Butjadingen - DIABOLO / Mox
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4 BÜHNE <strong>DIABOLO</strong> WOCHENZEITUNG | Ausgabe 50/12<br />
Immer schön lachen!<br />
„Funny, How?“ vom neuen Bremer Tanztheater im Kleinen Haus<br />
TEXT | MARTINA BURANDT<br />
In seiner ersten Produktion für das Theater<br />
Bremen setzen der neue Tanztheater-<br />
Hauschoreograf Samir Akika und seine<br />
Companie ihre spartenübergreifende Arbeit<br />
zwischen Tanz, Theater, Musik, Medien und<br />
Subkultur fort. Wie immer ausschweifend,<br />
detailreich, energievoll, verrückt und dabei<br />
immer mit dem Anschein von Zufall und<br />
Alltäglichkeit.<br />
Vor dem geschlossenen Vorhang steht ein<br />
Tänzer und singt auf italienisch in Opernmanier.<br />
Neben ihm erscheint ein Clown<br />
und arbeitet sich nicht weniger inbrünstig,<br />
Schale für Schale, zum Innersten<br />
einer Zwiebel heran. Der Sänger verstummt.<br />
Wir schauen auf den Clown.<br />
Doch was findet er, als er alle Schalen<br />
beseitigt hat? Nichts! Wir lachen. Doch<br />
der Clown macht ein trauriges Gesicht,<br />
nimmt alles was er hat - einen viel zu großen<br />
Stapel von Koffern - und zieht von<br />
dannen. Und wir sehen es schon wieder<br />
voraus: Der Clown stolpert, die Koffer<br />
fliegen auseinander, wir lachen noch mehr.<br />
Die Eingangsszene wirkt wie ein Epilog,<br />
bevor das neue Stück von Samir Akika /<br />
Unusual Symptoms beginnt. Wieso<br />
lachen wir, obwohl die kleine Geschichte<br />
doch eigentlich traurig, geradezu tragisch<br />
ist? Diesen und anderen Fragen zum<br />
Thema Komik und Leben wird in dem<br />
zweistündigen Theaterabend aus Tanz,<br />
Performance, Slapstick, Varieté und Musik<br />
nachgegangen.<br />
Zum einen sehen wir die zunehmend platte<br />
und hysterische Kultur unserer spaß-<br />
Chaos, Trauer und die Suche nach dem inneren Slapstick: „Funny, How?“ präsentiert sich als spartenübergreifende<br />
Inszenierung zwischen Tanz, Theater, Musik, Medien und Subkultur.<br />
Foto: Theater Bremen<br />
orientierten Gegenwart. Zum anderen<br />
wird der, je nach Persönlichkeit, unterschiedlichen<br />
Sehnsucht nach den lustigleichten<br />
Momenten in einer Wirklichkeit<br />
voller Widersprüche nachgespürt. So entwickelt<br />
„Funny, How?“ beinahe einen<br />
Lebensentwurf, der uns vorschlägt, nach<br />
dem Slapstick in uns selbst zu fragen und<br />
darüber hinaus die Fähigkeit zu kultivieren,<br />
über uns selbst zu lachen.<br />
Vorhang auf: Laute, harte Houserhythmen<br />
wechseln mit Samba oder Rock<br />
(Live-Musik von Stefan Kirchhoff und<br />
Roberto Zuniga) und gipfeln in Iggy Pops<br />
Rock-Klassiker „The Passenger“, abwechselnd<br />
gesungen von unterschiedlichen<br />
TänzerInnen. Das Ensemble wirbelt über<br />
die Bühne. Immer wieder wird der reine<br />
Tanz gebrochen, sei es durch eine alberne<br />
Hühnerscharparodie oder durch einen<br />
neuen Rhythmus. Wie zufällig erscheinen<br />
die Duos, die aus den wild-energetischen<br />
Gruppenchoreografien genauso<br />
schnell entstehen wie sie sich darin wieder<br />
auflösen.<br />
Ein riesiger Plüschpandabär erscheint auf<br />
der Bühne, verteilt Ohrfeigen, setzt sich<br />
mit seinem Popcorn-Eimerchen in den<br />
Zuschauerraum und bleibt der „Running<br />
Gag des Abends. Eine gnadenlos platte<br />
Slapstick-Show mit Lachen vom Band<br />
beginnt, die das Ensemble mit allen möglichen<br />
Mitteln des Theaters illustriert.<br />
Dann wieder Tanz und zwar meist expres-<br />
Kytemania<br />
Colin Benders alias Kyteman: Musikalischer Wunderknabe<br />
TEXT | HORST E. WEGENER<br />
Diese Chuzpe muss man erst einmal<br />
haben: Aus einer achtzehnköpfigen Band,<br />
etlichen Rappern, Opernsängern und<br />
einem Chor ein Orchester zusammenzustellen,<br />
das sein Publikum zu einem nimmermüden<br />
Parforceritt durchs Universum<br />
der unterschiedlichsten Musikstile einlädt,<br />
ohne zwischen Hip Hop, Jazz und<br />
Klassik je aus der Bahn zu schlittern. Als<br />
Geburtshelfer dieses musikalischen Balanceakts<br />
firmiert der Namensgeber des<br />
Kyteman Orchestras: Der gerade mal 26<br />
Jahre alte Niederländer Colin Benders alias<br />
Kyteman. Ein echter Wunderknabe aus<br />
Utrecht, der sein Ausnahmetalent fortwährend<br />
in den unterschiedlichsten Sätteln<br />
