Demographische Turbulenzen führen von der - QFC
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2<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber: Qualifizierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH 2008<br />
Autorin: Bettina Wiener<br />
zsh Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />
(an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)<br />
Druck: Druckerei Landsberg<br />
Nachdruck und Vervielfältigung nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers.<br />
Das Projekt wurde geför<strong>der</strong>t durch:<br />
Landkreis Saalekreis<br />
Eigenbetrieb für Arbeit
Bettina Wiener<br />
Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />
an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg)<br />
<strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz-<br />
zur Fachkräftelücke<br />
Expertise für die Qualifi zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH (<strong>QFC</strong>)<br />
Seite 1
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Vorbemerkungen 5<br />
1. Ein Blick zurück 7<br />
1.1 Turbulente demographische Entwicklungen in Ostdeutschland<br />
seit mehreren Jahrzehnten 7<br />
1.2 ... und die Auswirkungen auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt 7<br />
2. Die demographischen Probleme sind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen 10<br />
2.1 Aus Erfahrungen werden Erwartungen 10<br />
2.2 Die Dominanz <strong>von</strong> KMU in Ostdeutschland geht häufi g einher mit fehlen<strong>der</strong><br />
strategischer Personalpolitik 13<br />
2.3 Die bereits sehr hohen Anfor<strong>der</strong>ungen an das Qualifi kationsniveau<br />
in <strong>der</strong> Chemie werden weiter steigen 14<br />
2.4 Die Überalterung <strong>der</strong> Beschäftigten in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie<br />
ist schon länger ersichtlich 15<br />
3. Es gibt erste Fachkräftelücken in <strong>der</strong> Chemie 17<br />
3.1 Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Suche nach Fachkräften 17<br />
3.2 Verantwortung für die Fachkräftesituation 18<br />
4. Auf den Wegen zur Fachkräftesicherung für die Zukunft 19<br />
4.1 Bildung als wichtigstes Gut für eine erfolgreiche Chemie 19<br />
4.1.1 Verstärkte Zusammenarbeit <strong>der</strong> Unternehmen mit Allgemeinbildenden Schulen 19<br />
4.1.2 Berufsausbildung im Betrieb und in den Berufsschulen 21<br />
4.1.3 Qualifi zierung im Fach- und Hochschulbereich 22<br />
4.1.4 Zunehmende Weiterbildungsaktivitäten 23<br />
4.2 Zielgruppenarbeit 25<br />
4.2.1 Integration <strong>von</strong> Jugendlichen 26<br />
4.2.2 Erfahrung bei den älteren Beschäftigten 27<br />
4.2.3 Frauen in <strong>der</strong> Chemie 29<br />
4.2.4 Ausländische Fachkräfte 32<br />
4.3 Personalwirtschaftliche Anreize 32<br />
4.3.1 Lohnentwicklung in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n 32<br />
4.3.2 Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf 34<br />
5 Abschluss 37<br />
Literatur 38<br />
Anhang 42<br />
Seite 3
Vorwort<br />
Das Land Sachsen-Anhalt hat in den zurückliegenden<br />
Jahren große Fortschritte bei <strong>der</strong> Anpassung an<br />
wettbewerbsfähige Strukturen gemacht. Dennoch<br />
zählt es im europäischen Maßstab noch zu den<br />
Regionen mit Entwicklungsrückstand und hoher Arbeitslosigkeit.<br />
Zu den wichtigsten Standbeinen <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />
Entwicklung zählt nach wie vor die Chemieindustrie<br />
mit ihren traditionsreichen Standorten. Umfassende<br />
traditionelle Chemiekompetenz verbindet sich hier<br />
mit hoher Chemieakzeptanz: wettbewerbsfähige<br />
Standortbedingungen und eine produktionsgerechte<br />
Infrastruktur kennzeichnen diese Region.<br />
Hier setzte das Pilotprojekt „Synthese“ mit einem<br />
ganzheitlichen Ansatz an. Die Qualifi zierungsför<strong>der</strong>werk<br />
Chemie GmbH Halle erhielt im Juni 2007<br />
durch den Landkreis Saalekreis, Eigenbetrieb für<br />
Arbeit (EfA) den Auftrag, die koordinierende Bearbeitungsstelle<br />
und das Projektmanagement für das<br />
Pilotprojekt „Synthese“ des Eigenbetriebes für Arbeit<br />
einzurichten und umzusetzen. Dieses Pilotprojekt<br />
berücksichtigte auf <strong>der</strong> Grundlage des Operationellen<br />
Programms des Landes Sachsen-Anhalt aus<br />
Mitteln <strong>der</strong> Technischen Hilfe des Europäischen Sozialfonds,<br />
das gesamte Spektrum <strong>der</strong> Instrumentarien<br />
<strong>der</strong> Arbeitsför<strong>der</strong>ung und sonstiger arbeitsmarktpolitischer<br />
Maßnahmen in Chemieunternehmen in<br />
Sachsen-Anhalt und wendete diese bedarfsorientiert<br />
an. Über einen gezielten Dialog und <strong>der</strong> Kooperati-<br />
Seite 4<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
on zwischen Arbeitsmarktakteuren, Bildungsträgern<br />
und Unternehmen wurden regionale Unternehmen<br />
gestärkt. Mit Beginn <strong>der</strong> Projektaktivitäten wurde ein<br />
Projektbeirat gegründet, dessen Vertreter ihre Erfahrungen<br />
zur Umsetzung <strong>der</strong> arbeitsmarktpolitischen<br />
Instrumentarien in das Projekt eingebracht haben.<br />
Dieses Gremium war mit Vertretern <strong>der</strong> Ministerien<br />
für Wirtschaft und Arbeit, für Finanzen sowie <strong>der</strong> Sozialpartner<br />
<strong>der</strong> chemischen Industrie, des Verbandes<br />
<strong>der</strong> chemischen Industrie e.V. und Industriegewerkschaft<br />
Bergbau, Chemie, Energie und des Präsidenten<br />
des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt<br />
besetzt.<br />
Mit <strong>der</strong> hier vorliegenden Broschüre will die Qualifi<br />
zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH (<strong>QFC</strong>) dazu<br />
beitragen, betriebliche Akteure für die aktuelle Fachkräftesituation<br />
und die sich daraus ergebenden personalpolitischen<br />
Anfor<strong>der</strong>ungen, zu sensibilisieren.<br />
Die <strong>QFC</strong> GmbH dankt dabei allen, die an dieser<br />
Expertise mitgewirkt und bei <strong>der</strong> Beschaffung <strong>von</strong><br />
Materialien und durch Interviews und Informationen<br />
behilfl ich waren. Unser beson<strong>der</strong>er Dank gilt dem<br />
Zentrum für Sozialforschung Halle e.V., das mit einem<br />
erfahrenen Team <strong>von</strong> Projektbearbeiterinnen<br />
die Broschüre in unserem Auftrag erstellt hat.<br />
Helmut Krodel<br />
Geschäftsführer<br />
Halle im August 2008
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Vorbemerkungen<br />
Der ostdeutsche Arbeitsmarkt ist seit <strong>der</strong> Wende<br />
<strong>von</strong> hoher Arbeitslosigkeit und einer außerordentlich<br />
großen Nachfrage an Ausbildungs- und Arbeitsplätzen<br />
geprägt. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor ein<br />
sehr ernstzunehmendes Problem. Allerdings verän<strong>der</strong>t<br />
sich die Problemlage: Aus <strong>der</strong> Ausbildungs- und<br />
Arbeitsplatzlücke für Arbeitssuchende in den letzten<br />
Jahren wird zukünftig eine Fachkräftelücke für die<br />
Unternehmen.<br />
Es fehlen bereits erste Spezialisten in verschiedenen<br />
Wirtschaftsbereichen und in <strong>der</strong> Zukunft wird für<br />
viele Qualifi kationen ein Fachkräftemangel erwartet,<br />
<strong>der</strong> sich vor allem aus den extrem sinkenden Schulabgängerjahrgangsstärken<br />
bei gleichzeitig erhöhtem<br />
Renteneintritt ergibt.<br />
Wenn dem Fachkräfteproblem nicht entgegengewirkt<br />
wird, kann es das Überleben vieler bisher erfolgreich<br />
am Markt agieren<strong>der</strong> Unternehmen gefährden.<br />
Aus diesem Grund wird in <strong>der</strong> Expertise das<br />
demographische Problem noch einmal dargestellt<br />
und es werden Wege beschrieben, um die bereits<br />
heute absehbare Entwicklung eines Fachkräftemangels<br />
abzuwehren.<br />
Die Expertise glie<strong>der</strong>t sich in vier Kapitel. Im ersten<br />
Kapitel werden die turbulenten demographischen<br />
Entwicklungen <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte in Ostdeutschland<br />
und <strong>der</strong>en Auswirkungen auf den ostdeutschen<br />
Arbeitsmarkt beschrieben. Im zweiten Kapitel wird<br />
thematisiert, dass das demographische Problem in<br />
vielen Unternehmen nach wie vor nicht angekommen<br />
ist. Im dritten Kapitel wird die aktuelle Fachkräftesituation<br />
für die Chemie Sachsen-Anhalt ausgewertet.<br />
Und im vierten und abschließenden Kapitel werden<br />
Wege aus <strong>der</strong> „demographischen Falle“ beispielhaft<br />
skizziert.<br />
Die Quellen für die Erstellung dieser Expertise sind<br />
vielfältig:<br />
Zum einen wurden Ergebnisse aus wissenschaftlichen<br />
Untersuchungen zusammengetragen, die in<br />
und um das zsh speziell zur ostdeutschen Entwicklung<br />
am Arbeitsmarkt in den letzten zehn Jahren erstellt<br />
wurden. Beson<strong>der</strong>er Dank gilt dabei dem Forschungsdirektor<br />
des zsh, Prof. Dr. Dr. h. c. Burkart<br />
Lutz1 , <strong>der</strong> sich unermüdlich seit Beginn <strong>der</strong> Wende<br />
für die Belange gerade <strong>der</strong> ostdeutschen Industrie eingesetzt<br />
hat sowie seinem gesamten Forscherteam. 2<br />
An <strong>der</strong> Erstellung <strong>der</strong> Ergebnisse im zsh waren Dipl.<br />
Soz. Sabine Böttcher (Erstellung <strong>der</strong> Fachkräftestudie<br />
an den drei besagten Chemiestandorten), Dipl.<br />
Soz. Christina Buchwald (Auswertung und Erstellung<br />
selbiger Studie, sowie <strong>der</strong> Mitarbeiterbefragung<br />
zum Thema „Vereinbarkeit <strong>von</strong> Erwerbstätigkeit und<br />
Familie“), Dipl. Soz. Thomas Ketzmerick (Son<strong>der</strong>auswertung<br />
<strong>der</strong> Beschäftigtenstatistik), Dipl.-Soz.<br />
Ingo Wiekert (Ergebnisse <strong>der</strong> Ausbildungsbefragung<br />
2006 in Sachsen-Anhalt) und Dipl.-Soz. Susanne<br />
Winge (Ergebnisse eines Kompetenzentwicklungsdatensatzes)<br />
beteiligt.<br />
Weiterhin wird in <strong>der</strong> Expertise neben den umfänglichen<br />
Arbeiten, die im zsh entstanden, auch auf aktuelle<br />
Ergebnisse bundesweit einschlägiger Wissenschaftseinrichtungen<br />
zurückgegriffen.<br />
Außerdem wird auf vielfältige Erfahrungen aus<br />
Fachgesprächen eingegangen, die in den letzten<br />
Jahren mit Unternehmern und wirtschafts- wie arbeitsmarktpolitischen<br />
Akteuren geführt wurden.<br />
Speziell für diese Expertise fanden im Sommer 2008<br />
Interviews (INT) zum Thema mit folgenden Experten<br />
statt:<br />
• INT1: Dr. Paul Kriegelsteiner (Hauptgeschäftsführer<br />
Arbeitgeberverband Nordostchemie)<br />
• INT2: Petra Reinbold-Knape (Landesbezirksleiterin<br />
IG BCE/Landesbezirk Nordost)<br />
1 Prof. Lutz wurde, nicht zuletzt auch wegen seines Engagements in den letzten 20 Jahren, am 6. Oktober 2008 <strong>von</strong> <strong>der</strong> Deutschen<br />
Gesellschaft für Soziologie für sein „hervorragendes wissenschaftliches Lebenswerk“ ausgezeichnet.<br />
2 Ausführliche Informationen zum Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. an <strong>der</strong> Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg (zsh)<br />
fi nden sich unter www.zsh-online.de.<br />
Seite 5
• INT3: Jürgen Jankowski (Leiter Personalwesen<br />
Seite 6<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
InfraLeuna GmbH)<br />
• INT4: Joachim Nowak (Betriebsrat InfraLeuna<br />
GmbH)<br />
• INT5: Toralf Müller und Thomas Huerthe<br />
Betriebsräte Guardian Flachglas GmbH<br />
Thalheim)<br />
• INT6: Barbara Rö<strong>der</strong> und Burkhard Plöschner<br />
(Betriebsräte MDSE mbH BT Bitterfeld).<br />
Zudem haben sich im April 2008 55 Unternehmen<br />
<strong>der</strong> Chemie und industrienaher Dienstleistungen<br />
<strong>der</strong> drei Chemiestandorte Bitterfeld-Wolfen, Leuna<br />
und Schkopau-Merseburg an einer repräsentativen<br />
Fachkräftebefragung beteiligt.<br />
Zum Thema „Vereinbarkeit <strong>von</strong> Erwerbstätigkeit und<br />
Familie“ kann ergänzend auf aktuelle Ergebnisse<br />
aus einer schriftlichen Befragung im Sommer 2008<br />
zurückgegriffen werden, an <strong>der</strong> 189 Mitarbeiter aus<br />
5 Unternehmen am Chemiestandort Bitterfeld-Wolfen<br />
teilnahmen.<br />
Allen Beteiligten sei noch einmal herzlich für die gute<br />
Zusammenarbeit und Unterstützung gedankt.<br />
Die Expertise wurde im Sommer 2008 für die Qualifi<br />
zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH (<strong>QFC</strong>) erarbeitet<br />
und konzentriert sich auf Problemlagen <strong>der</strong><br />
Fachkräfteentwicklung in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemieindustrie.<br />
Dipl.-Soz. Bettina Wiener<br />
Halle im September 2008
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Über mehrere Jahrzehnte hinweg konnte <strong>der</strong> jeweilige<br />
Bedarf an Humanressourcen, an Qualifi kation<br />
und Kompetenz, an Motivation und Leistung auf<br />
hochgradig zuverlässige Weise gedeckt werden<br />
(Lutz 1998, S.280 ff.). Ende <strong>der</strong> neunziger Jahre<br />
wurde deutlich, dass das sehr effi ziente und verlässliche<br />
Modell zur Rekrutierung, Ausbildung und<br />
qualifi katorischen Weiterentwicklung <strong>der</strong> Fach- und<br />
des größten Teils <strong>der</strong> technischen Führungskräfte<br />
zunehmen<strong>der</strong> Erosion ausgesetzt ist. (Lutz; Wiener<br />
2000, S. 39–69) Ein wesentlicher Grund liegt in den<br />
demographischen Verwerfungen, die sich in Ostdeutschland<br />
beson<strong>der</strong>s gut beobachten lassen:<br />
• Vorzieheffekte in <strong>der</strong> DDR führten zu extrem<br />
geburtenstarken Jahrgängen zwischen Mitte<br />
<strong>der</strong> siebziger und Mitte <strong>der</strong> achtziger Jahre;<br />
• darauf folgend kam es während <strong>der</strong> Wende zu<br />
einem völligen Einbruch und einem Rückgang<br />
<strong>der</strong> Geburtenzahlen teilweise auf ein Drittel,<br />
also <strong>von</strong> zwischenzeitlich 240.000 auf 80.000<br />
Geburten pro Jahr;<br />
Der ostdeutsche Arbeitsmarkt steht als Folge <strong>der</strong><br />
massiven demographischen <strong>Turbulenzen</strong> vor einem<br />
dramatischen Umschlag an Knappheitsverhältnissen.<br />
Die Ursachen dafür liegen in den sehr großen<br />
Unterschieden im Zustrom <strong>von</strong> Arbeitskräften zum<br />
Arbeitsmarkt sowie im Abstrom <strong>der</strong> Arbeitskräfte<br />
vom Arbeitsmarkt. 3<br />
Die demographischen Schwankungen führten dazu,<br />
dass <strong>der</strong> ostdeutsche Arbeitsmarkt seit Mitte <strong>der</strong><br />
1. Ein Blick zurück<br />
1.1 Turbulente demographische Entwicklungen in Ostdeutschland<br />
seit mehreren Jahrzehnten<br />
• die niedrigen Geburtenzahlen blieben in Ostdeutschland<br />
seit 1991 fast unverän<strong>der</strong>t gering<br />
bei nur noch ca. 100.000 Kin<strong>der</strong>n pro Jahr.<br />
Diese Entwicklungen (Lutz, Ketzmerick, Wiener<br />
1999) zeigen, dass spätestens seit <strong>der</strong> Unabhängigkeit<br />
<strong>der</strong> Frauen durch die Pille in den siebziger Jahren<br />
verstärkt mit demographischen Schwankungen<br />
gerechnet werden muss. Die Unregelmäßigkeiten in<br />
den Geburtenzahlen, die durch Selbstbestimmung<br />
entstehen, mögen auf den ersten Blick als Nachteil<br />
erscheinen. Der unübersehbare (auch gesellschaftliche)<br />
Vorteil besteht aber darin, dass die Frauen autonom<br />
über den Zeitpunkt und die Zahl <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>,<br />
die sie bekommen möchten, entscheiden und somit<br />
unter an<strong>der</strong>em auch ihre berufl ichen Karrieren besser<br />
planen können.<br />
Die Auswirkungen dieser demographischen Schwankungen<br />
sind zudem meist langfristiger Natur, so dass<br />
man sich im Bildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt<br />
rechtzeitig darauf vorbereiten könnte, wenn<br />
man diese Entwicklungen kontinuierlich beobachtet<br />
und die Schwankungen ernst nimmt.<br />
1.2 ... und die Auswirkungen auf den ostdeutschen Arbeitsmarkt<br />
90er Jahre bis in die Gegenwart mit zwei massiven<br />
Auswirkungen in Arbeitskräfteangebot und -nachfrage<br />
zu kämpfen hatte:<br />
(1) Die erste Auswirkung demographischer <strong>Turbulenzen</strong><br />
zeigte sich ein gutes Jahrzehnt lang in dem<br />
massiven Nachwuchskräfteangebot für den Berufsausbildungs-<br />
und Arbeitsmarkt, das nur in Teilen<br />
und teilweise sehr unbefriedigend bedient werden<br />
konnte.<br />
3 Aktuell hat Lutz (2008) in einer Expertise für die Otto-Brenner-Stiftung <strong>der</strong>zeitige Strukturen und zu erwartende Entwicklungen <strong>von</strong><br />
Beschäftigung und Arbeitsmarkt in <strong>der</strong> Metall- und Elektroindustrie in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n und ihre Bedeutung für die Interessenvertretung<br />
zusammengetragen.<br />
Seite 7
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Das Angebot an Nachwuchskräften war seit <strong>der</strong> Mitte<br />
<strong>der</strong> 90er Jahre bis vor einem Jahr als Spätfolge<br />
<strong>der</strong> aufwändigen Geburtenpolitik <strong>der</strong> DDR durch<br />
sehr starke Schulabgängerzahlen bestimmt, die<br />
ganz überwiegend einen dualen Ausbildungsplatz<br />
suchten.<br />
Die Zahl <strong>von</strong> Schulabgängern eines Jahrganges<br />
machte in den Spitzenzeiten mit rund 220.000 und<br />
240.000 Jugendlichen zwischen 4 und 5 Prozent<br />
des Gesamtbestandes an Erwerbstätigen in Ostdeutschland<br />
aus. Das ist doppelt so viel, wie bei sich<br />
nicht verän<strong>der</strong>nden Beschäftigtenzahlen gebraucht<br />
wird.<br />
(2) Die zweite Auswirkung demographischer <strong>Turbulenzen</strong><br />
spiegelte sich über mehr als ein Jahrzehnt in<br />
<strong>der</strong> geringen Nachfrage an Nachwuchskräften wie<strong>der</strong>,<br />
die schon bei gleichbleibenden Beschäftigungsbeständen<br />
zum Problem geworden wäre, aber bei<br />
den zu beobachtenden sinkenden Beschäftigtenzahlen<br />
noch viel massiver nachwirkte. Sie war die<br />
Folge ausgesprochen geringer Austrittszahlen <strong>von</strong><br />
Erwerbstätigen in Rente im gleichen Zeitraum.<br />
Die sehr geringen Abgangszahlen <strong>von</strong> jährlich rund<br />
80.000 bis 90.000 Personen brachten im Verhältnis<br />
zu den bis zu 2,5-fach höheren Zugangszahlen immense<br />
Probleme mit sich. Über die Folgen wird im<br />
Weiteren noch zu sprechen sein.<br />
Ursachen lagen vor allem in den massiven Frühverrentungsprogrammen<br />
<strong>der</strong> Jahre um 1990, die dazu<br />
führten, dass es über 10 Jahre hinweg kaum Beschäftigte<br />
in Ostdeutschland gab, die das gesetzliche<br />
Rentenalter erreichten. Vielmehr ging die große<br />
Zahl dieser Menschen aus Vorruhestandregelungen,<br />
Altersübergang o<strong>der</strong> Arbeitslosigkeit in Rente und<br />
machte somit auch keine Arbeitsplätze frei.<br />
In <strong>der</strong> betrieblichen Struktur äußerte sich die Entwicklung<br />
so, dass vor allem zwei Typen <strong>von</strong> Unternehmen<br />
mit sehr homogenen Altersstrukturen den<br />
Markt dominierten:<br />
Zum einen die sogenannten Olympiamannschaften<br />
(Behr 2001), die sich die ersten Jahre nach <strong>der</strong> Wende<br />
gründeten und vorrangig junge Mitarbeiter um die<br />
30 Jahre einstellten (beispielsweise im IT-Bereich).<br />
Diese Unternehmen hatten bisher keine nennenswerten<br />
Altersabgänge zu verzeichnen. 4<br />
Zum an<strong>der</strong>en die bereits heute überalterten Betriebe,<br />
die seit an<strong>der</strong>thalb Jahrzehnten, das Unternehmen<br />
gemeinsam aufrecht halten, oft wegen fehlendem<br />
Ersatzbedarf völlig ausbildungsunerfahren und<br />
-entwöhnt sind und in Kürze einen großen Teil ihrer<br />
Belegschaft in Rente verlieren.<br />
Die hier vorgestellten Ungleichgewichte waren und<br />
sind nicht nur konjunkturell bestimmt und <strong>von</strong> vorübergehen<strong>der</strong><br />
Art, son<strong>der</strong>n zeigen auch strukturelle<br />
Probleme. So schreibt Lutz, dass sich „offenkundig<br />
die meisten <strong>der</strong> überlebenden ostdeutschen Betriebe<br />
