Facharbeit Horst Berkowitz
Facharbeit Horst Berkowitz
Facharbeit Horst Berkowitz
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Dr. <strong>Horst</strong><br />
<strong>Berkowitz</strong><br />
Ein jüdischer Rechtsanwalt<br />
in Hannover<br />
Deniz Ellenberg
Inhaltsverzeichnis<br />
1. Einleitung Seite 2<br />
2. Die Biographie des Dr. jur. <strong>Horst</strong> Egon <strong>Berkowitz</strong> Seite 3<br />
2.1 Elternhaus – Notabitur – Erster Weltkrieg Seite 3<br />
2.2 Studium – Beruf – Heirat Seite 5<br />
2.3 Machtergreifung 1933 – Erste Anfeindungen - KZ-Buchenwald Seite 6<br />
2.4 Berufsverbot und Tätigkeit als Judenkonsulent Seite 7<br />
2.5 Kriegsende und Wiedereinstieg in den Beruf Seite 11<br />
2.6 Briefmarken und Münzen Seite 13<br />
2.6.1 Briefmarken Seite 14<br />
2.6.2 Münzen Seite 15<br />
2.7 Besondere Ehrungen Seite 16<br />
3. War <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ein Held? Seite 18<br />
4. Arbeitsbericht Seite 23<br />
5. Quellen- und Literaturverzeichnis Seite 25<br />
5.1 Quellen Seite 25<br />
5.2 Sekundärliteratur Seite 25<br />
5.3 Abbildungsverzeichnis Seite 26<br />
6. Erklärungen Seite 27<br />
1
1. Einleitung<br />
Die Aufgabe dieser <strong>Facharbeit</strong> ist die Auseinandersetzung mit einem „Helden“, wel-<br />
cher einen regionalen Bezug aufweisen sollte. Ich sprach mit meinem Vater über<br />
dieses Thema und er nannte den Namen <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>, welcher mir bis dahin<br />
nicht bekannt war. Mein Vater erzählte mir etwas von ihm (mein Vater kannte ihn,<br />
da sie Kollegen waren) und ich las daraufhin Kurzbiografien über <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> im<br />
Internet. Diese bezogen sich auf die Biografie des Ulrich Beer. Das Thema <strong>Horst</strong> Ber-<br />
kowitz interessierte mich sofort, denn es war eine außergewöhnliche Lebensge-<br />
schichte und der Zusammenhang mit dem Heldenbegriff war für mich erkennbar.<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>, geboren 1898, lebte seit 1902 ununterbrochen in Hannover. Im<br />
Jahre 1915 zog <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> freiwillig als einer der jüngsten deutschen Soldaten<br />
in den Ersten Weltkrieg ein, wurde kurz darauf lebensgefährlich verwundet und<br />
erhielt das goldene Verwundetenabzeichen. Daraufhin begann er ein Jurastudium<br />
und wurde bald ein erfolgreicher Rechtsanwalt und Notar. Da er Jude war, wurde<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ab 1933 von den Nationalsozialisten verfolgt, nach der Reichspog-<br />
romnacht von dem 9. auf den 10. November 1938 kurzzeitig in das Konzentrations-<br />
lager Buchenwald verschleppt und aus seinem Beruf als Rechtsanwalt und Notar<br />
verdrängt. Man setzte ihn als Judenkonsulenten ein. Nach Kriegsende blieb Berko-<br />
witz in Hannover und verließ nicht, wie so viele andere Verfolgte, das Land. Er baute<br />
das Gerichtswesen in Hannover mit auf und arbeitete in seinem ursprünglichen Be-<br />
ruf weiter. Nach 1945 war er wieder hoch angesehen. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war ein be-<br />
deutender Münz- und Briefmarkensammler. Seine bedeutende Münzsammlung<br />
schenkte er nach über 75 Jahren Sammlertätigkeit der Stadt Hannover, seine Brief-<br />
markensammlung vermachte er dem Staat Israel. Im Jahre 1983 starb <strong>Horst</strong> Berko-<br />
witz in Hannover. Besonders interessant an der Geschichte des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ist,<br />
wie sich der Heldenbegriff an seinem Beispiel im Laufe der Zeit gewandelt hat.<br />
2
2. Die Biographie des Dr. jur. <strong>Horst</strong> Egon <strong>Berkowitz</strong><br />
Die nachfolgende Biografie beruht in großen Teilen auf den Erinnerungen des <strong>Horst</strong><br />
<strong>Berkowitz</strong>, die in der Biografie des Ulrich Beer 1 festgehalten sind. Diese Biografie ist<br />
keine Autobiografie oder Quelle im eigentlichen Sinne, aber auch eindeutig keine<br />
klassische Sekundärliteratur. Prof. Dr. Ulrich Beer wurde von der Rechtsanwalts-<br />
kammer Celle beauftragt, in persönlichen Gesprächen mit <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> dessen<br />
Erinnerungen in einem Buch zusammenzufassen. Durch ein Telefongespräch 2 mit<br />
Ulrich Beer konnte ich erfahren, dass er in zwölf Gesprächen bei <strong>Berkowitz</strong> zu Hause<br />
dessen Erzählungen notierte und Tonaufnahmen machte. Das Buch ist zum größten<br />
Teil in der dritten Person geschrieben, häufig wird <strong>Berkowitz</strong> aber auch über mehre-<br />
re Seiten direkt zitiert, was in der ersten Person stattfindet. Deshalb kann die Bio-<br />
grafie des Ulrich Beer eher als Quelle denn als Sekundärliteratur angesehen werden,<br />
auch wenn es nach der genauen Definition keine Quelle ist. Des Weiteren erfuhr ich<br />
dabei, dass die im Jahre 2004 erschiene Neuauflage der Biografie keine nennens-<br />
werten inhaltlichen Änderungen enthielt, sondern vielmehr in einigen Teilen ge-<br />
kürzt wurde. Beer stellte keine eigenen Nachforschungen an. Etwaige durch Recher-<br />
che herausgefundene Fehler bzw. Ergänzungen sind in den Fußnoten angegeben.<br />
2.1 Elternhaus – Notabitur – Erster Weltkrieg<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> wurde am 16. Januar 1898 in Königsberg als drittes Kind einer jüdi-<br />
schen Familie geboren. Sein Vater David <strong>Berkowitz</strong> war ein erfolgreicher Bauunter-<br />
nehmer, seine Mutter Esther stammte aus einer während des Dreißigjährigen Krie-<br />
ges ins Baltikum übergesiedelten Familie. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> hatte drei Geschwister,<br />
die Brüder Harald und Gerhard sowie die Schwester Dagmar. Im Jahre 1902 siedelte<br />
die Familie nach Hannover über. Dort besuchte <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> das Realgymnasium<br />
„Leibnizschule Hannover“, wo er Klassensprecher war. Er gehörte zu den besten<br />
Schülern und legte am 05. Juni 1915 sein Abitur als „Notreifeprüfung“ bzw. „Notabi-<br />
tur“ ab, da er freiwillig als Soldat an dem im Juli 1914 begonnenen Ersten Weltkrieg<br />
teilnehmen wollte. Dieses Datum beruht auf meiner Recherche im Stadtarchiv Han-<br />
nover, wo ich die Originalakten der Leibnizschule zur Abiturprüfung vom 05. Juni<br />
1 Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979<br />
2 Telefongespräch mit Prof. Dr. Ulrich Beer, 25.02.2009<br />
3
1915 1 einsehen konnte. Auch das 125-Jahre Jubiläumsbuch der Leibnizschule 2 , in<br />
dem <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> mit einem kurzen Artikel erwähnt ist, berichtet von dem Not-<br />
abitur im Jahre 1915. In der Biografie von Beer heißt es, <strong>Berkowitz</strong> habe sein Abitur<br />
bereits 1914 gemacht, was wohl auf eine ungenaue Erinnerung von <strong>Berkowitz</strong> zu-<br />
rück geht. Von den an diesem Tag geprüften Schülern war er Primus.<br />
Abb. 1: <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> 1915 nach bestandenem Abitur 3<br />
Abb. 2: <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> 1915 als Soldat 4<br />
Seine Eltern erlaubten ihm lediglich den Eintritt zum Train, tatsächlich meldete sich<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> aber zum hannoverschen Infanterieregiment Nr. 74. Gegen Ende<br />
