozentsatz im
74
öffentlich geförderten Wohnungsbau zu finden: Im Jahr 1999TP
PT kamen
rund 5% der
MieterInnen (6.600 Wohnungen) aus Nicht-EWR-Ländern (vgl. Kohlbacher & Schwab
2002).
• ZuwanderInnen aus Nicht-EWR-Staaten sind zwar grundsätzlich zum Bezug von
Wohnbeihilfe berechtigt, sie müssen jedoch – wie alle anderen AntragstellerInnen auch –
ein Mindesteinkommen nachweisen. Da sie aber nur in Ausnahmefällen zum Bezug von
Sozialhilfe berechtigt sind, der dann jedoch ihren Aufenthaltsstatus gefährden kann, ist
dies für diese Gruppe kaum ein realistischer Weg. Darüber hinaus kann die Regelung
abschrecken, dass bei Bezug von Wohnbeihilfe die Miete eine gewisse Höhe nicht
überschreiten darf und dass ansonsten eine Überprüfung des Hauptmietzinses eingeleitet
werden muss. Da das Aufenthaltsrecht der ZuwanderInnen von ausreichenden
Wohnbedingungen abhängt, ist die Hemmschwelle, den Mietzins überprüfen zu lassen,
vermutlich relativ hoch – bei einem zudem oftmals geringen Informationsgrad der
MieterInnen.
• Der Zugang zu den Notfallswohnungen ist mit sehr restriktiven Bedingungen versehen:
nur ein einziges Wohnungsangebot, keine Möglichkeit, auf Bezirkswünsche einzugehen,
Überbelag kann zwar ein Ausweisungsgrund für ZuwanderInnen sein, bedeutet aber
keinen Anspruch auf eine Notfallswohnung.
• Die Möglichkeit der Weitergabe von Gemeindewohnungen innerhalb der Familie ohne
Berücksichtigung des Einkommens und des Verhältnisses Wohnungsgröße/Anzahl der
Personen reduziert den für BezieherInnen niedriger Einkommen zur Verfügung stehenden
Anteil der meist günstigen Altbauwohnungen.
Stadterneuerungspolitik in Wien
Neben dem geförderten Wohnungsbau ist die geförderte Sanierungstätigkeit im privaten
Altbaubestand der zweite Bereich, in den Mittel der Wohnbauförderung fließen. Diese hat nach
Moser (1999) vor allem wirtschaftsfördernde Effekte und mittel- bis langfristige
eigentumsfördernde Effekte. Besonders gut gelungen ist seiner Meinung nach die aktive
Einbindung der MieterInnen in den Sanierungsprozess, was ihre Mitarbeit und auch eigene
finanzielle Beteiligung betrifft. Die Behandlung der MieterInnen als eigenständige AkteurInnen
der Stadterneuerung, ihr weit reichendes Mitspracherecht beim Ausmaß der Standardanhebung
der Wohnung und ihre eigenständige Integration in das Sanierungsgeschehen sorgt für eine
sozialverträgliche Anhebung des Wohnungsstandards und mietergerechtes Ausmaß an
Sanierung.
Die Effekte der Sanierungsförderung im Kampf gegen die problematische Umwandlung
desolater Althäuser in Wohnungseigentum und ihr Abverkauf an finanziell schwache
Bevölkerungsgruppen bewertet Moser jedoch als eher gering. Auch können kurzfristige
Verwertungsinteressen und Spekulation damit nicht eingedämmt werden. Auch in Bezug auf die
74
TP
PT In
den letzten Jahren scheint jedoch der Anteil MieterInnen ohne EWR-Staatsbürgerschaft im sozialen
Wohnungsbau zugenommen zu haben. In einem Beitrag von Rischanek & Amann (2003) weist Wohnbaustadtrat
Faymann darauf hin, dass 2001 und 2002 der Anteil der ausländischen StaatsbürgerInnen bei den Neuvermietungen
von Genossenschaften auf ca. 20% angestiegen sei. Aktuelle Zahlen über den Anteil der ZuwanderInnen ohne
EWR-Staatsbürgerschaft im gesamten sozialen Wohnungsbau in Wien konnten jedoch nicht gefunden werden.
90

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Verhinderung von Segregation stellt er der Wiener Sanierungspolitik kein sehr gutes Zeugnis
aus. Zwar konstatiert er eine gewisse Abschwächung der Verdrängungstendenzen im Vergleich
zur frei finanzierten Sanierung, er weist jedoch auf eine unübersehbare sozialstrukturelle
Aufwertung im Zuge geförderter Sanierungsprojekte hin. Darüber hinaus fehlen seiner Meinung
nach regelmäßige Evaluierungen der (sozialen) Effekte der Wiener Wohnungspolitik, die eine
konsistente Steuerung erst ermöglichen.
Wien setzt nicht nur auf sanfte Stadterneuerung im Sinne von bewohnerInnenverträglichem
Vorgehen, es werden auch gegenüber den EigentümerInnen bevorzugt sanfte
Steuerungsversuche gemacht: Durch die Verknappung der noch unsanierten Altbausubstanz
und die Konzentration der ZuwanderInnen in diesem Wohnungssegment ist es für diejenigen
EigentümerInnen, die nicht an einer langfristigen Erhaltung des Hauses interessiert sind,
möglich, auch und gerade in Häusern in schlechtem Zustand eine zufrieden stellende Rendite
zu erwirtschaften und auf Wertsteigerungen der Grundstücke gerade wegen des schlechten
Zustandes der Häuser zu warten. Dies führt zu spekulativem Verhalten auf Kosten der
BewohnerInnen und der Qualität der Stadtviertel. Sanfte Steuerungsversuche, wie
beispielsweise Angebote zu öffentlich geförderter Sanierung, greifen hier ins Leere. Durchaus
vorhandene Mittel wie Ersatzvornahmen und Zwangsverwaltungen im Anschluss an § 6-
Verfahren werden hingegen nur äußerst selten angewandt (vgl. Czasny et al. 2000). Darüber
hinaus wird durch widmungsbedingte Aufzonungen im dicht bebauten Gebiet Spekulationsdruck
erzeugt (vgl. Grimm-Pretner & Rode 2003).
Trotz vorhandener Erfolge scheint die Wiener Sanierungsförderung daher nicht wirklich dazu
angetan, die Wohnungsversorgung der unteren und untersten EinkommensbezieherInnen in
großem Ausmaß dauerhaft zu sichern. Dieses wird zusätzlich durch die
Liberalisierungstendenzen des bundesweiten Mietrechts erschwert. Da jedoch gerade dieser
Teil des Wohnungsmarktes für die Ärmsten und jedenfalls für die ZuwanderInnen mit geringem
Haushaltseinkommen der zentrale Bereich der Wohnungsversorgung ist, ist hier dringender
Handlungsbedarf angesagt, wenn eine Verstärkung der bereits hohen Konzentrationen dieser
Gruppen nicht erwünscht sind.
Der derzeitige Umgang mit dem Neubau und auch die Belegungspolitik der Stadt Wien stellen
eine Stabilisierung und Verbesserung der Wohnsituation bisher nur für die österreichischen
StaatsbürgerInnen sicher, auch wenn es erste Öffnungen des sozialen Wohnungsbaus in
Richtung MigrantInnen gibt. Der Großteil der armen MigrantInnen ohne österreichische oder
EWR-Staatsbürgerschaft konzentriert sich (zusammen mit einem noch immer hohen Anteil an
österreichischen Haushalten mit geringem Einkommen) bisher im privaten
Altbaumietwohnungsbestand. Das heißt stadträumlich eine Konzentration armer Haushalte in
denjenigen Teilen der Stadt, die durch eine gründerzeitliche Bausubstanz in eher schlechtem
Zustand (Gürtelnähe und außerhalb des Gürtels sowie im 2. und 20. Bezirk) und mit eher
unattraktivem Wohnumfeld gekennzeichnet sind.
Diese Konzentration ist das Ergebnis verschiedener Prozesse und Maßnahmen. Diese sind:
• eine Verknappung des Angebots an preisgünstigem Wohnraum durch (vor allem
ungeförderte aber in abgeschwächtem Ausmaß auch durch geförderte) Sanierung,
• der Ausschluss von ZuwanderInnen ohne EWR-Staatsbürgschaft aus dem kommunalen
Wohnungsbestand,
• der (noch immer) geringe Anteil der ZuwanderInnen im Sozialen Wohnungsbau,
• die Verdrängung armer Haushalte aus attraktiveren Teilen des gründerzeitlichen und vor-
91

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
gründerzeitlichen Stadtgebietes durch Sanierung und Liberalisierung des Mietrechts.
Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich die Lebens- und Wohnbedingungen in den
verbliebenen Gebieten mit schlechter Bausubstanz weiter verschlechtern. Durch:
• die spekulative Vermietung heruntergekommener Bausubstanz zu überhöhten Preisen,
• Aufzonungen im dicht bebauten Stadtgebiet und
• die Abwanderung ökonomisch stärkerer Haushalte.
In Zukunft wird in sehr viel stärkerem Maße eine aktive Steuerung der gesamten
Wohnungspolitik im Neubau und in der Bestandspolitik notwendig sein, will man die
Wohnungsversorgung für alle einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen auf einem
akzeptablen Niveau sicherstellen.
3.4.2 Erfahrungen aus den Länderstudien
In nahezu allen europäischen Ländern sind vor allem Wohnungsbaugesellschaften wichtige
Partnerinnen in der Erneuerung von Quartieren (z.B. in den Niederlanden im Rahmen der
Großstadtpolitik, in Frankreich als Partner in den ‚contrats de ville’ und in Deutschland im
„Soziale Stadt“-Programm resp. in den kommunalen Programmen einzelner Städte mit einem
hohen Anteil an kommunalen oder öffentlich geförderten Wohnungen, d.h. überwiegend in
75
GroßsiedlungenP
P). Häufig wurden Wohnungsbaugesellschaften zu zentralen Trägerinnen der
Quartiersentwicklung, übernahmen weitere Aufgaben bezogen auf die Verbesserung der
physischen Infrastruktur im Gebiet (z.B. Sorge um den öffentlichen Raum), beschäftigten und
qualifizierten bevorzugt Menschen aus dem Quartier und kümmerten sich um die Moderation
von lokalen sozialen Konflikten.
Es ergeben sich zusammenfassend für die Wohnungs- und Stadterneuerungspolitik folgende
Überlegungen:
75
TP
PT In
• Der Herstellung und der Erhalt preiswerten Wohnraumes ist zur Unterbringung
einkommensschwacher Wohnbevölkerung elementar wichtig; dabei ist es sinnvoll, über
umfangreiche Bestände zu verfügen und die Belegung im Sinne einer De-Segregierung
zu unterstützen, d.h. aufgrund geringer Spielräume zu einer Belegungspolitik greift (wie in
Deutschland), mit der Folge, dass „soziale Brennpunkte“ produziert werden.
• Maßnahmen der Stadterneuerung bedeuten meist eine Aufwertung des Standortes mit
dem Ergebnis steigender Kosten und Mieteinnahmen; will man eine öffentlich geförderte
Stadterneuerung, muss seitens des politisch-administrativen Systems die Verantwortung
für „sozialverträgliche Lösungen“ übernommen werden, d.h. die Gratwanderung zwischen
„sozialverträglicher Aufwertung - Stabilisierung“ und „betriebswirtschaftlich lohnende
Nutzung“ muss verantwortungsvoll und am Gemeinwohl orientiert gestaltet werden.
• Die Diskussion um die Segregation wird meist sehr emotional geführt; insbesondere über
die Konzentrationen von einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen und „sozialen
Problemfällen“ an Orten, wo sie zusätzlich benachteiligt werden. Dennoch:
vielen west- und nordeuropäischen Großstädten sind die am wenigsten attraktiven Wohngebäude in den am
wenigsten attraktiven Großsiedlungen sehr rasch mit einer Wohnbevölkerung überbelegt worden, die von Armut,
Arbeitslosigkeit, ZuwanderInnen-Status und verschiedenen Formen abweichenden Verhaltens gekennzeichnet ist.
Diese Situation ist in Wien nicht gegeben, da im Gemeindewohnungsbau und öffentlich geförderten Wohnungsbau
der Anteil an Personen aus Nicht-EWR-Ländern sehr gering ist und die inländische Bevölkerung in diesen Gebieten
in noch sehr viel geringerem Ausmaß von Einkommensarmut betroffen ist. Zudem hat die Stadt in der Zischen- und
Nachkriegszeit Gemeindewohnungen auch in attraktiven Lagen und an „guten Adressen“ gebaut (damals ging die
Lage auch nicht in die Kalkulationen ein).
92