in diesem ungleichgewichtigen Zustand mehr<br />
o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> gut einrichten konnten:<br />
• Nachwuchs war nicht nur für alle Betriebe, die<br />
ausbilden wollten und konnten, überreichlich<br />
vorhanden.<br />
• Das Verdienstniveau liegt bis heute weit unter<br />
den westdeutschen Vergleichswerten5 .<br />
• Die erfahrenen, qualifi zierten Beschäftigten<br />
waren (und sind vielfach noch heute) froh,<br />
einen Arbeitsplatz zu haben und zu behalten<br />
und stellen wenig For<strong>der</strong>ungen – abgesehen<br />
vom Erhalt <strong>der</strong> Arbeitsplätze.<br />
• Es gibt in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n kaum<br />
Fluktuation zwischen den Betrieben.<br />
• Tarifverträge und tarifl iche Regelungen sowie<br />
<strong>der</strong> betriebspolitische Einfl uss <strong>von</strong> Betriebsräten<br />
spielten und spielen vor allem in <strong>der</strong><br />
großen Zahl <strong>von</strong> kleinen Betrieben kaum eine<br />
Rolle.“ (Lutz 2008a)<br />
4 Da es sich bei diesen Unternehmen um sehr homogene Altersstrukturen handelt, kann auf sie das Ablöseprobleme <strong>von</strong> Fachkräften<br />
und <strong>der</strong> Verlust <strong>von</strong> Erfahrungswissen in den nächsten 10 bis 15 Jahren zukommen, wenn die <strong>der</strong>zeitige Belegschaft <strong>von</strong> vorrangig<br />
40- bis 50-Jährigen das Rentenalter erreicht.<br />
Seite 8<br />
5 So verdienen z.B. die Fachkräfte in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemieindustrie nur zwei Drittel<br />
des westdeutschen Durchschnitts. (siehe Abbildung 1 im Anhang)
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Lutz führt weiter aus, dass sich „diese Bedingungskonstellation,<br />
die bisher vor allem mit Vorteilen für<br />
die Arbeitgeber verbunden war“ zu Gunsten <strong>der</strong><br />
Arbeitnehmer entwickeln wird. Nachdem ein gutes<br />
Jahrzehnt lang sehr starke Jahrgänge die ostdeutschen<br />
Schulen verlassen hatten, setzt jetzt ein massiver<br />
Rückgang <strong>der</strong> Schulabgängerzahlen ein6 . So<br />
werden im Jahr 2011 in allen neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
nicht einmal mehr halb so viele junge Männer und<br />
Frauen wie in den vergangenen Jahren die Allgemeinbildenden<br />
Schulen verlassen (Kultusministerkonferenz,<br />
20077 ).<br />
Durch die <strong>der</strong>zeit zunehmend stärkeren Alterskohorten,<br />
die das Rentenalter erreichen und neu zu<br />
besetzende Arbeitsplätze räumen, sowie durch<br />
den konjunkturellen Aufschwung seit 2006, <strong>der</strong> zur<br />
Entstehung neuer Arbeitsplätze führte, wurde die<br />
Diskussion um die Fachkräfteentwicklung entfacht.<br />
Während wirtschafts- wie arbeitsmarktpolitische<br />
Akteure jahrelang die Ausbildungsplatzlücke in Ostdeutschland<br />
und die Überqualifi zierung vieler ostdeutscher<br />
Beschäftigter thematisieren, sprechen<br />
dieselben Unternehmen jetzt <strong>von</strong> fehlendem qualifi<br />
ziertem Nachwuchs und einer sich androhenden<br />
Fachkräftelücke.<br />
Dieses Zusammenwirken <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ungen auf <strong>der</strong><br />
Angebots- und auf <strong>der</strong> Nachfrageseite wird in den<br />
nächsten Jahren im Beschäftigungssystem zur Herausbildung<br />
eines grundlegend an<strong>der</strong>en Ungleichgewichts<br />
<strong>führen</strong>. Der Forschungsdirektor des Zentrums<br />
für Sozialforschung Halle, Prof. Lutz, sprach bereits<br />
vor zehn Jahren <strong>von</strong> <strong>der</strong> demographischen Falle.<br />
Abbildung 1: Schulabgänger und 63jährige Beschäftigte in Ostdeutschland 2001–2020<br />
(absolute Zahlen)<br />
250000<br />
200000<br />
150000<br />
100000<br />
50000<br />
0<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
6 Unternehmen in den Chemieregionen berichten bereits <strong>von</strong> <strong>der</strong> Halbierung <strong>der</strong> Beweberzahlen im Jahr 2008. Dieser Rückgang<br />
<strong>der</strong> Bewerberzahlen in den Unternehmen geschieht zurzeit allerdings noch auf einem sehr hohen Niveau. „[…] wir haben ja heute<br />
noch in Betrieben für 50 Ausbildungsplätze 1000 Bewerbungen, dann haben wir zwar weniger als letztes Jahr, da waren es vielleicht<br />
2200, aber immerhin noch 1000.“ [INT2] In an<strong>der</strong>en weniger attraktiven Bereichen als in den großen Chemiebetrieben wird aber auch<br />
schon heute <strong>von</strong> quantitativ wie qualitativ unzureichenden Bewerberzahlen gesprochen.<br />
7 Prognose <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte: hochgerechnet aus dem Beschäftigtenpanel<br />
<strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit; neue Bundeslän<strong>der</strong>; absolute Zahlen<br />
63jährige Beschäftige Schulabsolventen<br />
2008<br />
2009<br />
2010<br />
2011<br />
2012<br />
2013<br />
2014<br />
2015<br />
2016<br />
2017<br />
2018<br />
2019<br />
2020<br />
Quelle: Schulabgänger; Prognose <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz 2007; sozialversicherungspfl ichtig Beschäftigte: hochgerechnet<br />
aus dem Beschäftigtenpanel <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit; neue Bundeslän<strong>der</strong>; absolute Zahlen<br />
Seite 9
Einige wirtschaftliche Akteure haben sich bereits<br />
frühzeitig mit den Langzeitfolgen dieser demographischen<br />
Verwerfungen auseinan<strong>der</strong>gesetzt und<br />
eine kontinuierliche Personalplanung in ihren Unter-<br />
Seite 10<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
nehmen versucht. An dieser Stelle sei noch einmal<br />
an den Nachwuchskräftepool in Leuna erinnert, mit<br />
dem ein Brückenschlag <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur<br />
Fachkräftelücke gelang. (Meier, Pauli, Wiener 2002)<br />
2. Die demographischen Probleme<br />
sind in vielen Unternehmen noch nicht angekommen<br />
Die in Kapitel 1 aufgeführten Entwicklungen aus <strong>der</strong><br />
demographischen Entwicklung und <strong>der</strong> damit verbundenen<br />
abnehmenden Bewerberzahl <strong>von</strong> Fachkräften<br />
werden <strong>von</strong> vielen Unternehmen noch nicht<br />
erkannt. Dementsprechend unvorbereitet agieren<br />
einige Unternehmer. Daraus könnten sich schwerwiegende<br />
Folgen für die Unternehmen ergeben:<br />
Sie könnten sich beispielsweise darin zeigen, dass<br />
es starke „<strong>Turbulenzen</strong> und Ungleichgewichte im<br />
Lohngefüge durch die Gewinnung neuer Spezialisten“<br />
gibt. So kann das Entlohnungssystem aus den<br />
Fugen geraten, wenn einzelne Spezialisten mit viel<br />
Geld in die Regionen und Unternehmen gelockt werden<br />
und mehr o<strong>der</strong> min<strong>der</strong> über Nacht eine deutliche<br />
Besserstellung als langjährig eingesetzte Mitarbeiter<br />
erfahren. Wichtig ist es, die Betriebe auf die<br />
Folgen für das gesamte Betriebsklima bei solchen<br />
Dass bei den Betrieben die demographischen Probleme<br />
noch nicht überall angekommen sind, belegen<br />
beispielhaft die nachfolgenden Ergebnisse einer im<br />
zsh durchgeführten Studie. 9 In einer Ausbildungsbefragung<br />
in den Bundeslän<strong>der</strong>n Brandenburg,<br />
Nie<strong>der</strong>sachsen und Sachsen-Anhalt wurden ausbildende<br />
Unternehmen nach den Erfahrungen mit <strong>der</strong><br />
Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen für die Berufsausbildung<br />
in den letzten Jahren befragt.<br />
2.1 Aus Erfahrungen werden Erwartungen<br />
Kurzfristreaktionen aufmerksam zu machen. Hier<br />
können die Tarifpartner mit Aufklärung präventiv und<br />
unterstützend einwirken. (Vgl. auch Lutz 2008a)<br />
Beson<strong>der</strong>s schwierig wird es, wenn sich <strong>der</strong> Fachkräftemangel<br />
auf die De-Industrialisierung <strong>von</strong> Regionen<br />
auswirkt, indem es zur Schließung o<strong>der</strong> Verlagerung<br />
wichtiger Industrieunternehmen kommt.<br />
Zwar entscheiden sich Unternehmen sehr selten<br />
zu einer Standortverlagerung, wenn Fachkräfte am<br />
Markt fehlen (in aktuellen Befragungen8 gaben das<br />
gerade einmal fünf Prozent als eine mögliche Option<br />
an). Kommt es aber zu einem solchen Entschluss,<br />
hat das starke negative Auswirkungen auch auf<br />
die Arbeitsfähigkeit <strong>der</strong> verbleibenden Betriebe am<br />
Standort. Solche Regionen leiden zunehmend unter<br />
<strong>der</strong> fehlenden Wirtschaftskraft und verlieren an<br />
Attraktivität für neue Ansiedlungen.<br />
In <strong>der</strong> repräsentativen Befragung ausbilden<strong>der</strong> Unternehmen<br />
2006 gaben ein Drittel <strong>der</strong> befragten<br />
Betriebe an, dass ihre Bewerberzahlen bereits gesunken<br />
seien. Interessant ist, dass für alle Betriebe,<br />
unabhängig <strong>von</strong> den Bewerberzahlen, zu diesem<br />
Zeitpunkt galt, dass sie über 90 Prozent ihrer Ausbildungsstellen<br />
besetzen konnten.<br />
8 fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008). www.fi scherappelt.de/Fachkraefteumfrage.pdf (download Mai 2008) und Befragung<br />
des zsh an drei Chemiestandorten in Sachsen-Anhalt 2008 (vgl. Kapitel 3)<br />
9 Zusammengefasste Ergebnisse einer zsh-Ausbildungsbefragung aus dem Jahr 2006 in: Lutz (2008) und Wiekert (2008)
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Abbildung 2: Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen in den letzten fünf Jahren<br />
Bisherige und erwartete Entwicklung <strong>der</strong><br />
Bewerberzahlen<br />
(Que lle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006; Spaltenprozent)<br />
Die Bewerberzahl ist in den<br />
letzten fünf Jahren<br />
Gesamt<br />
... gestiegen.<br />
... gleich<br />
geblieben.<br />
... gesunken.<br />
Folien-Nr.4 Datum 04.06.2008<br />
Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006<br />
28,9<br />
43,4<br />
27,7<br />
100,0<br />
Mehr als die Hälfte <strong>der</strong> Unternehmen (55 Prozent)<br />
gab zudem an, dass sie auch zukünftig nicht mit<br />
sinkenden Bewerberzahlen rechnen werden. Mit<br />
dem Hintergrundwissen um die extrem stark abneh-<br />
zsh<br />
Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.<br />
Abbildung 3: Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen in den nächsten Jahren<br />
Bisherige und erwartete Entwicklung <strong>der</strong><br />
Bewerberzahlen<br />
(Que lle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006; Spaltenprozent)<br />
Die Bewerberzahl ist in den<br />
letzten fünf Jahren<br />
Gesamt<br />
... gestiegen.<br />
... gleich<br />
geblieben.<br />
... gesunken.<br />
Folien-Nr.5 Datum 04.06.2008<br />
Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006<br />
28,9<br />
43,4<br />
27,7<br />
100,0<br />
menden Schulabgängerzahlen, die seit einiger Zeit<br />
auch überall in den Medien diskutiert werden, überraschte<br />
diese Antwort doch sehr.<br />
Die Bewerberzahl wird in<br />
den nächsten Jahren<br />
Gesamt<br />
... sinken.<br />
... nicht sinken.<br />
44,4<br />
55,6<br />
100,0<br />
zsh<br />
Zentrum fü r Sozialforsch ung Halle e.V.<br />
Seite 11
In <strong>der</strong> Studie wurde <strong>der</strong> Frage nachgegangen, wie<br />
es zu erklären ist, dass Verän<strong>der</strong>ungen, die <strong>von</strong><br />
sehr großer Bedeutung für die Unternehmen sind<br />
o<strong>der</strong> werden können, <strong>von</strong> vielen Betrieben auch<br />
dann (noch) nicht wahrgenommen werden, wenn<br />
sie offensichtlich sind? Die Wissenschaftler/innen<br />
kamen zu dem Ergebnis, dass offenkundig ein sehr<br />
deutlicher und enger Zusammenhang zwischen <strong>der</strong><br />
Einschätzung <strong>der</strong> zukünftigen Entwicklung <strong>der</strong> Bewerberzahlen<br />
auf <strong>der</strong> einen Seite und den eigenen<br />
aktuellen Erfahrungen <strong>der</strong> Betriebe mit dem tatsäch-<br />
Seite 12<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Abbildung 4: Aus Erfahrungen werden Erwartungen<br />
Aus Erfahrungen werden Erwartungen<br />
(Que lle: zsh-Ausbildungsbetriebsbefragung 2006; Tabellenprozent)<br />
Die<br />
Bewerberzahl<br />
... wird sinken.<br />
Gesamt<br />
... wird nicht<br />
sinken.<br />
Folien-Nr.6 Datum 04.06.2008<br />
Quelle: zsh-Ausbildungsbefragung 2006<br />
... ist nicht<br />
gesunken.<br />
48,9<br />
22,8<br />
71,6<br />
Knapp 30 Prozent <strong>der</strong> befragten Unternehmen hatten<br />
bereits Erfahrungen mit rückläufi gen Bewerberzahlen.<br />
Von diesen Betrieben rechnet realistischerweise<br />
fast je<strong>der</strong> auch in Zukunft damit, dass diese<br />
Entwicklung anhält o<strong>der</strong> sich noch verstärkt. Diese<br />
Unternehmen zeigen, dass sie sich rechtzeitig auf<br />
die neuen Verhältnisse einzustellen versuchen.<br />
Hingegen ist zu erwarten, dass viele Betriebe <strong>der</strong><br />
ersten Gruppe, die (noch) nicht <strong>von</strong> den Auswirkungen<br />
<strong>der</strong> massiven Verän<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Nachfrage<br />
lichen Rückgang <strong>der</strong> Zahl <strong>der</strong> Lehrstellenbewerber<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite besteht.<br />
Denn mehr als 70 Prozent <strong>der</strong> befragten Unternehmen<br />
sammelten noch keine Erfahrungen mit Bewerbermangel.<br />
Von diesen Unternehmen rechnen über<br />
zwei Drittel auch in Zukunft nicht mit einem Rückgang<br />
<strong>der</strong> Bewerberzahlen, wobei sie häufi g darauf<br />
verweisen, dass sie als Ausbildungsbetrieb attraktiv<br />
seien o<strong>der</strong> in beson<strong>der</strong>s attraktiven Berufen ausbilden<br />
würden.<br />
... ist<br />
gesunken.<br />
5,5<br />
22,9<br />
28,4<br />
Gesamt<br />
54,3<br />
45,7<br />
100,0<br />
zsh<br />
Zentrum fü r Sozialforsch ung Halle e.V.<br />
nach Fachkräften und vor allem in dem knappen<br />
Angebot an Fachkräften betroffen waren, überzeugt<br />
sind, dass sie auch in Zukunft mit ihren bis jetzt bewährten<br />
Verhaltensmustern gut zurechtkommen.<br />
„Diese Betriebe sind, so kann man ohne große Übertreibung<br />
formulieren, auf dem Weg in die Zeitfalle<br />
und werden dies mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit<br />
erst feststellen, wenn es zu spät ist, erfolgreich gegenzusteuern.“<br />
(Lutz 2008a)
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
2.2 Die Dominanz <strong>von</strong> KMU in Ostdeutschland geht häufi g einher<br />
mit fehlen<strong>der</strong> strategischer Personalpolitik<br />
Die Hälfte <strong>der</strong> Chemieunternehmen beschäftigt nicht<br />
einmal 10 Mitarbeiter. Auch wenn in den großen Unternehmen<br />
mit 250 und mehr Beschäftigten fast zwei<br />
Drittel <strong>der</strong> Mitarbeiter in <strong>der</strong> Chemie angestellt sind,<br />
ist die große Zahl <strong>der</strong> kleinen und mittelständischen<br />
Unternehmen (KMU10 ) nicht zu unterschätzen. Sie<br />
gehören mit einem Drittel <strong>der</strong> Beschäftigten ebenfalls<br />
zu den Leistungsträgern dieser Branche.<br />
Tabelle 1: Betriebe und Beschäftigte <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Betriebsgröße<br />
(Angaben in Prozent)<br />
Betriebe mit Betriebe Beschäftigte<br />
0 bis 9 Beschäftigten 50,5 2,2<br />
10 bi 49 Beschäftigten 26,7 9,5<br />
50 bis 249 Beschäftigten 15,8 26,8<br />
250 bis 499 Beschäftigten 2,7 14,4<br />
500 und mehr Beschäftigten 2,3 47,1<br />
100,0 100,0<br />
Quelle: Hauptverband <strong>der</strong> gewerblichen Berufsgenossenschaft, http://www.hvbg.de/d/pages/statist/unter/voll_betr/<br />
(download am 01.09.2008)<br />
Hinzu kommt, dass sich gerade in Ostdeutschland<br />
die Beschäftigtenzahlen noch etwas stärker auf<br />
die kleinen Unternehmen konzentrieren. (Vgl. Be-<br />
rechnungen des Beschäftigtenpanels im Anhang,<br />
Tabelle 1)<br />
Die wirtschafts- und beschäftigungspolitische Bedeutung<br />
<strong>der</strong> kleinen und mittleren Unternehmen<br />
wird in <strong>der</strong> Öffentlichkeit recht wenig wahrgenommen<br />
und diskutiert. Gerade wenn es um die Fragen<br />
<strong>der</strong> Bekämpfung <strong>von</strong> Arbeitslosigkeit und um neue<br />
Beschäftigung geht, beherrschen die großen Unternehmen<br />
im positiven wie im negativen Sinne die<br />
Schlagzeilen. Eine Stärke <strong>der</strong> deutschen Volkswirtschaft<br />
liegt aber unter an<strong>der</strong>em in dem hohen Anteil<br />
leistungsstarker kleiner und mittlerer Betriebe.<br />
Allein ein Blick auf die Statistik veranschaulicht die<br />
beson<strong>der</strong>e Rolle kleiner Unternehmen. Die positiven<br />
Beschäftigungseffekte kommen aus den kleinen<br />
Unternehmen, die im Gegensatz zum Beschäfti-<br />
gungsabbau in den mittleren und großen Unternehmen<br />
stehen. Die Beschäftigungsentwicklung und die<br />
Beschäftigungspläne signalisieren, dass <strong>der</strong> Mittelstand<br />
weiterhin mit einem soliden Wachstum rechnet.<br />
(Mittelstandsmonitor 2008, S.VI).<br />
Trotz eines Wandels in <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> KMU<br />
werden diese bis heute oft unterbewertet und wenig<br />
wahrgenommen. Wenn aber große Unternehmen<br />
immer mehr Beschäftigungsabbau und Ausglie<strong>der</strong>ungen<br />
betreiben, wird zum Erhalt <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> deutschen Volkswirtschaft die<br />
Sicherung <strong>der</strong> kleinen Unternehmen zunehmend<br />
wichtiger. Diese Unternehmen erhalten im Zuge <strong>der</strong><br />
Globalisierung und des Zusammenwachsens <strong>der</strong><br />
Weltwirtschaft sowie immer kürzerer Produktlebenszyklen<br />
aber nur eine Chance, wenn sie eine klare<br />
strategische Ausrichtung haben, ausgeprägtes Innovationsmanagement<br />
betreiben können und konsequente<br />
Kundenorientierung pfl egen. (Hartmann,<br />
Wiener, Winge 2006)<br />
10 Nach <strong>der</strong> KMU-Defi nition <strong>der</strong> EU handelt es sich um ein kleines o<strong>der</strong> mittleres Unternehmen, wenn die Mitarbeiterzahl unter 250<br />
Personen liegt und entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong> Jahresumsatz ≤ 50 Mio. Euro o<strong>der</strong> die Bilanzsumme ≤ 43 Mio. Euro ist.<br />
Seite 13
Dabei kommt dem Wissen und Können <strong>der</strong> Mitarbeiter<br />
im Unternehmen bei <strong>der</strong> Erhaltung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit<br />
immer größere Bedeutung zu. Der<br />
Erhaltung und dem Ausbau <strong>von</strong> Wissen und Können<br />
<strong>der</strong> Mitarbeiter dient die Personalentwicklung. Sie<br />
umfasst alle „Maßnahmen <strong>der</strong> Bildung, För<strong>der</strong>ung<br />
und <strong>der</strong> Organisationsentwicklung, die zielgerichtet,<br />
systematisch und methodisch geplant, realisiert und<br />
evaluiert werden.“ (Becker, 2002, S. 4)<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Dynamik in <strong>der</strong> Wirtschaft wird es<br />
gerade auch für kleine und mittelständische Unternehmen,<br />
die keine eigenständischen Personalabteilungen<br />
haben und bei denen vielfach die Ge-<br />
Seite 14<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
schäftsführung Personalfragen neben den sonstigen<br />
Aufgaben bearbeitet, immer wichtiger, <strong>der</strong> Personalentwicklung<br />
ein größeres Gewicht zu geben. Angesichts<br />
<strong>der</strong> dünnen Personaldecke und des geringen<br />
Zeitbudgets vieler Führungskräfte in kleinen und<br />
mittelständischen Unternehmen fehlt es häufi g an<br />
einer kontinuierlichen Personalarbeit. Hier können<br />
durch den Aufbau <strong>von</strong> Unterstützungsstrukturen,<br />
z. B. in Form <strong>von</strong> Nachwuchskräfte- und Qualifi zierungspools<br />
(Meier, Wiener, Winge 2007) sowie Arbeitgeberzusammenschlüssen<br />
(Hartmann, Meyer-<br />
Wölfi ng 2008), Führungskräfte auf dem Gebiet <strong>der</strong><br />
Personalentwicklung qualifi ziert und entlastet werden.<br />
2.3 Die bereits sehr hohen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
an das Qualifi kationsniveau in <strong>der</strong> Chemie werden weiter steigen<br />
Das Qualifi kationsniveau in <strong>der</strong> Chemieindustrie ist<br />
