Sabine Böttcher - Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.
Sabine Böttcher - Zentrum für Sozialforschung Halle e.V.
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<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong> (Hrsg.)<br />
zsh-HERBSTTAGUNG<br />
zur<br />
Fachkräftesicherung in turbulenten Zeiten<br />
-<br />
Tagungsband 1<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 09-4
Die Verantwortung <strong>für</strong> den Inhalt liegt bei den Autor/innen.<br />
<strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e. V. an der Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
Emil-Abderhalden-Str. 6<br />
06108 <strong>Halle</strong><br />
Telefon: 0345 / 552 66 00<br />
Fax: 0345 / 552 66 01<br />
E-Mail: info@zsh.uni-halle.de<br />
Internet: http://www.zsh-online.de<br />
Druck: Druckerei der Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
Satz: Siegfried Makarskyj<br />
ISSN 1617-299X<br />
Alle Rechte vorbehalten
Inhaltsverzeichnis<br />
3<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Seite<br />
Grußwort zur Herbsttagung<br />
Thomas Pleye ..........................................................................................................................................5<br />
Bausteine im Projekt Zukunft<br />
Michael Thomas.......................................................................................................................................9<br />
Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ in Sachsen-Anhalt<br />
Sylvia Kühnel .........................................................................................................................................11<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong> .....................................................................................................................................17<br />
Bürgerarbeit in Bayern<br />
Undine Schreiber ...................................................................................................................................29<br />
Lokale Zusammenschlüsse als Krisenmanagement<br />
- der Nachwuchskräftepool am Chemiestandort Leuna<br />
Bettina Wiener .......................................................................................................................................35<br />
Kooperatives Personalmanagement<br />
– regionale Fachkräftesicherung und -entwicklung in Arbeitgeberzusammenschlüssen<br />
Thomas Hartmann ....................................................................................................................................55<br />
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Leo Baumfeld, Michael Fischer .............................................................................................................63<br />
Autorenverzeichnis ................................................................................................................. 79<br />
Programm der Tagung ............................................................................................................81<br />
Teilnehmerliste der Tagung...................................................................................................... 83<br />
Bisher veröffentlichte „Forschungsberichte aus dem zsh“ (2009 – 2001)........................................ 85
Grußwort zur Herbsttagung des zsh am 05. November 2009<br />
5<br />
Grußwort<br />
Staatssekretär Thomas Pleye<br />
Ministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-Anhalt<br />
Fachkräftesicherung in turbulenten Zeiten<br />
Schon aus der Tagesordnung der heutigen Konferenz kann man erkennen, dass das<br />
zsh seit vielen Jahren Themen bearbeitet, die von erheblicher Relevanz <strong>für</strong> die Lan-<br />
despolitik sind. Ich nenne hier nur die Schlagworte „Ausbildung von Jugendlichen“,<br />
„Qualifizierung von Beschäftigten“ und nicht zuletzt auch das Thema „Bürgerarbeit“.<br />
Das zsh hat dabei die Entwicklung im Land und auch die politischen Ansätze der<br />
Landesregierung im Bereich der Aus- und Weiterbildung immer konstruktiv kritisch<br />
begleitet und leistet damit seit Jahren einen wichtigen Beitrag zur Fortentwicklung<br />
der politischen Instrumente.<br />
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf hinweisen, dass das zsh in Per-<br />
son von Professor Lutz schon sehr früh auf das Problem der „demografischen Lücke“<br />
hingewiesen und damit bei Politik und Verwaltung in Sachsen-Anhalt den Blick <strong>für</strong><br />
demografisch bedingte Probleme der Fachkräftesicherung geschärft hat. Damit ha-<br />
ben Sie einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass das Ministerium <strong>für</strong> Wirtschaft<br />
und Arbeit rechtzeitig strategische Ansätze entwickeln konnte, mit denen Unterneh-<br />
men bei der Sicherung ihres Fachkräftebedarfes unterstützt werden können.<br />
Ich freue mich daher sehr, dass ich heute zu Beginn Ihrer Veranstaltung ein kurzes<br />
Grußwort an Sie richten darf und möchte diese Gelegenheit nutzen, Ihnen noch ein-<br />
mal einen ganz kurzen Überblick über unsere Strategie zur Fachkräftesicherung und<br />
Fachkräfteentwicklung in Unternehmen zu geben.<br />
Die Fachkräftestrategie des Ministeriums <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit ruht insgesamt auf<br />
drei Säulen:<br />
1. Säule der Fachkräftestrategie: Betriebliche Ausbildung stärken<br />
Wesentlicher Ausgangspunkt ist dabei die Eigenverantwortung der Wirtschaft <strong>für</strong> die<br />
Sicherung des eigenen Fachkräftenachwuchses durch betriebliche Erstausbildung.<br />
Die Landesregierung unterstützt die Wirtschaft bei dieser Aufgabe zum einen durch<br />
Maßnahmen im Vorfeld der Ausbildung. Hier geht es insbesondere darum, dass Ju-<br />
gendliche die allgemeinbildenden Schulen ausbildungsreif verlassen und bei der Be-
Thomas Pleye<br />
rufswahl durch flächendeckende Angebote zur Berufsorientierung unterstützt wer-<br />
den. Ein wichtiges Beispiel da<strong>für</strong> ist unser landesweites, gemeinsam mit den Arbeits-<br />
agenturen durchgeführtes Berufsorientierungsprogramm BRAFO <strong>für</strong> alle Schülerin-<br />
nen und Schüler an Sekundarschulen und Förderschulen.<br />
Auf der anderen Seite unterstützen wir in bestimmten Fällen aber auch Betriebe di-<br />
rekt bei der betrieblichen Erstausbildung von Jugendlichen. Hier geht es insbesonde-<br />
re um unser Förderinstrumentarium zur Unterstützung der Verbundausbildung und<br />
der Förderung von Zusatzqualifikationen, mit dem wir auch Betrieben, die z.B. auf-<br />
grund einer weitgehenden Spezialisierung eine Vollausbildung in bestimmten Beru-<br />
fen nur im Verbund mit anderen Betreiben oder mit Bildungsträgern sicherstellen<br />
können, die Ausbildung von eigenem Fachkräftenachwuchs ermöglichen.<br />
Da das Angebot betrieblicher Ausbildungsplätze trotz aller Anstrengungen der Wirt-<br />
schaft in den letzten Jahren noch nicht ausreichte, um allen Lehrstellensuchenden<br />
einen Ausbildungsplatz anbieten zu können, hat die Landesregierung in den vergan-<br />
genen Jahre zusätzlich dazu noch außerbetriebliche (APO und LEP) und schulische<br />
Ausbildungsplätze bereitgestellt. Diese Programme werden in Zukunft nicht mehr in<br />
der bisherigen Form erforderlich sein. Wir denken allerdings darüber nach, wie wir<br />
die positiven Erfahrungen, die wir mit den genannten Programmen in den letzten<br />
Jahren gesammelt haben, zukünftig nutzen können, um Betriebe auch zur verstärk-<br />
ten betrieblichen Ausbildung von leistungsschwächeren Jugendlichen zu motivieren.<br />
2. Säule der Fachkräftestrategie: Qualifizierung von Beschäftigten <strong>für</strong> und in<br />
Unternehmen unterstützen<br />
Kernpunkt unserer Aktivitäten ist hier unser Programm zur Qualifizierung von Be-<br />
schäftigten. Inhaltlich geht es dabei darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Unterneh-<br />
men im Land durch Weiterbildung der Beschäftigten zu verbessern. Konkret werden<br />
Unternehmen bei der Finanzierung von notwendigen Anpassungsqualifizierungen<br />
von Beschäftigten an veränderte betriebliche Bedarfe unterstützt. Wir wollen damit<br />
auch Unternehmen zur Durchführung betrieblicher Qualifizierungsvorhaben und zur<br />
Entwicklung und Umsetzung betrieblicher Konzepte zur Organisations- und Perso-<br />
nalentwicklung ermutigen und sie dabei unterstützen.<br />
Da viele kleine und mittelständische Unternehmen mit dieser Aufgabe überfordert<br />
sind, setzen wir seit Jahren erhebliche Mittel des Landes und des ESF <strong>für</strong> spezielle<br />
6
7<br />
Grußwort<br />
Einzelprojekte ein, die Führungskräfte in Unternehmen durch entsprechende Coa-<br />
ching-, Beratungs- und Weiterbildungsangebote bei der Personal- und Organisa<br />
tionsentwicklung zu unterstützen. Auch das zsh hat hier in den letzten Jahren seine<br />
wissenschaftlichen Kompetenzen eingebracht, zum Beispiel um die Weiterbildungs-<br />
bereitschaft und die Kompetenzentwicklung von Unternehmen im Bereich der Land-<br />
wirtschaft zu unterstützen, und ich freue mich, dass wir an dieser Stelle auch weiter<br />
zusammenarbeiten.<br />
Strategisch ist uns im Zusammenhang mit der Weiterbildung von Beschäftigten noch<br />
besonders wichtig, dass sich auch die Hochschulen des Landes zukünftig noch stär-<br />
ker in diesem Bereich engagieren. Wir glauben, dass es notwendig ist, den Know-<br />
How-Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft durch Verstärkung der wissen-<br />
schaftlichen Weiterbildung zu verbessern und haben dazu an allen Hochschulen des<br />
Landes sogenannte Transferzentren eingerichtet, die den Kontakt zwischen Unter-<br />
nehmen und Hochschulen unterstützen sollen. Auf Grundlage solcher Kontakte kön-<br />
nen die Hochschulen Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung entwickeln, die<br />
dem tatsächlichen Bedarf der Unternehmen entsprechen und daher auch von diesen<br />
angenommen werden.<br />
3. Säule der Fachkräftestrategie: Zusätzliche Fachkräftepotentiale erschließen<br />
Auf die dritte Säule unserer Fachkräftestrategie möchte ich nur noch ganz kurz ein-<br />
gehen. Hier tragen wir durch verschiedene Ansätze dazu bei, den Kontakt und die<br />
Kommunikation zwischen fachkräftesuchenden Unternehmen in Sachsen-Anhalt und<br />
gut ausgebildeten Fachkräften, die hier im Land eine berufliche Perspektive suchen,<br />
zu verbessern.<br />
Beispielhaft möchte an dieser Stelle nur auf das Projekt PFIFF hinweisen. Dieses<br />
zielt auf die Sicherung von Fachkräften <strong>für</strong> Sachsen-Anhalts Unternehmen. Ange-<br />
sprochen werden bundesweit potenzielle Fachkräfte, die sich in einer beruflichen<br />
Aus- und Weiterbildung oder in einer Hoch- und Fachschulausbildung befinden, so-<br />
wie gut ausgebildete Arbeitnehmer in anderen Bundesländern, die gern in ihre Hei-<br />
matregion Sachsen-Anhalt zurückkehren würden. PFIFF ist auch ein Informations-<br />
und Vermittlungsportal <strong>für</strong> gut ausgebildete Fachkräfte, die Arbeit suchen, und <strong>für</strong><br />
Unternehmen, die dringend Fachkräfte benötigen. PFIFF unterstützt die Fachkräfte<br />
und die Unternehmen durch Informationen. Allerdings ist PFIFF keine Arbeitsvermitt-
Thomas Pleye<br />
lung. Das heißt, die Bewerber/innen und die Unternehmen müssen selbst aktiv wer-<br />
den (z.B. durch Bewerbungen oder durch gezielte Ansprache geeigneter Bewerber<br />
durch Unternehmen).<br />
Eine ähnliche Funktion übernehmen die Transfercenter <strong>für</strong> junge Absolventen der<br />
Hochschulen. Diese sollen frühzeitig, schon während des Studiums, Kontakte zwi-<br />
schen zukünftigen Studienabsolventen und Unternehmen der Region herstellen und<br />
befördern. Damit wollen wir erreichen, dass mehr Absolventen als bisher berufliche<br />
Chancen in sachsen-anhaltischen Unternehmen erkennen und ergreifen und da-<br />
durch die Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte verhindert werden kann.<br />
Damit komme ich zum Schluss meiner Ausführungen.<br />
Ich hoffe, in meinen Ausführungen wurde deutlich, dass wir der beruflichen Aus- und<br />
Weiterbildung in den Unternehmen des Landes eine zentrale Bedeutung <strong>für</strong> die zu-<br />
künftige Fachkräftesicherung zumessen – auch und gerade in den „turbulenten Zei-<br />
ten“, die Sie im Titel Ihrer Veranstaltung ansprechen. Wir sind froh, dass die Wirt-<br />
schaftskrise bisher noch nicht dramatisch auf den Arbeitsmarkt und die Aus- und<br />
Weiterbildungsbereitschaft der Unternehmen in Sachsen-Anhalt durchgeschlagen<br />
hat und ich habe daher Anlass zur Hoffnung, dass sich die Unternehmen auch zu-<br />
künftig nicht von dem richtigen Weg der Fachkräftesicherung durch kontinuierliche<br />
Aus- und Weiterbildung abbringen lassen werden.<br />
Ich denke, Sie werden sich im weiteren Verlauf der Veranstaltung - insbesondere im<br />
zweiten Teil - mit dieser Frage auch wissenschaftlich auseinandersetzen. Da<strong>für</strong> wün-<br />
sche ich Ihnen viel Erfolg, gute Gespräche und eine in jeder Hinsicht interessante,<br />
angenehme und erfreuliche Herbsttagung.<br />
8
Bausteine im Projekt Zukunft<br />
9<br />
Bausteine im Projekt Zukunft<br />
Michael Thomas<br />
Innovationsverbund Ostdeutschlandforschung<br />
Die Herbsttagung 2009 des <strong>Zentrum</strong>s <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e.V., die vom Bun-<br />
desministerium <strong>für</strong> Bildung und Forschung und dem Innovationsverbund Ostdeutsch-<br />
landforschung unterstützt wurde, reiht sich ein in eine Reihe von Aktivitäten,<br />
Workshops und Tagungen des Netzwerks Ostdeutschlandforschung. Gerade in<br />
jüngster Zeit ist dieser Verbund, zu dem das zsh von Anfang an als aktiver Mitstreiter<br />
gehört, nicht nur mit Forschungs-, Begleit- und Gestaltungsprojekten in die Regionen<br />
gegangen; sondern vor allem die komplexen lokalen und regionalen Handlungs- oder<br />
Steuerungsbedingungen sind direkt in den Fokus geraten: Bei der Frage, ob und wie<br />
man Umbauprozesse erfassen und gestalten kann, wie man – um an das Tagungs-<br />
thema anzuknüpfen – in turbulenten Zeiten entsprechend agieren kann, rücken loka-<br />
le Zusammenhänge und die Vielfalt lokaler Akteure in den Mittelpunkt. Das geschieht<br />
hier durch die Herbsttagung mit einem gewichtigen thematischen Zuschnitt.<br />
Die sogenannte Umbruchsthese, also die Annahme, dass wir es sowohl in Ost- und<br />
Westdeutschland als auch global mit tiefen Umbrüchen eines längst in die Krise ge-<br />
ratenen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodells zu tun haben, war bzw. ist sozusagen<br />
paradigmatische Setzung <strong>für</strong> den Innovationsverbund. Neue Ostdeutschlandfor-<br />
schung heißt dann eben nicht nur und vorrangig den Spuren von Aufholprozessen in<br />
Ostdeutschland gegenüber Westdeutschland bzw. westdeutschen Regionen zu fol-<br />
gen, sondern hier wie dort Umbruchsdynamiken zu erfassen und nach Ansatzmög-<br />
lichkeiten <strong>für</strong> Gestaltung zu suchen. Worauf haben wir uns einzustellen, wenn – wie<br />
Burkart Lutz, Nestor des zsh und noch immer aktiver Mitstreiter im Verbund, schon<br />
vor Jahren betonte – „der Traum von der immerwährenden Prosperität“ zerplatzt ist?<br />
Diese Frage ist, das zeigen Wissenschaft und Politik, nicht leicht zu beantworten.<br />
Einige Anregungen und Vorschläge hat der Innovationsverbund bereits vorgelegt<br />
(www.ostdeutschlandforschung.net), viele Projekte laufen noch. Die gerade <strong>für</strong> Ost-<br />
deutschland zentrale Frage der Fachkräftesicherung gehört in den Kompetenzbe-<br />
reich vom zsh und hat hier schon zu vielen originellen Einschätzungen und Überle-<br />
gungen geführt. Erst vor einigen Monaten war die „verlorene Generation“ Thema ei-<br />
ner großen und kontroversen Debatte. Bürgerarbeit und Arbeitgeberzusammen-
Michael Thomas<br />
schlüsse als zwei zentrale Schwerpunkte dieser Tagung haben Eingang gefunden in<br />
eine umfassende Initiative und Buchpublikation über kreative Projekte in Ostdeutsch-<br />
land. Mit demografischen Herausforderungen als auch mit der Finanz- und Wirt-<br />
schaftskrise gewinnt diese Frage nochmals an Brisanz. Gerade hierin spiegeln sich<br />
bisher nicht bewältige Umbruchsherausforderungen und zeigen sich Grenzen bloßer<br />
Reparaturansätze, die weder Menschen in Beschäftigung noch Unternehmen die<br />
benötigten Fachkräfte bringen. Bei allen Erfolgen in einzelnen Branchen und Berei-<br />
chen, bei erstaunlicher Krisenfestigkeit vieler ostdeutscher Unternehmen – es zeich-<br />
net sich überdeutlich eine neue Falle von anhaltender Arbeitslosigkeit und Fachkräf-<br />
teknappheit ab, die regionaler Expertise und Intervention bedarf.<br />
Das Netzwerk Ostdeutschlandforschung wurde im Frühjahr 2005 gegründet, der In-<br />
novationsverbund – als Zusammenschluss der Netzwerkinstitute mit dem <strong>Zentrum</strong><br />
Technologie und Gesellschaft an der TU Berlin – einige Monate später. Die Zusam-<br />
menarbeit erfolgt mit Universitäten, wissenschaftlichen Einrichtungen und regionalen<br />
Institutionen weit über den Verbund hinaus. Mit einem Projekt zu Social Capital in<br />
europäischen Regionen hat der Verbund eine vergleichende europäische Perspekti-<br />
ve eingenommen, zudem wird hier die direkte Kooperation zwischen Wissenschaften<br />
und Kunst (Theater) praktiziert. In verschiedenen Projekten und strategisch-<br />
konzeptionellen Ausarbeitungen wird der Versuch verfolgt, Ostdeutschland zu einem<br />
Vorreiter werden zu lassen bei der Wende zu einem ressourcensparenden Entwick-<br />
lungspfad. Mit einem solchen demokratischen, solidarischen und eben an Ressour-<br />
ceneffizienz ausgerichteten Entwicklungspfad wären vor allem die Umbruchsheraus-<br />
forderungen zu bewältigen. Formen der Selbstorganisation, nach denen hier auf der<br />
Tagung gesucht wird, sowie neue Inhalte und Formen von Ausbildung und Qualifizie-<br />
rung stellen dabei wichtige Voraussetzungen dar. Insofern sollte die Tagung, das<br />
gehört zu „turbulenten Zeiten“, nicht nur Bilanz und Abschluss sein, sondern Bau-<br />
stein in einer umfassenden, komplexen Suche nach Zukunft.<br />
10
Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ in Sachsen-Anhalt<br />
Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ in Sachsen-Anhalt<br />
11<br />
Sylvia Kühnel<br />
Projektleiterin, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen<br />
Warum wurde das Konzept „Bürgerarbeit“ entwickelt?<br />
Bis zum Ende des Jahres 2008 haben die Arbeitslosenzahlen in Deutschland eine<br />
sehr erfreuliche Entwicklung genommen. Dennoch blieb eine hohe Zahl von lang-<br />
zeitarbeitslosen Personen weiterhin ohne Beschäftigung – in Sachsen-Anhalt waren<br />
es rund 40% des gesamten Arbeitslosenbestandes. Die Ursachen hier<strong>für</strong> sind man-<br />
nigfaltig. Zum einen liegen sie bei den veränderten Anforderungen an die Qualifika<br />
tion der Beschäftigten, zum anderen aber auch an der mit der Dauer der Arbeitslo-<br />
sigkeit wachsenden Resignation und der damit sinkenden Motivation.<br />
Die Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit sind gravierend und betreffen in besonderem<br />
Maße auch künftige Generationen. Kinder erleben in vielen Familien nicht mehr die<br />
Berufstätigkeit als Sinn stiftenden Lebensinhalt. Mit den bekannten Instrumenten der<br />
Arbeitsmarktpolitik lässt sich dieses Phänomen nicht nachhaltig genug bekämpfen.<br />
Aus diesem Grund werden mit dem Konzept „Bürgerarbeit“ seit dem Jahr 2006 neue<br />
Wege erprobt. Das Konzept vereint erstmalig Elemente des „Workfare“ mit der Idee<br />
eines „Sozialen Arbeitsmarktes“.<br />
Was ist „Bürgerarbeit“?<br />
Die Grundidee der „Bürgerarbeit“ besteht in der konsequenten Aktivierung des ge-<br />
samten Arbeitslosenbestandes bei gleichzeitigem Angebot von gemeinnütziger, so-<br />
zialversicherungspflichtiger Beschäftigung <strong>für</strong> diejenigen Menschen, die selbst bei<br />
guter konjunktureller Lage aufgrund multipler Vermittlungshemmnisse auch mittelfris-<br />
tig keine Chance am Ersten Arbeitsmarkt haben.<br />
Nach einem vierstufigen, kaskadierten System wird jedem Arbeitslosen ein auf seine<br />
individuelle Situation zugeschnittenes Angebot unterbreitet, das die Arbeitslosigkeit<br />
in absehbarer Frist beendet.<br />
Zunächst werden in einer ersten Stufe alle Arbeitslosen zu einem Beratungsge-<br />
spräch in die Agentur <strong>für</strong> Arbeit bzw. zum Grundsicherungsträger eingeladen. Ziel<br />
des Gespräches ist die Feststellung der aktuellen Bedarfe und Ressourcen des Kun-<br />
den im Rahmen eines Profilings. Ist die Nähe zum Arbeitsmarkt erkannt, können wei-
Sylvia Kühnel<br />
tere Schritte in Richtung der individuellen Integration unternommen werden. Diese<br />
werden gemeinsam mit dem Kunden besprochen und in der Eingliederungsvereinba-<br />
rung festgehalten.<br />
Die Aktivitäten der zweiten Stufe sind ein direktes Ergebnis des Profilings und<br />
betreffen marktnahe Kunden. Sofern passende Angebote auf dem Ersten Arbeits-<br />
markt vorhanden sind, werden die entsprechenden Aktivitäten sofort ausgelöst, Er-<br />
folge konsequent nachgehalten und Misserfolge gemeinsam analysiert. Eigene Be-<br />
mühungen um einen Arbeitsplatz werden eingefordert und unterstützt, wenn erforder-<br />
lich, auch durch Beschäftigung begleitende Instrumente der aktiven Arbeitsmarkt-<br />
politik.<br />
Sofern das Ergebnis des Profilings einen Bedarf zur Erweiterung der Kenntnisse und<br />
Fertigkeiten aufzeigt, kommen im Rahmen der dritten Stufe geeignete Maßnahmen<br />
und Instrumente zum Einsatz, z.B. eine Weiterbildung. Das Angebot dient dem<br />
Zweck der gezielten Verbesserung der individuellen Vermittlungschancen. Um einen<br />
größtmöglichen Eingliederungserfolg nach der Weiterbildung zu erzielen, ist die Be-<br />
rücksichtigung der Bedarfe regionaler Arbeitgeber unerlässlich.<br />
All denjenigen Arbeitslosen, die durch die Stufen 1 bis 3 nicht in den Ersten Arbeits-<br />
markt eingegliedert werden konnten bzw. deren Integration auf Grund multipler Prob-<br />
lemlagen von vornherein auch mittelfristig nicht wahrscheinlich erscheint, wird in der<br />
vierten Stufe ein Angebot <strong>für</strong> eine zusätzliche, gemeinnützige Beschäftigungsmög-<br />
lichkeit, die „Bürgerarbeit“ im engeren Sinne, unterbreitet. Der Einsatz orientiert sich<br />
so weit als möglich an den Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnissen des Einzelnen.<br />
Ausgewählt werden ausschließlich sozialversicherungspflichtige Tätigkeiten in ge-<br />
meinnützigen Bereichen wie z.B. in Vereinen, Kirchen oder in der Seniorenbetreu-<br />
ung. Das sind Arbeiten, die ohne „Bürgerarbeit“ nicht erledigt würden.<br />
Um eine Substitution bestehender Arbeitsplätze und die Beschränkung der örtlichen<br />
Wirtschaft, etwa durch eine Reduzierung des Auftragsvolumens, zu verhindern, ist es<br />
wichtig, alle regionalen Arbeitsmarktakteure zu vernetzen und an der Entscheidung<br />
über die Einrichtung von gemeinnützigen Beschäftigungsplätzen zu beteiligen.<br />
Es wird ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis – mit Ausnahme<br />
der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung – begründet. Die wöchentliche Arbeitszeit<br />
beträgt 30 Stunden und lässt damit Raum <strong>für</strong> eigene weitere Aktivitäten zur Arbeit-<br />
12
Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ in Sachsen-Anhalt<br />
suche, ggf. auch <strong>für</strong> eine tätigkeitsbezogene Qualifizierung, denn „Bürgerarbeit“ ist<br />
keine „Einbahnstraße“. Die persönlichen Fortschritte werden von den Vermittlungs-<br />
fachkräften regelmäßig analysiert und Möglichkeiten der Unterstützung <strong>für</strong> eine nun<br />
näher ins Blickfeld gerückte Integration in den Ersten Arbeitsmarkt geprüft.<br />
Wo und wie wurde das Konzept „Bürgerarbeit“ bisher erprobt?<br />
Das Konzept „Bürgerarbeit“ wird seit November 2006 in Bad Schmiedeberg (Land-<br />
kreis Wittenberg) erprobt. Ab Februar 2007 folgte Barleben (Bördekreis), ab Juli 2007<br />
die Orte Gerbstedt und Kelbra im Landkreis Mansfeld-Südharz sowie Hecklingen im<br />
Salzlandkreis. Darüber hinaus wurde die „Bürgerarbeit“ von Juli 2007 bis zum Som-<br />
mer 2009 auch in Schmölln (Kreis Altenburger Land) erprobt. Weitere Modelltests<br />
wurden ab 2008 in drei bayerischen Standorten mit vergleichsweise hoher Arbeitslo-<br />
sigkeit durchgeführt.<br />
Im ersten Förderzeitraum wurde die vierte Stufe im rechtlichen Rahmen der §§ 260<br />
ff. SGB III ausgestaltet; seit dem zweiten Förderjahr wird der Beschäftigungszu-<br />
schuss (§ 16e SGB II) <strong>für</strong> den Rechtskreis SGB II genutzt.<br />
Das Land Sachsen-Anhalt beteiligt sich seit dem Projektstart an der Finanzierung;<br />
aktuell werden 25% des Arbeitgeberbruttolohns sowie die entstehenden Sachkosten<br />
übernommen. Der Freistaat Thüringen hatte ebenfalls Anteil an der Finanzierung des<br />
Modelltests in Schmölln und begleitet auch weiterhin die Förderung der erhalten ge-<br />
bliebenen zusätzlichen Arbeitsplätze.<br />
Welche Ergebnisse und Erfahrungen resultieren aus der bisherigen Modeller-<br />
probung?<br />
Innerhalb der Stufen 1 und 2 haben sich an allen Modellstandorten mehr als 20 Pro-<br />
zent der Arbeitslosen binnen weniger Wochen in reguläre Beschäftigung abgemel-<br />
det, selbst in Regionen mit sehr schwieriger Arbeitsmarktsituation wie Sangerhau-<br />
sen. Ursächlich hier<strong>für</strong> war zum Teil auch die Einengung der Zeiträume <strong>für</strong> Tätigkei-<br />
ten in der Schattenwirtschaft.<br />
An allen Modellstandorten wurde die Arbeitslosigkeit um mehr als 50 Prozent ge-<br />
senkt.<br />
13
Sylvia Kühnel<br />
Abbildung 1<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
0<br />
Sep 06<br />
Nov 06<br />
Entwicklung der Arbeitslosigkeit in bespielhaften Modellstandorten der<br />
"Bürgerarbeit"<br />
Jan 07<br />
Mrz 07<br />
Mai 07<br />
Jul 07<br />
Sep 07<br />
Nov 07<br />
Jan 08<br />
Mrz 08<br />
Mai 08<br />
Jul 08<br />
Sep 08<br />
Nov 08<br />
Jan 09<br />
Mrz 09<br />
Bad Schmiedebg Gerbstedt Kelbra<br />
14<br />
Mai 09<br />
Jul 09<br />
Sep 09<br />
Mit der Teilnahme am Erwerbsleben verbessert sich auch die soziale und gesell-<br />
schaftliche Teilhabe. Dadurch gewinnen die Betreffenden neues Selbstwertgefühl<br />
und Motivation <strong>für</strong> die weitere Stellensuche. Dass der Eingliederungserfolg kein Ein-<br />
zelfall ist, zeigen die bisherigen Erfahrungen an allen Modellstandorten – im Schnitt<br />
haben etwa zehn Prozent der ehemals Chancenlosen zwischenzeitlich eine Tätigkeit<br />
auf dem Ersten Arbeitsmarkt aufgenommen, weitere fünf bis zehn Prozent haben mit<br />
einer Qualifizierung auf den neu erworbenen Kenntnissen und Fertigkeiten aufge-<br />
setzt.<br />
Die Analyse einer Grundgesamtheit von (ehemals) Arbeitslosen in Bad Schmiede-<br />
berg über einen Zeitraum von November 2006 bis zur Gegenwart ergab eine bestän-<br />
dige Einsparung von 35 - 38 Prozent der zum Projektstart gezahlten passiven Leis-<br />
tungen (Arbeitslosengeld II – Regelleistung und Leistungen <strong>für</strong> Unterkunft und Hei-<br />
zung).
Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ in Sachsen-Anhalt<br />
Gesamtfiskalisch funktioniert das Konzept annähernd kostendeckend, wie auch die<br />
Evaluation durch das <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> belegt.<br />
Wie ist der aktuelle Stand <strong>für</strong> eine weitere Umsetzung des Konzeptes in der<br />
Praxis?<br />
Im Abschlussbericht der Studie „Umsetzung des Workfare – Ansatzes im BMWi-<br />
Modell <strong>für</strong> eine Existenz sichernde Beschäftigung“ vom Mai 2008, erstellt vom Institut<br />
zur Zukunft der Arbeit (IZA), wurden das Konzept und die bisherige Erprobung sehr<br />
positiv bewertet und angeregt, „Bürgerarbeit“ im Rahmen eines kontrollierten Expe-<br />
riments mit zeitlicher Begrenzung in einer oder mehreren Großstädten einzuführen.<br />
Das Projekt fand Eingang in den Koalitionsvertrag innerhalb der Kapitel „Aktive Ar-<br />
beitsmarktpolitik“ und „Effizienzsteigerung bei den Arbeitsmarktinstrumenten“. Hier-<br />
nach wird die Koalition die Voraussetzungen da<strong>für</strong> schaffen, dass neue Lösungsan-<br />
sätze wie die „Bürgerarbeit“ ab Beginn der Arbeitslosigkeit erprobt werden können.<br />
Der Sorge vieler Menschen vor Abstieg und Überforderung soll begegnet werden,<br />
indem marktgerechte Arbeitsplätze gefördert werden statt Arbeitslosigkeit zu finan-<br />
zieren.<br />
15
Sylvia Kühnel<br />
16
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
Finanzierung von Arbeit statt Arbeitslosigkeit -<br />
17<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
Ein Projekt zur Integration von Langzeitarbeitslosen seit November 2006<br />
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
<strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e.V.<br />
Inhaltlich schließt sich dieser Beitrag an das Referat von Frau Kühnel von der Regio-<br />
naldirektion Sachsen-Anhalt Thüringen an und wird die dort schon aufgezeigten<br />
Grundlagen und Voraussetzungen des Projektes Bürgerarbeit nicht noch einmal be-<br />
leuchten. In diesem Artikel sollen einige andere Aspekte des Modellversuches „Bür-<br />
gerarbeit in Bad Schmiedeberg“ präsentiert werden. Das <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> Sozialfor-<br />
schung <strong>Halle</strong> hat dieses Projekt von Beginn an wissenschaftlich begleitet und evalu-<br />
iert. Die Evaluationsphase verlief von November 2006 bis Frühjahr 2008. Trotz Ab-<br />
schluss der Evaluation im Frühjahr 2008 wurde das Projekt weiterhin beobachtet und<br />
die Befragungsreihe fortgesetzt.<br />
Was will Bürgerarbeit?<br />
„Arbeitslose Menschen, die selbst bei guter Konjunkturlage<br />
keine Chancen am ersten Arbeitsmarkt haben,<br />
sollen im gemeinnützigen Bereich sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden.“<br />
So heißt es im „Qualitätssiegel Bürgerarbeit“ des Magdeburger Kreises (2006).<br />
Die Ursachen dieser zumeist langfristigen Chancenlosigkeit am ersten Arbeitsmarkt<br />
sind vielfältig und nicht immer im persönlichen Umfeld der Betroffenen zu suchen.<br />
Einige wären zum Beispiel ein höheres Alter, ein nicht mehr passender Beruf, feh-<br />
lende öffentliche und private Mobilität, Wohneigentum und eine sichere Beschäfti-<br />
gung des Partners, wodurch die Bereitschaft, die zumeist lebenslang gewohnte Re-<br />
gion zu verlassen, zusätzlich gesenkt wird.<br />
Die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen, die Bürgerarbeit bietet, müssen:<br />
• zusätzlich<br />
• marktfern und<br />
• sinnvoll <strong>für</strong> die Region oder die Kommune sein.<br />
Aber dazu später mehr.
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
Zuerst soll die Region Bad Schmiedeberg, die hier im Mittelpunkt steht, kurz näher<br />
vorgestellt werden.<br />
Bad Schmiedeberg<br />
Bad Schmiedeberg ist ein kleines Städtchen mit 4200 Einwohnern. Es liegt im Her-<br />
zen des Naturparkes Dübener Heide im Osten Sachsen-Anhalts. Seit 1878 ist Bad<br />
Schmiedeberg Kurort und kennzeichnet sich durch eine landschaftlich-reizvolle, aber<br />
industriefreie Umgebung.<br />
Zur Entwicklung der Arbeitslosigkeit<br />
Vor Projektbeginn, im September 2006, lag die Arbeitslosenquote bei knapp 16 Pro-<br />
zent. Durch Bürgerarbeit sank die Arbeitslosenquote auf sechs Prozent und blieb bis<br />
zum Beginn diesen Jahres auf diesem Niveau.<br />
Sowohl durch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise, aber vermutlich auch aufgrund<br />
personeller Umstellungen im Projekt Bürgerarbeit stieg die Arbeitslosigkeit auf etwa<br />
acht Prozent im Frühjahr 2009. Infolge formal-rechtlicher Regelungen gab es <strong>für</strong> Per-<br />
sonen aus dem SGB-III-Bereich keine Möglichkeit mehr, in Bürgerarbeit zu verblei-<br />
ben. Zwar wurden allen Betroffenen andere Maßnahmen angeboten, aber einige<br />
konnten oder wollten diese nicht in Anspruch nehmen.<br />
1. Das Projekt Bürgerarbeit, seine Akteure und Prozesse<br />
Die Akteure<br />
Die Hauptakteure, die sich <strong>für</strong> das Projekt „Bürgerarbeit“ an einen gemeinsamen<br />
Tisch setzten, waren:<br />
• das Ministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-Anhalt,<br />
• die gemeinsame Arbeitsgruppe „Bürgerarbeit“ der Agentur <strong>für</strong> Arbeit und der<br />
ARGE Wittenberg,<br />
• die Stadt Bad Schmiedeberg als Kommune, in der das Projekt durchgeführt<br />
werden sollte,<br />
• die als Arbeitgeber fungierenden ausgewählten Trägergesellschaften, mit de-<br />
nen die Agentur <strong>für</strong> Arbeit und die ARGE Wittenberg schon langjährig in ande-<br />
ren arbeitsmarktpolitischen Projekten gut zusammenarbeitete,<br />
18
19<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
• die sogenannten „Einsatzstellen“, also die Arbeitsplätze der Bürgerarbeiter,<br />
die durch die zwei Träger und die Stadt Bad Schmiedeberg aquiriert wurden<br />
sowie<br />
• Vertreter der lokalen Wirtschaft.<br />
Übersicht 1: Akteure<br />
regionale Agentur regionale ARGE<br />
Gemeinsame Arbeitsgruppe<br />
„Bürgerarbeit“<br />
Lokale Wirtschaft<br />
Medien<br />
Von außen wurde das Projekt, vor allem im ersten Jahr, sehr genau von der Bevölke-<br />
rung der Stadt und des Landkreises und den Medien beobachtet.<br />
Schließlich dürfen als unmittelbare HAUPTAKTEURE <strong>für</strong> den Erfolg des Projektes<br />
natürlich die Bürgerarbeiterinnen und Bürgerarbeiter selbst nicht vergessen werden.<br />
Zwischen den Akteuren des Projektes Bürgerarbeit bestanden und bestehen große<br />
Abhängigkeiten. Die Rahmenbedingungen des Projektes waren durch die gesetzli-<br />
chen, zumeist arbeitsmarktpolitischen Bestimmungen vorgegeben, innerhalb dieses<br />
Rahmens waren aber alle Akteure mehr oder weniger gleichberechtigt. Um erfolg-<br />
reich zu sein, mussten und müssen sie miteinander reden, einander zuhören und<br />
aufeinander zugehen – sie verhandeln und handeln miteinander. Diese Aushand-<br />
lungsprozesse sollen im Folgenden – sowohl in ihrer zeitlichen als auch in ihrer in-<br />
haltlichen Ebene – etwas ausführlicher beschrieben werden.<br />
Die Aushandlungsprozesse<br />
Bürgerarbeit<br />
„Arbeitgeber“<br />
Träger 1<br />
Die Hauptaufgaben des Projektes liegen dabei schon in den Händen der Agentur<br />
<strong>für</strong> Arbeit und der ARGE, sind aber von ihnen allein weder durch Anweisung noch<br />
durch Kontrolle und Sanktionierung lösbar.<br />
Land Sachsen-Anhalt<br />
Träger 2<br />
Kommune<br />
Stadt Bad Schmiedeberg<br />
„Einsatzstellen“<br />
Bevölkerung<br />
Bürgerarbeiter/innen
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
Die sonst deutlich hierarchisch voneinander getrennt agierenden Akteure sind in Pro-<br />
jekten wie Bürgerarbeit zu offenen, weitestgehend hierachiefreien Aushandlungspro-<br />
zessen gezwungen, da der Erfolg nur durch freiwilliges Engagement, Kooperation<br />
und Einsatz aller am Prozess Beteiligten erreicht werden kann. Trotzdem müssen<br />
bestimmte Weisungsrechte beachtet werden, wie die Prüfung der angebotenen Bür-<br />
gerarbeitsstellen und die Kontrolle der Einhaltung der Tätigkeitsbereiche.<br />
Im Projektverlauf waren verschiedene Aushandlungsprozesse, die terminlich nicht<br />
immer getrennt voneinander verliefen, notwendig.<br />
Nachdem die Projektidee „geboren“ war, gab es zuerst eine Reihe von Gesprächs-<br />
runden ( 1) zur Organisation und Finanzierung von Bürgerarbeit zwischen dem<br />
Land Sachsen-Anhalt und der regionalen Agentur <strong>für</strong> Arbeit und der entsprechenden<br />
ARGE.<br />
In diese Gespräche wurden dann ( 2) die ausgewählte Kommune, die Stadt Bad<br />
Schmiedeberg und zwei Trägergesellschaften, die als Arbeitgeber fungieren sollten,<br />
einbezogen. In mehreren Runden wurden die Projektidee und deren potentielle Um-<br />
setzung vorgestellt, diskutiert und die Organisations- und Umsetzungsstrukturen<br />
ausgehandelt. Zu diesem Zeitpunkt wurden mögliche Einsatzfelder noch nicht kon-<br />
kret benannt und eingegrenzt.<br />
In der nachfolgenden Phase ( 3) suchten die als Arbeitgeber fungierenden Träger-<br />
gesellschaften und die Stadt Bad Schmiedeberg in Absprache mit der Arbeitsgruppe<br />
der Agentur und ARGE nach potentiellen Einsatzstellen <strong>für</strong> die Bürgerarbeiter/innen.<br />
Seitens der Träger und der Kommune wurden diese potentiellen Einsatzstellen über<br />
die Projektidee und deren Organisation informiert ( 2).<br />
Auch zwischen den Trägern fanden Aushandlungsprozesse über die potentiellen<br />
Einsatzstellen statt. ( 3).<br />
Die Träger und die Kommune „übergaben“ an die Arbeitsgruppe der ARGE eine<br />
Übersicht über potentielle Einsatzstellen <strong>für</strong> die Bürgerarbeiter. Diese Arbeitsberei-<br />
che wurden diskutiert, auf die entsprechenden Kriterien wie Zusätzlichkeit, Martkfer-<br />
ne und Sinnhaftigkeit hin bewertet und entweder in den möglichen Einsatzkatalog<br />
aufgenommen oder gestrichen. Dieser Prozess ( 4) erfolgte nicht am Schreibtisch,<br />
sondern in Diskussion mit dem Land, mit Vertretern der lokalen Wirtschaft und mit<br />
den als Arbeitgeber fungierenden Trägern und der Kommune.<br />
20
21<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
In den darauffolgenden Gesprächsrunden wurden die ausgewählten Einsatzstellen<br />
von der Arbeitsgruppe der Agentur und ARGE über das Projekt und seine Struktur<br />
detailliert informiert, die Auswahl der Einsatzstellen und die Anforderungen an die<br />
erlaubten Tätigkeiten vorgestellt ( 5).<br />
Sowohl mit den Trägern als auch mit den ausgewählten Einsatzstellen wurden die<br />
notwendigen Kontrollmechanismen zur Sicherstellung der Marktferne der Tätigkeiten<br />
diskutiert ( 6). Diese Kontrollfunktion übernahm in der ersten Projektphase eine<br />
Projektmanagementgruppe aus drei ausgewählten Bürgerarbeitern, welche als Ver-<br />
bindung zwischen der Agentur/ARGE auf der einen Seite und den Trägern, ihren<br />
Einsatzstellen und den Bürgerarbeitern vor Ort auf der anderen Seite fungieren soll-<br />
te. Diese Projektmanagementgruppe diente sowohl der Aquirierung neuer Einsatz-<br />
stellen und der Kontrolle der Einhaltung der Tätigkeitsbereiche als auch als An-<br />
sprechpartner <strong>für</strong> alle Belange der Bürgerarbeiter/innen. Gleichzeitig führten aber<br />
sowohl die Arbeitsgruppe „Bürgerarbeit“ der Agentur/ARGE als auch die Träger und<br />
die Kommune selbstständig Kontrollen der Einsatzstellen durch.<br />
Übersicht 2: Akteure<br />
regionale Agentur regionale ARGE<br />
Gemeinsame Arbeitsgruppe<br />
„Bürgerarbeit“<br />
3. Mögliche<br />
Einsatzfelder<br />
4. Marktferne<br />
d. Einsatzfelder<br />
Lokale Wirtschaft<br />
PM<br />
„Arbeitgeber“<br />
Träger 1 Träger 2<br />
3<br />
Diese Aushandlungsprozesse stellen an alle Beteiligten hohe Anforderungen be-<br />
züglich der Offenheit, der Flexibilität und des Engagements.<br />
4<br />
1. Organisation, Finanzierung<br />
6. Kontrolle, Ansprechpartner<br />
2. Projektidee und Organisation<br />
5. Projektidee, Anforderungen, Struktur<br />
4.<br />
3<br />
Land Sachsen-Anhalt<br />
Kommune<br />
Stadt Bad Schmiedeberg<br />
6.<br />
3<br />
6.<br />
„Einsatzstellen“
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
Aushandlungsprozesse und ihre Anforderungen<br />
Als wichtigste Anforderungen an alle Beteiligten kristallisierten sich in der Evaluation<br />
des Projektes vor allem sieben Punkte heraus:<br />
(1) Eine transparente Zielformulierung und Zielorientierung scheint in diesen<br />
Prozessen von besonderer Bedeutung zu sein. Allen Akteuren muss zu jedem Zeit-<br />
punkt des Projektes verständlich sein, WELCHES Ziel WIE erreicht werden soll. Die<br />
Orientierung auf dieses Ziel muss immer wie neu erfolgen und gegebenenfalls ver-<br />
änderten Strukturen angepasst werden.<br />
Eine wichtige Voraussetzung sind dabei (2) Projektarbeit- und Teamfähigkeit. Alle<br />
Beteiligten müssen zusammenarbeiten, Ideen einbringen, einander zuhören, Kom-<br />
promisse eingehen und aufeinander Rücksicht nehmen.<br />
Dabei verlangen diese Prozesse von den Akteuren (3) Offenheit, Flexibilität und<br />
Kreativität. Die Bereitschaft zur Offenheit ist insbesondere gefordert in der Kontrolle<br />
der Tätigkeitsbereiche, Flexibilität bei der Überwindung nicht vorhersehbarer Schwie-<br />
rigkeiten und Kreativität bei der Suche nach neuen Wegen, um Langzeitarbeitslose<br />
einer Region vor allem sozial besser integrieren zu können.<br />
Dazu ist ein (4) hohes Engagement aller Beteiligten und (5) die Bereitschaft zur<br />
Übernahme von Verantwortung notwendig.<br />
Allen Beteiligten wurde dabei ein hohes Maß an (6) Verhandlungs- und Kompro-<br />
missbereitschaft abverlangt. Niemand in diesem Projekt besaß ein alleiniges Wei-<br />
sungsrecht, sondern war immer auf die Unterstützung und Mitarbeit der anderen Ak-<br />
teure mit angewiesen. Für den Erfolg der Aushandlungsprozesse war dabei insbe-<br />
sondere eine (7) positive Feedback-Verarbeitung notwendig, um die Vorstellungen<br />
aller Akteure aufzunehmen und ihren Erwartungen weitestgehend gerecht werden zu<br />
können.<br />
Wie konnten diese hohen Anforderungen erfolgreich umgesetzt werden? Eine wichti-<br />
ge Rolle spielt dabei die Hierarchie der Akteure in diesem Projekt.<br />
22
Hierarchie der Akteure<br />
23<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
Die zentrale, von oben nach unten verlaufende Hierarchie mit einem weisungsbe-<br />
rechtigten Organ, wie sie in vielen Projekten üblich ist, konnte aufgrund der besonde-<br />
ren Anforderungen des Projektes und der damit verbundenen immer wiederkehren-<br />
den lokalen Aushandlungsprozesse nicht greifen.<br />
Sowohl die in festen hierarchischen Strukturen anweisenden Organe (Agentur <strong>für</strong><br />
Arbeit, ARGE) als auch die in solchen Strukturen untergeordneten, ausführenden<br />
Organe (Träger, Einsatzstellen) mussten zum Erfolg dieses Projektes Verhandlungs-<br />
bereitschaft zeigen und Verantwortung übernehmen und besaßen die Freiheit, Ent-<br />
scheidungen zu treffen. Alle saßen, weitestgehend gleichberechtigt, an einem runden<br />
Tisch. Ein Hauptergebnis der Evaluation war: Eine zentrale Steuerung hätte das Pro-<br />
jekt „Bürgerarbeit“ von vornherein zum Scheitern verurteilt.<br />
Einen der wichtigsten Inhalte dieser Aushandlungsprozesse bildeten die Tätigkeits-<br />
bereiche der Bürgerarbeiter/innen.<br />
Tätigkeitsbereiche der Bürgerarbeiter/innen<br />
Nicht nur die Anforderungen an die Akteure in den Aushandlungsprozessen, sondern<br />
auch die Anforderungen an die Tätigkeitsbereiche der Bürgerarbeiter/innen sind<br />
enorm hoch.<br />
Die Forderungen nach Marktferne der Tätigkeiten bei gleichzeitigem Anspruch an<br />
Sinnhaftigkeit und Zusätzlichkeit sowie (regionalem) Nutzen der Tätigkeiten ver-<br />
langen immer wiederkehrende Aushandlungsprozesse. Diese sind abhängig von den<br />
lokalen und regionalen Entwicklungen und gerade deshalb nicht von oben steuerbar<br />
und nur begrenzt zu beeinflussen.<br />
Die Einschätzung, ob eine Tätigkeit marktfern oder marktnah ist, ist vor allem von der<br />
Strukturstärke und der regionalen Entwicklung abhängig. Marktferne Tätigkeiten in<br />
strukturschwachen, finanziell armen Regionen können durchaus in strukturstarken,<br />
finanziell gut gestellten Regionen zu den marktnahen Tätigkeiten gehören. Vor allem<br />
deshalb ist es notwendig, in regelmäßigen Abständen die Entwicklungskraft der Re-<br />
gion neu zu bestimmen, die Tätigkeitsbereiche zu überprüfen und insbesondere bei<br />
Veränderungen in der regionalen Entwicklung über die Tätigkeitsbereiche neu zu<br />
diskutieren, zu verhandeln und zu entscheiden.
