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Wir sind Berlin! - Hackescher Markt

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4 | Galeria Kaufhof am Alexanderplatz<br />

Immer wieder<br />

anders und jedes Mal<br />

schick, <strong>sind</strong> die …<br />

Schaut man von der Weltzeituhr am Alexanderplatz<br />

in Richtung Galeria, blickt ein Zebra<br />

freundlich zurück. Der mächtige Löwe hingegen<br />

macht den Eindruck, einem gleich entgegen<br />

springen zu wollen – so gestochen scharf <strong>sind</strong> die<br />

Fotos in den riesigen Schaufenstern, selbst auf diese<br />

weite Entfernung.<br />

Die Ausmaße der Schaufenster – elf Meter beträgt<br />

die Gesamthöhe, allein die oberen messen<br />

6,50 Meter – <strong>sind</strong> ein Traum für jeden Schaufensterdekorateur,<br />

dessen korrekte Berufsbezeichnung<br />

übrigens „Gestalter für visuelles Marketing“ lautet.<br />

Doch sie <strong>sind</strong> auch eine kreative Herausforderung,<br />

schließlich hat die Galeria den Anspruch,<br />

sich mit seinem Konzept deutlich von anderen Warenhäusern<br />

abzuheben. Deutschlandweit lautet die<br />

Maßgabe: klare Linien, eine reduzierte Optik und<br />

moderne Anmutung. Mit Erfolg. Der Anblick der<br />

Schaufenster, die jeweils von 30 Strahlern in Szene<br />

gesetzt werden, ist ein ästhetisches Erlebnis,<br />

besonders inmitten des Trubels auf dem Alexanderplatz.<br />

Das wird auch wieder bei der Premiere des<br />

neuen Dufts BOSS bottled night ab 30. Juni zum<br />

Tragen kommen.<br />

Eine der drei Fronten neu zu gestalten, dauert<br />

eine Woche, die Planung erfolgt lange im Voraus.<br />

Da werden Böden ausgetauscht, Rückwände gewechselt<br />

und Figuren – nein, sie heißen nicht Puppen<br />

– angezogen. Die Fenster spiegeln Jahreszeiten<br />

wider, saisonale Höhepunkte oder Feiertage wie<br />

Ostern und Weihnachten Aber sie <strong>sind</strong> auch Schauorte<br />

mit aktuellem Bezug zum <strong>Berlin</strong>er Geschehen.<br />

…19 großen<br />

Schaufenster<br />

der Galeria<br />

Das wird während der <strong>Berlin</strong>ale deutlich und erst<br />

recht, wenn angesagte Modemessen wie die Bread<br />

& Butter oder die Fashion Week in der Hauptstadt<br />

stattfinden. Auch zur kommenden Fashion Week<br />

am 7. Juli werden wieder fünf Fenster mit den Stücken<br />

von fünf vielversprechenden Designern gestaltet<br />

sein. Anlässlich der Bread & Butter, die<br />

zeitgleich in <strong>Berlin</strong> läuft, werden sechs Fenster<br />

analog zum Levis-Stand auf der Modemesse dekoriert.<br />

Und alles was ausgestellt ist, gibt es drinnen<br />

zu kaufen.<br />

Die Art des Dekorierens hat sich im Laufe der<br />

letzten beiden Jahrzehnte stark verändert: „Während<br />

vor 15 Jahren noch fünf bis sechs Figuren in einem<br />

Fenster standen, <strong>sind</strong> es heute lediglich zwei bis<br />

drei“, sagt Chefdekorateur Klaus Wenzel. Früher<br />

Fotos: Pavel Sverdlov (2)<br />

trugen sie Mütze, Jacke, Schal, Schuhe und Tasche<br />

auf einmal, heute <strong>sind</strong> sie mit wenigen ausgewählten<br />

Objekten dekoriert. Dank neuer Materialien und<br />

Techniken ist es etwa möglich, Fotos in grandioser<br />

Qualität auf riesig große Leinwände zu bringen, so<br />

wie zur Leichtathletik-WM 2009 in <strong>Berlin</strong>.<br />

Besonders spektakulär war die Weihnachtsdekoration<br />

2009. Statt Kitsch in Rot-Grün-Weiß hatte<br />

der <strong>Berlin</strong>er Graffiti-Künstler Lake Wahle die Rückwände<br />

der Fenster mit typischen <strong>Berlin</strong>-Motiven<br />

wie Brandenburger Tor oder Potsdamer Platz gestaltet.<br />

Darin ausgestellt waren charakterstarke<br />

Plüschfiguren, die von einem Spezialisten beweglich<br />

gemacht worden waren und kleine Choreografien<br />

in <strong>Berlin</strong>er Kulisse vorführten – ein Blickfang,<br />

der staunende kleine und große Besucher anlockte.<br />

Mit einem<br />

Wollgeschäft fing 18 79 alles an<br />

Feste Preise, Barzahlung und Umtauschrecht – Leonhard Tietz revolutionierte den Einzelhandel<br />