extrem hoch. Das zeigt sich beispielsweise darin,<br />
dass in <strong>der</strong> Chemie fast doppelt so viele Hochqualifi<br />
zierte (18 Prozent) beschäftigt sind, wie im Schnitt<br />
Tabelle 2: Beschäftigte <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Qualifi kationsgruppen<br />
(Angaben in Prozent)<br />
Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />
aller Branchen (10 Prozent). In Ostdeutschland liegt<br />
<strong>der</strong> Anteil sogar fast zwei einhalbmal so hoch (24<br />
Prozent).<br />
Qualifikation und Stellung im Betrieb Alte Län<strong>der</strong> Neue Län<strong>der</strong> Gesamt<br />
Hochqualifizierte und Führungskräfte 17,4 24,2 18,1<br />
Facharbeiter und Fachangestellte 59,8 59,4 59,8<br />
Un- und Angelernte 22,8 16,4 22,1<br />
100,0 100,0 100,0
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Außerdem zeigt sich bei den Hochqualifi zierten und<br />
Führungskräften ein höherer Anteil in den neuen<br />
Bundeslän<strong>der</strong>n als in den alten Bundeslän<strong>der</strong>n. Das<br />
unterscheidet die Chemie <strong>von</strong> an<strong>der</strong>en Branchen,<br />
in denen die Anteile <strong>der</strong> Höherqualifi zierten in Ost<br />
und West nur wenig differieren (Vgl. Lutz 2008a für<br />
die Metall- und Elektroindustrie). Die Unterschiede<br />
zeigen sich im Metall- und Elektrobereich eher bei<br />
den Facharbeitern und Fachangestellten, während<br />
in <strong>der</strong> Chemie in diesen Qualifi kationsstufen keine<br />
Unterschiede zu fi nden sind.<br />
In vielen Befragungen und Untersuchungen <strong>der</strong> letzten<br />
Jahre (beispielsweise Reinberg, Hummel 2004)<br />
wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass das hohe<br />
Qualifi kationsniveau weiter bestehen bleiben wird<br />
o<strong>der</strong> sich sogar weiter erhöht.<br />
Das heißt, dass mit dem Abgang älterer Beschäftigter<br />
nicht einfach ein Arbeitsplatzabbau verbunden<br />
werden kann, son<strong>der</strong>n dass viele Qualifi kationen<br />
durch junge Nachwuchskräfte ersetzt werden müssen.<br />
Hier wird <strong>der</strong> professionelle Umgang bei <strong>der</strong><br />
Übertragung des Erfahrungswissens <strong>von</strong> den Älteren<br />
auf die Jüngeren sehr wichtig.<br />
2.4 Die Überalterung <strong>der</strong> Beschäftigten in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie<br />
ist schon länger ersichtlich<br />
Ein Übergewicht <strong>der</strong> mittleren und älteren Altersgruppen<br />
ist in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie bereits seit<br />
längerem zu verzeichnen. Schon im Jahr 2000 führte<br />
das zsh, vom BMBF geför<strong>der</strong>t, in Zusammenarbeit<br />
mit dem Arbeitgeberverband Nordostchemie eine<br />
Personalstrukturerhebung durch, die dies eindeutig<br />
belegt.<br />
Mehr als ein Drittel <strong>der</strong> Beschäftigten befand sich in<br />
<strong>der</strong> Altersgruppe zwischen 40 und 49 Jahren. Mehr<br />
als ein Viertel <strong>der</strong> Beschäftigten war schon damals<br />
im Alter zwischen 50 und 59 Jahren. Diese beiden<br />
Altersgruppen bestimmten im hohen Maße das<br />
Durchschnittsalter in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie <strong>von</strong><br />
43,4 Jahren. (Böttcher, Meier, Wiener 2001)<br />
Das hauptsächliche Problem besteht darin, dass<br />
selbst Unternehmen, die bereits sehr frühzeitig, also<br />
vor ca. 8 bis 10 Jahren versucht haben, <strong>der</strong> demographischen<br />
Falle gegenzusteuern o<strong>der</strong> bei denen<br />
– wie am Chemiestandort Leuna – seit Jahren ein<br />
Beschäftigungszuwachs zu verzeichnen ist, nur<br />
begrenzt erfolgreich sein konnten, da auch sie äußeren<br />
Zwängen unterlagen. Dazu gehörten unter an<strong>der</strong>em<br />
die geringen Abgangszahlen älterer Beschäftigter<br />
in Rente. In <strong>der</strong> nachfolgenden Grafi k, die <strong>der</strong><br />
Personalleiter <strong>der</strong> InfraLeuna, Herr Jankowski, auf<br />
<strong>der</strong> Abschlussveranstaltung des Projektes Synthese<br />
präsentierte, wird dies für den Chemiestandort<br />
Leuna verdeutlicht:<br />
• So ist <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> älteren Beschäftigten in<br />
den letzten Jahren weiter angestiegen. Die Unternehmen<br />
am Standort Leuna haben nun in<br />
den nächsten 10 bis 15 Jahren massive Altersabgänge<br />
zu erwarten.<br />
• Man sieht aber auch, dass am Standort bereits<br />
versucht wurde, Nachwuchskräfte aufzubauen,<br />
so dass sich die Zahl <strong>der</strong> 20 bis 25-Jährigen<br />
– wenn auch auf sehr geringen Niveau – im<br />
Zeitraum zwischen 2000 und 2006 verdoppeln<br />
konnte. (Vgl. Abbildung 5)<br />
11 In dem Projekt „Synthese“ wurden mit einem ganzheitlichen Ansatz gezielt Kooperationen zwischen regionalen Arbeitsmarktakteuren,<br />
Bildungsträgern und Unternehmen aufgebaut, um dem Arbeitsmarkt passgenaue Fachkräfte zu<strong>führen</strong> zu können und insbeson<strong>der</strong>e<br />
Langzeitarbeitslose bei ihrem Integrationsprozess zu unterstützen. Die Qualifi zierungsför<strong>der</strong>werk Chemie GmbH wurde<br />
im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens des Projektträgers, Landkreis Saalekreis, Eigenbetrieb für Arbeit mit <strong>der</strong> Durchführung<br />
des Projektmanagements beauftragt.<br />
Seite 15
Abbildung 5: Personalstruktur am Chemiestandort Leuna im Vergleich 2000 zu 2006<br />
Seite 16<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
19.06.2008<br />
Personalstruktur am Chemiestandort Leuna<br />
Altersstruktur <strong>der</strong> Beschäftigten gesamt<br />
Beschäftigte 2000 Beschäftigte 2006<br />
0<br />
unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und<br />
älter<br />
Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung<br />
Jürgen Jankowski<br />
www.infraleuna.de<br />
Quelle: Daten <strong>der</strong> InfraLeuna. Eine detaillierte Darstellung <strong>der</strong> Altersstruktur am Standort Leuna nach Funktionen und<br />
Berufen ist im Anhang dargstellt (Jankowski 2008).<br />
Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin,<br />
dass vor allem die Höherqualifi zierten <strong>von</strong> <strong>der</strong> Überalterung<br />
betroffen sind (Vgl. hierzu auch Abb. 2 und<br />
3 im Anhang). Welche Spuren die extrem homoge-<br />
ne Altersstruktur vieler Betriebe bereits jetzt in <strong>der</strong><br />
Entwicklung ihrer Personalstruktur hinterlässt, soll in<br />
dem nächsten Kapitel verdeutlicht werden.
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
3. Es gibt erste Fachkräftelücken in <strong>der</strong> Chemie<br />
Zum Thema Fachkräfteentwicklung hat das Zentrum<br />
für Sozialforschung Halle e. V. (zsh) im Mai 2008 eine<br />
telefonische Umfrage an drei Chemiestandorten<br />
(Bitterfeld-Wolfen, Leuna und Schkopau-Merseburg)<br />
Je<strong>der</strong> vierte Betrieb – und das ist mehr als im bundesweiten<br />
Durchschnitt12 – sagt, dass sich bereits<br />
heute die Suche nach Fachkräften sehr schwierig<br />
gestaltet. Ein weiteres Viertel <strong>der</strong> befragten Unternehmen<br />
(24 Prozent) schätzt die Suche nach Fachkräften<br />
als schwierig ein. Nur elf Prozent sind <strong>der</strong><br />
Meinung, dass es leicht sei, Fachkräfte zu fi nden.<br />
In keinem <strong>der</strong> befragten Unternehmen ist man <strong>der</strong><br />
Ansicht, dass es sehr leicht sei, neue Fachkräfte zu<br />
rekrutieren.<br />
Weiterhin ergab die Untersuchung, dass kleine Betriebe<br />
die Suche nach Fachkräften schwieriger einschätzen<br />
als größere Unternehmen. Aufmerken lässt<br />
uns die Tatsache, dass etwas mehr als ein Drittel (35<br />
Prozent) <strong>der</strong> Befragten in den drei Chemieregionen<br />
sagt, dass sie aufgrund des Fachkräftemangels bereits<br />
heute Stellen nicht besetzen können.<br />
Trotz aktuell weiterhin sehr hoher Arbeitslosenquoten<br />
beklagen knapp drei Viertel <strong>der</strong> Unternehmen<br />
in den befragten Chemieregionen (71 Prozent) wie<br />
auch deutschlandweit über alle Branchen (70 Prozent)<br />
bereits heute, dass zu wenig passfähige Fachkräfte<br />
auf dem Arbeitsmarkt zu fi nden seien. Hier<br />
wird <strong>der</strong> seit Jahren bestehende Wi<strong>der</strong>spruch zwischen<br />
Arbeitskräfteüberschuss und gleichzeitigem<br />
Fehlen qualifi zierter Fachkräfte sehr deutlich. Ein<br />
großes Problem sieht die Hälfte <strong>der</strong> Unternehmen in<br />
<strong>der</strong> nach wie vor anhaltenden Abwan<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> gut<br />
qualifi zierten Fachkräften aus den befragten Chemieregionen.<br />
durchgeführt. Die Studie verdeutlicht, dass in <strong>der</strong><br />
ostdeutschen Chemie bereits erste Fachkräftelücken<br />
sichtbar werden. (Die Ergebnisse sind ausführlich in<br />
Wiener/Böttcher/Buchwald 2008 nachzulesen.)<br />
3.1 Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Suche nach Fachkräften<br />
Bei den Unternehmen, in denen bereits Stellen<br />
unbesetzt bleiben, wird <strong>der</strong> Bereich „Produktion“<br />
beson<strong>der</strong>s häufi g genannt, mehr als jedes zweite<br />
Unternehmen erlebt hier bereits Engpässe. Für den<br />
Bereich „Forschung und Entwicklung“ gab jedes vierte<br />
Unternehmen Probleme bei <strong>der</strong> Stellenbesetzung<br />
an. Dieser Wert ist ebenfalls sehr hoch, wenn man<br />
bedenkt, dass bei weitem nicht alle befragten Unternehmen<br />
Forschung und Entwicklung betreiben.<br />
Aus <strong>der</strong> unterschiedlich starken Suche nach Fachkräften<br />
in den einzelnen Bereichen ergibt sich natürlich<br />
auch eine unterschiedlich starke Nachfrage<br />
in den einzelnen Berufen. Im Durchschnitt ist jedes<br />
Unternehmen in zwei Berufsgruppen auf Fachkräftesuche.<br />
Gesucht werden vor allem folgende Qualifi<br />
kationen:<br />
Im Bereich Chemische Grundstoffe sind es vor allem<br />
Laborberufe (Chemielaboranten), bei den Chemischen<br />
Endprodukten Chemieproduktionsberufe<br />
(Chemikanten) und Chemiker (Dipl.-Chemiker, Chemieingenieure<br />
und Ing. für Verfahrenstechnik), aber<br />
auch Ausbil<strong>der</strong> und Industriemeister für Chemie. Bei<br />
den Industrienahen Dienstleistungen sind es Metall-<br />
und Elektroberufe (Industrie- und Anlagenmechaniker),<br />
ebenfalls Ausbil<strong>der</strong> und Industriemeister<br />
für Elektrotechnik und Metall, Technikerberufe (Chemietechniker<br />
und Techniker des Elektro- und Metallfachs)<br />
sowie naturwissenschaftliche und technische<br />
Ingenieure.<br />
12 Um die Ergebnisse <strong>der</strong> Befragung in die wirtschaftliche und arbeitsmarktpolitische Gesamtsituation einbinden zu können, wird an<br />
entsprechenden Stellen den Vergleich zu einer ebenfalls im Jahr 2008 durchgeführten bundesweiten Umfrage unter 1300 Unternehmen<br />
verschiedener Branchen herangezogen (fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008).<br />
Seite 17
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Ganz eindeutig zeigt sich, je höher die Qualifi kationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />
in den technischen Berufen sind,<br />
desto schwieriger wird es mit <strong>der</strong> Fachkräftesuche.<br />
Das mündet teilweise in die vergebliche Suche nach<br />
Ingenieuren, die unter an<strong>der</strong>em darin begründet ist,<br />
Wenn es um die Beseitigung des Fachkräftemangels<br />
geht, wird die eigene Verantwortung <strong>von</strong> Unternehmen<br />
weit oben angeführt. Rund 70 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen<br />
geben das in beiden Befragungen an.<br />
Nur die Verantwortung <strong>der</strong> Universitäten und Ausbildungsstätten<br />
wird mit rund 80 Prozent häufi ger<br />
genannt, was auf die hohen Qualifi kationsanfor<strong>der</strong>ungen<br />
vieler Mitarbeiter hinweist, die nur mit Unterstützung<br />
dieser Bildungseinrichtungen zu sichern<br />
sind. Qualifi zierte Tätigkeiten haben in <strong>der</strong> Chemie<br />
einen hohen Stellenwert, somit werden auch weit<br />
häufi ger als im Bundesdurchschnitt (41 vs. 26 Prozent)<br />
private Bildungseinrichtungen als Partner bei<br />
<strong>der</strong> Beseitigung des Fachkräftemangels gesehen.<br />
Bund, Län<strong>der</strong> und Kommunen (50 vs. 29 Prozent)<br />
sowie die Bundesagentur für Arbeit (44 vs. 8 Prozent)<br />
sind für die Unternehmen in den ostdeutschen<br />
Chemieregionen im Vergleich zur gesamtdeutschen<br />
Erhebung deutlich wichtiger. Hier wird sehr auf Zusammenarbeit<br />
und Unterstützung gesetzt. Diese<br />
Einschätzungen sind sicherlich auf gute Erfahrungen13<br />
zurückzu<strong>führen</strong>.<br />
Hingegen spielte die Eigeninitiative <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />
bei <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> befragten Chemieunternehmen<br />
in Sachsen-Anhalt eine deutlich geringere<br />
Rolle als im Bundesdurch-schnitt (39 vs. 58<br />
Prozent). Erfahrungen aus dem Projekt Synthese<br />
zeigen, dass sich das für viele Arbeitssuchende än<strong>der</strong>n<br />
lässt.<br />
Dass <strong>der</strong> Einsatz aller Akteure (Unternehmen, Agenturen,<br />
Verbände und Gewerkschaften, Kommunen,<br />
Seite 18<br />
3.2 Verantwortung für die Fachkräftesituation<br />
dass sich trotz guter Berufsaussichten die Ausbildungszahlen<br />
für technische Berufe und Studienrichtungen<br />
seit längerem rückläufi g entwickeln. (siehe<br />
dazu mehr in Kapitel 4)<br />
Län<strong>der</strong> und Bund sowie Beschäftigte und Arbeitssuchende)<br />
zur Fachkräftesicherung gebraucht wird,<br />
zeigt sich in den optimistischen Zukunftserwartungen<br />
<strong>der</strong> Chemieunternehmen in Sachsen-Anhalt.<br />
Mittelfristig, in den nächsten drei Jahren, erwarten<br />
fast alle <strong>der</strong> befragten Betriebe eine gleichbleibende<br />
(49 Prozent) o<strong>der</strong> sogar steigende (47 Prozent)<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Beschäftigtenzahlen. Diese optimistische<br />
Einschätzung <strong>der</strong> mittelfristigen Entwicklung<br />
<strong>der</strong> Beschäftigtenzahl geben vor allem Unternehmen<br />
<strong>der</strong> Wirtschaftsbereiche Chemische Endprodukte<br />
und industrienahe Dienstleistungen. Unternehmen<br />
<strong>der</strong> chemischen Grundstoffproduktion erwarten hingegen<br />
kaum Verän<strong>der</strong>ungen bei den Beschäftigtenzahlen.<br />
Im Vergleich zur mittelfristigen Perspektive fällt die<br />
Einschätzung <strong>der</strong> Beschäftigtenentwicklung in <strong>der</strong><br />
langfristigen Perspektive, für die kommenden zehn<br />
Jahre, noch einmal positiver aus. Hier erwarten 56<br />
Prozent <strong>der</strong> Unternehmen eine Zunahme. 40 Prozent<br />
<strong>der</strong> Unternehmen schätzen für diesen Zeitraum<br />
ein, dass sich die Anzahl <strong>der</strong> Beschäftigten in ihrem<br />
Unternehmen nicht verän<strong>der</strong>n wird.<br />
Deutliche Unterschiede in den Erwartungen zeigen<br />
sich in Abhängigkeit <strong>von</strong> <strong>der</strong> Betriebsgröße <strong>der</strong> Unternehmen.<br />
So erwarten 85 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen<br />
mit weniger als 50 Mitarbeitern eine Zunahme<br />
ihrer Beschäftigtenzahl. Bei den Unternehmen mit<br />
mehr als 50 Mitarbeitern sind dies nur 44 Prozent.<br />
Das heißt, gerade die kleineren Unternehmen, die<br />
es bei <strong>der</strong> Fachkräftesuche häufi g noch schwerer<br />
haben als die größeren, setzen in Zukunft auf qualifi<br />
zierte Verstärkung.<br />
13 Nicht zuletzt mit solchen Projekten wie dem eben abgeschlossenen „Synthese“, mit dem durch aufwendige Sozialisations- und<br />
Qualifi kationsmaßnahmen versucht wurde, Langzeitarbeitslose in qualifi zierte Tätigkeiten in <strong>der</strong> Chemie zu vermitteln.<br />
(Quelle: http://qfc.projekt-mia.de/main.php?lang=de&act=projects_detail&pid=34&subid=4, Download Juli 2008)
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
4. Auf den Wegen zur Fachkräftesicherung für die Zukunft<br />
Da wir <strong>von</strong> einzelnen Unternehmen bereits wissen,<br />
dass sie einschätzen, dass das Fachkräfteproblem<br />
bereits auf Kosten <strong>der</strong> Qualität ihrer Arbeit geht,<br />
wird es dringend notwendig, nach Wegen zur Fachkräftesicherung<br />
zu suchen. So berichten vor allem<br />
mittelständische Unternehmen da<strong>von</strong>, dass sie Entwicklungsprojekte<br />
zurückstellen müssen, wenn die<br />
entsprechenden Qualifi kationen durch Ingenieure,<br />
Einen ausreichenden Pool guter Fachkräfte kann eine<br />
Gesellschaft nur durch ein vorbildlich entwickeltes<br />
mo<strong>der</strong>nes Bildungssystem erreichen. Dafür tragen<br />
Politik, Wirtschaft und die Beschäftigten gleichermaßen<br />
Verantwortung. Die Bildung beginnt bereits im<br />
frühkindlichen Alter und mündet in ein Lebenslanges<br />
Lernen (LLL). In Deutschland werden seit längerem<br />
eine „mangelnde Ausbildungsfähigkeit“ vieler Jugendlicher<br />
und eine im internationalen Vergleich viel<br />
zu niedrige Studienberechtigtenquote festgestellt.<br />
Das steht im Wi<strong>der</strong>spruch zu den im Zusammenhang<br />
mit dem Wandel <strong>der</strong> Arbeitswelt wachsenden<br />
Aus- und Weiterbildungsanfor<strong>der</strong>ungen. Somit kam<br />
es bei vielen Beschäftigten in den letzten 15 Jahren<br />
zu deutlich höheren Anfor<strong>der</strong>ungen an Komplexität<br />
und theoretischem Anspruch. (Gehrke u. a. 2008)<br />
Auf die hohen Qualifi kationsansprüche in <strong>der</strong> Chemie<br />
wurde bereits in Kapitel 2 ausführlich eingegan-<br />
Techniker o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Fachkräfte fehlen. Die Vermeidung<br />
<strong>von</strong> Fachkräftelücken ist somit im Hinblick<br />
auf die Festigung <strong>der</strong> zukünftigen Wettbewerbsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> Regionen eine nicht zu unterschätzende<br />
Aufgabe. In diesem Kapitel werden unterschiedliche<br />
Ansätze, die bereits erprobt sind und Lösungen, die<br />
in diesem Zusammenhang diskutiert werden, vorgestellt.<br />
4.1 Bildung als wichtigstes Gut für eine erfolgreiche Chemie<br />
Der Fachkräftemangel wird als quantitatives sowie<br />
als qualitatives Problem diskutiert. Das <strong>von</strong> den Betrieben<br />
benannte Hauptproblem ist die abnehmende<br />
Zahl guter Bewerber für die Berufsausbildung.<br />
Die Unternehmen berichten, dass die Berufsausbildungsbewerber<br />
immer leistungsschwächer werden.<br />
gen. Bei den steigenden fachlichen Ansprüchen ist<br />
zu befürchten, dass sich die Schere zwischen Anfor<strong>der</strong>ungs-<br />
und Eignungsprofi l weiter öffnet. Hier kann<br />
nur mit Bildung entgegengewirkt werden. Umso<br />
wichtiger wird die Qualifi zierungsvereinbarung für<br />
die Chemieindustrie, die nach übereinstimmen<strong>der</strong><br />
Auffassung <strong>von</strong> BAVC und IG BCE zur Sicherung<br />
und Stärkung <strong>der</strong> Wettbewerbsfähigkeit <strong>der</strong> Chemieunternehmen<br />
sowie zum Erhalt und <strong>der</strong> Verbesserung<br />
<strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />
dient.<br />
Die Unternehmen müssen frühzeitig mit <strong>der</strong> Fachkräftesicherung<br />
beginnen, das heißt gemeinsam mit<br />
den Kin<strong>der</strong>tagesstätten, den Allgemeinbildenden<br />
Schulen und Berufsschulen sowie mit den Hochschulen<br />
daran arbeiten, das Interesse an Technik<br />
bei den Kin<strong>der</strong>n und Jugendlichen zu wecken und<br />
zu för<strong>der</strong>n.<br />
4.1.1 Verstärkte Zusammenarbeit <strong>der</strong> Unternehmen mit Allgemeinbildenden Schulen<br />
Die Wissenslücken zeigen sich, wie auch <strong>der</strong> Personalleiter<br />
<strong>der</strong> InfraLeuna auf <strong>der</strong> Synthese-Tagung<br />
am 04. Juni 2008 zusammenfasste, vor allem bei<br />
„Defi ziten in <strong>der</strong> Mathematik (wie Prozentrechnung,<br />
Dreisatz, Umrechnung <strong>von</strong> Maßeinheiten) und im<br />
Fach Chemie. Hinzu kommen Rechtschreibschwä-<br />