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
2. Das Projekt Bürgerarbeit und die Bürgerarbeiter/innen<br />
Im Folgenden sollen ausgewählte Ergebnisse der Evaluation zu den Bürgerarbei-<br />
ter/innen im Mittelpunkt stehen.<br />
Die Evaluationsphase lief, wie anfangs schon kurz angeführt, von November 2006<br />
bis zum Frühjahr 2008. In dieser Zeit gab es mehrere Gesprächsrunden mit Vertre-<br />
tern des Landes Sachsen-Anhalt, der Agentur <strong>für</strong> Arbeit und der ARGE. Allen vor Ort<br />
beteiligten Akteure – die Kommune, die Träger, die Einsatzstellen und die Bürgerar-<br />
beiter – wurden zweimal in qualitativen Interviews befragt.<br />
Die ersten Bürgerarbeiter/innen begannen mit ihrer Tätigkeit im Dezember 2006. Die<br />
erste Befragung aller Bürgerarbeiter fand im März/April 2007 und die Zweite im No-<br />
vember 2007 statt. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich sowohl Langzeitarbeitslose<br />
aus dem SGB-II und dem SGB-III-Bereich in Bürgerarbeit.<br />
Ab Januar 2009 entfiel die Berechtigung <strong>für</strong> Bürgerarbeit <strong>für</strong> Personen aus dem<br />
SGB-III-Bereich. Auch aus diesem Grund, aber vor allem aus Neugier, wie es im Pro-<br />
jekt weiterging, befragten wir außerhalb der Evaluation im Juni 2009 knapp die Hälfte<br />
aller noch im Projekt beteiligten Bürgerarbeiter/innen und Einsatzstellen sowie die<br />
beiden Träger, die Kommune, die zuständige ARGE und die Regionaldirektion Sach-<br />
sen-Anhalt Thüringen ein drittes Mal.<br />
Bürgerarbeiter/innen und ihre Motive <strong>für</strong> Bürgerarbeit<br />
In der Erstbefragung der Evaluation im März/April 2007 fragten wir nach den Motiven<br />
<strong>für</strong> die Aufnahme von Bürgerarbeit.<br />
84 Prozent der Bürgerarbeiter/innen gaben an, „endlich wieder Arbeit zu haben“<br />
sei <strong>für</strong> sie das Hauptmotiv gewesen. 64 Prozent fühlten sich wieder gebraucht und<br />
58 Prozent fanden, das Bürgerarbeit wichtig ist, in dem Sinne, dass Leistungen <strong>für</strong><br />
die Region und die Kommune, die allen zu Gute kommen, erbracht werden. Erst an<br />
vierter Stelle wurde die „finanzielle Verbesserung“ genannt, die allerdings nur auf<br />
die Bürgerarbeiter/innen zutraf, die zum SGB-III-Bereich gehören, also vor Bürgerar-<br />
beit keine Leistungen bezogen, vor allem deshalb, weil das Einkommen des Partners<br />
über der Leistungsgrenze lag.<br />
Keine Wahl gehabt zu haben, Bürgerarbeit also annehmen zu müssen, gaben zu<br />
diesem Zeitpunkt elf Prozent der Befragten an.<br />
24
Die Anforderungen und Belastungen durch Bürgerarbeit<br />
25<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
Zu allen drei Befragungszeitpunkten wurden die Bürgerarbeiter/innen um eine Ein-<br />
schätzung der Belastungen und Anforderungen, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben,<br />
gebeten. Alle Belastungen und Anforderungen wurden als niedrig (2) bis eher niedrig<br />
(3) eingeschätzt.<br />
Übersicht 3: Anforderungen und Belastungen (1 = sehr niedrig, 6 = sehr hoch)<br />
Arbeitsorganisatorische<br />
Belastungen<br />
Körperliche<br />
Anforderungen<br />
Gesundheitliche<br />
Belastungen<br />
2,00<br />
2,06<br />
2,06<br />
2,59<br />
2,37<br />
2,58<br />
2,33<br />
2,95<br />
3,32<br />
März/April 2007 November 2007 Juni 2009<br />
1 2 3 4 5 6<br />
Die geringste Rolle spielten dabei die arbeitsorganisatorischen Belastungen, also<br />
diejenigen, die sich vor allem aus Arbeitsort, Arbeitszeit und Arbeitsweg ergeben.<br />
Sichtbar wird, dass im Verlauf von der ersten zur zweiten Befragung, also von März<br />
zu November 2007, sowohl die körperlichen Anforderungen als auch die gesund-<br />
heitlichen Belastungen als zunehmend empfunden wurden. Dies erstaunt nicht.<br />
In der ersten Phase, der Einarbeitungsphase (Dezember 2006 – März 2007) muss-<br />
ten sich die Bürgerarbeiter/innen neuen Tätigkeiten stellen, sich einarbeiten und sich<br />
mit neuen Anforderungen auseinandersetzen. Zu diesem Zeitpunkt wurden sie in<br />
ihren Einsatzstellen sehr eng betreut und begleitet.<br />
Im Verlauf des Projektes, praktisch nach Ende der Einarbeitungsphase im März/April<br />
2007 wurde von ihnen zunehmend selbstständigeres Arbeiten erwartet, was <strong>für</strong> nicht<br />
wenige von Ihnen eine nicht unbedingt neue, aber doch lange nicht erfahrene Anfor-<br />
derung darstellte. Gleichzeitig brachten sich viele von ihnen stärker in ihre Tätigkeit<br />
ein, füllten ihre Aufgaben kreativer aus und mit zunehmenden Selbstbewusstsein<br />
übernahmen sie auch mehr Tätigkeiten ohne ständige Kontrolle und Anleitung.<br />
Der Rückgang der empfundenen körperlichen Anforderungen im Zeitraum von No-<br />
vember 2007 zu Juni 2009 lässt sich vor allem mit der abgeschlossenen Gewöhnung
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
an die anstehenden Arbeiten erklären. Die Bürgerarbeiter/innen sind sozial integriert,<br />
kennen ihre Aufgaben genau und erfüllen diese weitestgehend ohne direkte Anlei-<br />
tung.<br />
Bei den gesundheitlichen Belastungen spielen neben den Anforderungen der Tätig-<br />
keiten auch die Unsicherheit über die Weiterführung des Projektes eine nicht zu ver-<br />
nachlässigende Rolle. Viele Bürgerarbeiter/innen zeigten sich im November 2007<br />
stark verunsichert bezüglich ihrer zukünftigen Tätigkeit, da zu diesem Zeitpunkt noch<br />
nicht feststand, ob das Projekt ab Januar 2009 weitergeführt wird oder nicht.<br />
Im Juni 2009 war diese Verunsicherung noch nicht so stark zu spüren, aber ange-<br />
sprochen wurde die Frage zur Weiterführung des Projektes von fast allen Bürgerar-<br />
beiter/innen. Auch die Einsatzstellen betonten zu beiden Befragungszeitpunkten,<br />
dass diese Unsicherheit mit zunehmender Nähe des Jahresende immer stärker bei<br />
den Bürgerarbeiter/innen zu spüren sei und auch die Einsatzstellen stark beschäftigt.<br />
Vielleicht könnte hier durch eine stärkere Einbeziehung der Kommune und der Trä-<br />
ger in die Bemühungen um die Weiterführung von Bürgerarbeit etwas Unsicherheit<br />
genommen werden.<br />
Nach der Frage zu den Anforderungen und Belastungen interessierte natürlich auch<br />
die Zufriedenheit der Bürgerarbeiter/innen.<br />
Die Zufriedenheit der Bürgerarbeiter/innen<br />
Insgesamt zeigt sich in fast allen Bereichen eine erstaunlich hohe Zufriedenheit der<br />
Bürgerarbeiter/innen.<br />
Die höchste Zufriedenheit zeigte sich – in der folgenden Übersicht nicht mit abgebil-<br />
det - bei der Partnerschaft mit 8,47 Punkten im Juni 2009. An zweiter Stelle, kurz da-<br />
hinter und deutlich vor den anderen Bereichen, liegt die Zufriedenheit mit der Arbeit.<br />
Die Ursache <strong>für</strong> die leichte Abnahme der Zufriedenheit in diesem Bereich von No-<br />
vember 2007 zu Juni 2009 sehen wir vor allem in den notwendigen Umsetzungen<br />
von Bürgerarbeiter/innen in andere Einsatzstellen zu Beginn des Jahres durch den<br />
Wegfall der Bürgerarbeiter/innen aus dem SGB-III-Bereich.<br />
26
27<br />
Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg<br />
Übersicht 4: Zufriedenheit (0 = niedrigste … 10 = höchste Zufriedenheit)<br />
Arbeit<br />
Leben allgemein*<br />
Haushaltseinkommen<br />
Individualeinkommen<br />
5,92<br />
5,56<br />
5,56<br />
5,48<br />
5,82<br />
5,81<br />
7,69<br />
7,72<br />
8,41<br />
8,72<br />
8,63<br />
Juni 2009**<br />
November 2007<br />
März/April 2007<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Die Zufriedenheit mit den erzielten Einkommen (sowohl Haushalts- als auch Indivi-<br />
dualeinkommen) ist deutlich geringer. Die Abnahme der Zufriedenheit bei den Indivi-<br />
dualeinkommen lässt sich auch durch den Wegfall der Personen aus dem Rechts-<br />
kreis SGB III erklären, da <strong>für</strong> diese ja das Einkommen aus Bürgerarbeit ein echtes<br />
zusätzliches Einkommen darstellte, <strong>für</strong> Personen aus dem Rechtskreis SGB II das<br />
Einkommen aber nur geringfügig über dem früheren Arbeitslosengeld liegt.<br />
Deutlich sichtbar wird, dass die Arbeit an sich einen höheren zufriedenheitstiftenden<br />
Wert darstellt als das Einkommen. Dies zeigte sich auch in der Auswertung der Fra-<br />
ge nach dem Nutzen, also danach, was Bürgerarbeit den Bürgerarbeiter/innen gibt<br />
Der Nutzen <strong>für</strong> die Bürgerarbeiter/innen und die Einsatzstellen<br />
An erster Stelle wurden von allen Bürgerarbeiter/innen selbstwertsteigernde Faktoren<br />
wie „ich fühle mich gebraucht“, „ich werde anerkannt“, „ich gehöre wieder dazu“ ge-<br />
nannt. Diese Selbstwertsteigerung, die damit verbundene soziale Integration und<br />
Anerkennung sind von besonders hohem Wert – vor allem <strong>für</strong> diejenigen, die in Bür-<br />
gerarbeit beschäftigt sind, aber auch <strong>für</strong> die Region und damit letztlich natürlich auch<br />
<strong>für</strong> die Gesamtgesellschaft eines Landes. Selbstwert, soziale Integration und Zufrie-<br />
denheit sind eng miteinander verbundene Faktoren, die das Lebensklima, die soziale<br />
Atmosphäre eines regionalen Raumes nachhaltig bestimmen.<br />
Der Erhalt und die Erhöhung ihres Humankapitals durch den Abruf von altem und<br />
dem Aufbau von neuem Wissen, das Sammeln von Arbeitserfahrungen und durch
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
die tägliche Auseinandersetzung mit gestellten Aufgaben und Anforderungen bildet<br />
einen weiteren Nutzen <strong>für</strong> die Bürgerarbeiter/innen, den sie während ihrer Arbeitslo-<br />
sigkeit nicht erfahren haben.<br />
Für einige Bürgerarbeiter/innen ergab sich eine deutliche Verbesserung ihrer Ar-<br />
beitsmarktposition und sie schafften den Übergang in den ersten Arbeitsmarkt.<br />
Bisher sind offenbar alle Bürgerarbeiter/innen, die während der Projektphase einen<br />
Arbeitsplatz auf dem ersten Arbeitsmarkt fanden, noch immer dort beschäftigt.<br />
Doch nicht nur die Bürgerarbeiter/innen, sondern auch die Einsatzstellen und damit<br />
insbesondere die Region Bad Schmiedeberg konnten einen nicht zu vernachlässi-<br />
genden Nutzen <strong>für</strong> sich erreichen: Neben der mit dem Einsatz der Bürgerarbei-<br />
ter/innen verbundenen Arbeits- und Zeitentlastung <strong>für</strong> Beschäftigte und/oder Ver-<br />
einsmitglieder konnten einige Einsatzstellen ihr Leistungsangebot aufrechterhalten<br />
und/oder erweitern. Andere Einsatzstellen erprobten <strong>für</strong> sich neue Beschäftigungs-<br />
formen und alle Einsatzstellen gewannen neue Erfahrungen und vor allem Sicher-<br />
heiten bei der Integration geförderter Beschäftigter in den Arbeitsalltag. Insgesamt<br />
stellten die Einsatzstellen deutlich unter Beweis, dass sie als verlässlicher Partner<br />
<strong>für</strong> die Stadt, die Agentur und ARGE sowie Träger bereit sind, Investitionen in Sozi-<br />
alkapital zu leisten und soziale Verantwortung <strong>für</strong> die Menschen, insbesondere <strong>für</strong><br />
die Langzeitarbeitslosen ihrer Regionen zu übernehmen.<br />
28
Bürgerarbeit in Bayern<br />
29<br />
Bürgerarbeit in Bayern<br />
Ein innovatives Konzept zur Senkung von Arbeitslosigkeit im Freistaat Bayern<br />
Undine Schreiber<br />
Projektleiterin, Regionaldirektion Bayern<br />
Das Projekt „Bürgerarbeit“ hat sich in bisher zehn Modellstandorten in Sachsen-<br />
Anhalt, Thüringen und Bayern als erfolgreiches und anerkanntes Konzept zur nach-<br />
haltigen Reduzierung von Arbeitslosigkeit bewährt. In allen Modellregionen ging die<br />
Arbeitslosigkeit nachweisbar dauerhaft zurück. Aufbauend auf der Konzeption aus<br />
Sachsen-Anhalt konnte das Projekt durch die konsequente Weiterentwicklung und<br />
Anpassung des Konzepts an regionale Gegebenheiten mit ebenso guten Ergebnis-<br />
sen in den drei bayerischen Städten mit vergleichsweise hoher Arbeitslosenzahl -<br />
Weiden, Hof und Coburg - umgesetzt werden. Denn: Es sollte Arbeit statt Arbeitslo-<br />
sigkeit finanziert werden.<br />
Die Grundidee der Bürgerarbeit besteht in der konsequenten Aktivierung des gesam-<br />
ten Arbeitslosenbestandes unabhängig von dessen Rechtskreiszugehörigkeit.<br />
Gleichzeitig wird denjenigen Menschen eine zusätzliche sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigung angeboten, die trotz guter konjunktureller Lage auch mittelfristig keine<br />
Chance am Ersten Arbeitsmarkt haben werden. Die Devise lautet: Jeder erhält ein<br />
Angebot und zwar eines, das auf seine individuelle Situation zugeschnitten ist.<br />
Über ein vierstufig kaskadiertes System wird jedem Arbeitslosen so ein Angebot un-<br />
terbreitet. Dazu werden in einer ersten Stufe alle Arbeitslosen zu einem Beratungs-<br />
gespräch in die Agentur <strong>für</strong> Arbeit bzw. zum Grundsicherungsträger eingeladen. Ziel<br />
des Gesprächs ist die Feststellung der aktuellen Bedarfe und Ressourcen des Kun-<br />
den. Ist die Nähe zum Arbeitsmarkt bestimmt, können weitere Schritte in Richtung<br />
der individuellen Integration unternommen werden. In einer zweiten Stufe werden die<br />
marktnahen Kunden durch eine individuelle intensive Beratung so rasch wie möglich<br />
vermittelt. Sofern ein Bedarf <strong>für</strong> eine Erweiterung der Kenntnisse und Fertigkeiten<br />
deutlich wurde, kommen im Rahmen der dritten Stufe geeignete Maßnahmen und<br />
Instrumente, zum Beispiel Weiterbildungsangebote, zum Einsatz, die mit den regio-<br />
nalen Arbeitgebern abgestimmt sein sollten. Erst wenn geförderte und eigene Aktivi-<br />
täten nicht zum Ziel führten, wird im Rahmen der vierten Stufe die „Bürgerarbeit“ als<br />
zusätzliche sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsalternative offeriert.
Undine Schreiber<br />
Der Einsatz in der „Bürgerarbeit“ orientiert sich an den Fähigkeiten und Kenntnissen<br />
des Einzelnen. Die Beschäftigungsfelder werden nach strengsten Maßstäben ausge-<br />
sucht, so dass „Bürgerarbeit“ keine regulären Beschäftigungsverhältnisse substituiert<br />
und die regionale Wirtschaft auch anderweitig nicht beeinträchtigt. Dabei haben die<br />
bisherigen Erfahrungen gezeigt, dass es möglich ist, eine ausreichende Zahl von<br />
Stellen zu akquirieren, um den Arbeitslosen, die derzeit keine Chance auf dem Ers-<br />
ten Arbeitsmarkt haben, eine sinnvolle Tätigkeit zu ermöglichen.<br />
Die zielgerichtete Gesprächsführung mit dem Kunden und das Engagement hinsicht-<br />
lich einer konsequenten Beratung sind erfolgsentscheidend. Hier<strong>für</strong> ist es vorteilhaft,<br />
dass die Integrationsfachkräfte Grundkenntnisse des Personalrechts besitzen, um<br />
insbesondere auch in Bezug auf Arbeitszeugnisse und deren Wirkungen beraten zu<br />
können. Unter der sorgfältigen Berücksichtigung der persönlichen Situation des Ein-<br />
zelnen wird durch stringente Nutzung des operativen Programms der Arbeitsagentur<br />
bzw. des Grundsicherungsträgers das Ziel der schnellstmöglichen Integration in den<br />
Ersten Arbeitsmarkt verfolgt.<br />
Es ist wichtig, beim Kunden zur Veränderungsmotivation anzuregen. Der Kunde soll-<br />
te die derzeit bestehende Situation seiner Arbeitslosigkeit als seinen Job verstehen.<br />
Er muss diese Situation also so gut beherrschen lernen, wie er in seinem zukünftigen<br />
Job arbeiten möchte. Die Veränderung muss als Chance aufgefasst werden.<br />
Quelle: Vera Birkenbihl<br />
30
31<br />
Bürgerarbeit in Bayern<br />
Die „Arbeit am Bürger“ ist ein komplexes Konstrukt und kann demnach kein Projekt<br />
der Arbeitsverwaltung allein sein. Unmittelbar Beteiligter sollte deshalb die Kommune<br />
oder der Landkreis mit einem eigenen Projektverantwortlichen sein, der die Kommu-<br />
ne bzw. den Landkreis in den regelmäßig tagenden Lenkungsausschüssen zur Ab-<br />
stimmung verschiedenster Maßnahmen und Aktionen vertritt. Teilnehmer dieses<br />
Gremiums sind jeweils die Projektverantwortlichen der Arbeitsagentur, des Grundsi-<br />
cherungsträgers, der Kommune sowie der Regionaldirektion Bayern. Der Turnus soll-<br />
te im Einvernehmen festgelegt und nicht zu weit gefasst sein, um gegebenfalls noch<br />
rechtzeitig Steuerungsmaßnahmen ergreifen zu können.<br />
Die Kommune bzw. der Landkreis kann einen direkten Beitrag zum Projekt und damit<br />
auch zu dessen Erfolg beisteuern. Vor allem können sie unterstützend wirken durch:<br />
• die Erstellung einer aktuellen Sozialraumanalyse, um Schwerpunkte der Stadt<br />
zu erarbeiten,<br />
• die Schaffung von Maßnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur,<br />
• die Optimierung der sozialintegrativen Leistungen insbesondere die Einrichtung<br />
einer flexiblen Kinderbetreuung und kurze Wartezeiten <strong>für</strong> einen Termin bei der<br />
Schuldner- und Suchtberatung,<br />
• die Optimierung der Zusammenarbeit der Jugend-/Erziehungshilfe mit den An-<br />
geboten der Arbeitsverwaltung – zum Beispiel durch eine Kopplung von Ju-<br />
gendhilfeplan und Eingliederungsvereinbarung,<br />
• eine Erweiterung der Schulsozialarbeit und der Analysen an der ersten Schwel-<br />
le des Überganges von der Schule in den Beruf,<br />
• die Einrichtung niederschwelliger Maßnahmen und Streetwork sowie<br />
• die Einrichtung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten.<br />
Um tatsächlich zu gewährleisten, dass durch die zusätzlichen Beschäftigungsplätze<br />
keine regulären Arbeitsplätze verdrängt werden, bietet es sich an, einen Beirat unter<br />
unmittelbarer Beteiligung der Kammern und Gewerkschaften einzurichten. Als güns-<br />
tig stellte sich die Einrichtung eines Arbeitskreises innovativer Unternehmer heraus.<br />
Über diesen wurden im „Stille-Post-Verfahren“ die regionalen Unternehmer besser<br />
über das Projekt, dessen Inhalte und wie sie das Vorhaben unterstützen können in-<br />
formiert, als dies in verschiedenen Zusammenkünften und Medienberichten möglich<br />
war. So ist es auch nicht verwunderlich, dass einige Unternehmer erklärten, selbst<br />
einen Beitrag <strong>für</strong> das Projekt leisten zu wollen und einen Bürgerarbeiter einstellten.
Undine Schreiber<br />
War zu Beginn noch Skepsis vorhanden, stellte sich nach relativ kurzer Zeit Zufrie-<br />
denheit ein. Die Bürgerarbeiter waren fleißig und hilfsbereit und die fest eingestellten<br />
Fachkräfte konnten intensiver ihren ureigentlichen Aufgaben nachgehen. Bei einigen<br />
Unternehmern besteht so nun die Überlegung, diesen Bürgerarbeitern trotz ihrer<br />
zwar verringerten, aber noch bestehenden Einschränkungen einen festen Arbeitsver-<br />
trag anzubieten und weitere Bürgerarbeiter einzustellen.<br />
Verschiedene Beispiele aus den Modellstandorten haben gezeigt, dass Bürgerarbeit<br />
keine Einbahnstraße oder Endstation ist. Die Erwerbsfähigkeiten und Qualifikationen<br />
bleiben erhalten, können (wieder) aufgebaut oder erweitert werden. Über die Bürger-<br />
arbeit werden die gesundheitlichen und sozialen Folgekosten einer Erwerbslosigkeit<br />
gemindert und die sozialen Beziehungen der ehemals arbeitslosen Menschen stabili-<br />
siert. Über diese positiven – finanziell nicht eindeutig quantifizierbaren – Nebeneffek-<br />
te der Beschäftigung in Bürgerarbeit erhöhen sich nicht nur das Selbstwertgefühl und<br />
die persönliche Motivation. Der ehemals Arbeitslose erhält sich durch diese aner-<br />
kannte Arbeit seine Würde und fasst Mut, sich mit Unterstützung der Integrations-<br />
fachkraft wieder <strong>für</strong> dem Ersten Arbeitsmarkt zu bewerben. Durch die geänderte<br />
Ausstrahlung werden die Reaktionen darauf weniger ablehnend sein, und selbst Ab-<br />
sagen können besser verarbeitet werden.<br />
Die Nutzung des gesamten regionalen Netzwerkes und dessen Erweiterung ist dem-<br />
nach der entscheidende Baustein <strong>für</strong> den Projekterfolg. Konsequent werden alle Be-<br />
teiligten eingebunden und Schnittstellen optimiert. Da<strong>für</strong> ist es notwendig, dass alle<br />
Akteure an einem Strang ziehen, in die gleiche Richtung mit möglichst ähnlicher<br />
Kraftanstrengung.<br />
Alle Beteiligten:<br />
• Kunden und Mitarbeiter,<br />
• direkte Kooperationspartner wie Kommune oder Landkreis, aber auch:<br />
o das Bundesamt <strong>für</strong> Migration und Flüchtlinge (Sprachkurse),<br />
o das Bayerische Staatsministerium <strong>für</strong> Arbeit und Sozialordnung, Familie und<br />
Frauen (insbesondere ESF-Maßnahmen und AMF-Projekte),<br />
• die Regierung (Investitionsförderungen),<br />
• Bildungsträger (enge Abstimmung mit Arbeitgeber, damit nicht am Markt vorbei<br />
qualifiziert wird),<br />
32
• Arbeitgeber,<br />
33<br />
Bürgerarbeit in Bayern<br />
• Gewerkschaften und Kammern (auch erforderliche Gremien wie ARGE-Beirat,<br />
Verwaltungsausschuss, Personalrat etc.),<br />
• ServiceCenter (z.B. Terminierungen und Outbound-Aktionen),<br />
• Wohlfahrtsverbände und Vereine (z.B. niederschwellige Maßnahmen und zu-<br />
sätzliche Beschäftigungsalternativen)<br />
• sowie die Öffentlichkeit (= Bewusstseinssteigerung in der Region)<br />
arbeiten ganz gemäß dem Motto „Wer alleine arbeitet, addiert, wer zusammen arbei-<br />
tet, multipliziert!“ gemeinsam. Grundvoraussetzung ist dazu selbstverständlich, die<br />
regionale Wirtschaftslage und das soziale Umfeld des Projektgebiets umfassend zu<br />
kennen, um aktiv – und nicht reaktiv – auf die Projektpartner zugehen zu können.<br />
Wichtig ist, dass alle Arbeitsmarktpartner eng zusammen arbeiten. Durch das Projekt<br />
und die dadurch aufgebauten Netzwerke entsteht ein „Wir-Gefühl“ aller Beteiligten.<br />
Menschen nach langer Arbeitslosigkeit Hoffnung zu geben und sie mit einem unter-<br />
schriebenen Arbeitsvertrag zu verabschieden, ist größte Bestätigung jedes einzelnen<br />
Mitarbeiters.
34<br />
Kommune/Landkreis<br />
Maßnahmen zur Verbesserung der<br />
Infrastruktur,<br />
z.B. Aufbau des Tourismus<br />
Maßnahmen zur Optimierung der<br />
Nutzung sozialintegrativer Leistungen<br />
Einrichtung niedrigschwelliger Maßnahmen<br />
z.B. Jugendprojekte im<br />
Rahmen von Arbeitsgelegenheiten<br />
Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze<br />
im Rahmen von<br />
§ 16e SGB II, Arbeitsgelegenheiten in<br />
Entgeltvariante und § 421 h SGB III<br />
Bürgerarbeit in Bayern – Einbindung aller Beteiligten<br />
Agentur <strong>für</strong> Arbeit,<br />
Arbeitsgemeinschaft Beteiligte Dritte<br />
Stufe 1<br />
Aktivierung der Bewerber<br />
Stufe 2<br />
Intensivierung der Vermittlungsaktivitäten<br />
Stufe 3<br />
Einsatz geeigneter Maßnahmen und Instrumente<br />
Stufe 4<br />
Akquise zusätzlicher<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
Servicecenter<br />
Arbeitgeber;<br />
Gewerkschaften/Kammern<br />
AM-Gespräche<br />
Außendienste zum AG<br />
Abstimmung mit örtlichem AM<br />
Bildungsträger<br />
Einrichtung neuer Qualifizierungsmaßnahmen<br />
Qualitätssteigerung vorhandener<br />
Maßnahmen<br />
öffentliche Träger/Arbeitgeber<br />
Arbeitsgelegenheiten (SGB II; in<br />
Mehraufwands- oder Entgeltvariante)<br />
§ 16e SGB II<br />
ABM und § 421h SGB III<br />
Förderung<br />
Gewinnung zusätzlicher Fördermittel:<br />
Bund: § 16e SGB II, Arbeitsgelegenheiten in Entgeltvariante, BAMF (Einrichtung zusätzlicher Sprachkurse)<br />
EU/ Land Bayern/ Regierung: ESF, AMF, EFRE<br />
Wohlfahrtsverbände/Kirchliche Einrichtungen<br />
Undine Schreiber
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
Lokale Zusammenschlüsse als Krisenmanagement -<br />
der Nachwuchskräftepool am Chemiestandort Leuna<br />
35<br />
Bettina Wiener<br />
<strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e.V.<br />
Mit der sich verstärkenden Rezession zum Jahreswechsel 2008/2009 und der sich<br />
daraus ergebenden rückläufigen Geschäftsentwicklung und unsicheren Auftragslage<br />
vieler Unternehmen kam es auch zu einer Abnahme der Berufsausbildungsaktivität<br />
am Chemiestandort Leuna. Es wurde zum Frühjahr 2009 berichtet, dass die Krisen-<br />
erfahrung in vielen Unternehmen sowohl die Ausbildungsbereitschaft als auch das<br />
Übernahmeverhalten nach Berufsausbildungsabschluss stark beeinträchtigt hat.<br />
Zeitgleich gingen dieselben Unternehmen davon aus, dass bei einer Neubelebung<br />
der Wirtschaft in der nächsten Zeit die Fachkräftesicherung in ihren Betrieben deut-<br />
lich schwieriger wird. Ihnen war bewusst, dass sie die jungen Facharbeiter, in deren<br />
Ausbildung sie viel Geld und Zeit investiert haben, eigentlich am Standort halten und<br />
ihnen Zukunftsperspektiven bieten müssten, statt sich von ihnen nach Ausbildung-<br />
sende zu trennen. Sie sahen aber keine Lösung <strong>für</strong> dieses Dilemma.<br />
In eben jener Situation hat sich, initiiert durch die TVS Personalservice GmbH am<br />
Chemiestandort Leuna, ein Konsortium von sechs Zeitarbeitsunternehmen gefunden,<br />
das <strong>für</strong> Nachwuchskräfte eine Brücke zwischen Ausbildung und Beschäftigung baut.<br />
Der eingeschlagene Lösungsweg beruht auf einer Idee, die 2003 in einer ähnlichen<br />
Notlage zur Fachkräftesicherung entwickelt wurde. Die TVS Personalservice GmbH<br />
gründet nun im Mai 2009 mit Unterstützung anderer Zeitarbeitsfirmen und den neuen<br />
Anforderungen entsprechend angepasst zum zweiten Mal einen so genannten<br />
Nachwuchskräftepool am Chemiestandort Leuna.<br />
In dem nachfolgenden Text geht es um Kooperationsmodelle zur Beschäftigungssi-<br />
cherung. Dabei soll auf fünf Punkte eingegangen werden. Als erstes wird der Frage<br />
nachgegangen, ob wir aus ostdeutschen Krisenerfahrungen lernen können (1). Im<br />
Weiteren wird der Nachwuchskräftepool von der Idee bis zur realen Umsetzung (2)<br />
als ein Kooperationsmodell zur Beschäftigungssicherung (3) vorgestellt. Daran an-<br />
schließend wird das Für und Wider von Poollösungen (4) diskutiert. Und zum<br />
Schluss folgt ein Plädoyer <strong>für</strong> Lokale Zusammenschlüsse als Krisenmanagement (5).