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
•
Konzentrationsintensitäten, auch die der ZuwanderInnen, sagen nicht direkt etwas über
das Maß an Integration aus; relevanter ist in jedem Fall der Umgang der Gruppen
untereinander vor Ort, das „politische Klima“ von Offenheit resp. Diskriminierung.
Der Einfluss von Stadtplanung und Wohnungspolitik auf die Konzentration einzelner
Bevölkerungsgruppen in Teilbereichen der Stadt sowie deren Auswirkungen auf soziale
Ausgrenzungen wird bisher nicht ausreichend erforscht; auf der einen Seite werden
Konzentrationen sozial Benachteiligter in benachteiligenden Wohn- und
Wohnumfeldbedingungen oftmals billigend in Kauf genommen, auf der anderen Seite wird
auf die Konzentration bestimmter sozialer Gruppen sehr stark emotional reagiert; die
Zurückweisung von Konzentrationen folgt zumindest der These, eine Gesellschaft könne
nur integriert sein, wenn sie dem ‚melting pot’-Modell folgt.
3.4.3 Empfehlungen für Wien
Aufgrund der Entwicklung und Entscheidungen der letzten Jahrzehnte hat Wien zwar derzeit
noch umfangreiche Spielräume beim Einsatz der Wohnbauförderungsmittel, es ist andererseits
heute ausschließlich auf die Bundesmittel angewiesen. Die in den letzten Jahren immer wieder
einsetzenden Diskussionen um die Weiterführung der Wohnbauförderung und deren soziale
Treffsicherheit lassen – insbesondere vor dem erhöhten Druck der Haushaltskonsolidierung –
befürchten, dass diese Mittel in Zukunft nicht mehr oder nur noch in deutlich reduziertem
Ausmaß zur Verfügung stehen werden. Es ist daher (und auch aufgrund der hohen Kosten des
Neubaus) zur Sicherung der Wohnungsversorgung der armen und von Armut betroffenen
Haushalte auch notwendig, eine Wohnungsbestandspolitik zu betreiben, die geeignet ist, die
preisgünstigen Wohnraum dauerhaft zu sichern und ihn denjenigen zur Verfügung zu stellen,
die ihn am dringendsten benötigen.
Die Bestandspolitik sollte in zwei Richtungen gehen:
Die stärkere Öffnung des gesamten öffentlich geförderten Wohnungsbestandes für alle Haushalte
mit geringem Einkommen, ungeachtet ihrer staatlichen Zugehörigkeit, und Initiativen dahingehend,
den günstigen kommunalen und genossenschaftlichen Wohnraum auch verstärkt
den wirklich Bedürftigen zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang sollte sich Wiener
Wohnen nicht an einer betriebswirtschaftlich vielleicht sinnvollen „Arrondierung der Bestände“
durch den Verkauf „untypischer Gemeindebauten“ orientieren, sondern diese Reserven in ihrem
Portefeuille behalten. Darüber hinaus bedeutet die derzeit mögliche Weitergabe von
Gemeindewohnungen innerhalb der vertikalen Verwandtschaftslinie der MieterInnen ohne
soziale Bedürftigkeit einen Entzug dringend benötigter preiswerter Altbauwohnungen für soziale
76
Zwecke.TP
PT
Die Möglichkeiten eines Zugang zu Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen über die
„Soziale Schiene“ stellt einen guten Ansatz dar, sie muss jedoch – entsprechend der Zunahme
der Problematik weiter personell und finanziell ausgestattet werden. Darüber hinaus sollte der
zur Verfügung stehende Wohnungspool deutlich erweitert werden und die derzeit damit noch
verbundenen restriktiven Auflagen wie nur ein Wohnungsangebot und keine Möglichkeit, auf
den Standort der Wohnung Einfluss zu nehmen, reduziert werden. Gerade für Menschen in
prekären Situationen kann es sehr wichtig sein, die im unmittelbaren Wohnumfeld aufgebauten
sozialen Kontakte nicht zu verlieren.
76
TP
PT Das
Eintrittsrecht für Kinder ist allerdings an eine bundesgesetzlichen Regelung angepasst, die nicht nur für Wien
Gültigkeit hat.
93

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Darüber hinaus sollten auch alternative Modelle der Sanierung, der Verwaltung von Wohnraum
(beispielsweise über Kleingenossenschaften) und der Mitbestimmung auch für sozial
benachteiligte Gruppen und soziale Projekte überlegt werden. Wohnprojekte, die integrativ
wirken und kulturellen und sozialen Mehrwert in ihrem Umfeld produzieren sind bisher nur unter
hohem finanziellem und zeitlichem Aufwand umsetzbar. Benachteiligte und ökonomisch
schwächere Haushalte können diesen Einsatz derzeit nicht leisten.
Da vor allem die Integration von ZuwanderInnen – auch in Belangen der Wohnungsversorgung
nicht ausreichend gelungen ist, wäre es dringend notwendig, ein wohnpolitisches
77
IntegrationskonzeptP
P zu formulieren, das auch für die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligten
MigrantInnen eine in qualitativer und quantitativer Hinsicht ausreichende Wohnversorgung
sicherstellt.
Um eine aktive Armutsbekämpfungspolitik im Bereich der Wohnungspolitik betreiben zu
können, sollte die Stadt Wien:
• Alle einkommensschwachen Haushalte vom Eigenanteil im kommunalen und restlichen
sozialen Wohnungsbestand befreien,
• die Mindesteinkommens-Regelungen im sozialen Wohnungsbestand streichen,
• eine aktive Belegungspolitik im sozialen Wohnungsbestand zur besseren Durchmischung
der MieterInnen nach dem ethnischen Hintergrund weiterführen und intensivieren,
• den kommunalen Wohnungsbestand in einer sinnvollen und moderaten Strategie auch für
ZuwanderInnen öffnen; dieses ist jedoch sorgfältig nach dem Ort zu prüfen und als
integrationsunterstützender Prozess zu begleiten,
• kooperative Wohnmodelle mit integrativem Charakter vor allem in gründerzeitlichen
Vierteln unterstützen und auch für Menschen mit geringem Einkommen zugänglich
machen
• bei Baumängeln im privaten Altbaubestand auch Zwangsmittel wie Ersatzvornahme und
Zwangsverwaltung konsequent einsetzen
• VermieterInnen von illegalen und unzumutbaren Unterkünften wirkungsvoll strafen und
• Initiativen zur Abschaffung von Befristungen zumindest in KAT C und D Wohnungen
starten
3.5 STADT(TEIL)ENTWICKLUNG UND QUARTIERSMANAGEMENT
3.5.1 Stadtteilentwicklung und Quartiersmanagement in Wien
Da es in Österreich keine nationalen Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
auf lokaler Ebene gibt, sind die in Wien vorhandenen Ansätze auf eigene Initiative der Stadt
entstanden. Einige Ansätze dieser Art wurden im Rahmen von EU-Programmen (Zielgebiet 2
oder Urban) initiiert. Es gibt derzeit zudem einzelne gebietsbezogene Managementansätze in
78
WienP
P, ein von der Komplexität der Aufgabenstellung her umfassendes Quartiersmanagement,
wie es in England, den Niederlanden oder in Deutschland zu finden ist, existiert jedoch bisher
nicht.
77
TP
78
TP
PT Die
PT Gebietsmanagement
bereits bestehenden integrativen Wohnprojekte geben zwar Signale in die richtige Richtung, sie sind jedoch
quantitativ nicht im Stande, die Wohnsituation der ZuwanderInnen merkbar zu verbessern. Darüber hinaus kommen
auch sie vor allem einer schon stärker integrierten Mittelschicht zu Gute.
Arnethgasse, Gebietsmanagement im Rahmen der Projektentwicklung KDAG, Gürtelmanagement,
Baublockmanagement, Quartiersmanagement im Rahmen einer Wohnbebauung.
94

