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Stippvisite - Haniel Stiftung

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<strong>Stippvisite</strong><br />

Informationen der <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

Ausgabe 22/2012


8<br />

12<br />

16<br />

19<br />

24<br />

28<br />

INHALT<br />

Vorwort<br />

Unter den Wolken<br />

Ein Gastbeitrag von Dr. Jörg Metelmann über den<br />

Begriff „Performance“ – Thema der <strong>Haniel</strong> Seminars<br />

im Wintersemester 2012 an der Universität<br />

St.Gallen<br />

Zukünftige Policy-Maker am Werk<br />

Elf Studenten der Willy Brandt School of Public<br />

Policy in Erfurt reisen zur 3. <strong>Haniel</strong> Fall School<br />

nach St. Petersburg<br />

Wohlstand zum Downloaden<br />

Ein Gespräch mit Professor Niall Ferguson, Gastredner<br />

bei der 10. <strong>Haniel</strong> Lecture<br />

Der Euro könnte die EU zerstören<br />

Ein Interview von Professor Dietmar Herz mit<br />

Professor Niall Ferguson, Gastredner bei der<br />

10. <strong>Haniel</strong> Lecture<br />

In der Welt zu Hause<br />

Stipendiaten des Metro <strong>Haniel</strong> China Scholarship<br />

Program berichten von ihrem Auslandssemester<br />

Die Zukunft hat begonnen<br />

Ein Rückblick mit Schewa van Uden, Projektkoordinatorin<br />

und pädagogische Mitarbeiterin des<br />

Aletta <strong>Haniel</strong> Programms


Sehr geehrte Leserinnen und Leser,<br />

es war Nietzsche, der einst gesagt hat: „Dem guten Frager<br />

ist schon halb geantwortet.“ Oder anders gesagt:<br />

Wer die richtigen Fragen stellt, bekommt meist auch die<br />

richtigen Antworten. Lesen Sie in der aktuellen „<strong>Stippvisite</strong>“,<br />

mit welchen Fragen sich die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> im<br />

vergangenen halben Jahr beschäftigt hat – und warum<br />

wir mit den Antworten immer zufrieden waren, auch<br />

und gerade, wenn sie uns überrascht haben.<br />

Eine gute Frage ist zum Beispiel, wie es dem Westen<br />

gelungen ist, den Rest der Welt zu dominieren. „Das<br />

Erfolgsgeheimnis liegt in den westlichen ‚Killer-Applikationen‘“,<br />

antwortete der Wirtschaftshistoriker Professor<br />

Niall Ferguson bei der 10. <strong>Haniel</strong> Lecture im<br />

November 2012. Was sich dahinter verbirgt und warum<br />

Fergusons Thesen für angeregte Diskussionen sorgten,<br />

erfahren Sie in diesem Heft.


Vor welchen Herausforderungen stehen Policy-Maker<br />

im Riesenland Russland? Um das herauszufinden, reisten<br />

elf Studenten der Willy Brandt School of Public<br />

Policy nach St. Petersburg. Bei der dritten <strong>Haniel</strong> Fall<br />

School erarbeiteten sie gemeinsam mit Studenten der<br />

St. Petersburger Higher School of Economics Ansätze<br />

für Forschungsprojekte. Eins ist schon jetzt klar: Wer<br />

Antworten auf die komplexen Herausforderungen des<br />

Wohlfahrtsstaates und der Sozialpolitik in Russland<br />

sucht, braucht einen langen Atem – obwohl sich die<br />

Unterschiede zu anderen Ländern oft als kleiner entpuppten<br />

als gedacht.<br />

Die Teilnehmer des ersten Jahrgangs des Aletta <strong>Haniel</strong><br />

Programms, die im Sommer ihren Schulabschluss<br />

gemacht haben, sind mit ganz persönlichen Fragen<br />

konfrontiert: Wie geht es für mich weiter? Welcher<br />

Beruf passt zu mir? Was möchte ich in meinem Leben<br />

erreichen? Soll ich eine Ausbildung beginnen oder doch<br />

Abitur machen? Das muss natürlich jeder Schüler für<br />

sich beantworten – aber die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> versucht,<br />

dabei Hilfestellung zu geben. Und so standen die beiden<br />

pädagogischen Mitarbeiterinnen des Aletta <strong>Haniel</strong><br />

Programms, Schewa van Uden und Antje Burs, den<br />

Schülern mit Rat und Tat zur Seite. Schewa van Uden<br />

ist mittlerweile schon drei Jahre dabei – an ihren Erfahrungen<br />

können Sie in dieser „<strong>Stippvisite</strong>“ teilhaben.<br />

Was passiert mit einer Gesellschaft, in der jeder ständig<br />

„performen“ muss? Dieser Frage widmeten sich die<br />

<strong>Haniel</strong> Seminars an der Universität St.Gallen im Wintersemester<br />

2012. Denn längst ist Performance nicht<br />

nur in Theater oder Kunst gefragt, sondern eine Anforderung,<br />

an der sich auch Studenten, Wissenschaftler<br />

oder Bewerber messen lassen müssen. Einen Versuch,<br />

den Begriff „Performance“ zu definieren, unternimmt<br />

unser langjähriger Projektpartner Dr. Jörg Metelmann,<br />

Programmleiter Handlungskompetenz im Kontextstudium<br />

der Universität St.Gallen. Übrigens feiern wir mit<br />

den <strong>Haniel</strong> Seminars ein kleines Jubiläum: Seit zehn<br />

Jahren fördert die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> diese Seminarreihe


mit dem Ziel, die Managementausbildung um praxisnahe<br />

Themen zu bereichern. Ab 2013 bauen wir die<br />

Kooperation zu einem „European <strong>Haniel</strong> Program“ aus<br />

und knüpfen so ein internationales Netzwerk renommierter<br />

Business Schools. Wie das vonstattengehen soll,<br />

verraten wir Ihnen in der nächsten „<strong>Stippvisite</strong>“.<br />

Zum Schluss noch eine Frage an Sie: Wissen Sie, was folgender<br />

Satz bedeutet und welche Sprache das ist? „Myn<br />

Vatter isch en Appezeller, er frisst de Chäs mitsamt em<br />

Täller“? Die Antwort lesen Sie auf Seite 24.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Freude mit dieser „<strong>Stippvisite</strong>“!<br />

