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Demographische Turbulenzen führen von der - QFC

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2<br />

IMPRESSUM<br />

Herausgeber: Qualifizierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH 2008<br />

Autorin: Bettina Wiener<br />

zsh Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />

(an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)<br />

Druck: Druckerei Landsberg<br />

Nachdruck und Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.<br />

Das Projekt wurde geför<strong>der</strong>t durch:<br />

Landkreis Saalekreis<br />

Eigenbetrieb für Arbeit


Bettina Wiener<br />

Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />

an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)<br />

<strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz-<br />

zur Fachkräftelücke<br />

Expertise für die Qualifi zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH (<strong>QFC</strong>)<br />

Seite 1


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort<br />

Vorbemerkungen 5<br />

1. Ein Blick zurück 7<br />

1.1 Turbulente demographische Entwicklungen in Ostdeutschland<br />

seit mehreren Jahrzehnten 7<br />

1.2 ... und die Auswirkungen auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt 7<br />

2. Die demographischen Probleme sind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen 10<br />

2.1 Aus Erfahrungen werden Erwartungen 10<br />

2.2 Die Dominanz <strong>von</strong> KMU in Ostdeutschland geht häufi g einher mit fehlen<strong>der</strong><br />

strategischer Personalpolitik 13<br />

2.3 Die bereits sehr hohen Anfor<strong>der</strong>ungen an das Qualifi kationsniveau<br />

in <strong>der</strong> Chemie werden weiter steigen 14<br />

2.4 Die Überalterung <strong>der</strong> Beschäftigten in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie<br />

ist schon länger ersichtlich 15<br />

3. Es gibt erste Fachkräftelücken in <strong>der</strong> Chemie 17<br />

3.1 Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Suche nach Fachkräften 17<br />

3.2 Verantwortung für die Fachkräftesituation 18<br />

4. Auf den Wegen zur Fachkräftesicherung für die Zukunft 19<br />

4.1 Bildung als wichtigstes Gut für eine erfolgreiche Chemie 19<br />

4.1.1 Verstärkte Zusammenarbeit <strong>der</strong> Unternehmen mit Allgemeinbildenden Schulen 19<br />

4.1.2 Berufsausbildung im Betrieb und in den Berufsschulen 21<br />

4.1.3 Qualifi zierung im Fach- und Hochschulbereich 22<br />

4.1.4 Zunehmende Weiterbildungsaktivitäten 23<br />

4.2 Zielgruppenarbeit 25<br />

4.2.1 Integration <strong>von</strong> Jugendlichen 26<br />

4.2.2 Erfahrung bei den älteren Beschäftigten 27<br />

4.2.3 Frauen in <strong>der</strong> Chemie 29<br />

4.2.4 Ausländische Fachkräfte 32<br />

4.3 Personalwirtschaftliche Anreize 32<br />

4.3.1 Lohnentwicklung in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n 32<br />

4.3.2 Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf 34<br />

5 Abschluss 37<br />

Literatur 38<br />

Anhang 42<br />

Seite 3


Vorwort<br />

Das Land Sachsen-Anhalt hat in den zurückliegenden<br />

Jahren große Fortschritte bei <strong>der</strong> Anpassung an<br />

wettbewerbsfähige Strukturen gemacht. Dennoch<br />

zählt es im europäischen Maßstab noch zu den<br />

Regionen mit Entwicklungsrückstand und hoher Arbeitslosigkeit.<br />

Zu den wichtigsten Standbeinen <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Entwicklung zählt nach wie vor die Chemieindustrie<br />

mit ihren traditionsreichen Standorten. Umfassende<br />

traditionelle Chemiekompetenz verbindet sich hier<br />

mit hoher Chemieakzeptanz: wettbewerbsfähige<br />

Standortbedingungen und eine produktionsgerechte<br />

Infrastruktur kennzeichnen diese Region.<br />

Hier setzte das Pilotprojekt „Synthese“ mit einem<br />

ganzheitlichen Ansatz an. Die Qualifi zierungsför<strong>der</strong>werk<br />

Chemie GmbH Halle erhielt im Juni 2007<br />

durch den Landkreis Saalekreis, Eigenbetrieb für<br />

Arbeit (EfA) den Auftrag, die koordinierende Bearbeitungsstelle<br />

und das Projektmanagement für das<br />

Pilotprojekt „Synthese“ des Eigenbetriebes für Arbeit<br />

einzurichten und umzusetzen. Dieses Pilotprojekt<br />

berücksichtigte auf <strong>der</strong> Grundlage des Operationellen<br />

Programms des Landes Sachsen-Anhalt aus<br />

Mitteln <strong>der</strong> Technischen Hilfe des Europäischen Sozialfonds,<br />

das gesamte Spektrum <strong>der</strong> Instrumentarien<br />

<strong>der</strong> Arbeitsför<strong>der</strong>ung und sonstiger arbeitsmarktpolitischer<br />

Maßnahmen in Chemieunternehmen in<br />

Sachsen-Anhalt und wendete diese bedarfsorientiert<br />

an. Über einen gezielten Dialog und <strong>der</strong> Kooperati-<br />

Seite 4<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

on zwischen Arbeitsmarktakteuren, Bildungsträgern<br />

und Unternehmen wurden regionale Unternehmen<br />

gestärkt. Mit Beginn <strong>der</strong> Projektaktivitäten wurde ein<br />

Projektbeirat gegründet, dessen Vertreter ihre Erfahrungen<br />

zur Umsetzung <strong>der</strong> arbeitsmarktpolitischen<br />

Instrumentarien in das Projekt eingebracht haben.<br />

Dieses Gremium war mit Vertretern <strong>der</strong> Ministerien<br />

für Wirtschaft und Arbeit, für Finanzen sowie <strong>der</strong> Sozialpartner<br />

<strong>der</strong> chemischen Industrie, des Verbandes<br />

<strong>der</strong> chemischen Industrie e.V. und Industriegewerkschaft<br />

Bergbau, Chemie, Energie und des Präsidenten<br />

des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt<br />

besetzt.<br />

Mit <strong>der</strong> hier vorliegenden Broschüre will die Qualifi<br />

zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH (<strong>QFC</strong>) dazu<br />

beitragen, betriebliche Akteure für die aktuelle Fachkräftesituation<br />

und die sich daraus ergebenden personalpolitischen<br />

Anfor<strong>der</strong>ungen, zu sensibilisieren.<br />

Die <strong>QFC</strong> GmbH dankt dabei allen, die an dieser<br />

Expertise mitgewirkt und bei <strong>der</strong> Beschaffung <strong>von</strong><br />

Materialien und durch Interviews und Informationen<br />

behilfl ich waren. Unser beson<strong>der</strong>er Dank gilt dem<br />

Zentrum für Sozialforschung Halle e.V., das mit einem<br />

erfahrenen Team <strong>von</strong> Projektbearbeiterinnen<br />

die Broschüre in unserem Auftrag erstellt hat.<br />

Helmut Krodel<br />

Geschäftsführer<br />

Halle im August 2008


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Vorbemerkungen<br />

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt ist seit <strong>der</strong> Wende<br />

<strong>von</strong> hoher Arbeitslosigkeit und einer außerordentlich<br />

großen Nachfrage an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen<br />

geprägt. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor ein<br />

sehr ernstzunehmendes Problem. Allerdings verän<strong>der</strong>t<br />

sich die Problemlage: Aus <strong>der</strong> Ausbildungs- und<br />

Arbeitsplatzlücke für Arbeitssuchende in den letzten<br />

Jahren wird zukünftig eine Fachkräftelücke für die<br />

Unternehmen.<br />

Es fehlen bereits erste Spezialisten in verschiedenen<br />

Wirtschaftsbereichen und in <strong>der</strong> Zukunft wird für<br />

viele Qualifi kationen ein Fachkräftemangel erwartet,<br />

<strong>der</strong> sich vor allem aus den extrem sinkenden Schulabgängerjahrgangsstärken<br />

bei gleichzeitig erhöhtem<br />

Renteneintritt ergibt.<br />

Wenn dem Fachkräfteproblem nicht entgegengewirkt<br />

wird, kann es das Überleben vieler bisher erfolgreich<br />

am Markt agieren<strong>der</strong> Unternehmen gefährden.<br />

Aus diesem Grund wird in <strong>der</strong> Expertise das<br />

demographische Problem noch einmal dargestellt<br />

und es werden Wege beschrieben, um die bereits<br />

heute absehbare Entwicklung eines Fachkräftemangels<br />

abzuwehren.<br />

Die Expertise glie<strong>der</strong>t sich in vier Kapitel. Im ersten<br />

Kapitel werden die turbulenten demographischen<br />

Entwicklungen <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte in Ostdeutschland<br />

und <strong>der</strong>en Auswirkungen auf den ostdeutschen<br />

Arbeitsmarkt beschrieben. Im zweiten Kapitel wird<br />

thematisiert, dass das demographische Problem in<br />

vielen Unternehmen nach wie vor nicht angekommen<br />

ist. Im dritten Kapitel wird die aktuelle Fachkräftesituation<br />

für die Chemie Sachsen-Anhalt ausgewertet.<br />

Und im vierten und abschließenden Kapitel werden<br />

Wege aus <strong>der</strong> „demographischen Falle“ beispielhaft<br />

skizziert.<br />

Die Quellen für die Erstellung dieser Expertise sind<br />

vielfältig:<br />

Zum einen wurden Ergebnisse aus wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen zusammengetragen, die in<br />

und um das zsh speziell zur ostdeutschen Entwicklung<br />

am Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren erstellt<br />

wurden. Beson<strong>der</strong>er Dank gilt dabei dem Forschungsdirektor<br />

des zsh, Prof. Dr. Dr. h. c. Burkart<br />

Lutz1 , <strong>der</strong> sich unermüdlich seit Beginn <strong>der</strong> Wende<br />

für die Belange gerade <strong>der</strong> ostdeutschen Industrie eingesetzt<br />

hat sowie seinem gesamten Forscherteam. 2<br />

An <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Ergebnisse im zsh waren Dipl.<br />

Soz. Sabine Böttcher (Erstellung <strong>der</strong> Fachkräftestudie<br />

an den drei besagten Chemiestandorten), Dipl.<br />

Soz. Christina Buchwald (Auswertung und Erstellung<br />

selbiger Studie, sowie <strong>der</strong> Mitarbeiterbefragung<br />

zum Thema „Vereinbarkeit <strong>von</strong> Erwerbstätigkeit und<br />

Familie“), Dipl. Soz. Thomas Ketzmerick (Son<strong>der</strong>auswertung<br />

<strong>der</strong> Beschäftigtenstatistik), Dipl.-Soz.<br />

Ingo Wiekert (Ergebnisse <strong>der</strong> Ausbildungsbefragung<br />

2006 in Sachsen-Anhalt) und Dipl.-Soz. Susanne<br />

Winge (Ergebnisse eines Kompetenzentwicklungsdatensatzes)<br />

beteiligt.<br />

Weiterhin wird in <strong>der</strong> Expertise neben den umfänglichen<br />

Arbeiten, die im zsh entstanden, auch auf aktuelle<br />

Ergebnisse bundesweit einschlägiger Wissenschaftseinrichtungen<br />

zurückgegriffen.<br />

Außerdem wird auf vielfältige Erfahrungen aus<br />

Fachgesprächen eingegangen, die in den letzten<br />

Jahren mit Unternehmern und wirtschafts- wie arbeitsmarktpolitischen<br />

Akteuren geführt wurden.<br />

Speziell für diese Expertise fanden im Sommer 2008<br />

Interviews (INT) zum Thema mit folgenden Experten<br />

statt:<br />

• INT1: Dr. Paul Kriegelsteiner (Hauptgeschäftsführer<br />

Arbeitgeberverband Nordostchemie)<br />

• INT2: Petra Reinbold-Knape (Landesbezirksleiterin<br />

IG BCE/Landesbezirk Nordost)<br />

1 Prof. Lutz wurde, nicht zuletzt auch wegen seines Engagements in den letzten 20 Jahren, am 6. Oktober 2008 <strong>von</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />

Gesellschaft für Soziologie für sein „hervorragendes wissenschaftliches Lebenswerk“ ausgezeichnet.<br />

2 Ausführliche Informationen zum Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg (zsh)<br />

fi nden sich unter www.zsh-online.de.<br />

Seite 5


• INT3: Jürgen Jankowski (Leiter Personalwesen<br />

Seite 6<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

InfraLeuna GmbH)<br />

• INT4: Joachim Nowak (Betriebsrat InfraLeuna<br />

GmbH)<br />

• INT5: Toralf Müller und Thomas Huerthe<br />

Betriebsräte Guardian Flachglas GmbH<br />

Thalheim)<br />

• INT6: Barbara Rö<strong>der</strong> und Burkhard Plöschner<br />

(Betriebsräte MDSE mbH BT Bitterfeld).<br />

Zudem haben sich im April 2008 55 Unternehmen<br />

<strong>der</strong> Chemie und industrienaher Dienstleistungen<br />

<strong>der</strong> drei Chemiestandorte Bitterfeld-Wolfen, Leuna<br />

und Schkopau-Merseburg an einer repräsentativen<br />

Fachkräftebefragung beteiligt.<br />

Zum Thema „Vereinbarkeit <strong>von</strong> Erwerbstätigkeit und<br />

Familie“ kann ergänzend auf aktuelle Ergebnisse<br />

aus einer schriftlichen Befragung im Sommer 2008<br />

zurückgegriffen werden, an <strong>der</strong> 189 Mitarbeiter aus<br />

5 Unternehmen am Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen<br />

teilnahmen.<br />

Allen Beteiligten sei noch einmal herzlich für die gute<br />

Zusammenarbeit und Unterstützung gedankt.<br />

Die Expertise wurde im Sommer 2008 für die Qualifi<br />

zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH (<strong>QFC</strong>) erarbeitet<br />

und konzentriert sich auf Problemlagen <strong>der</strong><br />

Fachkräfteentwicklung in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemieindustrie.<br />

Dipl.-Soz. Bettina Wiener<br />

Halle im September 2008


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Über mehrere Jahrzehnte hinweg konnte <strong>der</strong> jeweilige<br />

Bedarf an Humanressourcen, an Qualifi kation<br />

und Kompetenz, an Motivation und Leistung auf<br />

hochgradig zuverlässige Weise gedeckt werden<br />

(Lutz 1998, S.280 ff.). Ende <strong>der</strong> neunziger Jahre<br />

wurde deutlich, dass das sehr effi ziente und verlässliche<br />

Modell zur Rekrutierung, Ausbildung und<br />

qualifi katorischen Weiterentwicklung <strong>der</strong> Fach- und<br />

des größten Teils <strong>der</strong> technischen Führungskräfte<br />

zunehmen<strong>der</strong> Erosion ausgesetzt ist. (Lutz; Wiener<br />

2000, S. 39–69) Ein wesentlicher Grund liegt in den<br />

demographischen Verwerfungen, die sich in Ostdeutschland<br />

beson<strong>der</strong>s gut beobachten lassen:<br />

• Vorzieheffekte in <strong>der</strong> DDR führten zu extrem<br />

geburtenstarken Jahrgängen zwischen Mitte<br />

<strong>der</strong> siebziger und Mitte <strong>der</strong> achtziger Jahre;<br />

• darauf folgend kam es während <strong>der</strong> Wende zu<br />

einem völligen Einbruch und einem Rückgang<br />

<strong>der</strong> Geburtenzahlen teilweise auf ein Drittel,<br />

also <strong>von</strong> zwischenzeitlich 240.000 auf 80.000<br />

Geburten pro Jahr;<br />

Der ostdeutsche Arbeitsmarkt steht als Folge <strong>der</strong><br />

massiven demographischen <strong>Turbulenzen</strong> vor einem<br />

dramatischen Umschlag an Knappheitsverhältnissen.<br />

Die Ursachen dafür liegen in den sehr großen<br />

Unterschieden im Zustrom <strong>von</strong> Arbeitskräften zum<br />

Arbeitsmarkt sowie im Abstrom <strong>der</strong> Arbeitskräfte<br />

vom Arbeitsmarkt. 3<br />

Die demographischen Schwankungen führten dazu,<br />

dass <strong>der</strong> ostdeutsche Arbeitsmarkt seit Mitte <strong>der</strong><br />

1. Ein Blick zurück<br />

1.1 Turbulente demographische Entwicklungen in Ostdeutschland<br />

seit mehreren Jahrzehnten<br />

• die niedrigen Geburtenzahlen blieben in Ostdeutschland<br />

seit 1991 fast unverän<strong>der</strong>t gering<br />

bei nur noch ca. 100.000 Kin<strong>der</strong>n pro Jahr.<br />

Diese Entwicklungen (Lutz, Ketzmerick, Wiener<br />

1999) zeigen, dass spätestens seit <strong>der</strong> Unabhängigkeit<br />

<strong>der</strong> Frauen durch die Pille in den siebziger Jahren<br />

verstärkt mit demographischen Schwankungen<br />

gerechnet werden muss. Die Unregelmäßigkeiten in<br />

den Geburtenzahlen, die durch Selbstbestimmung<br />

entstehen, mögen auf den ersten Blick als Nachteil<br />

erscheinen. Der unübersehbare (auch gesellschaftliche)<br />

Vorteil besteht aber darin, dass die Frauen autonom<br />

über den Zeitpunkt und die Zahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>,<br />

die sie bekommen möchten, entscheiden und somit<br />

unter an<strong>der</strong>em auch ihre berufl ichen Karrieren besser<br />

planen können.<br />

Die Auswirkungen dieser demographischen Schwankungen<br />

sind zudem meist langfristiger Natur, so dass<br />

man sich im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt<br />

rechtzeitig darauf vorbereiten könnte, wenn<br />

man diese Entwicklungen kontinuierlich beobachtet<br />

und die Schwankungen ernst nimmt.<br />

1.2 ... und die Auswirkungen auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt<br />

90er Jahre bis in die Gegenwart mit zwei massiven<br />

Auswirkungen in Arbeitskräfteangebot und -nachfrage<br />

zu kämpfen hatte:<br />

(1) Die erste Auswirkung demographischer <strong>Turbulenzen</strong><br />

zeigte sich ein gutes Jahrzehnt lang in dem<br />

massiven Nachwuchskräfteangebot für den Berufsausbildungs-<br />

und Arbeitsmarkt, das nur in Teilen<br />

und teilweise sehr unbefriedigend bedient werden<br />

konnte.<br />

3 Aktuell hat Lutz (2008) in einer Expertise für die Otto-Brenner-Stiftung <strong>der</strong>zeitige Strukturen und zu erwartende Entwicklungen <strong>von</strong><br />

Beschäftigung und Arbeitsmarkt in <strong>der</strong> Metall- und Elektroindustrie in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n und ihre Bedeutung für die Interessenvertretung<br />

zusammengetragen.<br />

Seite 7


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Das Angebot an Nachwuchskräften war seit <strong>der</strong> Mitte<br />

<strong>der</strong> 90er Jahre bis vor einem Jahr als Spätfolge<br />

<strong>der</strong> aufwändigen Geburtenpolitik <strong>der</strong> DDR durch<br />

sehr starke Schulabgängerzahlen bestimmt, die<br />

ganz überwiegend einen dualen Ausbildungsplatz<br />

suchten.<br />

Die Zahl <strong>von</strong> Schulabgängern eines Jahrganges<br />

machte in den Spitzenzeiten mit rund 220.000 und<br />

240.000 Jugendlichen zwischen 4 und 5 Prozent<br />

des Gesamtbestandes an Erwerbstätigen in Ostdeutschland<br />

aus. Das ist doppelt so viel, wie bei sich<br />

nicht verän<strong>der</strong>nden Beschäftigtenzahlen gebraucht<br />

wird.<br />

(2) Die zweite Auswirkung demographischer <strong>Turbulenzen</strong><br />

spiegelte sich über mehr als ein Jahrzehnt in<br />

<strong>der</strong> geringen Nachfrage an Nachwuchskräften wie<strong>der</strong>,<br />

die schon bei gleichbleibenden Beschäftigungsbeständen<br />

zum Problem geworden wäre, aber bei<br />

den zu beobachtenden sinkenden Beschäftigtenzahlen<br />

noch viel massiver nachwirkte. Sie war die<br />

Folge ausgesprochen geringer Austrittszahlen <strong>von</strong><br />

Erwerbstätigen in Rente im gleichen Zeitraum.<br />

Die sehr geringen Abgangszahlen <strong>von</strong> jährlich rund<br />

80.000 bis 90.000 Personen brachten im Verhältnis<br />

zu den bis zu 2,5-fach höheren Zugangszahlen immense<br />

Probleme mit sich. Über die Folgen wird im<br />

Weiteren noch zu sprechen sein.<br />

Ursachen lagen vor allem in den massiven Frühverrentungsprogrammen<br />

<strong>der</strong> Jahre um 1990, die dazu<br />

führten, dass es über 10 Jahre hinweg kaum Beschäftigte<br />

in Ostdeutschland gab, die das gesetzliche<br />

Rentenalter erreichten. Vielmehr ging die große<br />

Zahl dieser Menschen aus Vorruhestandregelungen,<br />

Altersübergang o<strong>der</strong> Arbeitslosigkeit in Rente und<br />

machte somit auch keine Arbeitsplätze frei.<br />

In <strong>der</strong> betrieblichen Struktur äußerte sich die Entwicklung<br />

so, dass vor allem zwei Typen <strong>von</strong> Unternehmen<br />

mit sehr homogenen Altersstrukturen den<br />

Markt dominierten:<br />

Zum einen die sogenannten Olympiamannschaften<br />

(Behr 2001), die sich die ersten Jahre nach <strong>der</strong> Wende<br />

gründeten und vorrangig junge Mitarbeiter um die<br />

30 Jahre einstellten (beispielsweise im IT-Bereich).<br />

Diese Unternehmen hatten bisher keine nennenswerten<br />

Altersabgänge zu verzeichnen. 4<br />

Zum an<strong>der</strong>en die bereits heute überalterten Betriebe,<br />

die seit an<strong>der</strong>thalb Jahrzehnten, das Unternehmen<br />

gemeinsam aufrecht halten, oft wegen fehlendem<br />

Ersatzbedarf völlig ausbildungsunerfahren und<br />

-entwöhnt sind und in Kürze einen großen Teil ihrer<br />

Belegschaft in Rente verlieren.<br />

Die hier vorgestellten Ungleichgewichte waren und<br />

sind nicht nur konjunkturell bestimmt und <strong>von</strong> vorübergehen<strong>der</strong><br />