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Als dauerhafte dezentral organisierte Institution besitzt Wien seit nunmehr 30 Jahren mit den im
Rahmen der Stadterneuerung eingeführten „Gebietsbetreuungen“ eine Einrichtung, die als
Vor-Ort agierende Anlauf- und Beratungsstelle einen Teil der Arbeiten eines
Quartiersmanagements abdeckt. Ursprünglich zur Beratung von HauseigentümerInnen und
MieterInnen bei geförderten Sanierungsmaßnahmen und als Anlaufstellen in Fragen der
Stadterneuerung eingerichtet, zeichnete sich seit dem Ende der 1990er Jahre ab, dass das
Aufgabenprofil der Gebietsbetreuungen über das der Gebäudereparatur und der
Wohnumfeldverbesserung hinausgehen sollte. Je nach lokalem Anforderungsprofil, aber auch
aufgrund unterschiedlicher Aktivitäten der Einrichtungen wurden Veränderungen und Weiterentwicklungen
der Aufgaben der Gebietsbetreuungen diskutiert und umzusetzen begonnen.
Dies zeigt sich insbesondere in der Ausdifferenzierung der Qualifikationen der MitarbeiterInnen.
Im Jahr 1999 wurden zusätzlich zu den bestehenden die „Gebietsbetreuungen Neu“
eingerichtet. Diese sind im Wohnhausbestand der Gemeinde Wien tätig und konzentrieren sich
sehr stark auf die Zusammenarbeit mit den MieterInnen und haben insbesondere die Aufgabe,
soziale Probleme zu lösen. Heute gibt es für jeden Wiener Bezirk außer für die innere Stadt (1.
79
Bezirk) mindestens eine GebietsbetreuungP
P.
Neben den Gebietsbetreuungen wurde ein breites Spektrum neuer stadtteilbezogener Initiativen
gestartet: Baublockmanagement, Gebietsmanagement und Grätzelmanagement werden, meist
ausgehend von den Kernen der Gebietsbetreuung, diskutiert und ausprobiert. Das Know how,
das sich dort über die lange Dauer der Betreuung entwickelt hat, bringt Wien in eine gute
80
Ausgangssituation für lokale Ansätze gegen Armut und Soziale AusgrenzungP
P.
Die Außenstellen und lokalen Einrichtungen kooperieren auf freiwilliger Basis in Regionalforen
und anderen Netzwerken. Sie leisten einen Beitrag gegen Armut und soziale Ausgrenzung,
indem sie auf die jeweiligen Defizite ihrer Gebiete reagieren und aktive Angebote wie
Kulturarbeit, Grätzelfeste, Unterstützung bei der Ansiedlung von Gewerbehöfen oder -häusern
(GB 10), Ansätze zum aktiven Gebietsmanagement (GB 16 und 17/18) machen.
Charakteristisch für die Einbindung der lokalen Ansätze in Wien ist jedoch der informelle
81
CharakterP
P auf der unteren Ebene und bei den Querschnittsaufgaben. Gebietsbetreuungen
sind keine Magistratsdienststellen, sie haben keinen eigenen Rechtsstatus in der
Magistratsverfassung. Ihre Aufgaben sind daher in keinem Rechtsakt fixiert, sie haben keine
Entscheidungsbefugnis. Sie arbeiten als intermediäre Institution an der Schnittstelle zwischen
Wohnbevölkerung, HauseigentümerInnen und Gewerbetreibenden, den Bezirksvertretungen
und den Magistratsabteilungen der Stadtverwaltung. Ihre Handlungsfähigkeit und ihr Einfluss
sind sehr unterschiedlich und beruhen auf der Qualität der Kontakte der MitarbeiterInnen der
Gebietsbetreuungen zu einzelnen BeamtInnen und zur Bezirksvertretung.
Meist ausgehend von den Gebietsbetreuungen oder im Zusammenhang mit Stadterneuerung
gibt es in Wien einige lokale „Management-Ansätze“. Darunter werden jedoch – wie auch
andernorts (vgl. Alisch 2002: 100-104) – sehr unterschiedliche Ansätze verstanden oder aber
verschiedene Begriffe für ähnliche Konzepte verwendet.
79
TP
PT Es gibt derzeit 19 gebietsbezogene Gebietsbetreuungen mit sechs zusätzlichen Außenstellen, davon elf, die nur für
Wohnhausanlagen der Stadt Wien zuständig sind, sowie eine „mobile“ Gebietsbetreuung, die für ganz Wien
Unterstützung gegen Absiedlung und Spekulation gibt.
80
TP
PT Die Außenstellen des in Auflösung befindlichen Wiener Integrationsfonds, Institutionen der Gemeinwesenarbeit wie
die „Bassena“, Nachbarschaftszentren und andere soziale Organisationen und Träger von Sozialarbeit und
Jugendarbeit wie die Parkbetreuungen sind eine wichtige Ressource für lokale Strategien. Es gibt auch bereits eine
umfangreiche Vernetzungsstruktur wie zum Beispiel die Regionalforen oder das Vernetzungsfrühstück.
81
TP
PT Dies zeigt sich sowohl bei der Zuständigkeit der Bezirke als auch der Gebietsbetreuungen.
95

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
So verwendet die BUWOG-Wohnungsbaugesellschaft den Begriff „Quartiersmanagement“ im
Sinne von ‚facility management’, indem sie darunter die Kontakte zwischen KundInnen und
Bauträgerin über Informationsabende, Anregungen zur Bildung einer Gemeinschaft zwischen
den neu einziehenden MieterInnen und MieterInnenbetreuung und haushaltsnahe
Dienstleistungen versteht; während die Stadt Wien unter „Gebietsmanagement“
82
(Arnethgasse, KDAG und Liesinger BrauereiP
P) alle jene Aufgaben versteht, die bei einer
Projektentwicklung nicht über die Flächenwidmung- und Bebauungsplanung geregelt werden
können (eine so genannte „begleitende Stadtteilentwicklung“, die eigentlich mehr eine
„begleitende Projektentwicklung“ ist). Hierunter finden sich komplexere Governance-Ansätze,
die parallel zu den traditionellen Planungsabläufen AkteurInnen wie AnrainerInnen, Fachleute
und die Bezirksverwaltungen stärker in die Projektentwicklung einbinden und die das
Zusammenspiel mit der Verwaltung Projekt bezogen neu organisieren.
Die Einbeziehung der Bevölkerung und der Gewerbetreibenden beschränkt sich bei diesen
„Gebietsmanagementprojekten“ auf verstärkte und kontinuierliche Information über den
Planungsprozess und Ideen-Inputs sowie auf in einen Fachbeirat entsendete BürgerInnen
(KDAG). Die Bezirksvertretungen werden dabei über flexiblere Formen der Beteiligung bei
Entscheidungen eingebunden.
Daneben wird mit dem so genannten „Baublockmanagement“ „Stadterneuerung in öffentlichprivater
Partnerschaft“ angestrebt.
Im Antrag der Stadt Wien zur Gemeinschaftsinitiative Urban II (Laufzeit 2002-2006) aus dem
Jahr 1999 ist die Einrichtung eines „Stadtteilmanagements“ als Leitprojekt aufgeführt. Mit Hilfe
dessen sollte die Ansiedlung von innovativen Unternehmen, die Flächenentwicklung, ein
Upgrading, die Verdichtung der Wirtschaftsnutzung und ein Standortmarketing sowie eine
Imagebildung über die Koordination von Prozessen erreicht werden. Dazu sollte das
„Stadtteilmanagement“ als niedrig schwellige Anlaufstelle dienen, durch Beschäftigungs- und
Qualifizierungsprojekte die berufliche Weiterentwicklung insbesondere von Jugendlichen
ermöglichen, die Kommunikation im Quartier fördern und Projekte zur Integration von
ZuwanderInnen und Flüchtlingen entwickeln.
In der Ergänzung zur Programmplanung aus dem Jahr 2003 wird nur noch die
wirtschaftsorientierte Entwicklung des Gebietes erwähnt. De facto wurde bis heute jedoch noch
kein „Stadtteilmanagement“ eingerichtet, weil trotz längerer magistratsinterner Versuche die
nationale Kofinanzierung nicht gesichert werden konnte und kein ausreichendes politisches
Interesse an dem Projekt bestand. Da dieses Konzept dem international üblichen
Quartiersmanagement sehr nahe kommt, ist es umso bedauerlicher, dass die Stadt die Chance,
solche Einrichtungen frühzeitig zu etablieren, nicht nutzt.
Vor allem die soziale und die Stadterneuerungsseite von „Quartiersmanagement“ wird im
derzeit (Projektlaufzeit von 2002 bis Ende 2005) im Rahmen der Zielgebiet-2-Förderung der EU
im 2. und 20. Wiener Gemeindebezirk laufenden Pilotprojekt „Grätzelmanagement“ betont.
Ziel des Pilotprojekts ist die Verbesserung der sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen
Bedingungen im Projektgebiet. Angestrebt sind neben der Aktivierung der Bevölkerung und der
Gewerbetreibenden auch Maßnahmen zur Förderung des Arbeitsmarktes, der lokalen
Wirtschaft, der Qualifizierung der Wohnbevölkerung und des kulturellen Angebots. Darüber
hinaus soll das Pilotprojekt Impulse für Verwaltungsmodernisierung geben (stärkere Delegation
82
TP
PT Alle
drei Projekte beziehen sich auf die Entwicklung ehemals industriell genutzter Standorte (zwei Brauereien und
eine Kabel- und Drahtfabrik), die zu gemischten Wohn-, Arbeits- und Kulturstandorten entwickelt werden.
96

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
von Entscheidungen nach unten und außen, stärkere Einbindung solcher Governance-Ansätze
in die regulären Verwaltungsstrukturen).
Das Pilotprojekt „Grätzelmanagement“ ist bei den lokalen Gebietsbetreuungen angesiedelt.
Projektträger ist der Wiener Wirtschaftsförderungsfonds (WWFF), ProjektpartnerInnen sind die
für die Gebietsbetreuungen zuständige MA 25 und das Wissenschaftszentrum Wien, das die
Evaluation finanziert und als wissenschaftliche Begleiteinrichtung tätig ist. Wie auch die
Evaluation bestätigt, sind die Ziele der Aktivierung der Bevölkerung und die partizipative
Stadtteilentwicklung in dem Projekt bisher recht gut gelungen. Dennoch gibt es einige
Kritikpunkte, insbesondere an der strategischen Verantwortung der Stadt (vgl. auch: Steiner et
al. 2003):
• Ein Projekt dieser Komplexität müsste als horizontal integrierter Ansatz von mehreren
Einrichtungen der Stadt Wien getragen werden. Stattdessen
o konnten zur Antragstellung mit dem WWFF und der MA 25 nur zwei Institutionen
gewonnen werden. Weitere gewünschte institutionelle PartnerInnen wären der
Wiener Integrationsfonds (WIF), die Geschäftsgruppen Soziales und
Stadtentwicklung, der Wiener ArbeitnehmerInnen Fonds (WAFF) und die
•
Wirtschaftskammer Wien gewesen. Diese schmale Basis hat sich auch während der
Laufzeit des Projekts nicht verbreitern lassen (vgl. Steiner et al. 2003: 25, 29).
o Selbst diese schmale Basis ist brüchig, denn die Verankerung des Projekts wird auch
innerhalb der beteiligten Institutionen als nicht ausreichend angesehen (vgl. Steiner et
al. 2003: 25, 33).
Die Herausforderungen an die GrätzelmanagerInnen und die damit verbundene
Komplexität der Aufgaben sowie der administrative Aufwand des Pilotprojektes (auch
aufgrund der EU-Förderung), wurden eindeutig unterschätzt.
o Die Stellen der QuartiersmanagerInnen wurden nicht ausgeschrieben und an einem
oder mehreren notwendigen Qualifikationsprofilen orientiert, sondern erfolgten „per
Entsendung der ProjektpartnerInnen“ bzw. über „Intervention der Bezirkspolitik“.
o Folgerichtig wurden im Zuge der Evaluation vor allem Kompetenz- und
Qualifikationsmängel bei den GrätzelmanagerInnen insbesondere in den Kern-
Kompetenzen dieser Aufgabe, nämlich in den Bereichen Entwicklung von beruflichen
Qualifikationsprojekten, wirtschaftliche Kompetenzen und Managementqualitäten
sowie in der „Projektsteuerung“ oder dem „Projektmanagement“ festgestellt (vgl.
Steiner et al. 2003: 26, 37).
o Die Zeitbudgets für das Grätzelmanagement sind nicht ausreichend (vgl. Steiner et al.
2003: 38).
• Die zu treffenden Entscheidungen und Kompetenzen sind nicht angemessen konzipiert.
o Da es keine Koordinierungsrunde der fachlich betroffenen Institutionen gibt, findet
eine Kooperation auf der institutionellen Ebene kaum statt oder ist zusätzlich
erschwert (vgl. Steiner et al. 2003: 27).
o Dadurch ist das Ziel einer innovativen Verwaltungsentwicklung völlig in den
Hintergrund getreten und hat auf diese Weise kaum eine Umsetzungschance; es fehlt
gerade seitens der höheren Verwaltungsebenen ein ausreichendes Maß an
Akzeptanz und Unterstützung (vgl. Steiner et al. 2003: 35).
o Auf diese Weise laufen die Interessen der Gesamtstadt (wenn sie denn als solche
formuliert werden) und die Bezirksinteressen häufig auseinander; von einer vertikal
97