Ihr Franz M. <strong>Haniel</strong><br />

Vorsitzender des Kuratoriums


UNTER DEN WOLKEN<br />

Ein Gastbeitrag von Dr. Jörg Metelmann über den<br />

vielschichtigen Begriff „Performance“ – Thema der<br />

<strong>Haniel</strong> Seminars im Wintersemester 2012 an der<br />

Universität St.Gallen<br />

In der Antike wären die Griechen wahrscheinlich einfach<br />

von ihren Göttern gerettet worden, durch Sturm<br />

oder Heldentat, die die feindlichen Barbaren vernichtet<br />

hätten. Unter den Wolken, in einer Welt ohne<br />

Olymp, kehrt die Gutachter-Troika aus dem Ausland<br />

nun aber regelmäßig wieder und bemängelt: Eure Performance<br />

ist nicht gut genug. Es muss mehr gespart<br />

werden, die Märkte glauben euch (noch) nicht – und<br />

das gefährdet den Euro.<br />

Wegen der Euro-Schwäche können zum Beispiel schweizerische<br />

Hersteller oft noch so gut performen, es bleibt<br />

bei der schlechten Parität kaum etwas übrig. Wenn es<br />

dem Unternehmen nicht gutgeht, dann sind oft die Mitarbeiter<br />

gefährdet oder gefragt: „Du musst neue Potenziale<br />

entdecken und deine Performance steigern!“ Und<br />

wenn das nach einem langen Tag noch immer nicht<br />

genug Performance-Imperativ ist, dann kann ich mir in<br />

einer Casting-Show Amateure anschauen, die wie Stars<br />

performen und dem Juror lauschen: „Das war keine gute<br />

Vorstellung!“ Oder ich gehe gleich selbst aufs Laufband,<br />

Trainieren für den Sahara-Marathon als Beweis meiner<br />

Tauglichkeit am individuellen Performance-Limit.<br />

Schlüsselbegriff unserer Zeit<br />

Volkswirtschaften, Unternehmen, Arbeitswelt,<br />

Medien, Freizeit – Performance ist ein Schlüsselbegriff<br />

unserer Zeit, omnipräsent und für alle als Ansporn verbindlich.<br />

Warum ist das so? Zunächst sicherlich, weil<br />

der englische Begriff (und wir performen ja global, versteht<br />

sich) ganz unterschiedliche Bedeutungsebenen<br />

zusammenbringt: „Darbietung“ und „Vorstellung“,<br />

„Ausführung“ und „Aufführung“, „Leistung“ und „Leistungsvermögen“,<br />

„Effizienz“ und auch „Ergebnis“, um<br />

8


nur einige zu nennen. Er kann so kurz und knapp bündeln,<br />

was in unserer westlichen Konsumkultur für alles<br />

Handeln wichtig ist: Wir lieben den schönen Schein,<br />

die perfekte Show, das billigste Produkt, die makellose<br />

Bilanz. Am Markt und in der Gesellschaft sind diejenigen<br />

erfolgreich, die die Welt auf den Kopf stellen und<br />

dabei stets eine gute Figur machen. Und zwar jeden Tag<br />

aufs Neue, denn wir vergessen schnell und morgen fällt<br />

der nächste Gigant vom Markenhimmel.<br />

Als die Menschen noch an die christliche Vorsehung<br />

glaubten, war das anders. Erfolg hatte derjenige, den<br />

Gott auserwählt hatte. Wenn die Geschäfte liefen, dann<br />

wegen eines Heilsplans von ganz oben, wenn nicht,<br />

dann hatte man ganz andere als pekuniäre Sorgen. Eine<br />

sich selbst erfüllende Prophezeiung, die zwar Ungleichheit<br />

metaphysisch zementierte, aber der Gesellschaft<br />

eine gewisse Ordnung gab. Und auch der Leistung ihren<br />

Rahmen nach dem Motto: ‚Du bist hier nicht zum Vergnügen,<br />

nicht allein und eigentlich ein ziemlich kleines<br />

Licht – also handle besonnen, immer auch für andere<br />

und in Demut.‘ Der Wandel von der unsichtbaren Hand<br />

Gottes zur unsichtbaren Hand des Marktes hat diesen<br />

Rahmen verändert. Wir sind nun permanently on stage,<br />

aber nicht zu Gefallen oder Missfallen einer höheren<br />

ethischen Kraft. Nein, wir performen nur noch für<br />

9


uns selbst und gegen uns selbst. Keine Grenze ist heilig,<br />

kein Berg zu hoch, keine Zumutung zu groß.<br />

Performance als Kulturleistung<br />

Performance ist das, was uns Erdenmenschen bleibt,<br />

wir können gar nicht anders. Sie ist eine Kulturleistung.<br />

In einer Welt ohne Götter und ohne Gott, also ohne letzten<br />

Sinn, müssen wir uns selbst erfinden: indem wir<br />

performen. Wir inszenieren uns, um gesehen zu werden.<br />

Wir spielen, um zusammenzukommen. Wir leisten,<br />

um anerkannt zu sein. Und wir messen, um besser<br />

zu werden. Alles geben zu wollen für ein erfülltes<br />

Leben, ist das eine. Alles geben zu müssen für ein gestiegenes<br />

Anforderungsniveau, das ist das andere. Wir alle<br />

versuchen, in einer Marktwelt ohne Gewissheiten<br />

unsere Rolle zu spielen. Nur du selbst entscheidest, wie<br />

weit du wirklich kommen willst (alle anderen haben<br />

schon Burnout)? Über die Wolken? Vielleicht doch eher<br />

so: Unter den Wolken kann die Freiheit nicht grenzenlos<br />

sein. Muss sie aber auch nicht.<br />

Jörg Metelmann ist Programmleiter Handlungskompetenz im Kontextstudium<br />

der Universität St.Gallen (HSG) und organisiert in diesem Rahmen<br />

auch die alljährlichen <strong>Haniel</strong> Seminars, die die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> seit 2003 fördert.<br />

Ziel der <strong>Haniel</strong> Seminars ist es, Themen aufzugreifen, die für künftige<br />

Führungskräfte wichtig sind und dennoch an deutschsprachigen Hochschulen<br />

eher vernachlässigt werden. So diskutierten die Studenten mit international<br />

renommierten Forschern Themen wie „Anstand“, „Charisma<br />

und Leadership“ oder „New Movements of Entrepreneurship“. Die <strong>Haniel</strong><br />

Seminars sind mittlerweile fester Bestandteil des Studiums an der HSG. Zu<br />

den Schwerpunktthemen finden außerdem öffentliche Podiumsdiskussionen<br />

statt, an denen unter anderem Vertreter weltweit tätiger Unternehmen<br />

teilnehmen. Ab 2012 werden die <strong>Haniel</strong> Seminars zum „European<br />

<strong>Haniel</strong> Program“ ausgebaut. Das „European <strong>Haniel</strong> Program“ ist eine Kooperation<br />

zwischen der <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong>, der HSG und der Copenhagen Business<br />