Seite 19
chen (die sich schon in fehlerhaften Bewerbungsschreiben<br />
zeigen) und Probleme in <strong>der</strong> Grammatik<br />
sowie beim Lesen. Weitere Defi zite zeigen sich im<br />
Sozialkunde- und Allgemeinwissen <strong>der</strong> Berufsausbildungsbewerber.“<br />
Das Problem fehlen<strong>der</strong> guter Schulabsolventen für<br />
die Berufsausbildung kann sich in den nächsten<br />
Jahren mit den geringer werdenden Bewerberzahlen<br />
noch verschärfen, da Erfahrungen <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
zeigen, dass mit abnehmenden Schulabgängerzahlen<br />
<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen, die sich dann für<br />
eine betriebliche Ausbildung entscheiden sinkt und<br />
<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Jugendlichen, die ein Studium beginnen,<br />
steigt. Das geht auf Kosten <strong>der</strong> Qualität <strong>der</strong> Berufsausbildungsbewerber.<br />
Die Ursachen für die abnehmende Qualität <strong>der</strong> Ausbildungsbewerber<br />
sind vielfältiger Natur. Ein Grund<br />
liegt in den seit Jahren steigenden Schulabbrecherquoten.<br />
So verließen im Schuljahr 2006/2007<br />
deutschlandweit fast 76.000 junge Menschen die<br />
Schule ohne Abschlusszeugnis, das waren 7,8 Prozent<br />
aller Abgänger aus Allgemeinbildenden Schulen.<br />
(Statistische Ämter des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong><br />
(2008)<br />
Ein an<strong>der</strong>er Grund besteht darin, dass das Interesse<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> und Jugendlichen für technische und naturwissenschaftliche<br />
Fächer extrem gering ist. „Dann<br />
wollen sie sich nicht die Hände schmutzig machen,<br />
und wenn die dann mal hier in den Betrieb reinkommen,<br />
[…] die sind völlig geplättet, das können die<br />
sich gar nicht vorstellen. Weil ja ein Großteil nur das<br />
Handy am Ohr hat und dann rumrennt: ‚Hurra, ich<br />
werd Superstar’.“ [INT5]<br />
So gilt es in Zukunft, bereits frühzeitig mit <strong>der</strong> Interessenbildung<br />
<strong>von</strong> Kin<strong>der</strong>n und Jugendli-chen<br />
für die Chemie zu beginnen. „Unser Bezirk Halle-Magdeburg<br />
arbeitet an einem Projekt, naturwissenschaftlich-technische<br />
Berufe in den Schulen, ja<br />
sogar schon in den Kin<strong>der</strong>gärten bekannt zu machen.<br />
Wichtig dabei ist, praktisch zu erkennen, dass<br />
Chemie nichts Schlimmes ist, im Gegenteil: Chemie<br />
Seite 20<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
bedeutet Zukunft.“ Das macht ja unser Bezirk Halle-<br />
Magdeburg auch sehr gut.“ [INT2]<br />
Für die vorberufl iche Bildung <strong>der</strong> Jugendlichen sollten<br />
sich nicht nur Allgemeinbildende Schulen, Berufsschulen<br />
und Betriebe son<strong>der</strong>n auch die Eltern<br />
gemeinsam verantwortlich fühlen. Vorbehalte gegenüber<br />
Chemie-Berufen gibt es nach wie vor, diese<br />
„existieren durch die Eltern und Großeltern, die betriebsbedingt<br />
entlassen worden sind … das fällt uns<br />
jetzt auf die Füße“ [INT3]. Umso schwieriger aber<br />
auch umso wichtiger ist die Information <strong>der</strong> Eltern<br />
über die Zukunft in <strong>der</strong> Chemie.<br />
Gerade Betriebe müssen mehr Berufsausbildungswerbung<br />
und Nachwuchsarbeit betreiben. Von allen<br />
Interviewpartnern wurden bereits bestehende Aktivitäten<br />
angeführt:<br />
Sommer- und Wintercamps für Schüler<br />
(organisiert zusammen mit <strong>der</strong> Bundesagentur<br />
für Arbeit);<br />
Vorstellung <strong>von</strong> Chemie- und chemienahen<br />
Berufe in den Schulen;<br />
Informationsveranstaltungen an den Chemiestandorten<br />
(hier könnten verstärkt auch Eltern<br />
beispielsweise zu den Tagen <strong>der</strong> offenen Tür<br />
mit eingeladen werden);<br />
Standort- und Unternehmensbesichtigungen;<br />
Schüler und auch Lehrer im Quartal für einen<br />
Tag in die Praxis integrieren;<br />
Mitarbeiter, Betriebsräte und Azubis gehen in<br />
die Klassen und erzählen etwas über die Berufsbil<strong>der</strong><br />
o<strong>der</strong> Sozialpartnerschaft im Betrieb<br />
und spielen mit den Schülern Verhandlungen<br />
durch. [Beispiele aus INT3 und INT4]<br />
Den Schulen fehlt es in vielen Fällen an technischer<br />
Infrastruktur. Um diese Lücken zu schließen, könnten<br />
Unternehmen mit Sachinvestitionen o<strong>der</strong> auch<br />
Personal helfen. Solche Investitionen sind ein Weg,<br />
Schüler frühzeitig für Technik zu interessieren und<br />
später leichter für den berufl ichen Eintritt zu gewinnen.<br />
„Dass du also den Jugendlichen mal vorführst:<br />
Wie sieht das in <strong>der</strong> Praxis aus, nicht nur das, was
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
angelesen wird. Ja, und das ist ja so eine Art Qualitätszertifi<br />
kat für Schulen. Wenn die Schulen gewillt<br />
sind, sich diesem Zertifi zierungsprozess zu unterziehen,<br />
sponsern wir mit Material für Chemieunterricht,<br />
Physikunterricht. O<strong>der</strong> mit Geld, machen eben Projekte.“<br />
[INT4] Es gibt also bereits einzelne Beispiele.<br />
Diese reichen aber bei weitem nicht aus. Allen<br />
Initiatoren sollte zudem bewusst sein, dass sich <strong>der</strong><br />
Erfolg erst mittel- bis längerfristig zeigen kann.<br />
Beson<strong>der</strong>s wichtig wird auch die Weiterbildung <strong>der</strong><br />
Lehrer, um sie an die Praxis in den Unternehmen<br />
heranzu<strong>führen</strong>. Diese Angebote, soweit sie bereits<br />
bestehen, werden noch viel zu wenig genutzt. „Ich<br />
hatte immer den Eindruck, irgendwo ist die Lehrerschaft<br />
ein Stück weit überfor<strong>der</strong>t, den Schülern etwas<br />
über die Berufswelt beizubringen. Nicht nur Lehrer,<br />
Das deutsche duale Ausbildungssystem und die<br />
Qualität seiner Absolventen werden weltweit anerkannt<br />
und geschätzt. Allerdings haben in den letzten<br />
Jahren zunehmend mehr Ausbildungsplatzbewerber<br />
keine Chance zur Berufsausbildung erhalten. Aktuell<br />
fällt die Entscheidung zwischen Ausbildung und externer<br />
Rekrutierung bei vielen Unternehmen vielfach<br />
gegen die eigene Ausbildung aus (nur rund ein Viertel<br />
aller Betriebe bilden aus14 ), die Ausbildungsquote<br />
in <strong>der</strong> ostdeutschen Chemie liegt bei 5,5 Prozent,<br />
also unter dem Gesamtdurchschnitt aller Branchen<br />
mit 8,5 Prozent. 15<br />
In den drei befragten Chemieregionen in Sachsen-<br />
Anhalt sind 2008 breite Ausbildungsaktivitäten zu<br />
fi nden. 89 Prozent aller befragten Unternehmen<br />
bilden aus und erfüllen eine überdurchschnittliche<br />
Ausbildungsquote <strong>von</strong> 9 Prozent. Die Übernahmequote<br />
liegt bei 68 Prozent, dabei werden <strong>von</strong> fast 40<br />
Prozent <strong>der</strong> Betriebe alle ausgebildeten Absolventen<br />
übernommen. Bei den Auszubildenden, die nicht<br />
übernommen werden, muss man damit rechnen,<br />
dass ein Großteil abwan<strong>der</strong>t und somit auch spä-<br />
14 Vgl. BIBB (2007a).<br />
15 Auswertung des Beschäftigtenpanels <strong>der</strong> BA<br />
son<strong>der</strong>n auch Eltern. Wir sind jetzt in <strong>der</strong> glücklichen<br />
Lage, dass sich das ein bisschen zum Positiven entwickelt,<br />
weil so viele Arbeitsplätze entstehen.“ [INT5]<br />
Mit einer Verbesserung <strong>der</strong> Beschäftigungssituation<br />
für Arbeitssuchende, fällt auch die Chemie wie<strong>der</strong> in<br />
ein besseres Licht.<br />
Der Hauptgeschäftsführer <strong>der</strong> Nordostchemie bringt<br />
die Aufgaben noch einmal auf den Punkt, indem er<br />
sagt: „Ich versuche jetzt ein stringentes Unterstützungssystem<br />
für Naturwissenschaften zwischen<br />
Kin<strong>der</strong>garten und Universitäten aufzubauen. Wir<br />
sind bisher punktuell vorgegangen, wir machen den<br />
Chemie-Kin<strong>der</strong>wettbewerb, wir unterstützen Patenschaften<br />
<strong>von</strong> Unternehmen und Schulen, wir spenden<br />
Geld, wir bilden Lehrer fort …, aber ein durchgängiges<br />
System haben wir nicht.“ [INT1]<br />
4.1.2 Berufsausbildung im Betrieb und in den Berufsschulen<br />
ter dem regionalen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung<br />
steht. Denn die Rückwan<strong>der</strong>ungsneigung Jugendlicher,<br />
die erst einmal in einer an<strong>der</strong>en Region Fuß<br />
gefasst haben, ist relativ gering.<br />
Die Ausbildungsaktivitäten werden in den nächsten<br />
Jahren nach Einschätzung <strong>der</strong> Betriebe aus <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />
Chemie weiter zunehmen. So<br />
wollen die meisten Unternehmen mittelfristig, also in<br />
den nächsten drei Jahren, die Anzahl ihrer Ausbildungsplätze<br />
beibehalten o<strong>der</strong> erhöhen. Das heißt,<br />
durch die Erhöhung <strong>der</strong> Ausbildungsaktivitäten bei<br />
gleichzeitigem Rückgang <strong>der</strong> Bewerberzahlen müssen<br />
die Unternehmen folglich verstärkt werben und<br />
rekrutieren, denn es wird noch schwieriger werden,<br />
entsprechend gut qualifi zierte Schulabgänger für industrielle<br />
Berufe zu gewinnen.<br />
In <strong>der</strong> praktischen Umsetzung <strong>der</strong> Berufsausbildung<br />
zeigen sich weitere Anfor<strong>der</strong>ungen. Bei den Inhalten<br />
<strong>der</strong> Berufsausbildung wird darauf verwiesen, dass<br />
manche Ausbildungen durch die ständige Weiterentwicklung<br />
zu komplex würden. An<strong>der</strong>e Ausbildungs-<br />
Seite 21
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
gänge seien auf veraltetem Wissensstand. Hier ist<br />
die Beteiligung an <strong>der</strong> Diskussion um die Berufsausbildung<br />
durch die Betriebe beson<strong>der</strong>s wichtig. Seit<br />
Mitte <strong>der</strong> 90er Jahre arbeiten die Experten des BIBB<br />
mit den Betriebspraktikern an <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>nisierung<br />
<strong>der</strong> Ausbildungsordnungen und <strong>der</strong> Schaffung einer<br />
Vielzahl neuer Berufe.<br />
Wie anspruchsvoll und komplex die Umsetzung<br />
einer optimalen Berufsausbildung ist, zeigt sich in<br />
unterschiedlichen Einschätzungen <strong>von</strong> Berufsbildungsexperten.<br />
Auf <strong>der</strong> einen Seite wird die Ausbil-<br />
In einer Studie vom Nie<strong>der</strong>sächsischen Institut für<br />
Wirtschaftsforschung (NIW), <strong>von</strong> <strong>der</strong> Nord/LB und<br />
dem zsh wird festgestellt, dass die Vermittlung und<br />
För<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> ‚Technikkompetenz’ in Deutschland<br />
über lange Jahre vernachlässigt worden ist. Trotz<br />
guter Berufsaussichten haben sich die Bewerberzahlen<br />
für technische Ausbildungsberufe und Studiengänge<br />
über Jahre hinweg rückläufi g entwickelt.<br />
So ist z.B. die Zahl <strong>der</strong> Absolventen ingenieurwissenschaftlicher<br />
Studiengänge in den letzten 10 Jahren<br />
(<strong>von</strong> 48.300 im Jahr 1996 auf 35.600 in 2006)<br />
um gut ein Viertel gesunken, während die Zahl <strong>der</strong><br />
Hochschulabsolventen insgesamt im gleichen Zeitraum<br />
um fast 10 Prozent angewachsen ist (<strong>von</strong> 202<br />
Tsd. auf fast 221 Tsd.). In <strong>der</strong> Konsequenz sind in<br />
<strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> unter 40-jährigen Bevölkerung in<br />
Deutschland schon heute weniger Akademiker mit<br />
ingenieurwissenschaftlicher Kompetenz vertreten<br />
als unter den 55–64-Jährigen. Insofern ist absehbar,<br />
dass sich, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Breite <strong>der</strong> Wirtschaft beklagte<br />
Ingenieurmangel, im Zuge <strong>der</strong> Verrentung <strong>der</strong> stark<br />
besetzten älteren Jahrgänge drastisch verschärfen<br />
wird. (Gehrke u. a. 2008; Heine 2006; Uhly 2007)<br />
In Ostdeutschland kam zu <strong>der</strong> geringen Studierfreudigkeit<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen ein weiterer Grund verschärfend<br />
hinzu. Angesichts <strong>der</strong> schlechten Arbeitsmarktchancen<br />
waren viele Gymnasialabsolventen<br />
aus den starken Kohorten <strong>der</strong> Schulabgänger be-<br />
Seite 22<br />
dungsqualität durch das duale Berufsbildungssystem<br />
in Deutschland als zuverlässig eingeschätzt. Auf<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wird aber auch <strong>von</strong> den Betrieben<br />
eine bessere Durchlässigkeit <strong>der</strong> Bildungssysteme<br />
angemahnt. Ein Weg wird beispielsweise in <strong>der</strong><br />
Umschulung angelernter, erfahrener Mitarbeiter zur<br />
IHK-Fachkraft gesehen. Auch modulare Ausbildungen<br />
werden angestrebt und mit den Kammern diskutiert.<br />
Allerdings darf durch solche Verän<strong>der</strong>ungen<br />
nicht die Attraktivität und Zuverlässigkeit <strong>der</strong> dualen<br />
Berufsausbildung gefährdet werden.<br />
4.1.3 Qualifi zierung im Fach- und Hochschulbereich<br />
strebt, rasch erwerbstätig zu werden. Sie bewarben<br />
sich zu Lasten Gleichaltriger mit niedrigerem Schulabschluss<br />
um einen <strong>der</strong> immer knapper werdenden<br />
betrieblichen Ausbildungsplätze. (Steiner 2007) So<br />
stieg die Zahl <strong>der</strong> Lehrstellenbewerber weiter an,<br />
während die Studierquote deutlich unter den westdeutschen<br />
Werten blieb (die vielfach den Ausbauplänen<br />
<strong>der</strong> Hochschulen zugrunde gelegt wurden).<br />
(Lutz 2008a)<br />
Von den Interviewpartnern wurde die befürchtete<br />
Fachkräftelücke gerade im Hochschulbereich mehrfach<br />
angemahnt. „Ich denke, dass es in dem ganzen<br />
Bereich <strong>der</strong> Studienabgänger – also Ingenieure und<br />
Techniker – ein starkes Problem geben wird. Das ist<br />
nicht so sehr in den Ballungsgebieten das Problem,<br />
da gibt es an<strong>der</strong>e Probleme. Das ist eher in den sehr<br />
stark ländlichen Strukturen ein Problem. Da muss<br />
man schon Anreize bieten. Das hat zum einen etwas<br />
mit <strong>der</strong> ländlichen Struktur, aber auch zum an<strong>der</strong>en<br />
mit <strong>der</strong> Bezahlung zu tun.“ [INT2]<br />
Neben <strong>der</strong> Berufsausbildung (87 Prozent) nutzen<br />
die Chemieunternehmen in Sachsen-Anhalt auch<br />
viele an<strong>der</strong>e Möglichkeiten zur Rekrutierung neuer<br />
Fachkräfte: Am häufi gsten wurde bei den zusätzlichen<br />
Wegen die Kontaktaufnahme und Bindung <strong>von</strong><br />
Studenten genannt (66 Prozent). Das kann durch<br />
die „Anbindung während <strong>der</strong> Studienzeit beispiels-
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
weise in Form <strong>von</strong> Praktika und Diplomarbeiten o<strong>der</strong><br />
auch durch kooperative Ausbildungsgänge, also die<br />
Kombination <strong>von</strong> Ausbildung und Studium geschehen.“<br />
[INT2] Neben „Praktika, Diplom-Arbeiten und<br />
Bachelor-Arbeiten müssen sich die Firmen an den<br />
Hochschulen auch selbst präsentieren, nicht nur<br />
durch die Vergabe <strong>von</strong> Arbeiten, son<strong>der</strong>n durch ihr<br />
Profi l und ihre Leistungspalette, die sie anbieten.<br />
Dadurch können sie sich dann auch besser positionieren.“<br />
[INT3] Solche Möglichkeiten können zum<br />
Beispiel bei den Kontaktbörsen <strong>der</strong> Hochschuleinrichtungen<br />
genutzt werden.<br />
Ergänzend wurde in <strong>der</strong> Befragung <strong>von</strong> Chemieunternehmen<br />
in Sachsen-Anhalt danach gefragt, ob<br />
die Betriebe eher passgenaue Fachkräfte (62 Prozent)<br />
einstellen o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Einstellung <strong>der</strong> Fachkräfte<br />
Qualifi zierungsanpassungen vornehmen (64<br />
Prozent). Zu sehen ist, dass jeweils zwei Drittel <strong>der</strong><br />
Unternehmen diese Wege nutzen. Außerdem wird<br />
<strong>von</strong> den Unternehmen häufi g auch überregional<br />
nach Fachkräften gesucht (62 Prozent).<br />
Wichtig sind für die Unternehmen nicht nur die formalen<br />
Abschlüsse, son<strong>der</strong>n auch die vermittelten<br />
Ausbildungsinhalte. Hier muss mehr Transparenz<br />
darüber bestehen, welche Kompetenzen bei Bewer-<br />
Ein Problem <strong>der</strong> Fachkräftesicherung liegt in zunehmend<br />
unausgeglichenen Altersstrukturen <strong>der</strong> Belegschaften<br />
und dem weitgehenden Fehlen <strong>von</strong> vorausschauen<strong>der</strong><br />
Personalpolitik beson<strong>der</strong>s in kleinen<br />
und mittelgroßen Firmen, die die Unternehmenslandschaft<br />
in Ostdeutschland bestimmen. „So haben<br />
die Unternehmen einen Großteil des <strong>von</strong> ihnen aktuell<br />
beklagten Fachkräftemangels bedingt durch wenig<br />
eigenständige ‚Nachwuchspfl ege’, unzureichende<br />
Ausbildungs- und Weiterbildungsanstrengungen,<br />
Freisetzung <strong>von</strong> qualifi zierten, vielfach älteren Kräften,<br />
in wirtschaftlich ungünstigen Phasen etc. selbst<br />
zu verantworten16 .“ (vgl. Gehrke u. a. 2008)<br />
4.1.4 Zunehmende Weiterbildungsaktivitäten<br />
bern mit bestimmten Abschlüssen zu erwarten sind.<br />
Das gilt ganz beson<strong>der</strong>s für die langsam zunehmende<br />
Zahl <strong>von</strong> Bewerbern mit Bachelor-Abschluss. Viele<br />
Unternehmen können damit noch nicht viel anfangen,<br />
durchschauen zudem das System nicht. Es gibt<br />
z.B. dreijährige und vierjährige Bachelorstudiengänge.<br />
Vielfach ist für die Unternehmen unklar, welche<br />
Funktionen diese Absolventen im Arbeitsprozess<br />
übernehmen können und wie sie zu entlohnen sind.<br />
Es gibt aber auch Betriebe, die bereits stark auf die<br />
neuen Bildungsabschlüsse setzen und weitere Qualifi<br />
kationsmodelle in Angriff nehmen. „Das ist meiner<br />
Ansicht nach die ideale Kombination. Da haben wir<br />
jetzt mit <strong>der</strong> Fachhochschule Merseburg einen Versuchsballon<br />
laufen, bei dem das Bachelor-Studium<br />
in die Berufsausbildung integriert ist. Da haben wir<br />
einen Elektroniker für Betriebstechnik, das sind vier<br />
Jahre Bachelor-Studium und da<strong>von</strong> ein Jahr Berufsausbildung.<br />
Die ersten zwei Jahre macht er ein<br />
BA-Studium, das dritte Jahr macht er Berufsausbildung<br />
und das vierte Jahr macht er dann wie<strong>der</strong> das<br />
BA-Studium. Der Vorteil ist, dass er praxisorientierter<br />
eingesetzt werden kann, er hat dann mehr Detailwissen<br />
und beherrscht wesentlich mehr auf <strong>der</strong><br />
Strecke Energietechnik, als die Bachelor ohnehin<br />
schon beherrschen.“ [INT 3]<br />
Wie wichtig Weiterbildung ist, wird beispielsweise im<br />
IT-Bereich sehr deutlich, weil das Wis-sen dort beson<strong>der</strong>s<br />
schnell veraltet. Die Unternehmen schätzen<br />
ein, dass <strong>der</strong> gestiegene Anspruch an Weiterbildung<br />
die meisten Tätigkeiten und Mitarbeitergruppen betrifft.<br />
Allerdings fehlt es in den meisten Unternehmen<br />
an einer systematischen Weiterbildung im Anschluss<br />
an die Berufsausbildung.<br />
Die Weiterbildung, als ein Weg zur Fachkräftesicherung,<br />
wird bei den befragten Chemieunternehmen,<br />
noch vor <strong>der</strong> Ausbildung mit 87 Prozent, in neun <strong>von</strong><br />
zehn Fällen (89 Prozent) genannt. Hier zeigt sich<br />
bereits ein hohes Bewusstsein zu diesem Thema.<br />
16 So investieren die Betriebe nach einer aktuellen VDI-Studie viel zu wenig in die Weiterbildung ihrer eigenen Belegschaften bzw.<br />
setzen dabei die falschen Schwerpunkte. Vgl. dazu Wirtschaftswoche Nr. 51/2007, S. 100–103: Die Mär vom Mangel.<br />
Seite 23
Allerdings sagt diese Bekundung <strong>der</strong> Unternehmen<br />
noch nichts über die Form und Qualität <strong>der</strong> Weiterbildung<br />
aus, weil „… es bei <strong>der</strong> Weiterbildung erst<br />
ganz langsam zum Wandel in den Betrieben kommt.<br />
Nicht nur immer speziell auf den einzelnen Arbeitsplatz<br />
abgestellt weiterzubilden, also learning by doing,<br />
son<strong>der</strong>n darüber hinaus sich mal so einen Pool<br />
<strong>von</strong> Menschen zu schaffen, die nicht alle hinterher<br />