des Sommers 1915 kam er mit seinem Regiment nach Russland, wurde aber nach<br />
kurzer Zeit in die Champagne berufe. An beiden Orten erlebte <strong>Berkowitz</strong> aktiv eini-<br />
ge Schlachten. In den Craonner Höhen änderte sich sein Leben schlagartig. Am 16.<br />
November 1915 wurde er durch eine in einem Unterstand explodierende Granate<br />
schwer verwundet. Er war sofort bewusstlos und verlor durch umherfliegende Split-<br />
ter sein rechtes Auge. Auch sein restlicher Körper war mit Splittern übersät. So<br />
1<br />
Stadtarchiv Hannover, Leibnizschule Nr. 218<br />
2<br />
125 Jahre Leibnizschule Hannover. Ein Gymnasium im Zeichen der Reformen 1874 bis 1999, Hannover<br />
1999<br />
3<br />
veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, aus: http://www.arge-deutschegeschichte.de/bilder/berkowitz3.jpg,<br />
15.02.2009<br />
4<br />
veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, aus: http://www.arge-deutsche-<br />
geschichte.de/bilder/berkowitz4.jpg, 15.02.2009<br />
4
mussten in mehreren Operationen die Splitter aus seinem Gehirn entfernt werden.<br />
Sein linkes Auge wurde ebenfalls getroffen, nach einigen Wochen konnte er aber<br />
mit diesem wieder sehen. Drei Monate später war er transportfähig und kam nach<br />
Hanau in ein Hilfslazarett, wo ihm aber nicht weiter geholfen werden konnte. So<br />
wurde er von dort weiter in das Garnisonslazarett in Hannover verlegt, in dem er<br />
sich weiteren Operationen unterziehen musste. Dabei mussten ihm auch Teile des<br />
Gehirns entfernt werden. Dies hatte allerdings keinen nennenswerten Einfluss auf<br />
seine geistige Leistungsfähigkeit. Körperlich war er aber sehr wohl eingeschränkt<br />
und galt als 235 % schwerkriegsbeschädigt. 1 <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> wurde mit dem golde-<br />
nen Verwundetenabzeichen ausgezeichnet.<br />
2.2 Studium – Beruf - Heirat<br />
Bereits im Juni 1916 begann <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> trotz seiner schweren Kriegsverletzun-<br />
gen mit dem Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen. Dort war er ebenso<br />
erfolgreich wie als Schüler und promovierte bereits nach vier Semestern. Nach dem<br />
fünften Semester im Herbst 1918 schloss er sein Studium ab. Am 13. Februar 1919<br />
machte er sein Doktorexamen, welches er mit „magna cum laude“ abschloss. Nach<br />
dem Ersten Staatsexamen im März 1919 begann seine Referendarzeit. Überall wur-<br />
den ihm gute Zeugnisse ausgestellt und während seiner Zeit als Referendar bei der<br />
Staatsanwaltschaft durfte er sogar die Abteilung II des Ersten Staatsanwalts leiten,<br />
als dieser plötzlich erkrankte. Das Assessorexamen bestand er im März 1922 und<br />
am 26. April 1922 hatte er im Alter von 24 Jahren alle Examen abgeschlossen. Nun<br />
konnte er Rechtsanwalt werden und fing bei der Kanzlei Pape und Dr. Langkopf in<br />
Hannover als Anwaltsassessor an. Langkopf trennte sich von Pape und eröffnete mit<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> eine neue Kanzlei, da ihm das lukrativer erschien. Im Beruf wurde<br />
<strong>Berkowitz</strong> immer erfolgreicher und brachte es rasch zu einem bekannten Strafver-<br />
teidiger. Im Jahre 1928 wurde <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> zum Notar (Anwaltsnotar) bestellt.<br />
In dieser Zeit lernte <strong>Berkowitz</strong> auch seine erste Frau kennen. Sie verlobten sich im<br />
Juni 1924 und heirateten zwei Monate später. Die Ehe scheiterte jedoch bereits<br />
nach neun Monaten, da <strong>Berkowitz</strong> kein Interesse an gesellschaftlichen Veranstal-<br />
1 Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwalts-<br />
kammer Celle, Celle 2000, Seite 125<br />
5
tungen zeigte und „vom wirklichen Leben damals noch nichts wusste“ 1 . Kurz darauf<br />
lernte er seine zweite Frau Rahel Luise („Sie war wirklich eine Schönheit und immer<br />
Mittelpunkt.“ 2 ) kennen, die besser auf seine Interessen eingehen konnte. Auch Ber-<br />
kowitz änderte sein Verhalten und machte beispielsweise Theaterbesuche mit sei-<br />
ner Frau, obwohl er aufgrund seines schlechten Gehörs fast nichts davon hatte.<br />
1952 starb seine zweite Frau.<br />
2.3 Machtergreifung 1933 – Erste Anfeindungen - KZ-Buchenwald<br />
Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahre 1933 wurde ein Boykott gegen jüdische<br />
Rechtsanwälte verhängt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war davon jedoch zunächst nicht betrof-<br />
fen, da die Verordnung nicht für Schwerkriegsbeschädigte galt. Trotzdem beendete<br />
Dr. Langkopf sofort die Sozietät, da <strong>Berkowitz</strong> Jude war. <strong>Berkowitz</strong> war überrascht,<br />
wie schnell sein Ansehen sank. Erste Anwaltskollegen verweigerten ihm den Hand-<br />
schlag. 3 Nachdem <strong>Berkowitz</strong> ein Jahr bei einem jüdischen Kollegen arbeitete, eröff-<br />
nete er 1934 seine eigene Anwaltspraxis. Bis 1938 konnte er auf diese Weise wei-<br />
terarbeiten. Sein Notaramt war ihm jedoch 1935 im Zuge der Nürnberger Gesetze<br />
entzogen worden.<br />
1938 setzte die nationalsozialistische Regierung nämlich unter einem Vorwand zu<br />
dem bekannten großen Übergriff auf die jüdische Bevölkerung an. Vorausgegangen<br />
war die Ermordung eines Botschaftssekretärs in der deutschen Botschaft in Paris<br />
durch einen 17-jährigen Juden. Es kam zur so genannten Reichspogromnacht in der<br />
Nacht vom 9. auf den 10. November 1938. Nachdem es zu ersten Zerstörungen jü-<br />
discher Geschäfte in der hannoverschen Innenstadt gekommen war, wurde <strong>Horst</strong><br />
<strong>Berkowitz</strong> von seiner Schwägerin informiert. Ahnend, was geschehen würde, gab<br />
<strong>Berkowitz</strong> seiner „arischen“ Ehefrau seine Brieftasche, Geld und Schlüssel. Kurz dar-<br />
auf holten ihn zwei Gestapo-Beamte mit einem Lastwagen aus seiner Wohnung ab.<br />
Man brachte ihn in das Polizeipräsidium in der Hardenbergstraße. Dort wurden et-<br />
wa 12 bis 15 Menschen in einer Zelle untergebracht. Die Inhaftierten wurden noch<br />
1<br />
Zitat <strong>Berkowitz</strong>, aus: Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. Ein jüdisches Anwaltsleben - <strong>Horst</strong><br />
<strong>Berkowitz</strong>, Essen 1979<br />
2<br />
Zitat <strong>Berkowitz</strong>, aus: Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. Ein jüdisches Anwaltsleben - <strong>Horst</strong><br />
<strong>Berkowitz</strong>, Essen 1979<br />
3<br />
Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. Ein jüdisches Anwaltsleben - <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>, Essen 1979,<br />
Seite 55<br />
6
in der Nacht von einem Arzt untersucht, wobei die schweren Kriegsverletzungen<br />
des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> auffielen. Dennoch wurde er am folgenden Morgen zum<br />
Hauptbahnhof Hannover gebracht.<br />
Von dort wurden sie mit Personenwagen der 3. Klasse in das Konzentrationslager<br />
Buchenwald transportiert. Die hannoverschen Polizisten, die die Fahrt begleiteten,<br />
verhielten sich noch recht neutral gegenüber den Juden. Als diese jedoch nach der<br />
Ankunft von der Lagerpolizei übernommen wurden, kam es zu schweren Misshand-<br />
lungen. Die Neuankömmlinge wurden geschlagen und mussten laufen, was Berko-<br />