Geklöppelte Decken, Betttücher<br />

und andere Weiß- und <strong>Wir</strong>kwaren<br />

führte Leonhard Tietz in<br />

seinem 25 Quadratmeter großen Geschäft,<br />

das er als 30-jähriger Mann 1879<br />

in Stralsund eröffnete. Es war der<br />

Grundstein der deutschen Kaufhauskultur.<br />

Feste Preise gab es noch nicht, es<br />

wurde gefeilscht. „Einfach gucken und<br />

bummeln – so etwas gab es damals<br />

nicht“, sagt Nils Busch-Petersen, der<br />

Geschäftsführer des Handelsverbandes<br />

<strong>Berlin</strong>-Brandenburg, der seit Jahren zur<br />

Geschichte der Waren- und Kaufhäuser<br />

forscht. Wer den Laden betrat, der kaufte<br />

auch – das galt als Verpflichtung. Zumindest<br />

bis Leonhard und Oskar Tietz<br />

Ende des 19. Jahrhunderts den deutschen<br />

Einzelhandel revolutionierten.<br />

Doch der Reihe nach. Die Tietz-Brüder<br />

stammten aus einer jüdischen Familie,<br />

die in einfachen, aber liberalen<br />

Verhältnissen in Birnbaum an der Warthe<br />

(heute: Miedzychód) lebte. Der Vater<br />

war Fuhrmann, kulturell interessiert<br />

und weltoffen, dennoch konnte Leonhard<br />

die Schule nur bis zur achten Klasse<br />

besuchen. Die Brüder gingen bei ihren<br />

Verwandten in Prenzlau in die Lehre.<br />

In deren Schrott- und Lumpenhandel<br />

mussten beide hart arbeiten. Sie hatten<br />

mit vielen verschiedenen Gütern und<br />

Materialien zu tun, deren Qualität sie<br />

schnell einzuschätzen lernten. Eine Fertigkeit,<br />

die beiden in ihrer beruflichen<br />

Laufbahn viel nützen würde.<br />

Während in Deutschland noch in<br />

Krämerläden gefeilscht wurde, existierten<br />

in Paris Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

bereits erste Vorläufer der heutigen Warenhäuser.<br />

Dort sicherte der „Entrée libre“<br />

freien Zugang für jedermann ohne<br />

den üblichen Kaufzwang. Fixe Preise<br />

waren für alle sichtbar an den Waren<br />

angebracht. Mit dem Prinzip „gleicher Preis für alle“<br />

wurde das Wesen des Einzelhandels demokratisiert.<br />

Nun spielte es keine Rolle, ob es die Baronin persönlich<br />

war, die sich ein Tischtuch aussuchte oder eine<br />

einfache Köchin – beide mussten dasselbe zahlen.<br />

Außerdem gewährten diese Kaufhäuser ihren Kunden<br />

ein Umtausch- und Rückgaberecht. Dafür war<br />

es mit dem „Anschreiben-Lassen“ vorbei. Fortan<br />

mussten Kunden ihre Waren sofort und bar bezahlen<br />

– das verschaffte den Inhabern Liquidität. In<br />

» Dann gangk<br />

nohm<br />

Tietze Leinhad<br />

un kauf<br />

«<br />

däm Jung<br />

dat Päht<br />

Galeria Kaufhof am Alexanderplatz | 5<br />

London entwickelten sich fast zur gleichen<br />

Zeit ganz ähnliche Geschäfte, die<br />

sogenannten Offiziers- und Beamtenwarenhäuser.<br />

Allerdings boten sie eine<br />

größere Warenvielfalt als ihre französischen<br />

Pendants – samt umfassenden<br />

Dienstleistungen wie Haareschneiden<br />

oder dem Verkauf von Versicherungen.<br />

Die Industrialisierung hatte auch<br />

Deutschland verändert: Breitere Schichten<br />

verfügten über eine höhere Kaufkraft,<br />

Konsumgüter wurden in Massenproduktionen<br />

gefertigt, Rohstoffe konnten<br />

dank schnellerer Transportwege<br />

zügig geliefert werden. Diese Entwicklung<br />

und die Kenntnis von den Kaufhäusern<br />

in London und Paris wussten<br />

die Tietz-Brüder zu nutzen. Drei Jahre<br />

nach der Eröffnung seines Geschäfts in<br />

Stralsund, gründetet Leonhard 1882 ein<br />

ähnliches in Barmen-Elberfeld, dem<br />

heutigen Wuppertal. Schon bald wurde<br />

daraus ein Warenhaus nach französischem<br />

Vorbild. Wenige Jahre später eröffnete<br />

„Warenhaus Leonhard Tietz“,<br />

die heutige Galeria Kaufhof, auf der Hohen<br />

Straße in Köln, dorthin wurde auch<br />

der Firmensitz verlegt.<br />

Inzwischen hatte Oskar Tietz – nach<br />

Thüringen und Sachsen – auch am<br />

<strong>Berlin</strong>er Alexanderplatz ein Warenhaus<br />

eröffnet. Zeit ihres Lebens standen<br />

sich Leonhard und Oskar sehr<br />

nahe. Sie achteten genau darauf, sich<br />

geschäftlich nicht in die Quere zu kommen.<br />

Dennoch kooperierten beide beim<br />

Einkauf von Waren und entwickelten<br />

Tietz’sche Eigenmarken, die sie günstig<br />

in ihren Kaufhäusern anboten.<br />

Das rege soziale Gewissen, das sowohl<br />

Oskar als auch Leonhard auszeichnete<br />

war wohl auch ihrer einfachen<br />

Herkunft zuzuschreiben. „Beide<br />

waren beliebt bei ihren Angestellten“,<br />

erklärt Handelsexperte Busch-Petersen.<br />

Die Brüder führten in ihren Kaufhäusern<br />

eine eigene Pensions- und Betriebskrankenkasse<br />

ein. Leonhardt Tietz wurde sogar in<br />

dem Kölner Gassenhauer „„Schöckelpädche“<br />

(Schaukelpferdchen) aus dem Jahr 1902 besungen:<br />

„Mama, Mama – unse Heinemann dä well zom<br />

Namensdag e Schöckelpädche han. Mama, Mama,<br />

wenn es Freud ihm mäht, dann gangk nohm Tietze<br />

Leinhad un kauf däm Jung dat Päht!“

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