Führungskraft werden, die aber zumindest bereitstehen<br />
und bestimmte Qualifi kationen haben. Es<br />
gibt einige Großbetriebe, die haben solche Weiterbildungsprogramme.“<br />
[INT2] Für tarifgebundene Unternehmen<br />
ist „Weiterbildung und Personalplanung<br />
mitbestimmungspfl ichtig. Wir haben eine Betriebsvereinbarung,<br />
die Qualifi zierung und Weiterbildung<br />
heißt.“ [INT4] Bei den vielen nicht tarifgebundenen<br />
Unternehmen sieht die Situation deutlich schwieriger<br />
aus.<br />
Die in Deutschland im internationalen Vergleich eher<br />
schwach ausgeprägte Weiterbildungsbeteiligung gilt<br />
nicht nur auf Seiten <strong>der</strong> Unternehmen, speziell bei<br />
KMU17 . Auch die individuelle Weiterbildungsbereitschaft<br />
<strong>der</strong> Beschäftigten ist tendenziell niedriger als<br />
in vielen an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n. Beson<strong>der</strong>s auffällige Abweichungen<br />
ergeben sich bei gering Qualifi zierten<br />
und älteren Beschäftigten18 .<br />
Das Engagement zur Weiterbildung bei den gering<br />
qualifi zierten Mitarbeitern im gewerblichen Bereich<br />
wird <strong>von</strong> den Unternehmen als beson<strong>der</strong>s schwierig<br />
eingeschätzt. Das hängt zum einen mit <strong>der</strong> Motivation<br />
<strong>der</strong> Beschäftigten zusammen, ist aber zum an<strong>der</strong>en<br />
auch auf fehlende Angebote <strong>der</strong> Betriebe zurückzu<strong>führen</strong>.<br />
Viele Unternehmen praktizieren ihre<br />
Seite 24<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Weiterbildung aus Kostengründen ausschließlich als<br />
„training-on-the-job“, um damit eine höhere Produktivität<br />
am gegenwärtigen Arbeitsplatz zu erzielen,<br />
ohne deutlich höhere Kosten einsetzen zu müssen.<br />
Die Diskussion um ein zu geringes Engagement in<br />
<strong>der</strong> Weiterbildung vor allem in kleineren und mittleren<br />
Unternehmen geht aber auch einher mit <strong>der</strong><br />
Diskussion um den Wandel <strong>von</strong> Lernformen. Neben<br />
den herkömmlichen Formen formalen Lernens o<strong>der</strong><br />
formaler Weiterbildung treten zunehmend „innovative“<br />
o<strong>der</strong> „neue“ Lernformen, wie arbeitsprozessnahes<br />
aber auch selbstgesteuertes Lernen, in den Fokus.<br />
Untersuchungen19 zu diesem Thema verweisen<br />
auf die wachsende Bedeutung dieser Lernformen<br />
gerade für kleinere und mittlere Unternehmen. Die<br />
lernför<strong>der</strong>liche Gestaltung <strong>von</strong> Arbeitsplätzen – gerade<br />
für Mitarbeiter geringerer Qualifi kation – kann<br />
Lernhemmnisse durch entsprechend ausgerichtete<br />
Angebote überwinden helfen. Exemplarisch sei hier<br />
auf die Dauer <strong>von</strong> Schulungen verwiesen: kürzere<br />
Einheiten mit vielen Wie<strong>der</strong>holungen entsprechen<br />
dem Lernstil <strong>von</strong> Mitarbeitern niedrigerer Qualifi kation<br />
eher als Tagesseminare mit voll gepacktem Programm.<br />
(Winge/ Wiener 2008)<br />
Mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach zunehmen<strong>der</strong> Sicherung<br />
<strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit Älterer muss auch die<br />
Lernkultur für Ältere verbessert werden. 20 Man muss<br />
wissen, dass ältere Menschen an<strong>der</strong>s lernen, und<br />
dass sie an<strong>der</strong>e Motivationen zum Lernen bewegen.<br />
In dem BIBB-Forschungsprojekt „Weiterbildungskonzepte<br />
für das spätere Erwerbsleben (WeisE)“ wurden<br />
Personalverantwortliche in Unternehmen nach<br />
Weiterbildungsangeboten für ältere Beschäftigte befragt.<br />
Es zeigte sich, dass spezielle Weiterbildungs-<br />
17 In <strong>der</strong> NIW-Studie 2008 steht: Deutschland belegt nach den Ergebnissen <strong>der</strong> dritten europäischen Erhebung zur betrieblichen<br />
Weiterbildung (CVTS 3) im Jahr 2005 unverän<strong>der</strong>t (zur Vorgängeruntersuchung aus 1999) nur im Mittelfeld. Bei wichtigen Kennziffern<br />
zur betrieblichen Weiterbildung sind zudem sogar Rückgänge zu verzeichnen gewesen. So nahmen <strong>der</strong> Anteil weiterbilden<strong>der</strong><br />
Unternehmen und <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Unternehmen, die Weiterbildung in Form <strong>von</strong> Kursen und Seminaren anbieten, ab. Zudem hat sich<br />
<strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Beschäftigten, die in Maßnahmen eingebunden sind, leicht rückläufi g entwickelt, während die direkten fi nanziellen<br />
Aufwendungen <strong>der</strong> Unternehmen für Weiterbildung (nominal) sogar um fast ein Viertel geschrumpft sind – bei unverän<strong>der</strong>ter Zahl<br />
<strong>der</strong> durchschnittlichen Weiterbildungsstunden je Beschäftigten (vgl. Behringer/Moraal/Schönfeld 2008). Während nach dieser Untersuchung<br />
lediglich 44 Prozent <strong>der</strong> Kleinunternehmen mit 10 bis 19 Beschäftigten Kurse anbieten, ist dies bei Großunternehmen mit<br />
mehr als 1000 Beschäftigten nahezu die Regel. Im internationalen Vergleich fällt damit das Weiterbildungsengagement <strong>von</strong> kleineren<br />
Unternehmen in Deutschland beson<strong>der</strong>s schwach aus (vgl. dazu auch Haak 2003).<br />
18 International vergleichende Analysen fi nden sich bei Behringer/Moraal/Schönfeld (2008), Schmidt (2007), OECD (2005) und in <strong>der</strong><br />
Zusammenschau bei Gehrke/Schasse (2006).<br />
19 Siehe auch Kailer, N. (Hrsg.) 2001: Betriebliche Kompetenzentwicklung. Wien: Linde o<strong>der</strong> Kriegesmann, B.; Lamping, S.; Schwering,<br />
M. 2002: Kompetenzentwicklung und Entwicklungsdynamik in KMU und Großunternehmen. Berichte aus <strong>der</strong> angewandten<br />
Innovationsforschung. Nr. 202, Institut für Angewandte Innovationsforschung Bochum.<br />
20 Aktuelle Auswertungen des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB 2008) belegen für Deutschland im Vergleich zu 26 europäischen<br />
Län<strong>der</strong>n eine unterdurchschnittliche Teilnahmequote älterer Beschäftigter.
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
angebote für Ältere bei Seminaren o<strong>der</strong> Workshops<br />
zu Themen wie Altersteilzeit o<strong>der</strong> Vorruhestand bei<br />
generationsspezifi schen Nachholbedarfen, wie z.B.<br />
bei den IuK-Technologien, Sinn machen. Sehr viel<br />
wichtiger als speziell didaktisch gestaltete Bildungsangebote<br />
für Ältere wurden aber kontinuierliche<br />
Weiterbildungen über den gesamten Berufsverlauf<br />
eingeschätzt. Außerdem sollten die Mitarbeiter spüren,<br />
dass ihr Expertenwissen und ihre Erfahrungen<br />
gefragt sind. (BIBB 2008)<br />
Der <strong>von</strong> <strong>der</strong> BAVC und IG BCE neuartige „Tarifvertrag<br />
Lebensarbeitszeit und Demografi e“, <strong>der</strong> 2008<br />
geschlossen wurde, berücksichtigt erste Aufgaben<br />
zum demographischen Wandel und greift damit die<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> alternden Gesellschaft auf.<br />
So sollen Anreize für eine längere Beschäftigung,<br />
beispielsweise durch Maßnahmen zur alters- und<br />
gesundheitsgerechten Gestaltung des Arbeitsprozesses<br />
mit dem Ziel <strong>der</strong> Verbesserung <strong>der</strong> Beschäftigungs-<br />
und Leistungsfähigkeit sowie durch Maßnahmen<br />
zur Qualifi zierung während des gesamten<br />
Erwerbslebens, gesetzt werden. (vgl. BAVC 2008)<br />
Wenn die zur Verfügung stehenden Fachkräfte für<br />
die Unternehmen nicht mehr ausreichen, müssen<br />
die Personalverantwortlichen Zielgruppen berücksichtigen,<br />
die bisher viel weniger im Mittelpunkt ihrer<br />
Rekrutierungsstrategien stehen. Hier lassen sich für<br />
die Zukunft eine Menge Potentiale ausschöpfen. Allerdings<br />
werden damit die Investitionen für gut ausgebildete<br />
und qualifi zierte Fachkräfte zeitlich und<br />
fi nanziell eher steigen.<br />
Auf vier Gruppen, jüngere und ältere Arbeitnehmer/<br />
innen, Frauen und ausländische Fachkräfte, soll im<br />
Weiteren ausführlicher eingegangen werden.<br />
Für die ersten beiden Gruppen <strong>von</strong> Beschäftigten,<br />
die unterschiedlichen Altersgruppen angehören, wird<br />
ein interessantes Ergebnis aus <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />
in Chemiebetrieben Sachsen-Anhalts<br />
4.2 Zielgruppenarbeit<br />
Ein weiterer Grund für die fehlende Motivation zur<br />
Weiterbildung bei den Beschäftigten kann in <strong>der</strong><br />
ungenügenden Anerkennung ihres Engagements<br />
liegen. „Wenn ich jetzt die Weiterbildung innerhalb<br />
des Unternehmens sehe: Viele Leute sind fl exibel<br />
ausgebildet, kriegen aber immer noch den gleichen<br />
Lohn, wie einer <strong>der</strong> hier nur Stapler fährt. Da sehen<br />
wir ein Riesenproblem auf das Unternehmen zukommen,<br />
weil auch die Motivation <strong>der</strong> Leute wichtig<br />
ist.“ [INT5]<br />
Unternehmen begründen geringe Weiterbildungsaktivitäten<br />
häufi g mit fehlendem Geld und zu geringen<br />
Zeitressourcen. Vielfach verbreitet ist auch die<br />
Meinung, erfolgreiche Unternehmen bräuchten keine<br />
Weiterbildung, Es sei abschließend zu diesem<br />
Thema angemerkt, dass in aktuellen Studien des<br />
zsh nachgewiesen wird, dass weiterbildungsaktive<br />
Unternehmen erfolgreicher sind als an<strong>der</strong>e. Diese<br />
Erfahrungen sollten unbedingt an die Unternehmen<br />
herangetragen werden. (Winge/Wiener 2008)<br />
vorangestellt. Dazu sei eingangs darauf hingewiesen,<br />
dass 91 Prozent <strong>der</strong> befragten Unternehmen<br />
<strong>der</strong> Aussage zustimmten, dass <strong>der</strong> demographische<br />
Wandel auf die Personalbeschaffung <strong>der</strong> Zukunft<br />
negative Auswirkungen haben werde. Trotz des hohen<br />
Problembewusstseins treten, wie im Folgenden<br />
abgebildet, Wi<strong>der</strong>sprüche im Rekrutierungsverhalten<br />
<strong>der</strong> Betriebe auf.<br />
So betonen zwar drei Viertel <strong>der</strong> Unternehmen (76<br />
Prozent), dass das Alter bei <strong>der</strong> Rekrutierung <strong>von</strong><br />
Arbeitskräften keine Rolle spielen würde, da Berufserfahrung<br />
wichtiger sei. Aber nur 49 Prozent <strong>der</strong><br />
Unternehmen geben an, bewusst auch Ältere einzustellen,<br />
obwohl bei denen eher Berufserfahrung<br />
zu erwarten wäre. Hier offenbaren sich in <strong>der</strong> Praxis<br />
große Potentiale <strong>der</strong> zukünftigen Arbeitskräfterekrutierung.<br />
Seite 25
Seite 26<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Gleichzeitig sagen 87 Prozent <strong>der</strong> Unternehmen,<br />
beson<strong>der</strong>s darauf zu achten, jüngere Arbeitnehmer<br />
einzustellen. Dies erklärt sich zum Teil aus <strong>der</strong><br />
Abbildung 6: Rekrutierung <strong>von</strong> Jungen und Älteren (Mehrfachnennungen)<br />
Wandel führt in Regionen<br />
zu Problemen bei <strong>der</strong><br />
Personalbeschaffung<br />
Alter spielt keine Rolle,<br />
Berufserfahrung ist wichtig<br />
Achten darauf, auch<br />
Jüngere einzustellen<br />
Stellen bewusst auch<br />
Ältere ein<br />
Quelle: zsh-Unternehmensbefragung für das <strong>QFC</strong> 2008<br />
Zurzeit besteht bereits bei Hochschulabsolventen ein<br />
erster Engpass. „Bei uns ist klar, dass in den nächsten<br />
fünf bis sechs Jahren mindestens 120 Beschäftigte<br />
durch Inanspruchnahme <strong>der</strong> Altersteilzeit ausscheiden<br />
werden. Aber, da sind wir im Prinzip auch schon<br />
gewappnet. Für die zu ersetzenden 120 haben wir<br />
jetzt schon 30, meist in Form <strong>von</strong> Doppelbesetzungen,<br />
an Bord. Das sind in aller Regel Trainees und<br />
Auszubildende o<strong>der</strong> zukünftige Trainees, die bei uns<br />
ein duales Studium absolvieren o<strong>der</strong> auch Werksstudenten.“<br />
[INT3] Es wird zum berufl ichen Einstieg<br />
wichtig sein, dass sie interessante Aufgabenfel<strong>der</strong> in<br />
ihrem zukünftigen Unternehmen erkennen und ein<br />
Gefühl <strong>von</strong> Perspektive und Sicherheit erhalten.<br />
Weiterhin kann sich das Unternehmen durch Berufsausbildung<br />
den eigenen Facharbeiternachwuchs<br />
heranbilden. Auch hier wird es mit abnehmen<strong>der</strong><br />
Bewerberzahl immer wichtiger gegen an<strong>der</strong>e Ausbil-<br />
49%<br />
4.2.1 Integration <strong>von</strong> Jugendlichen<br />
aktuellen Situation vieler überalterter Unternehmen,<br />
die versuchen müssen, eine Verjüngung <strong>der</strong> Belegschaften<br />
zu gewährleisten.<br />
76%<br />
87%<br />
91%<br />
dungsplatzanbieter durch gute Konditionen zu konkurrieren.<br />
Angebote einer längerfristigen Beschäftigungsperspektive<br />
im Anschluss an die Ausbildung<br />
und guter Entwicklungschancen auch über die Ausbildung<br />
hinaus werden hier zum Trumpf <strong>der</strong> Unternehmen.<br />
Wenn die Schulabgänger nicht mehr ausreichend für<br />
die Berufsausbildung zur Verfügung stehen, sollte<br />
nach Wegen gesucht werden, um aus dem Potential<br />
<strong>der</strong> Jugendlichen zu schöpfen, die aufgrund <strong>der</strong><br />
schwierigen Bedingungen <strong>der</strong> letzten zehn Jahre viel<br />
zu wenig Möglichkeiten bekamen, den Einstieg ins<br />
Erwerbsleben zu bewältigen. Diese Jugendlichen haben<br />
in einer Reihe <strong>von</strong> teilweise sehr aufwendigen<br />
För<strong>der</strong>programmen des Bundes, <strong>der</strong> ostdeutschen<br />
Bundeslän<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Bundesagentur für Arbeit<br />
sogenannte Maßnahmekarrieren durchlaufen. Vielfach<br />
wurden durch die Programme lediglich die beim
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Übergang <strong>von</strong> Schule in Erwerbstätigkeit zu überwindenden<br />
Schwierigkeiten <strong>von</strong> <strong>der</strong> „ersten Schwelle“<br />
(zwischen Schule und Ausbildung) an die „zweiten<br />
Schwelle“ (dem Übergang <strong>von</strong> Ausbildung in Erwerbstätigkeit)<br />
verschoben. Insgesamt ist ca. einem<br />
Drittel aller Schulabgänger aus den geburtenstarken<br />
Jahrgängen kein Einstieg in akzeptable Erwerbstätigkeit<br />
gelungen. 21 Selbst <strong>von</strong> den Jugendlichen <strong>der</strong><br />
geburtenstarken Jahrgänge, die einen guten Schulabschluss<br />
und eine abgeschlossene Berufsausbildung<br />
nachweisen konnten, hatten rund 20 Prozent<br />
nach zwei Jahren noch nie eine sozialversicherungspfl<br />
ichtige Beschäftigung gefunden. 22 Somit ist auch<br />
nicht erstaunlich, dass ein erheblicher Teil <strong>der</strong> ostdeutschen<br />
Jugendlichen nach Beendigung <strong>der</strong> Schule<br />
o<strong>der</strong> nach Abschluss <strong>der</strong> Berufsausbildung in die<br />
alten Bundeslän<strong>der</strong> abwan<strong>der</strong>te. (vgl. Lutz 2008b)<br />
„Die fehlenden Lösungsansätze für innovative und<br />
nachhaltige Maßnahmen für Jugendliche an <strong>der</strong><br />
zweiten Schwelle haben bereits jetzt dazu geführt,<br />
dass viele junge Erwachsene biographische Erfahrungen<br />
sammeln mussten, die ihre grundsätzliche<br />
Leistungsfähigkeit und Bereitschaft zur Integration in<br />
die Gesellschaft stark min<strong>der</strong>n. […] Die Gesellschaft<br />
muss unbedingt reagieren und sich stärker den<br />
Wenn es in den ostdeutschen Unternehmen nicht<br />
mehr nur um Arbeitsplatzabbau geht, sollten die Betriebe<br />
neben den jungen Fachkräften auch wie<strong>der</strong><br />
die älteren in ihr Blickfeld nehmen. Die überall zu beobachtende<br />
Skepsis gegenüber älteren Bewerber/<br />
innen ist gerade in den teilweise extrem überalterten<br />
ostdeutschen Unternehmen nicht zu verstehen, die<br />
ja zu einem immensen Teil durch diese Altersgruppe<br />
gestützt werden.<br />
4.2.2 Erfahrung bei den älteren Beschäftigten<br />
Problemen <strong>der</strong> Jugendarbeitslosigkeit, insbeson<strong>der</strong>e<br />
an <strong>der</strong> zweiten Schwelle, widmen, wenn sie nicht in<br />
kurzer Zeit mit den negativen Spätfolgen ihrer bisher<br />
zu wenig erfolgreichen Arbeitsmarktpolitik für diese<br />
junge Generation konfrontiert werden will.“ (Wiener,<br />
Meier 2006)<br />
Wenn man diese Jugendlichen für den Arbeitsmarkt<br />
(zurück)gewinnen will, muss relativ viel Kraft und Zeit<br />
investiert werden. Viele dieser Jugendlichen sind<br />
gar nicht mehr in <strong>der</strong> Lage o<strong>der</strong> waren noch nie in<br />
<strong>der</strong> Lage, einfachste gesellschaftliche Regeln und<br />
soziale Tugenden (wie Verlässlichkeit, Pünktlichkeit,<br />
Verantwortung übernehmen) zu leben. Die Aufbauarbeit<br />
für diese Jugendlichen, die für eine Beschäftigung<br />
fi tt gemacht werden sollen, kann nicht <strong>von</strong><br />
den Unternehmen geleistet werden. Sie sollte aber<br />
<strong>von</strong> Anbeginn mit ihnen zusammen und mit massiver<br />
Unterstützung <strong>der</strong> Arbeitsagenturen vorgenommen<br />
werden. Hier haben alle bisherigen „Gewinner“<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft ein Stück Verantwortung zu tragen,<br />
wenn nicht auf Dauer eine sehr große Gruppe <strong>von</strong><br />
Menschen <strong>von</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft ausgeschlossen<br />
bleiben soll und diese für alle Zeiten mit Subventionsleistungen<br />
belastet. 23<br />
Hörwick und Ben<strong>der</strong> (2006) schreiben: „Paradoxerweise<br />
haben sich viele Betriebe im Zuge <strong>der</strong> Rationalisierungswellen<br />
<strong>der</strong> letzten Jahre gerade dieser<br />
älteren Mitarbeiter in großer Zahl entledigt, die über<br />
diese aktuell so gefragten Kompetenzen in hohem<br />
Maße verfügen. ‚Nirgendwo in Europa verzichten die<br />
Firmen so rigoros auf das Potenzial älterer Arbeitnehmer<br />
wie in Deutschland. Nirgendwo an<strong>der</strong>s haben<br />
40-, 50- o<strong>der</strong> 60-Jährige so schlechte Chancen<br />
einen Job zu fi nden. Sechs <strong>von</strong> zehn Unternehmen<br />
in Deutschland beschäftigen gar keine Menschen<br />
mehr, die älter als fünfzig sind’ (Zons 2006, 3).“<br />
21 Vgl. am Beispiel eines Bundeslandes: Ketzmerick, Meier, Wiener (2007)<br />
22 Vgl. Prein (2005)<br />
23 Die mangelhafte Integration junger Menschen in die Arbeitswelt verursacht ganz erhebliche gesellschaftliche Folgekosten. Durch<br />
grundlegende bildungspolitische Weichenstellungen könnten für die Jahre 2007 bis 2015 insgesamt 13,4 Milliarden Euro an direkten<br />
und 15,9 Milliarden Euro an indirekten Kosten bei <strong>der</strong> Integration <strong>von</strong> Jugendlichen in Ausbildung und Beschäftigung eingespart<br />
werden. Hinzu kämen Wertschöpfungspotenziale durch den nachträglichen Erwerb <strong>von</strong> Berufsabschlüssen <strong>von</strong> gering qualifi zierten<br />
Arbeitnehmern in Höhe <strong>von</strong> 21,5 Milliarden Euro. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie, die im Auftrag <strong>der</strong> Bertelsmann<br />
Stiftung vom Institut <strong>der</strong> deutschen Wirtschaft Köln erstellt wurde. (Bertelsmann Stiftung 2008)<br />
Seite 27
Die Regel <strong>der</strong> Personalverantwortlichen <strong>der</strong> meisten<br />
ostdeutschen Unternehmen war in den letzten<br />
Jahren: Was ich habe, kenne ich; was ich bekomme,<br />
weiß ich nicht. Das heißt, Personalverantwortliche<br />
sind häufi g rekrutierungsentwöhnt und nur <strong>von</strong><br />
Personalabbauerfahrungen geprägt. „Sehen Sie, es<br />
ist schwer das Ru<strong>der</strong> umzulegen, wenn sie jahrelang<br />
Leute entlassen haben und entlassen mussten.<br />
[…] Die Vorstellung, den Fachkräften nachlaufen zu<br />
müssen und für Azubis in den Schulen aktiv zu werden,<br />
Werbung, Marketing für den eigenen Betrieb,<br />
Employer Branding zu betreiben, ist manch einem<br />
Personalverantwortlichen fremd.“ [INT1] Wenn dieser<br />
nun in die Lage versetzt wird, neue Fachkräfte<br />
einzustellen, ist ein Anspruch, möglichst gut durchmischte<br />
Altersstrukturen aufzubauen. Und dazu<br />
gehören auch die älteren Mitarbeiter, die mit ihrer<br />
Lebens- und Berufserfahrung ein großes produktives<br />