School (CBS), die sich intensiv Aspekten der integrierten Unternehmer­<br />

und Managementausbildung widmen will.<br />

11


ZUKÜNFTIGE POLICY-MAKER AM WERK<br />

Elf Studenten der Willy Brandt School of Public Policy in<br />

Erfurt reisen zur 3. <strong>Haniel</strong> Fall School nach St. Petersburg<br />

Es ist noch recht früh, als sich an diesem Septembertag<br />

der ICE von Erfurt nach Berlin in Bewegung setzt.<br />

Trotzdem sind die elf Studenten der Willy Brandt<br />

School of Public Policy hellwach: Fröhlich diskutieren<br />

sie über die anstehende lange Reise und die kommenden<br />

Tage. Von Berlin aus geht es für sie direkt nach<br />

St. Petersburg. Dort werden sie bereits erwartet – von<br />

Studenten der Higher School of Economics in St. Petersburg.<br />

Gemeinsam mit ihnen werden die „Erfurter“<br />

bei der dritten <strong>Haniel</strong> Fall School zum Thema „Social<br />

Policy Today – Russia in Comparison“ über das Konzept<br />

des Wohlfahrtsstaates sprechen und Sozialpolitik aus<br />

unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.<br />

Im Mittelpunkt des Programms, das mit dem Centre for<br />

Independent Social Research St. Petersburg entwickelt<br />

wurde, standen die Themen „Rentenreform“, „Armut<br />

und soziale Ausgrenzung“, „Familie und Pflege“ sowie<br />

„Migrationspolitik“. In Gruppen erarbeiteten die Studenten<br />

Ansätze für Forschungsprojekte, die bei einer<br />

kleinen Konferenz am Ende der Fall School vorgestellt<br />

und diskutiert wurden. „Ich war mit einem Sozialsystem<br />

konfrontiert, das neu für mich war“, beschreibt<br />

Covadonga Gonzalez aus Spanien ihre Erfahrung. „Die<br />

Möglichkeit, russische Experten direkt zu befragen, hat<br />

mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Wir hören<br />

so viele Dinge über Russland. Aber es gibt eben immer<br />

noch diesen letzten Rest Misstrauen, ob die Informationen<br />

nicht doch geschönt sind. Bei der Fall School haben<br />

wir die Realität vor Ort erlebt und diskutiert – etwa<br />

das komplizierte Rentensystem oder den Versuch, die<br />

Armut in vielen Teilen des Landes zu lindern.“<br />

12


Unerwartete Parallelen<br />

„Für mich war es besonders interessant, die Meinung<br />

von Wissenschaftlern zu hören, die durchaus unabhängig<br />

vom Kreml sind“, erzählt Fausto Brindis. „Welche<br />

Möglichkeiten sehen sie, die gegenwärtigen Probleme<br />

Russlands zu lösen? Das Land ist gerade in einer Übergangsphase,<br />

ganz ähnlich wie meine Heimat Mexiko.<br />

Ich habe zwischen Russland und Mexiko einige Parallelen<br />

entdeckt.“ Brindis sieht in St. Petersburg den idealen<br />

Nährboden für neue Ideen und Systemveränderungen<br />

in Russland: „Es ist eine Stadt voller Kontraste und<br />

mit so vielen Möglichkeiten, diese zu beseitigen.“ Eine<br />

Auffassung, die auch seine Kommilitonin Rafia Haider<br />

aus Pakistan teilt. „In dieser Stadt werden die verschiedenen<br />

politischen und gesellschaftlichen Systeme, die<br />

Russland erlebt hat, erfahrbar.“<br />

Auf Wiedersehen in Erfurt<br />

Als sich die Erfurter Studenten nach neun Tagen auf den<br />

Weg zum Flughafen machten, war das noch nicht das<br />

Ende der Fall School: Vier Wochen später besuchten die<br />

russischen Teilnehmer ihre Kommilitonen an der Willy<br />

Brandt School, um weiter an den gemeinsamen Projekten<br />

zu arbeiten. Diese stellten sie dem Aufsichtsratsvorsitzenden<br />

von <strong>Haniel</strong> und Kuratoriumsvorsitzenden der<br />

<strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong>, Franz M. <strong>Haniel</strong>, vor, der die WBS<br />

13


im Rahmen der Fall School besuchte. „Das Spannende<br />

an der <strong>Haniel</strong> Fall School ist, dass sie theoretisches und<br />

praktisches Lernen vereint. Das ist zentral für unsere<br />

zukünftige Arbeit als Policy-Maker“, resümiert Laura<br />

Dadomo aus Argentinien. Ihre Kommilitonin Sabine<br />

Mesletzky aus Deutschland ergänzt: „Wir hatten die<br />

Möglichkeit, aktuelle, herausfordernde Policy-Themen<br />

an konkreten Beispielen zu diskutieren. Durch die Interaktion<br />

und Zusammenarbeit mit den russischen Studenten<br />

sind wir viel tiefer in das Thema eingestiegen,<br />

als wir das zu Hause am Schreibtisch hätten tun können.“<br />

Auch das Fazit der Veranstalter fällt positiv aus.<br />

„Die Spring und Fall Schools haben sich zu einem festen<br />

Bestandteil des Lehrkonzeptes an unserer Hochschule<br />

entwickelt“, sagt Julia Tantoh, Programmkoordinatorin<br />

an der Brandt School. „Es ist gelungen, den<br />

Studenten die lokalen Bedingungen der Formulierung,<br />

Implementierung und Wirkung von Policy-Konzepten<br />

zu vermitteln.“ Das nächste Ziel steht auch schon fest:<br />

Novosibirsk. Fernab von den großen russischen Metropolen<br />

Moskau und St. Petersburg sollen sich die Studenten<br />

im Frühjahr mit den Herausforderungen von Zentrum-Peripherie-Bedingungen<br />

auseinandersetzen.<br />

14


Die <strong>Haniel</strong> Fall School ist Teil der <strong>Haniel</strong>­Kooperationsprogramme, die die<br />

<strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> seit 2009 an der Willy Brandt School of Public Policy in Erfurt<br />

fördert. Ziel der <strong>Haniel</strong> Spring und Fall Schools ist der wissenschaftliche,<br />

aber vor allem auch der persönliche Austausch mit Menschen in den<br />

Regionen Mittelosteuropa und GUS. An der Brandt School bereiten sich<br />

junge Menschen aus aller Welt in einem zweijährigen, international ausgerichteten<br />