Bettina Wiener<br />
1. Können wir aus ostdeutschen Krisenerfahrungen lernen?<br />
Einer der beiden diesjährigen Nobelpreise <strong>für</strong> Wirtschaft wurde an Elinor Ostrom<br />
(Professorin <strong>für</strong> Politikwissenschaft an der Indiana University Bloomington) vergeben,<br />
<strong>für</strong> ihre wissenschaftliche Arbeit zu der Frage, wie man gemeinsame Ressourcen<br />
vernünftig und nachhaltig bewirtschaftet. Diese Vergabe ist ein beredtes Beispiel <strong>für</strong><br />
den Zeitgeist der Diskussionen um lokale Governance.<br />
In Ostroms Forschungserkenntnissen sind weder der Markt noch die Kollektivierung<br />
Garanten da<strong>für</strong>, dass mit kollektiven Ressourcen sinnvoll umgegangen wird. Ihr<br />
deutscher Kollege Hegselmann von der Universität Bayreuth (Inhaber des Lehrstuhls<br />
Philosophie) sagt dazu: "Es ist manchmal der Markt, der hilft. Manchmal die Kollekti-<br />
vierung und manchmal eben eine lokale Lösung. Patentrezepte funktionieren nicht -<br />
die Vorort-Bedingungen bestimmen, welche Lösung die richtige ist.“ (idw 2009)<br />
So ist an unterschiedlichen Stellen und in verschiedenen Kontexten zu beobachten,<br />
dass in lokalen und regionalen Initiativen neuartige Formen der im öffentlichen Inte-<br />
resse liegenden Leistungen entstehen. Es ist zu erwarten, dass die Zahl und Vielfalt<br />
dieser neuen Formen der Leistungserbringung deutlich zunehmen wird – nicht zuletzt<br />
im Zusammenhang mit den offenkundigen Funktionsproblemen wichtiger Teile der<br />
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik und dem hieraus resultierenden, rasch wachsenden<br />
Reform- und Innovationsdruck. Hier erfordern neue Herausforderungen neue Wege.<br />
Das Zustandekommen und Funktionieren dieser öffentlichen Leistungen setzt in er-<br />
heblichem Maß das Zusammenwirken verschiedener koordinierter Initiativen, Ver-<br />
handlungen und Vereinbarungen voraus. An der Konzeption und an der Erbringung<br />
der Leistung, gegebenenfalls auch an der Ergebniskontrolle, sind Akteure verschie-<br />
dener Art und unterschiedlicher rechtlicher Stellung aktiv beteiligt. Dies können Be-<br />
hörden ebenso wie Verbände und Vereine, aber auch Einrichtungen sein, die auf<br />
anderen Feldern üblicherweise privatwirtschaftlich handeln.<br />
Wichtige Voraussetzung zum Gelingen solcher Initiativen ist, dass sich die an der<br />
Leistungserbringung beteiligten Akteure bereits kennen. Erfahrungen in der Zusam-<br />
menarbeit zwischen den Unternehmen und enge informelle Beziehungen der Partner<br />
sind somit sehr förderlich. (Becker u. a. 2007) Das heißt, räumliche, soziale und öko-<br />
nomische Nähe sowie ausreichendes Vertrauen zwischen den Akteuren ist ein un-<br />
bedingtes Erfordernis. Der Start solcher Initiativen erfordert von einem nennenswer-<br />
36
37<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
ten Teil der beteiligten Akteure besondere Leistungen, und mit ihrer Initiierung kön-<br />
nen sich erhebliche PR-Bemühungen verbinden (Baumfeld 2007, S.3).<br />
Aktivitäten der hier interessierenden Art tragen zumeist Kampagnencharakter und<br />
sind in aller Regel zeitlich befristet. Der Nachwuchskräftepool ist beispielsweise ein<br />
Weg zur Lösung des temporären Konfliktes zwischen dem aktuellen Überangebot an<br />
hochmotivierten jungen Fachkräften, die den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt<br />
nicht oder nur sehr mühselig bewältigen und dem morgigen Bedarf an qualifizierten<br />
und erfahrenen Fachkräften, der aufgrund des Geburtenrückganges schwer zu be-<br />
wältigen sein wird (Wiener 2005).<br />
Erfahrungen bei der Erbringung dieser öffentlichen Leistungen wurden in den letzten<br />
Jahren bereits vermehrt in den neuen Bundesländern gesammelt, in denen sich die<br />
Problemlagen häuften, so dass Veränderungen und Eigeninitiativen besonders gebo-<br />
ten erschienen. Diese Aktivitäten entstanden und entstehen vor allem dort, wo Logi-<br />
ken und Strukturen bereits brüchig geworden sind oder doch zumindest Störungen<br />
und funktionale Defizite erkennen lassen. Aus den Erfahrungen, die gerade die ost-<br />
deutsche Gesellschaft in den Umbruchszeiten gesammelt hat, lässt sich das eine<br />
oder andere in Zeiten der Krise sinnvoll übertragen. Der Nachwuchskräftepool ist ein<br />
Beispiel da<strong>für</strong>.<br />
2. Vom Modell zur Wirklichkeit<br />
Der Einsatz von flexiblen Beschäftigungsmodellen wie dem Nachwuchskräftepool<br />
war zum Zeitpunkt seiner Erstgründung im Jahr 2003 personalwirtschaftlich noch<br />
relatives Neuland. Erste Beispiele <strong>für</strong> zwischenbetriebliche Poolmodelle fanden sich<br />
damals <strong>für</strong> Deutschland beispielsweise bei einer Tochterfirma der Bayer AG („Jobac-<br />
tive“), bei Randstad Deutschland („Arbeitskräftepool Metall“) oder bei der Bankpower<br />
GmbH, die den Pool „Secretary and Assistant Management“ im Rahmen der Arbeit-<br />
nehmerüberlassung koordinierte. (Stalitza, Tscheulin 2002) Außerdem gab es erste<br />
Bemühungen in Deutschland, sogenannte „Groupements d´Employeurs“, zu Deutsch<br />
„Arbeitgeberzusammenschlüsse“, (tamen 2003) ins Leben zu rufen.<br />
Das explizite Ziel im Nachwuchskräftepool war und ist es, kleinen und mittelständi-<br />
schen Unternehmen bei der Überwindung von strukturellen Strategiedefiziten zu hel-<br />
fen. Diese bestehen darin, dass Unternehmen einen zukünftigen Fachkräftebedarf<br />
bereits benennen können, aber aus einer strukturellen Notlage heraus sich nicht im<br />
Stande sehen, rechtzeitig da<strong>für</strong> Vorsorge zu leisten.
Bettina Wiener<br />
In diese Situation gerieten Ende der neunziger Jahre viele Unternehmen in den neu-<br />
en Bundesländern, als abzusehen war, dass etwa ein Viertel aller Beschäftigten in<br />
den nächsten zehn Jahren in Rente gehen wird, und zwar zu einem Zeitpunkt, zu<br />
dem die extrem geburtenschwachen Jahrgänge der Anfang neunziger Jahre in das<br />
Berufsausbildungssystem eintreten. Damit war ein Nachwuchskräftemangel durch<br />
die sogenannte demografische Falle 1 vorprogrammiert, auf den es zu reagieren<br />
galt.<br />
Die demografischen Turbulenzen mit zunehmenden Abwanderungstendenzen junger<br />
Ostdeutscher machten es dringend notwendig, nach Unterstützungsstrukturen zu<br />
suchen und einen Brückenschlag von der Ausbildungsplatzlücke in den neunziger<br />
Jahren zu der Fachkräftelücke zehn Jahre später zu finden. Anfang 2000 wurde in<br />
einem vom BMBF finanzierten Projekt mit dem Namen GENIUS ein solches Brü-<br />
ckenmodell entwickelt.<br />
Ursprünglich war vorgesehen, dass mehrere Firmen am Chemiestandort Leuna ge-<br />
meinsam einen Nachwuchskräftepool zur Absicherung zusätzlichen Fachkräftebe-<br />
darfes ins Leben rufen und organisieren. Die Kooperationsversuche der einzelnen<br />
Firmen gestalteten sich jedoch schwierig, da die Mutterfirmen der am Standort an-<br />
sässigen Tochterunternehmen in fast allen Fällen ihren Sitz im Ausland hatten und<br />
somit sehr unterschiedliche Interessenlagen verfolgten.<br />
Allerdings standen die Personalleiter wie auch die Betriebsräte am Chemiestandort<br />
Leuna von Anfang an aufgeschlossen und problembewusst dem Thema gegenüber,<br />
so dass sehr rasch nach alternativen Wegen der Zusammenarbeit in einem Pool ge-<br />
sucht wurde.<br />
Als sehr nützlich erwiesen sich zwei Netzwerke, die seit der Wendezeit am Chemie-<br />
standort aktiv sind. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Personalleitertreff<br />
und einen Betriebsrätekreis. Beide Netzwerke treffen sich unabhängig voneinander<br />
in relativ regelmäßigen Abständen und besprechen personalwirtschaftliche und be-<br />
1 Mit der Umstrukturierung der Unternehmen im ostdeutschen Transformationsprozess haben sich<br />
sehr altershomogene Belegschaftsstrukturen herausgebildet, bei denen sich die Mitarbeiterzahlen<br />
besonders auf die älteren Jahrgänge zwischen 40 und 50 konzentrierten. Da über viele Jahre<br />
hinweg keinerlei Ersatzbedarf in den Unternehmen bestand (denn nach der umfangreichen Umsetzung<br />
der Vorruhestandsregelungen Anfang der 90er Jahre verließ kaum noch jemand aus Altersgründen<br />
die Unternehmen), konnten auch keine jungen Fachkräfte eingestellt werden. Ab ca.<br />
2010, wenn die damals 40- bis 50-jährigen Beschäftigten in großen Quanten in die Rente eintreten,<br />
wird es in den neuen Bundesländern zu einem massiven Fachkräftebedarf kommen und zwar<br />
genau zu dem Zeitpunkt, zu dem die geburtenschwachen Jahrgänge der frühen neunziger Jahre<br />
in die Berufsausbildung eintreten und sich am Arbeitsmarkt bewerben. (Lutz u. a. 1999)<br />
38
39<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
schäftigungsrelevante Fragen, die sie firmenübergreifend diskutieren. In diesen<br />
Gremien hatte das Projekt die Möglichkeit, das Thema der demografischen Falle und<br />
als Lösungsansatz den Nachwuchskräftepool vorzustellen.<br />
Wichtig war außerdem, dass es am Chemiestandort eine Zeitarbeitsfirma gab, die<br />
Leunaer TVS Personalservice GmbH, die das Vertrauen vieler Firmen bereits genoss<br />
und mit diesen schon verschiedentlich zusammenarbeitete. Die TVS Personalservice<br />
GmbH sprang ein, als kein Unternehmerverbund <strong>für</strong> die jugendlichen Nachwuchs-<br />
kräfte zusammenkam und gründete eine eigene Betriebsstätte, in der das Modell des<br />
Nachwuchskräftepools in modifizierter Form umgesetzt werden konnte. Dort wurden<br />
über Bedarf ausgebildete junge Fachkräfte eingestellt und bis zu dem Zeitpunkt be-<br />
schäftigt, zu dem sie von einem der Entleihunternehmen am Chemiestandort auf-<br />
grund eines steigenden Arbeitskräftebedarfs (meist durch Arbeitskräfteabgang in<br />
Rente) gebraucht wurden. Die Unternehmen wussten, dass sie die gut ausgebildeten<br />
jungen Fachkräfte nach dem zunehmenden Abgang ihrer Beschäftigten in Rente<br />
dringend benötigen würden, und die TVS Personalservice GmbH schlug die Brücke.<br />
3. Der Nachwuchskräftepool als ein Beschäftigungsmodell<br />
Die Jugendlichen wurden aus dem Nachwuchskräftepool an Unternehmen des Che-<br />
miestandortes, zum Beispiel bei Ausfällen der Stammbelegschaft durch Krankheit,<br />
Urlaub, Weiterbildung und Mutterschutz oder <strong>für</strong> zusätzliche Aufträge verliehen.<br />
Durch den Arbeitseinsatz erhielten die Betriebe Gelegenheit, die jungen Fachkräfte<br />
kennenzulernen und schrittweise an die zukünftigen Aufgaben heranzuführen.<br />
In dem Pool konnten über drei Jahre konstant 20 bis 25 Jugendliche 2 beschäftigt<br />
werden. In auftragsarmen Zeiten sollten die Jugendlichen berufsgerecht und be-<br />
triebsgemäß weitergebildet werden. Dazu kam es allerdings aufgrund der relativ<br />
starken Arbeitsnachfrage recht selten. Die meisten Jugendlichen wurden nach spä-<br />
testens ein bis zwei Jahren endgültig von einem der Unternehmen in eine unbefriste-<br />
te Vollzeitstelle übernommen.<br />
Die Jugendlichen, die nicht in einem der kooperierenden Unternehmen untergekom-<br />
men waren, erhielten von der TVS Personalservice GmbH ein Beschäftigungsange-<br />
2 Insgesamt konnten damals durch den Nachwuchskräftepool 60 gut ausgebildete junge Fachkräfte in<br />
Chemieberufen <strong>für</strong> den Standort erhalten werden. Wenn man bedenkt, dass die Ausbildung einer<br />
Chemielaborant/-in zu dieser Zeit beispielsweise ca. 17.600 EUR kostete (Walden 2003), wird<br />
deutlich, welcher Abfluss von Bildungsinvestitionen in andere Regionen zu dieser Zeit passierte.
Bettina Wiener<br />
bot, um dort ihre berufliche Zukunft am Chemiestandort Leuna aufbauen zu können.<br />
Somit wurden allen Jungfacharbeitern von Anfang an Langfristperspektiven zur Be-<br />
schäftigung in der Region aufgezeigt.<br />
Da der Pool sehr großen Wert auf eine gute Qualität seiner Nachwuchskräfte legte,<br />
war der Anreiz zu einer längerfristigen Arbeitsperspektive genauso wichtig wie die<br />
tarifliche Entlohnung, bei der man sich an den Haustarifvertrag der InfraLeuna GmbH<br />
am Standort anlehnte.<br />
Die Umsetzung des Nachwuchskräftepools vollzieht sich in vier Arbeitsschritten, die<br />
hier noch einmal beispielhaft nachgezeichnet werden:<br />
(1) Bedarfsanalyse,<br />
(2) Aufklärungsarbeit und Verständigung über die Interessen der potentiellen<br />
Partner,<br />
(3) Klärung rechtlicher Fragestellungen <strong>für</strong> Unternehmen, Träger und Arbeit-<br />
nehmer,<br />
(4) Trägerkonstitution.<br />
(1) Da sich der Nachwuchskräftepool auf den Personalbedarf mehrerer Unternehmen<br />
stützt, ist neben Vertrauen und Initiative eine präzise Bedarfsanalyse eine wesentli-<br />
che Voraussetzung <strong>für</strong> das Gelingen des Kooperationsvorhabens. Auf der Grundlage<br />
einer Bestandsaufnahme und Bedarfsuntersuchung kann damit die Notwendigkeit<br />
des Vorhabens begründet und dessen Dimension besser quantifiziert werden. Das<br />
ermöglicht eine präzisere Umsetzung des Vorhabens, was gleichzeitig die Chancen<br />
der Bereitschaft vieler Unternehmen erhöht, sich in einem solchen Projekt zu enga-<br />
gieren. Anhand einer Personalbedarfsanalyse (die sich in dem beschriebenen Bei-<br />
spiel auf die vorhersehbaren Austritte von Beschäftigten aus Altersgründen in den<br />
nächsten fünf bis zehn Jahren stützte) wird die Zahl der notwendigen Poolarbeits-<br />
kräfte in den erforderlichen Berufen <strong>für</strong> die Region und Branche ermittelt.<br />
Diese Informationen sind wichtig, um zum einen den Einsatz der Jugendlichen in den<br />
Unternehmen reibungslos organisieren, zum anderen den Nachwuchskräften mög-<br />
lichst zeitnah Übernahmechancen in eines der Unternehmen aufzeigen zu können<br />
und dadurch die Attraktivität des Pools zu erhöhen. Entscheidend ist bei der Pla-<br />
nung, Verbindlichkeiten <strong>für</strong> alle Beteiligten (die Entleihunternehmen, die Verleihfirma<br />
und die Leiharbeitskräfte) herzustellen.<br />
40
41<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
(2) Um die potentiellen Verbündeten <strong>für</strong> das Kooperationsziel zu gewinnen, ist Auf-<br />
klärungsarbeit und Verständigung über die Interessen der einzelnen Partner<br />
notwendig. Mit den Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern der potentiell beteiligten<br />
Unternehmen muss die Umsetzung des geplanten Vorhabens diskutiert werden.<br />
Da es sich beim Nachwuchskräftepool nicht nur um die Sicherung einzelunternehme-<br />
rischer Interessen handelt, sondern der Pool auch ein Instrument gegen die massive<br />
Abwanderung gut qualifizierter Fachkräfte der betroffenen Regionen ist, erfüllt er<br />
auch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Aus diesem Grund wurden zur Unter-<br />
stützung das Bundesministerium <strong>für</strong> Bildung und Forschung in der Konzeptionsphase<br />
des Nachwuchskräftepools sowie die Bundesanstalt <strong>für</strong> Arbeit und das Wirtschafts-<br />
und Arbeitsministerium in Sachsen-Anhalt in der Umsetzungsphase mit einbezogen.<br />
(3) Bei der Erarbeitung eines rechtlichen Rahmens <strong>für</strong> den Beschäftigungspool ergibt<br />
sich eine Vielzahl von Anforderungen, die in Einklang gebracht werden müssen, da<br />
drei Interessengruppen mit unterschiedlichen Erwartungen an die Umsetzung der<br />
Poolidee herantreten. Aus Unternehmensperspektive ist es wichtig, die jungen Ar-<br />
beitnehmer nach den betrieblichen Erfordernissen einzusetzen und im Bedarfsfall<br />
zeitnah aus dem Pool entleihen zu können. Übernahmeverpflichtungen gegenüber<br />
den Jungfacharbeitern werden in der Regel dann erst sehr kurzfristig eingegangen.<br />
Aus der Trägerperspektive ist die Frage des Zugriffs auf die Arbeitnehmer aus dem<br />
Beschäftigtenpool regelungsbedürftig – insbesondere die Ausgestaltung von „Entleih-<br />
rechten“ und „Entleihverpflichtungen“. Entscheidend sind natürlich auch die Fragen<br />
zur Finanzierung des Pools. So sollten im genannten Beispiel die Nachwuchskräfte<br />
in Nichtbeschäftigungszeiten unter anderem mit Mitteln der Arbeitsverwaltung wei-<br />
terqualifiziert werden. In der Arbeitnehmerperspektive werden die Interessen der<br />
beteiligten Nachwuchskräfte berührt, wenn es um die Entlohnung, die Einbindung in<br />
betriebliche Mitbestimmungsstrukturen und die Ausgestaltung der Arbeitsverträge<br />
geht. Da die Beschäftigung im Pool letztlich auf die Begründung eines Anschlussar-<br />
beitsverhältnisses abzielt, wäre es zweckmäßig, wenn die Arbeitnehmer relativ<br />
schnell in ein dauerhaftes Beschäftigungsverhältnis wechseln können.<br />
Unter diesen Voraussetzungen wird folgende Grundkonzeption <strong>für</strong> eine Poollösung<br />
empfohlen:<br />
Es wird ein juristisch selbstständiger Träger konstituiert, der mit einer definierten An-<br />
zahl von Nachwuchskräften, die sich aus der vorhergehenden Bedarfsanalyse ergibt,
Bettina Wiener<br />
Arbeitsverträge schließt. Die Poolzugehörigkeit der Beschäftigten wird optimalerwei-<br />
se <strong>für</strong> einen Zeitraum von etwa zwei bis drei Jahre (möglichst nicht länger) geplant.<br />
Die Leitung liegt grundsätzlich beim Träger, der Coachingfunktionen wahrnimmt und<br />
in Nichtbeschäftigungszeiten Fortbildungen <strong>für</strong> die Nachwuchskräfte anbietet oder<br />
vermittelt. Die Nachwuchskräfte werden von den beteiligten Unternehmen kontinuier-<br />
lich – über mehrere Wochen oder Monate – eingesetzt. An die Poolzugehörigkeit<br />
sollte sich ein Arbeitsverhältnis in den Übernahmeunternehmen anschließen, das<br />
den Arbeits- und Vertragsbedingungen der bereits im Unternehmen Beschäftigten<br />
entspricht.<br />
Wichtig ist zudem, dass sich die Umsetzung in den rechtlichen Rahmen einfügt, den<br />
das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und andere arbeitsrechtliche Vorschriften bil-<br />
den (vgl. dazu Pauli, H. 2002).<br />
(4) Eine erfolgversprechende Trägerkonstitution kann nach folgenden Regeln auf-<br />
gebaut werden: Für die Umsetzung muss ein geeigneter Koordinator gefunden wer-<br />
den, der die Zusammenarbeit organisiert, moderiert und gegebenenfalls als Mediator<br />
fungiert. Es ist günstig, wenn der Koordinator nicht aus einem der kooperierenden<br />
Unternehmen kommt, damit er bei Konflikten leichter vermitteln kann und nicht unter<br />
den Verdacht der Vorteilsnahme steht. Der Koordinator muss sich in der Region aus-<br />
kennen, guten Kontakt zu den Unternehmen pflegen und deren Vertrauen besitzen<br />
bzw. zügig aufbauen können.<br />
Schwerpunkte der Arbeit des Koordinators sind die Akquisition von Unternehmen<br />
und deren genaue Bedarfsermittlung, die Erarbeitung eines Rahmenvertrages mit<br />
den interessierten Unternehmen, die Zusammenarbeit mit der Arbeitsagentur, die<br />
Rekrutierung geeigneter junger Facharbeiter, die Organisation von Bildungs- und<br />
Trainingsmaßnahmen in Zusammenarbeit mit einem geeigneten Bildungsträger am<br />
Standort, operative Tätigkeiten – wie die Koordination der Einsatzzeiten in den Un-<br />
ternehmen, die Entwicklung von Bildungsplänen <strong>für</strong> die einzelnen Teilnehmer u.a. –<br />
sowie die buchhalterische Abwicklung.<br />
42
4. Das Für und Wider von Poollösungen<br />
4.1 Erfahrungen der Unternehmen<br />
43<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
Mit der Nutzung eines Beschäftigungspools ergeben sich zweifellos Vorteile <strong>für</strong> die<br />
Fachkräftesicherung von Unternehmen. Es müssen jedoch auch die verschiedenen<br />
Probleme im Blick behalten werden, um mögliche Wege zum Abbau dieser Barrieren<br />
zu finden.<br />
Zu den Vorteilen von Poollösungen zählt vor allem, dass befristete betriebliche Ein-<br />
sätze mit individueller Beschäftigungskontinuität verbunden werden können. So ist es<br />
möglich, betriebliche Flexibilitätserfordernisse und das Bedürfnis der Arbeitnehmer<br />
nach Erwerbssicherheit und beruflicher Perspektive in Einklang zu bringen.<br />
Um jedoch zu verhindern, dass der Einsatz von Arbeitskräften der Beschäftigungs-<br />
verbünde zu Lasten von Stammarbeitskräften erfolgt, ist es wichtig, tarifliche Stan-<br />
dards einzuhalten. Wie verschiedene Projekte gezeigt haben, bieten solche Konzep-<br />
te die Möglichkeit, die sozialverträgliche Ausgestaltung der Arbeitnehmerüberlassung<br />
mit arbeitsmarktpolitischen Erfordernissen zu kombinieren. Es wird möglich, tarifver-<br />
tragliche Regulierungen und eine betriebliche Interessenvertretung zu installieren,<br />
insbesondere wenn die Gewerkschaften in die Gründung solcher Pools involviert<br />
sind und Mindeststandards und Anforderungen – zum Beispiel Verhinderung der<br />
Lohndiskriminierung von Poolarbeitskräften – formuliert werden (vgl. Europäisches<br />
Ressourcenzentrum der Arbeitgeberzusammenschlüsse 2008 / Vanselow und Wein-<br />
kopf 2009).<br />
Auch Kooperationserfahrungen sind von Vorteil. Eine recht weit verbreitete Form der<br />
unternehmensübergreifenden Zusammenarbeit ist seit Jahren die Verbundausbil-<br />
dung, die gerade <strong>für</strong> kleinere Unternehmen die Berufsausbildung ermöglicht. Ähnlich<br />
wie bei der Verbundausbildung können Unternehmen auch bei Beschäftigungszu-<br />
sammenschlüssen Kapazitäten bündeln. So kann auf Flexibilisierungsanforderungen<br />
betrieblicher Funktionen und Abläufe besser reagiert werden.<br />
Außerdem bietet der Einsatz der Poolarbeitskräfte die Möglichkeit gezielter Perso-<br />
nalauswahl. Die Unternehmen sind angehalten, die Fachkräfte möglichst intensiv<br />
einzusetzen, damit von ihnen (wie in unserem Beispiel von den Jungfacharbeitern)<br />
das in der Ausbildung oder im Berufsleben Erlernte angewendet und trainiert werden<br />
kann. Somit gehen die in die Berufsausbildung eingesetzten Investitionen nicht verlo-
Bettina Wiener<br />
ren. Die Unternehmen haben durch den häufigen Einsatz die Chance, ihre potentiel-<br />
len Mitarbeiter im Arbeitsprozess kennenzulernen und zu prüfen. Zudem können<br />
spezifische Qualifikationsdefizite bei den Poolbeschäftigten in Nichterwerbszeiträu-<br />
men beseitigt werden.<br />
Nach wie vor gibt es ein großes Weiterbildungsdefizit gerade in kleineren Unterneh-<br />
men. Mit dem Einsatz von Poolarbeitskräften könnten Freistellungsphasen <strong>für</strong> not-<br />
wendige Qualifizierungsmaßnahmen der Stammbelegschaft kompensiert werden.<br />
Das ermöglicht gerade klein- und mittelständischen Unternehmen, das Qualifikati-<br />
onsniveau der Beschäftigten zu sichern und bietet die Gelegenheit zur gezielten Per-<br />
sonalentwicklung. Zudem werden mit den Poolarbeitskräften auch andere Ausfallzei-<br />
ten – bedingt durch Urlaub, Krankheit, Wehr- und Zivildienst oder Mutterschutz – ab-<br />
gedeckt.<br />
Poollösungen bieten zugleich eine gute Gelegenheit <strong>für</strong> die kontinuierliche Ablösung<br />
der älteren Mitarbeiter durch jüngere. Der bedarfsgerechte Einsatz der jungen Fach-<br />
kräfte gibt dem Unternehmen die Möglichkeit, das Erfahrungswissen der älteren Mit-<br />
arbeiter rechtzeitig auf die Nachwuchskräfte zu übertragen, denn klassische Tan-<br />
demlösungen, bei denen über einen definierten Zeitraum zwei Mitarbeiter parallel<br />
arbeiten, sind <strong>für</strong> die meisten kleineren Unternehmen ein viel zu teures Unterfangen.<br />
Durch den Arbeitseinsatz in den Betrieben kann der Nachwuchskräftepool eine ra-<br />
sche Dequalifizierung der jungen Fachkräfte verhindern und den Unternehmen ge-<br />
hen die vorher in die Berufsausbildung investierten Ressourcen nicht wieder verlo-<br />
ren. Wenn in den nächsten Jahren eine große Zahl an Beschäftigten die Unterneh-<br />
men aus Altersgründen verlässt, stehen junge Facharbeiter aus dem Nachwuchs-<br />
kräftepool mit spezifischem, betriebsinternem Wissen bereit.<br />
Zusammengefasst ergeben sich aus Unternehmenssicht folgende Argumente <strong>für</strong> ei-<br />
ne Poollösung:<br />
• Bündelung von Kapazitäten,<br />
• Möglichkeit zur gezielten Personalauswahl,<br />
• Verringerung von Qualifikationsdefiziten bei den Nachwuchskräften sowie bei<br />
den Mitarbeitern der Stammbelegschaft,<br />
• Kompensierung der Qualifizierungszeiten <strong>für</strong> die Stammbelegschaft,<br />
• Abdeckung anderer Ausfallzeiten,<br />
44
45<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
• kontinuierliche Übertragung des Erfahrungswissens der älteren Fachkräfte an<br />
die jüngeren,<br />
• Erhalt der in der Berufsausbildung getätigten Investitionen und<br />
• Vorbereitung der Nachwuchskräfte auf zukünftige Aufgaben durch die Vermitt-<br />
lung des betriebsinternen Wissens.<br />
Handelt es sich um Unternehmensverbünde, müssen folgende Fragen und mögliche<br />
Probleme von vornherein berücksichtigt werden. Besonders entscheidend <strong>für</strong> den<br />