Art, son<strong>der</strong>n zeigen auch strukturelle<br />

Probleme. So schreibt Lutz, dass sich „offenkundig<br />

die meisten <strong>der</strong> überlebenden ostdeutschen Betriebe<br />

in diesem ungleichgewichtigen Zustand mehr<br />

o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> gut einrichten konnten:<br />

• Nachwuchs war nicht nur für alle Betriebe, die<br />

ausbilden wollten und konnten, überreichlich<br />

vorhanden.<br />

• Das Verdienstniveau liegt bis heute weit unter<br />

den westdeutschen Vergleichswerten5 .<br />

• Die erfahrenen, qualifi zierten Beschäftigten<br />

waren (und sind vielfach noch heute) froh,<br />

einen Arbeitsplatz zu haben und zu behalten<br />

und stellen wenig For<strong>der</strong>ungen – abgesehen<br />

vom Erhalt <strong>der</strong> Arbeitsplätze.<br />

• Es gibt in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n kaum<br />

Fluktuation zwischen den Betrieben.<br />

• Tarifverträge und tarifl iche Regelungen sowie<br />

<strong>der</strong> betriebspolitische Einfl uss <strong>von</strong> Betriebsräten<br />

spielten und spielen vor allem in <strong>der</strong><br />

großen Zahl <strong>von</strong> kleinen Betrieben kaum eine<br />

Rolle.“ (Lutz 2008a)<br />

4 Da es sich bei diesen Unternehmen um sehr homogene Altersstrukturen handelt, kann auf sie das Ablöseprobleme <strong>von</strong> Fachkräften<br />

und <strong>der</strong> Verlust <strong>von</strong> Erfahrungswissen in den nächsten 10 bis 15 Jahren zukommen, wenn die <strong>der</strong>zeitige Belegschaft <strong>von</strong> vorrangig<br />

40- bis 50-Jährigen das Rentenalter erreicht.<br />

Seite 8<br />

5 So verdienen z.B. die Fachkräfte in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemieindustrie nur zwei Drittel<br />

des westdeutschen Durchschnitts. (siehe Abbildung 1 im Anhang)


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Lutz führt weiter aus, dass sich „diese Bedingungskonstellation,<br />

die bisher vor allem mit Vorteilen für<br />

die Arbeitgeber verbunden war“ zu Gunsten <strong>der</strong><br />

Arbeitnehmer entwickeln wird. Nachdem ein gutes<br />

Jahrzehnt lang sehr starke Jahrgänge die ostdeutschen<br />

Schulen verlassen hatten, setzt jetzt ein massiver<br />

Rückgang <strong>der</strong> Schulabgängerzahlen ein6 . So<br />

werden im Jahr 2011 in allen neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

nicht einmal mehr halb so viele junge Männer und<br />

Frauen wie in den vergangenen Jahren die Allgemeinbildenden<br />

Schulen verlassen (Kultusministerkonferenz,<br />

20077 ).<br />

Durch die <strong>der</strong>zeit zunehmend stärkeren Alterskohorten,<br />

die das Rentenalter erreichen und neu zu<br />

besetzende Arbeitsplätze räumen, sowie durch<br />

den konjunkturellen Aufschwung seit 2006, <strong>der</strong> zur<br />

Entstehung neuer Arbeitsplätze führte, wurde die<br />

Diskussion um die Fachkräfteentwicklung entfacht.<br />

Während wirtschafts- wie arbeitsmarktpolitische<br />

Akteure jahrelang die Ausbildungsplatzlücke in Ostdeutschland<br />

und die Überqualifi zierung vieler ostdeutscher<br />

Beschäftigter thematisieren, sprechen<br />

dieselben Unternehmen jetzt <strong>von</strong> fehlendem qualifi<br />

ziertem Nachwuchs und einer sich androhenden<br />

Fachkräftelücke.<br />

Dieses Zusammenwirken <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen auf <strong>der</strong><br />

Angebots- und auf <strong>der</strong> Nachfrageseite wird in den<br />

nächsten Jahren im Beschäftigungssystem zur Herausbildung<br />

eines grundlegend an<strong>der</strong>en Ungleichgewichts<br />

<strong>führen</strong>. Der Forschungsdirektor des Zentrums<br />

für Sozialforschung Halle, Prof. Lutz, sprach bereits<br />

vor zehn Jahren <strong>von</strong> <strong>der</strong> demographischen Falle.<br />

Abbildung 1: Schulabgänger und 63jährige Beschäftigte in Ostdeutschland 2001–2020<br />

(absolute Zahlen)<br />

250000<br />

200000<br />

150000<br />

100000<br />

50000<br />

0<br />

2001<br />

2002<br />

2003<br />

2004<br />

2005<br />

2006<br />

2007<br />

6 Unternehmen in den Chemieregionen berichten bereits <strong>von</strong> <strong>der</strong> Halbierung <strong>der</strong> Beweberzahlen im Jahr 2008. Dieser Rückgang<br />

<strong>der</strong> Bewerberzahlen in den Unternehmen geschieht zurzeit allerdings noch auf einem sehr hohen Niveau. „[…] wir haben ja heute<br />

noch in Betrieben für 50 Ausbildungsplätze 1000 Bewerbungen, dann haben wir zwar weniger als letztes Jahr, da waren es vielleicht<br />

2200, aber immerhin noch 1000.“ [INT2] In an<strong>der</strong>en weniger attraktiven Bereichen als in den großen Chemiebetrieben wird aber auch<br />

schon heute <strong>von</strong> quantitativ wie qualitativ unzureichenden Bewerberzahlen gesprochen.<br />

7 Prognose <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte: hochgerechnet aus dem Beschäftigtenpanel<br />

<strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit; neue Bundeslän<strong>der</strong>; absolute Zahlen<br />

63jährige Beschäftige Schulabsolventen<br />

2008<br />

2009<br />

2010<br />

2011<br />

2012<br />

2013<br />

2014<br />

2015<br />

2016<br />

2017<br />

2018<br />

2019<br />

2020<br />

Quelle: Schulabgänger; Prognose <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte: hochgerechnet<br />

aus dem Beschäftigtenpanel <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit; neue Bundeslän<strong>der</strong>; absolute Zahlen<br />

Seite 9


Einige wirtschaftliche Akteure haben sich bereits<br />

frühzeitig mit den Langzeitfolgen dieser demographischen<br />

Verwerfungen auseinan<strong>der</strong>gesetzt und<br />

eine kontinuierliche Personalplanung in ihren Unter-<br />

Seite 10<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

nehmen versucht. An dieser Stelle sei noch einmal<br />

an den Nachwuchskräftepool in Leuna erinnert, mit<br />

dem ein Brückenschlag <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur<br />

Fachkräftelücke gelang. (Meier, Pauli, Wiener 2002)<br />

2. Die demographischen Probleme<br />

sind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen<br />

Die in Kapitel 1 aufgeführten Entwicklungen aus <strong>der</strong><br />

demographischen Entwicklung und <strong>der</strong> damit verbundenen<br />

abnehmenden Bewerberzahl <strong>von</strong> Fachkräften<br />

werden <strong>von</strong> vielen Unternehmen noch nicht<br />

erkannt. Dementsprechend unvorbereitet agieren<br />

einige Unternehmer. Daraus könnten sich schwerwiegende<br />

Folgen für die Unternehmen ergeben:<br />

Sie könnten sich beispielsweise darin zeigen, dass<br />

es starke „<strong>Turbulenzen</strong> und Ungleichgewichte im<br />

Lohngefüge durch die Gewinnung neuer Spezialisten“<br />

gibt. So kann das Entlohnungssystem aus den<br />

Fugen geraten, wenn einzelne Spezialisten mit viel<br />

Geld in die Regionen und Unternehmen gelockt werden<br />

und mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> über Nacht eine deutliche<br />

Besserstellung als langjährig eingesetzte Mitarbeiter<br />

erfahren. Wichtig ist es, die Betriebe auf die<br />

Folgen für das gesamte Betriebsklima bei solchen<br />

Dass bei den Betrieben die demographischen Probleme<br />

noch nicht überall angekommen sind, belegen<br />

beispielhaft die nachfolgenden Ergebnisse einer im<br />

zsh durchgeführten Studie. 9 In einer Ausbildungsbefragung<br />

in den Bundeslän<strong>der</strong>n Brandenburg,<br />

Nie<strong>der</strong>sachsen und Sachsen-Anhalt wurden ausbildende<br />

Unternehmen nach den Erfahrungen mit <strong>der</strong><br />

Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen für die Berufsausbildung<br />

in den letzten Jahren befragt.<br />

2.1 Aus Erfahrungen werden Erwartungen<br />

Kurzfristreaktionen aufmerksam zu machen. Hier<br />

können die Tarifpartner mit Aufklärung präventiv und<br />

unterstützend einwirken. (Vgl. auch Lutz 2008a)<br />

Beson<strong>der</strong>s schwierig wird es, wenn sich <strong>der</strong> Fachkräftemangel<br />

auf die De-Industrialisierung <strong>von</strong> Regionen<br />

auswirkt, indem es zur Schließung o<strong>der</strong> Verlagerung<br />

wichtiger Industrieunternehmen kommt.<br />

Zwar entscheiden sich Unternehmen sehr selten<br />

zu einer Standortverlagerung, wenn Fachkräfte am<br />

Markt fehlen (in aktuellen Befragungen8 gaben das<br />

gerade einmal fünf Prozent als eine mögliche Option<br />

an). Kommt es aber zu einem solchen Entschluss,<br />

hat das starke negative Auswirkungen auch auf<br />

die Arbeitsfähigkeit <strong>der</strong> verbleibenden Betriebe am<br />

Standort. Solche Regionen leiden zunehmend unter<br />

<strong>der</strong> fehlenden Wirtschaftskraft und verlieren an<br />

Attraktivität für neue Ansiedlungen.<br />

In <strong>der</strong> repräsentativen Befragung ausbilden<strong>der</strong> Unternehmen<br />

2006 gaben ein Drittel <strong>der</strong> befragten<br />

Betriebe an, dass ihre Bewerberzahlen bereits gesunken<br />

seien. Interessant ist, dass für alle Betriebe,<br />

unabhängig <strong>von</strong> den Bewerberzahlen, zu diesem<br />

Zeitpunkt galt, dass sie über 90 Prozent ihrer Ausbildungsstellen<br />

besetzen konnten.<br />

8 fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008). www.fi scherappelt.de/Fachkraefteumfrage.pdf (download Mai 2008) und Befragung<br />

des zsh an drei Chemiestandorten in Sachsen-Anhalt 2008 (vgl. Kapitel 3)<br />

9 Zusammengefasste Ergebnisse einer zsh-Ausbildungsbefragung aus dem Jahr 2006 in: Lutz (2008) und Wiekert (2008)


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Abbildung 2: Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen in den letzten fünf Jahren<br />

Bisherige und erwartete Entwicklung <strong>der</strong><br />

Bewerberzahlen<br />

(Que lle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006; Spaltenprozent)<br />

Die Bewerberzahl ist in den<br />

letzten fünf Jahren<br />

Gesamt<br />

... gestiegen.<br />

... gleich<br />

geblieben.<br />

... gesunken.<br />

Folien-Nr.4 Datum 04.06.2008<br />

Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006<br />

28,9<br />

43,4<br />

27,7<br />

100,0<br />

Mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Unternehmen (55 Prozent)<br />

gab zudem an, dass sie auch zukünftig nicht mit<br />

sinkenden Bewerberzahlen rechnen werden. Mit<br />

dem Hintergrundwissen um die extrem stark abneh-<br />

zsh<br />

Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />

Abbildung 3: Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen in den nächsten Jahren<br />

Bisherige und erwartete Entwicklung <strong>der</strong><br />

Bewerberzahlen<br />

(Que lle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006; Spaltenprozent)<br />

Die Bewerberzahl ist in den<br />

letzten fünf Jahren<br />

Gesamt<br />

... gestiegen.<br />

... gleich<br />

geblieben.<br />

... gesunken.<br />

Folien-Nr.5 Datum 04.06.2008<br />

Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006<br />

28,9<br />

43,4<br />

27,7<br />

100,0<br />

menden Schulabgängerzahlen, die seit einiger Zeit<br />

auch überall in den Medien diskutiert werden, überraschte<br />

diese Antwort doch sehr.<br />

Die Bewerberzahl wird in<br />

den nächsten Jahren<br />

Gesamt<br />

... sinken.<br />

... nicht sinken.<br />

44,4<br />

55,6<br />

100,0<br />

zsh<br />

Zentrum fü r Sozialforsch ung Halle e.V.<br />

Seite 11


In <strong>der</strong> Studie wurde <strong>der</strong> Frage nachgegangen, wie<br />

es zu erklären ist, dass Verän<strong>der</strong>ungen, die <strong>von</strong><br />

sehr großer Bedeutung für die Unternehmen sind<br />

o<strong>der</strong> werden können, <strong>von</strong> vielen Betrieben auch<br />

dann (noch) nicht wahrgenommen werden, wenn<br />

sie offensichtlich sind? Die Wissenschaftler/innen<br />

kamen zu dem Ergebnis, dass offenkundig ein sehr<br />

deutlicher und enger Zusammenhang zwischen <strong>der</strong><br />

Einschätzung <strong>der</strong> zukünftigen Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen<br />

auf <strong>der</strong> einen Seite und den eigenen<br />

aktuellen Erfahrungen <strong>der</strong> Betriebe mit dem tatsäch-<br />

Seite 12<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Abbildung 4: Aus Erfahrungen werden Erwartungen<br />

Aus Erfahrungen werden Erwartungen<br />

(Que lle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006; Tabellenprozent)<br />

Die<br />

Bewerberzahl<br />

... wird sinken.<br />

Gesamt<br />

... wird nicht<br />

sinken.<br />

Folien-Nr.6 Datum 04.06.2008<br />

Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006<br />

... ist nicht<br />

gesunken.<br />

48,9<br />

22,8<br />

71,6<br />

Knapp 30 Prozent <strong>der</strong> befragten Unternehmen hatten<br />

bereits Erfahrungen mit rückläufi gen Bewerberzahlen.<br />

Von diesen Betrieben rechnet realistischerweise<br />

fast je<strong>der</strong> auch in Zukunft damit, dass diese<br />

Entwicklung anhält o<strong>der</strong> sich noch verstärkt. Diese<br />

Unternehmen zeigen, dass sie sich rechtzeitig auf<br />

die neuen Verhältnisse einzustellen versuchen.<br />

Hingegen ist zu erwarten, dass viele Betriebe <strong>der</strong><br />

ersten Gruppe, die (noch) nicht <strong>von</strong> den Auswirkungen<br />

<strong>der</strong> massiven Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Nachfrage<br />

lichen Rückgang <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Lehrstellenbewerber<br />

auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite besteht.<br />

Denn mehr als 70 Prozent <strong>der</strong> befragten Unternehmen<br />

sammelten noch keine Erfahrungen mit Bewerbermangel.<br />

Von diesen Unternehmen rechnen über<br />

zwei Drittel auch in Zukunft nicht mit einem Rückgang<br />

<strong>der</strong> Bewerberzahlen, wobei sie häufi g darauf<br />

verweisen, dass sie als Ausbildungsbetrieb attraktiv<br />

seien o<strong>der</strong> in beson<strong>der</strong>s attraktiven Berufen ausbilden<br />

würden.<br />

... ist<br />

gesunken.<br />

5,5<br />

22,9<br />

28,4<br />

Gesamt<br />

54,3<br />

45,7<br />

100,0<br />

zsh<br />

Zentrum fü r Sozialforsch ung Halle e.V.<br />

nach Fachkräften und vor allem in dem knappen<br />

Angebot an Fachkräften betroffen waren, überzeugt<br />

sind, dass sie auch in Zukunft mit ihren bis jetzt bewährten<br />

Verhaltensmustern gut zurechtkommen.<br />

„Diese Betriebe sind, so kann man ohne große Übertreibung<br />

formulieren, auf dem Weg in die Zeitfalle<br />

und werden dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit<br />

erst feststellen, wenn es zu spät ist, erfolgreich gegenzusteuern.“<br />

(Lutz 2008a)


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

2.2 Die Dominanz <strong>von</strong> KMU in Ostdeutschland geht häufi g einher<br />

mit fehlen<strong>der</strong> strategischer Personalpolitik<br />

Die Hälfte <strong>der</strong> Chemieunternehmen beschäftigt nicht<br />

einmal 10 Mitarbeiter. Auch wenn in den großen Unternehmen<br />

mit 250 und mehr Beschäftigten fast zwei<br />

Drittel <strong>der</strong> Mitarbeiter in <strong>der</strong> Chemie angestellt sind,<br />

ist die große Zahl <strong>der</strong> kleinen und mittelständischen<br />

Unternehmen (KMU10 ) nicht zu unterschätzen. Sie<br />

gehören mit einem Drittel <strong>der</strong> Beschäftigten ebenfalls<br />

zu den Leistungsträgern dieser Branche.<br />

Tabelle 1: Betriebe und Beschäftigte <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Betriebsgröße<br />

(Angaben in Prozent)<br />

Betriebe mit Betriebe Beschäftigte<br />

0 bis 9 Beschäftigten 50,5 2,2<br />

10 bi 49 Beschäftigten 26,7 9,5<br />

50 bis 249 Beschäftigten 15,8 26,8<br />

250 bis 499 Beschäftigten 2,7 14,4<br />

500 und mehr Beschäftigten 2,3 47,1<br />

100,0 100,0<br />

Quelle: Hauptverband <strong>der</strong> gewerblichen Berufsgenossenschaft, http://www.hvbg.de/d/pages/statist/unter/voll_betr/<br />

(download am 01.09.2008)<br />

Hinzu kommt, dass sich gerade in Ostdeutschland<br />

die Beschäftigtenzahlen noch etwas stärker auf<br />

die kleinen Unternehmen konzentrieren. (Vgl. Be-<br />

rechnungen des Beschäftigtenpanels im Anhang,<br />

Tabelle 1)<br />

Die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Bedeutung<br />

<strong>der</strong> kleinen und mittleren Unternehmen<br />

wird in <strong>der</strong> Öffentlichkeit recht wenig wahrgenommen<br />

und diskutiert. Gerade wenn es um die Fragen<br />

<strong>der</strong> Bekämpfung <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit und um neue<br />

Beschäftigung geht, beherrschen die großen Unternehmen<br />

im positiven wie im negativen Sinne die<br />

Schlagzeilen. Eine Stärke <strong>der</strong> deutschen Volkswirtschaft<br />

liegt aber unter an<strong>der</strong>em in dem hohen Anteil<br />

leistungsstarker kleiner und mittlerer Betriebe.<br />

Allein ein Blick auf die Statistik veranschaulicht die<br />

beson<strong>der</strong>e Rolle kleiner Unternehmen. Die positiven<br />

Beschäftigungseffekte kommen aus den kleinen<br />

Unternehmen, die im Gegensatz zum Beschäfti-<br />

gungsabbau in den mittleren und großen Unternehmen<br />

stehen. Die Beschäftigungsentwicklung und die<br />

Beschäftigungspläne signalisieren, dass <strong>der</strong> Mittelstand<br />

weiterhin mit einem soliden Wachstum rechnet.<br />

(Mittelstandsmonitor 2008, S.VI).<br />

Trotz eines Wandels in <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> KMU<br />

werden diese bis heute oft unterbewertet und wenig<br />

wahrgenommen. Wenn aber große Unternehmen<br />

immer mehr Beschäftigungsabbau und Ausglie<strong>der</strong>ungen<br />

betreiben, wird zum Erhalt <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> deutschen Volkswirtschaft die<br />

Sicherung <strong>der</strong> kleinen Unternehmen zunehmend<br />

wichtiger. Diese Unternehmen erhalten im Zuge <strong>der</strong><br />

Globalisierung und des Zusammenwachsens <strong>der</strong><br />

Weltwirtschaft sowie immer kürzerer Produktlebenszyklen<br />

aber nur eine Chance, wenn sie eine klare<br />

strategische Ausrichtung haben, ausgeprägtes Innovationsmanagement<br />

betreiben können und konsequente<br />

Kundenorientierung pfl egen. (Hartmann,<br />

Wiener, Winge 2006)<br />

10 Nach <strong>der</strong> KMU-Defi nition <strong>der</strong> EU handelt es sich um ein kleines o<strong>der</strong> mittleres Unternehmen, wenn die Mitarbeiterzahl unter 250<br />

Personen liegt und entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jahresumsatz ≤ 50 Mio. Euro o<strong>der</strong> die Bilanzsumme ≤ 43 Mio. Euro ist.<br />

Seite 13


Dabei kommt dem Wissen und Können <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />

im Unternehmen bei <strong>der</strong> Erhaltung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />

immer größere Bedeutung zu. Der<br />

Erhaltung und dem Ausbau <strong>von</strong> Wissen und Können<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter dient die Personalentwicklung. Sie<br />

umfasst alle „Maßnahmen <strong>der</strong> Bildung, För<strong>der</strong>ung<br />

und <strong>der</strong> Organisationsentwicklung, die zielgerichtet,<br />

systematisch und methodisch geplant, realisiert und<br />

evaluiert werden.“ (Becker, 2002, S. 4)<br />

Aufgrund <strong>der</strong> Dynamik in <strong>der</strong> Wirtschaft wird es<br />

gerade auch für kleine und mittelständische Unternehmen,<br />

die keine eigenständischen Personalabteilungen<br />

haben und bei denen vielfach die Ge-<br />

Seite 14<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

schäftsführung Personalfragen neben den sonstigen<br />

Aufgaben bearbeitet, immer wichtiger, <strong>der</strong> Personalentwicklung<br />

ein größeres Gewicht zu geben. Angesichts<br />

<strong>der</strong> dünnen Personaldecke und des geringen<br />

Zeitbudgets vieler Führungskräfte in kleinen und<br />

mittelständischen Unternehmen fehlt es häufi g an<br />

einer kontinuierlichen Personalarbeit. Hier können<br />

durch den Aufbau <strong>von</strong> Unterstützungsstrukturen,<br />

z. B. in Form <strong>von</strong> Nachwuchskräfte- und Qualifi zierungspools<br />

(Meier, Wiener, Winge 2007) sowie Arbeitgeberzusammenschlüssen<br />

(Hartmann, Meyer-<br />

Wölfi ng 2008), Führungskräfte auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />

Personalentwicklung qualifi ziert und entlastet werden.<br />

2.3 Die bereits sehr hohen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

an das Qualifi kationsniveau in <strong>der</strong> Chemie werden weiter steigen<br />

Das Qualifi kationsniveau in <strong>der</strong> Chemieindustrie ist<br />

extrem hoch. Das zeigt sich beispielsweise darin,<br />

dass in <strong>der</strong> Chemie fast doppelt so viele Hochqualifi<br />

zierte (18 Prozent) beschäftigt sind, wie im Schnitt<br />

Tabelle 2: Beschäftigte <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Qualifi kationsgruppen<br />

(Angaben in Prozent)<br />

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />

aller Branchen (10 Prozent). In Ostdeutschland liegt<br />

<strong>der</strong> Anteil sogar fast zwei einhalbmal so hoch (24<br />

Prozent).<br />

Qualifikation und Stellung im Betrieb Alte Län<strong>der</strong> Neue Län<strong>der</strong> Gesamt<br />

Hochqualifizierte und Führungskräfte 17,4 24,2 18,1<br />

Facharbeiter und Fachangestellte 59,8 59,4 59,8<br />

Un- und Angelernte 22,8 16,4 22,1<br />

100,0 100,0 100,0


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Außerdem zeigt sich bei den Hochqualifi zierten und<br />

Führungskräften ein höherer Anteil in den neuen<br />

Bundeslän<strong>der</strong>n als in den alten Bundeslän<strong>der</strong>n. Das<br />

unterscheidet die Chemie <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Branchen,<br />

in denen die Anteile <strong>der</strong> Höherqualifi zierten in Ost<br />

und West nur wenig differieren (Vgl. Lutz 2008a für<br />

die Metall- und Elektroindustrie). Die Unterschiede<br />

zeigen sich im Metall- und Elektrobereich eher bei<br />

den Facharbeitern und Fachangestellten, während<br />

in <strong>der</strong> Chemie in diesen Qualifi kationsstufen keine<br />

Unterschiede zu fi nden sind.<br />

In vielen Befragungen und Untersuchungen <strong>der</strong> letzten<br />

Jahre (beispielsweise Reinberg, Hummel 2004)<br />

wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass das hohe<br />

Qualifi kationsniveau weiter bestehen bleiben wird<br />

o<strong>der</strong> sich sogar weiter erhöht.<br />

Das heißt, dass mit dem Abgang älterer Beschäftigter<br />

nicht einfach ein Arbeitsplatzabbau verbunden<br />

werden kann, son<strong>der</strong>n dass viele Qualifi kationen<br />

durch junge Nachwuchskräfte ersetzt werden müssen.<br />

Hier wird <strong>der</strong> professionelle Umgang bei <strong>der</strong><br />

Übertragung des Erfahrungswissens <strong>von</strong> den Älteren<br />

auf die Jüngeren sehr wichtig.<br />

2.4 Die Überalterung <strong>der</strong> Beschäftigten in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie<br />

ist schon länger ersichtlich<br />

Ein Übergewicht <strong>der</strong> mittleren und älteren Altersgruppen<br />

ist in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie bereits seit<br />

längerem zu verzeichnen. Schon im Jahr 2000 führte<br />

das zsh, vom BMBF geför<strong>der</strong>t, in Zusammenarbeit<br />

mit dem Arbeitgeberverband Nordostchemie eine<br />

Personalstrukturerhebung durch, die dies eindeutig<br />

belegt.<br />

Mehr als ein Drittel <strong>der</strong> Beschäftigten befand sich in<br />

<strong>der</strong> Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren. Mehr<br />

als ein Viertel <strong>der</strong> Beschäftigten war schon damals<br />

im Alter zwischen 50 und 59 Jahren. Diese beiden<br />

Altersgruppen bestimmten im hohen Maße das<br />

Durchschnittsalter in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie <strong>von</strong><br />

43,4 Jahren. (Böttcher, Meier, Wiener 2001)<br />

Das hauptsächliche Problem besteht darin, dass<br />

selbst Unternehmen, die bereits sehr frühzeitig, also<br />

vor ca. 8 bis 10 Jahren versucht haben, <strong>der</strong> demographischen<br />

Falle gegenzusteuern o<strong>der</strong> bei denen<br />

– wie am Chemiestandort Leuna – seit Jahren ein<br />

Beschäftigungszuwachs zu verzeichnen ist, nur<br />

begrenzt erfolgreich sein konnten, da auch sie äußeren<br />

Zwängen unterlagen. Dazu gehörten unter an<strong>der</strong>em<br />

die geringen Abgangszahlen älterer Beschäftigter<br />

in Rente. In <strong>der</strong> nachfolgenden Grafi k, die <strong>der</strong><br />

Personalleiter <strong>der</strong> InfraLeuna, Herr Jankowski, auf<br />

<strong>der</strong> Abschlussveranstaltung des Projektes Synthese<br />

präsentierte, wird dies für den Chemiestandort<br />

Leuna verdeutlicht:<br />

• So ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> älteren Beschäftigten in<br />

den letzten Jahren weiter angestiegen. Die Unternehmen<br />

am Standort Leuna haben nun in<br />

den nächsten 10 bis 15 Jahren massive Altersabgänge<br />

zu erwarten.<br />

• Man sieht aber auch, dass am Standort bereits<br />

versucht wurde, Nachwuchskräfte aufzubauen,<br />

so dass sich die Zahl <strong>der</strong> 20 bis 25-Jährigen<br />

– wenn auch auf sehr geringen Niveau – im<br />

Zeitraum zwischen 2000 und 2006 verdoppeln<br />

konnte. (Vgl. Abbildung 5)<br />

11 In dem Projekt „Synthese“ wurden mit einem ganzheitlichen Ansatz gezielt Kooperationen zwischen regionalen Arbeitsmarktakteuren,<br />

Bildungsträgern und Unternehmen aufgebaut, um dem Arbeitsmarkt passgenaue Fachkräfte zu<strong>führen</strong> zu können und insbeson<strong>der</strong>e<br />

Langzeitarbeitslose bei ihrem Integrationsprozess zu unterstützen. Die Qualifi zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH wurde<br />

im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens des Projektträgers, Landkreis Saalekreis, Eigenbetrieb für Arbeit mit <strong>der</strong> Durchführung<br />

des Projektmanagements beauftragt.<br />

Seite 15


Abbildung 5: Personalstruktur am Chemiestandort Leuna im Vergleich 2000 zu 2006<br />

Seite 16<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

19.06.2008<br />

Personalstruktur am Chemiestandort Leuna<br />

Altersstruktur <strong>der</strong> Beschäftigten gesamt<br />

Beschäftigte 2000 Beschäftigte 2006<br />

0<br />

unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und<br />

älter<br />

Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung<br />

Jürgen Jankowski<br />

www.infraleuna.de<br />

Quelle: Daten <strong>der</strong> InfraLeuna. Eine detaillierte Darstellung <strong>der</strong> Altersstruktur am Standort Leuna nach Funktionen und<br />

Berufen ist im Anhang dargstellt (Jankowski 2008).<br />

Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin,<br />

dass vor allem die Höherqualifi zierten <strong>von</strong> <strong>der</strong> Überalterung<br />

betroffen sind (Vgl. hierzu auch Abb. 2 und<br />

3 im Anhang). Welche Spuren die extrem homoge-<br />

ne Altersstruktur vieler Betriebe bereits jetzt in <strong>der</strong><br />

Entwicklung ihrer Personalstruktur hinterlässt, soll in<br />

dem nächsten Kapitel verdeutlicht werden.


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

3. Es gibt erste Fachkräftelücken in <strong>der</strong> Chemie<br />

Zum Thema Fachkräfteentwicklung hat das Zentrum<br />

für Sozialforschung Halle e. V. (zsh) im Mai 2008 eine<br />

telefonische Umfrage an drei Chemiestandorten<br />

(Bitterfeld-Wolfen, Leuna und Schkopau-Merseburg)<br />

Je<strong>der</strong> vierte Betrieb – und das ist mehr als im bundesweiten<br />

Durchschnitt12 – sagt, dass sich bereits<br />

heute die Suche nach Fachkräften sehr schwierig<br />

gestaltet. Ein weiteres Viertel <strong>der</strong> befragten Unternehmen<br />

(24 Prozent) schätzt die Suche nach Fachkräften<br />

als schwierig ein. Nur elf Prozent sind <strong>der</strong><br />

Meinung, dass es leicht sei, Fachkräfte zu fi nden.<br />

In keinem <strong>der</strong> befragten Unternehmen ist man <strong>der</strong><br />

Ansicht, dass es sehr leicht sei, neue Fachkräfte zu<br />

rekrutieren.<br />

Weiterhin ergab die Untersuchung, dass kleine Betriebe<br />

die Suche nach Fachkräften schwieriger einschätzen<br />

als größere Unternehmen. Aufmerken lässt<br />

uns die Tatsache, dass etwas mehr als ein Drittel (35<br />

Prozent) <strong>der</strong> Befragten in den drei Chemieregionen<br />

sagt, dass sie aufgrund des Fachkräftemangels bereits<br />

heute Stellen nicht besetzen können.<br />

Trotz aktuell weiterhin sehr hoher Arbeitslosenquoten<br />

beklagen knapp drei Viertel <strong>der</strong> Unternehmen<br />

in den befragten Chemieregionen (71 Prozent) wie<br />

auch deutschlandweit über alle Branchen (70 Prozent)<br />

bereits heute, dass zu wenig passfähige Fachkräfte<br />

auf dem Arbeitsmarkt zu fi nden seien. Hier<br />

wird <strong>der</strong> seit Jahren bestehende Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />

Arbeitskräfteüberschuss und gleichzeitigem<br />

Fehlen qualifi zierter Fachkräfte sehr deutlich. Ein<br />

großes Problem sieht die Hälfte <strong>der</strong> Unternehmen in<br />

<strong>der</strong> nach wie vor anhaltenden Abwan<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> gut<br />

qualifi zierten Fachkräften aus den befragten Chemieregionen.<br />

durchgeführt. Die Studie verdeutlicht, dass in <strong>der</strong><br />

ostdeutschen Chemie bereits erste Fachkräftelücken<br />

sichtbar werden. (Die Ergebnisse sind ausführlich in<br />

Wiener/Böttcher/Buchwald 2008 nachzulesen.)<br />

3.1 Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Suche nach Fachkräften<br />

Bei den Unternehmen, in denen bereits Stellen<br />

unbesetzt bleiben, wird <strong>der</strong> Bereich „Produktion“<br />

beson<strong>der</strong>s häufi g genannt, mehr als jedes zweite<br />

Unternehmen erlebt hier bereits Engpässe. Für den<br />

Bereich „Forschung und Entwicklung“ gab jedes vierte<br />

Unternehmen Probleme bei <strong>der</strong> Stellenbesetzung<br />

an. Dieser Wert ist ebenfalls sehr hoch, wenn man<br />

bedenkt, dass bei weitem nicht alle befragten Unternehmen<br />

Forschung und Entwicklung betreiben.<br />

Aus <strong>der</strong> unterschiedlich starken Suche nach Fachkräften<br />

in den einzelnen Bereichen ergibt sich natürlich<br />

auch eine unterschiedlich starke Nachfrage<br />

in den einzelnen Berufen. Im Durchschnitt ist jedes<br />

Unternehmen in zwei Berufsgruppen auf Fachkräftesuche.<br />

Gesucht werden vor allem folgende Qualifi<br />

kationen:<br />

Im Bereich Chemische Grundstoffe sind es vor allem<br />

Laborberufe (Chemielaboranten), bei den Chemischen<br />

Endprodukten Chemieproduktionsberufe<br />

(Chemikanten) und Chemiker (Dipl.-Chemiker, Chemieingenieure<br />

und Ing. für Verfahrenstechnik), aber<br />

auch Ausbil<strong>der</strong> und Industriemeister für Chemie. Bei<br />

den Industrienahen Dienstleistungen sind es Metall-<br />

und Elektroberufe (Industrie- und Anlagenmechaniker),<br />

ebenfalls Ausbil<strong>der</strong> und Industriemeister<br />

für Elektrotechnik und Metall, Technikerberufe (Chemietechniker<br />

und Techniker des Elektro- und Metallfachs)<br />

sowie naturwissenschaftliche und technische<br />

Ingenieure.<br />

12 Um die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung in die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Gesamtsituation einbinden zu können, wird an<br />

entsprechenden Stellen den Vergleich zu einer ebenfalls im Jahr 2008 durchgeführten bundesweiten Umfrage unter 1300 Unternehmen<br />

verschiedener Branchen herangezogen (fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008).<br />

Seite 17


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Ganz eindeutig zeigt sich, je höher die Qualifi kationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

in den technischen Berufen sind,<br />

desto schwieriger wird es mit <strong>der</strong> Fachkräftesuche.<br />

Das mündet teilweise in die vergebliche Suche nach<br />

Ingenieuren, die unter an<strong>der</strong>em darin begründet ist,<br />

Wenn es um die Beseitigung des Fachkräftemangels<br />

geht, wird die eigene Verantwortung <strong>von</strong> Unternehmen<br />

weit oben angeführt. Rund 70 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen<br />

geben das in beiden Befragungen an.<br />

Nur die Verantwortung <strong>der</strong> Universitäten und Ausbildungsstätten<br />

wird mit rund 80 Prozent häufi ger<br />

genannt, was auf die hohen Qualifi kationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />

vieler Mitarbeiter hinweist, die nur mit Unterstützung<br />

dieser Bildungseinrichtungen zu sichern<br />

sind. Qualifi zierte Tätigkeiten haben in <strong>der</strong> Chemie<br />

einen hohen Stellenwert, somit werden auch weit<br />

häufi ger als im Bundesdurchschnitt (41 vs. 26 Prozent)<br />

private Bildungseinrichtungen als Partner bei<br />

<strong>der</strong> Beseitigung des Fachkräftemangels gesehen.<br />

Bund, Län<strong>der</strong> und Kommunen (50 vs. 29 Prozent)<br />

sowie die Bundesagentur für Arbeit (44 vs. 8 Prozent)<br />

sind für die Unternehmen in den ostdeutschen<br />

Chemieregionen im Vergleich zur gesamtdeutschen<br />

Erhebung deutlich wichtiger. Hier wird sehr auf Zusammenarbeit<br />

und Unterstützung gesetzt. Diese<br />

Einschätzungen sind sicherlich auf gute Erfahrungen13<br />

zurückzu<strong>führen</strong>.<br />

Hingegen spielte die Eigeninitiative <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

bei <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> befragten Chemieunternehmen<br />

in Sachsen-Anhalt eine deutlich geringere<br />

Rolle als im Bundesdurch-schnitt (39 vs. 58<br />

Prozent). Erfahrungen aus dem Projekt Synthese<br />

zeigen, dass sich das für viele Arbeitssuchende än<strong>der</strong>n<br />

lässt.<br />

Dass <strong>der</strong> Einsatz aller Akteure (Unternehmen, Agenturen,<br />

Verbände und Gewerkschaften, Kommunen,<br />

Seite 18<br />

3.2 Verantwortung für die Fachkräftesituation<br />

dass sich trotz guter Berufsaussichten die Ausbildungszahlen<br />

für technische Berufe und Studienrichtungen<br />

seit längerem rückläufi g entwickeln. (siehe<br />

dazu mehr in Kapitel 4)<br />

Län<strong>der</strong> und Bund sowie Beschäftigte und Arbeitssuchende)<br />

zur Fachkräftesicherung gebraucht wird,<br />

zeigt sich in den optimistischen Zukunftserwartungen<br />

<strong>der</strong> Chemieunternehmen in Sachsen-Anhalt.<br />

Mittelfristig, in den nächsten drei Jahren, erwarten<br />

fast alle <strong>der</strong> befragten Betriebe eine gleichbleibende<br />

(49 Prozent) o<strong>der</strong> sogar steigende (47 Prozent)<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Beschäftigtenzahlen. Diese optimistische<br />

Einschätzung <strong>der</strong> mittelfristigen Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Beschäftigtenzahl geben vor allem Unternehmen<br />

<strong>der</strong> Wirtschaftsbereiche Chemische Endprodukte<br />

und industrienahe Dienstleistungen. Unternehmen<br />

<strong>der</strong> chemischen Grundstoffproduktion erwarten hingegen<br />

kaum Verän<strong>der</strong>ungen bei den Beschäftigtenzahlen.<br />

Im Vergleich zur mittelfristigen Perspektive fällt die<br />

Einschätzung <strong>der</strong> Beschäftigtenentwicklung in <strong>der</strong><br />

langfristigen Perspektive, für die kommenden zehn<br />

Jahre, noch einmal positiver aus. Hier erwarten 56<br />

Prozent <strong>der</strong> Unternehmen eine Zunahme. 40 Prozent<br />

<strong>der</strong> Unternehmen schätzen für diesen Zeitraum<br />

ein, dass sich die Anzahl <strong>der</strong> Beschäftigten in ihrem<br />

Unternehmen nicht verän<strong>der</strong>n wird.<br />

Deutliche Unterschiede in den Erwartungen zeigen<br />

sich in Abhängigkeit <strong>von</strong> <strong>der</strong> Betriebsgröße <strong>der</strong> Unternehmen.<br />

So erwarten 85 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen<br />

mit weniger als 50 Mitarbeitern eine Zunahme<br />

ihrer Beschäftigtenzahl. Bei den Unternehmen mit<br />

mehr als 50 Mitarbeitern sind dies nur 44 Prozent.<br />

Das heißt, gerade die kleineren Unternehmen, die<br />

es bei <strong>der</strong> Fachkräftesuche häufi g noch schwerer<br />

haben als die größeren, setzen in Zukunft auf qualifi<br />

zierte Verstärkung.<br />

13 Nicht zuletzt mit solchen Projekten wie dem eben abgeschlossenen „Synthese“, mit dem durch aufwendige Sozialisations- und<br />

Qualifi kationsmaßnahmen versucht wurde, Langzeitarbeitslose in qualifi zierte Tätigkeiten in <strong>der</strong> Chemie zu vermitteln.<br />

(Quelle: http://qfc.projekt-mia.de/main.php?lang=de&act=projects_detail&pid=34&subid=4, Download Juli 2008)


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

4. Auf den Wegen zur Fachkräftesicherung für die Zukunft<br />

Da wir <strong>von</strong> einzelnen Unternehmen bereits wissen,<br />

dass sie einschätzen, dass das Fachkräfteproblem<br />

bereits auf Kosten <strong>der</strong> Qualität ihrer Arbeit geht,<br />

wird es dringend notwendig, nach Wegen zur Fachkräftesicherung<br />

zu suchen. So berichten vor allem<br />

mittelständische Unternehmen da<strong>von</strong>, dass sie Entwicklungsprojekte<br />

zurückstellen müssen, wenn die<br />

entsprechenden Qualifi kationen durch Ingenieure,<br />

Einen ausreichenden Pool guter Fachkräfte kann eine<br />

Gesellschaft nur durch ein vorbildlich entwickeltes<br />

mo<strong>der</strong>nes Bildungssystem erreichen. Dafür tragen<br />

Politik, Wirtschaft und die Beschäftigten gleichermaßen<br />

Verantwortung. Die Bildung beginnt bereits im<br />

frühkindlichen Alter und mündet in ein Lebenslanges<br />

Lernen (LLL). In Deutschland werden seit längerem<br />

eine „mangelnde Ausbildungsfähigkeit“ vieler Jugendlicher<br />

und eine im internationalen Vergleich viel<br />

zu niedrige Studienberechtigtenquote festgestellt.<br />

Das steht im Wi<strong>der</strong>spruch zu den im Zusammenhang<br />

mit dem Wandel <strong>der</strong> Arbeitswelt wachsenden<br />

Aus- und Weiterbildungsanfor<strong>der</strong>ungen. Somit kam<br />

es bei vielen Beschäftigten in den letzten 15 Jahren<br />

zu deutlich höheren Anfor<strong>der</strong>ungen an Komplexität<br />

und theoretischem Anspruch. (Gehrke u. a. 2008)<br />

Auf die hohen Qualifi kationsansprüche in <strong>der</strong> Chemie<br />

wurde bereits in Kapitel 2 ausführlich eingegan-<br />

Techniker o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Fachkräfte fehlen. Die Vermeidung<br />

<strong>von</strong> Fachkräftelücken ist somit im Hinblick<br />

auf die Festigung <strong>der</strong> zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> Regionen eine nicht zu unterschätzende<br />

Aufgabe. In diesem Kapitel werden unterschiedliche<br />

Ansätze, die bereits erprobt sind und Lösungen, die<br />

in diesem Zusammenhang diskutiert werden, vorgestellt.<br />

4.1 Bildung als wichtigstes Gut für eine erfolgreiche Chemie<br />

Der Fachkräftemangel wird als quantitatives sowie<br />

als qualitatives Problem diskutiert. Das <strong>von</strong> den Betrieben<br />

benannte Hauptproblem ist die abnehmende<br />

Zahl guter Bewerber für die Berufsausbildung.<br />

Die Unternehmen berichten, dass die Berufsausbildungsbewerber<br />

immer leistungsschwächer werden.<br />

gen. Bei den steigenden fachlichen Ansprüchen ist<br />

zu befürchten, dass sich die Schere zwischen Anfor<strong>der</strong>ungs-<br />

und Eignungsprofi l weiter öffnet. Hier kann<br />

nur mit Bildung entgegengewirkt werden. Umso<br />

wichtiger wird die Qualifi zierungsvereinbarung für<br />

die Chemieindustrie, die nach übereinstimmen<strong>der</strong><br />

Auffassung <strong>von</strong> BAVC und IG BCE zur Sicherung<br />

und Stärkung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> Chemieunternehmen<br />

sowie zum Erhalt und <strong>der</strong> Verbesserung<br />

<strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

dient.<br />

Die Unternehmen müssen frühzeitig mit <strong>der</strong> Fachkräftesicherung<br />

beginnen, das heißt gemeinsam mit<br />

den Kin<strong>der</strong>tagesstätten, den Allgemeinbildenden<br />

Schulen und Berufsschulen sowie mit den Hochschulen<br />

daran arbeiten, das Interesse an Technik<br />

bei den Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen zu wecken und<br />

zu för<strong>der</strong>n.<br />

4.1.1 Verstärkte Zusammenarbeit <strong>der</strong> Unternehmen mit Allgemeinbildenden Schulen<br />

Die Wissenslücken zeigen sich, wie auch <strong>der</strong> Personalleiter<br />