Masterstudium auf eine Karriere in der Politik, dem öffentlichen<br />

Dienst oder internationalen Organisationen vor. Weitere Informationen<br />

finden Sie auf unserer Homepage unter www.haniel-stiftung.de.<br />

15


WOHLSTAND ZUM DOWNLOADEN<br />

Professor Niall Ferguson spricht auf der 10. <strong>Haniel</strong> Lecture<br />

zum Thema „Civilization – The West and the Rest“<br />

„Sechs Killer Apps sorgten einst für den Aufstieg des<br />

Westens – und jetzt für dessen Abstieg“, sagt Professor<br />

Niall Ferguson von der Harvard Universität. Der<br />

Experte für Wirtschafts- und Finanzgeschichte war<br />

Gastredner bei der diesjährigen <strong>Haniel</strong> Lecture mit<br />

dem Titel „Civilization – The West and the Rest“.<br />

In den letzten Jahrhunderten gehörte die „westliche<br />

Welt“ – also Europa und Nordamerika – zu den absoluten<br />

Aufsteigern: Keine andere Region hat es geschafft,<br />

so viel Vermögen zu bilden und damit Wohlstand zu<br />

ermöglichen. Für Niall Ferguson liegen die Gründe<br />

dafür nicht etwa im europäischen Imperialismus oder<br />

der christlichen Religion. „Es gibt“, so betonte er in seinem<br />

Vortrag, „sechs typisch westliche Entwicklungen,<br />

die in ihrem Zusammenspiel für Wohlstand, Stabilität<br />

und Innovation gesorgt haben.“ Diese sechs komplexen<br />

gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozioökonomischen<br />

Entwicklungen bezeichnet er als Apps, die<br />

man – wie bei einem Smartphone – einfach herunterladen<br />

kann:<br />

„The West’s Killer-Apps“<br />

1. Der Wettbewerb: In Europa gab es einst über 100 verschiedene<br />

Wirtschaftsregionen. So standen die Portugiesen<br />

und später die Spanier, die Niederländer und<br />

die Engländer im direkten Wettbewerb miteinander.<br />

Sie kämpften um fremde Märkte; mit neuen Produkten<br />

und innovativen Ideen.<br />

2. Die wissenschaftliche Revolution: Jahrhundertelang<br />

hatten andere Kulturen wie China in Sachen Wissenschaft<br />

die Nase vorn. Je wichtiger Forschung und<br />

Bildung in Europa wurden, desto mehr nahm ihre<br />

Bedeutung in den anderen großen Zentren ab. Der<br />

Grund war, dass die Wissenschaftler sich vernetzten,<br />

miteinander konkurrierten und kooperierten.<br />

16


3. Die Eigentumsrechte: Die Verankerung von Eigentumsrechten<br />

hat in Europa für größere Rechtssicherheit<br />

gesorgt. Ein funktionierendes und faires Rechtssystem<br />

ist die zentrale Basis von Wohlstandsgesellschaften.<br />

4. Die moderne Medizin: Die mit der wissenschaftlichen<br />

Revolution einhergehenden Fortschritte in der Medizin<br />

haben die Lebenszeit der Menschen verlängert und sie<br />

vor Krankheitserregern geschützt. Dadurch wurden die<br />

koloniale Expansion und damit auch die globale Dominanz<br />

des „Westens“ überhaupt erst möglich.<br />

5. Die Konsumgesellschaft: Im „Westen“ entwickelte<br />

sich die moderne Form des Massenkonsums. Sie war<br />

Voraussetzung der Industrialisierung und bildet noch<br />

heute eine wichtige Säule des Wohlstandes.<br />

6. Die Arbeitsethik: Im „Westen“ gab es eine besondere<br />

Arbeitsethik: Arbeit war nicht nur Pflicht, sie bildete<br />

den Mittelpunkt des Lebens.<br />

Doch die einstige Dominanz geht laut Ferguson verloren:<br />

„Der Westen steckt in einer Krise.“ Dass ehemalige<br />

Entwicklungsländer wie China mit großen Schritten<br />

aufholen, liege daran, dass sie inzwischen eine<br />

oder auch mehrere Apps heruntergeladen haben. So sei<br />

die Wettbewerbsfähigkeit Chinas in den letzten sechs<br />

Jahren um 13 Prozent gestiegen. Auch bei der Wissenschaft<br />

mache China inzwischen immense Fortschritte:<br />

Im Jahr 2005 wurden dort erstmals mehr Patente angemeldet<br />

als in Deutschland. „Wenn das so weitergeht“,<br />

erklärte Ferguson, „verlieren Westeuropa und Amerika<br />

über kurz oder lang ihre Vormachtstellung an China.“<br />

Ob der Westen gegen seinen Abstieg etwas tun kann,<br />

diskutierte Ferguson anschließend mit Professor Dietmar<br />

Herz, ebenfalls Historiker und derzeit Staatssekretär<br />

im Thüringer Justizministerium.<br />

18


DER EURO KÖNNTE DIE EU ZERSTÖREN<br />

Interview von Professor Dietmar Herz mit Professor<br />

Niall Ferguson, Gastredner bei der 10. <strong>Haniel</strong> Lecture<br />

Herr Ferguson, was ist eigentlich so schlimm daran, dass<br />

die ehemaligen Entwicklungsländer aufsteigen? Ist es nicht<br />

das, was der „Westen“ spätestens seit 1945 forciert hat?<br />

Verstehen Sie mich nicht falsch: Es ist nicht schlimm,<br />

dass die Lücke zwischen dem Westen und dem Rest<br />

der Welt geschlossen wird. Im Gegenteil: Es ist gut,<br />

wenn der Wohlstand dort allmählich ankommt. Dennoch<br />

mache ich mir Sorgen um die westlichen Ökonomien.<br />

Sind sie noch so wettbewerbsstark, wie sie früher<br />

waren? Ich habe die Befürchtung, dass die „Software“<br />

nicht mehr so gut funktioniert.<br />

Was meinen Sie damit?<br />

Um bei meinem gewählten Bild zu bleiben: Ich denke,<br />

dass die Apps im Westen von einem Virus befallen sind,<br />

nämlich dem Glauben, dass der Staat intervenieren<br />

solle. Das mindert aber den Wettbewerb. Es muss Dinge<br />

geben, die nicht funktionieren. Nur so kann es Fortschritt<br />

geben. Doch wenn man sich das ökonomische<br />

Verhalten der letzten hundert Jahre anschaut, sieht<br />

man, dass wir ständig versucht haben, Risiken zu eliminieren.<br />

Paradoxerweise führte das zur Finanzkrise.<br />

Auch in der Wissenschaft lassen wir nach. In den USA<br />

haben wir außerdem keinen Rechtsstaat mehr, sondern<br />

einen „Rechtsanwaltsstaat“ und die Konsumgesellschaft<br />

baut auf Überschuldung. Auch die Arbeitsmoral<br />

ist perdu. Das hat mich am meisten schockiert: Ein Vergleich<br />

der globalen Arbeitszeiten zeigt, dass der durchschnittliche<br />

