Jahresbericht 2007 - Heilpädagogischer Dienst St.Gallen-Glarus
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Familientermine seiner Frau und kümmert sich nicht um die Erziehung der<br />
Kinder. Auch Frau Erne ist lernbehindert. Sie wird von ihren Eltern in der<br />
Arbeit mit den Kindern unterstützt. Für die Kinder ist eine Beistandschaft<br />
eingerichtet. Die Familie hat grosse finanzielle Probleme. Alle haben<br />
schlechte Zähne. Der zweijährigen Lisa und ihrer Mutter muss die ganze<br />
obere Zahnreihe wegoperiert werden, da alle Zähne faul sind.<br />
Lisa hat seit Herbst 06 Heilpädagogische Früherziehung. Sie leidet unter<br />
Gedeihstörungen und hat einen allgemeinen Entwicklungsrückstand. Sie<br />
bekommt Physiotherapie. Die Mutter geht mit ihr vor allem wegen der<br />
Gedeihstörungen in die Mütter- und Väterberatung. Zwei Ärzte im Kinderspital<br />
kümmern sich engagiert um Lisa.<br />
Auch bei Peter wurde ein Entwicklungsrückstand festgestellt. Die Früherzieherin<br />
arbeitet mit ihm seit September 07. Gemäss Kinderärztin sollte er<br />
logopädische Unterstützung bekommen.<br />
Für Laura ist der <strong>St</strong>off der ersten Klasse schwierig. Sie zeigt auch motorische<br />
Probleme. Seit Frühling 07 geht sie in die Psychomotorik. Eine Aufgabenhilfe<br />
arbeitet mit ihr, seit sie in die Schule geht.<br />
Die Familie wechselte den Kinderarzt schon mehrere Male.<br />
Die Mutter sollte die Kinder zu den verschiedenen Therapien begleiten.<br />
Diesen Auftrag nimmt die Mutter nur unregelmässig wahr. Alle Fachpersonen<br />
beklagen sich darüber, dass dieTermine nicht eingehalten werden.<br />
Die Physiotherapeutin erlebt nach ihrem ersten Hausbesuch einen<br />
Schock. Entsetzt ruft sie die Früherzieherin an. Sie beklagt, dass die Kinder<br />
keine Anregung haben, kein Spielmaterial zu Verfügung steht und dass<br />
ihnen jede Bewegung untersagt wird.<br />
Die Früherzieherin versteht das Anliegen der Physiotherapeutin. Gleichzeitig<br />
weiss sie aus vielen Gesprächen mit der Mutter, dass sich die Mutter<br />
Mühe gibt, allem gerecht zu werden, dass sie aber Angst hat vor der immer<br />
grösser werdenden Unordnung, die sie nicht mehr bewältigen kann.<br />
Auch die Beiständin sieht die Not und beantragt Sozialpädagogische<br />
Familienbegleitung.<br />
Die Situation ist nun sehr komplex geworden und so viele Menschen<br />
sind in und an dieser Familie «beteiligt», dass es wichtig wird, gemeinsame<br />
<strong>St</strong>rategien zu entwerfen.<br />
Auf Anregung der Früherzieherin kommt ein Treffen unter allen bei Lisa<br />
beteiligten Fachpersonen zustande, dies bewusst ohne Eltern. Es ist allen<br />
klar, dass diese in einer so grossen Runde überfordert wären.<br />
Im Gespräch kristallisiert sich die Hypothese heraus, dass alle auswärtigen<br />
Therapien, die von der Mutter begleitet werden müssen, für sie eine<br />
Überforderung sind.<br />
Gemeinsam wird entschieden, dass als erster Schritt ausprobiert wird,<br />
wie es ist, wenn nur noch familieninterne Massnahmen durchgeführt werden:<br />
So einigt sich das Fachgremium auf Sozialpädagogische Familienbegleitung<br />
und Heilpädagogische Früherziehung. Die auswärtigenTherapien,<br />
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Logopädie, Psychomotorik und andere sollen erst dann in Anspruch genommen<br />
werden, wenn die Kinder den Weg selber bewältigen können.<br />
Die Beiständin teilt dies nach dem Gespräch den Eltern mit. Ob die Hypothese<br />
zutrifft und somit eine Veränderung eintreten kann, wird sich im<br />
Verlaufe der weiteren Arbeit zeigen.<br />
Ab diesem Zeitpunkt stellt die Früherzieherin eine viel höhere Kooperationsbereitschaft<br />
und Entspannung bei der Mutter fest. Die Hypothese<br />
scheint sich bewahrheitet zu haben.<br />
Diese Reduzierung auf die familieninternen Therapien löst nicht alle<br />
Probleme der Familie. Es scheint aber im Moment eine sinnvolle Massnahme<br />
zu sein, die es unter Umständen auch möglich macht, dass die<br />
Familie von der konkreten Hilfe im Familienalltag in einem höheren Mass<br />
profitieren kann.<br />
Dies ist eine Geschichte aus unserem Alltag, die deutlich zeigt, wie wichtig<br />
die Zusammenarbeit aller beteiligten Fachpersonen ist, um eine Überforderung<br />
der Familie, der Eltern, insbesondere der Mutter, abzubauen und<br />
grösstmögliche Kooperation zu erhalten.<br />
In einem anderen Familiensystem kann es aber durchaus Sinn machen,<br />
mehrere Therapieangebote in Anspruch zu nehmen und die Entscheidung<br />
den Eltern zu überlassen.<br />
Dazu die zweite Geschichte mit ganz anderen familiären und behinderungsspezifischen<br />
Zusammenhängen.<br />
2. Beispiel<br />
Elsa ist das erste Kind einer Immigrantenfamilie aus dem nahen Ausland, die<br />
Eltern fremdsprachig, mit hohem Bildungsniveau. Beide Eltern sprechen<br />
recht gut deutsch. Elsa ist seit Geburt mehrfach behindert und hat einen<br />
gesunden, zwei Monate alten Bruder.<br />
Seit einiger Zeit kann sie frei gehen, fällt jedoch noch häufig. Sie spielt<br />
längere Zeit für sich, mit Puppen, Legosteinen und <strong>St</strong>eckspielen. In ihrer<br />
Muttersprache versteht sie an Alltagssituationen gebundene Worte und<br />
spricht einzelne Worte. Bis vor kurzem wurde sie ausschliesslich durch die<br />
Sonde ernährt, jetzt wird sie gefüttert, kaut aber noch schlecht. Elsa hat<br />
zusätzlich eine Hörbehinderung. Sie trägt beidseitig Hörgeräte.<br />
Aufgrund der verschiedenen Behinderungen ist es erforderlich, dass sich<br />
mehrere Fachpersonen um Elsa kümmern: verschiedene Ärzte im Kinderspital,<br />
der Kinderarzt, die Fachfrauen von der Kinderspitex, die Physiotherapeutin,<br />
die Logopädin, die Hörgeräte-Akkustikerin, die Pädioaudiologin und<br />
die Heilpädagogische Früherzieherin.<br />
Die Früherzieherin kommt als Letzte ins System. Als sie feststellt, wer<br />
alles beteiligt ist, stellt sie sich die Frage, ob hier eine zusätzliche<br />
Massnahme überhaupt Sinn macht. Die Eltern wollen Heilpädagogische<br />
Früherziehung unbedingt in Anspruch nehmen. Einerseits, weil sie alle<br />
Fördermassnahmen für Elsa ausnutzen wollen, andererseits, weil sie die