<strong>der</strong> InfraLeuna auf <strong>der</strong> Synthese-Tagung<br />

am 04. Juni 2008 zusammenfasste, vor allem bei<br />

„Defi ziten in <strong>der</strong> Mathematik (wie Prozentrechnung,<br />

Dreisatz, Umrechnung <strong>von</strong> Maßeinheiten) und im<br />

Fach Chemie. Hinzu kommen Rechtschreibschwä-<br />

Seite 19


chen (die sich schon in fehlerhaften Bewerbungsschreiben<br />

zeigen) und Probleme in <strong>der</strong> Grammatik<br />

sowie beim Lesen. Weitere Defi zite zeigen sich im<br />

Sozialkunde- und Allgemeinwissen <strong>der</strong> Berufsausbildungsbewerber.“<br />

Das Problem fehlen<strong>der</strong> guter Schulabsolventen für<br />

die Berufsausbildung kann sich in den nächsten<br />

Jahren mit den geringer werdenden Bewerberzahlen<br />

noch verschärfen, da Erfahrungen <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

zeigen, dass mit abnehmenden Schulabgängerzahlen<br />

<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen, die sich dann für<br />

eine betriebliche Ausbildung entscheiden sinkt und<br />

<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen, die ein Studium beginnen,<br />

steigt. Das geht auf Kosten <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Berufsausbildungsbewerber.<br />

Die Ursachen für die abnehmende Qualität <strong>der</strong> Ausbildungsbewerber<br />

sind vielfältiger Natur. Ein Grund<br />

liegt in den seit Jahren steigenden Schulabbrecherquoten.<br />

So verließen im Schuljahr 2006/2007<br />

deutschlandweit fast 76.000 junge Menschen die<br />

Schule ohne Abschlusszeugnis, das waren 7,8 Prozent<br />

aller Abgänger aus Allgemeinbildenden Schulen.<br />

(Statistische Ämter des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />

(2008)<br />

Ein an<strong>der</strong>er Grund besteht darin, dass das Interesse<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen für technische und naturwissenschaftliche<br />

Fächer extrem gering ist. „Dann<br />

wollen sie sich nicht die Hände schmutzig machen,<br />

und wenn die dann mal hier in den Betrieb reinkommen,<br />

[…] die sind völlig geplättet, das können die<br />

sich gar nicht vorstellen. Weil ja ein Großteil nur das<br />

Handy am Ohr hat und dann rumrennt: ‚Hurra, ich<br />

werd Superstar’.“ [INT5]<br />

So gilt es in Zukunft, bereits frühzeitig mit <strong>der</strong> Interessenbildung<br />

<strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n und Jugendli-chen<br />

für die Chemie zu beginnen. „Unser Bezirk Halle-Magdeburg<br />

arbeitet an einem Projekt, naturwissenschaftlich-technische<br />

Berufe in den Schulen, ja<br />

sogar schon in den Kin<strong>der</strong>gärten bekannt zu machen.<br />

Wichtig dabei ist, praktisch zu erkennen, dass<br />

Chemie nichts Schlimmes ist, im Gegenteil: Chemie<br />

Seite 20<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

bedeutet Zukunft.“ Das macht ja unser Bezirk Halle-<br />

Magdeburg auch sehr gut.“ [INT2]<br />

Für die vorberufl iche Bildung <strong>der</strong> Jugendlichen sollten<br />

sich nicht nur Allgemeinbildende Schulen, Berufsschulen<br />

und Betriebe son<strong>der</strong>n auch die Eltern<br />

gemeinsam verantwortlich fühlen. Vorbehalte gegenüber<br />

Chemie-Berufen gibt es nach wie vor, diese<br />

„existieren durch die Eltern und Großeltern, die betriebsbedingt<br />

entlassen worden sind … das fällt uns<br />

jetzt auf die Füße“ [INT3]. Umso schwieriger aber<br />

auch umso wichtiger ist die Information <strong>der</strong> Eltern<br />

über die Zukunft in <strong>der</strong> Chemie.<br />

Gerade Betriebe müssen mehr Berufsausbildungswerbung<br />

und Nachwuchsarbeit betreiben. Von allen<br />

Interviewpartnern wurden bereits bestehende Aktivitäten<br />

angeführt:<br />

Sommer- und Wintercamps für Schüler<br />

(organisiert zusammen mit <strong>der</strong> Bundesagentur<br />

für Arbeit);<br />

Vorstellung <strong>von</strong> Chemie- und chemienahen<br />

Berufe in den Schulen;<br />

Informationsveranstaltungen an den Chemiestandorten<br />

(hier könnten verstärkt auch Eltern<br />

beispielsweise zu den Tagen <strong>der</strong> offenen Tür<br />

mit eingeladen werden);<br />

Standort- und Unternehmensbesichtigungen;<br />

Schüler und auch Lehrer im Quartal für einen<br />

Tag in die Praxis integrieren;<br />

Mitarbeiter, Betriebsräte und Azubis gehen in<br />

die Klassen und erzählen etwas über die Berufsbil<strong>der</strong><br />

o<strong>der</strong> Sozialpartnerschaft im Betrieb<br />

und spielen mit den Schülern Verhandlungen<br />

durch. [Beispiele aus INT3 und INT4]<br />

Den Schulen fehlt es in vielen Fällen an technischer<br />

Infrastruktur. Um diese Lücken zu schließen, könnten<br />

Unternehmen mit Sachinvestitionen o<strong>der</strong> auch<br />

Personal helfen. Solche Investitionen sind ein Weg,<br />

Schüler frühzeitig für Technik zu interessieren und<br />

später leichter für den berufl ichen Eintritt zu gewinnen.<br />

„Dass du also den Jugendlichen mal vorführst:<br />

Wie sieht das in <strong>der</strong> Praxis aus, nicht nur das, was


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

angelesen wird. Ja, und das ist ja so eine Art Qualitätszertifi<br />

kat für Schulen. Wenn die Schulen gewillt<br />

sind, sich diesem Zertifi zierungsprozess zu unterziehen,<br />

sponsern wir mit Material für Chemieunterricht,<br />

Physikunterricht. O<strong>der</strong> mit Geld, machen eben Projekte.“<br />

[INT4] Es gibt also bereits einzelne Beispiele.<br />

Diese reichen aber bei weitem nicht aus. Allen<br />

Initiatoren sollte zudem bewusst sein, dass sich <strong>der</strong><br />

Erfolg erst mittel- bis längerfristig zeigen kann.<br />

Beson<strong>der</strong>s wichtig wird auch die Weiterbildung <strong>der</strong><br />

Lehrer, um sie an die Praxis in den Unternehmen<br />

heranzu<strong>führen</strong>. Diese Angebote, soweit sie bereits<br />

bestehen, werden noch viel zu wenig genutzt. „Ich<br />

hatte immer den Eindruck, irgendwo ist die Lehrerschaft<br />

ein Stück weit überfor<strong>der</strong>t, den Schülern etwas<br />

über die Berufswelt beizubringen. Nicht nur Lehrer,<br />

Das deutsche duale Ausbildungssystem und die<br />

Qualität seiner Absolventen werden weltweit anerkannt<br />

und geschätzt. Allerdings haben in den letzten<br />

Jahren zunehmend mehr Ausbildungsplatzbewerber<br />

keine Chance zur Berufsausbildung erhalten. Aktuell<br />

fällt die Entscheidung zwischen Ausbildung und externer<br />

Rekrutierung bei vielen Unternehmen vielfach<br />

gegen die eigene Ausbildung aus (nur rund ein Viertel<br />

aller Betriebe bilden aus14 ), die Ausbildungsquote<br />

in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie liegt bei 5,5 Prozent,<br />

also unter dem Gesamtdurchschnitt aller Branchen<br />

mit 8,5 Prozent. 15<br />

In den drei befragten Chemieregionen in Sachsen-<br />

Anhalt sind 2008 breite Ausbildungsaktivitäten zu<br />

fi nden. 89 Prozent aller befragten Unternehmen<br />

bilden aus und erfüllen eine überdurchschnittliche<br />

Ausbildungsquote <strong>von</strong> 9 Prozent. Die Übernahmequote<br />

liegt bei 68 Prozent, dabei werden <strong>von</strong> fast 40<br />

Prozent <strong>der</strong> Betriebe alle ausgebildeten Absolventen<br />

übernommen. Bei den Auszubildenden, die nicht<br />

übernommen werden, muss man damit rechnen,<br />

dass ein Großteil abwan<strong>der</strong>t und somit auch spä-<br />

14 Vgl. BIBB (2007a).<br />

15 Auswertung des Beschäftigtenpanels <strong>der</strong> BA<br />

son<strong>der</strong>n auch Eltern. Wir sind jetzt in <strong>der</strong> glücklichen<br />

Lage, dass sich das ein bisschen zum Positiven entwickelt,<br />

weil so viele Arbeitsplätze entstehen.“ [INT5]<br />

Mit einer Verbesserung <strong>der</strong> Beschäftigungssituation<br />

für Arbeitssuchende, fällt auch die Chemie wie<strong>der</strong> in<br />

ein besseres Licht.<br />

Der Hauptgeschäftsführer <strong>der</strong> Nordostchemie bringt<br />

die Aufgaben noch einmal auf den Punkt, indem er<br />

sagt: „Ich versuche jetzt ein stringentes Unterstützungssystem<br />

für Naturwissenschaften zwischen<br />

Kin<strong>der</strong>garten und Universitäten aufzubauen. Wir<br />

sind bisher punktuell vorgegangen, wir machen den<br />

Chemie-Kin<strong>der</strong>wettbewerb, wir unterstützen Patenschaften<br />

<strong>von</strong> Unternehmen und Schulen, wir spenden<br />

Geld, wir bilden Lehrer fort …, aber ein durchgängiges<br />

System haben wir nicht.“ [INT1]<br />

4.1.2 Berufsausbildung im Betrieb und in den Berufsschulen<br />

ter dem regionalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung<br />

steht. Denn die Rückwan<strong>der</strong>ungsneigung Jugendlicher,<br />

die erst einmal in einer an<strong>der</strong>en Region Fuß<br />

gefasst haben, ist relativ gering.<br />

Die Ausbildungsaktivitäten werden in den nächsten<br />

Jahren nach Einschätzung <strong>der</strong> Betriebe aus <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />

Chemie weiter zunehmen. So<br />

wollen die meisten Unternehmen mittelfristig, also in<br />

den nächsten drei Jahren, die Anzahl ihrer Ausbildungsplätze<br />

beibehalten o<strong>der</strong> erhöhen. Das heißt,<br />

durch die Erhöhung <strong>der</strong> Ausbildungsaktivitäten bei<br />

gleichzeitigem Rückgang <strong>der</strong> Bewerberzahlen müssen<br />

die Unternehmen folglich verstärkt werben und<br />

rekrutieren, denn es wird noch schwieriger werden,<br />

entsprechend gut qualifi zierte Schulabgänger für industrielle<br />

Berufe zu gewinnen.<br />

In <strong>der</strong> praktischen Umsetzung <strong>der</strong> Berufsausbildung<br />

zeigen sich weitere Anfor<strong>der</strong>ungen. Bei den Inhalten<br />

<strong>der</strong> Berufsausbildung wird darauf verwiesen, dass<br />

manche Ausbildungen durch die ständige Weiterentwicklung<br />

zu komplex würden. An<strong>der</strong>e Ausbildungs-<br />

Seite 21


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

gänge seien auf veraltetem Wissensstand. Hier ist<br />

die Beteiligung an <strong>der</strong> Diskussion um die Berufsausbildung<br />

durch die Betriebe beson<strong>der</strong>s wichtig. Seit<br />

Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre arbeiten die Experten des BIBB<br />

mit den Betriebspraktikern an <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung<br />

<strong>der</strong> Ausbildungsordnungen und <strong>der</strong> Schaffung einer<br />

Vielzahl neuer Berufe.<br />

Wie anspruchsvoll und komplex die Umsetzung<br />

einer optimalen Berufsausbildung ist, zeigt sich in<br />

unterschiedlichen Einschätzungen <strong>von</strong> Berufsbildungsexperten.<br />

Auf <strong>der</strong> einen Seite wird die Ausbil-<br />

In einer Studie vom Nie<strong>der</strong>sächsischen Institut für<br />

Wirtschaftsforschung (NIW), <strong>von</strong> <strong>der</strong> Nord/LB und<br />

dem zsh wird festgestellt, dass die Vermittlung und<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> ‚Technikkompetenz’ in Deutschland<br />

über lange Jahre vernachlässigt worden ist. Trotz<br />

guter Berufsaussichten haben sich die Bewerberzahlen<br />

für technische Ausbildungsberufe und Studiengänge<br />

über Jahre hinweg rückläufi g entwickelt.<br />

So ist z.B. die Zahl <strong>der</strong> Absolventen ingenieurwissenschaftlicher<br />

Studiengänge in den letzten 10 Jahren<br />

(<strong>von</strong> 48.300 im Jahr 1996 auf 35.600 in 2006)<br />

um gut ein Viertel gesunken, während die Zahl <strong>der</strong><br />

Hochschulabsolventen insgesamt im gleichen Zeitraum<br />

um fast 10 Prozent angewachsen ist (<strong>von</strong> 202<br />

Tsd. auf fast 221 Tsd.). In <strong>der</strong> Konsequenz sind in<br />

<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> unter 40-jährigen Bevölkerung in<br />

Deutschland schon heute weniger Akademiker mit<br />

ingenieurwissenschaftlicher Kompetenz vertreten<br />

als unter den 55–64-Jährigen. Insofern ist absehbar,<br />

dass sich, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Breite <strong>der</strong> Wirtschaft beklagte<br />

Ingenieurmangel, im Zuge <strong>der</strong> Verrentung <strong>der</strong> stark<br />

besetzten älteren Jahrgänge drastisch verschärfen<br />

wird. (Gehrke u. a. 2008; Heine 2006; Uhly 2007)<br />

In Ostdeutschland kam zu <strong>der</strong> geringen Studierfreudigkeit<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen ein weiterer Grund verschärfend<br />

hinzu. Angesichts <strong>der</strong> schlechten Arbeitsmarktchancen<br />

waren viele Gymnasialabsolventen<br />

aus den starken Kohorten <strong>der</strong> Schulabgänger be-<br />

Seite 22<br />

dungsqualität durch das duale Berufsbildungssystem<br />

in Deutschland als zuverlässig eingeschätzt. Auf<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wird aber auch <strong>von</strong> den Betrieben<br />

eine bessere Durchlässigkeit <strong>der</strong> Bildungssysteme<br />

angemahnt. Ein Weg wird beispielsweise in <strong>der</strong><br />

Umschulung angelernter, erfahrener Mitarbeiter zur<br />

IHK-Fachkraft gesehen. Auch modulare Ausbildungen<br />

werden angestrebt und mit den Kammern diskutiert.<br />

Allerdings darf durch solche Verän<strong>der</strong>ungen<br />

nicht die Attraktivität und Zuverlässigkeit <strong>der</strong> dualen<br />

Berufsausbildung gefährdet werden.<br />

4.1.3 Qualifi zierung im Fach- und Hochschulbereich<br />

strebt, rasch erwerbstätig zu werden. Sie bewarben<br />

sich zu Lasten Gleichaltriger mit niedrigerem Schulabschluss<br />

um einen <strong>der</strong> immer knapper werdenden<br />

betrieblichen Ausbildungsplätze. (Steiner 2007) So<br />

stieg die Zahl <strong>der</strong> Lehrstellenbewerber weiter an,<br />

während die Studierquote deutlich unter den westdeutschen<br />

Werten blieb (die vielfach den Ausbauplänen<br />

<strong>der</strong> Hochschulen zugrunde gelegt wurden).<br />

(Lutz 2008a)<br />

Von den Interviewpartnern wurde die befürchtete<br />

Fachkräftelücke gerade im Hochschulbereich mehrfach<br />

angemahnt. „Ich denke, dass es in dem ganzen<br />

Bereich <strong>der</strong> Studienabgänger – also Ingenieure und<br />

Techniker – ein starkes Problem geben wird. Das ist<br />

nicht so sehr in den Ballungsgebieten das Problem,<br />

da gibt es an<strong>der</strong>e Probleme. Das ist eher in den sehr<br />

stark ländlichen Strukturen ein Problem. Da muss<br />

man schon Anreize bieten. Das hat zum einen etwas<br />

mit <strong>der</strong> ländlichen Struktur, aber auch zum an<strong>der</strong>en<br />

mit <strong>der</strong> Bezahlung zu tun.“ [INT2]<br />

Neben <strong>der</strong> Berufsausbildung (87 Prozent) nutzen<br />

die Chemieunternehmen in Sachsen-Anhalt auch<br />

viele an<strong>der</strong>e Möglichkeiten zur Rekrutierung neuer<br />

Fachkräfte: Am häufi gsten wurde bei den zusätzlichen<br />

Wegen die Kontaktaufnahme und Bindung <strong>von</strong><br />

Studenten genannt (66 Prozent). Das kann durch<br />

die „Anbindung während <strong>der</strong> Studienzeit beispiels-


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

weise in Form <strong>von</strong> Praktika und Diplomarbeiten o<strong>der</strong><br />

auch durch kooperative Ausbildungsgänge, also die<br />

Kombination <strong>von</strong> Ausbildung und Studium geschehen.“<br />

[INT2] Neben „Praktika, Diplom-Arbeiten und<br />

Bachelor-Arbeiten müssen sich die Firmen an den<br />

Hochschulen auch selbst präsentieren, nicht nur<br />

durch die Vergabe <strong>von</strong> Arbeiten, son<strong>der</strong>n durch ihr<br />

Profi l und ihre Leistungspalette, die sie anbieten.<br />

Dadurch können sie sich dann auch besser positionieren.“<br />

[INT3] Solche Möglichkeiten können zum<br />

Beispiel bei den Kontaktbörsen <strong>der</strong> Hochschuleinrichtungen<br />

genutzt werden.<br />

Ergänzend wurde in <strong>der</strong> Befragung <strong>von</strong> Chemieunternehmen<br />

in Sachsen-Anhalt danach gefragt, ob<br />

die Betriebe eher passgenaue Fachkräfte (62 Prozent)<br />

einstellen o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Einstellung <strong>der</strong> Fachkräfte<br />

Qualifi zierungsanpassungen vornehmen (64<br />

Prozent). Zu sehen ist, dass jeweils zwei Drittel <strong>der</strong><br />

Unternehmen diese Wege nutzen. Außerdem wird<br />

<strong>von</strong> den Unternehmen häufi g auch überregional<br />

nach Fachkräften gesucht (62 Prozent).<br />

Wichtig sind für die Unternehmen nicht nur die formalen<br />

Abschlüsse, son<strong>der</strong>n auch die vermittelten<br />

Ausbildungsinhalte. Hier muss mehr Transparenz<br />

darüber bestehen, welche Kompetenzen bei Bewer-<br />

Ein Problem <strong>der</strong> Fachkräftesicherung liegt in zunehmend<br />

unausgeglichenen Altersstrukturen <strong>der</strong> Belegschaften<br />

und dem weitgehenden Fehlen <strong>von</strong> vorausschauen<strong>der</strong><br />

Personalpolitik beson<strong>der</strong>s in kleinen<br />

und mittelgroßen Firmen, die die Unternehmenslandschaft<br />

in Ostdeutschland bestimmen. „So haben<br />

die Unternehmen einen Großteil des <strong>von</strong> ihnen aktuell<br />

beklagten Fachkräftemangels bedingt durch wenig<br />

eigenständige ‚Nachwuchspfl ege’, unzureichende<br />

Ausbildungs- und Weiterbildungsanstrengungen,<br />

Freisetzung <strong>von</strong> qualifi zierten, vielfach älteren Kräften,<br />

in wirtschaftlich ungünstigen Phasen etc. selbst<br />

zu verantworten16 .“ (vgl. Gehrke u. a. 2008)<br />

4.1.4 Zunehmende Weiterbildungsaktivitäten<br />

bern mit bestimmten Abschlüssen zu erwarten sind.<br />

Das gilt ganz beson<strong>der</strong>s für die langsam zunehmende<br />

Zahl <strong>von</strong> Bewerbern mit Bachelor-Abschluss. Viele<br />

Unternehmen können damit noch nicht viel anfangen,<br />

durchschauen zudem das System nicht. Es gibt<br />

z.B. dreijährige und vierjährige Bachelorstudiengänge.<br />

Vielfach ist für die Unternehmen unklar, welche<br />

Funktionen diese Absolventen im Arbeitsprozess<br />

übernehmen können und wie sie zu entlohnen sind.<br />

Es gibt aber auch Betriebe, die bereits stark auf die<br />

neuen Bildungsabschlüsse setzen und weitere Qualifi<br />

kationsmodelle in Angriff nehmen. „Das ist meiner<br />

Ansicht nach die ideale Kombination. Da haben wir<br />

jetzt mit <strong>der</strong> Fachhochschule Merseburg einen Versuchsballon<br />

laufen, bei dem das Bachelor-Studium<br />

in die Berufsausbildung integriert ist. Da haben wir<br />

einen Elektroniker für Betriebstechnik, das sind vier<br />

Jahre Bachelor-Studium und da<strong>von</strong> ein Jahr Berufsausbildung.<br />

Die ersten zwei Jahre macht er ein<br />

BA-Studium, das dritte Jahr macht er Berufsausbildung<br />

und das vierte Jahr macht er dann wie<strong>der</strong> das<br />

BA-Studium. Der Vorteil ist, dass er praxisorientierter<br />

eingesetzt werden kann, er hat dann mehr Detailwissen<br />

und beherrscht wesentlich mehr auf <strong>der</strong><br />

Strecke Energietechnik, als die Bachelor ohnehin<br />

schon beherrschen.“ [INT 3]<br />

Wie wichtig Weiterbildung ist, wird beispielsweise im<br />

IT-Bereich sehr deutlich, weil das Wis-sen dort beson<strong>der</strong>s<br />

schnell veraltet. Die Unternehmen schätzen<br />

ein, dass <strong>der</strong> gestiegene Anspruch an Weiterbildung<br />

die meisten Tätigkeiten und Mitarbeitergruppen betrifft.<br />

Allerdings fehlt es in den meisten Unternehmen<br />

an einer systematischen Weiterbildung im Anschluss<br />

an die Berufsausbildung.<br />

Die Weiterbildung, als ein Weg zur Fachkräftesicherung,<br />

wird bei den befragten Chemieunternehmen,<br />

noch vor <strong>der</strong> Ausbildung mit 87 Prozent, in neun <strong>von</strong><br />

zehn Fällen (89 Prozent) genannt. Hier zeigt sich<br />

bereits ein hohes Bewusstsein zu diesem Thema.<br />

16 So investieren die Betriebe nach einer aktuellen VDI-Studie viel zu wenig in die Weiterbildung ihrer eigenen Belegschaften bzw.<br />

setzen dabei die falschen Schwerpunkte. Vgl. dazu Wirtschaftswoche Nr. 51/2007, S. 100–103: Die Mär vom Mangel.<br />