Erfolg ist ein Mindestmaß an Vertrauen, um die Gefahr zu minimieren, dass sich die<br />
Partner gegenseitig übervorteilen. Die Gleichverteilung von Kosten und Nutzen, die<br />
eindeutige Abgrenzung der Kooperationsbereiche sowie ein offener Informationsfluss<br />
sind entscheidende Bedingungen <strong>für</strong> den Aufbau und den Bestand dieser Kooperati-<br />
onsbeziehungen. Es ist günstig, wenn Sanktionsmöglichkeiten bestehen und bei Vor-<br />
teilsnahme auch genutzt werden. Auch sollten bestimmte gemeinsame Verhaltens-<br />
regeln entwickelt werden, an denen sich die Partner orientieren. (Stöbe 1992)<br />
Wenn, wie im Falle des Nachwuchskräftepools am Chemiestandort Leuna, die Ko-<br />
operation zwischen den Unternehmen nicht zustande kommt, kann eine vertrauens-<br />
volle Institution mit der Koordinierung betraut werden.<br />
Folgende Themen sind <strong>für</strong> die Unternehmen von besonderem Interesse:<br />
• die Anwendung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes auf den Nachwuchs-<br />
kräftepool,<br />
• die Regelung von verbindlichen Rechten und Pflichten der beteiligten Unter-<br />
nehmen,<br />
• eine empfohlene Rechtsform <strong>für</strong> die Kooperation,<br />
• die Übernahme der Coachingfunktion,<br />
• der Umgang mit den Be<strong>für</strong>chtungen des Know-how-Abflusses,<br />
• die Möglichkeiten einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung bei gleichzeitig auftre-<br />
tenden Spitzenzeiten in mehreren Unternehmen,<br />
• die Organisation von Weiterbildungen in Leerlaufzeiten und<br />
• die arbeitsrechtliche Gestaltung der Verträge mit den Nachwuchskräften.<br />
Die Erfüllung solcher Anforderungen und die Beantwortung dieser Fragen gehört zur<br />
täglichen Arbeit von Zeitarbeitsfirmen, so dass sich in dem hier dargestellten Beispiel<br />
des Nachwuchskräftepools die Kooperation mit der TVS Personalservice GmbH am
Bettina Wiener<br />
Chemiestandort Leuna anbot. Zudem wurde bereits erwähnt, dass hinter dieser Form<br />
der Beschäftigungsbündelung neben betrieblichen auch gesamtgesellschaftliche In-<br />
teressen stehen, nämlich die Vermeidung weiterer Abwanderungen der gut qualifi-<br />
zierten Jungerwachsenen. Aus diesem Grund erhielt der Pool auch öffentliche Unter-<br />
stützung. So erfolgte die Finanzierung des Nachwuchskräftepools durch Kofinanzie-<br />
rung des Landes Sachsen-Anhalt und mit Unterstützung von EU-Mitteln zur Einrich-<br />
tung einer Koordinierungsstelle. Bei der Arbeitsagentur nutzte man Wiedereingliede-<br />
rungszuschüsse und Finanzierungen <strong>für</strong> Weiterbildungen. Die Betriebe bezahlten<br />
eine Leasinggebühr <strong>für</strong> den Einsatz der Nachwuchskräfte in ihrem Unternehmen.<br />
4.2 Erfahrungen der Jugendlichen<br />
Nicht nur <strong>für</strong> die Unternehmen, sondern auch <strong>für</strong> die Jugendlichen, die nach ihrer<br />
Ausbildung keine Übernahmechancen hatten, sind einige Vorteile unübersehbar:<br />
Die Nachwuchskräfte werden durch den Pool sofort in den Arbeitsprozess integriert.<br />
Sie stehen in einem festen Arbeitsverhältnis, eingebettet in arbeitsrechtliche Siche-<br />
rungen, und haben die Aussicht auf Beschäftigung in einem der am Pool beteiligten<br />
Unternehmen in den nächsten Jahren.<br />
Im Unterschied zu anderen Zeitarbeitsfirmen mit ähnlichen Beschäftigungsformen<br />
setzte diese Poollösung auf den flexiblen Einsatz in den Chemieunternehmen vor Ort<br />
oder in der nahen Umgebung, so dass die Jugendlichen auch von akzeptablen Ent-<br />
fernungen zu den einzelnen Unternehmen ausgehen konnten.<br />
Der Einsatz in verschiedenen Unternehmen verhindert nicht nur die Entwertung des<br />
Humankapitals, er erhöht auch die Chance, neue bzw. höhere berufsadäquate sowie<br />
von den Betrieben nachgefragte Qualifikationen zu erwerben. Zudem kann der Ein-<br />
satz in unterschiedlichen Unternehmen interessante, projektbezogene und abwechs-<br />
lungsreiche Tätigkeiten bieten. Ein Jugendlicher beurteilt im Nachhinein diese Erfah-<br />
rung als besonders wertvoll: „Je mehr man rumkommt, umso mehr Erfahrungen<br />
sammelt man. … also ich würde besser ein Praktikum mehr als eins weniger ma-<br />
chen. Einfach um sich auch einen größeren Erfahrungsschatz aufzubauen.“ [Teil-<br />
nehmer-INT 3]<br />
In den Unternehmen wurden Kontakte zu anderen Mitarbeitern geknüpft und die so-<br />
zialen Kompetenzen im betrieblichen Alltag erlernt und erweitert. Die Einbindung der<br />
Jugendlichen aus dem Nachwuchskräftepool gelang dabei in allen befragten Beispie-<br />
46
47<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
len reibungslos. Von Anfang an waren sie in das Kollektiv integriert und wurden in<br />
Betriebsversammlungen einbezogen oder zu gemeinsamen Betriebsfesten eingela-<br />
den.<br />
Bei Bedarf wurden die Jugendlichen durch überbetriebliche Weiterbildungen oder in<br />
Praktika und Trainingsprogrammen geschult, um den geforderten fachlichen Ansprü-<br />
chen der Entleihfirmen zu genügen.<br />
Die Argumente <strong>für</strong> eine Poollösung aus Sicht der Nachwuchskräfte lassen sich wie<br />
folgt zusammenfassen:<br />
• festes Arbeitsverhältnis mit arbeitsrechtlichen Sicherungen;<br />
• sofortige Integration in den Arbeitsprozess;<br />
• Aussicht auf Beschäftigung in einem der beteiligten Unternehmen;<br />
• sehr akzeptable Entfernung zum Beschäftigungsort;<br />
• Erwerb weiterer fachlicher Qualifikationen;<br />
• Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und<br />
• Erweiterung sozialer Kompetenzen.<br />
Bei den jungen Fachkräften kann man bei allen Vorteilen nicht selbstverständlich von<br />
uneingeschränkter Akzeptanz ausgehen. So interessierten besonders folgende<br />
Themen:<br />
• der Pool als Chance oder Stigma,<br />
• Überforderung durch flexiblen Arbeitseinsatz,<br />
• Möglichkeiten der Karriereplanung und<br />
• arbeitsvertragliche Regelungen sowie<br />
• Chancen der Übernahme.<br />
Die Jugendlichen haben fast durchweg dargestellt, dass sie sich von Anfang an als<br />
vollwertiges Mitglied in der betrieblichen Gemeinschaft gesehen haben. Das war<br />
möglich, weil sie von betrieblicher Seite gut eingearbeitet wurden und weil sie vom<br />
Nachwuchskräftepool eine intensive Betreuung über die gesamte Laufzeit der Pool-<br />
beschäftigung erfuhren, so dass bei anstehenden Fragen und Problemen sofort Klä-<br />
rung möglich war. Einziges Problem war die teilweise recht lange Wartezeit bis zur<br />
endgültigen Übernahme und die Unsicherheit bis dahin. Hier wäre mehr Transparenz<br />
über das geplante Vorhaben wünschenswert gewesen!
Bettina Wiener<br />
5. Ein Plädoyer <strong>für</strong> lokale Zusammenschlüsse als Krisenmanagement<br />
Der Nachwuchskräftepool, den es von 2003 bis 2005 am Chemiestandort Leuna gab,<br />
war ein Weg zur Lösung des temporären Konfliktes zwischen dem Überangebot an<br />
hoch motivierten jungen Fachkräften, die den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt<br />
nicht bewältigten, und dem zu erwartenden Bedarf an qualifizierten und erfahrenen<br />
Fachkräften in Folge der demografischen Entwicklungen.<br />
Jetzt, vier Jahre später, steht die Region aufgrund der wirtschaftlichen Krise vor dem<br />
wiederkehrenden Problem, dass junge Menschen, die vermutlich in Kürze gebraucht<br />
werden, trotz erfolgreich abgeschlossener Berufsausbildung momentan keine Mög-<br />
lichkeit des Einstiegs in das Berufsleben erhalten. Dabei „steht die demografische<br />
Falle weiterhin zur Debatte“, sagt Herr Thate, der Geschäftsführer von TVS Perso-<br />
nalservice GmbH, „und in der Krisenzeit ist das besonders schwierig“ (Dettke/Thate<br />
2009).<br />
Initiiert durch ein Personalleitertreffen am Chemiestandort Leuna setzten sich der<br />
Personalleiter der InfraLeuna und der Geschäftsführer der TVS Personalservice<br />
GmbH zusammen, um nach einer Lösung <strong>für</strong> die Problemlage zu suchen. Dabei er-<br />
innerten sie sich an den vor einigen Jahren betriebenen Nachwuchskräftepool und<br />
überlegten, wie sie aus eigener Kraft zügig in modifizierter Form und der aktuellen<br />
Situation angepasst, einen neuen Nachwuchskräftepool ins Leben rufen könnten.<br />
Diesen gibt es nun seit Mai 2009, gegründet von sechs Zeitarbeitsfirmen 3 der Regio-<br />
nen Zeitz, Leuna, Merseburg und <strong>Halle</strong> zusammen mit der Agentur <strong>für</strong> Arbeit in Mer-<br />
seburg, der InfraLeuna GmbH und der Bildungsakademie Leuna GmbH & Co KG.<br />
„Wir wollen junge Fachkräfte im mitteldeutschen Raum halten, ihnen eine Chance<br />
geben und das Durchschnittsalter in den Betrieben senken.“ (Dettke/Thate 2009)<br />
Als branchenübergreifendes Pool-Management im Sinne von Mesaros u. a. (2009, S.<br />
39/40) steigt der Koordinierungsaufwand zwischen den beteiligten unternehmensin-<br />
ternen und – externen Partnern. Der neue Nachwuchskräftepool arbeitet nach fol-<br />
gendem Verfahren:<br />
3 An dem Nachwuchskräftepool sind folgende Zeitarbeitsfirmen der genannten Regionen beteiligt:<br />
• Private Arbeitsvermittlung und Personalleasing GmbH, Niederlassung Zeitz<br />
• Pluss Personal Leasing und System Service GmbH, Niederlassung Leuna<br />
• TVS Personalservice GmbH Leuna<br />
• CTR Engineering GmbH Merseburg<br />
• Imo Bildungs- und Vermittlungsgesellschaft <strong>Halle</strong><br />
• OPPM Office Professional Personalmanagement GmbH Merseburg<br />
48
49<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
Die Agentur <strong>für</strong> Arbeit hat den Überblick, welche Ausbildungsabsolventen nicht über-<br />
nommen werden, klärt diese gezielt in Informationsveranstaltungen über den neuen<br />
Nachwuchskräftepool auf und vermittelt Vorstellungsgespräche bei potentiellen neu-<br />
en Arbeitgebern. Die Vorstellungsgespräche <strong>für</strong> den Burgenlandkreis laufen bei der<br />
Privaten Arbeitsvermittlung und Personalleasing GmbH mit Sitz in Zeitz. TVS Perso-<br />
nalservice GmbH Leuna organisiert die Treffen <strong>für</strong> die Region Merseburg-Querfurt.<br />
Wenn die Jungfacharbeiter nach dem Gespräch Interesse bekunden, werden sie in<br />
eine Beschäftigtendatenbank aufgenommen, in der die Bewerberprofile <strong>für</strong> alle sechs<br />
Zeitarbeitsfirmen zentral erfasst werden. Diese Datenbank wird von der OPPM Office<br />
Professional Personalmanagement GmbH Merseburg verwaltet. Auf diese Daten-<br />
bank können alle sechs Vermittlerfirmen zugreifen und so ermitteln, welche Arbeits-<br />
kräfte verfügbar oder zurzeit beschäftigt sind. Fehlen Qualifizierungen, die ein Kunde<br />
von den Zeitarbeitsfirmen fordert, wird die Bildungsakademie Leuna gebeten, ent-<br />
sprechende Nachqualifizierungen zu organisieren. Die Kosten hier<strong>für</strong> übernimmt die<br />
Agentur <strong>für</strong> Arbeit. Zudem werden Eingliederungszuschüsse der Agentur genutzt, um<br />
die Jugendlichen in die Unternehmen zu bringen. „Das sind Aspekte, von denen<br />
auch unsere Kunden profitieren, denen wir die Fachkräfte vermitteln. Sie bekommen<br />
gut ausgebildete Leute und die Einarbeitungsphase im Betrieb wird erleichtert.“<br />
(Dettke/Thate 2009)<br />
Zurzeit werden vorrangig Facharbeiter in den Arbeitsfeldern Chemie und Industrie-<br />
mechanik gesucht, deutlich schwieriger macht sich die Vermittlung von kaufmänni-<br />
schen und IT-Berufen. Werden die Jugendlichen vermittelt, erhalten sie einen Zeitar-<br />
beitsvertrag nach den tariflichen Regelungen der Zeitarbeit aus einem der sechs<br />
Vermittlerunternehmen.<br />
Das Projekt läuft in Eigeninitiative der Akteure in der Region und ohne Förderung von<br />
Land oder Bund. Auffällig ist bei dieser Initiative, dass sehr viele Akteure eng Hand in<br />
Hand miteinander arbeiten. Das ist möglich, weil es zwischen diesen Einrichtungen –<br />
trotz aller Konkurrenz - ein über Jahre aufgebautes enges Vertrauensverhältnis gibt<br />
und sie gemeinsam eine Idee verfolgen, die der allgemeinen Stärkung der Region<br />
und damit auch wieder ihnen selbst dient.<br />
Anders als bei dem ersten Nachwuchskräftepool werden diesmal die Jugendlichen<br />
nicht erst aufgenommen, wenn Arbeitsbedarf in einer der Firmen am Standort be-<br />
steht, sondern sie melden sich arbeitsuchend und werden intensiv von den Zeitar-
Bettina Wiener<br />
beitsfirmen betreut. Während in dem ersten Nachwuchskräftepool noch nach beson-<br />
ders gut qualifizierten Arbeitslosen geschaut wurde, geht es heute darum, die Ar-<br />
beitslosen eventuell durch Bildungsmaßnahmen fit zu machen und im Arbeitsprozess<br />
fit zu halten. Das erhöht die Chancen, in Arbeit zu kommen.<br />
„Die Zeitarbeitsfirmen wissen als Erste, wo und wann es Bedarf von Arbeitskräften<br />
gibt“ [Org-INT 4], denn bei ihnen werden sie ganz konkret nachgefragt. In enger Zu-<br />
sammenarbeit mit den Unternehmen geschieht die Bedarfsanalyse vorausschauend<br />
und kontinuierlich. Herr Thate berichtet, dass Berufseinsteiger aus der Zeitarbeit gute<br />
Chancen haben, von den Firmen übernommen zu werden: „Meist sind sie bei uns ein<br />
halbes oder ein Jahr beschäftigt und bekommen dann einen Vertrag bei dem jeweili-<br />
gen Unternehmen“ (Dettke/Thate 2009).<br />
Die Krise hat bewirkt, dass die Jugendarbeitslosigkeit wieder angestiegen ist: Mit<br />
dieser Initiative versucht man Jugendliche von der Abwanderung abzuhalten. Mög-<br />
lich wird dieses Projekt, weil man sich zusammensetzt, partnerschaftlich an einer<br />
Gesamtidee arbeitet, <strong>für</strong> diese Aufgabe das Konkurrenzverhalten ablegt, und weil<br />
eine Agentur <strong>für</strong> Arbeit mit im Boot sitzt, die sehr flexibel und bedarfsorientiert han-<br />
delt und entscheidet. Herr Thate schätzt ein: „Das Projekt ist nicht kostenlastig <strong>für</strong><br />
öffentliche Mittel, sondern eine Initiative der Zeitarbeitsfirmen und gedacht als „Job-<br />
motor <strong>für</strong> die Wirtschaft“ (Dettke/Thate 2009).<br />
6. Zusammenfassung<br />
Zurzeit befinden wir uns in einer schwierigen Situation, die man mit Stichworten wie<br />
Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit und massiver Einsatz der Kurzarbeit sowie<br />
demografische Veränderungen hin zu einer älter werdenden Gesellschaft umreißen<br />
kann. Daran gebunden sind große Herausforderungen, nicht zuletzt die Schließung<br />
der <strong>für</strong> die Zukunft prognostizierten Fachkräftelücke. Während <strong>für</strong> den Einzelnen also<br />
die Sicherung seines Arbeitsplatzes im Vordergrund steht, wird <strong>für</strong> Unternehmen die<br />
Sicherung benötigter Fachkräfte eine zunehmende Herausforderung.<br />
Unter diesen Bedingungen lassen sich an den Rändern bisher gut funktionierender<br />
Regelungssysteme nicht selten neuartige Formen der Selbstorganisation im lokalen<br />
und regionalen Kontext beobachten. Dies zeigt sich beispielsweise bei der Integrati-<br />
on von Personen, denen dauerhafte Exklusion von Arbeitsmarkt und Beschäftigung<br />
droht. Es zeigt sich aber auch bei unterschiedlichen Konzepten und Kooperationslö-<br />
50
51<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
sungen <strong>für</strong> kleine und mittelständische Unternehmen zur Sicherung ihres qualifizier-<br />
ten Personals.<br />
Anhand des hier vorgestellten Nachwuchskräftepools kann über Erfahrungen bei ei-<br />
nem sinnbildlichen Brückenschlag von der Arbeitsplatzlücke vor wenigen Jahren zu<br />
der heutigen Fachkräftelücke berichtet werden. Es wurden sehr gut ausgebildete Ju-<br />
gendliche, die in der Zeit zwischen 2003 und 2005 am Chemiestandort Leuna nicht<br />
von den Unternehmen übernommen werden konnten, beruflich integriert. Mit einer<br />
tariflich abgesicherten Beschäftigung wurden sie abwechselnd an mehrere Unter-<br />
nehmen verliehen und bei Bedarf weiterqualifiziert, bis der Zeitpunkt der Übernahme<br />
durch einen der Entleiher gelang. So konnte <strong>für</strong> fast 60 Ausbildungsabsolventen am<br />
Standort Leuna die Abwanderung dieser gut qualifizierten Jugendlichen verhindert<br />
werden. Der Pool wurde in dem Moment aufgelöst, in dem die Übernahme von Aus-<br />
bildungsabsolventen in den Chemieunternehmen wieder anstieg.<br />
Die Erfahrungen aus dem damaligen Projekt konnten jetzt von den Unternehmern<br />
am Chemiestandort Leuna wieder aufgegriffen werden, als aufgrund der wirtschaftli-<br />
chen Krise seit dem Ende des letzten Jahres die betrieblichen Übernahmen nach<br />
Beendigung der Berufsausbildung erneut massiv zurückgingen. Zum zweiten Mal<br />
droht eine massive Abwanderung von gut ausgebildeten Jugendlichen, die jedoch<br />
aufgrund der demografischen Entwicklung in Kürze dringend in den Unternehmen<br />
am Chemiestandort Leuna gebraucht werden. Man erinnert sich an die Erfahrungen<br />
von vor wenigen Jahren und gründet erneut einen Nachwuchskräftepool.<br />
Während das erste Vorhaben noch als Modell mit Bundesmitteln entwickelt wurde und später<br />
durch Landes- und ESF-Unterstützung eine dreijährige aktive Phase durchlief, ist die<br />
heutige Initiative der Erfahrung einzelner Akteure aus der ersten Phase zu verdan-<br />
ken, die diese Idee neu aufgegriffen und modifiziert haben. Durch Eigeninitiative ver-<br />
sucht man im Zusammenschluss mehrerer Zeitarbeitsfirmen, Unternehmen, Berufs-<br />
bildungseinrichtungen und der Agentur <strong>für</strong> Arbeit, Fachkräfte <strong>für</strong> die Zukunft in der<br />
Region zu halten. Die wirtschaftliche Lage macht Mut: von den 40 Jugendlichen, die<br />
seit Mai in einer der sechs Zeitarbeitsfirmen Beschäftigung fanden, wurden bereits<br />
zwölf von einem Unternehmen in der Region übernommen.<br />
Der Vortrag basiert auf einem Beitrag von Bettina Wiener, der im Sommer 2009 <strong>für</strong><br />
die Zeitschrift <strong>für</strong> Regionalwirtschaft der NordLB verfasst wurde. (Wiener 2009)
Bettina Wiener<br />
Literatur<br />
Baumfeld, L. (2007): Managementinstrumente <strong>für</strong> Leader-Regionen. Ländlicher Raum.<br />
Online-Fachzeitschrift des Österreichischen Bundesministeriums <strong>für</strong> Land- und Forst-<br />
wirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft , S.3<br />
Becker, T.; Dammer, I.; Howaldt, J.; Killich, S.; Loose, A. (2007): Netzwerkmanagement: Mit<br />
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Dettke, C.; Thate, W. (2009): Junge Fachkräfte in der Region halten. Sechs Zeitarbeitsfirmen<br />
arbeiten gemeinsam am Nachwuchskräftepool. Leuna Echo 07/09<br />
Europäisches Ressourcenzentrum der Arbeitgeberzusammenschlüsse (2008): Antwort auf<br />
die acht gemeinsamen Grundsätze <strong>für</strong> den Flexicurity-Ansatz der Europäischen<br />
Kommission. Erklärung auf der Europäischen Zusammenkunft der Arbeitgeberzu-<br />
sammenschlüsse beim Ausschuss der Regionen. Brüssel, den 22.2.08.<br />
http://arbeitgeberzusammenschluesse.de/wp-<br />
content/uploads/2008/03/flexicurite_dt.pdf am 14.08.2009<br />
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http://idw-online.de/pages/de/news338677<br />
Lutz, B.; Ketzmerick, T.; Wiener, B. (1999): Ausschlussrisiken und Grenzen herkömmlicher<br />
Arbeitsmarktpolitik - Lektionen aus der ostdeutschen Entwicklung seit 1990/91. In:<br />
Wiedemann, E. u. a. (Hrsg.): Die arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische Heraus-<br />
forderung in Ostdeutschland. (Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung;<br />
BeitrAB 223) Nürnberg: Institut <strong>für</strong> Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, S. 267-287<br />
Mesaros, L.; Vanselow, A.; Weinkopf, C. (2009): Fachkräftemangel in KMU – Ausmaß, Ursa-<br />
chen und Gegenstrategien. Expertise im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung,<br />
November 2009<br />
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miestandort Leuna. In: Meier, Heike; Pauli, Hanns; Wiener, Bettina: Der Nachwuchs-<br />
kräftepool als Sprungbrett in Beschäftigung. Forschungsberichte aus dem zsh 02-1<br />
Stalitza, U.; Tscheulin, J. (2002): Employability und Flexibilität gemeinsam erreichen.<br />
In: Personalwirtschaft, H. 2<br />
Stöbe, S. (1992): Kooperation in der lokalen Arbeitsmarktpolitik. Entstehungsbedingungen<br />
und Erfolgsfaktoren. Opladen<br />
tamen (2003): Blick-Wechsel auf das Management des regionalen Arbeitsvermögens.<br />
Begleitung von Existenzgründerinnen und Existenzgründern. Dokumentation der Ta-<br />
gung in Annecy am 21. und 22. November 2002. tamen, Berlin.<br />
http://www.tamen.de/images/downloads/actes%20annecy_kurz-dt.pdf am 14.08.2009<br />
Vanselow, A.; Weinkopf, C. (2009): Zeitarbeit in europäischen Ländern - Lehren <strong>für</strong> Deutsch-<br />
land? Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. Arbeitspapier 182<br />
52
53<br />
Lokale Zusammenschlüsse - Nachwuchskräftepool<br />
Walden, Günter (2003): Kosten-Nutzen-Relationen in der betrieblichen Berufsausbildung.<br />
Vortrag auf der BiBB-Fachtagung „Zukunft der Berufsausbildung in Deutschland –<br />
Empirische Untersuchungen und Schlussfolgerungen“ am 4. und 5. November 2003<br />
in Bonn. http://www.bibb.de/dokumente/pdf/FT_Walden.pdf<br />
Wiener, Bettina (2009): Der Nachwuchskräftepool als personalstrategisches Instrument in<br />
Zeiten der Krise. In: RegioPol. Die Krise. Zeitschrift <strong>für</strong> Regionalwirtschaft der<br />
NordLB. Heft zwei/2009. S. 103-113<br />
Wiener, B. (2005): Der Nachwuchskräftepool als Brückenschlag von der Arbeitsplatz- zur<br />
Fachkräftelücke. In: Bermann, B.; Pietrzyk, U. (Hrsg.): Zwischen Arbeitsmarkflexibili-<br />
sierung und Fachkräftemangel. Innovative Konzepte <strong>für</strong> KMU. Dresden: saxOprint<br />
GmbH, S. 95-102
Bettina Wiener<br />
54
Kooperatives Personalmanagement - Arbeitgeberzusammenschlüsse<br />
Kooperatives Personalmanagement – regionale Fachkräftesiche-<br />
rung und -entwicklung in Arbeitgeberzusammenschlüssen<br />
Fachkräftesicherung und lokale Governance<br />
55<br />
Thomas Hartmann<br />
tamen Entwicklungsbüro Arbeit und Umwelt GmbH<br />
Die lokale bzw. regionale Wirtschaft ist geprägt von Kleinst-, Kleinunternehmen und<br />
mittleren Unternehmen, die – in viel höherem Maße als Großunternehmen – von den<br />
Qualitäten ihres Standortes abhängig sind. Andererseits bestimmen sie aber auch<br />
maßgeblich die Qualitäten der Standorte mit.<br />
Diese Abhängigkeiten der kleineren Unternehmen, die von der regionalen Infrastruk-<br />
tur über die Kundenbeziehungen, die Zuliefer- und Abnehmerketten bis zu den Rek-<br />
rutierungsmöglichkeiten <strong>für</strong> Fachkräfte und deren Bildungs- und Kompetenzentwick-<br />
lungsmöglichkeiten reichen, bringen es mit sich, dass die kleineren Unternehmen in<br />
Bezug auf ihre Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten einerseits abhängig sind<br />
von Entscheidungen anderer, aber auch andererseits davon, wie sehr sie sich mit<br />
ihren Interessen und Möglichkeiten als Entwicklungsakteure einbringen können.<br />
Das Konzept der „lokalen Governance“ eignet sich da<strong>für</strong>, solche Beziehungen zwi-<br />
schen wirtschaftlichen und anderen regionalen Akteuren in den Blick zu nehmen, zu<br />
analysieren und hinsichtlich ihrer Regelungsfähigkeit auch im Sinne der Unterstüt-<br />
zung von lokaler Wirtschaft zu gestalten. Ein bedeutsames gemeinsames Ziel ist da-<br />
bei, die Attraktivität einer Region als Arbeits- und Wohnort zu erhöhen.<br />
Bei einem sich verschärfenden Wettbewerb um Fachkräfte aufgrund eines zuneh-<br />
menden Fachkräftemangels, dessen Ursachen und dramatische Entwicklung insbe-<br />
sondere durch das zsh analysiert und beschrieben wurden, spielt das Sichern und<br />
Binden von Arbeitskräften gerade <strong>für</strong> die Überlebens- und Entwicklungsfähigkeit der<br />
kleineren Unternehmen eine zentrale Rolle. Dabei ist der Unternehmensstandort eine<br />
der entscheidensten Einflussgrößen <strong>für</strong> den Erfolg bei der Gewinnung und Bindung<br />
qualifizierter Fachkräfte.<br />
Fachkräfte fragen nicht nur nach ihrem „Job“, ihrem Einkommen und ihrer Arbeitssi-<br />
tuation, sondern auch – und immer mehr – nach den <strong>für</strong> sie erreichbaren Gesund-<br />
heitseinrichtungen, den Betreuungs- und Bildungseinrichtungen <strong>für</strong> ihre Kinder, nach<br />
den Weiterbildungsmöglichkeiten <strong>für</strong> sie selbst und ihre Lebenspartner, nach den
Thomas Hartmann<br />
kulturellen Einrichtungen, nach den Gelegenheiten <strong>für</strong> sportliche Betätigung, nach<br />
anderen Möglichkeiten, die Freizeit angenehm zu verbringen sowie nach den sozia-<br />
len Treffpunkten in der Umgebung. Um diese Einrichtungen herum bilden sich sozia-<br />
le Beziehungen, Organisationen und Netze, in die sich die lokalen Unternehmen ak-<br />
tiv einbringen können.<br />