Potential einbringen können.<br />
Um die Beschäftigungsfähigkeit <strong>der</strong> Mitarbeiter, gerade<br />
auch im Interesse eines erhöhten Renteneintritts,<br />
lebenslang zu sichern, spielt das Gesundheitsmanagement<br />
eine immer stärkere Rolle, <strong>der</strong> sich<br />
jedes Unternehmen stellen kann und sollte. Nicht<br />
alle Maßnahmen können, wie das nachfolgende<br />
Beispiel, so aufwendig gestaltet werden. „Für Feuerwehrmänner<br />
haben wir ein komplettes Trainingsprogramm<br />
unter ärztlicher, professioneller Überwachung,<br />
weil das ja absolut entscheidend ist für die<br />
Ausübung des Berufes im Brandschutz. Das ist G<br />
26-3 <strong>der</strong> berufsgenossenschaftlichen Vorgabe. Dort<br />
machen wir ein Fitnessprogramm unter Anleitung,<br />
so dass die Gesun<strong>der</strong>haltung das Arbeiten so lange<br />
wie möglich gewährt. Das ist unser wichtigstes Projekt<br />
in dieser Form.“ [INT4]<br />
Der betriebliche Aufwand für Aktivitäten zur Gesun<strong>der</strong>haltung<br />
<strong>der</strong> Mitarbeiter/innen ist ganz unterschiedlich.<br />
An dieser Stelle sollen mögliche Maßnahmen<br />
vorgestellt werden. Organisiert werden<br />
können diese Angebote beispielsweise über eine<br />
Servicestelle, wie es sie am Chemiestandort Leuna<br />
bereits gibt:<br />
Seite 28<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
• Gesundheitsvorsorge, Prophylaxe<br />
o Physiotherapie: bspw. Rückenmassage am<br />
Arbeitsplatz mit o<strong>der</strong> ohne Kostenübernahme<br />
während <strong>der</strong> Arbeitszeit o<strong>der</strong><br />
o ergonomisch geformten Stühle, strahlungsarme<br />
Bildschirme<br />
o Getränkeversorgung und gesunde Kost in<br />
<strong>der</strong> Kantine<br />
o Unternehmenssport, an dem Mitarbeiter<br />
freiwillig und kostenlos teilnehmen können.<br />
Sie treffen sich zu Fußball, Volleyball, Badminton,<br />
Nordic Walking, Wirbelsäulengymnastik,<br />
Schwimmen, Wan<strong>der</strong>n u. a.<br />
o Fitnesscenter<br />
• (Betriebs-)ärztliche Untersuchungen<br />
o Untersuchungen nach berufsgenossenschaftlichen<br />
Vorgaben<br />
o erweiterte Untersuchungen wie Langzeit-<br />
EKG o<strong>der</strong> komplettes Check-Up<br />
In einigen Beispielen gibt es für diese Maßnahmen<br />
in <strong>der</strong> Betriebsvereinbarung ein Gesundheitsvorsorgeprogramm.<br />
Gerade in <strong>der</strong> Produktion ist es für viele Tätigkeiten<br />
trotz aller Gesundheitsvorsorge schwer vorstellbar,<br />
die Mitarbeiter/innen bis zum Renteneintritt dort zu<br />
beschäftigen. „Es fehlen Ausweicharbeitsplätze […]<br />
Sie arbeiten sieben Tage am Stück. Die Arbeiten<br />
draußen sind nicht ganz so einfach und wenn man älter<br />
wird, fällt einem das immer schwerer. Ich habe bei<br />
mir zum Beispiel einen Arbeitskollegen, <strong>der</strong> wird 60.<br />
Ich weiß nicht, wie die sich das in <strong>der</strong> Politik so vorstellen,<br />
dass die Leute in solchen Produktionsberufen<br />
dann bis 67 arbeiten gehen sollen. […] Solche Leute,<br />
gerade in <strong>der</strong> Produktion, sind meistens in <strong>der</strong> Lehre<br />
und beginnen dann gleich zu arbeiten. Die kommen<br />
auf über 40, auf 45 Arbeitsjahre. Ich denke mal, das<br />
ist <strong>von</strong> <strong>der</strong> Sache her genügend. Jemand <strong>der</strong> studiert<br />
und dann erst mit über 30 ins Arbeitsleben eintritt, das<br />
ist wie<strong>der</strong> was an<strong>der</strong>es. Die haben auch meistens die<br />
Ambition über 67 hinaus noch zu arbeiten.“ [INT5]
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Vor allem in <strong>der</strong> Schichtarbeit wird beklagt, dass dies<br />
sehr auf Kosten <strong>der</strong> Gesundheit geht und beson<strong>der</strong>s<br />
für ältere Mitarbeiter Belastungen mit sich bringt. So<br />
wünschen sich die Beschäftigten, dass für chronisch<br />
Kranke durch gesetzliche Regelung Erleichterungen<br />
im Arbeitsprozess geschaffen werden (z. B. durch<br />
Reduzierung <strong>der</strong> Wochenarbeitszeit o<strong>der</strong> Unterstützung<br />
bei dem Übergang in Altersteilzeit) 24 .<br />
„Wir haben ja bei uns in den Betrieben ganz viele<br />
Schichtarbeiter, Vollschichtarbeiter, das schaffst du<br />
nicht bis 67. Das heißt, da muss man auch intelligente<br />
Lösungen zum Ende des Arbeitslebens hin fi nden,<br />
eine Humanisierung auch deutlicher für diese<br />
hinbekommen. […] Dazu zählt natürlich auch unser<br />
Tarifvertrag, aber da muss es mehr geben.“ [INT2]<br />
Buck schreibt bereits 2001, dass die Unternehmen<br />
vor <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung stehen, ausgewogene Altersstrukturen<br />
zu schaffen und ihre Rekrutierungsstrategien,<br />
die ausschließlich auf den angeblich<br />
leistungsfähigeren und innovativeren jüngeren Mitarbeiter<br />
setzen, spätestens dann zu überdenken,<br />
wenn nicht mehr genügend jüngere Mitarbeiter zur<br />
Verfügung stehen. Einige Unternehmen reagieren<br />
Die Frauenquote in <strong>der</strong> Chemie ist relativ gering,<br />
vor allem bei den Un- und Angelernten, aber auch<br />
bei den Hochqualifi zierten. Dabei gibt es allerdings<br />
4.2.3 Frauen in <strong>der</strong> Chemie<br />
Tabelle 3: Frauenquote in <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Qualifi kationsgruppen<br />
(Angaben in Prozent)<br />
bereits mit einer „demografi efesten Personalpolitik“.<br />
„Indem wir jetzt z. B. durch Umqualifi zierung an<strong>der</strong>e<br />
Arbeitsplätze für solche Kollegen schaffen, die in<br />
ihrem Berufsbild nicht mehr tätig sein können, aufgrund<br />
gesundheitlicher Einschränkungen […] Ein<br />
Feuerwehrmann kann zum Beispiel zum Werkschutz<br />
gehen und Tordienst machen“ [INT4]<br />
Das heißt, die Unternehmen müssen eine alternsgerechte<br />
Arbeits- und Personalpolitik entwickeln.<br />
Dazu sollten zugunsten ausgewogener Altersstrukturen<br />
drastische Rekrutierungs- und Berentungswellen<br />
vermieden werden. Ungerechtfertigte Vorurteile<br />
über die Leistungsfähigkeit älterer Mitarbeiter müssen<br />
abgebaut werden. Außerdem sollten einseitige<br />
Spezialisierungen <strong>von</strong> Mitarbeitern, welche in<br />
berufl iche Sackgassen <strong>führen</strong> vermieden werden,<br />
vielmehr geht es um die Aktivierung und För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Kompetenzen aller Beschäftigten. Der Transfer<br />
<strong>von</strong> Erfahrungswissen zwischen den betrieblichen<br />
Altersgruppen muss geför<strong>der</strong>t werden und eine alternsgerechte<br />
Arbeitsgestaltung und betrieblichen<br />
Gesundheitsför<strong>der</strong>ung, bereits bei den jungen Mitarbeitern<br />
beginnend, wird zunehmend wichtiger.<br />
(Buck 2001)<br />
deutliche Unterschiede zwischen Ost und Westdeutschland.<br />
Qualifikation und Stellung im Betrieb Alte Län<strong>der</strong> Neue Län<strong>der</strong><br />
Hochqualifizierte und Führungskräfte 22 40<br />
Facharbeiter und Fachangestellte 36 45<br />
Un- und Angelernte 23 40<br />
Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />
24 Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung am Standort Bitterfeld-Wolfen für das <strong>QFC</strong><br />
Seite 29
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Umso erstaunlicher waren die Ergebnisse <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />
2008. Darin wurde neben<br />
dem Rekrutierungsverhalten <strong>der</strong> Betriebe nach unterschiedlichen<br />
Altersgruppen geson<strong>der</strong>t auch nach<br />
<strong>der</strong> Rekrutierung weiblicher Fachkräfte gefragt.<br />
Abbildung 7: Noch keine Zunahme bei Rekrutierung <strong>von</strong> Frauen<br />
Wandel führt in Regionen<br />
zu Problemen bei <strong>der</strong><br />
Personalbeschaffung<br />
Wir stellen zunehmend<br />
Frauen in unser<br />
Unternehmen ein, ...<br />
um berufliche Chancen <strong>der</strong><br />
Frauen zu erhöhen<br />
weil Frauen bessere<br />
soziale Kompetenzen<br />
haben<br />
weil immer mehr männliche<br />
Fachkräfte fehlen<br />
10%<br />
12%<br />
11%<br />
Quelle: zsh-Unternehmensbefragung für das <strong>QFC</strong> 2008<br />
In den befragten Unternehmen an den Chemiestandorten<br />
in Sachsen-Anhalt werden Frauen bisher kaum<br />
als zusätzliche Zielgruppe gesehen. Zur Erinnerung<br />
sei noch mal gesagt, dass die meisten Unternehmen<br />
(91 Prozent) Probleme bei <strong>der</strong> Personalbeschaffung<br />
erwarten. Trotzdem bejahten die nachfolgenden Argumente,<br />
verstärkt Frauen einzustellen, nur jeweils<br />
zehn bis zwölf Prozent <strong>der</strong> Unternehmen. Bei den<br />
benannten Gründen – die berufl ichen Chancen <strong>der</strong><br />
Frauen zu erhöhen, ihre sozialen Kompetenzen zu<br />
nutzen, o<strong>der</strong> sie wegen fehlen<strong>der</strong> männlicher Fachkräfte<br />
einzusetzen – sind keine nennenswerte Unterschiede<br />
zu erkennen.<br />
Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen ist das<br />
Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern sehr<br />
geschrumpft und <strong>der</strong> Anteil junger Mädchen, die sich<br />
für Berufe in diesen Fächern interessieren, enorm<br />
gering. „Das ist nach wie vor das Thema, dass sich<br />
Seite 30<br />
Diese Zielgruppe rückte kaum in das Blickfeld <strong>der</strong><br />
Chemieunternehmen. Hier offenbaren sich sicherlich<br />
noch viele ungenutzte Potentiale für die Zukunft.<br />
(Abb. 7)<br />
91%<br />
die Mädchen für Chemie-Berufe wenig interessieren<br />
– mit Ausnahme Laborant –, für die technischen Berufe<br />
gleich gar nicht. Das ist eigentlich unser leidiges<br />
Problem. Wir sind sehr offen für Mädchen, sowohl in<br />
technischen Berufen, wie auch im Chemikanten-Bereich.<br />
Aber, wie gesagt, das Interesse <strong>der</strong> Mädchen<br />
geht nach wie vor in an<strong>der</strong>e Bereiche: Florist, Friseuse,<br />
Kosmetikerin und was nicht alles.“ [INT3]<br />
Zum an<strong>der</strong>en werden einige Tätigkeiten <strong>von</strong> den Interviewpartner/innen<br />
wegen ihrer körperlichen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
und Gefährdungspotentiale für Frauen<br />
gar nicht als Arbeitsbereich erwogen. „Wir hatten<br />
mal ganz am Anfang in <strong>der</strong> Produktion einen Versuch<br />
gestartet. Da waren dann Frauen in <strong>der</strong> Produktion<br />
eingestellt, aber dagegen spricht, dass es körperliche<br />
Arbeit ist. [...] Schwer ist es nicht, aber es ist in<br />
<strong>der</strong> Halle sehr warm. Dann haben wir natürlich auch<br />
Abteilungen, da sind Temperaturen <strong>von</strong> 70 Grad.
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
[…] Wo dann im Endeffekt auch körperlich gearbeitet<br />
werden muss und Ausdauer gebraucht wird. Und<br />
man muss sagen, da ist wirklich eine Unterscheidung<br />
zu machen. Damals in dieser Probezeit, in <strong>der</strong> man<br />
versucht hat Frauen einzustellen, das war schwierig.<br />
Also das hat nichts mit frauenfeindlich zu tun. Also<br />
die ganzen Arbeiten sind sehr schwierig für Frauen<br />
zu machen. […] In <strong>der</strong> Regel werden unsere Arbeiten<br />
ja <strong>von</strong> Maschinen, Kränen, Gabelstaplern o<strong>der</strong><br />
<strong>der</strong>gleichen gemacht, aber wie z.B. die Arbeit hinten<br />
im Lager. […] Da haben Männer schon Schwierigkeiten<br />
das Gestänge zu bewegen. Da geht’s nicht<br />
an<strong>der</strong>s als mit <strong>der</strong> Hand. Dann haben wir Spannmaschinen,<br />
gut – wir haben jetzt seit 2 Jahren zwar<br />
umgesattelt auf leichtere, wir haben Spannmaschinen,<br />
die sind auch ziemlich schwer und die müssen<br />
wir auf <strong>der</strong> Leiter in ziemlicher Höhe halten und das<br />
ist auch nicht ganz so einfach. […] Und wenn die mit<br />
Staplern bewegt werden, da müssen sie die Seile<br />
einhängen und <strong>der</strong>gleichen und da muss man schon<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong> Voraussetzung her ne ziemlich große Frau<br />
haben. Das ist dann immer so: Stapler hoch, runter<br />
und wenn man das in <strong>der</strong> Schicht so 80 Mal macht,<br />
geht das auch ziemlich auf die Knochen. Die Frauen,<br />
die da waren, haben <strong>von</strong> sich aus gesagt: ‚Das ist<br />
nichts für mich’. „[INT5]<br />
„Jedes Unternehmen hat da eine an<strong>der</strong>e Kultur.<br />
Manche Unternehmen sagen, nach Möglichkeit ist<br />
ein Chemikant bei mir männlich. Aber wir haben<br />
hier das allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, so<br />
dass man bei den Bewerbungskriterien nicht unterscheiden<br />
darf zwischen männlich und weiblich. Das<br />
sind ja chemische Berufe und da sind bestimmte<br />
Gefährdungspotentiale dabei. Und da muss man<br />
eben auch aufpassen: Ist das jetzt wirklich gut für<br />
eine Frau? Es ist sowieso nicht gut, aber wenn ich<br />
jetzt eben schwere Lasten heben muss o<strong>der</strong> was<br />
bewegen muss, dann komm ich ja auch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsstättenverordnung<br />
her und den Sicherheitsbestimmungen<br />
an die Grenzen. Ich darf eben als Frau<br />
nicht mehr als 10, 15 Kilo heben permanent. […]<br />
Manche nehmen eben jetzt lieber Männer und manche<br />
nehmen pari-pari. Weil das ist auch eine Frage,<br />
das Team ist immer am besten besetzt, wenn bei-<br />
de Geschlechter vertreten sind. Weil nur Frauen ist<br />
kompliziert und nur Männer auch, in einer an<strong>der</strong>en<br />
Art.“ [INT4] Es gibt bereits auch Unternehmen, die<br />
umdenken. „Also wir haben jetzt eine Frauenquote<br />
<strong>von</strong> 30 Prozent. […] Wir machen das so: Wenn wir<br />
jetzt Neueinstellungen machen, sowohl im Trainee,<br />
also im künftigen Führungskräftebereich, als auch<br />
im gewerblich-technischen Bereich, versuchen wir<br />
eine gute Mischung hinzubekommen.“ [INT4]<br />
In höheren Funktionen sind Frauen trotz ihrer guten<br />
Qualifi kationen seltener anzutreffen. „Frauen in Führungspositionen:<br />
Wenn man mal genauer hinguckt,<br />
ist es nicht beson<strong>der</strong>s weit verbreitet. […] Es muss<br />
hier deutlich mehr getan werden. Wir werden dies mit<br />
Netzwerken unterstützen, aber auch die Vereinbarkeit<br />
<strong>von</strong> Beruf und Familie – für beide Geschlechter<br />
– stärker in den betrieblichen Focus rücken. Dazu haben<br />
wir schon viele Betriebsvereinbarungen.“ [INT2]<br />
Auf jeden Fall sind Frauen zu wenig im Blickfeld <strong>der</strong><br />
Personalverantwortlichen. Erfahrungen aus DDR-<br />
Zeiten – mit einer deutlich höheren Frauenerwerbsquote<br />
auch in <strong>der</strong> chemischen Produktion – zeigen,<br />
dass es weit aus mehr Möglichkeiten gäbe, Frauen<br />
einzusetzen, als dies bisher passiert. „Das ist erfolgreich<br />
zurückgedrängt worden. Das müssen wir gemeinsam<br />
wie<strong>der</strong> nach vorne bringen. Das Selbstverständnis<br />
ist hier, Gott sei Dank, noch vorhanden. So<br />
ist es hoffentlich ein bisschen einfacher, neben <strong>der</strong><br />
Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie auch die Karriereplanung<br />
für Frauen voranzutreiben.“ [INT2]<br />
Dazu müssen zum einen die Mädchen schon frühzeitig<br />
für die Ausbildungen in <strong>der</strong> Chemie interessiert<br />
werden: „Also wir haben gute Erfahrungen gemacht<br />
mit dem Sommercamp <strong>der</strong> Bildungsakademie Leuna.<br />
Da werden 40 bis 50 Schüler <strong>der</strong> neunten Klassen in<br />
<strong>der</strong> Regel mit den Ausbildungsbedingungen an <strong>der</strong><br />
Bildungsakademie Leuna vertraut gemacht. Da sind<br />
sehr viele Mädchen dabei, bei denen wenigstens ein<br />
bisschen technisches Verständnis entwickelt wird. In<br />
<strong>der</strong> Folge sind wir stark daran interessiert, in den<br />
Schulen aufzutreten und dort die Berufe vorzustellen.“<br />
[INT3]<br />
Seite 31
Seite 32<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Zum an<strong>der</strong>en muss mehr für die Vereinbarkeit <strong>von</strong><br />
Familie und Beruf geschehen. Das wird beson<strong>der</strong>s<br />
notwendig in einer Zeit, in <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> beide Partner<br />
berufstätig sein wollen und können. Wenn einer <strong>der</strong><br />
Auch ausländische Fachkräfte werden wie<strong>der</strong> für<br />
den deutschen Arbeitsmarkt entdeckt. Zuwan<strong>der</strong>ungen<br />
können hierbei zur Mil<strong>der</strong>ung des absehbaren<br />
Fachkräftebedarfs beitragen.<br />
Das Handwerk beginnt seine Auszubildenden aus<br />
Tschechien und Polen nach Ostdeutschland zu<br />
holen. Solche Maßnahmen wurden bisher in <strong>der</strong><br />
Chemie noch nicht gebraucht, aber man stellt sich<br />
auf viele neue Wege ein, auch um ausländische<br />
Fachkräfte nach Deutschland zu bringen. „Wenn<br />
es so eng wird, dass wir bei <strong>der</strong> Personalrekrutierung<br />
‚kalte Füße bekommen’, dann könnte ich mir<br />
das vorstellen. Ich könnte mir vorstellen, in vier, fünf<br />
Jahren wird sicherlich <strong>der</strong> eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e in diese<br />
Richtung denken müssen. Ich persönlich wäre da im<br />
Prinzip auch offen für solche Geschichten.“ [INT3]<br />
Wenn wir mehr ausländische Fachkräfte nach<br />
Deutschland holen wollen, müssen allerdings die<br />
Zuwan<strong>der</strong>ungsbedingungen für qualifi zierte Personen<br />
mit langfristigen Beschäftigungsperspektiven,<br />
auch aus Nicht-EU-Län<strong>der</strong>n, verbessert und die Integrationsbemühungen<br />
ausgeweitet und geför<strong>der</strong>t<br />
werden.<br />
In <strong>der</strong> Unternehmensbefragung 2008 wurden Wege<br />
zur Fachkräftesicherung unterschiedlich häufi g aufgezeigt.<br />
Während bei den Bildungsaufgaben noch<br />
die meisten Unternehmen (über 90 Prozent) bekundeten,<br />
diese durchzu<strong>führen</strong> (in welchem Umfang<br />
25 Vgl. Brücker u.a. (2002).<br />
4.2.4 Ausländische Fachkräfte<br />
4.3 Personalwirtschaftliche Anreize<br />
Partner (meist die Frauen) nicht mehr die häuslichen<br />
Verpfl ichtungen durch Nichterwerbstätigkeit alleine<br />
übernimmt, wird es umso wichtiger Beruf und Familienleben<br />
gut miteinan<strong>der</strong> vereinen zu können.<br />
„Also, wir kommen ja bei <strong>der</strong> ganzen Frage Fachkräftemangel<br />
nicht darum herum, ausländischen<br />
Fachkräften Arbeitsplätze anzubieten. Es ist wichtig,<br />
dass wir das auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite<br />
gemeinsam machen, und wir müssen eine<br />
politische Aussage dazu treffen. Wir müssen Integrationsvereinbarungen<br />
treffen, weil wir nicht ohne<br />
diese Fachkräfte auskommen werden. Wir haben<br />
hier noch nicht viele ausländische Fachkräfte. […]<br />
Hier hat man noch nicht so viele Erfahrungen. Wir<br />
müssen uns diesem Arbeitsmarkt öffnen, wir müssen<br />
offen sein für Neue und Neues und wir müssen<br />
für eine lebenswerte Umwelt sorgen. Dazu bedarf es<br />
auch Aussagen <strong>der</strong> Tarifvertragsparteien o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
politischen Bereiche. Wir haben zum Teil Betriebsvereinbarungen<br />
zu mehr Chancengleichheit o<strong>der</strong><br />
Integration.“ [INT2]<br />
Welche Wirkungen jedoch tatsächlich mit steigenden<br />
Zuwan<strong>der</strong>ungen verbunden sind, hängt entscheidend<br />
vom Bildungs- und Ausbildungsstand <strong>der</strong><br />
Zuwan<strong>der</strong>er ab: Je höher die Qualifi kation <strong>der</strong> Zuwan<strong>der</strong>er,<br />
umso niedriger das Arbeitslosigkeitsrisiko<br />
und <strong>der</strong> Bezug <strong>von</strong> Transferleistungen <strong>von</strong> Migrantenhaushalten.<br />
25 (Gehrke u. a. 2008)<br />
4.3.1 Lohnentwicklung in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n<br />
wurde nicht erfragt), gab nur ca. ein Drittel <strong>der</strong> Betriebe<br />
(36 Prozent) an, fi nanzielle Anreize zu setzen,<br />
obwohl die Löhne zwischen Ost und West noch immer<br />
extrem auseinan<strong>der</strong> klaffen.