Seite 23


Allerdings sagt diese Bekundung <strong>der</strong> Unternehmen<br />

noch nichts über die Form und Qualität <strong>der</strong> Weiterbildung<br />

aus, weil „… es bei <strong>der</strong> Weiterbildung erst<br />

ganz langsam zum Wandel in den Betrieben kommt.<br />

Nicht nur immer speziell auf den einzelnen Arbeitsplatz<br />

abgestellt weiterzubilden, also learning by doing,<br />

son<strong>der</strong>n darüber hinaus sich mal so einen Pool<br />

<strong>von</strong> Menschen zu schaffen, die nicht alle hinterher<br />

Führungskraft werden, die aber zumindest bereitstehen<br />

und bestimmte Qualifi kationen haben. Es<br />

gibt einige Großbetriebe, die haben solche Weiterbildungsprogramme.“<br />

[INT2] Für tarifgebundene Unternehmen<br />

ist „Weiterbildung und Personalplanung<br />

mitbestimmungspfl ichtig. Wir haben eine Betriebsvereinbarung,<br />

die Qualifi zierung und Weiterbildung<br />

heißt.“ [INT4] Bei den vielen nicht tarifgebundenen<br />

Unternehmen sieht die Situation deutlich schwieriger<br />

aus.<br />

Die in Deutschland im internationalen Vergleich eher<br />

schwach ausgeprägte Weiterbildungsbeteiligung gilt<br />

nicht nur auf Seiten <strong>der</strong> Unternehmen, speziell bei<br />

KMU17 . Auch die individuelle Weiterbildungsbereitschaft<br />

<strong>der</strong> Beschäftigten ist tendenziell niedriger als<br />

in vielen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Beson<strong>der</strong>s auffällige Abweichungen<br />

ergeben sich bei gering Qualifi zierten<br />

und älteren Beschäftigten18 .<br />

Das Engagement zur Weiterbildung bei den gering<br />

qualifi zierten Mitarbeitern im gewerblichen Bereich<br />

wird <strong>von</strong> den Unternehmen als beson<strong>der</strong>s schwierig<br />

eingeschätzt. Das hängt zum einen mit <strong>der</strong> Motivation<br />

<strong>der</strong> Beschäftigten zusammen, ist aber zum an<strong>der</strong>en<br />

auch auf fehlende Angebote <strong>der</strong> Betriebe zurückzu<strong>führen</strong>.<br />

Viele Unternehmen praktizieren ihre<br />

Seite 24<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Weiterbildung aus Kostengründen ausschließlich als<br />

„training-on-the-job“, um damit eine höhere Produktivität<br />

am gegenwärtigen Arbeitsplatz zu erzielen,<br />

ohne deutlich höhere Kosten einsetzen zu müssen.<br />

Die Diskussion um ein zu geringes Engagement in<br />

<strong>der</strong> Weiterbildung vor allem in kleineren und mittleren<br />

Unternehmen geht aber auch einher mit <strong>der</strong><br />

Diskussion um den Wandel <strong>von</strong> Lernformen. Neben<br />

den herkömmlichen Formen formalen Lernens o<strong>der</strong><br />

formaler Weiterbildung treten zunehmend „innovative“<br />

o<strong>der</strong> „neue“ Lernformen, wie arbeitsprozessnahes<br />

aber auch selbstgesteuertes Lernen, in den Fokus.<br />

Untersuchungen19 zu diesem Thema verweisen<br />

auf die wachsende Bedeutung dieser Lernformen<br />

gerade für kleinere und mittlere Unternehmen. Die<br />

lernför<strong>der</strong>liche Gestaltung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen – gerade<br />

für Mitarbeiter geringerer Qualifi kation – kann<br />

Lernhemmnisse durch entsprechend ausgerichtete<br />

Angebote überwinden helfen. Exemplarisch sei hier<br />

auf die Dauer <strong>von</strong> Schulungen verwiesen: kürzere<br />

Einheiten mit vielen Wie<strong>der</strong>holungen entsprechen<br />

dem Lernstil <strong>von</strong> Mitarbeitern niedrigerer Qualifi kation<br />

eher als Tagesseminare mit voll gepacktem Programm.<br />

(Winge/ Wiener 2008)<br />

Mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach zunehmen<strong>der</strong> Sicherung<br />

<strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit Älterer muss auch die<br />

Lernkultur für Ältere verbessert werden. 20 Man muss<br />

wissen, dass ältere Menschen an<strong>der</strong>s lernen, und<br />

dass sie an<strong>der</strong>e Motivationen zum Lernen bewegen.<br />

In dem BIBB-Forschungsprojekt „Weiterbildungskonzepte<br />

für das spätere Erwerbsleben (WeisE)“ wurden<br />

Personalverantwortliche in Unternehmen nach<br />

Weiterbildungsangeboten für ältere Beschäftigte befragt.<br />

Es zeigte sich, dass spezielle Weiterbildungs-<br />

17 In <strong>der</strong> NIW-Studie 2008 steht: Deutschland belegt nach den Ergebnissen <strong>der</strong> dritten europäischen Erhebung zur betrieblichen<br />

Weiterbildung (CVTS 3) im Jahr 2005 unverän<strong>der</strong>t (zur Vorgängeruntersuchung aus 1999) nur im Mittelfeld. Bei wichtigen Kennziffern<br />

zur betrieblichen Weiterbildung sind zudem sogar Rückgänge zu verzeichnen gewesen. So nahmen <strong>der</strong> Anteil weiterbilden<strong>der</strong><br />

Unternehmen und <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Unternehmen, die Weiterbildung in Form <strong>von</strong> Kursen und Seminaren anbieten, ab. Zudem hat sich<br />

<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Beschäftigten, die in Maßnahmen eingebunden sind, leicht rückläufi g entwickelt, während die direkten fi nanziellen<br />

Aufwendungen <strong>der</strong> Unternehmen für Weiterbildung (nominal) sogar um fast ein Viertel geschrumpft sind – bei unverän<strong>der</strong>ter Zahl<br />

<strong>der</strong> durchschnittlichen Weiterbildungsstunden je Beschäftigten (vgl. Behringer/Moraal/Schönfeld 2008). Während nach dieser Untersuchung<br />

lediglich 44 Prozent <strong>der</strong> Kleinunternehmen mit 10 bis 19 Beschäftigten Kurse anbieten, ist dies bei Großunternehmen mit<br />

mehr als 1000 Beschäftigten nahezu die Regel. Im internationalen Vergleich fällt damit das Weiterbildungsengagement <strong>von</strong> kleineren<br />

Unternehmen in Deutschland beson<strong>der</strong>s schwach aus (vgl. dazu auch Haak 2003).<br />

18 International vergleichende Analysen fi nden sich bei Behringer/Moraal/Schönfeld (2008), Schmidt (2007), OECD (2005) und in <strong>der</strong><br />

Zusammenschau bei Gehrke/Schasse (2006).<br />

19 Siehe auch Kailer, N. (Hrsg.) 2001: Betriebliche Kompetenzentwicklung. Wien: Linde o<strong>der</strong> Kriegesmann, B.; Lamping, S.; Schwering,<br />

M. 2002: Kompetenzentwicklung und Entwicklungsdynamik in KMU und Großunternehmen. Berichte aus <strong>der</strong> angewandten<br />

Innovationsforschung. Nr. 202, Institut für Angewandte Innovationsforschung Bochum.<br />

20 Aktuelle Auswertungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB 2008) belegen für Deutschland im Vergleich zu 26 europäischen<br />

Län<strong>der</strong>n eine unterdurchschnittliche Teilnahmequote älterer Beschäftigter.


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

angebote für Ältere bei Seminaren o<strong>der</strong> Workshops<br />

zu Themen wie Altersteilzeit o<strong>der</strong> Vorruhestand bei<br />

generationsspezifi schen Nachholbedarfen, wie z.B.<br />

bei den IuK-Technologien, Sinn machen. Sehr viel<br />

wichtiger als speziell didaktisch gestaltete Bildungsangebote<br />

für Ältere wurden aber kontinuierliche<br />

Weiterbildungen über den gesamten Berufsverlauf<br />

eingeschätzt. Außerdem sollten die Mitarbeiter spüren,<br />

dass ihr Expertenwissen und ihre Erfahrungen<br />

gefragt sind. (BIBB 2008)<br />

Der <strong>von</strong> <strong>der</strong> BAVC und IG BCE neuartige „Tarifvertrag<br />

Lebensarbeitszeit und Demografi e“, <strong>der</strong> 2008<br />

geschlossen wurde, berücksichtigt erste Aufgaben<br />

zum demographischen Wandel und greift damit die<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> alternden Gesellschaft auf.<br />

So sollen Anreize für eine längere Beschäftigung,<br />

beispielsweise durch Maßnahmen zur alters- und<br />

gesundheitsgerechten Gestaltung des Arbeitsprozesses<br />

mit dem Ziel <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Beschäftigungs-<br />

und Leistungsfähigkeit sowie durch Maßnahmen<br />

zur Qualifi zierung während des gesamten<br />

Erwerbslebens, gesetzt werden. (vgl. BAVC 2008)<br />

Wenn die zur Verfügung stehenden Fachkräfte für<br />

die Unternehmen nicht mehr ausreichen, müssen<br />

die Personalverantwortlichen Zielgruppen berücksichtigen,<br />

die bisher viel weniger im Mittelpunkt ihrer<br />

Rekrutierungsstrategien stehen. Hier lassen sich für<br />

die Zukunft eine Menge Potentiale ausschöpfen. Allerdings<br />

werden damit die Investitionen für gut ausgebildete<br />

und qualifi zierte Fachkräfte zeitlich und<br />

fi nanziell eher steigen.<br />

Auf vier Gruppen, jüngere und ältere Arbeitnehmer/<br />

innen, Frauen und ausländische Fachkräfte, soll im<br />

Weiteren ausführlicher eingegangen werden.<br />

Für die ersten beiden Gruppen <strong>von</strong> Beschäftigten,<br />

die unterschiedlichen Altersgruppen angehören, wird<br />

ein interessantes Ergebnis aus <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />

in Chemiebetrieben Sachsen-Anhalts<br />

4.2 Zielgruppenarbeit<br />

Ein weiterer Grund für die fehlende Motivation zur<br />

Weiterbildung bei den Beschäftigten kann in <strong>der</strong><br />

ungenügenden Anerkennung ihres Engagements<br />

liegen. „Wenn ich jetzt die Weiterbildung innerhalb<br />

des Unternehmens sehe: Viele Leute sind fl exibel<br />

ausgebildet, kriegen aber immer noch den gleichen<br />

Lohn, wie einer <strong>der</strong> hier nur Stapler fährt. Da sehen<br />

wir ein Riesenproblem auf das Unternehmen zukommen,<br />

weil auch die Motivation <strong>der</strong> Leute wichtig<br />

ist.“ [INT5]<br />

Unternehmen begründen geringe Weiterbildungsaktivitäten<br />

häufi g mit fehlendem Geld und zu geringen<br />

Zeitressourcen. Vielfach verbreitet ist auch die<br />

Meinung, erfolgreiche Unternehmen bräuchten keine<br />

Weiterbildung, Es sei abschließend zu diesem<br />

Thema angemerkt, dass in aktuellen Studien des<br />

zsh nachgewiesen wird, dass weiterbildungsaktive<br />

Unternehmen erfolgreicher sind als an<strong>der</strong>e. Diese<br />

Erfahrungen sollten unbedingt an die Unternehmen<br />

herangetragen werden. (Winge/Wiener 2008)<br />

vorangestellt. Dazu sei eingangs darauf hingewiesen,<br />

dass 91 Prozent <strong>der</strong> befragten Unternehmen<br />

<strong>der</strong> Aussage zustimmten, dass <strong>der</strong> demographische<br />

Wandel auf die Personalbeschaffung <strong>der</strong> Zukunft<br />

negative Auswirkungen haben werde. Trotz des hohen<br />

Problembewusstseins treten, wie im Folgenden<br />

abgebildet, Wi<strong>der</strong>sprüche im Rekrutierungsverhalten<br />

<strong>der</strong> Betriebe auf.<br />

So betonen zwar drei Viertel <strong>der</strong> Unternehmen (76<br />

Prozent), dass das Alter bei <strong>der</strong> Rekrutierung <strong>von</strong><br />

Arbeitskräften keine Rolle spielen würde, da Berufserfahrung<br />

wichtiger sei. Aber nur 49 Prozent <strong>der</strong><br />

Unternehmen geben an, bewusst auch Ältere einzustellen,<br />

obwohl bei denen eher Berufserfahrung<br />

zu erwarten wäre. Hier offenbaren sich in <strong>der</strong> Praxis<br />

große Potentiale <strong>der</strong> zukünftigen Arbeitskräfterekrutierung.<br />

Seite 25


Seite 26<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Gleichzeitig sagen 87 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen,<br />

beson<strong>der</strong>s darauf zu achten, jüngere Arbeitnehmer<br />

einzustellen. Dies erklärt sich zum Teil aus <strong>der</strong><br />

Abbildung 6: Rekrutierung <strong>von</strong> Jungen und Älteren (Mehrfachnennungen)<br />

Wandel führt in Regionen<br />

zu Problemen bei <strong>der</strong><br />

Personalbeschaffung<br />

Alter spielt keine Rolle,<br />

Berufserfahrung ist wichtig<br />

Achten darauf, auch<br />

Jüngere einzustellen<br />

Stellen bewusst auch<br />

Ältere ein<br />

Quelle: zsh-Unternehmensbefragung für das <strong>QFC</strong> 2008<br />

Zurzeit besteht bereits bei Hochschulabsolventen ein<br />

erster Engpass. „Bei uns ist klar, dass in den nächsten<br />

fünf bis sechs Jahren mindestens 120 Beschäftigte<br />

durch Inanspruchnahme <strong>der</strong> Altersteilzeit ausscheiden<br />

werden. Aber, da sind wir im Prinzip auch schon<br />

gewappnet. Für die zu ersetzenden 120 haben wir<br />

jetzt schon 30, meist in Form <strong>von</strong> Doppelbesetzungen,<br />

an Bord. Das sind in aller Regel Trainees und<br />

Auszubildende o<strong>der</strong> zukünftige Trainees, die bei uns<br />

ein duales Studium absolvieren o<strong>der</strong> auch Werksstudenten.“<br />

[INT3] Es wird zum berufl ichen Einstieg<br />

wichtig sein, dass sie interessante Aufgabenfel<strong>der</strong> in<br />

ihrem zukünftigen Unternehmen erkennen und ein<br />

Gefühl <strong>von</strong> Perspektive und Sicherheit erhalten.<br />

Weiterhin kann sich das Unternehmen durch Berufsausbildung<br />

den eigenen Facharbeiternachwuchs<br />

heranbilden. Auch hier wird es mit abnehmen<strong>der</strong><br />

Bewerberzahl immer wichtiger gegen an<strong>der</strong>e Ausbil-<br />

49%<br />

4.2.1 Integration <strong>von</strong> Jugendlichen<br />

aktuellen Situation vieler überalterter Unternehmen,<br />

die versuchen müssen, eine Verjüngung <strong>der</strong> Belegschaften<br />

zu gewährleisten.<br />

76%<br />

87%<br />

91%<br />

dungsplatzanbieter durch gute Konditionen zu konkurrieren.<br />

Angebote einer längerfristigen Beschäftigungsperspektive<br />

im Anschluss an die Ausbildung<br />

und guter Entwicklungschancen auch über die Ausbildung<br />

hinaus werden hier zum Trumpf <strong>der</strong> Unternehmen.<br />

Wenn die Schulabgänger nicht mehr ausreichend für<br />

die Berufsausbildung zur Verfügung stehen, sollte<br />

nach Wegen gesucht werden, um aus dem Potential<br />

<strong>der</strong> Jugendlichen zu schöpfen, die aufgrund <strong>der</strong><br />

schwierigen Bedingungen <strong>der</strong> letzten zehn Jahre viel<br />

zu wenig Möglichkeiten bekamen, den Einstieg ins<br />

Erwerbsleben zu bewältigen. Diese Jugendlichen haben<br />

in einer Reihe <strong>von</strong> teilweise sehr aufwendigen<br />

För<strong>der</strong>programmen des Bundes, <strong>der</strong> ostdeutschen<br />

Bundeslän<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit<br />

sogenannte Maßnahmekarrieren durchlaufen. Vielfach<br />

wurden durch die Programme lediglich die beim


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Übergang <strong>von</strong> Schule in Erwerbstätigkeit zu überwindenden<br />

Schwierigkeiten <strong>von</strong> <strong>der</strong> „ersten Schwelle“<br />

(zwischen Schule und Ausbildung) an die „zweiten<br />

Schwelle“ (dem Übergang <strong>von</strong> Ausbildung in Erwerbstätigkeit)<br />

verschoben. Insgesamt ist ca. einem<br />

Drittel aller Schulabgänger aus den geburtenstarken<br />

Jahrgängen kein Einstieg in akzeptable Erwerbstätigkeit<br />

gelungen. 21 Selbst <strong>von</strong> den Jugendlichen <strong>der</strong><br />

geburtenstarken Jahrgänge, die einen guten Schulabschluss<br />

und eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />

nachweisen konnten, hatten rund 20 Prozent<br />

nach zwei Jahren noch nie eine sozialversicherungspfl<br />

ichtige Beschäftigung gefunden. 22 Somit ist auch<br />

nicht erstaunlich, dass ein erheblicher Teil <strong>der</strong> ostdeutschen<br />

Jugendlichen nach Beendigung <strong>der</strong> Schule<br />

o<strong>der</strong> nach Abschluss <strong>der</strong> Berufsausbildung in die<br />

alten Bundeslän<strong>der</strong> abwan<strong>der</strong>te. (vgl. Lutz 2008b)<br />

„Die fehlenden Lösungsansätze für innovative und<br />

nachhaltige Maßnahmen für Jugendliche an <strong>der</strong><br />

zweiten Schwelle haben bereits jetzt dazu geführt,<br />

dass viele junge Erwachsene biographische Erfahrungen<br />

sammeln mussten, die ihre grundsätzliche<br />

Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Integration in<br />

die Gesellschaft stark min<strong>der</strong>n. […] Die Gesellschaft<br />

muss unbedingt reagieren und sich stärker den<br />

Wenn es in den ostdeutschen Unternehmen nicht<br />

mehr nur um Arbeitsplatzabbau geht, sollten die Betriebe<br />

neben den jungen Fachkräften auch wie<strong>der</strong><br />

die älteren in ihr Blickfeld nehmen. Die überall zu beobachtende<br />

Skepsis gegenüber älteren Bewerber/<br />

innen ist gerade in den teilweise extrem überalterten<br />

ostdeutschen Unternehmen nicht zu verstehen, die<br />

ja zu einem immensen Teil durch diese Altersgruppe<br />

gestützt werden.<br />

4.2.2 Erfahrung bei den älteren Beschäftigten<br />

Problemen <strong>der</strong> Jugendarbeitslosigkeit, insbeson<strong>der</strong>e<br />

an <strong>der</strong> zweiten Schwelle, widmen, wenn sie nicht in<br />

kurzer Zeit mit den negativen Spätfolgen ihrer bisher<br />

zu wenig erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik für diese<br />

junge Generation konfrontiert werden will.“ (Wiener,<br />

Meier 2006)<br />

Wenn man diese Jugendlichen für den Arbeitsmarkt<br />

(zurück)gewinnen will, muss relativ viel Kraft und Zeit<br />

investiert werden. Viele dieser Jugendlichen sind<br />

gar nicht mehr in <strong>der</strong> Lage o<strong>der</strong> waren noch nie in<br />

<strong>der</strong> Lage, einfachste gesellschaftliche Regeln und<br />

soziale Tugenden (wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit,<br />

Verantwortung übernehmen) zu leben. Die Aufbauarbeit<br />

für diese Jugendlichen, die für eine Beschäftigung<br />

fi tt gemacht werden sollen, kann nicht <strong>von</strong><br />

den Unternehmen geleistet werden. Sie sollte aber<br />

<strong>von</strong> Anbeginn mit ihnen zusammen und mit massiver<br />

Unterstützung <strong>der</strong> Arbeitsagenturen vorgenommen<br />

werden. Hier haben alle bisherigen „Gewinner“<br />

<strong>der</strong> Gesellschaft ein Stück Verantwortung zu tragen,<br />

wenn nicht auf Dauer eine sehr große Gruppe <strong>von</strong><br />

Menschen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft ausgeschlossen<br />

bleiben soll und diese für alle Zeiten mit Subventionsleistungen<br />

belastet. 23<br />

Hörwick und Ben<strong>der</strong> (2006) schreiben: „Paradoxerweise<br />

haben sich viele Betriebe im Zuge <strong>der</strong> Rationalisierungswellen<br />

<strong>der</strong> letzten Jahre gerade dieser<br />

älteren Mitarbeiter in großer Zahl entledigt, die über<br />

diese aktuell so gefragten Kompetenzen in hohem<br />

Maße verfügen. ‚Nirgendwo in Europa verzichten die<br />

Firmen so rigoros auf das Potenzial älterer Arbeitnehmer<br />

wie in Deutschland. Nirgendwo an<strong>der</strong>s haben<br />

40-, 50- o<strong>der</strong> 60-Jährige so schlechte Chancen<br />

einen Job zu fi nden. Sechs <strong>von</strong> zehn Unternehmen<br />

in Deutschland beschäftigen gar keine Menschen<br />

mehr, die älter als fünfzig sind’ (Zons 2006, 3).“<br />

21 Vgl. am Beispiel eines Bundeslandes: Ketzmerick, Meier, Wiener (2007)<br />

22 Vgl. Prein (2005)<br />

23 Die mangelhafte Integration junger Menschen in die Arbeitswelt verursacht ganz erhebliche gesellschaftliche Folgekosten. Durch<br />

grundlegende bildungspolitische Weichenstellungen könnten für die Jahre 2007 bis 2015 insgesamt 13,4 Milliarden Euro an direkten<br />

und 15,9 Milliarden Euro an indirekten Kosten bei <strong>der</strong> Integration <strong>von</strong> Jugendlichen in Ausbildung und Beschäftigung eingespart<br />

werden. Hinzu kämen Wertschöpfungspotenziale durch den nachträglichen Erwerb <strong>von</strong> Berufsabschlüssen <strong>von</strong> gering qualifi zierten<br />