Besonders kleine und mittlere Unternehmen finden neue Mitarbeiter/-innen mit Hilfe<br />
der sozialen Netzwerke, in die sie eingebunden sind: Durch die Familienbeziehungen<br />
und Bekanntschaften der Unternehmer/-innen und ihrer Angestellten sowie durch<br />
das weitere soziale Umfeld: Vereine, Initiativen und Netzwerke, die sich um Kultur,<br />
Sport und Freizeit bilden. Daher kommen die neuen Arbeitskräfte meistens aus der<br />
Region. Aber auch bei der Anwerbung „von außen“, bei der Bindung und im Kampf<br />
gegen Abwanderung spielen „weiche“ Standortfaktoren, neben der Attraktivität des<br />
Betriebes als Arbeitgeber, eine entscheidende Rolle.<br />
Unter diesen Gesichtspunkten ist <strong>für</strong> KMU die Frage entscheidend, ob und in wel-<br />
chen Formen sie in der Region auf die Entwicklung der „weichen“ Standortfaktoren<br />
Einfluss nehmen können.<br />
Den Vorteilen der regionalen Einbindung <strong>für</strong> die Fachkräftesicherung stehen jedoch<br />
auch Nachteile der kleineren Unternehmen im Wettbewerb um Personal gegenüber.<br />
Zu den Nachteilen gehören neben den großen externen Abhängigkeiten insbesonde-<br />
re die geringen Ressourcen und Kompetenzen <strong>für</strong> eine strategische Personalpolitik,<br />
die aufgrund der Größe begrenzten Möglichkeiten der internen und funktionalen Fle-<br />
xibilisierung sowie der oftmals geringe Planungshorizont.<br />
Eine herausragende Möglichkeit, solche Nachteile zu kompensieren, besteht in der<br />
Schaffung und Nutzung von Synergien durch Kooperationen zwischen Arbeitgebern.<br />
Im Personalbereich gibt es dazu ein in Frankreich seit den 80er Jahren etabliertes<br />
Modell, die „groupements d´employeurs“, zu deutsch „Arbeitgeberzusammen-<br />
schlüsse“.<br />
Was ist ein Arbeitgeberzusammenschluss?<br />
Ein Arbeitgeberzusammenschluss ist eine Organisation, die von mehreren Unter-<br />
nehmen gegründet und getragen wird, in der Arbeitskräfte angestellt sind, die flexibel<br />
in den Mitgliedsunternehmen arbeiten. So können die Betriebe Arbeitskräfte binden<br />
und sichern, <strong>für</strong> die sie allein das Beschäftigungsrisiko nicht tragen können oder wol-<br />
56
Kooperatives Personalmanagement - Arbeitgeberzusammenschlüsse<br />
len. Bei einem Arbeitgeberzusammenschluss handelt es sich nicht um einen Perso-<br />
nalpool, auf den die Betriebe bei Bedarf zurückgreifen, sondern der Arbeitgeberzu-<br />
sammenschluss kombiniert Teilbedarfe der einzelnen Betriebe in der Regel zu Voll-<br />
zeitarbeitsplätzen. Eine Arbeitskraft wird erst dann eingestellt, wenn der kombinierte<br />
Bedarf einen Arbeitsplatz begründet, denn die Betriebe übernehmen gemeinsam das<br />
Beschäftigungsrisiko und sie garantieren die Auslastung. Damit gewinnen sie die<br />
Möglichkeit, Mitarbeiter/-innen zu halten, die sie als Einzelunternehmen nicht sichern<br />
könnten. Mitarbeiter/-innen im Arbeitgeberzusammenschluss sind somit „geteilte“<br />
Mitarbeiter/-innen der Mitgliedsbetriebe.<br />
Der Arbeitgeberzusammenschluss, in Frankreich meist ein Verein, in Deutschland in<br />
der Regel eine Unternehmens-Genossenschaft, ermöglicht es den Mitgliedsunter-<br />
nehmen, sich das Beschäftigungsrisiko <strong>für</strong> die gemeinsamen Arbeitnehmer/-innen zu<br />
teilen bzw. es gemeinsam zu tragen. Es handelt sich also nicht um Zeitarbeit, bei der<br />
ein Betrieb das Beschäftigungsrisiko auf einen externen Dienstleister auslagert, son-<br />
dern um den Aufbau und die Sicherung einer „zweiten Kernbelegschaft“, aufgebaut<br />
auf den kontinuierlichen „Teilbedarfen“ von mehreren Betrieben. Die sichere Bindung<br />
der Beschäftigten des Arbeitgeberzusammenschlusses an die Einsatzbetriebe bildet<br />
auch die Grundlage <strong>für</strong> eine strategische Personalentwicklung, <strong>für</strong> Weiterbildung und<br />
Kompetenzentwicklung im Sinne der beteiligten Betriebe und der Beschäftigten<br />
selbst.<br />
Bei kleinen Zusammenschlüssen koordiniert ein Mitgliedsbetrieb den Personalein-<br />
satz, größere Arbeitgeberzusammenschlüsse – ab etwa 30 Mitgliedsbetrieben und<br />
entsprechend vielen Beschäftigten (es gibt Zusammenschlüsse mit mehr als hundert<br />
Mitgliedsbetrieben und weit mehr als hundert Beschäftigten) haben ein eigenes Ma-<br />
nagement, das nicht nur die Organisation der flexiblen Arbeit koordiniert, sondern die<br />
Mitgliedsbetriebe auch bei einem strategisch ausgerichteten Personalmanagement<br />
unterstützt. Das kann die Unterstützung bei der Organisation von Weiterbildung und<br />
Kompetenzentwicklung der Beschäftigten sein, aber auch Bereiche wie Personalre-<br />
krutierung, Einarbeitung, Nachwuchssicherung und Ausbildung. Das Management<br />
finanziert sich über einen Aufschlag auf den Lohn der gemeinsamen Beschäftigten<br />
des Zusammenschlusses.<br />
57
Thomas Hartmann<br />
Betriebliche Bedarfe als Ausgangspunkte <strong>für</strong> den Aufbau von Arbeitgeberzu-<br />
sammenschlüssen<br />
Grundlage <strong>für</strong> die Gründung eines Arbeitgeberzusammenschlusses sind kontinuierli-<br />
che „Teilarbeitsbedarfe“ von Unternehmen. Diese werden zu attraktiven Arbeits-<br />
plätzen, in der Regel unbefristete Vollzeitstellen, kombiniert, auf deren Grundlage<br />
dann die Personalauswahl und Einstellung erfolgt. Im Folgenden sollen einige Bei-<br />
spiele solcher Teilbedarfe skizziert werden.<br />
Saisonale Schwankungen des Arbeitsanfalls sind der offensichtlichste Bedarf, der<br />
zum Beispiel in der Baubranche und der Landwirtschaft, der Lebensmittelverarbei-<br />
tung und dem Hotel- und Gaststättengewerbe die häufigsten Probleme verursacht.<br />
Saisonale Arbeit ist jedoch gut planbar und lässt sich deshalb auch gut kombinieren,<br />
vorausgesetzt, es lassen sich Arbeitsbereiche finden, deren saisonale Spitzen kom-<br />
plementär sind. Die Kombination saisonaler Arbeiten zwischen unterschiedlichen Be-<br />
trieben ist häufig die Basis zur Gründung von Arbeitgeberzusammenschlüssen. Die<br />
Teilung einer Arbeitskraft erfolgt hier zwischen wenigen Unternehmen und die Dauer<br />
des Arbeitseinsatzes in einem Unternehmen erstreckt sich meist über Wochen oder<br />
Monate.<br />
Es gibt aber auch Tätigkeiten mit einem Rhythmus, der in einem kurzen Zeitraum,<br />
zum Beispiel in Tagen oder Wochen, variiert. Dies ist besonders bei bestimmten Ar-<br />
beiten im Handel der Fall, wo Teilzeitarbeit weit verbreitet ist, oder auch bei Ange-<br />
stellten von Wach- und Reinigungsdiensten. Die Nachfrage der Unternehmen<br />
schwankt hier in der Regel in einem Tages- oder auch Wochenrhythmus.<br />
Immer stärker rückt jedoch ein neuer Bedarf in den Vordergrund, das „Teilen von<br />
Spezialisten“ zwischen mehreren Unternehmen. Das kann sehr unterschiedliche Be-<br />
rufe und Qualifikationsniveaus betreffen: qualifizierte Arbeiter, Angestellte, Techniker<br />
oder leitendes Personal zum Beispiel in Bereichen wie Qualitätsmanagement, Spezi-<br />
altechniken, Betreuung von Daten- und EDV-Netzwerken oder Buchhaltung. Die<br />
Nachfragen kommen von den kleinen und mittleren Betrieben, die da<strong>für</strong> keinen Voll-<br />
zeit-Arbeitsvertrag vergeben können, sei es aus Kostengründen oder aus Gründen<br />
eines zu geringen Arbeitsanfalls. Die Unternehmen können diesen Bedarf nicht oder<br />
nur schlecht unter Einsatz der üblichen Flexibilisierungsinstrumente (Überstunden,<br />
Minijobs, Teilzeit, Zeitarbeit etc.) decken, denn das hat direkte Konsequenzen <strong>für</strong><br />
Kosten, Qualität, Fristen oder Kundenbetreuung. Wird dieser Bedarf an Spezialisten<br />
58
Kooperatives Personalmanagement - Arbeitgeberzusammenschlüsse<br />
jedoch nicht gedeckt, so begrenzt das oft die Entwicklung des Unternehmens oder<br />
die Realisierung eines Auftrags oder eines Projekts. Das Teilen von „Spezialisten“<br />
ermöglicht nicht nur die Sicherung, Bindung und Entwicklung solcher Arbeitskräfte,<br />
sondern gerade auch den kleineren Unternehmen einen effektiveren Arbeitseinsatz,<br />
da solche Fachkräfte entsprechend ihrer Kompetenzen durch den Einsatz in mehre-<br />
ren Betrieben eingesetzt und ausgelastet werden können.<br />
Ein weiterer Bedarf ergibt sich aus schwer vorhersehbaren Fluktuationen, zum Bei-<br />
spiel Auftragsschwankungen, die nicht gleichmäßig über die Saison verteilt sind. Es<br />
ist sehr schwierig, einen Arbeitgeberzusammenschluss über Gelegenheitsarbeiten in<br />
Gang zu bringen, die per Definition kaum planbar und daher risikoreich sind. Es ist<br />
eher so, dass die bereits bestehenden Arbeitgeberzusammenschlüsse mit Gelegen-<br />
heitsarbeiten Unterbrechungen bei anderen Einsätzen füllen. In der Regel ist gerade<br />
<strong>für</strong> diese Formen der Flexibilität die Größe des Zusammenschlusses entscheidend;<br />
je mehr Betriebe beteiligt sind und je mehr Beschäftigte der Arbeitgeberzusammen-<br />
schluss hat, desto größer sind seine Flexibilitätspotentiale. Solche Bedarfe können<br />
also nur über schon gut entwickelte Zusammenschlüsse abgedeckt werden.<br />
Arbeitgeberzusammenschlüsse – ein innovatives Modell der Flexicurity<br />
Im Vordergrund des europaweiten Diskurses zur Flexicurity steht das Arbeitgeber-<br />
Arbeitnehmer-Verhältnis, wie es in Großunternehmen und Konzernen vorherrscht.<br />
Dabei wird unterstellt, dass die Arbeitgeber vorwiegend an Flexibilität interessiert<br />
sind, während die Arbeitnehmer die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes im Auge haben,<br />
also ihre Security. Diese Interessenlagen stehen prinzipiell im Widerspruch zueinan-<br />
der. Die derzeit diskutierten Flexicurity-Ansätze beziehen sich auf diese Gegensätz-<br />
lichkeit. Dementsprechend ausgerichtet sind die Konzepte und Instrumente auf inter-<br />
ne (z.B. Arbeitsorganisation, Lernen- und Kompetenzentwicklung) und externe For-<br />
men (z.B. Auslagerung des Beschäftigungsrisikos und Absicherung der Freigesetz-<br />
ten über soziale Versicherungsleistungen sowie effektive Vermittlung) der Flexibilisie-<br />
rung und Absicherung.<br />
Wird das Interessenverhältnis in kleinen und mittleren Unternehmen betrachtet, ins-<br />
besondere in kleineren und Kleinst-Unternehmen, so lautet die Kernthese, dass eine<br />
weitgehende Identität der Interessen zwischen „Arbeitgebern“ und „Arbeitnehmern“<br />
existiert.<br />
59
Thomas Hartmann<br />
Die Arbeitgeber sind auf ihre Belegschaften, damit auch auf die Bereitstellung von<br />
sicheren und attraktiven Arbeitsplätzen angewiesen; denn ohne sie können sie ihre<br />
Unternehmen - zumal unter den schwieriger gewordenen Bedingungen der Globali-<br />
sierung – nicht am Leben halten. Das Interesse der Arbeitnehmer steht dazu nicht in<br />
einem diametralen Widerspruch: Die Arbeitnehmer wissen, dass ihre Arbeitsplätze<br />
nur sicher sind, wenn das Unternehmen „sicher“ ist. Sie sind also ebenso wie der<br />
Unternehmer an der Sicherung des Unternehmens interessiert.<br />
Die Aspekte Sicherheit und Flexibilität beziehen sich hier mit gleicher Gewichtung<br />
sowohl auf die Arbeitgeber- als auch auf die Arbeitnehmerseite. Sie bedingen sich<br />
aber auch wechselseitig, denn zunehmende Flexibilität kann die Sicherheiten erhö-<br />
hen und eine bestimmte Sicherheit des Unternehmens wie auch der Arbeitsplätze<br />
bietet erst die Grundlage <strong>für</strong> Flexibilität:<br />
Arbeitgeberzusammenschlüsse als ein Modell der Flexicurity, das sich auf die Ver-<br />
hältnisse in kleineren Unternehmen richtet, organisieren Kooperationen zwischen<br />
den Betrieben, um die Verbindung von Flexibilität und Sicherheit zu verbessern. Über<br />
kooperatives Personalmanagement erhöhen die Unternehmen sowohl die Sicherheit<br />
in Bezug auf langfristig verfügbare Fachkräfte als auch ihre Flexibilität im Bereich der<br />
Arbeitsorganisation. Für die Beschäftigten ergeben sich durch die kollektive Absiche-<br />
rung durch mehrere Betriebe ebenfalls höhere Sicherheit, mehr Perspektive, Ent-<br />
wicklungsmöglichkeiten und Attraktivität, es entstehen auf ihrer Seite aber auch Mög-<br />
lichkeiten der Flexibilität im Bereich des Erhalts der Beschäftigungsfähigkeit sowie<br />
bei der Vereinbarung von Arbeit, Familie und Freizeit.<br />
Arbeitgeberzusammenschlüsse stellen neben, besser zwischen internen und exter-<br />
nen Formen der Flexibilisierung einen „dritten Weg“ dar, da sie über zwischenbe-<br />
triebliche Kooperation die Möglichkeiten der Flexibilisierung der Arbeitsorganisation<br />
und Personalenwicklung des Einzelunternehmens erhöhen.<br />
Innovative Funktionen von Arbeitgeberzusammenschlüssen in der regionalen<br />
Entwicklung<br />
Die begrenzten zeitlichen und finanziellen Ressourcen kleinerer Unternehmen führen<br />
meist zu einer Begrenzung ihres Engagements in der regionalen Entwicklung, deren<br />
Ausgestaltung, wie schon beschrieben, gleichzeitig aber eine wichtige Basis der Ent-<br />
wicklungsfähigkeit des regional gebundenen Unternehmens darstellt. Arbeitgeberzu-<br />
sammenschlüsse verstehen sich auch als Akteure des Managements des regionalen<br />
60
Kooperatives Personalmanagement - Arbeitgeberzusammenschlüsse<br />
Arbeitsvermögens. Sie richten ihren überbetrieblichen Blick auch auf die regionale<br />
Fachkräftesituation und engagieren sich als Unternehmensverbund in der Verbesse-<br />
rung der Fachkräfteentwicklung. Die französischen Beispiele zeigen, dass Arbeitge-<br />
berzusammenschlüsse bzw. ihre regionalen Dachorganisationen, die sogenannten<br />
regionalen Ressourcenzentren der Arbeitgeberzusammenschlüsse, wichtige Foren<br />
bilden, in denen es zu einem Austausch verschiedener regionaler Akteure kommt<br />
und von denen Aktivitäten ausgehen. In den Vorständen der Arbeitgeberzusammen-<br />
schlüsse und der Ressourcenzentren sitzen nicht nur Vertreter der Unternehmen,<br />
sondern auch Vertreter der Sozialpartner, Kammern und Verbände sowie weitere<br />
regionale Akteure.<br />
Eine wichtige Funktion erfüllen Arbeitgeberzusammenschlüsse in Frankreich auch<br />
bei der Weiterentwicklung des sozialen Dialogs auf regionaler Ebene, einer vierten<br />
Ebene – neben der betrieblichen, der branchenbezogenen und der nationalen. Zu-<br />
nächst sind die Arbeitgeberzusammenschlüsse mit ihren Managements Intermediäre<br />
zwischen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerebene. Sie spielen eine bedeutende<br />
Rolle in der Kommunikation und Mediation zwischen Arbeitgebern der kleineren Un-<br />
ternehmen und ihren Beschäftigten, aber auch zwischen der Unternehmens- und der<br />
regionalen Ebene. Weiterhin bieten gerade die größerem Arbeitgeberzusammen-<br />
schlüsse grundsätzlich die Möglichkeit, eine Kultur der organisierten Interessenver-<br />
tretung einzuführen, die in der Regel in den kleineren Unternehmen wenig ausge-<br />
prägt ist. So bilden sich in den größeren Zusammenschlüssen Betriebsräte, die es in<br />
den kleinen Mitgliedsunternehmen nicht gibt.<br />
Arbeitgeberzusammenschlüsse tragen dazu bei, die Verhältnisse in den kleineren<br />
Unternehmen explizit zu machen und damit auch bewusst gestaltbar. Das kann ein<br />
Zugang <strong>für</strong> die Gewerkschaften in die Sphäre der kleineren Unternehmen bedeuten,<br />
allerdings ist damit auch eine Weiterentwicklung von gewerkschaftlichen Funktionen<br />
Voraussetzung. So könnte durch eine organisierte Interessenvertretung in Arbeitge-<br />
berzusammenschlüssen ein Beitrag zur Verbesserung der Kultur der Mitbestimmung<br />
und der Partizipation in der Sphäre der kleineren Unternehmen geleistet werden.<br />
Aber auch insgesamt ermöglichen die Arbeitgeberzusammenschlüsse durch ihr stra-<br />
tegisches Handeln und durch ihre regionale Präsenz den kleineren Unternehmen,<br />
sich an der Entwicklung ihres regionalen Umfeldes aktiver und effektiver zu beteili-<br />
gen.<br />
61
Thomas Hartmann<br />
Das Modell wurde inzwischen erfolgreich nach Deutschland transferiert. Es existieren<br />
inzwischen fünf Arbeitgeberzusammenschlüsse, drei in Brandenburg und je einer in<br />
Thüringen und Nordrhein-Westfalen. Weiterhin gibt es auch in anderen Bundeslän-<br />
dern Initiativen zum Aufbau von Arbeitgeberzusammenschlüssen (siehe dazu:<br />
www.arbeitgeberzusammenschluesse.de).<br />
62
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Allgemeine Einführung (Michael Fischer)<br />
63<br />
Leo Baumfeld und Michael Fischer<br />
ÖAR Regionalberatung GmbH Wien<br />
Unter dem Begriff „Governance“ hat sich in den letzten Jahren eine Form der Steue-<br />
rung von Systemen herausgebildet, die weder durch reine Marktmechanismen noch<br />
durch rein hierarchische Strukturen miteinander verbunden sind. Die Commission on<br />
Global Governance (1995) beschreibt Governance als<br />
"die Gesamtheit der zahlreichen Wege, auf denen Individuen sowie öffentli-<br />
che und private Institutionen ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln.<br />
Es handelt sich um einen kontinuierlichen Prozess, durch den kontroverse<br />
oder unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden und kooperatives Han-<br />
deln initiiert werden kann. Der Begriff umfasst sowohl formelle Institutionen<br />
und mit Durchsetzungsmacht versehene Herrschaftssysteme als auch infor-<br />
melle Regelungen, die von Menschen und Institutionen vereinbart oder als<br />
im eigenen Interesse angesehen werden."<br />
Diese Definition beinhaltet sehr viele Ansatzpunkte, um diese Form der (Selbst-)<br />
Steuerung komplexer Systeme genauer zu beschreiben.<br />
Den Auslöser <strong>für</strong> die Zusammenarbeit staatlich-öffentlicher, marktwirtschaftlich orien-<br />
tierter und zivilgesellschaftlicher AkteurInnen bildet zumeist ein gemeinsames Anlie-<br />
gen bzw. Problem:<br />
• dessen Lösung nicht in der Hand eines einzelnen Akteurs liegt und/oder<br />
• das nicht mit herkömmlichen Instrumenten staatlicher oder marktwirtschaftli-<br />
cher Steuerung behoben werden kann.<br />
Es sind also häufig „funktionale“ Ausgangspunkte, die eine Zusammenarbeit ansto-<br />
ßen (Fürst 2004: 49). Als Beispiele solcher Themen, die hierunter fallen, können In-<br />
tegration, Nachhaltigkeit, Arbeitsmarktpolitik und Umweltschutz sowie generell regio-<br />
nale Entwicklung genannt werden.<br />
Um dies etwas transparenter zu machen, soll <strong>für</strong> letztgenanntes Anwendungsfeld der<br />
regionalen Entwicklung das Beispiel Leader näher betrachtet werden:
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
Unter Leader (frz. Liaison entre actions de développement de l'économie rurale, dt.<br />
Verbindung zwischen Aktionen zur Entwicklung der ländlichen Wirtschaft) versteht<br />
man eine Methodik, die im Rahmen der ländlichen Entwicklung zur Anwendung<br />
kommt. AkteurInnen aus der kommunalen Verwaltung, der Wirtschaft und Zivilgesell-<br />
schaft entwickeln auf einem geografisch begrenzten Gebiet (zumeist unterhalb von<br />
NUTS 3-Flächeneinheiten 4 ) in moderierten Prozessen gemeinsame Ziele, die aus<br />
regionalen Problemlagen und der Analyse zukünftiger Entwicklungschancen resultie-<br />
ren. Im Anschluss wird eine Strategie formuliert, wie diese Ziele unter Einsatz von<br />
projektförmigen Maßnahmen erreicht werden können.<br />
Grundsätzlich basiert die Mitarbeit in solchen Netzwerken auf Freiwilligkeit. Dies imp-<br />
liziert, dass den Mitgliedern jederzeit eine „Exit-Option“ offen steht. Zeichnet sich also<br />
<strong>für</strong> die TeilnehmerInnen und ihre „Herkunftssysteme“ (Verwaltungen, Unternehmen,<br />
etc.) kein oder zu wenig Nutzen ab, wird sich die Teilnahmebereitschaft – die ja mit<br />
persönlichem Ressourcenaufwand verbunden ist – rasch verringern. Dies führt zu<br />
einer weiteren Diagnose: Governance ist nicht gänzlich unabhängig von Staat und<br />
Markt – es wirkt quasi in deren Schatten.<br />
Der Markt wirkt in der Form hinein, dass Nutzen produziert werden muss. Wesentlich<br />
ist aber, dass der „Schatten des Marktes“ nicht zu kurz ist, das heißt, dass dem ge-<br />
meinsamen Arbeiten der TeilnehmerInnen genügend Zeit gegeben ist, diesen Nutzen<br />
zu produzieren. „Tit for Tat“ mit einer kurzfristigen Perspektive wird sich in Governan-<br />
ce Strukturen aufgrund der teilweise komplexen Problemlagen selten realisieren las-<br />
sen. Die Notwendigkeit von Win-Win-Situationen wurde auch bereits in der Evaluati-<br />
on des deutschen Programms „Regionen Aktiv“ deutlich. Böcher und Tränker diag-<br />
nostizieren, dass Akteure nur dann zur Kooperation mit anderen bereit sind, wenn <strong>für</strong><br />
sie Gewinne entstehen, die ohne die Kooperation nicht zu realisieren gewesen wären<br />
(2008: 114).<br />
Neben dem „Schatten des Marktes“ wirkt auch der „Schatten des Staates“ in Gover-<br />
nance Settings hinein. So findet man in diesen Settings oftmals hierarchische Eingrif-<br />
fe, die die Bereitschaft zur Einhaltung der (noch zu diskutierenden) Selbstrege-<br />
lungsmechanismen sicherstellen. Sie verringern einerseits zu starkes „opportunisti-<br />
4 NUTS (frz.: Nomenclature des unités territoriales statistiques - „Systematik der Gebietseinheiten<br />
<strong>für</strong> die Statistik“) bezeichnet eine europäische Klassifizierungsform von Raumeinheiten. NUTS 0 –<br />
Nationalstaaten, NUTS 1 – Größere Regionen/Landesteile, NUTS 2 – Mittlere Regionen/Landschaften,<br />
NUTS 3 – Kleinere Regionen/Großstädte.<br />
64
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
sches Verhalten“ und können andererseits Transaktionskosten der am Governance<br />
Prozess Beteiligten kompensieren, wenn der <strong>für</strong> eine Teilnahme notwendige Nutzen<br />
nicht entsprechend vermittelt werden kann (Börzel 2007).<br />
Staat und Markt bilden also wichtige Rahmenbedingungen und auch Voraussetzun-<br />
gen <strong>für</strong> Governance Arrangements.<br />
Welche weiteren Voraussetzungen lassen sich <strong>für</strong> gelingende Governance ableiten?<br />
1. ein attraktives gemeinsames Anliegen (Gemeinsam stärker sein oder eine<br />
größere Gefahr vermeiden.)<br />
2. Beteiligung der relevanten Schlüssel-AkteurInnen<br />
3. Bereitschaft zu partnerschaftlichen Beziehungsangeboten und garantierter<br />
gleichberechtigter Zugang zu den Entscheidungsarenen<br />
4. Vertrauen und starkes Sozialkapital im Netzwerk<br />
5. Bindungsbereitschaft <strong>für</strong> einen längerfristigen (mehr als ein Jahr und weniger<br />
als maximal 7 Jahre) Zeithorizont<br />
6. stabile „Herkunftssysteme“<br />
7. Verständigung auf ein gemeinsames Lern- und Beobachtungssystem (Monito-<br />
ring)<br />
8. ein wirksames Management des Governance-Prozesses („Governancement“)<br />
Um das letztgenannte Erfolgskriterium des Managements erfolgreich zu realisieren,<br />
bedarf es eines geeigneten Instrumentariums.<br />
Der folgende Beitrag von Leo Baumfeld wird explizit die Selbst- und Kontextsteue-<br />
rung und das Monitoring erläutern.<br />
65
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
Das Modell der Selbst- und Kontextsteuerung in komplexen Systemen<br />
(Leo Baumfeld)<br />
Die Kontextsteuerung<br />
Als Kontext kann all das bezeichnet werden, dem bedingungsgebende Bedeutung<br />
zugeschrieben wird. Der Kontext selbst ist etwas zusammen- (=Kon) -geflochtenes,<br />
-gewebtes (=Textur). Dieses Etwas wiederum kann unterschiedlicher Natur sein. Hier<br />
will ich die Unterscheidung zwischen Kontexten, die eine/n AkteurIn besitzen und<br />
jenen, die keine/n haben, nochmals ausdifferenzieren in drei Typen. Dazu sind einige<br />
Kontexte beispielhaft angeführt.<br />
Übersicht 1: Kontexte …<br />
mit keinem Akteur mit Akteursbündel mit eindeutigem Akteur<br />
Das Wetter<br />
Die Geschichte<br />
Das Klima (tropisch, mediterran,<br />
arktisch, usw.)<br />
usw.<br />
Die Branche<br />
Das Netzwerk<br />
Die Stakeholder<br />
Das Klima (-wandel)<br />
Die Kultur<br />
Die Technologiestärke<br />
einer Region<br />
Das Ausbildungsniveau in<br />
einer Region<br />
Lebenswelten/Milieus<br />
usw.<br />
Diese Kontexte werden mehr oder weniger bewusst<br />
beim Steuerungshandeln mitgedacht. Für die Gestaltung der<br />
66<br />
Gesetzliche Regelungen<br />
Finanzierungsbedingungen<br />
Kernfunktion<br />
Vision<br />
Prozessregelungen<br />
Beziehungsangebote und<br />
Beziehungskontexte<br />
usw.<br />
Steuerung in Organisationen oder Unternehmen ist vor allem jener Kontext von be-<br />
sonderer Bedeutung, der eine/n eindeutige/n AkteurIn hat. Dieser kann wieder unter-<br />
schieden werden in jene kontextgebenden Bedingungen,<br />
• die ein sich selbst steuerndes System sich selbst gibt (z.B. Leitbild),<br />
• die zwischen dem/der selbststeuernden AkteurIn und der/dem KontextgeberIn<br />
ausverhandelt werden (z.B. Finanzierungsregelungen) und<br />
• die von einer/m KontextnehmerIn entgegen genommen werden (müssen, z.B.<br />
Umweltschutzauflagen).