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
„Und so sind an<strong>der</strong>e Geschäftsführer auch eingestellt.<br />
Die wollen versuchen administrativ die Leute<br />
zu halten, die sie noch haben, tun nichts zum Gewinn<br />
<strong>von</strong> neuen Leuten o<strong>der</strong> relativ wenig; und sehen<br />
dann ihre Felle da<strong>von</strong> schwimmen. Bis hin zur<br />
Tarifentwicklung, das ist das gleiche Problem. Das<br />
sind auch diejenigen, die weit unter dem Chemie-<br />
Tarif bleiben und sich wun<strong>der</strong>n, dass die Leute langsam<br />
woan<strong>der</strong>s hingehen, bzw. überhaupt nicht kommen.<br />
Das Stammpersonal, das ist diszipliniert, aber<br />
die an<strong>der</strong>en nicht mehr.“ [INT3]<br />
Dass sich in dem Einkommensgefüge bereits etwas<br />
tut, ist bekannt. Zurzeit geschieht dies aber nur punktuell.<br />
„Und die Superkräfte, die wir haben, da haben<br />
wir auch als Betriebsräte kaum noch Einblick, was<br />
die verdienen. Also diese Leute verhandeln nur mit<br />
dem Geschäftsführer. Wir haben da einige Spezialisten,<br />
die in <strong>der</strong> Glasbranche sehr gefragt sind und<br />
die auch eine sehr hochwertige Ausbildung haben,<br />
hochwertige Ausbildung auch <strong>von</strong> Seiten unserer<br />
Firma in den USA, die dort auch ausgebildet wurden.<br />
An<strong>der</strong>s kriegt man solche Leute ja heutzutage<br />
auch nicht mehr.“ [INT5]<br />
„Wir haben nunmehr ab 2009 die volle Angleichung,<br />
Ost- gleich Westtarif in <strong>der</strong> Chemie. Dafür haben wir<br />
lange gekämpft. Damit gleichen sich die Arbeitsbedingungen<br />
an. Dies ist ein gutes Argument hierzubleiben,<br />
nicht in die alten Bundeslän<strong>der</strong> abzuwan<strong>der</strong>n,<br />
weil dort mehr bezahlt wird. Die Menschen<br />
wollen Perspektive hier, an ihrem Lebens- und Arbeitsort.“<br />
[INT2]<br />
„Die ostdeutschen Firmen werden mit ihren Gehältern<br />
nicht vollkommen an westdeutsche Regionen<br />
wie Baden-Württemberg o<strong>der</strong> Bayern anschließen<br />
können. Aber eine Verkaufsstrategie kann es werden,<br />
zu sagen, mit dem was ihr hier verdient, könnt<br />
ihr euch dasselbe leisten, wie in den Regionen, mit<br />
denen ihr eure Gehälter vergleicht. Ostdeutschland<br />
hat eine mo<strong>der</strong>ne Infrastruktur, sehr schöne und bezahlbare<br />
Wohnungen und vieles mehr. Wahrscheinlich<br />
wird <strong>der</strong> Markt in die Richtung gehen, zu sagen:<br />
Wenn du einen Chemie-Ingenieur nach Apolda o<strong>der</strong><br />
in sonst eine ländliche Region haben willst, wirst du<br />
erheblich mehr zahlen müssen als heute, nämlich<br />
soviel wie in einer Metropolregion. Wenn er das gleiche<br />
Entgelt bekommt, wie beispielsweise im Westen,<br />
dann kann er damit bei uns wesentlich mehr<br />
anfangen.“ [INT1]<br />
Lohnanreize können vielfältig gestaltet werden. Es<br />
gibt beispielsweise Prämiensysteme und Jahresausschüttungen,<br />
Direktversicherungen, betriebliche<br />
Altersvorsorge, vermögenswirksame Leistungen,<br />
Firmenfahrzeuge, kostenlose Darlehen, o<strong>der</strong> Internetshops<br />
für günstigere Arbeits- und Freizeitbekleidung.<br />
Beson<strong>der</strong>e Gehälter, die in großen Unternehmen<br />
für bestimmte Aufgaben temporär gezahlt werden,<br />
können die kleinen Unternehmen nicht bieten, dafür<br />
versprechen sie mehr Kontinuität. In den großen<br />
Firmen gibt es oft Zwei-Drei-Jahresprojekte, die nur<br />
in dieser Zeit entsprechend hoch bezahlt werden.<br />
Kleinere Unternehmen versuchen über langfristige<br />
Zusagen, die Beschäftigten zu binden.<br />
Nun ist die Finanzierung sehr wichtig, aber nicht<br />
die einzige Möglichkeit, für Fachkräfte interessant<br />
zu werden und Mitarbeiter an das Unternehmen zu<br />
binden. Neben einer anreizorientierten Lohnpolitik<br />
ist auch eine bewusste Karriereplanung für viele Arbeitnehmer/innen<br />
entscheidend. Bei beiden Wegen<br />
haben große Unternehmen gegenüber den kleineren<br />
Unternehmen eindeutig Vorteile. Aber auch kleine<br />
Unternehmen haben viel zu bieten.<br />
Während große Unternehmen mit einem Stab <strong>von</strong><br />
Mitarbeitern in den Personalabteilungen meist sehr<br />
professionell Karriereplanungen praktizieren, regelmäßig<br />
Mitarbeitergespräche <strong>führen</strong>, mit den Beschäftigten<br />
Zielvereinbarungen schließen und sich<br />
um den Erhalt <strong>der</strong> Beschäftigungsfähigkeit sowie um<br />
Aufstiegsmöglichkeiten möglichst vieler Mitarbeiter<br />
bemühen, können kleinere Unternehmen solche<br />
Personalarbeit nur sehr marginal leisten. Sie setzen<br />
Seite 33
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
<strong>der</strong> Karriereplanung aufgrund fehlen<strong>der</strong> Aufstiegsmöglichkeiten<br />
interessante Arbeitsplätze entgegen<br />
und versuchen Motivation durch vielschichtige Tä-<br />
Auch die Erleichterung <strong>der</strong> Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf<br />
und Familie als eine weitere Möglichkeit zur Fachkräftegewinnung<br />
wurde in <strong>der</strong> Unternehmensbefragung<br />
2008 nur <strong>von</strong> knapp einem Drittel <strong>der</strong> Betriebe<br />
benannt (29 Prozent). Dabei steht fest, wer sich auf<br />
familienfreundliche Arbeitsbedingungen einlässt,<br />
kann sich für die Zukunft einen deutlichen Wettbewerbsvorteil<br />
sichern. Das zsh hat am Chemiestandort<br />
Bitterfeld-Wolfen im Sommer 2008 eine Mitarbeiterbefragung<br />
zu diesem Thema durchgeführt, aus<br />
<strong>der</strong> hier einige Ergebnisse zusammengefasst werden<br />
sollen 26 .<br />
An <strong>der</strong> Mitarbeiterbefragung beteiligten sich 189 Beschäftigte<br />
aus fünf Unternehmen. An<strong>der</strong>s als traditionell<br />
oft vermutet, beschäftigt die Diskussion zum<br />
Thema „Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf“ nicht<br />
nur Frauen, wenn sie auch nach wie vor bei diesem<br />
Thema den Ausschlag geben, was letztendlich sicherlich<br />
mit ihrer häufi g höheren Doppelbelastung<br />
zu tun hat. Mit <strong>der</strong> zunehmenden Übernahme familiärer<br />
Verpfl ichtungen durch die Männer bringen sich<br />
auch diese immer mehr in die Diskussion mit ein.<br />
Am Antwortverhalten wird deutlich, wen das Thema<br />
im Beson<strong>der</strong>en interessiert: Es sind vor allem Mitarbeiter/innen<br />
in Schichtarbeit, beson<strong>der</strong>s Alleinerziehende<br />
(Frauen und Männer), Familien mit Kin<strong>der</strong>n<br />
im betreuungspfl ichtigen Alter und Familien mit Pfl egefällen.<br />
Im Weiteren soll darauf eingegangen werden, wie<br />
die Mitarbeiter/innen in den Chemiebetrieben,<br />
die zumeist vollbeschäftigt sind und vorrangig im<br />
Schichtdienst arbeiten, ihren Arbeitsalltag zwischen<br />
berufl ichen Herausfor<strong>der</strong>ungen sowie familiären<br />
Ansprüchen und Verpfl ichtungen meistern.<br />
4.3.2 Vereinbarkeit <strong>von</strong> Familie und Beruf<br />
tigkeiten in Teamwork o<strong>der</strong> temporären Teams zu<br />
schaffen. (vgl. Gehrke u. a. 2008)<br />
Ein Merkmal <strong>der</strong> Chemieindustrie ist, dass viele<br />
Beschäftigte in Schichten arbeiten. Es ist bekannt,<br />
dass Schichtdienst an die Mitarbeiter/innen beson<strong>der</strong>e<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen in <strong>der</strong> Koordination <strong>von</strong><br />
berufl ichen und familiären Verpfl ichtungen stellt. Die<br />
meisten Mitarbeiter/innen haben sich mit ihren Arbeitszeiten<br />
arrangiert und organisieren danach ihren<br />
Alltag. Fragt man die Mitarbeiter/innen, ob sie<br />
mit ihren jetzigen Arbeitszeiten zufrieden sind, dann<br />
zeigt sich, dass bei einem Großteil, wenn auch nicht<br />
bei allen, die tatsächliche Arbeitszeit <strong>der</strong> Wunscharbeitszeit<br />
entspricht. 27 In Einzelfällen wünschten sich<br />
die Männer lieber geringere Arbeitszeiten, bei den<br />
Frauen waren es 14 Prozent, die nicht zufrieden mit<br />
ihren Arbeitszeiten waren. Die meisten <strong>von</strong> ihnen<br />
würde lieber weniger arbeiten, einige wollten aber<br />
gern auch mehr arbeiten.<br />
Knapp die Hälfte <strong>der</strong> befragten Mitarbeiter/innen haben<br />
Kin<strong>der</strong>, die in ihrem Haushalt leben. Das gaben<br />
Frauen wie Männer gleichermaßen an. 15 Prozent<br />
<strong>der</strong> Befragten mit Kin<strong>der</strong>n ist alleinerziehend, Frauen<br />
(22 Prozent) fast viermal so häufi g wie Männer (6<br />
Prozent). Bei den Kin<strong>der</strong>n unter 6 Jahren erfolgt die<br />
Betreuung häufi g in einer Kombination <strong>von</strong> öffentlichen<br />
Einrichtungen und Familienangehörigen <strong>der</strong><br />
Eltern- und Großelterngeneration. Von den Sechsbis<br />
Neunjährigen gehen die meisten in die Grundschule.<br />
Für die Eltern dieser Altersgruppe spielen<br />
die eben genannten öffentlichen Betreuungseinrichtungen<br />
und familiären Hilfen weiterhin eine entscheidende<br />
Rolle. Die familiäre Unterstützung ist vor allem<br />
in den Randbetreuungszeiten zu Arbeitsbeginn und<br />
Arbeitsende wichtig, wenn die Kin<strong>der</strong>einrichtungen<br />
noch nicht o<strong>der</strong> nicht mehr geöffnet haben. Außerdem<br />
wird für die Kin<strong>der</strong> dieser Altersgruppe häufi -<br />
ger eine Nachmittagsbetreuung als Unterstützung<br />
genannt.<br />
26 Ausführlich nachzulesen in Buchwald/Wiener 2008<br />
27 Fast ein Drittel (30 Prozent) hat zu dieser Frage keine Angabe gemacht. Es ist zu befürchten, dass in dieser Gruppe einige unzufriedene<br />
Mitarbeiter/innen enthalten sind, die sich aber nicht zu diesem Thema äußern wollten. Allerdings lassen sich dazu nur<br />
Vermutungen anstellen.<br />
Seite 34
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Knapp drei Viertel <strong>der</strong> Befragten (74 Prozent) sind<br />
mit <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung zufrieden, das verbleibende<br />
Viertel ist es allerdings nicht. Verbesserungen bei <strong>der</strong><br />
Betreuung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> wünschen sich die Befragten<br />
bezüglich <strong>der</strong> Öffnungszeiten <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>tageseinrichtung.<br />
Außerdem wurde <strong>von</strong> mehreren Mitarbeiter/innen<br />
eine Nachmittagsbetreuung und verstärkt<br />
Angebote in den Ferienzeiten als wünschenswert<br />
empfunden. In Einzelfällen wird eine Nachmittagsbetreuung<br />
für Kin<strong>der</strong> im Alter <strong>von</strong> einem bis drei Jahren<br />
gewünscht. Die Betreuungszeit, die sich diese<br />
Betroffenen für ihre Kin<strong>der</strong> wünschen, liegt im Bereich<br />
<strong>von</strong> 5.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Angesprochen wird<br />
ebenfalls im Rahmen <strong>der</strong> Nachmittagsbetreuung ein<br />
Fahrdienst für Kin<strong>der</strong>, <strong>der</strong> <strong>von</strong> Firmen übernommen<br />
werden könnte. Somit wäre ein sicherer Transport<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> zu Nachmittagsveranstaltungen – wie<br />
z. B. Sportgemeinschaften o<strong>der</strong> Musikschule – gewährleistet,<br />
wenn die Eltern arbeiten müssen.<br />
Neben den familiären Verpfl ichtungen <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung<br />
wurden auch Pfl egeverpfl ichtungen <strong>der</strong> Beschäftigten<br />
genannt. Schon jetzt gibt je<strong>der</strong> zehnte Befragte<br />
an, pfl egebedürftige Angehörige zu betreuen.<br />
Das entspricht auch an<strong>der</strong>en Befunden (z.B. Höpfl inger/Hugentobler<br />
2005 und Schneekloth/Wahl 2005),<br />
aus denen zu ersehen ist, dass die Pfl egeleistungen<br />
zwar zwischen Männern und Frauen geteilt werden,<br />
aber dass Frauen stundenmäßig deutlich stärker involviert<br />
sind und an<strong>der</strong>e Aufgaben übernehmen als<br />
Männer. Frauen <strong>führen</strong> meistens die eigentlichen<br />
Betreuungsleistungen durch, während sich Männer<br />
eher um die administrativen Fragen (wie die Beantragung<br />
des Pfl egegeldes) und die Organisation <strong>der</strong><br />
Pfl egezeiten kümmern. Somit fühlen sich Männer<br />
häufi g, trotzt einer ebenfalls vorhandenen zusätzlichen<br />
Belastung, beim Pfl egethema nicht ebenso<br />
stark angesprochen wie Frauen.<br />
Die Anfor<strong>der</strong>ungen, die an die pfl egenden Angehörigen<br />
gestellt werden, kollidieren nicht selten mit<br />
ihrer Belastungsfähigkeit und den Ansprüchen, die<br />
an eine qualitativ hochwertige Pfl ege gestellt werden<br />
müssen. Vor allem bei Erwerbstätigkeit entstehen<br />
zahlreiche Belastungen aus dem Pfl egeprozess<br />
selbst sowie aus möglichen Unvereinbarkeiten zwischen<br />
den Anfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Pfl ege und <strong>der</strong> beruflichen<br />
Umwelt <strong>der</strong> pfl egenden Angehörigen. Diese<br />
zum Teil wi<strong>der</strong>sprüchlichen Anfor<strong>der</strong>ungen schlagen<br />
sich nicht selten auch in physischen, psychischen<br />
und psychosozialen Beanspruchungen nie<strong>der</strong>.<br />
Von den Befragten, die bereits jetzt pfl egedürftige<br />
Angehörige haben, gab je<strong>der</strong> Fünfte an, dass es<br />
Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Versorgung dieser Angehörigen<br />
gibt. Dies äußert sich vor allem darin, dass<br />
kein Betreuungsplatz sowie keine Hilfe bei <strong>der</strong> Betreuung<br />
<strong>der</strong> pfl egebedürftigen Angehörigen zu Hause<br />
vorhanden sind und dass sie keine Unterstützung<br />
während <strong>der</strong> Urlaubszeit erhalten. Inwieweit diesen<br />
Mitarbeiter/innen <strong>der</strong> gesetzliche Anspruch <strong>von</strong><br />
4 Wochen Unterstützung für die häusliche Pfl ege<br />
bei Verhin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Pfl egeperson bekannt ist (§39<br />
SGB XI), wurde nicht erfragt.<br />
Neben <strong>der</strong> alltäglichen Doppelbelastung wird es<br />
für betreuungspfl ichtige Erwerbstätige beson<strong>der</strong>s<br />
schwierig, mit <strong>der</strong> Zusatzbelastung fertig zu werden,<br />
wenn Notsituationen wie Erkrankung <strong>der</strong> Hauptbetreuungsperson,<br />
kurzfristiger Schichtwechsel o<strong>der</strong><br />
eine mehrtägige Dienstreise eintreten. Um allen Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
gerecht werden zu können, wurde nach<br />
den hauptsächlichen Problemen bei <strong>der</strong> Organisation<br />
<strong>von</strong> Familien- und Erwerbsanfor<strong>der</strong>ungen sowie<br />
nach Unterstützungswünschen gefragt.<br />
Neben politischen For<strong>der</strong>ungen, die sich im Beson<strong>der</strong>en<br />
auf die Än<strong>der</strong>ung des Kin<strong>der</strong>för<strong>der</strong>ungsgesetzes<br />
(KiFöG) in Sachsen-Anhalt (bezüglich Halbtagsplatz)<br />
bezogen, gab es auch viele Wünsche und<br />
Anregungen, wie Unternehmen zur Vereinbarkeit<br />
<strong>von</strong> Familie und Beruf beitragen können.<br />
Bezüglich <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>betreuung wurden <strong>von</strong> den Befragten<br />
Belegrechte in Kin<strong>der</strong>betreuungseinrichtungen<br />
(in <strong>der</strong> Nähe des Arbeitsplatzes) angesprochen,<br />
für die sich <strong>der</strong> Betrieb einsetzen könnte. Fast je<strong>der</strong><br />
Zehnte antwortete, dass er <strong>von</strong> einem geför<strong>der</strong>ten<br />
Angebot zur Kin<strong>der</strong>betreuung am Chemiestandort<br />
Gebrauch machen würde. Außerdem wurde <strong>der</strong><br />
Seite 35
Wunsch geäußert, dass die Betriebe durch eine Kooperation<br />
mit Tagesmüttern den Mitarbeiter/innen<br />
helfen könnten. Weitere Wünsche waren gerechtere<br />
Arbeitszeiten für junge Mütter; Betreuungsmöglichkeiten<br />
am Wochenende (Sa. bis 16 Uhr); stärkere<br />
Berücksichtigung <strong>von</strong> Familien mit schulpfl ichtigen<br />
Kin<strong>der</strong>n zur Urlaubsplanung in Ferienzeiten; Unterstützung<br />
<strong>der</strong> Firmen durch Fahrdienste für Kin<strong>der</strong> am<br />
Nachmittag; fi nanzielle Unterstützung durch den Betrieb<br />
(z. B. Zuschuss zu Betreuungskosten); Ermöglichen<br />
einer kurzfristigen Urlaubnahme; Erleichterung<br />
des Tausches <strong>von</strong> Schichten; großzügigere Nutzung<br />
<strong>von</strong> Zeitguthaben für Hilfe bei Arztbesuchen Angehöriger<br />
und Einsatz für bessere Versorgung durch<br />
Ärzte in <strong>der</strong> Region.<br />
Das hauptsächliche Problem zeigt sich in <strong>der</strong> Vereinbarkeit<br />
<strong>von</strong> Schichtzeiten mit dem Familienleben.<br />
Da<strong>von</strong> sind Frauen und Männer gleichermaßen betroffen.<br />
So bleibt durch die Schichten zu wenig Zeit<br />
für die Familie. Die Samstagsarbeit kam in die Kritik<br />
und beson<strong>der</strong>s häufi g kamen die Klagen <strong>von</strong> Mitarbeiter/innen<br />
des vollkontinuierlichen Schicht-systems.<br />
Vor allem eine höhere Flexibilität <strong>der</strong> Unternehmen<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Arbeitszeit zur Vereinbarkeit<br />
mit Kin<strong>der</strong>betreuung und Pfl egeverpfl ichtungen bei<br />
Angehörigen wurde immer wie<strong>der</strong> angesprochen.<br />
Beispiele aus Unternehmen zeigen, dass es Bereiche<br />
gibt, in denen sehr fl exibel mit <strong>der</strong> Arbeitszeit<br />
umgegangen werden kann. „Dann haben wir die<br />
ganzen Arbeitszeiten so mo<strong>der</strong>nisiert, dass sich <strong>der</strong><br />