Arbeitnehmern in Höhe <strong>von</strong> 21,5 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die im Auftrag <strong>der</strong> Bertelsmann<br />

Stiftung vom Institut <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft Köln erstellt wurde. (Bertelsmann Stiftung 2008)<br />

Seite 27


Die Regel <strong>der</strong> Personalverantwortlichen <strong>der</strong> meisten<br />

ostdeutschen Unternehmen war in den letzten<br />

Jahren: Was ich habe, kenne ich; was ich bekomme,<br />

weiß ich nicht. Das heißt, Personalverantwortliche<br />

sind häufi g rekrutierungsentwöhnt und nur <strong>von</strong><br />

Personalabbauerfahrungen geprägt. „Sehen Sie, es<br />

ist schwer das Ru<strong>der</strong> umzulegen, wenn sie jahrelang<br />

Leute entlassen haben und entlassen mussten.<br />

[…] Die Vorstellung, den Fachkräften nachlaufen zu<br />

müssen und für Azubis in den Schulen aktiv zu werden,<br />

Werbung, Marketing für den eigenen Betrieb,<br />

Employer Branding zu betreiben, ist manch einem<br />

Personalverantwortlichen fremd.“ [INT1] Wenn dieser<br />

nun in die Lage versetzt wird, neue Fachkräfte<br />

einzustellen, ist ein Anspruch, möglichst gut durchmischte<br />

Altersstrukturen aufzubauen. Und dazu<br />

gehören auch die älteren Mitarbeiter, die mit ihrer<br />

Lebens- und Berufserfahrung ein großes produktives<br />

Potential einbringen können.<br />

Um die Beschäftigungsfähigkeit <strong>der</strong> Mitarbeiter, gerade<br />

auch im Interesse eines erhöhten Renteneintritts,<br />

lebenslang zu sichern, spielt das Gesundheitsmanagement<br />

eine immer stärkere Rolle, <strong>der</strong> sich<br />

jedes Unternehmen stellen kann und sollte. Nicht<br />

alle Maßnahmen können, wie das nachfolgende<br />

Beispiel, so aufwendig gestaltet werden. „Für Feuerwehrmänner<br />

haben wir ein komplettes Trainingsprogramm<br />

unter ärztlicher, professioneller Überwachung,<br />

weil das ja absolut entscheidend ist für die<br />

Ausübung des Berufes im Brandschutz. Das ist G<br />

26-3 <strong>der</strong> berufsgenossenschaftlichen Vorgabe. Dort<br />

machen wir ein Fitnessprogramm unter Anleitung,<br />

so dass die Gesun<strong>der</strong>haltung das Arbeiten so lange<br />

wie möglich gewährt. Das ist unser wichtigstes Projekt<br />

in dieser Form.“ [INT4]<br />

Der betriebliche Aufwand für Aktivitäten zur Gesun<strong>der</strong>haltung<br />

<strong>der</strong> Mitarbeiter/innen ist ganz unterschiedlich.<br />

An dieser Stelle sollen mögliche Maßnahmen<br />

vorgestellt werden. Organisiert werden<br />

können diese Angebote beispielsweise über eine<br />

Servicestelle, wie es sie am Chemiestandort Leuna<br />

bereits gibt:<br />

Seite 28<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

• Gesundheitsvorsorge, Prophylaxe<br />

o Physiotherapie: bspw. Rückenmassage am<br />

Arbeitsplatz mit o<strong>der</strong> ohne Kostenübernahme<br />

während <strong>der</strong> Arbeitszeit o<strong>der</strong><br />

o ergonomisch geformten Stühle, strahlungsarme<br />

Bildschirme<br />

o Getränkeversorgung und gesunde Kost in<br />

<strong>der</strong> Kantine<br />

o Unternehmenssport, an dem Mitarbeiter<br />

freiwillig und kostenlos teilnehmen können.<br />

Sie treffen sich zu Fußball, Volleyball, Badminton,<br />

Nordic Walking, Wirbelsäulengymnastik,<br />

Schwimmen, Wan<strong>der</strong>n u. a.<br />

o Fitnesscenter<br />

• (Betriebs-)ärztliche Untersuchungen<br />

o Untersuchungen nach berufsgenossenschaftlichen<br />

Vorgaben<br />

o erweiterte Untersuchungen wie Langzeit-<br />

EKG o<strong>der</strong> komplettes Check-Up<br />

In einigen Beispielen gibt es für diese Maßnahmen<br />

in <strong>der</strong> Betriebsvereinbarung ein Gesundheitsvorsorgeprogramm.<br />

Gerade in <strong>der</strong> Produktion ist es für viele Tätigkeiten<br />

trotz aller Gesundheitsvorsorge schwer vorstellbar,<br />

die Mitarbeiter/innen bis zum Renteneintritt dort zu<br />

beschäftigen. „Es fehlen Ausweicharbeitsplätze […]<br />

Sie arbeiten sieben Tage am Stück. Die Arbeiten<br />

draußen sind nicht ganz so einfach und wenn man älter<br />

wird, fällt einem das immer schwerer. Ich habe bei<br />

mir zum Beispiel einen Arbeitskollegen, <strong>der</strong> wird 60.<br />

Ich weiß nicht, wie die sich das in <strong>der</strong> Politik so vorstellen,<br />

dass die Leute in solchen Produktionsberufen<br />

dann bis 67 arbeiten gehen sollen. […] Solche Leute,<br />

gerade in <strong>der</strong> Produktion, sind meistens in <strong>der</strong> Lehre<br />

und beginnen dann gleich zu arbeiten. Die kommen<br />

auf über 40, auf 45 Arbeitsjahre. Ich denke mal, das<br />

ist <strong>von</strong> <strong>der</strong> Sache her genügend. Jemand <strong>der</strong> studiert<br />

und dann erst mit über 30 ins Arbeitsleben eintritt, das<br />

ist wie<strong>der</strong> was an<strong>der</strong>es. Die haben auch meistens die<br />

Ambition über 67 hinaus noch zu arbeiten.“ [INT5]


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Vor allem in <strong>der</strong> Schichtarbeit wird beklagt, dass dies<br />

sehr auf Kosten <strong>der</strong> Gesundheit geht und beson<strong>der</strong>s<br />

für ältere Mitarbeiter Belastungen mit sich bringt. So<br />

wünschen sich die Beschäftigten, dass für chronisch<br />

Kranke durch gesetzliche Regelung Erleichterungen<br />

im Arbeitsprozess geschaffen werden (z. B. durch<br />

Reduzierung <strong>der</strong> Wochenarbeitszeit o<strong>der</strong> Unterstützung<br />

bei dem Übergang in Altersteilzeit) 24 .<br />

„Wir haben ja bei uns in den Betrieben ganz viele<br />

Schichtarbeiter, Vollschichtarbeiter, das schaffst du<br />

nicht bis 67. Das heißt, da muss man auch intelligente<br />

Lösungen zum Ende des Arbeitslebens hin fi nden,<br />

eine Humanisierung auch deutlicher für diese<br />

hinbekommen. […] Dazu zählt natürlich auch unser<br />

Tarifvertrag, aber da muss es mehr geben.“ [INT2]<br />

Buck schreibt bereits 2001, dass die Unternehmen<br />

vor <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung stehen, ausgewogene Altersstrukturen<br />

zu schaffen und ihre Rekrutierungsstrategien,<br />

die ausschließlich auf den angeblich<br />

leistungsfähigeren und innovativeren jüngeren Mitarbeiter<br />

setzen, spätestens dann zu überdenken,<br />

wenn nicht mehr genügend jüngere Mitarbeiter zur<br />

Verfügung stehen. Einige Unternehmen reagieren<br />

Die Frauenquote in <strong>der</strong> Chemie ist relativ gering,<br />

vor allem bei den Un- und Angelernten, aber auch<br />

bei den Hochqualifi zierten. Dabei gibt es allerdings<br />

4.2.3 Frauen in <strong>der</strong> Chemie<br />

Tabelle 3: Frauenquote in <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Qualifi kationsgruppen<br />

(Angaben in Prozent)<br />

bereits mit einer „demografi efesten Personalpolitik“.<br />

„Indem wir jetzt z. B. durch Umqualifi zierung an<strong>der</strong>e<br />

Arbeitsplätze für solche Kollegen schaffen, die in<br />

ihrem Berufsbild nicht mehr tätig sein können, aufgrund<br />

gesundheitlicher Einschränkungen […] Ein<br />

Feuerwehrmann kann zum Beispiel zum Werkschutz<br />

gehen und Tordienst machen“ [INT4]<br />

Das heißt, die Unternehmen müssen eine alternsgerechte<br />

Arbeits- und Personalpolitik entwickeln.<br />

Dazu sollten zugunsten ausgewogener Altersstrukturen<br />

drastische Rekrutierungs- und Berentungswellen<br />

vermieden werden. Ungerechtfertigte Vorurteile<br />

über die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter müssen<br />

abgebaut werden. Außerdem sollten einseitige<br />

Spezialisierungen <strong>von</strong> Mitarbeitern, welche in<br />

berufl iche Sackgassen <strong>führen</strong> vermieden werden,<br />

vielmehr geht es um die Aktivierung und För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Kompetenzen aller Beschäftigten. Der Transfer<br />

<strong>von</strong> Erfahrungswissen zwischen den betrieblichen<br />

Altersgruppen muss geför<strong>der</strong>t werden und eine alternsgerechte<br />

Arbeitsgestaltung und betrieblichen<br />

Gesundheitsför<strong>der</strong>ung, bereits bei den jungen Mitarbeitern<br />

beginnend, wird zunehmend wichtiger.<br />

(Buck 2001)<br />

deutliche Unterschiede zwischen Ost und Westdeutschland.<br />

Qualifikation und Stellung im Betrieb Alte Län<strong>der</strong> Neue Län<strong>der</strong><br />

Hochqualifizierte und Führungskräfte 22 40<br />

Facharbeiter und Fachangestellte 36 45<br />

Un- und Angelernte 23 40<br />

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />

24 Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung am Standort Bitterfeld-Wolfen für das <strong>QFC</strong><br />

Seite 29


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Umso erstaunlicher waren die Ergebnisse <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />

2008. Darin wurde neben<br />

dem Rekrutierungsverhalten <strong>der</strong> Betriebe nach unterschiedlichen<br />

Altersgruppen geson<strong>der</strong>t auch nach<br />

<strong>der</strong> Rekrutierung weiblicher Fachkräfte gefragt.<br />

Abbildung 7: Noch keine Zunahme bei Rekrutierung <strong>von</strong> Frauen<br />

Wandel führt in Regionen<br />

zu Problemen bei <strong>der</strong><br />

Personalbeschaffung<br />

Wir stellen zunehmend<br />

Frauen in unser<br />

Unternehmen ein, ...<br />

um berufliche Chancen <strong>der</strong><br />

Frauen zu erhöhen<br />

weil Frauen bessere<br />

soziale Kompetenzen<br />

haben<br />

weil immer mehr männliche<br />

Fachkräfte fehlen<br />

10%<br />

12%<br />

11%<br />

Quelle: zsh-Unternehmensbefragung für das <strong>QFC</strong> 2008<br />

In den befragten Unternehmen an den Chemiestandorten<br />

in Sachsen-Anhalt werden Frauen bisher kaum<br />

als zusätzliche Zielgruppe gesehen. Zur Erinnerung<br />

sei noch mal gesagt, dass die meisten Unternehmen<br />

(91 Prozent) Probleme bei <strong>der</strong> Personalbeschaffung<br />

erwarten. Trotzdem bejahten die nachfolgenden Argumente,<br />

verstärkt Frauen einzustellen, nur jeweils<br />

zehn bis zwölf Prozent <strong>der</strong> Unternehmen. Bei den<br />

benannten Gründen – die berufl ichen Chancen <strong>der</strong><br />

Frauen zu erhöhen, ihre sozialen Kompetenzen zu<br />

nutzen, o<strong>der</strong> sie wegen fehlen<strong>der</strong> männlicher Fachkräfte<br />

einzusetzen – sind keine nennenswerte Unterschiede<br />

zu erkennen.<br />

Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist das<br />

Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern sehr<br />

geschrumpft und <strong>der</strong> Anteil junger Mädchen, die sich<br />

für Berufe in diesen Fächern interessieren, enorm<br />

gering. „Das ist nach wie vor das Thema, dass sich<br />

Seite 30<br />

Diese Zielgruppe rückte kaum in das Blickfeld <strong>der</strong><br />

Chemieunternehmen. Hier offenbaren sich sicherlich<br />

noch viele ungenutzte Potentiale für die Zukunft.<br />

(Abb. 7)<br />

91%<br />

die Mädchen für Chemie-Berufe wenig interessieren<br />

– mit Ausnahme Laborant –, für die technischen Berufe<br />

gleich gar nicht. Das ist eigentlich unser leidiges<br />

Problem. Wir sind sehr offen für Mädchen, sowohl in<br />

technischen Berufen, wie auch im Chemikanten-Bereich.<br />

Aber, wie gesagt, das Interesse <strong>der</strong> Mädchen<br />

geht nach wie vor in an<strong>der</strong>e Bereiche: Florist, Friseuse,<br />

Kosmetikerin und was nicht alles.“ [INT3]<br />

Zum an<strong>der</strong>en werden einige Tätigkeiten <strong>von</strong> den Interviewpartner/innen<br />

wegen ihrer körperlichen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

und Gefährdungspotentiale für Frauen<br />

gar nicht als Arbeitsbereich erwogen. „Wir hatten<br />

mal ganz am Anfang in <strong>der</strong> Produktion einen Versuch<br />

gestartet. Da waren dann Frauen in <strong>der</strong> Produktion<br />

eingestellt, aber dagegen spricht, dass es körperliche<br />

Arbeit ist. [...] Schwer ist es nicht, aber es ist in<br />

<strong>der</strong> Halle sehr warm. Dann haben wir natürlich auch<br />

Abteilungen, da sind Temperaturen <strong>von</strong> 70 Grad.


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

[…] Wo dann im Endeffekt auch körperlich gearbeitet<br />

werden muss und Ausdauer gebraucht wird. Und<br />

man muss sagen, da ist wirklich eine Unterscheidung<br />

zu machen. Damals in dieser Probezeit, in <strong>der</strong> man<br />

versucht hat Frauen einzustellen, das war schwierig.<br />

Also das hat nichts mit frauenfeindlich zu tun. Also<br />

die ganzen Arbeiten sind sehr schwierig für Frauen<br />

zu machen. […] In <strong>der</strong> Regel werden unsere Arbeiten<br />

ja <strong>von</strong> Maschinen, Kränen, Gabelstaplern o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong>gleichen gemacht, aber wie z.B. die Arbeit hinten<br />

im Lager. […] Da haben Männer schon Schwierigkeiten<br />

das Gestänge zu bewegen. Da geht’s nicht<br />

an<strong>der</strong>s als mit <strong>der</strong> Hand. Dann haben wir Spannmaschinen,<br />

gut – wir haben jetzt seit 2 Jahren zwar<br />

umgesattelt auf leichtere, wir haben Spannmaschinen,<br />

die sind auch ziemlich schwer und die müssen<br />

wir auf <strong>der</strong> Leiter in ziemlicher Höhe halten und das<br />

ist auch nicht ganz so einfach. […] Und wenn die mit<br />

Staplern bewegt werden, da müssen sie die Seile<br />

einhängen und <strong>der</strong>gleichen und da muss man schon<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Voraussetzung her ne ziemlich große Frau<br />

haben. Das ist dann immer so: Stapler hoch, runter<br />

und wenn man das in <strong>der</strong> Schicht so 80 Mal macht,<br />

geht das auch ziemlich auf die Knochen. Die Frauen,<br />

die da waren, haben <strong>von</strong> sich aus gesagt: ‚Das ist<br />

nichts für mich’. „[INT5]<br />

„Jedes Unternehmen hat da eine an<strong>der</strong>e Kultur.<br />

Manche Unternehmen sagen, nach Möglichkeit ist<br />

ein Chemikant bei mir männlich. Aber wir haben<br />

hier das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, so<br />

dass man bei den Bewerbungskriterien nicht unterscheiden<br />

darf zwischen männlich und weiblich. Das<br />

sind ja chemische Berufe und da sind bestimmte<br />

Gefährdungspotentiale dabei. Und da muss man<br />

eben auch aufpassen: Ist das jetzt wirklich gut für<br />

eine Frau? Es ist sowieso nicht gut, aber wenn ich<br />

jetzt eben schwere Lasten heben muss o<strong>der</strong> was<br />

bewegen muss, dann komm ich ja auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsstättenverordnung<br />

her und den Sicherheitsbestimmungen<br />

an die Grenzen. Ich darf eben als Frau<br />

nicht mehr als 10, 15 Kilo heben permanent. […]<br />

Manche nehmen eben jetzt lieber Männer und manche<br />

nehmen pari-pari. Weil das ist auch eine Frage,<br />

das Team ist immer am besten besetzt, wenn bei-<br />

de Geschlechter vertreten sind. Weil nur Frauen ist<br />

kompliziert und nur Männer auch, in einer an<strong>der</strong>en<br />

Art.“ [INT4] Es gibt bereits auch Unternehmen, die<br />

umdenken. „Also wir haben jetzt eine Frauenquote<br />

<strong>von</strong> 30 Prozent. […] Wir machen das so: Wenn wir<br />

jetzt Neueinstellungen machen, sowohl im Trainee,<br />

also im künftigen Führungskräftebereich, als auch<br />

im gewerblich-technischen Bereich, versuchen wir<br />

eine gute Mischung hinzubekommen.“ [INT4]<br />

In höheren Funktionen sind Frauen trotz ihrer guten<br />

Qualifi kationen seltener anzutreffen. „Frauen in Führungspositionen:<br />

Wenn man mal genauer hinguckt,<br />

ist es nicht beson<strong>der</strong>s weit verbreitet. […] Es muss<br />

hier deutlich mehr getan werden. Wir werden dies mit<br />

Netzwerken unterstützen, aber auch die Vereinbarkeit<br />

<strong>von</strong> Beruf und Familie – für beide Geschlechter<br />

– stärker in den betrieblichen Focus rücken. Dazu haben<br />

wir schon viele Betriebsvereinbarungen.“ [INT2]<br />

Auf jeden Fall sind Frauen zu wenig im Blickfeld <strong>der</strong><br />

Personalverantwortlichen. Erfahrungen aus DDR-<br />

Zeiten – mit einer deutlich höheren Frauenerwerbsquote<br />

auch in <strong>der</strong> chemischen Produktion – zeigen,<br />

dass es weit aus mehr Möglichkeiten gäbe, Frauen<br />

einzusetzen, als dies bisher passiert. „Das ist erfolgreich<br />

zurückgedrängt worden. Das müssen wir gemeinsam<br />

wie<strong>der</strong> nach vorne bringen. Das Selbstverständnis<br />

ist hier, Gott sei Dank, noch vorhanden. So<br />

ist es hoffentlich ein bisschen einfacher, neben <strong>der</strong><br />

Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie auch die Karriereplanung<br />

für Frauen voranzutreiben.“ [INT2]<br />

Dazu müssen zum einen die Mädchen schon frühzeitig<br />

für die Ausbildungen in <strong>der</strong> Chemie interessiert<br />

werden: „Also wir haben gute Erfahrungen gemacht<br />

mit dem Sommercamp <strong>der</strong> Bildungsakademie Leuna.<br />

Da werden 40 bis 50 Schüler <strong>der</strong> neunten Klassen in<br />

<strong>der</strong> Regel mit den Ausbildungsbedingungen an <strong>der</strong><br />

Bildungsakademie Leuna vertraut gemacht. Da sind<br />

sehr viele Mädchen dabei, bei denen wenigstens ein<br />

bisschen technisches Verständnis entwickelt wird. In<br />

<strong>der</strong> Folge sind wir stark daran interessiert, in den<br />

Schulen aufzutreten und dort die Berufe vorzustellen.“<br />

[INT3]<br />

Seite 31


Seite 32<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Zum an<strong>der</strong>en muss mehr für die Vereinbarkeit <strong>von</strong><br />

Familie und Beruf geschehen. Das wird beson<strong>der</strong>s<br />

notwendig in einer Zeit, in <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> beide Partner<br />

berufstätig sein wollen und können. Wenn einer <strong>der</strong><br />

Auch ausländische Fachkräfte werden wie<strong>der</strong> für<br />

den deutschen Arbeitsmarkt entdeckt. Zuwan<strong>der</strong>ungen<br />

können hierbei zur Mil<strong>der</strong>ung des absehbaren<br />

Fachkräftebedarfs beitragen.<br />

Das Handwerk beginnt seine Auszubildenden aus<br />

Tschechien und Polen nach Ostdeutschland zu<br />

holen. Solche Maßnahmen wurden bisher in <strong>der</strong><br />

Chemie noch nicht gebraucht, aber man stellt sich<br />

auf viele neue Wege ein, auch um ausländische<br />

Fachkräfte nach Deutschland zu bringen. „Wenn<br />

es so eng wird, dass wir bei <strong>der</strong> Personalrekrutierung<br />

‚kalte Füße bekommen’, dann könnte ich mir<br />

das vorstellen. Ich könnte mir vorstellen, in vier, fünf<br />

Jahren wird sicherlich <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in diese<br />

Richtung denken müssen. Ich persönlich wäre da im<br />

Prinzip auch offen für solche Geschichten.“ [INT3]<br />

Wenn wir mehr ausländische Fachkräfte nach<br />

Deutschland holen wollen, müssen allerdings die<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungsbedingungen für qualifi zierte Personen<br />

mit langfristigen Beschäftigungsperspektiven,<br />

auch aus Nicht-EU-Län<strong>der</strong>n, verbessert und die Integrationsbemühungen<br />

ausgeweitet und geför<strong>der</strong>t<br />

werden.<br />

In <strong>der</strong> Unternehmensbefragung 2008 wurden Wege<br />

zur Fachkräftesicherung unterschiedlich häufi g aufgezeigt.<br />

Während bei den Bildungsaufgaben noch<br />

die meisten Unternehmen (über 90 Prozent) bekundeten,<br />

diese durchzu<strong>führen</strong> (in welchem Umfang<br />

25 Vgl. Brücker u.a. (2002).<br />

4.2.4 Ausländische Fachkräfte<br />

4.3 Personalwirtschaftliche Anreize<br />

Partner (meist die Frauen) nicht mehr die häuslichen<br />

Verpfl ichtungen durch Nichterwerbstätigkeit alleine<br />

übernimmt, wird es umso wichtiger Beruf und Familienleben<br />

gut miteinan<strong>der</strong> vereinen zu können.<br />

„Also, wir kommen ja bei <strong>der</strong> ganzen Frage Fachkräftemangel<br />

nicht darum herum, ausländischen<br />

Fachkräften Arbeitsplätze anzubieten. Es ist wichtig,<br />

dass wir das auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite<br />

gemeinsam machen, und wir müssen eine<br />

politische Aussage dazu treffen. Wir müssen Integrationsvereinbarungen<br />

treffen, weil wir nicht ohne<br />

diese Fachkräfte auskommen werden. Wir haben<br />

hier noch nicht viele ausländische Fachkräfte. […]<br />

Hier hat man noch nicht so viele Erfahrungen. Wir<br />

müssen uns diesem Arbeitsmarkt öffnen, wir müssen<br />

offen sein für Neue und Neues und wir müssen<br />

für eine lebenswerte Umwelt sorgen. Dazu bedarf es<br />

auch Aussagen <strong>der</strong> Tarifvertragsparteien o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

politischen Bereiche. Wir haben zum Teil Betriebsvereinbarungen<br />

zu mehr Chancengleichheit o<strong>der</strong><br />

Integration.“ [INT2]<br />

Welche Wirkungen jedoch tatsächlich mit steigenden<br />

Zuwan<strong>der</strong>ungen verbunden sind, hängt entscheidend<br />

vom Bildungs- und Ausbildungsstand <strong>der</strong><br />

Zuwan<strong>der</strong>er ab: Je höher die Qualifi kation <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er,<br />

umso niedriger das Arbeitslosigkeitsrisiko<br />

und <strong>der</strong> Bezug <strong>von</strong> Transferleistungen <strong>von</strong> Migrantenhaushalten.<br />

25 (Gehrke u. a. 2008)<br />

4.3.1 Lohnentwicklung in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />

wurde nicht erfragt), gab nur ca. ein Drittel <strong>der</strong> Betriebe<br />

(36 Prozent) an, fi nanzielle Anreize zu setzen,<br />

obwohl die Löhne zwischen Ost und West noch immer<br />

extrem auseinan<strong>der</strong> klaffen.