Südkoreaner 1.000 Stunden mehr im Jahr<br />

arbeitet als der Deutsche.<br />

19


Bedeutet das umgekehrt, dass in den anderen Ländern die<br />

Apps gigantisch gut laufen? Was ist zum Beispiel mit China?<br />

Der Aufstieg Chinas ist die größte Sensation unserer Zeit.<br />

Ich glaube aber nicht, dass Chinas institutionelles Gefüge<br />

auf Dauer stabil ist. Es herrscht kein Rechtsstaat. Sie<br />

haben die anderen Killer-Apps, aber nicht Nummer drei.<br />

Haben autoritäre, staatskapitalistische Strukturen in<br />

einer globalen Welt der Effizienz und Geschwindigkeit<br />

denn keinen Vorteil vor den alten Demokratien?<br />

Nein. Ich kaufe dieses ganze Gerede vom asiatischen<br />

Modell nicht ab. Autoritärer Staatskapitalismus kommt<br />

doch nicht aus Asien! Hier in Europa wurde am Kapitalismus<br />

ohne Demokratie herumexperimentiert, nirgendwo<br />

mehr als in Deutschland, wo er 1989 bereits<br />

gescheitert ist. Wir müssen uns daran erinnern, was<br />

den Westen vom Rest unterscheidet: Es sind die Institutionen,<br />

die Freiheit garantieren. Sie sind im Laufe<br />

eines evolutionären Prozesses hart erarbeitet worden<br />

und waren nicht Teil unserer DNA. Es brauchte<br />

20


Jahrhunderte, bis individuelle Freiheitsrechte sich mit<br />

Eigentumsrechten verbanden.<br />

Wie kann der Westen denn neu starten?<br />

Indem wir die entscheidenden Institutionen wieder<br />

wertschätzen und eine entsprechende politische Führung<br />

haben. In Amerika würde dies gehen, das ganze<br />

Fiskalsystem könnte wieder zurechtgeruckelt werden,<br />

denn Amerikaner wissen, dass ihre Software stimmt.<br />

Sie haben die Apps mehr in ihrer kollektiven Psyche als<br />

die Europäer. Sie glauben immer noch, harte Arbeit und<br />

Verantwortung seien das Beste, was es gebe, und nicht<br />

Regierungsintervention.<br />

Was ist denn mit Europa? Geben Sie der Europäischen<br />

Union keine Chance?<br />

Europa steckt tief in der Krise. Der Grund dafür ist das<br />

unüberlegte Konstrukt: Man hätte sich von Anfang<br />

an viel stärker auf eine Weiterentwicklung des Binnenmarktes<br />

konzentrieren sollen, anstatt eine<br />

21


einheitliche Währung zu implementieren. Das Grundproblem<br />

der Euro-Zone sind nicht die Staatsschulden,<br />

sondern ist die unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklung<br />

ihrer Mitglieder. Der Euro, davon bin ich überzeugt,<br />

könnte die EU zerstören. Damit die Europäische<br />

Union überlebt, muss sie sich institutionell neu ausrichten<br />

und ihre Apps neu justieren.<br />

ZUR PERSON<br />

Der 1964 in Glasgow geborene Wirtschaftshistoriker<br />

Niall Ferguson ist Professor an der US-Eliteuniversität<br />

Harvard, zudem Journalist und Fernsehmoderator.<br />

Als junger Forscher verbrachte er zwei Jahre in Hamburg<br />

und Berlin. Gerade ist in Deutschland sein Buch<br />

„Der Westen und der Rest der Welt“ im Penguin-Verlag<br />

erschienen.<br />

Ferguson gilt als einer der besten Kenner der Finanzgeschichte<br />

weltweit. TIME nahm ihn 2004 in die Liste<br />

der 100 einflussreichsten Personen auf. Er schreibt eine<br />

Kolumne in Newsweek. 2009 lieferte er sich einen Diskurs<br />

mit dem Nobelpreisträger für Ökonomie Paul<br />

Krugman.<br />

Zu seinen Publikationen zählen unter anderem „Der<br />

Aufstieg des Geldes: Die Währung der Geschichte“<br />

(2009); „Politik ohne Macht: Das fatale Vertrauen in<br />

die Wirtschaft“ (2001); „Die Geschichte der Rothschilds:<br />

Propheten des Geldes“ (2 Bde., 2002) sowie „Virtuelle<br />

Geschichte: Historische Alternativen im 20. Jahrhundert“<br />

(1999). Einen Teil seiner Bücher hat er außerdem<br />

verfilmt. Für „Der Aufstieg des Geldes“ wurde er 2009<br />

mit dem Internationalen Emmy („Bester Dokumentarfilm“)<br />

ausgezeichnet. Eine Fernsehserie zu „Civilization“<br />

folgte 2012 (PBS). Momentan arbeitet er an einer Biografie<br />

Henry Kissingers.<br />

22


Professor Dietmar Herz ist derzeit Staatssekretär im<br />

Thüringer Justizministerium. Der Politikwissenschaftler,<br />

Jurist und Historiker studierte in den USA und England,<br />

lehrte in München und Bonn und ist seit April<br />

2000 Ordinarius für vergleichende Regierungslehre an<br />

der Universität Erfurt. Seine Forschungsschwerpunkte<br />

sind unter anderem politische Theorie, Geschichte und<br />

politisches System westlicher Staaten; Naher und Mittlerer<br />

Osten. Er war Gründungsdirektor der Willy Brandt<br />

School of Public Policy, Erfurt (2001 – 06 und 2008/09).<br />

Seit 2009 ist er für seine Tätigkeit als Staatssekretär<br />

beurlaubt.<br />

Gastprofessuren führten ihn unter anderem an die<br />

Hebräische Universität, Jerusalem, die Vanderbilt University,<br />

Nashville, Tenn., und die Universidade de São<br />

Paulo. Von 2005 bis 2009 unterrichtete er an der Akademie<br />

des Auswärtigen Dienstes (Attaché-Ausbildung).<br />

Zu seinen Publikationen zählen unter anderem „USA<br />

verstehen“ (2011); mit Christian Jetzlsperger „Die Europäische<br />

Union“ (2008); „Die Amerikaner im Krieg:<br />

Bericht aus dem Irak im vierten Kriegsjahr“ (2007); und<br />

„Die Vereinten Nationen: Entwicklung, Aktivitäten,<br />

Perspektiven“ (2002).<br />

Seit 1993 findet alle zwei Jahre die <strong>Haniel</strong> Lecture statt. Am Sitz der <strong>Haniel</strong><br />

<strong>Stiftung</strong> in Duisburg hören rund 200 Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft,<br />

Politik und Gesellschaft Vorträge von Experten. Die Referenten beleuchten<br />

ein Thema aus unterschiedlichen beruflichen und nationalen Blickwinkeln.<br />

Anschließend diskutieren sie ihre Standpunkte mit dem Publikum. Zu jeder<br />

<strong>Haniel</strong> Lecture wird – auch auf der Homepage der <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> – eine<br />