witz jedoch nicht konnte, da sein Bein im Ersten Weltkrieg schwer verwundet wor-<br />
den war. Diese Erklärung glaubten ihm die Lagerpolizisten aber nicht. Schließlich sei<br />
„kein Jude im Feld gewesen“. Sie versetzten <strong>Berkowitz</strong> einen derart schweren Hieb,<br />
dass er bewusstlos zusammenbrach. Als er aufwachte, wurde er mit den Anderen in<br />
eine der Baracken gebracht. Plötzlich entdeckte man das goldene Verwundetenab-<br />
zeichen, welches <strong>Berkowitz</strong> immer bei sich trug. Dies sorgte für Aufsehen bei der<br />
Lagerpolizei. Bis er sich wieder etwas erholt hatte, wurde er in einer der Baracken<br />
der Lagerpolizei untergebracht und musste nun keine Misshandlungen mehr ertra-<br />
gen. Danach wurde er wieder in seine ursprüngliche Baracke zurückgebracht. Als ein<br />
SS-Arzt von dem Verwundetenabzeichen erfuhr, kümmerte er sich etwas um Ber-<br />
kowitz. Des Weiteren wurde er von den Appellen und schweren Arbeiten befreit.<br />
Nach etwa einem Monat wurde er im Dezember 1938 aufgrund seiner Kriegsverlet-<br />
zungen aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen. <strong>Berkowitz</strong> musste sich<br />
daraufhin bei der Gestapo melden, wo man sich bei ihm für die Verschleppung ent-<br />
schuldigte.<br />
2.4 Berufsverbot und Tätigkeit als Judenkonsulent<br />
Nach seiner Entlassung aus dem Konzentrationslager Buchenwald durfte <strong>Horst</strong> Ber-<br />
kowitz nicht mehr als Rechtsanwalt arbeiten. Stattdessen wurde ihm aber eine Stel-<br />
le als „Judenkonsulent“ angeboten. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war einer von nur zwei Juden-<br />
konsulenten im Bezirk Hannover. 1<br />
1 Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwalts-<br />
kammer Celle, Celle 2000, Seite 125<br />
7
Als Judenkonsulent galt ein Rechtsvertreter, der nur Juden vertreten durfte. Vor-<br />
aussetzung zur Zulassung zum Judenkonsulenten war, dass der Beruf des Rechtsan-<br />
walts bis zum Ausschluss aus der Rechtsanwaltschaft mit dem Reichsbürgergesetz<br />
vom 27. September 1938 ausgeübt wurde. Kriegsbeschädigte sollten bei der Aus-<br />
wahl bevorzugt werden. Der Oberlandesgerichtspräsident hatte über die Zulassung<br />
zum Judenkonsulenten zu entscheiden. Zu den Pflichten eines Judenkonsulenten<br />
gehörte unter anderem das ständige Mitführen der Kennkarte, die Überprüfung, ob<br />
der Auftraggeber ein Jude war, sowie das fünfjährige Aufbewahren aller sich auf<br />
Rechtsangelegenheiten beziehenden Schriftstücke und bei Aufgabe des Berufs oder<br />
Widerruf der Zulassung zum Judenkonsulenten die Abgabe dieser Dokumente an<br />
den Landgerichtspräsidenten. Eine „berufsfremde Nebenbeschäftigung“ 1 durfte nur<br />
nach Genehmigung bzw. Anordnung erfolgen. Die Aufsicht über einen Judenkonsul-<br />
enten hatte der Präsident desjenigen Landgerichts, in dessen Bereich der Konsulent<br />
niedergelassen war. Die Judenkonsulenten hatten nunmehr die Berufsbezeichnung<br />
„Konsulent“ mit dem Zusatz „Zugelassen nur zur rechtlichen Beratung und Vertre-<br />
tung von Juden“ auf ihren Schildern, Briefbogen und Geschäftskarten zu führen. 2<br />
Daneben wurde <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> für einige weitere Arbeiten eingesetzt. So hatte er<br />
als landwirtschaftlicher Arbeiter und Buchhalter in der Jüdischen Gartenbauschule<br />
Ahlem und ferner als Fabrikarbeiter in einer Fabrik, wo er als Stanzer, Sortierer und<br />
Buchhalter tätig war, zu arbeiten. 3<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> musste sich nun „<strong>Horst</strong> Israel <strong>Berkowitz</strong>“ nennen und einen Groß-<br />
teil seiner Einnahmen als „Judenkonsulentenabgabe“ an die Reichsrechtsanwalts-<br />
kammer abtreten. Dies waren teilweise bis zu 90 Prozent der Beträge, sobald Ber-<br />
kowitz die Einnahmegrenze von 300 Reichsmark im Monat überschritt. Die Juden-<br />
konsulentenabgabe musste in der Buchführung genau festgehalten werden. Zudem<br />
kam es zu einigen Kontrollen. So haben beispielsweise „nicht-jüdische Lockvögel“<br />
versucht, <strong>Berkowitz</strong> zu einem Beratungstermin zu überreden, was <strong>Berkowitz</strong>, wie<br />
erwähnt, nicht erlaubt war. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> lehnte ab und galt bei der Gestapo<br />
nunmehr als pflichtbewusst.<br />
1 Amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege, Berlin 1938, Seite 1668<br />
2 Amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege, Berlin 1938, Seite 1666 ff.<br />
3 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Nds. 110 W Acc. 84/90, Nr. 446/6: nach selbst<br />
formuliertem Lebenslauf vom 20. April 1954<br />
8
Obwohl es sehr schwierig und selten, war einen jüdischen Angeklagten vor einem<br />
deutschen Gericht erfolgreich zu verteidigen, gelang dies <strong>Berkowitz</strong> das eine oder<br />
andere Mal, wie das nachfolgende Beispiel zeigt. Es handelte sich um einen Fall, bei<br />
dem sieben Kinder von einer einstürzenden Mauer eines Lagerplatzes in Hannover-<br />
Linden erschlagen wurden. Dieser Platz war von einem Juden gepachtet worden,<br />
welcher hinter der Mauer schwere Eisenträger, die gegen die brüchige Mauer lehn-<br />
ten, lagerte. Gegen ihn wurde ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung von sieben<br />
Kindern eingeleitet. Der Hass einiger Teile der Lindener Bevölkerung war groß, tra-<br />
fen doch der Tod von sieben Kindern und Antisemitismus zusammen. Als <strong>Berkowitz</strong><br />
die Unfallstelle untersuchte, fiel ihm auf, dass der Mörtel aus den Fugen der Mauer<br />
gekratzt worden war, was die Kinder wohl oft getan haben. Der Mörtel zerfiel leicht<br />
zu Sand, weshalb <strong>Berkowitz</strong> die Technische Hochschule Hannover mit einem Gut-<br />
achten über die etwa sechzig Jahre alte Wand beauftragte. Daraus ergab sich, dass<br />
gegen die Bauvorschriften minderwertiger Mörtel verwendet worden war. In der<br />
Gerichtsverhandlung trug <strong>Berkowitz</strong> seine Ergebnisse vor. Die Meinung der Zuhörer<br />
änderte sich, so dass keine bösen Worte mehr gegenüber dem Angeklagten fielen.<br />
Dennoch plädierte der Staatsanwalt auf schuldig. Es kam aber zu einem vor der<br />
Verhandlung nicht für möglich gehaltenen Urteil: Das Gericht sprach den Angeklag-<br />
ten wegen erwiesener Unschuld frei. 1<br />
Ab Dezember 1940 hatte <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> täglich im Konzentrationslager Ahlem bei<br />
Hannover zu erscheinen, da dorthin sein Büro als Judenkonsulent verlegt wurde. Er<br />
durfte aber weiterhin in seinem Haus in der Erwinstraße wohnen, welches später<br />
durch einen der Bombenangriffe auf Hannover beschädigt wurde.<br />
Schon als kleiner Junge träumte <strong>Berkowitz</strong> davon, eine Heldentat zu vollbringen.<br />
Neben seiner schweren Kriegsverletzung ergab sich Ende 1944 eine weitere Gele-<br />
genheit. Als er mit dem Fahrrad aus Ahlem nach Hause fuhr, sah er einen von zwei<br />
Pferden gezogenen Wagen die Straße entlang fahren. Der Kutscher war sehr aufge-<br />
regt und schrie, denn er hatte die Zügel verloren. <strong>Berkowitz</strong> überholte den Wagen<br />
mit dem Fahrrad und stieg ab. Als der Wagen auf ihn zukam versuchte er sich einem<br />
der Pferde „ins Zaumzeug zu werfen“, was jedoch scheiterte. Er stieg erneut auf<br />