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

„Und so sind an<strong>der</strong>e Geschäftsführer auch eingestellt.<br />

Die wollen versuchen administrativ die Leute<br />

zu halten, die sie noch haben, tun nichts zum Gewinn<br />

<strong>von</strong> neuen Leuten o<strong>der</strong> relativ wenig; und sehen<br />

dann ihre Felle da<strong>von</strong> schwimmen. Bis hin zur<br />

Tarifentwicklung, das ist das gleiche Problem. Das<br />

sind auch diejenigen, die weit unter dem Chemie-<br />

Tarif bleiben und sich wun<strong>der</strong>n, dass die Leute langsam<br />

woan<strong>der</strong>s hingehen, bzw. überhaupt nicht kommen.<br />

Das Stammpersonal, das ist diszipliniert, aber<br />

die an<strong>der</strong>en nicht mehr.“ [INT3]<br />

Dass sich in dem Einkommensgefüge bereits etwas<br />

tut, ist bekannt. Zurzeit geschieht dies aber nur punktuell.<br />

„Und die Superkräfte, die wir haben, da haben<br />

wir auch als Betriebsräte kaum noch Einblick, was<br />

die verdienen. Also diese Leute verhandeln nur mit<br />

dem Geschäftsführer. Wir haben da einige Spezialisten,<br />

die in <strong>der</strong> Glasbranche sehr gefragt sind und<br />

die auch eine sehr hochwertige Ausbildung haben,<br />

hochwertige Ausbildung auch <strong>von</strong> Seiten unserer<br />

Firma in den USA, die dort auch ausgebildet wurden.<br />

An<strong>der</strong>s kriegt man solche Leute ja heutzutage<br />

auch nicht mehr.“ [INT5]<br />

„Wir haben nunmehr ab 2009 die volle Angleichung,<br />

Ost- gleich Westtarif in <strong>der</strong> Chemie. Dafür haben wir<br />

lange gekämpft. Damit gleichen sich die Arbeitsbedingungen<br />

an. Dies ist ein gutes Argument hierzubleiben,<br />

nicht in die alten Bundeslän<strong>der</strong> abzuwan<strong>der</strong>n,<br />

weil dort mehr bezahlt wird. Die Menschen<br />

wollen Perspektive hier, an ihrem Lebens- und Arbeitsort.“<br />

[INT2]<br />

„Die ostdeutschen Firmen werden mit ihren Gehältern<br />

nicht vollkommen an westdeutsche Regionen<br />

wie Baden-Württemberg o<strong>der</strong> Bayern anschließen<br />

können. Aber eine Verkaufsstrategie kann es werden,<br />

zu sagen, mit dem was ihr hier verdient, könnt<br />

ihr euch dasselbe leisten, wie in den Regionen, mit<br />

denen ihr eure Gehälter vergleicht. Ostdeutschland<br />

hat eine mo<strong>der</strong>ne Infrastruktur, sehr schöne und bezahlbare<br />

Wohnungen und vieles mehr. Wahrscheinlich<br />

wird <strong>der</strong> Markt in die Richtung gehen, zu sagen:<br />

Wenn du einen Chemie-Ingenieur nach Apolda o<strong>der</strong><br />

in sonst eine ländliche Region haben willst, wirst du<br />

erheblich mehr zahlen müssen als heute, nämlich<br />

soviel wie in einer Metropolregion. Wenn er das gleiche<br />

Entgelt bekommt, wie beispielsweise im Westen,<br />

dann kann er damit bei uns wesentlich mehr<br />

anfangen.“ [INT1]<br />

Lohnanreize können vielfältig gestaltet werden. Es<br />

gibt beispielsweise Prämiensysteme und Jahresausschüttungen,<br />

Direktversicherungen, betriebliche<br />

Altersvorsorge, vermögenswirksame Leistungen,<br />

Firmenfahrzeuge, kostenlose Darlehen, o<strong>der</strong> Internetshops<br />

für günstigere Arbeits- und Freizeitbekleidung.<br />

Beson<strong>der</strong>e Gehälter, die in großen Unternehmen<br />

für bestimmte Aufgaben temporär gezahlt werden,<br />

können die kleinen Unternehmen nicht bieten, dafür<br />

versprechen sie mehr Kontinuität. In den großen<br />

Firmen gibt es oft Zwei-Drei-Jahresprojekte, die nur<br />

in dieser Zeit entsprechend hoch bezahlt werden.<br />

Kleinere Unternehmen versuchen über langfristige<br />

Zusagen, die Beschäftigten zu binden.<br />

Nun ist die Finanzierung sehr wichtig, aber nicht<br />

die einzige Möglichkeit, für Fachkräfte interessant<br />

zu werden und Mitarbeiter an das Unternehmen zu<br />

binden. Neben einer anreizorientierten Lohnpolitik<br />

ist auch eine bewusste Karriereplanung für viele Arbeitnehmer/innen<br />

entscheidend. Bei beiden Wegen<br />

haben große Unternehmen gegenüber den kleineren<br />

Unternehmen eindeutig Vorteile. Aber auch kleine<br />

Unternehmen haben viel zu bieten.<br />

Während große Unternehmen mit einem Stab <strong>von</strong><br />

Mitarbeitern in den Personalabteilungen meist sehr<br />

professionell Karriereplanungen praktizieren, regelmäßig<br />

Mitarbeitergespräche <strong>führen</strong>, mit den Beschäftigten<br />

Zielvereinbarungen schließen und sich<br />

um den Erhalt <strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit sowie um<br />

Aufstiegsmöglichkeiten möglichst vieler Mitarbeiter<br />

bemühen, können kleinere Unternehmen solche<br />

Personalarbeit nur sehr marginal leisten. Sie setzen<br />

Seite 33


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

<strong>der</strong> Karriereplanung aufgrund fehlen<strong>der</strong> Aufstiegsmöglichkeiten<br />

interessante Arbeitsplätze entgegen<br />

und versuchen Motivation durch vielschichtige Tä-<br />

Auch die Erleichterung <strong>der</strong> Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf<br />

und Familie als eine weitere Möglichkeit zur Fachkräftegewinnung<br />

wurde in <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />

2008 nur <strong>von</strong> knapp einem Drittel <strong>der</strong> Betriebe<br />

benannt (29 Prozent). Dabei steht fest, wer sich auf<br />

familienfreundliche Arbeitsbedingungen einlässt,<br />

kann sich für die Zukunft einen deutlichen Wettbewerbsvorteil<br />

sichern. Das zsh hat am Chemiestandort<br />

Bitterfeld-Wolfen im Sommer 2008 eine Mitarbeiterbefragung<br />

zu diesem Thema durchgeführt, aus<br />

<strong>der</strong> hier einige Ergebnisse zusammengefasst werden<br />

sollen 26 .<br />

An <strong>der</strong> Mitarbeiterbefragung beteiligten sich 189 Beschäftigte<br />

aus fünf Unternehmen. An<strong>der</strong>s als traditionell<br />

oft vermutet, beschäftigt die Diskussion zum<br />

Thema „Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf“ nicht<br />

nur Frauen, wenn sie auch nach wie vor bei diesem<br />

Thema den Ausschlag geben, was letztendlich sicherlich<br />

mit ihrer häufi g höheren Doppelbelastung<br />

zu tun hat. Mit <strong>der</strong> zunehmenden Übernahme familiärer<br />

Verpfl ichtungen durch die Männer bringen sich<br />

auch diese immer mehr in die Diskussion mit ein.<br />

Am Antwortverhalten wird deutlich, wen das Thema<br />

im Beson<strong>der</strong>en interessiert: Es sind vor allem Mitarbeiter/innen<br />

in Schichtarbeit, beson<strong>der</strong>s Alleinerziehende<br />

(Frauen und Männer), Familien mit Kin<strong>der</strong>n<br />

im betreuungspfl ichtigen Alter und Familien mit Pfl egefällen.<br />

Im Weiteren soll darauf eingegangen werden, wie<br />

die Mitarbeiter/innen in den Chemiebetrieben,<br />

die zumeist vollbeschäftigt sind und vorrangig im<br />

Schichtdienst arbeiten, ihren Arbeitsalltag zwischen<br />

berufl ichen Herausfor<strong>der</strong>ungen sowie familiären<br />

Ansprüchen und Verpfl ichtungen meistern.<br />

4.3.2 Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf<br />

tigkeiten in Teamwork o<strong>der</strong> temporären Teams zu<br />

schaffen. (vgl. Gehrke u. a. 2008)<br />

Ein Merkmal <strong>der</strong> Chemieindustrie ist, dass viele<br />

Beschäftigte in Schichten arbeiten. Es ist bekannt,<br />

dass Schichtdienst an die Mitarbeiter/innen beson<strong>der</strong>e<br />

Herausfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Koordination <strong>von</strong><br />

berufl ichen und familiären Verpfl ichtungen stellt. Die<br />

meisten Mitarbeiter/innen haben sich mit ihren Arbeitszeiten<br />

arrangiert und organisieren danach ihren<br />

Alltag. Fragt man die Mitarbeiter/innen, ob sie<br />

mit ihren jetzigen Arbeitszeiten zufrieden sind, dann<br />

zeigt sich, dass bei einem Großteil, wenn auch nicht<br />

bei allen, die tatsächliche Arbeitszeit <strong>der</strong> Wunscharbeitszeit<br />

entspricht. 27 In Einzelfällen wünschten sich<br />

die Männer lieber geringere Arbeitszeiten, bei den<br />

Frauen waren es 14 Prozent, die nicht zufrieden mit<br />

ihren Arbeitszeiten waren. Die meisten <strong>von</strong> ihnen<br />

würde lieber weniger arbeiten, einige wollten aber<br />

gern auch mehr arbeiten.<br />

Knapp die Hälfte <strong>der</strong> befragten Mitarbeiter/innen haben<br />

Kin<strong>der</strong>, die in ihrem Haushalt leben. Das gaben<br />

Frauen wie Männer gleichermaßen an. 15 Prozent<br />

<strong>der</strong> Befragten mit Kin<strong>der</strong>n ist alleinerziehend, Frauen<br />

(22 Prozent) fast viermal so häufi g wie Männer (6<br />

Prozent). Bei den Kin<strong>der</strong>n unter 6 Jahren erfolgt die<br />

Betreuung häufi g in einer Kombination <strong>von</strong> öffentlichen<br />

Einrichtungen und Familienangehörigen <strong>der</strong><br />

Eltern- und Großelterngeneration. Von den Sechsbis<br />

Neunjährigen gehen die meisten in die Grundschule.<br />

Für die Eltern dieser Altersgruppe spielen<br />

die eben genannten öffentlichen Betreuungseinrichtungen<br />

und familiären Hilfen weiterhin eine entscheidende<br />

Rolle. Die familiäre Unterstützung ist vor allem<br />

in den Randbetreuungszeiten zu Arbeitsbeginn und<br />

Arbeitsende wichtig, wenn die Kin<strong>der</strong>einrichtungen<br />

noch nicht o<strong>der</strong> nicht mehr geöffnet haben. Außerdem<br />

wird für die Kin<strong>der</strong> dieser Altersgruppe häufi -<br />

ger eine Nachmittagsbetreuung als Unterstützung<br />

genannt.<br />

26 Ausführlich nachzulesen in Buchwald/Wiener 2008<br />

27 Fast ein Drittel (30 Prozent) hat zu dieser Frage keine Angabe gemacht. Es ist zu befürchten, dass in dieser Gruppe einige unzufriedene<br />

Mitarbeiter/innen enthalten sind, die sich aber nicht zu diesem Thema äußern wollten. Allerdings lassen sich dazu nur<br />

Vermutungen anstellen.<br />

Seite 34


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Knapp drei Viertel <strong>der</strong> Befragten (74 Prozent) sind<br />

mit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung zufrieden, das verbleibende<br />

Viertel ist es allerdings nicht. Verbesserungen bei <strong>der</strong><br />

Betreuung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wünschen sich die Befragten<br />

bezüglich <strong>der</strong> Öffnungszeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>tageseinrichtung.<br />

Außerdem wurde <strong>von</strong> mehreren Mitarbeiter/innen<br />

eine Nachmittagsbetreuung und verstärkt<br />

Angebote in den Ferienzeiten als wünschenswert<br />

empfunden. In Einzelfällen wird eine Nachmittagsbetreuung<br />

für Kin<strong>der</strong> im Alter <strong>von</strong> einem bis drei Jahren<br />

gewünscht. Die Betreuungszeit, die sich diese<br />

Betroffenen für ihre Kin<strong>der</strong> wünschen, liegt im Bereich<br />

<strong>von</strong> 5.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Angesprochen wird<br />

ebenfalls im Rahmen <strong>der</strong> Nachmittagsbetreuung ein<br />

Fahrdienst für Kin<strong>der</strong>, <strong>der</strong> <strong>von</strong> Firmen übernommen<br />

werden könnte. Somit wäre ein sicherer Transport<br />

<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu Nachmittagsveranstaltungen – wie<br />

z. B. Sportgemeinschaften o<strong>der</strong> Musikschule – gewährleistet,<br />

wenn die Eltern arbeiten müssen.<br />

Neben den familiären Verpfl ichtungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung<br />

wurden auch Pfl egeverpfl ichtungen <strong>der</strong> Beschäftigten<br />

genannt. Schon jetzt gibt je<strong>der</strong> zehnte Befragte<br />

an, pfl egebedürftige Angehörige zu betreuen.<br />

Das entspricht auch an<strong>der</strong>en Befunden (z.B. Höpfl inger/Hugentobler<br />

2005 und Schneekloth/Wahl 2005),<br />

aus denen zu ersehen ist, dass die Pfl egeleistungen<br />

zwar zwischen Männern und Frauen geteilt werden,<br />

aber dass Frauen stundenmäßig deutlich stärker involviert<br />

sind und an<strong>der</strong>e Aufgaben übernehmen als<br />

Männer. Frauen <strong>führen</strong> meistens die eigentlichen<br />

Betreuungsleistungen durch, während sich Männer<br />

eher um die administrativen Fragen (wie die Beantragung<br />

des Pfl egegeldes) und die Organisation <strong>der</strong><br />

Pfl egezeiten kümmern. Somit fühlen sich Männer<br />

häufi g, trotzt einer ebenfalls vorhandenen zusätzlichen<br />

Belastung, beim Pfl egethema nicht ebenso<br />

stark angesprochen wie Frauen.<br />

Die Anfor<strong>der</strong>ungen, die an die pfl egenden Angehörigen<br />

gestellt werden, kollidieren nicht selten mit<br />

ihrer Belastungsfähigkeit und den Ansprüchen, die<br />

an eine qualitativ hochwertige Pfl ege gestellt werden<br />

müssen. Vor allem bei Erwerbstätigkeit entstehen<br />

zahlreiche Belastungen aus dem Pfl egeprozess<br />

selbst sowie aus möglichen Unvereinbarkeiten zwischen<br />

den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pfl ege und <strong>der</strong> beruflichen<br />

Umwelt <strong>der</strong> pfl egenden Angehörigen. Diese<br />

zum Teil wi<strong>der</strong>sprüchlichen Anfor<strong>der</strong>ungen schlagen<br />

sich nicht selten auch in physischen, psychischen<br />

und psychosozialen Beanspruchungen nie<strong>der</strong>.<br />

Von den Befragten, die bereits jetzt pfl egedürftige<br />

Angehörige haben, gab je<strong>der</strong> Fünfte an, dass es<br />

Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Versorgung dieser Angehörigen<br />

gibt. Dies äußert sich vor allem darin, dass<br />

kein Betreuungsplatz sowie keine Hilfe bei <strong>der</strong> Betreuung<br />

<strong>der</strong> pfl egebedürftigen Angehörigen zu Hause<br />

vorhanden sind und dass sie keine Unterstützung<br />

während <strong>der</strong> Urlaubszeit erhalten. Inwieweit diesen<br />

Mitarbeiter/innen <strong>der</strong> gesetzliche Anspruch <strong>von</strong><br />

4 Wochen Unterstützung für die häusliche Pfl ege<br />

bei Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pfl egeperson bekannt ist (§39<br />

SGB XI), wurde nicht erfragt.<br />

Neben <strong>der</strong> alltäglichen Doppelbelastung wird es<br />

für betreuungspfl ichtige Erwerbstätige beson<strong>der</strong>s<br />

schwierig, mit <strong>der</strong> Zusatzbelastung fertig zu werden,<br />

wenn Notsituationen wie Erkrankung <strong>der</strong> Hauptbetreuungsperson,<br />

kurzfristiger Schichtwechsel o<strong>der</strong><br />

eine mehrtägige Dienstreise eintreten. Um allen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />

gerecht werden zu können, wurde nach<br />

den hauptsächlichen Problemen bei <strong>der</strong> Organisation<br />

<strong>von</strong> Familien- und Erwerbsanfor<strong>der</strong>ungen sowie<br />

nach Unterstützungswünschen gefragt.<br />

Neben politischen For<strong>der</strong>ungen, die sich im Beson<strong>der</strong>en<br />

auf die Än<strong>der</strong>ung des Kin<strong>der</strong>för<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />

(KiFöG) in Sachsen-Anhalt (bezüglich Halbtagsplatz)<br />

bezogen, gab es auch viele Wünsche und<br />

Anregungen, wie Unternehmen zur Vereinbarkeit<br />

<strong>von</strong> Familie und Beruf beitragen können.<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung wurden <strong>von</strong> den Befragten<br />

Belegrechte in Kin<strong>der</strong>betreuungseinrichtungen<br />

(in <strong>der</strong> Nähe des Arbeitsplatzes) angesprochen,<br />

für die sich <strong>der</strong> Betrieb einsetzen könnte. Fast je<strong>der</strong><br />

Zehnte antwortete, dass er <strong>von</strong> einem geför<strong>der</strong>ten<br />

Angebot zur Kin<strong>der</strong>betreuung am Chemiestandort<br />

Gebrauch machen würde. Außerdem wurde <strong>der</strong><br />

Seite 35


Wunsch geäußert, dass die Betriebe durch eine Kooperation<br />

mit Tagesmüttern den Mitarbeiter/innen<br />

helfen könnten. Weitere Wünsche waren gerechtere<br />

Arbeitszeiten für junge Mütter; Betreuungsmöglichkeiten<br />

am Wochenende (Sa. bis 16 Uhr); stärkere<br />

Berücksichtigung <strong>von</strong> Familien mit schulpfl ichtigen<br />

Kin<strong>der</strong>n zur Urlaubsplanung in Ferienzeiten; Unterstützung<br />

<strong>der</strong> Firmen durch Fahrdienste für Kin<strong>der</strong> am<br />

Nachmittag; fi nanzielle Unterstützung durch den Betrieb<br />

(z. B. Zuschuss zu Betreuungskosten); Ermöglichen<br />

einer kurzfristigen Urlaubnahme; Erleichterung<br />

des Tausches <strong>von</strong> Schichten; großzügigere Nutzung<br />

<strong>von</strong> Zeitguthaben für Hilfe bei Arztbesuchen Angehöriger<br />

und Einsatz für bessere Versorgung durch<br />

Ärzte in <strong>der</strong> Region.<br />

Das hauptsächliche Problem zeigt sich in <strong>der</strong> Vereinbarkeit<br />

<strong>von</strong> Schichtzeiten mit dem Familienleben.<br />

Da<strong>von</strong> sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen.<br />