Mitarbeiter das Arbeitszeitmodell aussuchen kann<br />
in seinem Team, wie er das am Besten vereinbaren<br />
kann. Da ist je<strong>der</strong>, ich sag mal, ein bisschen an<strong>der</strong>s<br />
gestrickt. Entscheidend ist eben, dass die Teamfähigkeit<br />
gestärkt wird. […] Das wird eben organisiert.<br />
Ich meine, wir haben jetzt ungefähr 12 verschiedene<br />
Schichtsysteme, Vertrauensarbeitszeit, fl exible<br />
Seite 36<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Arbeitszeit. Also, <strong>der</strong> Mitarbeiter hat die Wahl in welchem<br />
Arbeitszeitsystem er arbeiten möchte. Und hat<br />
aber auch die Wahl sich selbst eines zu erfi nden.“<br />
[INT4]<br />
In <strong>der</strong> Studie wurden einige Probleme bei <strong>der</strong> Vereinbarkeit<br />
<strong>von</strong> Familie und Beruf angesprochen. Zeit<br />
wird oft zu einem beson<strong>der</strong>s wertvollen Gut. Viele<br />
<strong>der</strong> vorgeschlagenen Anregungen und Än<strong>der</strong>ungswünsche<br />
betreffen nicht nur Einzelne, son<strong>der</strong>n einen<br />
Großteil <strong>der</strong> Mitarbeiter/innen in den Betrieben.<br />
„Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie, das heißt in<br />
<strong>der</strong> ersten Lebenshälfte Kin<strong>der</strong>, in <strong>der</strong> zweiten zunehmend<br />
die Versorgung bzw. Pfl ege <strong>der</strong> eigenen<br />
Eltern. Dies wird uns in <strong>der</strong> Zukunft sehr viel stärker<br />
beschäftigen. Hier müssen wir mit unseren Sozialpartnern<br />
Lösungen fi nden. Es gibt schon einige<br />
Erfahrungen, aber hier müssen wir deutlich mehr<br />
machen. Betriebsvereinbarungen zur fl exiblen Freistellung<br />
zur Pfl ege sind notwendig.“ [INT2]<br />
So macht es Sinn, dass Betriebe und Kommunen<br />
über gemeinsame Lösungen am Standort nachzudenken.<br />
Organisiert werden können die Hilfen beispielsweise<br />
in einem „Familie & Job Center“ wie in<br />
Brandenburg o<strong>der</strong> in einem „Servicebüro“ für Fragen<br />
<strong>der</strong> Vereinbarkeit <strong>von</strong> Beruf und Familie wie in<br />
Leuna. Anregungen für die Umsetzung lassen sich<br />
also aus bereits erfolgreich laufenden Modellen<br />
übernehmen.<br />
Die Gründe für eine familienfreundliche Personalpolitik<br />
können vielfältig sein: Dazu gehören ethischmoralische<br />
Aspekte und soziales Engagement, es<br />
geht in den Unternehmen um Personalkostenoptimierung<br />
bis hin zu einer langfristigen Sicherung ihrer<br />
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Es hat sich gezeigt, dass die Unternehmen in <strong>der</strong><br />
Chemie selbstbewusst in die Zukunft schauen.<br />
Fachkräfte sind für ihren wirtschaftlichen Erfolg extrem<br />
wichtig. Vielen ist bewusst, dass sich Versorgungslücken<br />
auftun werden, an<strong>der</strong>e haben bereits<br />
erste Erfahrungen damit sammeln müssen. Für alle<br />
die, die <strong>der</strong>zeit noch nicht über das Thema <strong>der</strong> Fachkräftelücke<br />
nachdenken, kann es in Kürze schwierig<br />
werden, auf ein sinkendes Fachkräfteangebot zu reagieren.<br />
Kleine Unternehmen geraten bei Rekrutierungsaufgaben<br />
aufgrund fehlen<strong>der</strong> Kapazitäten häufi g ins<br />
Hintertreffen. Ein Stück weit kann dieser Nachteil<br />
beispielsweise durch Kooperationen abgeschwächt<br />
werden. Aber auch Kooperationen verlangen Engagement<br />
und Einsatz. Einige Anregungen zur Fachkräftegewinnung<br />
und Fachkräftesicherung kann diese<br />
Expertise geben. Das Thema muss aber weiter<br />
kontinuierlich verfolgt und bearbeitet werden.<br />
Wenn keine Mittel und Wege helfen, die entsprechenden<br />
Fachkräfte für die Betriebe zu gewinnen, denken<br />
Unternehmen auch über Standortverlegungen nach.<br />
Das sind Entscheidungen <strong>von</strong> großer Tragweite. Dieser<br />
Schritt wird auch nur <strong>von</strong> vier bzw. fünf Prozent<br />
5. Abschluss<br />
aller befragten Betriebe als Ausweg angesehen.<br />
Wenn es dazu kommt, ist diese Entscheidung allerdings<br />
beson<strong>der</strong>s schädlich für die wirtschaftliche<br />
Entwicklung einer Region und kann sich auch auf die<br />
Leistungsfähigkeit an<strong>der</strong>er Unternehmen am Standort<br />
(z. B. Zulieferer o<strong>der</strong> industrienahe Dienstleister)<br />
negativ auswirken. Solche Regionen leiden häufi g<br />
unter abnehmen<strong>der</strong> Wirtschaftskraft und haben es<br />
beson<strong>der</strong>s schwer, neue Investoren zu gewinnen.<br />
Von solchen Entscheidungen ist die ostdeutsche<br />
Chemie hoffentlich weit entfernt, denn wenn wir mal<br />
richtig hinschauen, gibt es ein großes Potential <strong>von</strong><br />
zukünftigen Fachkräften, das teilweise aber erst neu<br />
erschlossen werden muss. Nach <strong>der</strong> Zeit eines überquellenden<br />
Arbeitsmarktes <strong>von</strong> lernwilligen Berufsanfängern<br />
bis hin zu ausgezeichnet qualifi zierten<br />
und berufserfahrenen Arbeitslosen kommen wir jetzt<br />
in eine Phase abnehmen<strong>der</strong> Schulabgängerzahlen<br />
und zunehmen<strong>der</strong> Arbeitssuchen<strong>der</strong>, die schon<br />
lange dem Arbeitsmarkt fern sind. Das heißt, die<br />
Wirtschaft muss neue Wege gehen und zusätzliche<br />
Potentiale bei Jüngeren wie Älteren, bei Frauen und<br />
Männern, bei in- und ausländischen Fachkräften erschließen,<br />
wenn sie auch weiterhin ihre Beschäftigten<br />
für die Zukunft sichern will.<br />
Seite 37
Literatur<br />
Seite 38<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
BAVC (2008): Presseinformation vom 16. April 2008<br />
Becker, M. (2002): Personalentwicklung. Stuttgart<br />
Behr, M.; Engel, T . (2001): Im Zeichen des demographischen Umbruchs – Wie zukunftsfähig ist<br />
die ostdeutsche Überlebensgesellschaft? in: Wirtschaft Mecklenburg-Vorpommern. Analysen und<br />
Kommentare, Heft Juni<br />
Behr, M.; Engel, T.; Hinz, A. (2006): Produktive Leistungsgemeinschaften und erzwungene Arrangements.<br />
Ergebnisse einer Beschäftigtenbefragung in <strong>der</strong> ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie<br />
2005/2006 (Bericht an die Otto Brenner Stiftung). Jena.<br />
Behringer, F., D. Moraal, G. Schönfeld (2008): Betriebliche Weiterbildung in Europa: Deutschland<br />
weiterhin nur im Mittelfeld. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) 1/2008, S. 9–14.<br />
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erhebliche gesellschaftliche Folgekosten. Ute Friedrich, Pressestelle. http://idw-online.de/pages/de/news282612<br />
vom 12.10.2008<br />
BIBB 2008: Pressemitteilung <strong>von</strong> Andreas Pieper zu Weiterbildung älterer Beschäftigter – berufl iche<br />
Perspektiven und Lernanreize schaffen. Auswertungen <strong>der</strong> CVTS3_Studie im Forschungsprojekt<br />
„Weiterbildungskonzepte für das spätere Erwerbsleben (WeisE)“: http://www.bibb.de/de/wlk11792.<br />
htm, 24.07.2008<br />
Böttcher, S.; Meier, H.; Wiener, B. (2001): Alters- und Qualifi kationsstruktur in <strong>der</strong> ostdeutschen Industrie<br />
am Beispiel <strong>der</strong> Chemie. Forschungsberichte aus dem zsh 01-3<br />
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in fünf Unternehmen des Chemiestandortes Bitterfeld-Wolfen. Studie im Auftrag des<br />
<strong>QFC</strong>. Im Erscheinen<br />
Buck, H. (2001): Öffentlichkeits- und Marketingstrategie demographischer Wandel – Ziele und Herausfor<strong>der</strong>ungen.<br />
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des BMBF : Demographie und Erwerbsarbeit. Stuttgart, 2001, S. 19<br />
fi scherAppelt/manager magazin (Februar 2008). www.fi scherappelt.de/Fachkraefteumfrage.<br />
pdf (download Mai 2008)
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Gehrke, B., Jung, H.-U., Schasse, U., Wiener, B. (2008): Fachkräftemangel und demographischer<br />
Wandel bis 2020. Gutachten im Auftrag <strong>der</strong> Region Hannover, Teil I: Empirische Basisanalysen,<br />
Projektionen und Expertengespräche. Hannover und Halle, Juni 2008<br />
Gehrke, B.; Schasse, U. (2006): Bildung und Qualifi zierung in Nie<strong>der</strong>sachsen. Forschungsberichte<br />
des NIW Nr. 34, Hannover September 2006.<br />
Grünert, H.; Lutz, B.; Wiekert, I. (2007): Betriebliche Ausbildung und Arbeitsmarktlage – eine vergleichende<br />
Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nie<strong>der</strong>sachsen. Forschungsberichte<br />
aus dem zsh 07-5<br />
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http://arbeitgeberzusammenschluesse.de/wp-content/uploads/2008/04/<br />
gesamt_studie_hbs_29_03_08.pdf (download August 2008)<br />
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Raum. In: Lea<strong>der</strong>forum. Magazin <strong>der</strong> Deutschen Vernetzungsstelle. H. 1, S. 24–25<br />
Höpfl inger, F./Hugentobler, V. (2005): Familiale, ambulante und stationäre Pfl ege im Alter. Perspektiven<br />
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Hörwick, E.; Ben<strong>der</strong>, W. (2006). Erfahrungsbasierte Qualifi zierung. Die För<strong>der</strong>ung selbstgesteuerter<br />
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Jankowski, J. (2008), Vortrag auf <strong>der</strong> Abschlussveranstaltung Synthese am 20.09.2008<br />
Ketzmerick, T.; Meier, H.; Wiener, B. (2007): Brandenburg und seine Jugend – Integrationspfade<br />
Brandenburger Jugendlicher in Beschäftigung. Forschungsberichte aus dem zsh 07-2, Halle<br />
Kultusministerkonferenz (2007): Schulabgänger. Prognose <strong>der</strong> Kultusministerkonferenz 2007<br />
Lutz B. (2008a): Aktuelle Strukturen und zu erwartende Entwicklungen <strong>von</strong> Beschäftigung und Arbeitsmarkt<br />
in den neuen Bundeslän<strong>der</strong>n und ihre Bedeutung für die Interessenvertretung. Eine<br />
Kurz-Expertise für die Otto-Brenner-Stiftung. http://www.zsh-online.de/pdf/Expertise_20080710_<br />
Burkart_Lutz_01.pdf<br />
Seite 39
Seite 40<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
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und Technologie (Hg.): Produktion 2000 plus. Visionen und Forschungsfel<strong>der</strong> für die Produktion<br />
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– Lektionen aus <strong>der</strong> ostdeutschen Entwicklung seit 1990/91. In: Wiedemann, E. u. a.<br />
(Hg.): Die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Herausfor<strong>der</strong>ung in Ostdeutschland. (Beiträge<br />
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Industrie. In: Lutz, Burkart; Meil, Pamela; Wiener, Bettina (Hg.): Industrielle Fachkräfte für das 21.<br />
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Forschungsberichte aus dem zsh 02-1<br />
Meier, H.; Wiener, B.; Winge, S. (2007): Regionaler Qualifi zierungspool landwirtschaftlicher Unternehmen.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 07-3<br />
MittelstandsMonitor 2008. Mittelstand trotz nachlassen<strong>der</strong> Konjunkturdynamik in robuster Verfassung.<br />
Jährlicher Bericht zu Konjunktur- und Strukturfragen kleiner und mittlerer Unternehmen.<br />
http://www.kfw.de/DE_Home/Presse/Pressekonferenzen/PDF-Dokumente_2008/mimo_gesamt.<br />
pdf (download 01.09.2008)<br />
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Prein, G. (2005): Die Maßnahme und die Folge: Über die Konsequenzen <strong>der</strong> öffentlichen För<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Berufsausbildung in Ostdeutschland für die Einmündung in das Erwerbssystem. In: Wiekert, I.<br />
(Hrsg - 2005): Zehn aus Achtzig. Burkart Lutz zum 80. Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag,<br />
S. 19–208.
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Reinberg, Alexan<strong>der</strong>; Hummel, Markus (2004): Fachkräftemangel bedroht Wettbewerbsfähigkeit<br />
<strong>der</strong> deutschen Wirtschaft. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 5. Juli 2004, S. 3–10<br />
Schmidt; D. (2007): Berufl iche Weiterbildung in Unternehmen 2005. Methodik und erste Ergebnisse.<br />
In: Wirtschaft und Statistik 7/2007, S. 699–711.<br />
Schneekloth, U.; Wahl, H.-W. (2005): Möglichkeiten und Grenzen selbständiger Lebensführung in<br />
privaten Haushalten (MUG III). Repräsentativbefunde und Vertiefungsstudien zu häuslichen Pfl egearrangements,<br />
Demenz und professionellen Versorgungsangeboten. Integrierter Abschlussbericht (Im<br />
Auftrag des BMFSFJ). http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/ generator/RedaktionBMFSFJ/Abteilung3/Pdf-Anlagen/mug3-ingetrierter-gesamtbericht,<br />
property=pdf,bereich=,sprache=de,rwb=true.pdf (01.09.2008)<br />
Statistische Ämter des Bundes und <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> (2008): Schulstatistik und Bevölkerungsstatistik, S.<br />
18 und S. 240<br />
Steiner, Ch. (2007): Von Problemfällen und Hoffnungsträgern. Integrationsprobleme ostdeutscher<br />
Jugendlicher an <strong>der</strong> zweiten Schwelle. In: Berger, K.; Grünert, H. (Hg.): Zwischen Markt und För<strong>der</strong>ung.<br />
Wirksamkeit und Zukunft <strong>von</strong> Ausbildungsplatzstrukturen in Ostdeutschland. Bielefeld: W.<br />
Bertelsmann Verlag, S. 167–185<br />
Wiekert, Ingo (2008): Ausbildungsbetriebe in Sachsen-Anhalt. Bisheriges Verhalten und neue Anfor<strong>der</strong>ungen.<br />
Vortrag vor dem Berufsbildungsausschuss <strong>der</strong> Handwerkskammer Halle (Saale) am<br />
05.06.2008<br />
Wiener, B. (2005): Wird die demographische Falle zum Kassandra-Ruf? In: Wiekert, I. (Hg.) (2005):<br />
Zehn aus Achtzig. Burkart Lutz zum 80. Berlin: Berliner Debatte Wissenschaftsverlag, S. 47–75<br />
Wiener, B.; Böttcher, S.; Buchwald, Ch. (2008): Erste Fachkräftelücken in <strong>der</strong> Chemie. Ergebnisse<br />
einer Befragung an drei Chemiestandorten in Sachsen-Anhalt. Studie im Auftrag des <strong>QFC</strong>. Im Erscheinen<br />
Wiener, B.; Meier, H. (2006): Vergessene Jugend. Der Umgang mit einer arbeitslosen Generation.<br />
Beobachtungen und Schlüsse. Berlin<br />
Zons, Achim (2006). Die Kraft <strong>der</strong> zwei Wahrheiten. Ältere auf dem Arbeitsmarkt. In: Süddeutsche<br />
Zeitung Nr. 55 vom 7. 3. 2006, S. 3.<br />
Seite 41
Anhang<br />
Seite 42<br />
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Abbildung 1: Verdienststruktur <strong>der</strong> Facharbeiter Ost-West in <strong>der</strong>Chemie<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
200<br />
600<br />
1000<br />
1400<br />
1800<br />
2200<br />
2600<br />
3000<br />
3400<br />
3800<br />
4200<br />
4600<br />
Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />
Tabelle1: Beschäftigte <strong>der</strong> Chemieindustrie nach Betriebsgröße<br />
(Angaben in Prozent)<br />
Zahl <strong>der</strong> Beschäftigten in Betrieben mit Alte Län<strong>der</strong> Neue Län<strong>der</strong><br />
0 bis 19 Beschäftigten 3,6 5,8<br />
20 bi 99 Beschäftigten 12,5 21,8<br />
100 bis 199 Beschäftigten 10,1 12,5<br />
200 bis 499 Beschäftigten 19,8 17,6<br />
500 und mehr Beschäftigten 53,9 42,1<br />
Quelle: BA-Beschäftigtenpanel 2006, Berechnungen im zsh<br />
5000<br />
Brutto-Monatseinkommen<br />
bis... (Euro)<br />
Facharbeiter 2006<br />
-> ostwest = 1<br />
Westdeutschland<br />
-> ostwest = 2<br />
Ostdeutschland (einschl,<br />
Berlin)<br />
100,0 100,0
Bettina Wiener: <strong>Demographische</strong> <strong>Turbulenzen</strong> <strong>führen</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Arbeitsplatz- zur Fachkräftelücke<br />
Jürgen Jankowski (2008): Exploration einer im Jahr<br />
2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung mit<br />
dem zsh im vom BMBF geför<strong>der</strong>ten Projekt „Gene-<br />
Abbildung 2: Altersstruktur in ausgewählten geweblichen Berufen<br />
t<br />
n<br />
e<br />
z<br />
o<br />
r<br />
P<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
19.06.2008<br />
Personalstruktur am Chemiestandort Leuna<br />
Altersstruktur für ausgewählte gewerbliche Berufsgruppen<br />
Chemie-Produktionsberufe Laborberufe<br />
Metall- und Elektroberufe industrielle Dienstleistungen<br />
Jürgen Jankowski<br />
rationenaustausch in industriellen Unternehmensstrukturen<br />
(GENIUS)“<br />
unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und<br />
älter<br />
Angaben ohne Auszubildende<br />
Chemie-Produktionsberufe: Chemikant, Pharmakant; Chemiebetriebswerker u.a.<br />
Laborberufe: Chemielaborant, Biologielaborant, Chemielaborwerker, Werkstoffprüfer, Lacklaborant<br />
Metall- und Elektroberufe: Industriemechaniker, Prozessleitelektroniker, Energieelektroniker, Anlagenmechaniker,<br />
Industrieelektroniker<br />
industrielle Dienstleistungsberufe: Fachkraft für Lagerwirtschaft, Warenprüfer, Werkschutz<br />
Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung<br />
Abbildung 3: Altersstruktur in ausgewählten Qulifi kationsstufen<br />
t<br />
n<br />
e<br />
z<br />
o<br />
r<br />
P<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
0<br />
19.06.2008<br />
Personalstruktur am Chemiestandort Leuna<br />
Altersstruktur für ausgewählte Berufsgruppen<br />
Chemiker Ingenieure Führungskräfte<br />
Jürgen Jankowski<br />
Alter<br />
www.infraleuna.de<br />
unter 20 20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60 und<br />
älter<br />
Chemiker: Chemiker, Chemieingenieure, Ingenieure <strong>der</strong> Verfahrenstechnik, Biotechnologen u.a.<br />
Ingenieure: sonstige Ingenieure<br />
Führungskräfte: Betriebsleiter, Geschäftsführer, Geschäftsbereichsleiter, Vertriebsgebietsleiter u.a.<br />
Extrapolation einer im Jahr 2000 durchgeführten Personalstrukturerhebung<br />
Alter<br />
www.infraleuna.de<br />
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