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Jene Kontexte, die sowohl selbst gesetzt als auch von KontextgeberInnen gesetzt<br />
werden können, unterscheide ich in folgende:<br />
Gegenwart<br />
Beziehungs-Kontexte<br />
Vertrauen/Respekt<br />
Verlässlichkeit<br />
Vorbild von Kontextgebern<br />
Regel-Kontexte<br />
Ordnung des Systems<br />
Regeln <strong>für</strong> Prozesse aller<br />
Art<br />
+ Kernprozesse<br />
+ Finanzierung<br />
+ Karriere<br />
Beziehungsorientiert<br />
Sachorientiert<br />
Sinn-Kontexte im engeren Sinn (denn alles was als funktional betrachtet wird, wird<br />
meist auch als sinnvoll bezeichnet) verstehe ich hier als in die Zukunft gerichtete<br />
sinngebende Bedeutungen <strong>für</strong> ein System. Das können Visionen, Leitbilder, eine Phi-<br />
losophie oder Ähnliches sein, die dann durch imagebildende Maßnahmen und Cor-<br />
porate Identity usw. kommuniziert werden, damit dieser Sinn von anderen erkannt<br />
67<br />
Sinn-Kontexte<br />
Werte, Prinzipien<br />
Vision<br />
Philosophie<br />
Leitbild<br />
Rahmen-Kontexte<br />
Kernfunktion<br />
Mission Statement<br />
Strategie<br />
Partnerschaften<br />
Wirkung auf das Commitment der AkteurInnen<br />
im sich selbst steuernden sozialen System<br />
Zu-<br />
kunft
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
und durch deren Kommunikation vom sinngebenden System wiedererkannt werden<br />
kann. Diese Kontexte ermöglichen eine ganz persönliche Identifikation der Personen,<br />
die damit auch eine persönliche Bindung zu diesem Sinn eingehen. Ist diese Bindung<br />
nicht vorhanden, wird auf diesem Kontext entweder verzichtet oder er ist nicht abge-<br />
stimmt.<br />
Rahmen-Kontexte sind Kontexte, die bereits stärker als der Sinn auf eine bestimmte<br />
Sache (Zwecksetzung) fokussiert sind und so den Rahmen abgrenzen, in dem ein<br />
System sich bewegen will. Dieser Rahmen kann durch den grundlegenden Zweck<br />
(Kernfunktion, Mission Statement), strategische Festlegungen, Partnerschaften u.ä.<br />
hergestellt, intensiviert und vereinbart werden.<br />
Regel-Kontexte können durch die innere Verfassung der Organisation (Ordnung)<br />
hergestellt werden, beispielsweise, ob ein System sich eine demokratische Verfas-<br />
sung, eine kapitalorientierte Rechtsbasis oder gemeinschaftlich orientierte Regeln<br />
gibt, ist bedingungsgebend <strong>für</strong> alle weiteren Regeln innerhalb des Ordnungssystems.<br />
Weiterhin sind diese Regelungen selbst wieder verhaltenssteuernd, wie zum Beispiel<br />
Finanzierungsregeln <strong>für</strong> Projekte, Regeln <strong>für</strong> den Karriereweg in der Organisation,<br />
Zeitsysteme und anderes mehr. Auch „freiwillige Vereinbarungen“ zwischen den Tei-<br />
len der Organisation sind kontextgebend <strong>für</strong> alle weiteren Verhaltensschritte zum<br />
vereinbarten Regelwerk.<br />
Beziehungs-Kontexte sind Verhaltensangebote, die sich chronifiziert haben oder<br />
die als symbolische Botschaften wahrgenommen werden. Von besonderer Bedeu-<br />
tung sind hier jene, die KontextgeberInnen ihren „KontextnehmerInnen“ anbieten.<br />
Werden KontextnehmerInnen stark kontrolliert, kann davon ausgegangen werden,<br />
dass das Beziehungsangebot von Misstrauen getragen ist. Werden von Kontextge-<br />
berInnen ihre eigenen Regeln nicht eingehalten, bedeutet dies, dass sie insgesamt<br />
nicht wichtig sind und sie sind damit auch eine Einladung <strong>für</strong> die KontextnehmerIn-<br />
nen, die Regeln nicht wichtig zu nehmen. Werden Regelverletzungen nicht beobach-<br />
tet und gespiegelt, bedeutet dies, dass ihnen keine Zuverlässigkeit beigemessen<br />
werden müssen.<br />
In komplexen Steuerungs-Situationen ist Vertrauen und Respekt ein angemessenes<br />
Beziehungsangebot zur Reduktion von Komplexität der Steuerung selbst.<br />
68
Selbststeuerung<br />
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Zur Selbststeuerung möchte ich hier zwei Zugänge wählen.<br />
(1) Selbststeuerung als Realität sozialer Systeme<br />
Damit ist gemeint, dass soziale Systeme, die eine Identität durch Zwecksetzung, Zie-<br />
le, Aufgaben und Grenzen haben oder <strong>für</strong> sich beanspruchen, sich ihre eigenen<br />
Handlungslogiken erfinden. Von außen können diese Handlungslogiken nicht direkt<br />
verändert werden. Man kann sie irritieren, man kann ihnen neue Unterscheidungen<br />
anbieten und man kann ihnen Kontexte offerieren, die vom jeweiligen sozialen Sys-<br />
tem dann nach ihrer eigenen Logik (und Vermögen) reflektiert werden. Das ist ähn-<br />
lich wie die Beziehung zwischen Ross und ReiterIn. Auch ein/e ReiterIn interveniert<br />
nicht direkt im Ross, indem er/sie es operiert, um Nervenzellen zu beeinflussen, da-<br />
mit es eine bestimmte Richtung oder Geschwindigkeit einnimmt. Sein/Ihr Steue-<br />
rungsinstrument endet an der Außenhaut des Rosses. Er/Sie kann dem Ross natür-<br />
lich auch mit Belohnungsritualen beeindrucken o.a. Niemals aber greift er/sie direkt<br />
in den Körper des Rosses ein. Bei sozialen Systemen gibt es auch diese Haut, auch<br />
wenn sie nicht so eindeutig sichtbar ist wie bei einem Ross, aber das System selbst<br />
kennt die Grenze und man verständigt sich mitunter durch Augenzwinkern unterein-<br />
ander, wenn ein/e Vorgesetzte/r in das System eindringt und aus der Sicht des sozia-<br />
len Systems Sinnloses will, weil es nach Ansicht der Innensicht sowieso anders funk-<br />
tioniert.<br />
Aus dieser Perspektive kann ein/e AußenakteurIn gar nicht entscheiden, ob sich das<br />
System selbst steuert, es tut es einfach und es tut dies nach den gegebenen Kontex-<br />
te mehr oder weniger kontextadäquat. Alles was an Widerstand erlebt wird, ist meist<br />
ein Hinweis darauf, dass das Prinzip der Selbststeuerung nicht respektiert wurde.<br />
Selbststeuerung meint somit, dass sich die einzelnen Teile einer Organisation wie<br />
Führungssysteme, operative Leistungssysteme, innere Dienstleister u.a. nach ihren<br />
eigenen Logiken steuern, die als teil-autonome PartnerInnen mit den jeweils anderen<br />
kommunizieren. Dies anzuerkennen heißt: es wird erst gar nicht versucht direkt IN<br />
diese Systeme Einfluss zu nehmen, sondern es wird dieses Selbststeuerungsprinzip<br />
respektiert und jedes System, welches Einfluss nehmen will, ist angehalten, die<br />
Handlungslogiken des anderen zu verstehen, um kreative Wege zu finden, dieses zu<br />
beeindrucken bzw. zu beeinflussen.<br />
69
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
(2) Die Nutzung der Selbststeuerung zur bewussten Inszenierung der Kopplung<br />
zweier Systeme<br />
Wer sich der Selbststeuerung bewusst ist, wird anders mit Systemen kommunizieren,<br />
die er/sie beeinflussen möchte. Die bewusste Inszenierung der Kopplung zweier oder<br />
mehrerer Systeme bedeutet dann einen sozialen Raum zu inszenieren, um<br />
• die Ziele und Teilziele zu reflektieren,<br />
• Planungs- und Kontrollprozesse gemeinsam zu gestalten,<br />
• die relevanten Entscheidungen zu treffen (ohne Entscheidungen keine Zukunfts-<br />
fähigkeit),<br />
• die Regeln <strong>für</strong> die eigene Arbeitsfähigkeit (Ziele, Entscheiden, Umsetzen) festzu-<br />
legen,<br />
• das Tauschverhältnis, das EinzelakteurInnen mit dem selbstgesteuerten sozialen<br />
System eingehen, festzulegen (geglückter Tausch = Motivation),<br />
• eigene Misserfolge zu bewältigen<br />
bzw. alles, was weiter oben als selbstbeeinflussbare Kontexte (siehe Matrix) be-<br />
schrieben wurde, selbst zu gestalten.<br />
Nun können wir davon ausgehen, dass Organisationen oder Unternehmen ausdiffe-<br />
renziert sind in viele Teileinheiten, die aus der Sicht des Ganzen einen Zusammen-<br />
halt brauchen. Wie kann nun dieser Zusammenhalt hergestellt werden, wenn sich<br />
soziale Systeme und eben auch ihre ausdifferenzierten Teilsysteme selbst steuern<br />
und ein direktes Eingreifen nicht möglich ist? Es werden Kontexte zur Verfügung ge-<br />
stellt. Dabei hängt es wiederum von der Reflexionskapazität des sozialen Systems<br />
ab, wie differenziert es Kontexte als relevant wahrnimmt. Ein Teilsystem, etwa eine<br />
Abteilung eines Unternehmens, wird jene Kontexte von kontextgebenden AkteurIn-<br />
nen, insbesondere der Vorgesetztensysteme nicht ignorieren können. Tut es das,<br />
werden mitunter die Bedingungen der Lebensfähigkeit entzogen und im Normalfall<br />
weiß ein soziales System, wann diese Bedingungen auf dem Spiel stehen. Daher<br />
kann in aller Regel erwartet werden, dass es von KontextnehmerInnen „Verhand-<br />
lungsbereitschaft“ gibt, um Kontexte auszuhandeln. Ein/e KontextgeberIn, der/die um<br />
die Selbststeuerung sozialer Systeme weiß, wird KontextnehmerInnen auch einla-<br />
den, bei der Ausformulierung der Kontexte mitzugestalten. Somit sind wir bei der<br />
Kopplung angelangt.<br />
70
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Welche Art von Verfahren kennen die Kontextgeber und Kontextnehmer, um diese<br />
Kopplung halbwegs erfolgreich zu meistern? Auch hier kann davon ausgegangen<br />
werden, dass diese Kopplung mehr oder weniger bewusst und mehr oder weniger<br />
intensiv geregelt ist.<br />
Dazu möchte ich hier ein Modell der Kopplung vorstellen, welches implizit immer ge-<br />
schieht - das Monitoring.<br />
Ein bewusstes Monitoring gibt jedem System die Selbststeuerungsmöglichkeit und<br />
macht diese Selbststeuerung gleichzeitig transparenter <strong>für</strong> externe BeobachterInnen<br />
wie Führungskräfte oder interne PartnerInnen. Für die Führungskräfte ist es auch<br />
das Instrument, mittels dem dann Ziel- oder Wirkungsvereinbarungen mit den jewei-<br />
ligen Systemen vereinbart werden können. Das Ergebnis dieser Vereinbarungen ist<br />
der gemeinsam hergestellte Sinn (in Ausnahmefällen auch vorgegebene Sinn) und<br />
ist somit ein kontextsteuerndes Intrument <strong>für</strong> die jeweiligen Teilsysteme.<br />
Übersicht 2: Monitoring<br />
Steuert den/die<br />
KontextnehmerIn<br />
durch das Kontextangebot<br />
mit.<br />
KontextgeberIn<br />
(selbstgesteuert)<br />
Monitoring<br />
KontextnehmerIn<br />
An dieser Stelle sei angemerkt, dass hier das Verhältnis zwischen KontextgeberIn<br />
und KontextnehmerIn nicht automatisch ein hierarchisches ist. Es ist anwendbar so-<br />
wohl <strong>für</strong> hierarchische Beziehungen als auch <strong>für</strong> laterale Beziehungen. Damit ist im-<br />
plizit ausgesagt, dass dort, wo es in einem hierarchischen Beziehungskontext ange-<br />
wendet wird, es auch gegenseitige Abhängigkeit gibt. Selbst wenn die totale Kontrol-<br />
le die Kopplung dominieren würde, würde einer/m KontrollorIn über kurz oder lang<br />
durch die Anstrengungen, die das Kontrollieren verursacht, bewusst werden, in wel-<br />
71<br />
Steuert den/die<br />
KontextgeberIn und<br />
damit dem von<br />
ihm/ihr gestaltbaren<br />
Kontext mit.
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
chem Ausmaß er/sie von den Kontrollierten abhängig ist, das heißt von dieser/n<br />
selbst kontrolliert wird.<br />
Das Monitoring<br />
Die Kernoperation des Monitorings ist die Beobachtung. Wie weiter oben schon an-<br />
gedeutet, kann man davon ausgehen, dass sich KontextgeberIn und Kontextnehme-<br />
rIn ständig beobachten, was noch nicht heißt, dass sie sich diese Beobachtungen<br />
auch mitteilen. Wenn es kein Mitteilungsverfahren gibt, wird diese Beobachtung häu-<br />
fig in symbolischer Form kommuniziert. Wenn nun diese Beobachtung ohnehin ge-<br />
schieht, dann macht es Sinn diese transparent und geregelt und in einem Klima des<br />
Respekts zu inszenieren.<br />
Was bedeutet Monitoring? Monitoring ist ein regelmäßiges „Draufschauen“ auf be-<br />
stimmte Aspekte (Indikatoren, Teilziele), nach denen beurteilt werden soll, ob die<br />
gesteckten Ziele erreicht werden.<br />
Die Beobachtung innerhalb eines Monitorings basiert auf ausgewählten Aspekten,<br />
also Indikatoren, <strong>für</strong> die dann auch Messgrößen oder zumindest Anforderungen fest-<br />
gelegt werden. Diese Festlegung ist wichtig, damit überhaupt Beobachtungen ge-<br />
macht werden können. Beobachtungen basieren auf der Wahrnehmung von Diffe-<br />
renzen. Die Rahmenbedingung, die da<strong>für</strong> sorgt, dass Unterschiede feststellbar sind,<br />
ist das Monitoringsystem. Jedoch muss ich hier vor zwei Fallen warnen, in die häufig<br />
getappt wird, wenn Monitoringsysteme eingeführt werden:<br />
• Falle: Fremdsteuerung<br />
Meist werden Monitoringsysteme, wenn sie nicht <strong>für</strong> die Forschung von biolo-<br />
gischen oder Naturphänomenen, sondern als Beobachtungssystem zwischen<br />
sozialen Systemen verwendet werden, als Mittel der Fremdsteuerung instal-<br />
liert. Damit basieren sie auf der Illusion, man könne direkt in soziale Systeme<br />
hineinsteuern. Dadurch wird langfristig das Problem verstärkt, das man eigent-<br />
lich vermeiden wollte. Die sich selbst steuernden Systeme werden alles tun,<br />
um die Messbarkeit von Indikatoren und deren Ergebnis so zu beeinflussen,<br />
dass Differenzen eben nicht beobachtbar werden, weil dies womöglich Sank-<br />
tionen nach sich zieht. Es braucht dann kunstvolle Deutung der Beobach-<br />
tungsergebnisse, damit sie wieder halbwegs der erwünschten Funktion ent-<br />
sprechen. Jedoch ist diese Deutungskommunikation meist von Misstrauen<br />
72
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
und taktischer Kommunikation begleitet. Daher empfehle ich, das Monitoring<br />
vor allem <strong>für</strong> die Selbststeuerung anzuwenden. Teile davon werden allerdings<br />
zwischen der/m KontextgeberIn und der/m KontextnehmerIn kontraktiert.<br />
• Falle: Blick durch ein Rohr<br />
Wenn Indikatoren festgelegt werden, dann werden über das Verfahren in der<br />
Regel auch nur diese Indikatoren beobachtbar gemacht. In komplexen Situati-<br />
onen, wo man getrost davon ausgehen muss, dass ohnehin nur jeweils Teile<br />
von einem imaginierten Ganzen beobachtbar sind, ist das eine erhebliche<br />
Einschränkung der Beobachtung selbst. Der fokussierte Blick ist wichtig <strong>für</strong> die<br />
vereinbarten Ziele oder erwünschten Wirkungen, der gestreute Blick ist wich-<br />
tig, um nicht intendierte Wirkungen wahrnehmen zu können. Wer auf den ge-<br />
streuten Blick verzichtet, verzichtet auf Innovation, denn die Ergebnisse des<br />
gestreuten Blicks können als modifizierte oder neue, bessere Indikatoren in<br />
den fokussierten Blick einmünden.<br />
Ich empfehle hier als Monitoringsystem die Balanced Scorecard (BCS) anzuwenden.<br />
Wobei ich diese auf zwei Beine stelle:<br />
• Der fokussierten Blick<br />
Mit dem fokussierten Blick werden die Indikatoren bzw. Ziele und deren<br />
Messgrößen festgelegt, die dann in vereinbarten Intervallen beobachtet wer-<br />
den.<br />
• Der gestreuten Blick<br />
Mit dem gestreuten Blick werden Kommunikationsverfahren festgelegt, die<br />
den gestreuten Blick, das heißt alles was der Selektion des fokussierten Blicks<br />
zum Opfer fällt, beobachtbar zu machen, wobei auch hier durchaus gröbere<br />
Selektionen Sinn machen. Dieses Verfahren nenne ich Scanning.<br />
Im folgenden Schaubild sind die Perspektiven von Indikatoren oder Teilzielbereichen<br />
dargestellt, nach denen sinnvoll beobachtet werden kann. Diese vier Perspektiven<br />
sind an die „Balanced Scorecard“ angelehnt, welche von Kaplan/Norton entwickelt<br />
wurde. Seit einigen Jahren wird sie nicht mehr nur im Profitbereich angewendet, sie<br />
hat Einzug im Nonprofitbereich und der Verwaltung gefunden. Diese Adaption der<br />
Balanced Scorecard ist vor allem <strong>für</strong> Systeme geeignet, die ihren Erfolg nicht über<br />
die Erlöse ihrer Leistungen erzielen, sondern öffentliche oder Sponsoring Mittel ein-<br />
setzen, um bestimmte Wirkungen zu erzielen.<br />
73
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
Übersicht 3: Monitoring als Selbststeuerungsprozess<br />
Ressourcen<br />
Der fokussierte Blick<br />
mittels Indikatoren<br />
k<br />
u<br />
r<br />
z<br />
Ergebnisse &<br />
Wirkungen<br />
aussen<br />
Strategie<br />
Ziele<br />
innen<br />
Umsetzungsprozesse<br />
Monitoring als Selbststeuerungsprozess<br />
la<br />
n<br />
g<br />
Lernen &<br />
Entwicklung<br />
Entwicklung<br />
Entwicklung<br />
74<br />
Ressourcen<br />
Der gestreute Blick<br />
Mittels Scanning<br />
k<br />
u<br />
r<br />
z<br />
Ergebnisse &<br />
Wirkungen<br />
aussen<br />
Strategie<br />
Ziele<br />
innen<br />
Umsetzungsprozesse<br />
la<br />
n<br />
g<br />
Lernen &<br />
Entwicklung<br />
Dieses System wird häufig angewendet, wenn von der Outputorientierung zur Wir-<br />
kungsorientierung umgestellt werden soll. Der Output, das sind die Leistungen eines<br />
Systems, greift oft zu kurz, um dem Erfolg Nachhaltigkeit zu verleihen. Wesentlich<br />
sind die Wirkungen eines Tuns, die allerdings nur zeitverzögert beobachtbar sind.<br />
Was können Indikatoren <strong>für</strong> den fokussierten Blick sein?<br />
Wirkungen<br />
Durch welche Wirkungen wollen wir Nutzen stiften und <strong>für</strong> unser „Kunden“ attraktiv<br />
sein?<br />
Umsetzungsprozesse<br />
Bei welchen Prozessen müssen wir Hervorragendes leisten?<br />
Lernen & Entwickeln<br />
Wie können wir flexibel sein und uns ständig lernend weiter entwickeln?<br />
Ressourcen<br />
Wie können wir durch geringsten Ressourceneinsatz die größte Wirkung erzielen?