Publikation veröffentlicht, in der die Thesen der Gastredner zu lesen sind.<br />

Weitere Informationen erhalten Sie unter www.haniel-stiftung.de.<br />

23


IN DER WELT ZU HAUSE<br />

Stipendiaten des Metro <strong>Haniel</strong> China Scholarship Program<br />

berichten von ihrem Auslandssemester<br />

Seit 2003 vergibt die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> in Kooperation<br />

mit der Metro Group jährlich bis zu sechs Stipendien<br />

an Studenten aus der Volksrepublik China. Drei Jahre<br />

studieren sie „Handelsmanagement“ an der Fachhochschule<br />

Worms – inklusive eines Auslandssemesters.<br />

Von seinen Erfahrungen etwa in der Schweiz und Finnland<br />

berichtete der 7. Stipendiatenjahrgang beim Stipendiatentreffen<br />

in Worms. Dieser Austausch kommt<br />

vor allem Studenten zugute, die das Auslandssemester<br />

noch vor sich haben.<br />

„Myn Vatter isch en Appezeller, er frisst de Chäs mitsamt<br />

em Täller.“ Als der 23-jährige Wang Chaoxi diese<br />

Zeile aus dem berühmten Appenzeller-Lied in fast perfektem<br />

Schwiizerdütsch referiert, kommen die Stipendiaten<br />

aus dem Staunen nicht mehr heraus. Was soll<br />

das bedeuten? Den Text hat keiner von ihnen verstanden.<br />

„Übersetzt heißt das: ,Mein Vater ist ein Appenzeller,<br />

er isst den Käse mit dem Teller`“, erklärt Chaoxi<br />

und grinst. Das ist aber auch schon fast alles, was<br />

der Chinese auf Schwiizerdütsch beherrscht. Er ist<br />

seit 2009 Stipendiat im Metro <strong>Haniel</strong> China Scholarship<br />

Program und hat das Wintersemester 2011 an der<br />

Hochschule Luzern direkt am Vierwaldstätter See verbracht.<br />

„Zum Glück haben die Professoren und Dozenten<br />

dort Hochdeutsch gesprochen. So konnte ich ihnen<br />

in den Vorlesungen gut folgen“, sagt Chaoxi. In der<br />

Schweiz belegte er den Studiengang Kommunikation<br />

und Marketing. Er nahm an Kursen, Vorlesungen<br />

sowie an einer Studienwoche teil, in der die Studenten<br />

ihr theoretisches Wissen in der Praxis anwenden<br />

konnten. „Ich habe mit anderen Studenten eine Marktforschungsanalyse<br />

für eine Weinkellerei durchgeführt.<br />

Dazu haben wir Menschen auf der Straße verschiedene<br />

Weine probieren lassen und sie dann nach<br />

ihrer Meinung gefragt. Im Anschluss werteten wir die<br />

24


Ergebnisse aus und präsentierten der Firma ein selbst<br />

erarbeitetes Promotion-Konzept.“<br />

Holleri du dödl di<br />

Neben Informationen zum Studium hat Chaoxi auch<br />

zahlreiche Tipps für die Einreise und den Aufenthalt<br />

in der Schweiz auf Lager. „Chinesen benötigen in der<br />

Schweiz eine Aufenthaltserlaubnis. Diese müsst ihr<br />

drei Monate vor der Abreise bei der Botschaft beantragen“,<br />

erklärt er seinen Kommilitonen. Als Unterkunft<br />

empfiehlt er das Studentenwohnheim, das nur<br />

sechs Kilometer von der Hochschule entfernt liegt und<br />

gut mit dem Bus zu erreichen ist. „Ein Zimmer kostet<br />

dort monatlich 550 Euro.“ Ein Raunen geht durch den<br />

Raum – die anderen Studenten finden das ziemlich<br />

teuer. Doch Chaoxi meint: „Das ist für Schweizer Verhältnisse<br />

wirklich günstig. Außerdem lernt ihr dort<br />

viele andere Studenten kennen, mit denen ihr die Freizeit<br />

verbringen könnt.“<br />

„Was hast du denn in der Schweiz erlebt?“, möchte eine<br />

der jüngeren Studentinnen wissen. „Leider blieb nicht<br />

so viel Zeit für Ausflüge. Denn von montags bis samstags<br />

musste ich Vorlesungen besuchen. Ich habe mich<br />

aber regelmäßig mit einem Tandempartner getroffen.“<br />

Er war Schweizer und ebenfalls Student an der Hochschule<br />

Luzern. Von ihm hat Chaoxi viel über die Schweiz<br />

erfahren. Einmal waren sie sogar zusammen Fondue-<br />

Essen. Besonders beeindruckt hat Chaoxi das Jodeln.<br />

„Ich höre mir diese typisch schweizerische Art zu singen<br />

besonders gerne an. Deshalb war ich auch bei einem<br />

Konzert der Volksmusikgruppe ‚Oesch’s die Dritten‘ aus<br />

dem Berner Oberland. Leider waren bei der Veranstaltung<br />

nur ältere Leute. Die Jüngeren mögen diese Musik<br />

nicht so gerne – das kann ich gar nicht verstehen.“<br />

Unterwegs im hohen Norden<br />

Neben Wang Chaoxi berichten beim Stipendiatentreffen<br />

noch vier andere Studenten über ihr Auslandssemester<br />

an Universitäten in Südkorea, Kanada und Finnland.<br />

Darunter der 25-jährige Kang Taihua, der ebenfalls<br />

25


seit September 2009 an der Fachhochschule Worms eingeschrieben<br />

ist. „Ich war ein halbes Jahr an der Savonia<br />

University of Applied Science. Sie ist mit 6.500 Studenten<br />

die sechstgrößte Fachhochschule in Finnland<br />

und liegt in der Mitte des Landes in der Stadt Kuopio.“<br />

Die Vorlesungen in den Fächern Marketing, Controlling<br />

und Human Resources wurden auf Englisch gehalten.<br />

„Zum Glück“, sagt der aus Shanghai stammende<br />

Taihua. „Englisch kann ich ganz gut.“ Eine besondere<br />

Herausforderung war für ihn allerdings der Stundenplan.<br />

„Viele Vorlesungen haben sich überschnitten. Um<br />

nichts zu verpassen, musste ich die Veranstaltungen<br />

abwechselnd Woche für Woche besuchen und mir die<br />

Mitschriften von Kommilitonen ausleihen.“ Außerdem<br />

legten die Professoren sehr viel Wert auf selbstständiges<br />

Lernen – statt Vorlesungen zu halten ließen sie die<br />

Studenten die Lerninhalte in Gruppen selbst erarbeiten.<br />

Zu Besuch beim Weihnachtsmann<br />

In besonderer Erinnerung ist Kang Taihua ein Ausflug<br />

mit anderen Austauschstudenten in den Norden<br />

Finnlands nach Lappland geblieben. „Die Wälder und<br />

Berge, aber auch die klare Luft nördlich des Polarkreises<br />

waren überwältigend.“ Der Schnee reichte der Reisegruppe<br />

zum Teil bis zu den Knien – eine gute Gelegenheit,<br />

Cross-Country-Skiing und Schneeschuhwandern<br />

26


auszuprobieren. Außerdem nahm Taihua an einer<br />

Husky-Rallye teil und machte den Rentier-Führerschein.<br />

„Was muss man machen, um diesen Führerschein zu<br />

bekommen?“, fragt einer der Studenten. „Nichts Besonderes“,<br />

entgegnet Taihua. „Ich habe mich in den Schlitten<br />

gesetzt und mich ein paar Runden vom Rentier ziehen<br />

lassen.“ Anschließend stand noch ein Besuch beim<br />

Weihnachtsmann an, der sein Büro in der lappländischen<br />

Stadt Rovaniemi hat. Dort können Touristen das<br />

ganze Jahr über den leibhaftigen Weihnachtsmann<br />

begrüßen und ein Foto mit ihm machen. Das hat sich<br />

Taihua nicht entgehen lassen – ob er auch einen Brief<br />

mit seinen Wünsche für das nächste Weihnachtsfest<br />

im angeschlossenen Weihnachtsmann-Postamt abgegeben<br />

hat, hat er nicht verraten.<br />

Bewährtes bleibt<br />

Seit Oktober 2012 führt die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> das Stipendiatenprogramm unter<br />

dem Namen „<strong>Haniel</strong> China Scholarship Program“ fort. Im Rahmen des Programms<br />

vergibt sie jährlich bis zu vier Stipendien an ausgezeichnete chinesische<br />

Studenten, die eine berufliche Laufbahn im Management eines international<br />

operierenden Unternehmens anstreben. Die Stipendiaten verbringen<br />

vier Jahre am Ostasieninstitut der Fachhochschule Ludwigshafen (OAI) und<br />

studieren dort „International Business Management East Asia“ mit Japan­<br />

Schwerpunkt. Während ihres Studiums lernen die Stipendiaten aus China<br />

die japanische Sprache und verbringen ein Jahr im Rahmen eines Auslandsstudiums<br />

und/oder Praktikums in Japan. Die Metro AG ist Praxispartner und<br />

bietet den Studenten in den Semesterferien Praktikumsplätze an.<br />

27


DIE ZUKUNFT HAT BEGONNEN<br />

Ein Rückblick mit Schewa van Uden, Projektkoordinatorin<br />

und pädagogische Mitarbeiterin des Aletta <strong>Haniel</strong><br />

Programms<br />

Gespräche, Hilfestellungen und erste Kontakte zur<br />

Wirtschaft: Das Aletta <strong>Haniel</strong> Programm bietet seinen<br />

Teilnehmern viel. Die beiden pädagogischen Mitarbeiterinnen<br />

Antje Burs und Schewa van Uden begleiten<br />

die Schüler des Aletta <strong>Haniel</strong> Programms auf ihrem<br />

Weg von der 8. bis zur 10. Klasse. In der letzten „<strong>Stippvisite</strong>“<br />