1 Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979,<br />
Seite 72 ff.<br />
9
sein Fahrrad und fuhr bis an die Pferde heran. Mit einer Hand griff er nach den Zü-<br />
geln und zog, so dass die Pferde langsamer wurden und zum Stehen kamen. Der<br />
Kutscher stieg ab, nahm sich die Zügel und fuhr ohne sich zu bedanken fort. Auch<br />
die Zuschauer taten nichts, waren aber wohl überrascht darüber, was ein humpeln-<br />
der Mann mit Judenstern vollbracht hatte.<br />
Der Vater des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> verstarb, bevor seine Mutter Esther im Sommer 1941<br />
nach Theresienstadt verschleppt wurde. Im Dezember 1943 erhielt er ihre Todes-<br />
nachricht. Sein Bruder Harald wurde Arzt, verlor aber 1933 die Zulassung zu den<br />
Krankenkassen und 1938 auch seine Approbation. Daraufhin wanderte er im April<br />
1939 nach England aus, wo er in einem Lazarett arbeitete. Nach Kriegsende zog er<br />
nach Indien weiter, wo er als „Armenarzt“ bekannt wurde. 1 Auch Harald <strong>Berkowitz</strong><br />
verlangte von armen Patienten kein Honorar und wurde in Kaschmir zu einer Be-<br />
rühmtheit, weil er eine Augenkrankheit, die in dieser Region bisher nicht heilbar<br />
war und zu Blindheit geführt hatte, durch Operation heilen konnte. 1952 starb Ha-<br />
rald <strong>Berkowitz</strong> an den Folgen einer Röntgenverbrennung. Sein anderer Bruder Ger-<br />
hard war bis 1933 Korrepetitor am Opernhaus in Hannover. Er wurde mit seiner<br />
Frau nach Riga verschleppt und dort ermordet. Die einzigen den Holocaust Überle-<br />
benden aus der Familie <strong>Berkowitz</strong> waren also <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>, sein Bruder Harald,<br />
der nach dem Krieg jedoch bereits 1952 verstarb, und seine Schwester Dagmar, die<br />
noch bis zu seinem Tod bei ihrem Bruder <strong>Horst</strong> gelebt hat.<br />
Abb. 3: <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> Mutter Esther <strong>Berkowitz</strong> 2<br />
Abb. 4: Letztes Lebenszeichen von Esther <strong>Berkowitz</strong> 1<br />
1<br />
Böttcher, Dirk: Hannoversches Biografisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die Gegenwart, Hannover<br />
2002<br />
2<br />
veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, aus: http://www.arge-deutsche-<br />
geschichte.de/bilder/berkowitz5.jpg, 15.02.2009<br />
10
Kurz vor Kriegsende häuften sich auch die Hinrichtungen im Konzentrationslager<br />
Ahlem. Am 8. April 1945 blieben jedoch die morgendlichen Apelle in Ahlem aus. Die<br />
Gestapo war über Nacht aus dem Lager in Ahlem abgezogen. Die Erleichterung im<br />
Lager war groß und viele der Überlebenden verlangten nach Rache gegen die Bewa-<br />
cher in den Lagern. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> hatte jedoch noch während des Krieges zu-<br />
sammen mit zwei Freunden, dem ehemaligen Amtsgerichtsrat Dr. Blankenburg und<br />
dem Arzt Dr. Meier, den Entschluss gefasst, nicht „Vernichtung mit Vernichtung zu<br />
beantworten“ 2 , sollte Deutschland den Krieg verlieren. Alle drei wussten nämlich<br />
um den Unterschied zwischen dem deutschen Volk und den Verbrechern, die es<br />
beherrschten. Sie wollten zeigen, dass sie als Juden nicht so sind, wie „Der Stürmer“<br />
sie darstellte. Am 10. April 1945 kamen die amerikanischen Truppen in Hannover<br />
an. Kurz zuvor hatten die deutschen Truppen aus Hannover die Stadt verlassen.<br />
Damit war die akute Lebensgefahr für die Juden und andere Verfolgte vorbei.<br />
2.5 Kriegsende und Wiedereinstieg in den Beruf<br />
Am 11. April 1945 wurde <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> von den Alliierten in das Rathaus von<br />
Hannover gebracht. Dort musste er verschiedene Fragebögen ausfüllen. Auf die<br />
Frage, welche Posten oder Ämter er wünsche, antwortete er mit „keine“. Selbst das<br />
Angebot, Oberlandesgerichtspräsident zu werden, lehnte er ab. Er wollte seine<br />
plötzlich bevorzugte Stellung als Jude nicht ausnutzen, sondern seinen Beruf als<br />
Rechtsanwalt und Notar so weiterführen, wie er ihn bis zu seiner Verdrängung aus<br />
dem Beruf ausgeübt hatte. Seine Zulassung zum Amt bekam er sehr schnell zurück.<br />
Vielmehr machte <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> Vorschläge, wer z. B. für Ämter, wie das des<br />
Oberlandesgerichtspräsidenten, geeignet sei. Dabei erwähnte <strong>Berkowitz</strong> Personen,<br />
die ihm durch besondere Zivilcourage während der Zeit des Nationalsozialismus<br />
aufgefallen waren. Bereits am 1. Juni 1945 nahmen die hannoverschen Gerichte<br />
wieder ihre Arbeit auf. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war als Mitglied im Wiederaufbau-<br />
1<br />
veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, aus: http://www.arge-deutschegeschichte.de/bilder/berkowitz7.jpg,<br />
15.02.2009<br />
2<br />
Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979,<br />
Seite 96<br />
11
Ausschuss 1 formal am Wiederaufbau des Gerichtswesens in Hannover wesentlich<br />
beteiligt.<br />
In der Nachkriegszeit führte <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> einige Wiedergutmachungsprozesse<br />
für Juden, bei denen er jedoch nach dem Gesetz handelte und keine ausgedachten<br />
Reichtümer bescheinigte. Er verhielt sich auch denen gegenüber gerecht, oder viel-<br />
mehr großzügig, die eine nationalsozialistische Vergangenheit hatten. So stellte er<br />
Nationalsozialisten Unbedenklichkeitsbescheinigungen aus, sofern er überzeugt<br />
war, dass diese „nichts Schlimmes getan hatten“. Auch solche Anwälte, die ihn wäh-<br />
rend der Zeit des Nationalsozialismus nicht mehr gegrüßt hatten, erhielten diese<br />
Bescheinigungen. Dies rief jedoch in Teilen der jüdischen Gemeinde Spannungen<br />
hervor. Einige Juden warfen ihm vor, mit der Gestapo zusammengearbeitet zu ha-<br />
ben. Aus Empörung darüber nahm <strong>Berkowitz</strong> keine Ämter in der jüdischen Gemein-<br />
de an, fungierte aber weiterhin ehrenamtlich als Berater der jüdischen Gemeinde.<br />
Juden, die ihn besser kannten stellten jedoch klar, dass <strong>Berkowitz</strong> nicht mit der Ges-<br />
tapo zusammengearbeitet hat, wohl aber aufgrund seines Berufs als Judenkonsu-<br />
lent des Öfteren dort erscheinen musste.<br />
Trotz seiner leidvollen Erfahrungen blieb <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ein fröhlicher Mensch und<br />
sorgte bei Gericht mit witzigen und ausgefallenen Ideen für Aufsehen. So stellte er<br />
sich einmal, als die Gegenseite einen Eid abgeben wollte, bei dem <strong>Berkowitz</strong> über-<br />
zeugt war, dass die Gegenseite lüge, auf ein Gummikissen und rief in perfektem<br />
Latein 2 : „Mihi persuasum est, jus jurandum ejus falsum esse. In scola discimus, Jupi-<br />
ter tonans in hoc casu fulmina jacere solet. Ergo praecautio necesse est.“ (zu<br />
Deutsch etwa: „Ich bin überzeugt, dass der Eid jenes falsch ist. In der Schule haben<br />
wir gelernt, dass Jupiter, der Donnerer, in einem solchen Falle Blitze zu schleudern<br />
pflegt. Deshalb ist Vorsicht geboten, und bekanntlich schützt eine Gummiunterlage<br />
gegen elektrische Schocks!“). Im Gerichtssaal wurde gelacht und die Gegenseite<br />
verzichtete auf das Ablegen des Eides. 3<br />
1<br />
Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979,<br />
Seite 99<br />
2<br />