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
•
integrierten Planung kann daher kaum ausgegangen werden (vgl. Steiner et al. 2003:
35).
o Auch die Bevölkerung ist nicht ausreichend in die Kommunikationsprozesse
eingebunden; zwar sind die BürgerInnen über den Grätzelbeirat an Entscheidungen
beteiligt, die wesentlichen Entscheidungen fallen jedoch nach wie vor auf der
institutionellen Ebene und hinter verschlossenen Türen (vgl. Steiner et al. 2003: 57).
o Stadtverwaltung und Bezirk haben oft allzu unterschiedliche Interessen.
Das Grätzelmanagement ist aufgrund seiner strategischen Bedeutung für das Viertel
zentral; daher müssten alle anderen Zielgebiet 2-Projekte damit verbunden bzw. vom
Grätzelmanagement oder einer damit verbundenen Institution koordiniert werden.
Stattdessen laufen die Projekte eher unverbunden nebeneinander her.
• Es gibt deutliche Widersprüche zwischen der sehr breiten Projektkonzeption und der
schmalen, auf die beiden EU-Schienen ESF und EFRE reduzierten
Finanzierungsstruktur:
o Das Grätzelmanagement ist zwar ein Projekt, es muss aber auf zwei getrennten
Schienen mit zwei getrennten Anträgen abgerechnet werden, was einen hohen
Verwaltungsaufwand erzeugt.
o Auch wenn es ein eigenes Budget für lokale Projekte gibt, können viele der von den
BürgerInnen entwickelten Projekte nicht gefördert werden, weil sie weder den
Förderungsbedingungen der ESF- noch der EFRE-Schiene entsprechen (vgl. Steiner
et al. 2003: 30).
o Die Stadt Wien hat neben der nationalen Kofinanzierung keine eigenen Mittel im
Haushalt eingestellt, damit müssen die GrätzelmanagerInnen resp. die Projekt-
InteressentInnen die Mittel selbst beschaffen (vgl. Steiner et al. 2003: 32, 37) – ein
sinnloser Mehraufwand, zumal vor dem Hintergrund geringer werdender finanzieller
Spielräume seitens einzelner MAs aufgrund der enger werdenden Haushaltssituation.
o Damit steht die Finanzierungsstruktur auch im Widerspruch zum basisorientierten
Ansatz des Projekts (vgl. Steiner et al. 2003: 34).
o Die GrätzelmanagerInnen geraten dadurch sehr häufig in eine „beschneidende“
Rolle, die im Widerspruch zum eigenen Rollenverständnis als AnwältInnen der
BürgerInneninteressen stehen (vgl. Steiner et al. 2003: 26, 29).
Das größte Manko ist also das Fehlen von strategischen Kontexten und Einbindungen – ein
Phänomen, das nach den europäischen Erfahrungen (s.u.) dazu beiträgt, dass die Mittel nicht
effektiv und effizient eingesetzt werden.
3.5.2 Erfahrungen aus den Länderstudien
Das Quartiersmanagement ist in den meisten west- und nordeuropäischen Ländern das
Herzstück bei der Umsetzung der Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung – in
Deutschland konzentriert man sich nahezu ausschließlich hierauf. Neben der Analyse der
strategischen Einbettung (politischer Beschluss, integrativer Politikeinsatz, dezentrale
Entscheidungskompetenzen, Evaluation) steht vor allem die Vor-Ort-Umsetzung dieser
Strategien im Mittelpunkt der analytischen Betrachtungen. Demgegenüber findet kaum
Beachtung, wie dieses Instrument in die gesamte städtische, regionale und nationale Politik und
Verwaltung eingebunden ist – das bezieht sich
• einerseits auf das Ziel der Armutsbekämpfung und der Förderung sozialer Integration,
98

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• andererseits auf die politische und verwaltungsgemäße Verankerung, d.h. auf das
Element eines Experiments für eine breiter angelegte Verwaltungsmodernisierung resp.
die Gestaltung der „neuen Planungskulturen“ im Kontext des Überganges zur
Governance.
Im europäischen Kontext zeigt sich deutlich, dass für den Erfolg von Quartiersmanagement-
Modellen und anderen lokalen Strategien gegen soziale Ausgrenzung und Armut
ausschlaggebend ist, welcher politische Stellenwert den allgemeinen Dezentralisierungs- und
Partizipationsmaßnahmen eingeräumt wird. Eine wichtige Erkenntnis aus den Länderstudien ist,
dass ein Quartiersmanagement als Bestandteil einer Dezentralisierung von
Verwaltungsaufgaben nur dann erfolgreich ist, wenn
• ausreichend finanzielle Mittel und ein entsprechender Zeithorizont bereitgestellt,
• Entscheidungskompetenzen klar definiert und
• die quartiersbezogenen Umsetzung unabhängig und fachlich professionell durchgeführt
wird sowie in übergeordnete Strategien eingebunden und lokal verankert sind.
Als Bestandteil einer weiter gefassten Verwaltungsmodernisierung werden mit dem
Quartiersmanagement immer wieder die folgenden Punkte eingefordert und angemahnt:
• Eindeutige positive politische Entscheidung für das Programm resp. die Pilotprojekte,
• klare Zielfestlegung und damit verbunden eine Festlegung der Erfolgsindikatoren,
• Fachabteilungen übergreifende Ansätze und Finanzierung,
• Verwaltungsebenen übergreifende Kooperation,
• inter- und transdisziplinäre Zugangsweisen,
• kooperierendes Einbeziehen der zivilgesellschaftlichen Strukturen, der „Betroffenen“ und
• Einbeziehen der Wirtschaft (‚corporate social responsibility’).
3.5.3 Empfehlungen für Wien
Aus dem Vergleich mit den europäischen Ländern wird deutlich, dass in Wien derzeit auf Basis
einer gut eingeführten Institution, den Wiener Gebietsbetreuungen, und weiteren lokalen
Ansätzen und Vernetzungsrunden erste Ansätze zu einem Quartiermanagement ausprobiert
werden. Im Rahmen der von der EU finanzierten Programme wie URBAN II und Zielgebiet 2
konnten die ersten Impulse gesetzt werden. Allerdings hat die Stadt dieses Potenzial
(insbesondere bei URBAN II) nur ansatzweise genutzt.
Die Defizite befinden sich dabei weniger auf der Umsetzungsebene, wo die Stadt auf eine breite
Erfahrung vieler Institutionen zurückgreifen kann, sondern vor allem auf der strategischen
Ebene, wo die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen für einen Beitrag zur
Verwaltungsmodernisierung bisher nicht erkannt worden sind.
Die Stadt muss sich daher entscheiden, ob sie ihre Strategie der Vergangenheit weiter
fortführen möchte und das bewährte Instrument der Gebietsbetreuungen schrittweise durch den
Ausbau der Aufgaben weiter entwickelt, oder ob sie einen qualitativ anderen Schritt in Richtung
83
QuartiersmanagementP
P machen will.
83
TP
PT In
der Literatur werden die sehr viel weiter reichenden Ansätze dahingehend kritisiert, den Begriff
„Management“ für diese doch eingeschränkte Steuerungsaufgabe heranzuziehen; ein diesem Begriff
angemessenen Ansatz sollte die Kontrolle über alle Ressourcenströme im Quartier sichern, also
99

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Unsere Empfehlung ist, aus den Erfahrungen in anderen europäischen Städten zu lernen
und – gemessen an der Entwicklung der Problematik – früher als die anderen Städte in
mehreren Grätzeln ein solches Management einzurichten. Dazu bedarf es vor allem erheblicher
Veränderungen gerade im ‚urban management’ der Stadt, die allerdings bei der selbst
verordneten Verwaltungsmodernisierung auch noch nicht umgesetzt, teilweise noch nicht
einmal „angedacht“ wurden. Dazu gehören:
• Ein politischer Beschluss zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung u.a.
mittels des Instruments des Quartiersmanagements auf höchster Ebene;
• die Einrichtung angemessener Koordinationsstrukturen, wobei die zentrale Verantwortung
politisch sehr hoch eingebunden sein sollte (Büro des Bürgermeisters);
• eine Verantwortung für das Programm, dessen Implementation, Finanzierung und
Evaluation unter Einbezug mehrerer Amtsführender Stadträte (Stadtentwicklung,
Wohnungsbau und Stadterneuerung, Soziales, Integration von ZuwanderInnen, Wirtschaft
und Finanzen) und Fonds (WBSF, WWFF, WAFF, Soziales Wien) (horizontale
Integration);
• eine verwaltungsinterne Koordinierungsrunde unter Einbeziehung der entsprechenden
Fonds, welche die Geschäftsbereiche der Amtsführenden StadträtInnen abdeckt, und die
das Konzept erarbeitet, die Zielkriterien und zu erreichenden Ziele festlegt sowie die
Evaluation beauftragt und deren Ergebnisse umsetzt (horizontale Integration);
• weitere Koordinierungsgremien unter Einbezug der politischen Parteien, der Bezirksvorstände
sowie der korporativen AkteurInnen (Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer,
Wiener Wohnen) und der Wissenschaft sind sinnvoll (vertikale Integration der horizontal
integrierten Ebenen);
• Sicherung eines Haushaltstitels, aus dem Projekte im Rahmen des Quartiersmanagements
finanziert werden können; dieser Haushaltstitel speist sich entweder aus den
Haushaltstiteln aller einzubindenden MAs resp. Geschäftsbereichen sowie der Fonds
oder wird durch Vorwegabzug sichergestellt; während die letzte Lösung die einfachere
erscheint, ist die erste symbolisch gewichtiger, weil auf diese Weise die horizontale
Vernetzung sichtbar wird.
• Sozialintegrative Stadtplanung sollte im Rahmen eines integrativen Ansatzes vorgehen
und damit der Tatsache Rechnung tragen, dass Stadtplanung und Stadtentwicklung eine
„Querschnittsmaterie“ ist.
• Soft-Facts werden für eine sozialverträgliche Stadtentwicklung eine Voraussetzung für
deren Erfolg sein; sie sollten unter Einbeziehung der Bedürfnislage von Vor-Ort-
AkteurInnen entwickelt werden.
• Es sollte eine breite Diskussion über Ziele und Art einer sozialverträglichen Stadtentwicklung
gestartet werden. Zielsetzungen und Prioritätensetzungen sollten dabei auf eine
breitere Basis gestellt werden und die Grundlage für die strategische Zielsetzung einer
Stadtentwicklungspolitik sein.
• Es ist zu prüfen, wie für Strategien, Instrumente und Maßnahmen der Stadtentwicklung
bestimmter Größe und Reichweite – ähnlich wie bei der Umwelt- und Gesundheits-
Verträglichkeitsprüfung – Maßnahmen einer Sozialverträglichkeits-Prüfung (SVP) eingeführt
werden können, mit Hilfe derer „unbeabsichtigte Folgen rationalen Handelns“ in
beispielsweise auch die Schulen, die lokalen Budgets, die örtliche Ökonomie etc. in viel stärkerem Maß
integrieren (vgl. Alisch 1998b: 12-15).
100

