B LICK E I N - Stiftung Tosam
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sternenlicht<br />
Wer kennt das<br />
Gefühl von schwindender<br />
Hoffnung, des wieder<br />
und wieder Zurückgewiesenwerden?<br />
Wer das<br />
Gefühl, nicht mehr nützlich<br />
zu sein? Stellen Sie<br />
sich vor, morgens erheben<br />
Sie sich schweigend<br />
vom Bett, verrichten Ihre<br />
Toilette schweigend, verbringen<br />
schweigend den<br />
Tag, essen allein und<br />
wortlos. Am Abend putzen<br />
Sie sich in der Stille<br />
Ihres Daseins die Zähne, hören nur das Rauschen<br />
des Wassers aus dem Wasserhahn und<br />
den Lärm der Strasse vor dem Fenster. Und<br />
zuletzt legen Sie sich schweigend ins Bett, ohne<br />
etwas vollbracht zu haben. Es macht keinen<br />
Unterschied, ob Sie überhaupt aufstehen oder<br />
nicht. Und über allem schwebt stets das Wissen,<br />
dass Sie Ihren eigenen Lebensunterhalt nicht<br />
bezahlen können. Sie häufen Schulden an, ohne<br />
die Hoffnung, sie wieder abzahlen zu können.<br />
Es bedeutet keinen Unterschied, ob Sie noch<br />
leben oder nicht.<br />
So geht es mir seit viereinhalb Jahren, und<br />
doch gibt es nicht nur Schlimmes in dieser Zeit.<br />
Es gibt Freunde, es gibt die Familie, die mich<br />
alle sehr unterstützen. Und es gibt in meinem<br />
Fall noch etwas anderes, nämlich das Lesen.<br />
Es entführt den Geist in eine Welt, in der es all<br />
diese Sorgen nicht gibt. Dabei ist es nicht wichtig,<br />
ob man in die Geschichte eintaucht oder<br />
einen Fantasy-Roman liest. Beides ist in ähnlicher<br />
Weise fern von der unmittelbaren Realität:<br />
die Geschichte längst entschwunden, fantastische<br />
Welten der grössten aller Kräfte ent -<br />
sprungen, nämlich unserer Vorstellungskraft.<br />
Im Rahmen eines Einsatzprogramms des<br />
RAV bekam ich die Chance beim Online-Buchshop<br />
buchplanet.ch mitzuarbeiten. Bücher sind<br />
für mich eine Leidenschaft: Ich lese sie, ver-<br />
schlinge sie geradezu, und schreibe auch selbst.<br />
Dieser Ort ist so etwas wie ein Traum. Kaum zu<br />
glauben, nicht wahr, dass mich ein Traum in<br />
eine Lagerhalle führt, die im Sommer zu heiss<br />
ist, im Winter eisige Kälte für uns bereithält und<br />
in der Staub uns zum Niesen bringt! Hier, in<br />
dieser Halle, erfüllt sich für mich ein Traum:<br />
Ich kann mit Büchern arbeiten.<br />
Wöchentlich werden kistenweise Bücher<br />
angeliefert, und diese Kisten bergen zum Teil<br />
grösste Schätze. Ich bin umgeben von Jules<br />
Verne und H.G. Wells, von Tolstoj und Dostojewski,<br />
Fontane und Storm, Balzac, Maupassant<br />
und Zola. Ich blicke durch die Seiten hunderter<br />
Bücher in die Vergangenheit, in die Zukunft, ins<br />
tiefste All und genauso in die Nachbarschaft. Es<br />
kann nichts Schöneres für mich geben. Zumal<br />
ich dies alles mit wunderbaren Menschen teilen<br />
kann, die Bücher ebenso lieben wie ich, die<br />
ich an meinem Wissen teilhaben lassen kann,<br />
und die ihre Kenntnisse mit mir teilen. Verschiedene,<br />
manchmal nicht so schöne Schicksale<br />
führen uns hier zusammen und geben uns<br />
allen einen Sinn, für den es sich morgens aufzustehen<br />
lohnt. Und wir können für eine Weile<br />
das vergessen, was uns bedrückt.<br />
Es ist gut, dass es Orte wie diesen gibt, den<br />
uns die <strong>Stiftung</strong> <strong>Tosam</strong> schenkt, denn hier wird<br />
sich derer angenommen, die auch in unserer<br />
herrlichen Welt des Wohlstands nicht mehr viel<br />
haben, die man nicht gern sehen will und die<br />
die stete Herablassung nicht mehr ertragen, mit<br />
der die Glücklicheren auf sie blicken.<br />
Ein Mitarbeiter beim buchplanet.ch hat in<br />
einer früheren Ausgabe des Einblicks diesen<br />
Abschnitt seines Lebens als Sonnenuntergang<br />
bezeichnet. Er habe gelernt, dass Sonnenuntergänge<br />
sehr schön seien. Doch was geschieht,<br />
wenn die Nacht hereinbricht?<br />
Dank dieser Arbeitsstelle haben wir auch<br />
hier noch Licht, denn nachts gehen die Sterne<br />
auf . . . und vielleicht erwartet uns bald ein<br />
Sonnenaufgang.<br />
orlando Kobler, Mitarbeiter y<br />
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