Stadtarchiv Hannover, Leibnizschule Nr.218: nach den Abiturakten der Leibnizschule schloss <strong>Berkowitz</strong><br />
Latein mit „gut“ ab.<br />
3<br />
Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979,<br />
Seite 119<br />
12
Obwohl <strong>Berkowitz</strong> mittlerweile wieder hoch geschätzt war, hatte er kaum Freunde.<br />
Viele seiner ehemaligen Freunde mieden ihn während der Nazizeit. Erneuten Kon-<br />
takt suchte er nicht. Daher verließ er sein Haus meist, um zu Gericht zu gehen. Alte<br />
Schulfreunde waren zu einem Großteil aus Hannover weggezogen oder verstorben.<br />
Abb. 5: <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> Ende der 1970-er Jahre 1<br />
Am 13. Februar 1983 verstarb <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> in Hannover nach einer Operation in<br />
einem Krankenhaus. 2 Er wurde auf dem jüdischen Friedhof in Hannover-Bothfeld<br />
begraben. 3<br />
2.6 Briefmarken und Münzen<br />
Die beiden Hobbys des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>, das Briefmarken- und Münzsammeln, sind<br />
in besonderem Maße hervorzuheben, da er darin äußerst erfolgreich war und von<br />
ungewöhnlichen Geschichten berichten konnte. Für diese Sammelleidenschaft gab<br />
<strong>Berkowitz</strong> sehr viel Geld aus, als Jugendlicher zunächst fast sein komplettes Ta-<br />
schengeld, später einen Großteil seiner Einnahmen.<br />
1<br />
veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, aus: http://www.arge-deutschegeschichte.de/bilder/berkowitz9.jpg,<br />
15.02.2009<br />
2<br />
Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle, Celle 2000, Seite 129<br />
3<br />
Böttcher, Dirk: Hannoversches Biografisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die Gegenwart, Han-<br />
nover 2002<br />
13
2.6.1 Briefmarken<br />
Bereits mit sechs Jahren begann er mit dem Sammeln von Briefmarken, was durch<br />
eine als Geschenk erhaltene ägyptische Briefmarke ausgelöst wurde. Dabei sammel-<br />
te er auch alle Briefmarken, die auf Briefen oder Postkarten klebten.<br />
Als Student kaufte er einmal eine geringwertige Briefmarkensammlung für etwa 100<br />
Mark. Darin entdeckte er aber eine sehr wertvolle Marke, die wohl versehentlich in<br />
dieses Album eingefügt worden war und den Wert der Sammlung um ein vielfaches<br />
überstieg. Das Rechtsempfinden des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war auch hierbei wieder so<br />
groß, dass er den Fund unverzüglich dem Verkäufer meldete und anfragte, ob er<br />
diese Marke gesondert erwerben könne. Der Verkäufer lehnte ab, gab <strong>Berkowitz</strong><br />
aber eine Prämie in Höhe von 20 Mark, was diesen jedoch nicht trösten konnte.<br />
Einige Jahre später konnte <strong>Berkowitz</strong> die Marke anderswo kaufen, musste aber ei-<br />
nen deutlich höheren Preis zahlen.<br />
Gegen Ende der zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts hatte <strong>Berkowitz</strong> bereits eine<br />
große Sammlung. Kurz vor seiner Verschleppung in das Konzentrationslager Bu-<br />
chenwald im Dezember 1938 übergab <strong>Berkowitz</strong> seine Briefmarkensammlung, die<br />
nun aus über 20 Bänden bestand, einem ihm bekannten hannoverschen Notar. Als<br />
<strong>Berkowitz</strong> zurückkehrte musste er feststellen, dass der Notar inzwischen sein Nota-<br />
riat verloren hatte, da dieser Mandantengelder veruntreut hatte. Daher nahm Ber-<br />
kowitz die Sammlung wieder an sich.<br />
Bis zu seinem Tode sammelte <strong>Berkowitz</strong> Briefmarken. Seine Sammlung umfasste<br />
nunmehr 652 Bände und galt als eine der vollständigsten Briefmarkensammlungen<br />
in Deutschland. Nach seinem Tode überließ er seine Briefmarkensammlung dem<br />
Staat Israel, damit dieser damit Universitäten, Krankenhäuser und Kinderheime un-<br />
terstützen kann. Der Erlös bei der Versteigerung der Briefmarken betrug über fünf<br />
Millionen DM. 1<br />
1 Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwalts-<br />
kammer Celle, Celle 2000, Seite 126<br />
14
2.6.2 Münzen<br />
Auch mit dem Sammeln von Münzen begann <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> noch während seiner<br />
Schulzeit. Schon vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs umfasste seine Münzsamm-<br />
lung unter anderem einige deutsche Goldmünzen aus dem 19. Jahrhundert. Diese<br />
Goldmünzen musste er jedoch im Ersten Weltkrieg abgeben, da die Bevölkerung<br />
aufgefordert wurde, ihr Gold an die Deutsche Reichsbank abzuliefern. Nach seiner<br />
Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg setzte er das Sammeln fort und kam rasch zu<br />
einer beachtlichen und wertvollen Sammlung.<br />
Diese fiel in der Hitlerzeit auf, so dass sie beschlagnahmt wurde. Mit Hilfe des da-<br />
maligen Regierungsrates Dr. Weyher erhielt <strong>Berkowitz</strong> von dem Regierungspräsi-<br />
denten Hannover die Erlaubnis, seine Münzen von der SS zurückzuerhalten. Sechs<br />
wertvolle Goldmünzen fehlten jedoch. Beim genaueren Betrachten der Sammlung<br />
fiel <strong>Berkowitz</strong> zudem auf, dass eine Goldmünze nicht aus seinem Besitz stammte. Er<br />
meldete dies und gab die Münze zurück. Nach einem von dem Regierungspräsiden-<br />
ten Hannover eingeleiteten Gutachten vom 28. Februar 1939 belief sich der Wert<br />
der Münzsammlung auf etwa 12.000 Reichsmark. 1 So konnte <strong>Berkowitz</strong> seine<br />
Münzsammlung bis Ende 1940 behalten. Dann wurde die Sammlung im Kestner-<br />
Museum Hannover untergebracht. Als das Museum in der Nacht vom 9. auf den 10.<br />
Oktober 1943 bei einem schweren Bombenangriff zerstört wurde, erhielt <strong>Berkowitz</strong><br />
erneut die Erlaubnis seine Sammlung bei sich zu Hause aufzubewahren.<br />
Wenige Jahre vor seinem Tode schenkte <strong>Berkowitz</strong> seine komplette, sehr umfang-<br />
reiche Münzsammlung, der Stadt Hannover.<br />
Nach dem Wert der Sammlung gefragt antwortete <strong>Berkowitz</strong> immer, die Sammlung<br />
sei „4,80 DM und ein großzügiges Trinkgeld wert.“. Der tatsächliche Wert der Münz-<br />
sammlung hat bei etwa 500.000 DM 2 gelegen. <strong>Berkowitz</strong> sammelte aus Freude und<br />
nicht, um eine besonders wertvolle Sammlung zu haben.<br />
1 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 210 Acc. 2002/025 Nr. 1922<br />
2 Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwalts-<br />
kammer Celle, Celle 2000, Seite 126<br />
15
2.7 Besondere Ehrungen<br />
1915 wurde <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> nach seiner schweren Kriegsverletzung mit dem Ver-<br />
wundetenabzeichen in Gold ausgezeichnet. 1<br />
Vom Bundespräsidenten Heinrich Lübke erhielt <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> das Bundesver-<br />
dienstkreuz erster Klasse, dass ihm am 14. Dezember 1960 durch den niedersächsi-<br />
schen Justizminister überreicht wurde.<br />
Am 1. Mai 1963 wurde ihm zudem der niedersächsische Verdienstorden erster Klas-<br />
se verliehen.<br />
Die Stadtplakette für Verdienste um die Landeshauptstadt Hannover erhielt er am<br />
16. September 1976. In der Verleihungsurkunde dieser seltenen Auszeichnung,<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war der 51. Bürger, dem die Stadtplakette verliehen wurde, heißt<br />
es: „Nachdem Herr Dr. <strong>Berkowitz</strong> 1922 zur Rechtsanwaltschaft beim Amts- und<br />