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
Zu diesen Fragen können nun Ziele formuliert werden, die dann beobachtet werden.<br />
Das kann beispielhaft so aussehen:<br />
Übersicht 4: Zielformulierung<br />
Ziel Kennzahlen<br />
Wir wollen unsereBedeutung<br />
in der<br />
Öffentlichkeit<br />
erhöhen.<br />
Drei Artikel in<br />
der Regionalzeitung<br />
Zwei Einladungen<br />
im Halbjahr<br />
von anderen<br />
Sinnorganisationen <br />
Beobachtungsintervall<br />
Diese können<br />
monatlich, quartalsweise<br />
oder<br />
halbjährlich<br />
sein.<br />
75<br />
Datenquelle Maßnahmen<br />
Wo sehen wir<br />
nach, dass die<br />
Kennzahl beobachtbar<br />
ist:<br />
In diesem Fall in<br />
den Regionalzeitungen,<br />
…<br />
Hier werden die<br />
Maßnahmen<br />
aufgelistet, die<br />
dazu führen<br />
werden, dass<br />
wir von den Medien<br />
und anderenSinnorganisationenwahrgenommen<br />
werden.<br />
Damit <strong>für</strong> den fokussierten Blick ein ausgewogenes und plausibles Set an Indikatoren<br />
ermittelt werden kann, empfehle ich die Erstellung einer Strategie-Map, die zur<br />
Selbststeuerung dienen soll und von denen Teile als kontextsteuernde Vereinbarun-<br />
gen genutzt werden.<br />
Das Modell der BSC <strong>für</strong> ressourcenbasierte Organisationen ist am Beispiel der<br />
„BSC-Regio“ beschrieben.<br />
Die Steuerungs-Map<br />
Der Prozess des Monitorings ist in einem Kreislauf eingebettet. Zunächst werden die<br />
strategischen Ziele definiert. Den selbststeuernden AkteurInnen empfehle ich, zu die-<br />
sem Zeitpunkt auch die Messgrößen zu den Zielen nach den vier Perspektiven fest-<br />
zulegen.<br />
So dann beginnen die Umsetzungsprozesse (oder werden fortgesetzt). Weiterhin<br />
werden im Rahmen des Messgrößen-Monitorings die Ergebnisse und Wirkungen mit<br />
den Messgrößen verglichen, die Abweichungen reflektiert und Steuerungsmaßnah-<br />
men gesetzt. Natürlich kann auch das Ziel neu definiert werden, wenn sich heraus-<br />
stellt, dass es unrealistisch war.<br />
Dieser Vergleich findet zu den festgelegten Intervallzeiträumen statt.
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
Übersicht 5: Steuerungsmap<br />
Akteur<br />
Ziele<br />
Umsetzungsprozesse<br />
Rückkoppelung<br />
Steuerung<br />
Rückkoppelung<br />
Reflexion<br />
Funktionalität<br />
Gesamtsystem<br />
76<br />
Ergebnisse<br />
&<br />
Wirkungen<br />
Messgrößen<br />
Monitoring<br />
Anschließend werden die Scanningmonitoringprozesse zu den festgelegten Zeiträu-<br />
men durchgeführt, die zusätzliche Informationen zur Steuerung bieten. Gebenenfalls<br />
können dadurch noch bessere Messgrößen ermittelt werden.<br />
Das Monitoring liefert auch Erkenntnisse über die Funktionalität des Gesamtsystems.<br />
Da die Ergebnisse nie exakt vorausgedacht, sondern nur erwünscht werden können<br />
und eine Offenheit <strong>für</strong> Überraschungen nützlich ist, ist es auch erforderlich immer<br />
wieder zu überprüfen, ob das Steuerungssystem selbst, damit meine ich im Kern die<br />
Kopplung zwischen dem Kontextgeber und dem Kontextnehmer, funktional ist.<br />
Scanningergebnisse
Literatur<br />
Selbststeuerung in Regionen – Local und Regional Governance<br />
BAECKER Dirk, Postheroisches Management, 1994, Merve Verlag<br />
BÖCHER, Michael, TRÄNKER, Sebastian: Erfolgsfaktoren integrierter ländlicher Entwick-<br />
lung. In: Böcher et al. (Hrsg.): Regional Governance und integrierte ländliche Ent-<br />
wicklung: Ergebnisse der Begleitforschung zum Modell- und Demonstrationsvorha-<br />
ben "Regionen Aktiv", Wiesbaden: VS Verlag, 2008: 109-149<br />
BÖRZEL Tanja: Regieren ohne den Schatten der Hierarchie. Ein modernisierungstheoreti-<br />
scher Fehlschluss? 2008. Online unter:<br />
http://www.politikwissenschaft.tu-<br />
darmstadt.de/fileadmin/pg/Sektionstagung_IB/IB_Sektionstagung_Boerzel.pdf<br />
FÜRST, Dietrich: Regional Governance. In: Benz, Arthur (Hrsg): Governance. Regieren in<br />
komplexen Regelsystemen. Wiesbaden: VS Verlag 2004, 45-64<br />
KAPLAN Robert S./NORTON David P., 2004, Strategy Map, Schäffer/Pöschel Verlag<br />
Stuttgart<br />
The Commission on Global Governance, Our Global Neighbourhood, Oxford: Oxford Univer-<br />
sity Press, 1995, p. 4.<br />
WILLKE Helmut, 2001, Systemtheorie III-Steuerungstheorie, 3. Auflage, Lucius & Lucius<br />
(UTB)<br />
WILLKE Helmut, 2006, Global Governance, transcript<br />
WILLKE Helmut, Supervision des Staates, 1997, Suhrkamp Verlag<br />
77
Leo Baumfeld, Michael Fischer<br />
78
Autorenverzeichnis<br />
79<br />
Autorenverzeichnis<br />
Leo Baumfeld<br />
Seit 1984 in der Regionalberatung tätig und seit 2001 Gesellschafter der ÖAR-<br />
Regionalberatung GmbH. Die Schwerpunkte seiner Beratungstätigkeit liegen in der Beratung<br />
von Unternehmen und Organisationen im intermediären Kontext, sowie Beratung von Netzwerken<br />
und Clustern. Er entwickelt mit und <strong>für</strong> Kunden neue soziale Steuerungssysteme,<br />
innovative soziale Inszenierungen und Managementinstrumente. Weitere Informationen zur<br />
Person und Institution auch unter: http://www.oear.at/cv-baumfeld.html<br />
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong><br />
geboren 1969, Diplom-Soziologin, Studium der Soziologie an der Martin-Luther-Universität<br />
<strong>Halle</strong>-Wittenberg von 1988-1995.<br />
Seit 1996 als Mitglied in der Forschungsgemeinschaft <strong>für</strong> Konflikt- und <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
e.V. an verschiedenen Projekten der Jugend- und Drogenforschung sowie an Untersuchungen<br />
zur Lage von sogenannten Risikogruppen auf dem Arbeitsmarkt beteiligt.<br />
Seit 2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin am <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> und hier vor<br />
allem in den Forschungsschwerpunkten Biographieforschung (Übergange am Arbeitsmarkt),<br />
Arbeitsmarkt (insbesondere Bürgerarbeit) sowie Vereinbarkeit von Beruf und Familie tätig.<br />
Mitevaluatorin des Modellprojektes „Bürgerarbeit in Bad Schmiedeberg“.<br />
Weitere Informationen zur Person und Institution auch unter: http://www.zsh-online.de<br />
Mag. Michael Fischer<br />
Soziologe<br />
Berater in der ÖAR Regionalberatung GmbH und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen<br />
Institut <strong>für</strong> Erwachsenenbildung. Seine Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen<br />
im Bereich (endogene) Regionalentwicklung, Lernende Regionen, regionalisierte Bildungsentwicklung<br />
und Regional Governance.<br />
Weitere Details zur Person finden Sie unter: http://www.oear.at/cv-fischer.html.<br />
Dr. rer. nat. Thomas Hartmann<br />
geboren 1956, Diplom-Biologe<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU und TU Berlin, Forschungsschwerpunkt „Neuronale<br />
Grundlagen des Lernens”, Lehrgangsleiter im Weiterbildungszentrum Arbeits-, Umwelt- und<br />
Naturschutz des bfw; Projektleiter und wissenschaftlicher Begleiter des Projektes „Lernen im<br />
sozialen Umfeld” bei der Arbeitsgemeinschaft Betriebliche Weiterbildungsforschung.<br />
Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt Universität zu Berlin im Projekt „Personal-<br />
und Organisationsentwicklungskonzepte zur Förderung der Innovationsfähigkeit von beruflichen<br />
Weiterbildungseinrichtungen“.<br />
Ab 2002 Geschäftsführer der tamen. GmbH. Arbeitsschwerpunkte: Personal- und Organisationsentwicklung,<br />
KMU-Netzwerke und Kooperationen, Unterstützung von Lernen in Entwicklungsprozessen.<br />
Weitere Informationen zur Person und Institution auch unter: http://www.tamen.de<br />
Sylvia Kühnel<br />
geboren 1958, Diplomingenieurökonom, 1982-1991 Tätigkeit in den Burger Bekleidungswerken,<br />
Werk <strong>Halle</strong> (seit 1986 Produktionsstättenleiterin), seit 16.09.1991 beim Landesarbeitsamt<br />
Sachsen-Anhalt-Thüringen (heißt seit 2004 Regionaldirektion) in verschiedenen<br />
Aufgabenbereichen, seit Mai 2007 Regionalberaterin im Geschäftsbereich SGB II. Parallel<br />
seit Mai 2006 mit der Projektleitung "Bürgerarbeit" betraut.
Autorenverzeichnis<br />
Undine Schreiber<br />
Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit, Regionaldirektion Bayern, Weiden<br />
Projektleitung "Job-Perspektive/Bürgerarbeit"<br />
Bettina Wiener<br />
geboreb 1961, Diplom-Soziologin, arbeitete seit Beendigung ihres Studiums 1991 an der<br />
Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg und später freiberuflich in verschiedenen Projekten<br />
zum ostdeutschen Transformationsprozess sowie von 1995 bis 1999 im Auftrag der Landesregierung<br />
an der Organisation, Betreuung und Aktivierung des Netzwerkes zu den Arbeitsmarktdaten<br />
Sachsen-Anhalt.<br />
Seit 1997 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im zsh. Seit 2002 ist Bettina Wiener als Geschäftsführerin<br />
am zsh tätig. Schwerpunkte ihrer Forschungsarbeit waren bzw. sind Arbeitsmarkt<br />
und berufliche Bildung sowie Personal- und Organisationsentwicklung vor allem in<br />
kleinen und mittleren Unternehmen. Einen Teil ihrer Arbeit konzentriert sie seit längerem auf<br />
die Fachkräfteentwicklung besonders in der Chemie und in der Landwirtschaft.<br />
Weitere Informationen zur Person und Institution auch unter: http://www.zsh-online.de<br />
80
Programm der Tagung<br />
Herbsttagung<br />
Fachkräftesicherung in turbulenten Zeiten<br />
5. November 2009, 10.00 – 17.00 Uhr<br />
Händelhalle in <strong>Halle</strong>/Saale<br />
10.00 – 10.30 Uhr Ankommen bei Kaffee und einer kleinen Stärkung<br />
81<br />
Programm der Tagung<br />
10.30 – 10.45 Uhr Grußwort<br />
Herr Pleye, Staatssekretär im Ministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und<br />
Arbeit Sachsen-Anhalt<br />
Dr. Uwe Bentrup,<br />
Bundesministerium <strong>für</strong> Bildung und Forschung<br />
Schwerpunkt I: local governance<br />
10.45 – 11.30 Uhr Bürgerarbeit<br />
Sylvia Kühnel, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt Thüringen<br />
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong>, <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e. V.<br />
Job Perspektive Plus<br />
Undine Schreiber, Regionaldirektion Bayern<br />
11.30 – 12.15 Uhr Nachwuchskräftepool<br />
Bettina Wiener, <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e. V.<br />
Arbeitgeberzusammenschlüsse<br />
Dr. Thomas Hartmann, tamen<br />
12.15 – 12.45 Uhr Selbststeuerung in Regionen – local governance<br />
Michael Fischer, ÖAR Regionalberatung GmbH<br />
12.45 – 14.00 Uhr Mittagspause und zwanglose Gespräche<br />
Schwerpunkt II: Qualifizierungspotentiale<br />
14.00 – 14.45 Uhr Ausbildungsbereitschaft von Betrieben<br />
Ingo Wiekert, <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e. V.<br />
Prof. Dr. Michael Behr, Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />
14.45 – 15.30 Uhr Weiterbildungsbereitschaft von Betrieben<br />
PD Dr. Holle Grünert, <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong> e. V.<br />
<strong>Sabine</strong> Löser, LASA Brandenburg<br />
15.30 – 16.00 Uhr Qualifizieren <strong>für</strong> die Zukunft<br />
Prof. Dr. Dr. h.c. Burkart Lutz, <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong><br />
<strong>Halle</strong> e. V.<br />
16.00 – 17.00 Uhr Kultureller Abschluss und Ausklang<br />
Moderation der Veranstaltung: Susanne Winge, <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> e. V.
Teilnehmerliste der Tagung<br />
Name Organisation<br />
Carsten Bauers Berufsförderungswerk Leipzig<br />
Katharina Beck Mitteldeutscher Rundfunk<br />
83<br />
Teilnehmer der Tagung<br />
Wolfgang Beck Ministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit des Landes Sachsen-<br />
Anhalt<br />
Prof. Dr. Michael Behr Friedrich-Schiller-Universität Jena<br />
Dana Bernikas Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft<br />
Dörte Biermann Strukturförderungsgesellschaft Wittenberg mbH<br />
Bettina Bochenski Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt e. V.<br />
<strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong> <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Frau Bratzke<br />
Dieter Brückner Verein <strong>für</strong> Bildungsinnovationen e. V.<br />
Christina Buchwald <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Mirka Burkert Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg, SFB 580<br />
Herbert Buscher Institut <strong>für</strong> Wirtschaftsforschung <strong>Halle</strong><br />
Stefan Chlebowski Verein <strong>für</strong> Bildungsinnovationen e. V.<br />
Jana Csongar Qualifizierungsförderungswerk Chemie GmbH<br />
Sten Cudrig <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Michael Fischer ÖAR Regionalberatung GmbH<br />
Amadeus Flößner Bildungsträger A.M. Gastro Coaching<br />
Karla Franz Bildungs-Werkstatt Chemnitz gGmbH<br />
PD Dr. Holle Grünert <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Katrin Harm Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg, SFB 580<br />
Lars Hartenstein Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt e. V.<br />
Dr. Thomas Hartmann tamen GmbH<br />
Heike Heldt Stadt Bitterfeld-Wolfen<br />
Prof. Dr. Ingrid Hölzler<br />
Marko Huber Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit Sachsen-Anhalt–Thüringen<br />
Anemone Jäger Volkssolidarität Plauen/Oelsnitz e. V.<br />
Ute Kämmer Jugend- und Schulplattform e. V.<br />
Frau Kapper-Leibe IG Metall <strong>Halle</strong><br />
Ingelore Kapust InfraLeuna GmbH<br />
Michael Kleber DGB-Region Dessau<br />
Reiner Kleinfeld Teutloff Bitterfeld<br />
Antje Knuth Senatsverwaltung <strong>für</strong> Integration, Arbeit und Soziales Berlin<br />
Verena Kriessler CURA Unternehmensgruppe<br />
Andreas Krüger CURA Unternehmensgruppe<br />
Sylvia Kühnel Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit Sachsen-Anhalt–Thüringen<br />
Annegret Künzel Fraktion DIE LINKE. im Bundestag<br />
Katrin Liebscher Bildungswerk der Thüringer Wirtschaft<br />
<strong>Sabine</strong> Löser LASA Brandenburg GmbH<br />
Prof. Dr. Burkart Lutz <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong>
Teilnehmer der Tagung<br />
Corinna Malik BMVBS<br />
Andrea Marks Stadtverwaltung Bitterfeld-Wolfen<br />
Jörg Marquardt Piening GmbH<br />
Dr. Birgit Mühlenberg Ministerium der Finanzen Sachsen-Anhalt<br />
Herr Müller Sekundarschule Bad Schmiedeberg<br />
Udo Nistripke Handwerkskammer <strong>Halle</strong><br />
David Nowaczyk Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Sachsen-Anahlt e. V.<br />
Bernhard Ott ETZ Projektmanagement GmbH Weißenfels<br />
Dr. Peer Pasternack Institut <strong>für</strong> Hochschulforschung Wittenberg<br />
Dr. Petra Pietzsch ZAW Leipzig GmbH<br />
Thomas Pleye Staatssekretär Ministerium <strong>für</strong> Wirtschaft und Arbeit des<br />
Landes Sachsen-Anhalt<br />
Herr Powalla <strong>Zentrum</strong> Technik und Gesellschaft Berlin<br />
Sylvia Purz Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg, Institut <strong>für</strong> Sozio-<br />
logie<br />
Ulrich Reymann Institut <strong>für</strong> Marktwirtschaft Magdeburg<br />
Olaf Richardt Bildungszentrum Wolfen-Bitterfeld e. V.<br />
Kerstin Richter<br />
Frank Röder QualifizierungsCentrum der Wirtschaft GmbH Eisenhütten-<br />
stadt<br />
Prof. Dr Reinhold Sackmann Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg, Institut <strong>für</strong> Sozio-<br />
logie<br />
Dr. Martina Scherer Agentur <strong>für</strong> Arbeit Wittenberg<br />
Anja Schika Martin-Luther-Universität <strong>Halle</strong>-Wittenberg<br />
Günter Schmidt VHS-Bildungswerk in Thüringen GmbH<br />
Udo Schmode Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Sachsen-Anhalt e.V.<br />
Angela Schreck Landesverwaltungsamt<br />
Undine Schreiber Regionaldirektion Bayern<br />
<strong>Sabine</strong> Schwarz Volkssolidarität Plauen/Oelsnitz e. V.<br />
Dr. Simone Simon Bundesagentur <strong>für</strong> Arbeit Sachsen-Anhalt–Thüringen<br />
<strong>Sabine</strong> Thiele Bildungsakademie Verkehr Sachsen-Anhalt e. V.<br />
Dr. Michael Thomas BISS e. V.<br />
Dr.-Ing. Michael Uhlmann ATB Arbeit, Technik und Bildung GmbH<br />
Dorothea Walther Netzwerk Ostdeutschlandforschung<br />
Dorit Wehling BiG - Bildungszentrum in Greifswald gGmbH<br />
Ingo Wiekert <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Bettina Wiener <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Susan Willhardt Kooperationsstelle MLU-DGB<br />
Susanne Winge <strong>Zentrum</strong> <strong>für</strong> <strong>Sozialforschung</strong> <strong>Halle</strong><br />
Gabi Witschorke Entwicklungsgesellschaft Energiepark Lausitz GmbH (EEpL)<br />
Klaus Zimmermann DGB Sachsen-Anhalt<br />
84
Bisher veröffentlichte Forschungsberichte aus dem zsh<br />
Bisher veröffentlichte „Forschungsberichte aus dem zsh“ (2009 – 2001)<br />
<strong>Böttcher</strong>, <strong>Sabine</strong>: zsh-Herbsttagung zur Fachkräftesicherung in turbulenten Zeiten – Tagungsband<br />
I. Forschungsberichte aus dem zsh 09-4<br />
Grünert, Holle; <strong>Böttcher</strong>, <strong>Sabine</strong>: Bedarf an neuem Wissen in der mitteldeutschen Kunststoffindustrie.Forschungsberichte<br />
aus dem zsh 09-3<br />
Winge, Susanne; Wiener, Bettina: Fachkräftesicherung in der Landwirtschaft Sachsen-<br />
Anhalts Eine große Herausforderung <strong>für</strong> die Zukunft.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 09-2<br />
Winge, Susanne; Wiener, Bettina: Lernen in kleinen und mittleren Unternehmen.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 09-1<br />
Christine Steiner, Friedrich Hauss, <strong>Sabine</strong> <strong>Böttcher</strong>, Burkart Lutz: Evaluation des Projektes<br />
Bürgerarbeit im 1. Flächenversuch in der Stadt Bad Schmiedeberg<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 08-1<br />
Grünert, Holle; Lutz, Burkart; Wiekert, Ingo (2007): Betriebliche Ausbildung und Arbeitsmarktlage<br />
- eine vergleichende Untersuchung in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Niedersachsen.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 07-5<br />
Lutz, Burkart (2007): Wohlfahrtskapitalismus und die Ausbreitung und Verfestigung interner<br />
Arbeitsmärkte nach dem Zweiten Weltkrieg. (Preprint)<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 07-4<br />
Meier, Heike; Wiener, Bettina; Winge, Susanne (2007): Regionaler Qualifizierungspool landwirtschaftlicher<br />
Unternehmen. Forschungsberichte aus dem zsh 07-3<br />
Ketzmerick, Thomas; Meier, Heike; Wiener, Bettina (2007): Brandenburg und seine Jugend -<br />
Integrationspfade Brandenburger Jugendlicher in Beschäftigung.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 07-2<br />
Ketzmerick, Thomas; Meier, Heike; Wiener, Bettina (2007): Brandenburg und seine Jugend -<br />
Regionale Mobilität. Forschungsberichte aus dem zsh 07-1<br />
Steiner, Christine (2006): Integrationspfade von ostdeutschen Ausbildungsabsolventen in<br />
Beschäftigung. Forschungsberichte aus dem zsh 06-6<br />
Grünert, Holle; Lutz, Burkart; Wiekert, Ingo (2006): Zukunftsperspektiven der Berufsausbildung<br />
in den neuen Ländern und die Rolle der Bildungsträger.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 06-5<br />
Wiener, Bettina; Winge, Susanne (2006): Planen mit Weitblick. Herausforderungen <strong>für</strong> kleine<br />
Unternehmen. Forschungsberichte aus dem zsh 06-4<br />
Buchwald, Christina (2006): Das Telefoninterview - Instrument der Zukunft?<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 06-3<br />
Buchwald, Christina (2006): Studie zur Bildungslandschaft in Aschersleben. Eine Untersuchung<br />
zur Integration einer weiterführenden Schule in freier Trägerschaft in die Bildungslandschaft<br />
der Stadt Aschersleben. Forschungsberichte aus dem zsh 06-2<br />
85
Bisher veröffentlichte Forschungsberichte aus dem zsh<br />
Wiener, Bettina; Meier, Heike (2006): Maßnahmen <strong>für</strong> ostdeutsche Jugendliche und Jungerwachsene<br />
an der zweiten Schwelle. Inventarisierung und Ermittlung von Erfolgsfaktoren.<br />
Abschlussbericht. Forschungsberichte aus dem zsh 06-1<br />
<strong>Böttcher</strong>, <strong>Sabine</strong> (2005): Eignung des Mikrozensus-Panels <strong>für</strong> Analysen des Übergangs von<br />
der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand. Forschungsberichte aus dem zsh 05-3<br />
Lutz, Burkart; Wiener, Bettina (Red.) (2005): Ladenburger Diskurs. Personalmanagement<br />
und Innovationsfähigkeit in kleinen und mittelständischen Unternehmen.<br />
Forschungsberichte aus zsh 05-2<br />
Winge, Susanne (Hg.) (2005): Kompetenzentwicklung in Unternehmen. Ergebnisse einer<br />
Betriebsbefragung. Forschungsberichte aus dem zsh 05-1<br />
Meier, Heike (Hg.) (2004): Kompetenzentwicklung in deutschen Unternehmen. Formen, Voraussetzungen<br />
und Veränderungsdynamik. Dokumentation zur Fachtagung am 23. Juni<br />
2004 in <strong>Halle</strong>. Forschungsberichte aus dem zsh 04-3<br />
Wiener, Bettina; unter Mitarbeit von Richter, Thomas; Teichert, Holger (2004): Abschätzung<br />
des Bedarfs landwirtschaftlicher Fachkräfte unter Berücksichtigung der demographischen<br />
Entwicklung (Schwerpunkt neue Bundesländer). Forschungsberichte aus dem zsh 04-2<br />
Steiner, Christine; <strong>Böttcher</strong>, <strong>Sabine</strong>; Prein, Gerald; Terpe, Sylvia (2004): Land unter. Ostdeutsche<br />
Jugendliche auf dem Weg ins Beschäftigungssystem.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 04-1<br />
Lutz, Burkart; Meier, Heike; Wiener, Bettina (2003): Personalstrukturerhebung in der Landwirtschaft<br />
2002. Forschungsberichte aus dem zsh 03-1<br />
Grünert, Holle; Steiner, Christine (2002): Geförderte Berufsausbildung in Ostdeutschland –<br />
Materialien aus der Forschung. Forschungsberichte aus dem zsh 02-4<br />
Grünert, Holle; Lutz, Burkart; Wiekert, Ingo (2002): Betriebliche Erstausbildung in Sachsen-<br />
Anhalt. Forschungsberichte aus dem zsh 02-3<br />
Lutz, Burkart; Meier, Heike; Wiener, Bettina (Red.) (2002): Neue Aufgaben an der Schnittstelle<br />
von Ingenieur- und Sozialwissenschaften – Dokumentation eines Dialogs.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 02-2<br />
Meier, Heike; Pauli, Hanns; Wiener, Bettina (2002): Der Nachwuchskräftepool als Sprungbrett<br />
in Beschäftigung. Forschungsberichte aus dem zsh 02-1<br />
Meier, Heike; Weiß, Antje; Wiener, Bettina (Red.) (2002): Generationenaustausch in industriellen<br />
Unternehmensstrukturen - Dokumentation zum Forschungs-Praxis-Kolloqium.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 02-5<br />
<strong>Böttcher</strong>, <strong>Sabine</strong>; Meier, Heike; Wiener, Bettina (2001): Alters- und Qualifikationsstruktur in<br />
der ostdeutschen Industrie am Beispiel der Chemie.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 01-3<br />
Lutz, Burkart (2001): Im Osten ist die zweite Schwelle hoch.<br />
Forschungsberichte aus dem zsh 01-2<br />
Ketzmerick, Thomas (2001): Ostdeutsche Frauen mir instabilen Erwerbsverläufen am Beispiel<br />
Sachsen-Anhalt. Forschungsberichte aus dem zsh 01-1<br />
86