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
eigenen und anderen Politikfeldern in ihrer Negativwirkung auf die Zunahme von sozialer
Polarisierung, Armut und sozialer Ausgrenzung abgeschätzt werden können.
• Die Gestaltung des öffentlichen Raumes sowie die Partizipation bei diesen Entscheidungen
sind wichtige Aufgaben im Hinblick auf die Sozialverträglichkeit.
3.6 PARTIZIPATION
3.6.1 Partizipation in Wien
Seit einigen Jahren ist die Anzahl von BürgerInnenbeteiligungsverfahren in Wien deutlich
gestiegen. Diese finden einerseits im Rahmen von Verkehrsprojekten, verbunden mit
Umweltverträglichkeitsprüfungen und Strategischer Umweltprüfung (Verlängerung U1, U2,
SUPer NOW) so wie im Rahmen allgemeiner verkehrspolitischer Fragestellungen (Mobil in
Wien, Masterplan Verkehr 2003) oder als Einzelprojekte (Verkehrskonzept Hütteldorf) statt.
Darüber hinaus gibt es auf der Ebene der Stadtteilentwicklung eine Reihe von BürgerInnenbeteiligungsprojekten,
die entweder als Einzelprojekte (Aufwertung des Brunnen-viertels,
Beteiligungsverfahren zum Zimmermannplatz, Zielgebiet Gürtel) im Rahmen Lokaler Agenda 21
oder im Rahmen von EU-Projekten (URBAN (Beteiligungsverfahren Yppenplatz), im Zielgebiet
2 im 2. und 20. Bezirk (Grätzelmanagement)) laufen.
Die vielen Beteiligungsprojekte zeigen, dass in Wien keineswegs – wie oft kritisiert - ein
„beteiligungsmüdes oder beteiligungsfeindliches Klima“ herrscht. In vielen Beteiligungsprozessen
war die die Partizipations- und Kooperationsbereitschaft bei allen Beteiligten durchwegs
hoch, das Arbeitsklima gut, die Ergebnisse wurden vielfach konsensual erzielt.
Dennoch gibt es einige grundsätzliche Herausforderungen für Beteiligungsprozesse in
Wien:
Bei der Mobilisierung wird vielfach zu sehr auf Standardmittel wie Postwurfsendungen und
Anzeigen in Bezirkszeitungen gesetzt. In den Fällen, in denen dies die vorrangigen
Mobilisierungsmittel sind, ist die Anzahl der mobilisierten Menschen meist eher gering und
sozial sehr selektiv. In Vierteln, bei denen bereits häufiger Beteiligungsverfahren stattgefunden
haben und in denen auch Ergebnisse umgesetzt wurden, werden mehr Menschen erreicht
(Viertel um den Brunnenmarkt). Wird die Mobilisierung durch eine Vor-Ort-Institution wie eine
Gebietsbetreuung durchgeführt oder von diesen ergänzt, so werden deutlich mehr Menschen
erreicht. Die Ergebnisse bei der Mobilisierung von MigrantInnen sind bisher nicht sehr gut. Dies
liegt auch daran, dass meist nicht ausreichend auf diese Gruppe zugegangen und deren
kulturellen Gewohnheiten berücksichtigt werden.
Eine große Herausforderung bei vielen Beteiligungsprozessen in Wien ist die Beteiligung von
Politik und Verwaltung. Innerhalb der Verwaltung besteht ein großes Bedürfnis nach
Kooperation und Abstimmung in Bezug auf die jeweiligen Projekte, die in den regulären
Verwaltungsabläufen zu kurz kommen. In manchen Beteiligungsprozessen wurde mit großem
Erfolg und mit hoher Zufriedenheit dafür ein zusätzliches institutionelles Gremium eingeführt
(Steuerungsgruppe). Die adäquate Einbindung der bezirklichen Ebene ist in Wien eine
besondere Herausforderung (s. Dezentralisierung).
Der Übergang von der Planungsphase mit BürgerInnenbeteiligung zur Umsetzungsphase
und Fertigstellung eines Projekts verläuft häufig unbefriedigend, da der zur Bevölkerung oder
den VertreterInnen aufgebaute Kontakt (Information über das Geschehen und Vermittlung von
101

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Änderungen) häufig wieder verloren geht. Hier funktioniert die Einbindung der
Ausnahmesituation „BürgerInnenbeteiligung“ in die reguläre Verwaltungstätigkeit nicht
ausreichend.
Häufig entsteht bei den Beteiligten der Eindruck, bei den Partizipationsprozessen in eine Alibi-
Funktion zu geraten, wenn entweder deren Ergebnisse kaum Berücksichtigung finden oder
aber die entscheidenden Probleme und Themen ausgeblendet werden. Dann entsteht der
Eindruck, nur „schmückendes Beiwerk“ zu sein. Die Folgen können sehr häufig kontraproduktiv
sein, weil dadurch eine hohe Demotivierung entsteht und der beabsichtigte
Demokratisierungseffekt sich in sein Gegenteil verkehrt.
Die Finanzierung von komplexen, integrativen Projekten, wie sie häufig im Rahmen von
Stadtteilentwicklungsprojekten vorkommen, ist meist ein großes Problem (s.
Grätzelmanagement Zielgebiet II) und stellt im schlimmsten Fall gut gemeinte, engagierte
Beteiligungsprojekte in Frage, weil sie nicht finanziert werden können. Dies wirkt auf die
BürgerInnen (und auch auf die engagierten BeamtInnen) äußerst demotivierend.
In diesem Zusammenhang wird auch oft die mangelnde politische Rückendeckung (vor
allem durch die zentrale Ebene) beklagt. Es gibt zwar grundsätzliche Zusagen zu den
Projekten, wenn jedoch Schwierigkeiten (meist im Zusammenhang mit der Finanzierung)
auftauchen, fehlt die politische Rückendeckung auf der Landes- oder der städtischen Ebene
und die Bezirkspolitik steht ohne ausreichende Kompetenzen und finanzielle Mittel da. Dies
bewirkt eine – nachvollziehbare – Skepsis gegen BürgerInnenbeteiligung auf der bezirklichen
Ebene. Trotz dieser schwierigen Rahmenbedingungen sind einzelne Wiener Bezirke nach wie
vor erstaunlich aufgeschlossen gegenüber BürgerInnenbeteiligung.
Die Frage der gesellschaftlichen Entscheidungsfindung und Legitimitätsbildung ist in Wien, wie
in vielen anderen Städten derzeit im Umbruch. PolitikerInnen entscheiden nicht mehr (ganz)
alleine, BürgerInnen werden schrittweise in die Verantwortung für Entscheidungen und
gesellschaftliche Veränderungen genommen. Dies erfordert eine Änderung des
Rollenverständnisses aller Beteiligten: PolitikerInnen, Verwaltung und BürgerInnen müssen
die neuen Rollen erst aushandeln und lernen, sie müssen sich in diesen Prozessen
„empowern“.
Grundsätzlich muss man sich die Frage stellen, welche Bedeutung Partizipation in einer Stadt
haben soll, welchem Stellenwert man ihr geben möchte. Das Grundverständnis vieler
PolitikerInnen in Wien ist, dass sie nach wie vor diejenigen sind, deren Aufgabe es ist, die
Entscheidungen allein zu treffen (und dieses dann auch zu verantworten). Ein Zitat des Büros
Schicker macht diese, in Wien weit verbreitete Haltung deutlich: Zwischen BürgerInnen und
PolitikerInnen „gibt es gar keine hierarchie. politiker sind bürger, die gewählt und bezahlt
werden, um entscheidungen im sinne der öffentlichkeit zu treffen“ Büro Schicker, 13.3 2002
14:32) .
Dieses Grundverständnis ist ein an sich lobenswertes – vom Anspruch her. Es verstellt jedoch
den Blick, darauf, dass das Wissen und die Entscheidungsmacht der PolitikerInnen sehr wohl
eine Hierarchie schaffen (ob man will oder nicht). Darüber hinaus werden Beteiligungsverfahren
ja gemacht, weil es heute nicht mehr so einfach ist „Entscheidungen im Sinne der Öffentlichkeit“
zu treffen. Deshalb wird versucht, Entscheidungen in Beteiligungsverfahren auf eine breitere
Eben zu stellen. Auch wenn die gewählten politischen VertreterInnen nach wie vor die
Entscheidungen treffen (was auch sinnvoll und richtig ist), so verändern sich jedoch durch
Partizipation zwei Aspekte: Die Grundlage für die Entscheidung kann sehr viel offener und auf
102