Landgericht in Hannover zugelassen worden war, wurde ihm im Jahre 1928 das Notariat<br />
verliehen. Aufgrund seines mosaischen Glaubensbekenntnisses wurde ihm<br />
1935 das Notariat und 1938 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Er arbeitete<br />
als Land- und Fabrikarbeiter und wurde nach kurzem KZ-Aufenthalt in Buchenwald<br />
als Judenkonsulent in Hannover eingesetzt.<br />
1945 von der britischen Besatzung als Anwalt rehabilitiert, war Dr. <strong>Berkowitz</strong> nach<br />
dem Zusammenbruch in der Stadt einer der ersten, der sich mit all seinen Kräften<br />
für den Wiederaufbau der Justiz in Hannover einsetzte. Besonders hervorzuheben<br />
ist sein persönliches Eintreten für die Schaffung der sachlichen Voraussetzungen zur<br />
Wiederaufnahme der Gerichtstätigkeit in Hannover und sein Engagement für zahlreiche<br />
Richter, durch deren Rehabilitation erst die personellen Voraussetzungen zur<br />
Wiederaufnahme der Gerichtstätigkeit ermöglicht wurden.<br />
Trotz der in der Zeit des Nationalsozialismus erlittenen schweren Schicksalsschläge<br />
hat Dr. <strong>Berkowitz</strong> sich in seiner im Jahre 1945 wieder aufgenommenen Praxis stets<br />
in untadeliger und vornehmer Gesinnung für das Recht eingesetzt. Ressentiments<br />
gegen frühere Gegner waren ihm fremd, er beurteilte seine Fälle fair und vorurteilsfrei<br />
nach menschlicher Integrität und hat besonders für minderbemittelte Bürger als<br />
einer der „Stillen im Lande“ unendlich viel Gutes getan. Dr. <strong>Berkowitz</strong> genoss durch<br />
seine Redlichkeit und unbeirrbare Objektivität eine ungewöhnliche Vertrauenszuneigung<br />
aller Kollegen. Diese Wertschätzung wird durch die Tatsache besonders<br />
deutlich, dass er 27 Jahre lang Vizepräsident des hannoverschen Anwaltsvereins<br />
war. Es ist überliefert, dass der Vater David <strong>Berkowitz</strong> einen seiner Söhne zum Me-<br />
1 siehe Kapitel 2.1<br />
16
dizin- und den anderen zum Jurastudium veranlasst hat, damit der eine Sohn armen<br />
und hilflosen Menschen als Arzt und der andere den genannten Mitmenschen als<br />
Anwalt helfe und beistehe.<br />
Dr. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> hat diese in ihn gesetzten Erwartungen in vorbildlicher Weise<br />
erfüllt.<br />
Mit der Verleihung dieser Plakette sollen seine Verdienste dankbar anerkannt und<br />
gewürdigt werden.“ 1<br />
1979 wurde er Ehrenmitglied im Deutschen Anwaltsverein.<br />
1 Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979,<br />
Seite 147 f.<br />
17
3. War <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ein Held?<br />
Diese Frage muss differenziert betrachtet werden. Nach seiner Verwundung im<br />
Ersten Weltkrieg am 16. November 1915 1 galt er eindeutig als (Kriegs-) Held. So<br />
wurde er beispielsweise mit dem Verwundetenabzeichen in Gold ausgezeichnet,<br />
was für große Anerkennung sorgte. Zur damaligen Zeit galt ein solcher Einsatz für<br />
das „Vaterland“ als Heldentat.<br />
In der Hitlerzeit wandelte sich das Ansehen des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> jedoch radikal. Er<br />
war nun keineswegs mehr ein Held, sondern gehörte zur Gruppe der verfolgten Ju-<br />
den. Sein Einsatz im Ersten Weltkrieg geriet weitgehend in Vergessenheit und auch<br />
die Tatsache, dass er ein erfolgreicher Rechtsanwalt und Notar wurde, half ihm<br />
nicht. Allerdings bewahrte ihn sein Verwundetenabzeichen in Gold vor Schlimme-<br />
rem. Der ehemalige Held wurde von vielen seiner Kollegen nicht einmal mehr ge-<br />
grüßt. Zwischen 1933 und 1945 war <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> nach allgemeinem deutschem<br />
Verständnis kein Held mehr.<br />
Mit dem Ende des Krieges wandelte sich das Ansehen des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> jedoch<br />
mindestens genau so schnell, wie es 1933 bereits einmal geschehen war. Plötzlich<br />
war <strong>Berkowitz</strong> wieder anerkannt und es wurden ihm hohe Ämter angeboten, die er<br />
jedoch ablehnte. 2<br />
Den aus Teilen der jüdischen Gemeinde in Hannover gemachten Vorwürfen über<br />
eine Zusammenarbeit mit der Gestapo 3 versuchte ich mit einer Akte über eine Devi-<br />
senangelegenheit aus dem Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv 4 weiter nachzuge-<br />
hen. Es ging um die jüdische Firma „Ph. Bähr und Co“ mit Sitz in Hannover. Inhaber<br />
war Herr Philipp Bähr. Herr Bähr hatte Zahlungen an das Deutsche Reich zu entrich-<br />
ten und war durch den Rechtsanwalt <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> vertreten. Aus dem Brief-<br />
wechsel zwischen Herrn Bähr, <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> und den Behörden habe ich zwei<br />
Briefe im Besonderen untersucht. Zum einen ein Brief von <strong>Berkowitz</strong> an den Oberfi-<br />
1 siehe Kapitel 2.1<br />
2 siehe Kapitel 2.5<br />
3 siehe Kapitel 2.5<br />
4 Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Signatur: Hann. 2210 Acc. 2004/011 Nr. 85: Akten<br />
der Devisen-, Straf- und Rechstabteilung<br />
18
nanzpräsidenten von Hannover vom 5. August 1937, in dem <strong>Berkowitz</strong> sehr sachlich<br />
schreibt. Zum anderen ein Brief von <strong>Berkowitz</strong> an den Inhaber der Firma, Herrn Phi-<br />
lipp Bähr, der sich zu diesem Zeitpunkt in Haifa/Palästina aufhielt. In diesem Brief<br />
vom 21. Januar 1938 heißt es unter anderem: „Ich rate nochmals dringendst, we-<br />
nigstens alle verfügbaren Gelder sofort zu überweisen, damit wenigstens ein erster<br />
Beweis des Zahlungswillens vorliegt. – Wenn Sie erwähnen, dass die fraglichen Fir-<br />
men durch die Sicherheiten vor Schaden geschützt seien, so bemerke ich nochmals,<br />
dass der Herr Oberfinanzpräsident den Rechtsstandpunkt einnimmt, es sei die Si-<br />
cherstellung ohne seine Genehmigung unzulässig gewesen, sodass also die Sicher-<br />
heit von den Behörden erfasst werden kann, nämlich zur Zurückzahlung auf Ihr<br />
Sperrkonto bzw. Treuhandskonto oder gar durch direkte Beschlagnahme. Ihre<br />
Überweisungen dienen also nicht nur der Erfüllung der Gesetze, sondern auch der<br />
Deckung der fraglichen Firmen gegen Schäden oder gar ernstere Verfolgung.“ Hier<br />
schrieb <strong>Berkowitz</strong> deutlich entspannter und versuchte seinem Mandanten zu hel-<br />
fen, der sich jedoch mit seiner Familie in Palästina aufhielt und keine Verfolgung<br />
durch die Nationalsozialisten befürchten musste. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ging aber noch<br />
darüber hinaus und setzte sich nicht nur für seinen Mandanten ein. Er verwies auf<br />
andere jüdische Firmen, deren Inhaber sich noch in Hannover befanden. Dieses Bei-<br />
spiel zeigt, dass <strong>Berkowitz</strong> sich selbst in dieser schwierigen Zeit als jüdischer Rechts-<br />
vertreter, wo man eigentlich kaum die Möglichkeit hatte seine Mandanten zu ver-<br />
teidigen, für die jüdische Bevölkerung eingesetzt hat.<br />
Anders sah das Ruth Gröne, die ich im Herbst letzten Jahres bei einer Exkursion un-<br />
seres Geschichtskurses in das ehemalige Konzentrationslager Ahlem, wo <strong>Horst</strong> Ber-<br />
kowitz als Judenkonsulent tätig war, sprechen konnte. 1 Sie war damals noch ein<br />
kleines Kind und hat, wie sie sagt, schlechte Erinnerungen an <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>. Als<br />