beweist.<br />
Unter anderem hat er sich trotz seines<br />
jugendlichen Alters schon als Multiin-<br />
strumentalist einen Namen gemacht, sich<br />
als Produzent, Studiomanager, Komponist,<br />
Arrangeur, Choreograf, Dirigent und<br />
Kopf des auf bis zu achtzig Musiker<br />
anwachsenden Ensembles ausgetestet.<br />
Gar nicht zu reden von den fabelhaften<br />
Kritiken in den Feuilletons nebst sensationellen<br />
Umsätzen, die The Kyteman’s<br />
Orchestra neuerdings einfährt. Egal ob<br />
Benders und Co. live auftreten, oder der<br />
Utrechter eine CD unters Volk bringt,<br />
die Fans liegen ihm zu Füßen. Zu recht!<br />
Die Karriere Kytemans spricht Bände:<br />
Im Alter von drei Jahren erhielt Colin<br />
sein erstes Instrument, eine Trompete.<br />
Ein Geschenk seines Onkels Jacky Terrasson,<br />
der in den Niederlanden ein<br />
bekannter Jazzpianist ist. Terrasson war<br />
es auch, der seinen Neffen sehr früh zum<br />
North Sea Jazz Festival mitnahm, um die<br />
Talente des Dreikäsehochs gezielt freizu-<br />
setzen. Die Begeisterung fürs Musikmachen<br />
sprang im Nu vom Onkel auf den<br />
Neffen über. Mit dem beabsichtigten<br />
Ergebnis, dass der Wunderknabe alsbald<br />
auf die Kathedrale Koorschool ging, wo<br />
die Hälfte der Unterrichtsstunden auf die<br />
Fächer Musik und Chorsingen entfallen.<br />
Dort paukte Colin klassische Trompete,<br />
sang er – und war Feuer und Flamme für<br />
Jazzgrößen à la Miles Davis, Sun Ra, Dizzy<br />
Gillespie. Mit zwölf wechselte der<br />
Utrechter Bursche auf die School voor<br />
Jong Talent in Den Haag hinüber. Hier<br />
galt es zum einen Musiktheorie zu büffeln<br />
und das Spiel der klassischen Trompete<br />
zu vertiefen, zum anderen trat das<br />
Bürschlein der Formation Six of Your Best<br />
Friends bei, experimentierte man mit Hip<br />
Hop.<br />
Da sich Colin im Schulunterricht zusehends<br />
mehr fragte, inwieweit ein Fach für<br />
siv und wie aus Alltagsbewegungen entwickelt<br />
und dazwischen plötzlich ein Vortrag<br />
über die Machart und Wirkungsweise<br />
von Komik, was mit karikierten Varieté-<br />
, Zauber- und Hypnosenummern verbildlicht<br />
wird.<br />
„Immer schön lachen, lustig bleiben: Funny,<br />
How?“, so lautet das ausgesprochene<br />
Motto des Abends. Und in diesem Sinne<br />
wird versucht, die gesamte Bandbreite des<br />
Themas auszuloten - die feinen wie die<br />
lauten Seiten bis hin zum Grotesken.<br />
Bei alledem zeigt sich die Energie und<br />
Spielfreude dieses Ensembles genauso<br />
überzeugend wie auch die Fähigkeit der<br />
einzelnen Ensemblemitglieder ihre Persönlichkeiten<br />
offen-ungeschminkt für die<br />
Sache ins Spiel zu bringen.<br />
Bereits in „Me&myMum“ und „Extendet<br />
Teenage Era“ konnte man in Bremen<br />
die detailreiche, fast ausschweifende<br />
Erzählweise des neuen Bremer Tanztheaters<br />
kennen lernen. So könnte man die<br />
Thematik in „Funny, How?“ sicherlich<br />
auch um eine halbe Stunde kürzen, doch<br />
fällt dem Ensemble offensichtlich immer<br />
noch etwas Neues ein (wenn es manchmal<br />
auch nur kopiert ist), was dann den<br />
größten Teil des Publikums doch munter<br />
bei der Stange hält. Begeisterter<br />
Applaus und ein paar vereinzelte Buhrufe<br />
bei der Premiere.<br />
Weitere Vorstellungen<br />
14., 17., 22., 29. und 31.12.2012, Theater<br />
Bremen, Kleines Haus, siehe auch unter<br />
www.theaterbremen.de<br />
seine Musik wichtig sein könnte, ging<br />
ihm das Jammen mit anderen Profis definitiv<br />
vor. Mit 16 sagte er der Schule endgültig<br />
Adieu, heuerte der musikalische<br />
Wunderknabe als Trompeter beim Hip<br />
Hopper Pete Philly an. Gemeinsam sackte<br />
man beim Grote Prijs van Nederland<br />
2002 die Auszeichnung des besten Hip<br />
Hop-Acts ein. Und Colin Benders, experimentierfreudiger<br />
denn je, ließ sich von<br />
der Hip Hop-Combo Relax engagieren,<br />
mit der er fortan durch die halbe Welt<br />
tourte. Ob Montreux oder Capetown,<br />
noch bevor der Schulabbrecher 20 wurde,<br />
waren ihm alle großen Festivalbühnen<br />
der Welt bestens bekannt. Noch während<br />
seiner Zeit bei Relax begann das<br />
Multitalent Benders mit den Vorbereitungen<br />
zum ersten Soloalbum „The Hermit<br />
Sessions“, für das er alle Stücke eigenhändig<br />
komponierte und sämtliche