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
das Thema bezogen „demokratischer“ sein und der Rechtfertigungsdruck für jede einzelne
Entscheidung wird höher.
Die derzeitige Offenheit für BürgerInnenbeteiligung in Wien ist sehr begrüßenswert. Sie ist ein
Hinweis dafür, dass in der Stadt vieles in Bewegung geraten ist, dass neue Formen
gesellschaftlicher Steuerung und Entscheidungsfindung ausprobiert werden, dass die
Beteiligten aus allen Bereichen dafür offen sind. Trotzdem beinhaltet die derzeitige
Beteiligungseuphorie auch gewisse Gefahren: Den einzelnen Beteiligungsprojekten wird nicht
immer ausreichend Aufmerksamkeit, Finanzierung und politische Unterstützung zuteil. Dies
wirkt sich in
• nicht ausreichender Planung mancher Beteiligungsprozesse,
• oftmals unprofessioneller Durchführung der Beteiligungsverfahren („selbstgestrickte
Moderation“),
• zu wenig Augenmerk auf die Mobilisierung und
• zu wenig Sicherheit der Finanzierung der Umsetzung aus.
Weniger, aber mit ausreichend Mitteln, Aufmerksamkeit und politischer Rückendeckung
ausgestattete Beteiligungsprozesse bewirken oftmals mehr als viele, die unter zu restriktiven
Bedingungen durchgeführt werden müssen. Eine genaue Analyse und Evaluation der in Wien
durchgeführten Beteiligungsprozesse und Konsequenzen aus den Analysen durch Veränderung
der Rahmenbedingungen wären ein guter Weg, um die Beteiligungskultur in dieser Stadt
nachhaltig zu stärken, und wären ein guter Impuls für die Erreichung der Ziele der
Verwaltungsmodernisierung.
3.6.3 Erfahrungen aus den Länderstudien
Partizipation ist ein zentraler Bestandteil integrativer Stadt(teil)entwicklung, um Wirtschaftsunternehmen,
Institutionen und BewohnerInnen nicht nur über Maßnahmen der Stadtentwicklung
zu informieren, sondern auch aktiv einzubinden und zur Mitgestaltung einzelner
Projekte zu gewinnen. Die intensive Zusammenarbeit mit verschiedenen AkteurInnen ist zudem
der zentrale Bestandteil von Urban Governance. Dabei unterscheiden sich die europäischen
Städte bezüglich ihrer Beteiligungskultur deutlich – einerseits von der Gewährung von
Mitspracherechten durch Politik und Verwaltung und andererseits bezüglich des Einforderns
dieser Rechte durch BürgerInnen. Je umfangreicher die Problematik ist und je länger die
Prozesse bereits andauern, umso umfangreicher und tiefer greifend sind in der Regel die
Partizipationsverfahren.
Wichtige Aspekte einer Partizipation in Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzungen
sind zusammenfassend:
• Schon bei der Programmerstellung sollten alle relevanten AkteurInnen auf
•
verschiedenen Ebenen (Region, Stadt, Stadtteil) einbezogen werden, um die Akzeptanz
der und die Identifikation mit den Strategien, Programmen und Maßnahmen zu erreichen.
Eine genaue Definition dessen, was erreicht werden und wie dies geschehen soll, ist
ebenso wichtig; dazu müssen Rollen, Rechte und Pflichten der einzelnen AkteurInnen
festgelegt werden, damit von Beginn an Transparenz und klare Verantwortlichkeiten
hergestellt werden können. Zur Zielsetzung und Erfolgs-Messung gehört zudem eine
klare Definition von Indikatoren und der zu erreichende Werte.
Im nächsten Schritt ist die Intensität und Reichweite der Partizipation (Information und
Anhörung, Ideenproduktion, Diskussionspartnerschaft, kooperative Problemlösungen,
103

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Partnerschaften und teilweise Delegation von Entscheidungen; vgl. zu den Stufen Selle
1996: 170) angesprochen. Es ist ebenso wenig sinnvoll, die „Einbahnstraßen-
Regelungen“ als Höchstmaß der Partizipation festzulegen (wie es manche Verwaltung
tut), wie immer ein Höchstmaß an Mitentscheidung einzufordern (wie es häufig die
Lobbyisten der zivilgesellschaftlichen Interessensgruppen oder „kritische“
•
SozialwissenschaftlerInnen tun), sondern die zur Zielsetzung am besten geeignete Ebene
sollte gewählt werden. Hierzu sollte man sich verstärkt der Fachkenntnis professioneller
ModeratorInnen bedienen, die im Übrigen auch diese Prozesse leiten sollten.
Wichtig ist es auch, sich über die angemessenen Methoden der Partizipation Klarheit
zu verschaffen. Sehr oft überwiegen Elemente wie Diskussionsleitung und
•
Kleingruppenarbeit (die dann mehr oder weniger intensiv zurückgekoppelt wird); diese
verfahren werden noch sehr stark von AuftraggeberInnen und ModeratorInnen gesteuert.
Wendet man hingegen offene Verfahren wie Zukunftswerkstatt, Zukunftskonferenz oder
Open Space an, kommt man in der Regel zu kreativeren Vorschlägen und zu eine
größeren Identifikation der Beteiligten – man muss andererseits aber auch seitens der
Verwaltung willens und in der Lage sein, auf diese stärker ergebnisoffenen Verfahren
einzugehen.
Es reicht nicht aus, die Interventionsgebiete zur Bekämpfung von Armut und sozialer
Ausgrenzung mittels des Überschreitens von willkürlich gewählten (oder durch
Programme vorgegebenen) Schwellenwerten aus der Amtlichen Statistik oder aus
Verwaltungsvollzugs-Daten zu definieren, es ist vielmehr eine genaue
•
Sozialraumanalyse vorzunehmen, um einerseits die Wahrnehmungen und Bewertungen
der jeweiligen Lebenslagen vornehmen und um Coping-Strategien kennen lernen zu
können. Darüber hinaus sind Lebenslagenanalysen die Voraussetzung, um auch
diejenigen sozialen Gruppen in Partizipationsprozesse einbinden zu können, die
ansonsten nur schwierig erreicht und gewonnen werden können.
Die Verantwortung zur Einbindung auch derjenigen sozialen Gruppen, welche bei
Partizipationsverfahren in der Regel unterrepräsentiert sind (ZuwanderInnen, Kinder und
Jugendliche, ältere Menschen, Alleinerziehende, Einpersonenhaushalte, kinderreiche
Familien, Armutsbevölkerung, Menschen mit niedriger Bildung und mit geringem
Selbstvertrauen bezüglich der eigenen sprachlichen Kompetenz) liegt bei den
VeranstalterInnen dieser Verfahren. Es reicht nicht aus, Hauswurfsendungen in
mehreren Landessprachen zu verteilen; zur Aktivierung von Menschen außerhalb der
Verwaltung liegen mittlerweile umfangreiche Erfahrungen vor (vgl. Hinte 1998).
• In vielen Umsetzungsfragen in den Städtestrategien hat es sich als sinnvoll und
notwendig erwiesen, gemischte Entscheidungsgruppen aus Kommunalpolitik, Verwaltung,
zivilgesellschaftlichen Gruppen und gewählten BürgerInnen zu bilden. Mancherorts
hat es sich bewährt, Quartiersfonds einzurichten – dieses entspricht dem Prinzip
der Verwaltungs-Modernisierung, bestimme Zuständigkeiten und Mittel nach unten und
außen zu verlagern.
• Bei den Partizipationsprozessen der Quartierserneuerung sollte von Beginn an sicher
gestellt werden, dass AkteurInnen aus der lokalen Wirtschaft eingebunden sind; dazu
bedarf es offensiverer Vorgehensweisen und der Angebote möglicher Unterstützungsprojekte.
Hierbei sollten Argumente der „corporate social responsibility“
herangezogen werden, wie sie Bestandteil des aktuellen ‚good governance’-Ansatzes der
EU ist; in diesem Zusammenhang wird soziale Verantwortlichkeit als positiver Wettbewerbsfaktor
verstanden.
104

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• Auch die Verwaltung selbst wird häufig bei der Partizipation „übersehen“; als
Bestandteil der internen Verwaltungsmodernisierung (horizontale und vertikale
Integration), als Organisation der neuen und intensivierten Kommunikationsprozesse, als
Motivation zu mehr Selbstbestimmung und schließlich zur Optimierung nicht nur der
Effizienz, sondern auch der Effektivität von Verwaltungshandeln, ist die Partizipation von
MitarbeiterInnen in der Verwaltung unerlässlich. Erst eine verstärkte Einbindung unterer
Hierarchiestufen resp. von nachgeordneten Ebenen der Verwaltung in Entschei-dungen
gibt diesen die Möglichkeit, die notwendigen Räume für Partizipation zu öffnen.
3.6.3 Empfehlungen für Wien
Aus den aktuellen vielfältigen Partizipationsansätzen sollte eine stärker integrierte Strategie
gebildet werden. Dazu sollte die Spitze der Verwaltung und Politik den Mut haben, Räume zu
öffnen, um innerhalb des politisch-administrativen Systems, gegenüber der Wirtschaft und den
privaten Haushalten die nötigen Entwicklungen zu ermöglichen. Dazu ist nötig:
• Ausreichende politische Willensbildung und Unterstützung
o Auf der oberen Ebene (StadträtInnen) vor Beginn des Beteiligungsverfahrens;
o ausreichende Entscheidungskompetenzen und Mitspracherechte der Bezirke;
o Sicherstellen, dass die Bezirkspolitik gut eingebunden ist – auch die Oppositionsparteien.
Also: Kein Verschieben der Opposition auf „BürgerInnenplätze“.
• Sorgfältige Planung des gesamten Partizipationsprozesses
o Sicherstellen, dass der gesamte Prozess von der Vorphase (Planung des
Beteiligungsprozesses) über den eigentlichen Beteiligungsprozess bis zur Umsetzung
und Präsentation der Ergebnisse geplant und finanziert wird;
o ausreichende Zeit und Mittel für die Planung;
o Kontinuität des Kontakts mit der Öffentlichkeit vom Vorprozess über den
eigentlichen Beteiligungsprozess bis zur Umsetzung.
• Kreativer, anlassbezogener Zugang zur Aktivierung der gewünschten Gruppen
o Genaues, anlassbezogenes Partizipationsdesign mit ausreichenden Mitteln für die
Aktivierung der gewünschten/relevanten Gruppen;
o die Aktivierung muss daher speziell auf die für den Prozess gewünschte Gruppe
zugeschnitten sein und einen hohen Stellenwert haben – diese Methode wäre einer
breit gestreuten Aktivierung vorzuziehen;
o wenn nötig, eigene Runde für das politisch-administrative System zur
Koordination, aber auch die Möglichkeit für BürgerInnen, ein eigenes Gremium
(Forum) zu haben.
• Sicherstellen der Umsetzung der Ergebnisse größerer Beteiligungsprojekte
o Sicherstellen, dass die Ergebnisse auch finanziert werden können;
o zur Verfügung stellen eines „Sondertopfs“ für die Umsetzung integrierter Projekte
vor Beginn eines BürgerInnenbeteiligungs-Verfahrens.
105