Grund nannte sie, dass immer, wenn <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> nach Ahlem kam, kurz darauf<br />
Juden abtransportiert worden seien. Wie erwähnt hatte <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> als Juden-<br />
konsulent jedoch kaum Handlungsspielräume und half der jüdischen Bevölkerung<br />
soweit er konnte. Er hatte keinerlei Einfluss auf Deportationen. Hinzu kam wahr-<br />
scheinlich für Ruth Gröne, die damals noch ein Kind war, das für sie wohl etwas er-<br />
schreckend wirkende Aussehen des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>, der durch seine Kriegsverlet-<br />
1 Gespräch mit Ruth Gröne 01.12.2008<br />
19
zung teilweise entstellt war. Ruth Gröne hat also wahrscheinlich als Kind einen fal-<br />
schen Eindruck von <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> bekommen, den sie aber nicht ausreichend<br />
begründen konnte.<br />
Die Ehrungen, die <strong>Berkowitz</strong> zuteil wurden 1 , sind ein Zeichen für die Anerkennung,<br />
die man <strong>Berkowitz</strong> nach dem Zweiten Weltkrieg entgegenbrachte, auch wenn er nur<br />
regional einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hatte. Eine Straße wurde nicht<br />
nach <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> benannt, da es bereits den <strong>Berkowitz</strong>weg in Hannover-<br />
Buchholz gab, der nach seinem Bruder, dem „Armenarzt“ Harald <strong>Berkowitz</strong> 2 , be-<br />
nannt worden war. Wie erwähnt starb Harald <strong>Berkowitz</strong> sehr früh an einem Rönt-<br />
genunfall. Wäre dies nicht der Fall gewesen, hätte eine Straße auch nach <strong>Horst</strong> Ber-<br />
kowitz benannt werden können.<br />
Abschließend ist die Frage zu beantworten, ob <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ein Held war. Zu-<br />
nächst betrachte ich hierfür die in der Aufgabenstellung der Körber-Stiftung ge-<br />
nannten Merkmale eines Helden. Diese sind größtenteils für <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> durch-<br />
aus zutreffend. Schließlich zeugt es schon von (seelischer) Stärke, nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg das Justizwesen in Hannover mit aufzubauen und nicht das Land zu ver-<br />
lassen. Denn er musste somit schließlich mit vielen ehemaligen Nationalsozialisten<br />
weiterarbeiten, von denen er vielen sogar verzeihen konnte. Damit stellte er sich<br />
zweifellos einer schweren Aufgabe und verließ das Land nicht, wie viele andere, was<br />
auch nachvollziehbar gewesen wäre. Ein Kriegsheld war er im Ersten Weltkrieg. Die<br />
zuvor beschriebene Wandlung des Heldenbegriffes vom frühen 20. Jahrhundert<br />
über die Hitlerzeit bis zum späten 20. Jahrhundert und somit bis zum heutigen Hel-<br />
denbegriff lässt sich am Beispiel <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> deutlich veranschaulichen. Sein<br />
Heldentum währte nicht für die Ewigkeit, es wurde im Dritten Reich unterbrochen<br />
und heutzutage gerät <strong>Berkowitz</strong> etwas in Vergessenheit.<br />
Im November 2008 zeigte sich jedoch, dass man sich noch immer an ihn erinnert<br />
und jeder (außer Ruth Gröne), der ihn kannte und mit dem ich sprach, erinnert sich<br />
gerne an ihn zurück. Am 4. November 2008 erschien z. B. in der „Hannoverschen<br />
1 siehe Kapitel 2.7<br />
2 siehe Kapitel 2.4<br />
20
Allgemeinen Zeitung“ ein Artikel 1 anlässlich des 60. Jahrestages der Reichspogrom-<br />
nacht. Die Überschrift lautete „Ich dachte unwillkürlich an Dantes Inferno“, ein Zitat<br />
von <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>. In dem Artikel wurde auch auf eine Ausstellung im Histori-<br />
schen Museum Hannover zum Thema „Der Novemberpogrom 1938 in Hannover“<br />
vom 5. November 2008 bis 18. Januar 2009 verwiesen. Im Januar besuchte ich diese<br />
Ausstellung und sah, dass auch Bilder und ein Audiobeitrag von <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong><br />
enthalten waren. Zu der Ausstellung erschien auch ein Begleitbuch 2 , in dem ein kur-<br />
zer Artikel über <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> enthalten war.<br />
In meinem Gespräch mit Herrn Prof. Dr. Ulrich Beer 3 erfuhr ich, wie er zu den An-<br />
schuldigungen von Ruth Gröne steht. Es gibt wohl keinen Ansprechpartner, der Ber-<br />
kowitz besser kennt, als Ulrich Beer. Auch er ist der Meinung, dass die von Ruth<br />
Gröne geäußerte Kritik an <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> haltlos und wohl auch mit dem damali-<br />
gen Kindesalter von Ruth Gröne und somit fehlender Sachkenntnis zu begründen<br />
sei. Von Ulrich Beer konnte ich zudem erfahren, dass es mehrere Anfragen bezüg-<br />
lich einer Verfilmung über das Leben des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> gab. Dies scheiterte aber<br />
bisher wohl daran, dass das Schicksal des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> nicht als typisch für einen<br />
Juden im Dritten Reich galt. Zudem vermutet Beer, dass auch die jüdische Gemein-<br />
de einer Verfilmung eher abgeneigt gegenüberstehe, da es zwischen <strong>Berkowitz</strong> und<br />
der jüdischen Gemeinde kein enges Verhältnis gäbe. Ein weiterer Grund dafür kön-<br />
ne auch darin gelegen haben, dass <strong>Berkowitz</strong> es ablehnte, wenn ein Jude versuchte,<br />
aus seiner, <strong>Berkowitz</strong>´ Sicht, zu übertrieben hohe Wiedergutmachungen geltend zu<br />
machen. <strong>Berkowitz</strong> folgte auch hierbei seinem Verständnis der Gesetze und seinem<br />
persönlichen Rechtsempfinden. Bei einem weiteren Telefongespräch mit Herrn Mi-<br />
chael Fürst 4 , dem Vorsitzenden des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden in<br />
Hannover, erfuhr ich, dass <strong>Berkowitz</strong> ein sehr hohes Ansehen innerhalb der jüdi-<br />
schen Gemeinde habe, ohne dort aber sonderlich aktiv gewesen zu sein.<br />
1<br />
Benne, Simon: „Ich dachte unwillkürlich an Dantes Inferno“, Hannoversche Allgemeine Zeitung, 4.<br />
November 2008, Seite 17<br />
2<br />
Mechler, Wolf-Dieter: Der Novemberpogrom 1938 in Hannover, Hannover 2008, Seite 72<br />
3<br />
Telefongespräch mit Herrn Prof. Dr. Ulrich Beer, 25.02.2009<br />
4<br />
Telefongespräch mit Herrn Michael Fürst, Vorsitzender des Landesverbandes der jüdischen Ge-<br />
meinden in Hannover, 25.02.2009<br />
21
Das größte Ideal des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> war sicherlich sein (natürliches) Rechtsemp-<br />
finden. Davon zeugen einige Beispiele, von denen ich in der Biografie berichtet ha-<br />
be. Dafür setzte er sich stets ein, in jeder dieser drei beschrieben Phasen.<br />
Insgesamt sehe ich in <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> einen Helden, wenn man betrachtet, welche<br />
außergewöhnlichen Taten er vollbrachte, wie er sich dabei vom klassischen Helden-<br />
begriff gelöst hat und welche hohe ethische Einstellung er dabei in den verschiede-<br />
nen Phasen seines Lebens bezeugte: Als mutiger Kriegsfreiwilliger für sein Vater-<br />
land, als der Verfolgung im Nationalsozialismus beharrlich widerstehender Jurist,<br />
durch seine Absage an Hass und Rachegefühle nach 1945, und durch seine Großzü-<br />
gigkeit gegenüber der Stadt Hannover und ehemaligen „Mitläufern“ im Nationalso-<br />
zialismus.<br />
22
4. Arbeitsbericht<br />