So bleibt durch die Schichten zu wenig Zeit<br />

für die Familie. Die Samstagsarbeit kam in die Kritik<br />

und beson<strong>der</strong>s häufi g kamen die Klagen <strong>von</strong> Mitarbeiter/innen<br />

des vollkontinuierlichen Schicht-systems.<br />

Vor allem eine höhere Flexibilität <strong>der</strong> Unternehmen<br />

hinsichtlich <strong>der</strong> Arbeitszeit zur Vereinbarkeit<br />

mit Kin<strong>der</strong>betreuung und Pfl egeverpfl ichtungen bei<br />

Angehörigen wurde immer wie<strong>der</strong> angesprochen.<br />

Beispiele aus Unternehmen zeigen, dass es Bereiche<br />

gibt, in denen sehr fl exibel mit <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />

umgegangen werden kann. „Dann haben wir die<br />

ganzen Arbeitszeiten so mo<strong>der</strong>nisiert, dass sich <strong>der</strong><br />

Mitarbeiter das Arbeitszeitmodell aussuchen kann<br />

in seinem Team, wie er das am Besten vereinbaren<br />

kann. Da ist je<strong>der</strong>, ich sag mal, ein bisschen an<strong>der</strong>s<br />

gestrickt. Entscheidend ist eben, dass die Teamfähigkeit<br />

gestärkt wird. […] Das wird eben organisiert.<br />

Ich meine, wir haben jetzt ungefähr 12 verschiedene<br />

Schichtsysteme, Vertrauensarbeitszeit, fl exible<br />

Seite 36<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Arbeitszeit. Also, <strong>der</strong> Mitarbeiter hat die Wahl in welchem<br />

Arbeitszeitsystem er arbeiten möchte. Und hat<br />

aber auch die Wahl sich selbst eines zu erfi nden.“<br />

[INT4]<br />

In <strong>der</strong> Studie wurden einige Probleme bei <strong>der</strong> Vereinbarkeit<br />

<strong>von</strong> Familie und Beruf angesprochen. Zeit<br />

wird oft zu einem beson<strong>der</strong>s wertvollen Gut. Viele<br />

<strong>der</strong> vorgeschlagenen Anregungen und Än<strong>der</strong>ungswünsche<br />

betreffen nicht nur Einzelne, son<strong>der</strong>n einen<br />

Großteil <strong>der</strong> Mitarbeiter/innen in den Betrieben.<br />

„Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie, das heißt in<br />

<strong>der</strong> ersten Lebenshälfte Kin<strong>der</strong>, in <strong>der</strong> zweiten zunehmend<br />

die Versorgung bzw. Pfl ege <strong>der</strong> eigenen<br />

Eltern. Dies wird uns in <strong>der</strong> Zukunft sehr viel stärker<br />

beschäftigen. Hier müssen wir mit unseren Sozialpartnern<br />

Lösungen fi nden. Es gibt schon einige<br />

Erfahrungen, aber hier müssen wir deutlich mehr<br />

machen. Betriebsvereinbarungen zur fl exiblen Freistellung<br />

zur Pfl ege sind notwendig.“ [INT2]<br />

So macht es Sinn, dass Betriebe und Kommunen<br />

über gemeinsame Lösungen am Standort nachzudenken.<br />

Organisiert werden können die Hilfen beispielsweise<br />

in einem „Familie & Job Center“ wie in<br />

Brandenburg o<strong>der</strong> in einem „Servicebüro“ für Fragen<br />

<strong>der</strong> Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie wie in<br />

Leuna. Anregungen für die Umsetzung lassen sich<br />

also aus bereits erfolgreich laufenden Modellen<br />

übernehmen.<br />

Die Gründe für eine familienfreundliche Personalpolitik<br />

können vielfältig sein: Dazu gehören ethischmoralische<br />

Aspekte und soziales Engagement, es<br />

geht in den Unternehmen um Personalkostenoptimierung<br />

bis hin zu einer langfristigen Sicherung ihrer<br />

wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Es hat sich gezeigt, dass die Unternehmen in <strong>der</strong><br />

Chemie selbstbewusst in die Zukunft schauen.<br />

Fachkräfte sind für ihren wirtschaftlichen Erfolg extrem<br />

wichtig. Vielen ist bewusst, dass sich Versorgungslücken<br />

auftun werden, an<strong>der</strong>e haben bereits<br />

erste Erfahrungen damit sammeln müssen. Für alle<br />

die, die <strong>der</strong>zeit noch nicht über das Thema <strong>der</strong> Fachkräftelücke<br />

nachdenken, kann es in Kürze schwierig<br />

werden, auf ein sinkendes Fachkräfteangebot zu reagieren.<br />

Kleine Unternehmen geraten bei Rekrutierungsaufgaben<br />

aufgrund fehlen<strong>der</strong> Kapazitäten häufi g ins<br />

Hintertreffen. Ein Stück weit kann dieser Nachteil<br />

beispielsweise durch Kooperationen abgeschwächt<br />

werden. Aber auch Kooperationen verlangen Engagement<br />

und Einsatz. Einige Anregungen zur Fachkräftegewinnung<br />

und Fachkräftesicherung kann diese<br />

Expertise geben. Das Thema muss aber weiter<br />

kontinuierlich verfolgt und bearbeitet werden.<br />

Wenn keine Mittel und Wege helfen, die entsprechenden<br />

Fachkräfte für die Betriebe zu gewinnen, denken<br />

Unternehmen auch über Standortverlegungen nach.<br />

Das sind Entscheidungen <strong>von</strong> großer Tragweite. Dieser<br />

Schritt wird auch nur <strong>von</strong> vier bzw. fünf Prozent<br />

5. Abschluss<br />

aller befragten Betriebe als Ausweg angesehen.<br />

Wenn es dazu kommt, ist diese Entscheidung allerdings<br />

beson<strong>der</strong>s schädlich für die wirtschaftliche<br />

Entwicklung einer Region und kann sich auch auf die<br />

Leistungsfähigkeit an<strong>der</strong>er Unternehmen am Standort<br />

(z. B. Zulieferer o<strong>der</strong> industrienahe Dienstleister)<br />

negativ auswirken. Solche Regionen leiden häufi g<br />

unter abnehmen<strong>der</strong> Wirtschaftskraft und haben es<br />

beson<strong>der</strong>s schwer, neue Investoren zu gewinnen.<br />

Von solchen Entscheidungen ist die ostdeutsche<br />

Chemie hoffentlich weit entfernt, denn wenn wir mal<br />

richtig hinschauen, gibt es ein großes Potential <strong>von</strong><br />

zukünftigen Fachkräften, das teilweise aber erst neu<br />

erschlossen werden muss. Nach <strong>der</strong> Zeit eines überquellenden<br />

Arbeitsmarktes <strong>von</strong> lernwilligen Berufsanfängern<br />

bis hin zu ausgezeichnet qualifi zierten<br />

und berufserfahrenen Arbeitslosen kommen wir jetzt<br />

in eine Phase abnehmen<strong>der</strong> Schulabgängerzahlen<br />

und zunehmen<strong>der</strong> Arbeitssuchen<strong>der</strong>, die schon<br />

lange dem Arbeitsmarkt fern sind. Das heißt, die<br />

Wirtschaft muss neue Wege gehen und zusätzliche<br />

Potentiale bei Jüngeren wie Älteren, bei Frauen und<br />

Männern, bei in- und ausländischen Fachkräften erschließen,<br />

wenn sie auch weiterhin ihre Beschäftigten<br />

für die Zukunft sichern will.<br />

Seite 37


Literatur<br />

Seite 38<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

BAVC (2008): Presseinformation vom 16. April 2008<br />

Becker, M. (2002): Personalentwicklung. Stuttgart<br />

Behr, M.; Engel, T . (2001): Im Zeichen des demographischen Umbruchs – Wie zukunftsfähig ist<br />

die ostdeutsche Überlebensgesellschaft? in: Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommern. Analysen und<br />

Kommentare, Heft Juni<br />

Behr, M.; Engel, T.; Hinz, A. (2006): Produktive Leistungsgemeinschaften und erzwungene Arrangements.<br />

Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung in <strong>der</strong> ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie<br />

2005/2006 (Bericht an die Otto Brenner Stiftung). Jena.<br />

Behringer, F., D. Moraal, G. Schönfeld (2008): Betriebliche Weiterbildung in Europa: Deutschland<br />

weiterhin nur im Mittelfeld. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) 1/2008, S. 9–14.<br />

Bertelsmann Stiftung (2008): Mangelhafte Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt verursacht<br />

erhebliche gesellschaftliche Folgekosten. Ute Friedrich, Pressestelle. http://idw-online.de/pages/de/news282612<br />

vom 12.10.2008<br />

BIBB 2008: Pressemitteilung <strong>von</strong> Andreas Pieper zu Weiterbildung älterer Beschäftigter – berufl iche<br />

Perspektiven und Lernanreize schaffen. Auswertungen <strong>der</strong> CVTS3_Studie im Forschungsprojekt<br />

„Weiterbildungskonzepte für das spätere Erwerbsleben (WeisE)“: http://www.bibb.de/de/wlk11792.<br />

htm, 24.07.2008<br />

Böttcher, S.; Meier, H.; Wiener, B. (2001): Alters- und Qualifi kationsstruktur in <strong>der</strong> ostdeutschen Industrie<br />

am Beispiel <strong>der</strong> Chemie. Forschungsberichte aus dem zsh 01-3<br />

Buchwald, Ch.; Wiener, B. (2008): Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf. Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung<br />

in fünf Unternehmen des Chemiestandortes Bitterfeld-Wolfen. Studie im Auftrag des<br />

<strong>QFC</strong>. Im Erscheinen<br />

Buck, H. (2001): Öffentlichkeits- und Marketingstrategie demographischer Wandel – Ziele und Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />

In: Bullinger, H.-J. (Hg.): Zukunft <strong>der</strong> Arbeit in einer alternden Gesellschaft. Broschürenreihe<br />

des BMBF : Demographie und Erwerbsarbeit. Stuttgart, 2001, S. 19<br />

fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008). www.fi scherappelt.de/Fachkraefteumfrage.<br />

pdf (download Mai 2008)


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Gehrke, B., Jung, H.-U., Schasse, U., Wiener, B. (2008): Fachkräftemangel und demographischer<br />

Wandel bis 2020. Gutachten im Auftrag <strong>der</strong> Region Hannover, Teil I: Empirische Basisanalysen,<br />

Projektionen und Expertengespräche. Hannover und Halle, Juni 2008<br />

Gehrke, B.; Schasse, U. (2006): Bildung und Qualifi zierung in Nie<strong>der</strong>sachsen. Forschungsberichte<br />

des NIW Nr. 34, Hannover September 2006.<br />

Grünert, H.; Lutz, B.; Wiekert, I. (2007): Betriebliche Ausbildung und Arbeitsmarktlage – eine vergleichende<br />

Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nie<strong>der</strong>sachsen. Forschungsberichte<br />

aus dem zsh 07-5<br />

Haak Ch. (2003): Weiterbildung in kleinen und mittleren Betrieben – Ein deutsch-dänischer Vergleich.<br />

In: MittAB 2(2003), S. 166–186.<br />

Hartmann, T.; Meyer-Wölfi ng, E. (2008): Flexible Organisation <strong>der</strong> Arbeit und Auswirkungen auf<br />

die Beschäftigten in Arbeitgeberzusammenschlüssen. Geför<strong>der</strong>t durch die Hans-Böckler-Stiftung.<br />

http://arbeitgeberzusammenschluesse.de/wp-content/uploads/2008/04/<br />

gesamt_studie_hbs_29_03_08.pdf (download August 2008)<br />

Hartmann, T.; Wiener, B.; Winge, S. (2006): KMU und KKU – neue Hoffnungsträger im ländlichen<br />

Raum. In: Lea<strong>der</strong>forum. Magazin <strong>der</strong> Deutschen Vernetzungsstelle. H. 1, S. 24–25<br />

Höpfl inger, F./Hugentobler, V. (2005): Familiale, ambulante und stationäre Pfl ege im Alter. Perspektiven<br />

für die Schweiz<br />

Hörwick, E.; Ben<strong>der</strong>, W. (2006). Erfahrungsbasierte Qualifi zierung. Die För<strong>der</strong>ung selbstgesteuerter<br />

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URL: http://www.bildungsforschung.org/Archiv/2006-02/praxis_selbst/<br />

Jankowski, J. (2008), Vortrag auf <strong>der</strong> Abschlussveranstaltung Synthese am 20.09.2008<br />

Ketzmerick, T.; Meier, H.; Wiener, B. (2007): Brandenburg und seine Jugend – Integrationspfade<br />

Brandenburger Jugendlicher in Beschäftigung. Forschungsberichte aus dem zsh 07-2, Halle<br />

Kultusministerkonferenz (2007): Schulabgänger. Prognose <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz 2007<br />

Lutz B. (2008a): Aktuelle Strukturen und zu erwartende Entwicklungen <strong>von</strong> Beschäftigung und Arbeitsmarkt<br />

in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n und ihre Bedeutung für die Interessenvertretung. Eine<br />

Kurz-Expertise für die Otto-Brenner-Stiftung. http://www.zsh-online.de/pdf/Expertise_20080710_<br />

Burkart_Lutz_01.pdf<br />

Seite 39


Seite 40<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Lutz, B. (1998): Personal und Qualifi kation. In: Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung<br />

und Technologie (Hg.): Produktion 2000 plus. Visionen und Forschungsfel<strong>der</strong> für die Produktion<br />

in Deutschland. Bonn, S. 280 ff.<br />

Lutz, B. (2008b): Ostdeutsche Lektionen: Kleinbetriebe in <strong>der</strong> Zeitfalle. In: RegioPol. Zeitschrift für<br />

Regionalwirtschaft, Heft 1/2008, S. 105–113<br />

Lutz, B.; Ketzmerick, T.; Wiener, B. (1999): Ausschlussrisiken und Grenzen herkömmlicher Arbeitsmarktpolitik<br />

– Lektionen aus <strong>der</strong> ostdeutschen Entwicklung seit 1990/91. In: Wiedemann, E. u. a.<br />

(Hg.): Die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Herausfor<strong>der</strong>ung in Ostdeutschland. (Beiträge<br />

zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung; BeitrAB 223) Nürnberg: Institut für Arbeitsmarkt- und<br />

Berufsforschung, S. 267–287<br />

Lutz, B.; Wiener, B. (2000): Entwicklungstendenzen des Angebots an Fachkräften für die deutsche<br />

Industrie. In: Lutz, Burkart; Meil, Pamela; Wiener, Bettina (Hg.): Industrielle Fachkräfte für das 21.<br />

Jahrun<strong>der</strong>t. Aufgaben und Perspektiven für die Produktion <strong>von</strong> morgen. Frankfurt/New York: Campus,<br />

S. 39–69<br />

Lutz, B.; Winge, S. (2007): Innovation in kleinen Unternehmen. Hinweise und Anregungen für den<br />

Praktiker. Hans-Böckler-Stiftung. http://www.zsh-online.de/pdf/Innovation_Unternehmen.pdf<br />

Meier, H.; Pauli, H.; Wiener, . (2002): Der Nachwuchskräftepool als Sprungbrett in Beschäftigung.<br />

Forschungsberichte aus dem zsh 02-1<br />

Meier, H.; Wiener, B.; Winge, S. (2007): Regionaler Qualifi zierungspool landwirtschaftlicher Unternehmen.<br />

Forschungsberichte aus dem zsh 07-3<br />

MittelstandsMonitor 2008. Mittelstand trotz nachlassen<strong>der</strong> Konjunkturdynamik in robuster Verfassung.<br />

Jährlicher Bericht zu Konjunktur- und Strukturfragen kleiner und mittlerer Unternehmen.<br />

http://www.kfw.de/DE_Home/Presse/Pressekonferenzen/PDF-Dokumente_2008/mimo_gesamt.<br />

pdf (download 01.09.2008)<br />

OECD (2005): Alterung und Beschäftigungspolitik: Deutschland. Paris.<br />

Prein, G. (2005): Die Maßnahme und die Folge: Über die Konsequenzen <strong>der</strong> öffentlichen För<strong>der</strong>ung<br />

<strong>der</strong> Berufsausbildung in Ostdeutschland für die Einmündung in das Erwerbssystem. In: Wiekert, I.<br />

(Hrsg - 2005): Zehn aus Achtzig. Burkart Lutz zum 80. Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag,<br />

S. 19–208.


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Reinberg, Alexan<strong>der</strong>; Hummel, Markus (2004): Fachkräftemangel bedroht Wettbewerbsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> deutschen Wirtschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 5. Juli 2004, S. 3–10<br />

Schmidt; D. (2007): Berufl iche Weiterbildung in Unternehmen 2005. Methodik und erste Ergebnisse.<br />

In: Wirtschaft und Statistik 7/2007, S. 699–711.<br />

Schneekloth, U.; Wahl, H.-W. (2005): Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in<br />

privaten Haushalten (MUG III). Repräsentativbefunde und Vertiefungsstudien zu häuslichen Pfl egearrangements,<br />

Demenz und professionellen Versorgungsangeboten. Integrierter Abschlussbericht (Im<br />

Auftrag des BMFSFJ). http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/ generator/RedaktionBMFSFJ/Abteilung3/Pdf-Anlagen/mug3-ingetrierter-gesamtbericht,<br />

property=pdf,bereich=,sprache=de,rwb=true.pdf (01.09.2008)<br />

Statistische Ämter des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (2008): Schulstatistik und Bevölkerungsstatistik, S.<br />

18 und S. 240<br />

Steiner, Ch. (2007): Von Problemfällen und Hoffnungsträgern. Integrationsprobleme ostdeutscher<br />

Jugendlicher an <strong>der</strong> zweiten Schwelle. In: Berger, K.; Grünert, H. (Hg.): Zwischen Markt und För<strong>der</strong>ung.<br />

Wirksamkeit und Zukunft <strong>von</strong> Ausbildungsplatzstrukturen in Ostdeutschland. Bielefeld: W.<br />

Bertelsmann Verlag, S. 167–185<br />

Wiekert, Ingo (2008): Ausbildungsbetriebe in Sachsen-Anhalt. Bisheriges Verhalten und neue Anfor<strong>der</strong>ungen.<br />

Vortrag vor dem Berufsbildungsausschuss <strong>der</strong> Handwerkskammer Halle (Saale) am<br />

05.06.2008<br />

Wiener, B. (2005): Wird die demographische Falle zum Kassandra-Ruf? In: Wiekert, I. (Hg.) (2005):<br />

Zehn aus Achtzig. Burkart Lutz zum 80. Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag, S. 47–75<br />

Wiener, B.; Böttcher, S.; Buchwald, Ch. (2008): Erste Fachkräftelücken in <strong>der</strong> Chemie. Ergebnisse<br />

einer Befragung an drei Chemiestandorten in Sachsen-Anhalt. Studie im Auftrag des <strong>QFC</strong>. Im Erscheinen<br />

Wiener, B.; Meier, H. (2006): Vergessene Jugend. Der Umgang mit einer arbeitslosen Generation.<br />

Beobachtungen und Schlüsse. Berlin<br />

Zons, Achim (2006). Die Kraft <strong>der</strong> zwei Wahrheiten. Ältere auf dem Arbeitsmarkt. In: Süddeutsche<br />

Zeitung Nr. 55 vom 7. 3. 2006, S. 3.<br />

Seite 41


Anhang<br />

Seite 42<br />

Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Abbildung 1: Verdienststruktur <strong>der</strong> Facharbeiter Ost-West in <strong>der</strong>Chemie<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

200<br />

600<br />

1000<br />

1400<br />

1800<br />

2200<br />

2600<br />

3000<br />

3400<br />

3800<br />

4200<br />

4600<br />

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />

Tabelle1: Beschäftigte <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Betriebsgröße<br />

(Angaben in Prozent)<br />

Zahl <strong>der</strong> Beschäftigten in Betrieben mit Alte Län<strong>der</strong> Neue Län<strong>der</strong><br />

0 bis 19 Beschäftigten 3,6 5,8<br />

20 bi 99 Beschäftigten 12,5 21,8<br />

100 bis 199 Beschäftigten 10,1 12,5<br />

200 bis 499 Beschäftigten 19,8 17,6<br />

500 und mehr Beschäftigten 53,9 42,1<br />

Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />

5000<br />

Brutto-Monatseinkommen<br />

bis... (Euro)<br />

Facharbeiter 2006<br />

-> ostwest = 1<br />

Westdeutschland<br />

-> ostwest = 2<br />

Ostdeutschland (einschl,<br />

Berlin)<br />

100,0 100,0


Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />

Jürgen Jankowski (2008): Exploration einer im Jahr<br />

2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung mit<br />

dem zsh im vom BMBF geför<strong>der</strong>ten Projekt „Gene-<br />

Abbildung 2: Altersstruktur in ausgewählten geweblichen Berufen<br />

t<br />

n<br />

e<br />

z<br />

o<br />

r<br />

P<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

19.06.2008<br />

Personalstruktur am Chemiestandort Leuna<br />

Altersstruktur für ausgewählte gewerbliche Berufsgruppen<br />

Chemie-Produktionsberufe Laborberufe<br />

Metall- und Elektroberufe industrielle Dienstleistungen<br />

Jürgen Jankowski<br />

rationenaustausch in industriellen Unternehmensstrukturen<br />

(GENIUS)“<br />

unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und<br />

älter<br />

Angaben ohne Auszubildende<br />

Chemie-Produktionsberufe: Chemikant, Pharmakant; Chemiebetriebswerker u.a.<br />

Laborberufe: Chemielaborant, Biologielaborant, Chemielaborwerker, Werkstoffprüfer, Lacklaborant<br />

Metall- und Elektroberufe: Industriemechaniker, Prozessleitelektroniker, Energieelektroniker, Anlagenmechaniker,<br />

Industrieelektroniker<br />

industrielle Dienstleistungsberufe: Fachkraft für Lagerwirtschaft, Warenprüfer, Werkschutz<br />

Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung<br />

Abbildung 3: Altersstruktur in ausgewählten Qulifi kationsstufen<br />

t<br />

n<br />

e<br />

z<br />

o<br />

r<br />

P<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

19.06.2008<br />

Personalstruktur am Chemiestandort Leuna<br />

Altersstruktur für ausgewählte Berufsgruppen<br />

Chemiker Ingenieure Führungskräfte<br />

Jürgen Jankowski<br />

Alter<br />

www.infraleuna.de<br />

unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und<br />

älter<br />

Chemiker: Chemiker, Chemieingenieure, Ingenieure <strong>der</strong> Verfahrenstechnik, Biotechnologen u.a.<br />

Ingenieure: sonstige Ingenieure<br />

Führungskräfte: Betriebsleiter, Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Vertriebsgebietsleiter u.a.<br />

Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung<br />

Alter<br />

www.infraleuna.de<br />

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