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
4 ZUSAMMENFASSUNG
Internationale Erfahrungen – aus Erfahrungen lernen
Bei dem Vergleich der österreichischen mit den internationalen Erfahrungen ist zu
berücksichtigen, dass insbesondere in Großbritannien und Frankreich, seit geraumer Weile
auch in Deutschland und nun auch wieder in den Niederlanden, die Armut auf relativ hohem
Niveau zunimmt – auch dann, wenn die Wirtschaft sich relativ positiv entwickelt. Parallel zu
dieser Entwicklung nimmt gerade in Großstädten der Wohlstand ebenfalls zu, so dass hinter
den moderaten Anstiegen von Wertschöpfung ein Auseinanderdriften von Armuts- und
Wohlstandsentwicklung zu beobachten ist. Neben der allgemeinen Zunahme und teilweisen
Verfestigung von Armut stehen diese Entwicklungen in den großen Städten auch deswegen auf
der politischen Agenda sehr weit oben, weil die Armut sich in bestimmten städtischen
Teilgebieten und Wohnungsmarktsegmenten konzentriert und weil sich immer wieder die
gleichen Risikogruppen als anfällig für eine Verarmung gezeigt haben. Bedeutsam ist sicherlich
auch, dass diese Konzentrationen von sozial Benachteiligten sehr emotional betrachtet werden,
weil den in diesen Gebieten lebenden Menschen auch abweichendes Verhalten, politischer
Protest, eine hohes Maß an Straftaten, soziale Verelendung und negative Haltungen zum
Leistungsprinzip (‚culture of poverty’,) zugeschrieben werden. So mischen sich die Sorge um
die Entwicklung der dort lebenden Menschen, insbesondere um die Sozialisation der Kinder
und Jugendlichen mit der Befürchtung der negativen Ausstrahlung auf den Rest der
Stadt(gesellschaft).
Die im Vergleich zu Österreich und Wien hohen Niveaus an Armut, deren räumliche
Verfestigung und sichtbare Zeichen sozialer Desintegration in anderen europäischen Ländern
und Großstädten sind zum einen Folgen der Veränderungen im Arbeitsmarkt im Sinne einer
allgemeinen Modernisierung (d.h. betrifft mehr oder weniger alle Länder und Großstädte, s.
Punkte 1 bis 3), zum anderen aber „hausgemacht“ (s. Punkte 4 bis 7):
84
TP
PT Die
1. Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt durch Verschiebungen zwischen Branchen und
Sektoren;
2. Ausdifferenzierungen innerhalb der Gesellschaft nach sozio-ökonomischen
(Einkommen) und sozio-kulturellen Kategorien (soziale Milieus und Lebensstile), was zu
heterogenen Interessenslagen führt, die immer weniger im Sinne des „Gemeinwohls“
zusammenzuführen sind und Entsolidarisierungsprozesse nach sich ziehen;
3. schrittweiser Rück- und Umbau der sozialen Sicherungssysteme und des Mietrechts
(einerseits auf Druck neo-liberaler Bestrebungen auf der EU- und den meisten
84
nationalen EbenenTP
PT, aber auch aufgrund demographischer Notwendigkeiten (‚greying
society’, was den Fortbestand des „Generationenvertrages“ schwierig macht, Zunahme
kleiner Haushalte und damit schrittweises Erodieren der familialen Hilfsnetze und
schließlich der wachsende AusländerInnen-Anteil, die ein verstärktes Armutsrisiko
aufweisen und zunehmend ebenfalls in die Gruppe der älteren Menschen aufrücken
Argumentationskette verläuft in der Regel über die Notwendigkeit zur Schaffung eine größere, einheitlich
regulierte Wirtschaftszone, der daraus abzuleitenden Leitwährung, die „hart“ sein müsse, daher müsse eine restriktive
Haushaltspolitik betrieben werden, die entsprechend eng reguliert werden müsse; parallel dazu wird die
Forderung erhoben, der Staat solle sich auf seine „Kernaufgaben“ reduzieren und den Marktprozessen einen
größeren Spielraum einräumen, was insbesondere zur Folge hat, dass vor allem die Sozialausgaben zu kürzen
seien. Diese steigen zwar deutlich an, aber vor allem in Folge der stark steigenden Kosten der Altersversorgung und
der Gesundheitsfürsorge und -sicherung, nicht aber wegen der Arbeitslosigkeit resp. der Ausgaben für Sozialhilfe –
hier wird aber mit zunehmendem Konsens besonders intensiv gekürzt.
106

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
und damit aus den Sozialkassen (in die sie jahrelang eingezahlt haben) zunehmend
auch versorgt werden müssen;
4. eine radikale Flexibilisierung und Deregulierung des Arbeits- und Wohnungsmarktes
(vor allem in Großbritannien);
5. eine verfehlte Wohnungsbau- und -belegungspolitik (vor allem Frankreich);
6. große Probleme bei der Integration der Zugewanderten (vor allem Frankreich,
Großbritannien und Niederlande);
7. massive fiskalische Engpässe und eine verzögerte gesellschaftliche Modernisierung (in
allen Ländern wegen der zunehmend restriktiven Haushaltspolitiken, vor allem aber in
Deutschland, wo der Vereinigungsprozess die öffentlichen Kassen massiv belastet).
Die Stadt Wien kann, wie die meisten anderen Städte auch, auf diese Entwicklung nur
begrenzt Einfluss nehmen: Die Stadt Wien würde jedoch einen Fehler machen, sich in dieser
Situation zurückzulehnen und die eigenen Leistungen über Gebühr zu loben, sondern sie sollte
aus den Fehlern und von den „Erfindungen“ der „Forerunner“ lernen.
Das erste wichtige Ergebnis ist, dass im Vergleich zu den anderen europäischen Großstädten
die Probleme von Armut, deren Konzentration und deren Auswirkung eher noch gering sind.
Das kann einerseits mit Zufriedenheit zur Kenntnis genommen werden, dennoch:
Vieles spricht dafür, dass Wien einen großen Teil dieser negativen Entwicklungen, die
man in anderen europäischen Großstädten schon ablesen kann, noch vor sich hat.
Die Armutsraten und -risiken steigen in jüngster Zeit auch in Wien deutlich an, die Sichtbarkeit
von Armut im öffentlichen Raum nimmt zu und die Haushalte mit niedrigen Einkommen
konzentrieren sich immer stärker in den schmäler werdenden Segmenten bezahlbaren und
erreichbaren Wohnraums. Mit der Armuts- und Ausgrenzungsproblematik ist die
85
Herausforderung einer Integration der allochthonen BevölkerungTP
PT eng
Problemfeld, das in Wien eher verdrängt als offen diskutiert wird.
verbunden – ein
Auf der anderen Seite hat die Zuspitzung der Problematik in anderen Städten auch den
Handlungsdruck stärker erhöht als beispielsweise in Wien, so dass man in anderen
europäischen Großstädten – notgedrungen – „weiter“ ist als in der österreichischen Hauptstadt:
85
TP
PT Mit
• Der im Vergleich zu Wien größere Problem- und Handlungsdruck in den bereits weiter
fortgeschrittenen Städten / Ländern hat zu einer Reihe von Innovationen gerade innerhalb
der lokalen / regionalen Politik und der öffentlichen Verwaltung geführt. Nahezu alles, was
heute unter „new public management“ diskutiert wird, hat seinen Ausgangspunkt –
beginnend in Großbritannien, erweitert in den Niederlanden und mittlerweile EU-Standard
– in den „Neu-Erfindungen“ europäischer Stadtpolitiken im Rahmen von integrierten,
vertikal und horizontal vernetzten Politikansätzen.
• Dazu gehört die Verknüpfung von genauen Gebietsanalysen mit maßgeschneiderten
lokalen Strategien („Lokale Maßarbeit“) sowie Verknüpfung dieser Gebietsstrategien mit
einer umfassenden Strategie für die Entwicklung der Stadtregion und
„allochthoner Bevölkerung“ werden Menschen mit anderem ethnischen Hintergrund als die Majorität der
Aufnahmegesellschaft (autochthone Gesellschaft) bezeichnet. In diese Bezeichnungen gehen die geringsten
normativen Vorprägungen ein; sie werden daher häufig in einem um political correctness bemühten Diskurs
verwendet.
107

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• die klare Trennung von strategischer und operationaler Verantwortung bei gleichzeitiger
Verlagerung von Entscheidungen und Mitteln auf die operativen Organe, teilweise auch
an nach außen an intermediäre und/oder zivilgesellschaftliche Organisationen.
• Meist werden neue Formen intermediärer Aktivitäten (Quartiersmanagement) mit
komplexer Aufgabenstellung entwickelt (von Stadterneuerung über Wirtschaftsförderung,
Arbeitsmarktpolitik, Qualifikation und Befähigungsstrategien für die Zivilgesellschaft).
• Die Beteiligung von BürgerInnen wird von Informations- und Anhörungsverfahren zu
Kooperationen und Übertragung von Umsetzungs-Entscheidungen ausgeweitet, das
bedeutet auch, dass Teilbereiche und -aufgaben definiert werden in denen ausgewählte
BürgerInnen (mit-) entscheiden.
• Auch die Partizipation wird innerhalb von Ansätzen des ‚new public management’
innerhalb der Verwaltung ausgeweitet (Stärkung des Aspekts von Personalentwicklung
und einer neuen Verantwortungsverteilung in der Verwaltung) und
• auch die Wirtschaft wird stärker in Ideenfindung und die Übernahme von Verantwortung
durch die Förderung der ökonomisch meist schwachen lokalen Ökonomie, die Öffnung
zur Ökonomie der ZuwanderInnen und Einbindung der „big player“ der Stadtregion im
Zuge von Zielsetzungen der ‚social responsibility’, des ‚social investments’ und des ‚social
sponsoring’ stärker eingebunden.
Die wirkliche Innovation in Wien wäre, diese andernorts und unter größerem Problemdruck
entwickelten Strategien schon frühzeitiger als anderswo zu adaptieren, bevor die Probleme
übermächtig und die fiskalischen Engpässe (zu) groß werden. Wien wäre anders, wenn dieses
besser als anderswo gelingen würde, und es muss – trotz aller erkennbarer Bemühungen –
noch vieles anders werden in Wien, damit der notwendige „Quantensprung“ gelingt.
Empfehlungen für Wien
• Die statistischen Informationen zur Armutsentwicklung sind in Österreich dürftig. So lange
man in der Verwaltung der Stadt Wien nicht weiß, wie viele arme Menschen es in der
Stadt gibt, wer sie sind und wo sie leben und in welcher Hinsicht dieses mit sozialer
Ausgrenzung verbunden ist, kann keine effiziente Politik gemacht werden, mit der aktiv
die Armut und soziale Ausgrenzung verhindert und abgebaut wird. Voraussetzung einer
Kombination angemessener Strategien zur Bekämpfung von Armut und sozialer
Ausgrenzung ist daher eine differenzierte Sozialberichterstattung, wie sie in anderen
europäischen Großstädten aufgrund der weiter fortgeschrittenen Problematik seit etwa
zehn Jahren zum Standard-Repertoire gehört.
• Auf dieser Grundlagen-Information aufbauend kann die Stadt die Gebiete mit
existierender und zu erwartender dynamischer Armutsentwicklung ausweisen (da es
bisher keine geeigneten Indikatoren in der Statistik und im Verwaltungsvollzug gibt, sollte
man hilfsweise die folgenden Indikatoren heranziehen: Anteil SozialhilfeempfängerInnen,
Anteil Arbeitslose, Anteil an Nicht-EWR-BürgerInnen, Anteil Kategorie C- und D-
Wohnungen, Anteil an sanierungsbedürftigen Wohnungen, Orte hoher Lärmbelastungen),
woraus dann eine Präferenzliste der Intervention entstehen sollte.
• Zur ausreichenden Einschätzung der Armut in ihren komplexen Verursachungs- und
Wirkungszusammenhängen gehört es auch, dass eine Stadt sich dazu bekennt, dass das
Phänomen der Armut und sozialen Ausgrenzung trotz aller Bemühungen in der
Vergangenheit existiert und sich vermutlich ausweitet. Von besonderer Bedeutung ist, die
Armutsentwicklung als Bestandteil von Polarisierungstendenzen zu begreifen und eine
108