Nach der Themenauswahl versuchte ich zunächst Informationen über <strong>Horst</strong> Berko-<br />
witz herauszufinden, die ich bei mir zu Hause zusammentrug. Dazu zählten zum<br />
einen die <strong>Berkowitz</strong>-Biografie des Ulrich Beer 1 und ein weiteres Buch über Persön-<br />
lichkeiten aus der Rechtsanwaltskammer Celle 2 . Ich las mich ein und bekam eine<br />
genauere Vorstellung über das Leben des <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>. Im Internet waren kaum<br />
Quellen zu finden. Die wenigen Internetseiten, die Informationen enthielten, bezo-<br />
gen sich auf die Biografie des Ulrich Beer.<br />
Daraufhin besuchte ich zum ersten Mal das Stadtarchiv Hannover, wo ich eine Ein-<br />
weisung von meinem Tutor und dem zuständigen Archivar bekam. Ich untersuchte<br />
verschiedenste Quellen, z. B. Abiturakten der Leibnizschule Hannover, wo <strong>Berkowitz</strong><br />
sein Abitur machte, oder Zeitungsartikel über <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong>. Letztere waren we-<br />
niger aufschlussreich und ich musste feststellen, dass es keine Dokumente gab, die<br />
<strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> selber verfasste. Es war allerdings sehr interessant, in den ange-<br />
sprochenen Abiturakten zu lesen. Dort waren alle Schüler, die an diesem Tag<br />
geprüft wurden, aufgelistet, und die Lehrer notierten genau, welcher Schüler die<br />
jeweilige Arbeit zu welcher Uhrzeit abgegeben hatte.<br />
Weitere Literatur über allgemeine Fälle mit Judenkonsulenten beschaffte ich mir in<br />
der Universitätsbibliothek Hannover 3 . Diese war jedoch nicht verleihbar, sodass ich<br />
Kopien der wichtigen Seiten anfertigte. In den Fußnoten wurde <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong><br />
erwähnt und es wurde auf einen Artikel in der „Neuen Juristischen Wochenschrift“ 4<br />
hingewiesen. Ich besorgte mir die entsprechende Ausgabe und bekam in dem darin<br />
enthaltenen Artikel Einblick in den Beruf des Judenkonsulenten.<br />
Um Akten über <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 zu finden,<br />
fragte ich beim Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv nach, wo es einige wenige<br />
Akten gab. Es fiel auf, dass es keine Personalakte über <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> gab, obwohl<br />
1<br />
Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> - Ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979<br />
2<br />
Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der Rechtsanwaltskammer<br />
Celle, Celle 2000<br />
3<br />
Rüping, Hinrich: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus, Berlin 2007, S. 87<br />
4<br />
Neue Juristische Wochenschrift, 1. Halbband, München und Frankfurt 1995, Seite 1388 ff.<br />
23
dieser auch Notar war. Wahrscheinlich ging diese verloren oder wurde für unwichtig<br />
gehalten und nicht mehr aufbewahrt.<br />
Nachdem ich genügend Material gesammelt hatte und die in der Biografie des Ul-<br />
rich Beer enthaltenen Informationen teilweise mit den Archivalien aus dem Stadtar-<br />
chiv Hannover und dem Niedersächsischen Hauptstaatsarchiv ergänzen und<br />
manchmal noch verfeinern konnte, begann ich mit dem Schreiben des Textes. Zu-<br />
nächst schrieb ich die Einleitung und daraufhin die Biografie. Abschließend machte<br />
ich mir Gedanken über die anfangs gestellte Frage, ob <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> ein Held war.<br />
Am 25. Februar 2009 telefonierte ich mit dem Vorsitzenden des Landesverbands<br />
der jüdischen Gemeinden in Hannover, Michael Fürst, und dem Autor der Biografie,<br />
Prof. Dr. Ulrich Beer, um genaueres über deren Sichtweise auf <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> bzw.<br />
Einzelheiten über die Entstehung der Biografie zu erfahren.<br />
Als der Text fertig, war beschäftigte ich mich mit dem Anpassen des Layouts, dem<br />
Quellenverzeichnis und anderen formalen Dingen.<br />
24
5.1 Quellen<br />
5. Quellen- und Literaturverzeichnis<br />
Amtliches Blatt der deutschen Rechtspflege, Berlin 1938, Seite 1666 ff.<br />
Beer, Ulrich: Versehrt verfolgt versöhnt. <strong>Horst</strong> <strong>Berkowitz</strong> – ein jüdisches Anwaltsleben,<br />
Essen 1979 1<br />
Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 210 Acc. 2002/025 Nr. 1922<br />
Niedersächsisches Hauptstaatsarchiv Hannover, Hann. 2210 Acc. 2004/011 Nr. 85:<br />
Akten der Devisen-, Straf- und Rechtsabteilung<br />
Stadtarchiv Hannover, Leibnizschule Nr. 218<br />
5.2 Sekundärliteratur<br />
125 Jahre Leibnizschule Hannover. Ein Gymnasium im Zeichen der Reformen 1874<br />
bis 1999, Hannover 1999<br />
Benne, Simon: „Ich dachte unwillkürlich an Dantes Inferno“, Hannoversche Allgemeine<br />
Zeitung, 4. November 2008<br />
Böttcher, Dirk: Hannoversches Biografisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die<br />
Gegenwart, Hannover 2002<br />
Brand, Hans Joachim: Vergangenes heute. Historisches und Persönliches aus der<br />
Rechtsanwaltskammer Celle, Celle 2000<br />
Mechler, Wolf-Dieter: Der Novemberpogrom 1938 in Hannover, Hannover 2008<br />
Neue Juristische Wochenschrift, 1. Halbband, München und Frankfurt 1995<br />
Rüping, Hinrich: Rechtsanwälte im Bezirk Celle während des Nationalsozialismus,<br />
Berlin 2007<br />
1 zum Quellencharakter dieses Werkes, das zwischen Auftragsbiografie und Autobiografie einzuord-<br />
nen ist, siehe Seite 3 der vorliegenden Arbeit<br />
25
5.3 Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 1: veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, nach: http://www.arge-<br />
deutsche-geschichte.de/bilder/berkowitz3.jpg, 15.02.2009<br />
Abb. 2: veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, nach: http://www.arge-<br />
deutsche-geschichte.de/bilder/berkowitz4.jpg, 15.02.2009<br />
Abb. 3: veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, nach: http://www.arge-<br />
deutsche-geschichte.de/bilder/berkowitz5.jpg, 15.02.2009<br />
Abb. 4: veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, nach: http://www.arge-<br />
deutsche-geschichte.de/bilder/berkowitz7.jpg, 15.02.2009<br />
Abb. 5: veröffentlicht in der Biografie von Ulrich Beer, nach: http://www.arge-<br />
deutsche-geschichte.de/bilder/berkowitz9.jpg, 15.02.2009<br />
26
6. Erklärungen<br />
Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende <strong>Facharbeit</strong> selbstständig angefertigt,<br />
keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt und die Stellen der <strong>Facharbeit</strong>, die im<br />
Wortlaut oder im Wesentlichen der Inhalt aus anderen Werken entnommen wurden, mit genauer<br />
Quellenangabe kenntlich gemacht habe.<br />
Verwendete Informationen aus dem Internet sind der Fachlehrerin bzw. dem Fachlehrer vollständig<br />
ausgedruckt zusammen mit einer Liste der erforderlichen Zugangsadressen (URLs) zur<br />
Verfügung gestellt worden.<br />
Ort, Datum Unterschrift der Schülerin oder des Schülers<br />
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Hiermit erkläre ich, dass ich damit einverstanden bin, wenn die von mir verfasste <strong>Facharbeit</strong> der<br />
schulinternen Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.<br />
Ort, Datum Unterschrift der Schülerin oder des Schülers<br />
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