haben wir Antje Burs einen Tag lang über die<br />

Schulter geschaut und bei ihrer Arbeit begleitet. In<br />

dieser Ausgabe blickt Schewa van Uden mit uns auf<br />

den 1. Jahrgang des Aletta <strong>Haniel</strong> Programms zurück.<br />

Die Schüler haben im Sommer 2012 ihren Abschluss<br />

gemacht.<br />

28


Rückblick<br />

März 2012: Schewa van Uden hat alle Hände voll zu tun.<br />

In ihrem und Antje Burs’ Büro im Gebäude der „Regionalen<br />

Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und<br />

Jugendlichen aus Zuwandererfamilien“ (RAA) in Ruhrort<br />

kontrolliert sie gerade die Schulnoten im ersten Jahrgang<br />

des Aletta <strong>Haniel</strong> Programms. Die Zehntklässler<br />

der Aletta-<strong>Haniel</strong>-Gesamtschule stehen kurz vor ihrem<br />

Abschluss. „In drei Monaten wird sich zeigen, wie erfolgreich<br />

unsere Arbeit war“, sagt sie. Plötzlich klopft es an<br />

die Tür. Van Uden guckt verwundert auf die Uhr: „Eigentlich<br />

erwarte ich heute keinen mehr.“ Noch während sie<br />

das sagt, fliegt die Tür auf und ins Büro treten 13 Jugendliche.<br />

In enormer Lautstärke und wild durcheinander<br />

gratulieren sie van Uden zu ihrem heutigen Geburtstag.<br />

Noch immer überrascht, aber sichtlich stolz, nimmt<br />

sie die Glückwünsche entgegen. Die Gratulanten gehören<br />

schon fast zu ihrer „Familie“. Es sind die Zehntklässler<br />

der Aletta-<strong>Haniel</strong>-Gesamtschule – die erste Generation,<br />

die am Aletta <strong>Haniel</strong> Programm teilnimmt.<br />

29


Koordination und Kooperation<br />

Eine dieser Gratulantinnen im März war die 16-jährige<br />

Dilara. Die in Deutschland geborene Türkin absolvierte<br />

damals ein Jahrespraktikum bei der Duisburger Zweigstelle<br />

des Logistikunternehmens DPD – jeden Dienstag<br />

half sie dort im kaufmännischen Bereich. „Ich habe<br />

immer gerne organisiert und wollte auf jeden Fall im<br />

Büro arbeiten“, erzählt uns Dilara rückblickend. „Frau<br />

van Uden hat mir dann vorgeschlagen, Bürokauffrau zu<br />

werden und bei DPD anzufangen.“ Das Logistikunternehmen<br />

gehört zu dem Pool an Duisburger Unternehmen,<br />

die mit dem Aletta <strong>Haniel</strong> Programm kooperieren.<br />

Dafür mussten van Uden und ihre Kollegin Antje<br />

Burs viele „Klinken putzen“. „Am Anfang war unser<br />

Programm noch völlig unbekannt und es war nicht<br />

leicht, Unternehmen davon zu überzeugen, ausgerechnet<br />

schwache Schüler bei sich aufzunehmen“, erinnert<br />

sich van Uden. Heute haben die Unternehmen den Vorteil<br />

des Aletta <strong>Haniel</strong> Programms für sich erkannt: Im<br />

Jahrespraktikum können sie die Schüler schon vor der<br />

Ausbildung prüfen und sie einarbeiten. Mit van Uden<br />

und ihrer Kollegin Burs haben sie außerdem direkte<br />

Ansprechpartner, wenn mal etwas schieflaufen sollte.<br />

30


Das Ziel immer vor Augen<br />

Auch Dilara war während ihres Praktikums bei DPD<br />

schon das ein oder andere Mal drauf und dran, alles<br />

hinzuwerfen. Und das, obwohl alles gut lief: Ihr Vorgesetzter<br />

und die Arbeitskollegen waren begeistert von<br />

ihr. Dilara selbst mochte die Arbeit – hatte aber manchmal<br />

einfach keine Lust: „Ich wollte lieber mit meinen<br />

Freunden Zeit verbringen.“ In zahlreichen Gesprächen<br />

hat van Uden die 16-Jährige daran erinnert, warum sie<br />

Bürokauffrau werden will, und sie immer wieder neu<br />

motiviert – das hat sich gelohnt, denn sie bekam eine<br />

Einladung zu einem Vorstellungsgespräch von DPD.<br />

„Das Gespräch ist super verlaufen. Nach ihrem Schulabschluss<br />

hat Dilara dort ihre Ausbildung zur Bürokauffrau<br />

begonnen“, sagt van Uden sichtlich stolz.<br />

In der Zukunft<br />

So wie Dilara haben noch drei weitere „Aletta-Schüler“<br />

direkt nach ihrem Schulabschluss eine Ausbildung<br />

begonnen. Doch auch für die anderen hat sich die Teilnahme<br />

am Aletta <strong>Haniel</strong> Programm ausgezahlt: Sie<br />

haben ihren Schulabschluss geschafft und außerdem<br />