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
(Teil-)Verursachung in den Modernisierungsprozessen und Wachstumspolitiken zu
sehen. Es ist unausweichlich, hierzu eine Positionierung vorzunehmen, denn die
Ambivalenzen werden sich auch in den jeweiligen Stadträumen auswirken (in den
‚brownfields’, im privaten Wohnungsbaubestand der Gründerzeit, in den Gemeindewohnungen,
in der Stadt-Umland-Relation und in der Wettbewerbs- und Kooperations-
Situation innerhalb der CENTROPE-Region).
• Österreich ist im EU-europäischen Vergleich Schlusslicht in der aktiven Integrationspolitik
gegenüber ZuwanderInnen, davon ist auch Wien betroffen. Da ZuwanderInnen eine der
am stärksten betroffenen Risiko-Gruppen von Armut und vor allem sozialer Ausgrenzung
ist, reicht es nicht aus, eine Gerechtigkeits- und Integrationspolitik sowie deren
Umsetzung ausschließlich unter die Zielsetzung des ‚gender mainstreaming’ gestellt wird.
Genauso wichtig sollte die Bekenntnis zum und die Umsetzung eines ‚diversity
managements’ sein.
• Damit die engagierte Umsetzung der Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und
sozialer Ausgrenzung vor Ort effektiv und effizient sein können, bedarf es eines
politischen Beschlusses zur Strategie der ‚area based initiatives’ auf höchster Ebene. Zu
diesem Beschluss gehören die Ausarbeitung einer Strategie, die Sicherung der
finanziellen Mittel und die Etablierung von Koordinations- und Kontrollinstitutionen auf
möglichst hoher Ebene.
• Ein wesentlicher Grund für die Probleme der Umsetzung ist, dass die jeweiligen politischadministrativen
Systeme ihre strategische Bedeutungen nicht erkannt und keine
entsprechende Rahmenbedingungen gesetzt haben. Obwohl dieses Manko immer wieder
auftritt und dabei eine effektive und effiziente Umsetzung massiv behindert, neigen
Verwaltungen kaum dazu, sich in ihrem Rollenverständnis angemessen zu verändern.
Die internationale Erfahrung zeigt, dass sich die Innovationen im politisch-administrativen
System nur langsam durchsetzen und häufig den Fortgang der neuen Management-
Strategien eher behindern.
Es sollte daher evaluiert werden, welches die Barrieren und die „guten Gründe“
hierfür sind, um das „institutionelle Lernen“ und das ‚capacity building’ zur
Armutsbekämpfung und Verhinderung von sozialer Ausgrenzung in der Stadt Wien
zu entwickeln.
• Da die Stadt Wien zugleich ein Bundesland ist, besteht aufgrund der umfangreicheren
Steuerungskraft die Möglichkeit (und Notwendigkeit), an der Spitze sich der strategischen
Bedeutung bewusst zu werden und hier innovative Ansätze zu erarbeiten. Ein in allen
Untersuchungen gefordertes Element ist der „integrierte Politikansatz“, d.h. das
Zusammenwirken der institutionellen AkteurInnen des politisch-administrativen Systems,
der Wirtschaftsunternehmen und der zivilgesellschaftlichen Strukturen in dezidierter
vertikaler und horizontaler Vernetzung. Gerade Wien hat eine Kultur der relativen
Unabhängigkeit der Geschäftsbereiche und der Amtsführenden Stadträte entwickelt,
welche sich in der Vergangenheit durchaus als günstiges Modell erwiesen hat. Vor dem
Hintergrund massiver werdender fiskalischer Engpässe sind individualistische, kaum
abgestimmte Lösungen jedoch weder zeitgemäß, noch finanzierbar.
• Die derzeitige Offenheit für verschiedene Formen der BürgerInnenbeteiligung in Wien ist
ein Hinweis dafür, dass in der Stadt vieles in Bewegung gekommen ist, und dass neue
Formen gesellschaftlicher Steuerung und Entscheidungsfindung ausprobiert werden. Zu
häufig wird jedoch den einzelnen Beteiligungsprojekten keine ausreichende
Aufmerksamkeit, Finanzierung und politische Unterstützung zuteil. Dies wirkt sich in
bisweilen nicht ausreichend geplanten Beteiligungsprozessen, zu geringem
109

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
Augenmerk auf die Mobilisierung und zu wenig Sicherheit der Finanzierung der
Umsetzung aus. Eine genaue Analyse und Evaluation der in Wien durchgeführten
Beteiligungsprozesse und Konsequenzen aus den Analysen durch Veränderung der
Rahmenbedingungen wären notwendig, um die Beteiligungskultur in dieser Stadt zu
entwickeln und zu stärken, da ansonsten mittelfristig die Gefahr von
•
Partizipationsmüdigkeit und Frustration besteht. Die Beteiligungskultur der Stadt reicht
zudem nur in Ausnahmefällen zu kooperativen Verfahren der Partizipation; sie wurden in
der Vergangenheit kaum angeboten. Durch die Zunahme an strategischen Aufgaben an
der Spitze des politisch-administrativen Systems der Stadt sollten jedoch zunehmend
Gestaltungsspielräume entstehen, um Verantwortungen und Mittel von der oberen
Ebenen zu nachgeordneten Ebenen zu delegieren; dabei sollte auch geprüft werden, was
nach außen in die Verantwortung von intermediären Institutionen (beispielsweise das
Quartiersmanagement) oder in zivilgesellschaftliche Strukturen gegeben werden kann.
Ein weiterer wichtiger Faktor für das zunehmende Auseinanderdriften von Branchen,
sozialen Gruppen und städtischen Teilgebieten ist, dass Stadtpolitiken zunehmend in sich
widersprüchlich werden. So ziehen die strategischen Orientierungen zur Entwicklung des
jeweiligen Wirtschaftsstandorts und der Positionierung der Städte im globalen
Wettbewerb in der Regel Forcierungen der Modernisierung der Arbeitsmärkte nach sich,
die sich jedoch polarisierend auf die Stadtgesellschaft auswirken. In diesem
Zusammenhang ist es bedeutsam, die Nebeneffekte der Entscheidungen in den
einzelnen Politikfeldern auf die Armutsentwicklung (als Kehrseite des Wachstums) und
die sozialen Ausgrenzungen (als unmittelbare Auswirkung sozio-ökonomischer
•
Polarisierung und der Aufspaltung in Lebensstil-Segmente) zu beachten; diese
Zusammenhänge sollten nicht übergangen, sondern näher analysiert werden, um daraus
geeignete Strategien und Maßnahmen abzuleiten, die dazu beitragen, Armut und soziale
Ausgrenzung eindämmen – oder besser: verhindern.
Zur strategischen Verantwortung einer Stadt gehört es daher auch, die Ziel-Kriterien und
die Zielerreichungsgrade vor Beginn der politischen und planerischen Programme
festzulegen. Darüber hinaus sind die Modalitäten von Evaluationen zu bestimmen sowie
die Evaluationen zu beauftragen und als Ergebnis dieser ggf. umzusteuern. Ziel einer
sozialverträgliche Stadtpolitik sollte es sein, die Armut messbar zu verringern; dazu ist
u.U. die Etablierung einer Sozialverträglichkeitsprüfung (SVP) sinnvoll.
• Wien ist weltweit bekannt für seinen umfangreichen Bestand an Sozialwohnungen, der
als Instrument zur sozialverträglichen Steuerung genutzt werden kann. Der wesentliche
Vorteil beruht jedoch auf Meriten der Vergangenheit, denn derzeit baut die Stadt einen
relativ teuren sozialen Wohnungsbau (worin eher eine Mittelschicht-Förderung angelegt
ist), der mit Individualförderungsmitteln “nachgesteuert“ wird. Damit wird der Zugang zu
bezahlbarem Wohnraum für diejenigen einkommensschwachen Gruppen, die von den
sozialen Netzen (noch) aufgefangen werden, noch erreichbar. ZuwanderInnen ohne
EWR-Staatsbürgerschaft zählen heute schon zu den am schlechtesten versorgten
Gruppen am Wohnungsmarkt. Wenn die öffentliche Mittel knapper werden, der Umfang
der Armutsbevölkerung weiter zunimmt und das Soziale Hilfssystem nicht ausreichend
nachjustiert wird, oder nicht mehr bezahlbar ist, besteht die Gefahr, dass in Zukunft
immer mehr arme Menschen ohne ausreichende Wohnungsversorgung sein werden. Zu
einer dauerhaften Sicherung der Wohnversorgung der armen und einkommensschwachen
Bevölkerung sollten daher neue, kostengünstigere Modelle der
Wohnungsversorgung entwickelt werden.
110

86
TP
PT In
Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
• Erst mit einem Katalog aus (Teil-)Zielen und Zielerreichungsgraden ist man in der Lage,
eine Ausschreibung und eine Auswahl der Pilotprojekt- resp. Maßnahmegebiete
vornehmen zu können. Natürlich spielt das Ausmaß an Problemlagen bei der Auswahl
der Gebiete eine entscheidende Rolle; es sollte aber neben der Bedürftigkeit vor allem
auch auf einen hohen Vernetzungs- und Integrationsgrad, auf eine mittelfristige
86
Zielperspektive, auf ein professionelles ManagementP
P und auf Exit-Szenarios Wert gelegt
werden.
den Evaluationen zum Quartiersmanagement hat sich meist herausgestellt, dass die fachliche und/oder
kommunikative Qualifikation der Professionellen zumindest anfangs nicht ausreicht, um diese komplexe Management-Aufgabe
sachgerecht zu erledigen. Daraus sind in Deutschland zwei Konsequenzen entstanden: a) Bei der
Ausschreibung der Stellen wurde das Qualifikationsprofil aufgeteilt in „Projektsteuerung“ (betriebswirtschaftliche,
Arbeitsmarkt- und Qualifikations-Orientierung, finanzielle Projektsteuerung) und „Quartiersmanagement“
(sozialarbeiterische, planerische Fähigkeiten, kommunikatives Potenzial, Moderation) und b) wurden an deutschen
(Fach-)Hochschulen entsprechende Studiengänge eingerichtet.
111

Städtestrategien gegen Armut und soziale Ausgrenzung
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