eine Menge an „Soft Skills“ erworben. So haben die<br />

Schüler beispielsweise in einem zweitägigen Benimm-<br />

Kurs gelernt, wie sie sich bei einem Essen mit ihrem<br />

Chef benehmen oder welche Kleidung sie in welchen<br />

Situationen tragen sollten. Durch das Aletta <strong>Haniel</strong> Programm<br />

haben sich auch neue, enge Freundschaften<br />

entwickelt. Der Kontakt, darüber sind sich alle einig,<br />

soll auch nach der Schule erhalten bleiben – ganz besonders<br />

zu ihrer Mentorin Schewa van Uden.<br />

ZUR PERSON<br />

Schewa van Uden wurde 1980 im Nordirak geboren.<br />

Im Alter von 15 Jahren kam sie mit ihrer Familie<br />

nach Deutschland. Damals konnte sie kein Wort<br />

Deutsch. Damit sie aber auch in Deutschland einen<br />

Schulabschluss machen konnte, sorgten ihre Eltern<br />

dafür, dass sie die Sprache lernte. Dazu besuchte sie<br />

31


spezielle Deutschkurse an ihrer Schule und an der<br />

Volkshochschule. Van Uden arbeitete hart; sie wollte<br />

unbedingt ihr Abitur machen und später studieren. Es<br />

gelang ihr: 2001 machte sie ihr Abitur. Sie ging anschließend<br />

nach Essen, um dort Betriebswirtschaftslehre zu<br />

studieren. Parallel arbeitete sie ab 2002 als Interkulturelle<br />

Beraterin in der Elternarbeit im Elementar- und<br />

Primarbereich für die RAA in Duisburg. Recht schnell<br />

merkte sie, dass ihr die dortige Arbeit mehr Spaß<br />

machte als das, was sie im Studium lernte. Sie wollte<br />

Menschen, denen es wie ihr ergangen war, unterstützen<br />

und motivieren. Nach ihrem Grundstudium sattelte<br />

van Uden deshalb auf Sozialwissenschaften um.<br />

Nebenbei blieb sie bei der RAA und bildete sich außerdem<br />

als Konfliktmanagerin und Mediatorin weiter.<br />

Nach ihrem Studium arbeitete die Sozialwissenschaftlerin<br />

zunächst als Projektkoordinatorin bei der Integrationsagentur<br />

des Deutschen Roten Kreuzes. 2010 kam<br />

dann das Angebot, Projektkoordinatorin beim Aletta<br />

<strong>Haniel</strong> Programm zu werden. Ohne zu zögern nahm sie<br />

das Angebot an.<br />

Was genau ihr an dieser Arbeit gefällt, beschreibt van<br />

Uden so: „Es macht mir eine große Freude, neue Herausforderungen<br />

anzunehmen und neue Ideen in Projekten<br />

zu verwirklichen. Durch meine Biografie habe<br />

ich eine Vorbildfunktion für die Migrantenkinder und<br />

ich ermutige sie, dass man alles erreichen kann, was<br />

man möchte. Natürlich nur, wenn man bereit ist, etwas<br />

dafür zu tun, und auch die richtige Förderung erhält.“<br />

Das Aletta <strong>Haniel</strong> Programm an der Aletta­<strong>Haniel</strong>­Gesamtschule in Duisburg­Ruhrort<br />

richtet sich an Schüler ab der 8. Klasse, die Gefahr laufen, keinen<br />

oder nur einen schlechten Abschluss zu machen. Zwei eigens eingestellte<br />

Fachkräfte arbeiten mit den Jugendlichen an individuellen Stärken<br />

und Schwächen. Hinzu kommen Förderangebote wie Bewerbungstrainings<br />

und Nachhilfeunterricht. So können die Schüler ihre Noten verbessern und<br />

einen Abschluss erreichen, der ihnen den Einstieg ins Berufsleben erleichtert.<br />

Die <strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong> fördert das Aletta <strong>Haniel</strong> Programm seit 2009.<br />

32


GESCHÄFTSSTELLE<br />

Dr. Rupert Antes<br />

Geschäftsführer<br />

Telefon +49 203 806-463<br />

rantes@haniel.de<br />

Anna-Lena Winkler<br />

Programmleitung<br />

Telefon +49 203 806-365<br />

awinkler@haniel.de<br />

Cornelia Gietler<br />

Assistentin<br />

Telefon +49 203 806-367<br />

cgietler@haniel.de<br />

Iris Schleyken<br />

Assistentin<br />

Telefon +49 203 806-368<br />

ischleyken@haniel.de


Klimaneutral gedruckt auf Recyclingpapier aus 100 Prozent Altpapier.


<strong>Haniel</strong> <strong>Stiftung</strong><br />

Franz­<strong>Haniel</strong>­Platz 6 – 8 | 47119 Duisburg | Deutschland<br />

d/1.500<br />

–<br />

T +49 203 806­367/­368 | F +49 203 806­720<br />

stiftung@haniel.de | www.haniel­stiftung.de 12/12

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