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Monatsschr Kinderheilkd <strong>2011</strong> · 159:1109–1118<br />

DOI 10.1007/s00112-011-2428-0<br />

Online publiziert: 21. Oktober <strong>2011</strong><br />

© Springer-Verlag <strong>2011</strong><br />

Redaktion<br />

P.H. Höger, Hamburg<br />

F. Zepp, Mainz<br />

Mit einer Inzidenz von 1,1–2,6%<br />

unter allen Neugeborenen stellen<br />

Hämangiome die häufigsten benignen<br />

Tumoren des Kindesalters dar. Im<br />

ersten Lebensjahr liegt ihre Prävalenz<br />

bei 10–12% [14]. Mädchen sind 3- bis<br />

5-mal häufiger betroffen als Jungen.<br />

Bei Frühgeborenen korreliert die<br />

Hämangiomprävalenz mit der Unreife<br />

der Kinder [6]: Bei Kindern mit<br />

einem Geburtsgewicht von weniger<br />

als 1500 g liegt sie bei 15%, bei Kindern<br />

mit einem Geburtsgewicht von<br />

weniger als 1000 g bei 22–30%.<br />

Ätiologie und Pathogenese<br />

Die Pathogenese der Hämangiome ist<br />

komplex. Zudem wurden klinisch und<br />

immunhistochemisch distinkte Hämangiomtypen<br />

beschrieben (s. unten), die<br />

sich auch ätiologisch unterscheiden dürften.<br />

Gegenwärtig lassen sich 3 Hypothesen<br />

zur Pathogenese formulieren, die sich jedoch<br />

gegenseitig nicht ausschließen [11].<br />

Hypothesen<br />

Gewebshypoxie<br />

Neuere Untersuchungen deuten auf eine<br />

Beziehung zwischen plazentarer Hypoxämie<br />

und dem Auftreten von Säuglingshämangiomen<br />

hin.<br />

Das Glukosetransporterprotein<br />

GLUT1 ist ein spezifischer Marker für alle<br />

Entwicklungsstadien der Säuglingshämangiome.<br />

Es wird normalerweise in den<br />

Endothelien von Gehirn, Retina, Plazen-<br />

Leitthema<br />

P.H. Höger<br />

Abteilungen Pädiatrie und päd. Dermatologie,<br />

Katholisches <strong>Kinderkrankenhaus</strong> Wilhelmstift, Hamburg<br />

Hämangiome<br />

Neue Aspekte zu Pathogenese,<br />

Differenzialdiagnosen und Therapie<br />

ta und Endoneurium exprimiert. Durch<br />

Hypoxie werden Transkription und Oberflächenexpression<br />

von GLUT1 in Endothelzellen<br />

– vermittelt über Signalproteine<br />

wie den HIF-1α („hypoxia-inducible factor<br />

1α“) – stimuliert [10]. Dadurch wird<br />

die Fähigkeit des Hämangiomgewebes<br />

zur Glukoseaufnahme erhöht. Die Glukose<br />

dient als Energiespender für die Neovaskularisation,<br />

die wiederum der Hypoxie<br />

abhilft. In dieselbe Richtung weisen<br />

die erhöhte Prävalenz von Hämangiomen<br />

bei Frühgeborenen und ihre Assoziation<br />

mit der Frühgeborenenretinopathie [20].<br />

Vaskuläre<br />

Tumoren<br />

Maligne<br />

Tumoren<br />

Hämangioendotheliom<br />

Benigne<br />

Tumoren<br />

Kutane vaskuläre<br />

Anomalien<br />

Segmentale<br />

Hämangiome<br />

Hämangiom<br />

Granuloma pyogenicum PHACE-; PELVIS-<br />

Syndrom<br />

> GLUT1 ist ein<br />

spezifischer Marker für<br />

Säuglingshämangiome<br />

Die Hypoxie in Endstromgebieten dysplastischer<br />

Arterien würde die segmentale<br />

Verteilung der Hämangiome beim PHA-<br />

CE-Syndrom (s. unten) erklären [5]. Die<br />

höhere Prävalenz von Hämangiomen bei<br />

weiblichen Säuglingen deutet möglicherweise<br />

auf einen synergistischen Effekt von<br />

Östrogen und Hypoxie auf die Proliferation<br />

von Endothelzellen hindeuten, der in<br />

vitro gezeigt wurde [15].<br />

Vaskuläre<br />

Malformationen<br />

Venös Arteriell Kapillär<br />

KTS Parkes-Weber-<br />

Syndrom<br />

Feuermal<br />

KTS<br />

Lymphatisch<br />

Mikro-/Makrozystische<br />

LM<br />

Abb. 1 8 Klassifikation der ISSVA („International Society for the Study of Vascular Anomalies“), modifiziert<br />

und mit Angabe typischen Krankheitsbilder, segmentale Hämangiome: Übergang zwischen genetischer<br />

Malformation und erworbenem Tumor, KTS Klippel-Trenaunay-Syndrom, Mischung aus venöser<br />

und kapillarer, in Einzelfällen auch lymphatischer Malformation, LM lymphatische Malformation<br />

Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong> |<br />

1109


Abb. 2 8 Behandlungsbedürftige Hämangiome periokulär (a), nasal (b), infranasal (c) und im Bereich<br />

der Oberlippe (d)<br />

Verstärkte angiogene und/<br />

oder vaskulogene Aktivität<br />

Die Expression des VEGFR1 („vascular<br />

endothelial growth factor receptor 1“)<br />

ist in Hämangiomendothelzellen reduziert.<br />

Daher werden der VEGF-Rezeptor<br />

2 (VEGFR2) und damit die Angiogenese<br />

stimuliert. Neuere Untersuchungen<br />

deuten darauf hin, dass Hämangiome<br />

aus stammzellähnlichen Vorläuferzellen<br />

entstehen, die in vivo die Fähigkeit<br />

zur Vaskulogenese aufweisen. Histologisch<br />

finden sich plumpe, proliferierende,<br />

CD31- (von-Willebrand-Faktor-),<br />

Integrin-α-, IGF-2- („insulin-like growth<br />

factor“-) und VEGF-positive Endothelzellen.<br />

Im Zuge der Spontanregression werden<br />

diese gegen Ende des ersten Lebensjahres<br />

zunehmend durch ein fibrolipomatöses,<br />

kollagen- und retikulinhaltiges Gewebe<br />

ersetzt. In der Involutionsphase ist<br />

die Expression von TIMP („tissue inhibitor<br />

of metalloproteinase“), einem Inhibi-<br />

1110 | Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong><br />

Leitthema<br />

tor der Angiogenese, deutlich erhöht. Diese<br />

und andere Befunde sprechen dafür,<br />

dass die Entstehung zumindest teilweise<br />

auf einem regulatorischen Defekt der<br />

Angiogenese in der Frühschwangerschaft<br />

(6. bis 10. Ges tationswoche) beruht, der<br />

durch einen Verlust Angiogenese inhibierender<br />

Signale (TIMP) und ein Überwiegen<br />

Angiogenese fördernder bzw. Apoptose<br />

inhibierender (IGF-2) Signale gekennzeichnet<br />

ist.<br />

Bei den seltenen Fällen familiärer Hämangiome<br />

fanden sich zudem Hinweise<br />

auf eine somatische Mutation im Bereich<br />

5q31–33; Kandidatengene in diesem<br />

Areal wären Gefäßwachstumsfaktoren<br />

wie FGFR-4 („fibroblast growth factor receptor<br />

4“) und PDGF-β („platelet derived<br />

growth factor β“). Bei spontan entstehenden<br />

Hämangiomen fand sich in diesem<br />

Chromosomenbereich ein „loss of heterozygosity“.<br />

Embolisation plazentarer<br />

Endothelzellen<br />

Infantile Hämangiome weisen hinsichtlich<br />

ihrer immunohistochemischen Marker<br />

viele Gemeinsamkeiten mit plazentaren<br />

Endothelzellen auf [GLUT1, Le Y ,<br />

Merosin, CCR6 (CC-Chemokinrezeptor<br />

6; CC: C-C-Motiv), CD15 („cluster of differentiation<br />

15“), IDO (Indolamindeoxygenase)].<br />

Plazentahämangiome (Chorangiome)<br />

gehen mit einem erhöhten Risiko<br />

einer diffusen neonatalen Hämangiomatose<br />

einher, was durch eine Embolisation<br />

plazentarer Endothelzellen erklärt<br />

werden könnte [12].<br />

Molekulargenetische Untersuchungen<br />

in solitären Säuglingshämangiomen ergaben<br />

keinen Hinweis für einen maternofetalen<br />

Chimärismus.<br />

Ungeklärte Phänomene<br />

Trotz mancher neuer Erkenntnisse zur<br />

Ätiologie der Hämangiome bleiben einige<br />

krankheitstypische Phänomene weiterhin<br />

unerklärt. Hierzu zählen die ungleichmäßige<br />

Verteilung der Hämangiome (60–<br />

65% im Bereich von Gesicht/Hals). Prädilektionsstellen<br />

finden sich an embryonalen<br />

Fusionslinien, was auf eine Beteiligung<br />

von Zellen der Neuralleiste hindeuten<br />

könnte [9].<br />

Auf bisher unbekannte genetische Faktoren<br />

beruhen die erhöhte Prävalenz bei<br />

Nordeuropäern (Kaukasiern), das familiäre<br />

Auftreten von Hämangiomen bei bis<br />

zu 12% und ihre Assoziation mit vaskulären<br />

Anomalien.<br />

Klinische Charakteristika<br />

Entgegen dem leider noch immer weit<br />

verbreiteten Sprachgebrauch ist eine strikte<br />

Abgrenzung zwischen Hämangiomen<br />

und vaskulären Fehlbildungen („kavernöse<br />

Hämangiome“, „kapillare Hämangiome“)<br />

geboten. Die unterschiedslose Qualifikation<br />

aller vaskulären Anomalien als<br />

Hämangiom führt regelmäßig zu fehlgeleiteten<br />

Behandlungsversuchen und prognostischen<br />

Fehleinschätzungen.<br />

Die ISSVA („International Society for<br />

the Study of Vascular Anomalies“) schlug<br />

bereits 1982 eine Klassifikation vaskulärer<br />

Anomalien vor, die in . Abb. 1 leicht<br />

modifiziert wiedergegeben ist.


Die wichtigsten Charakteristika von<br />

Hämangiomen, die sie von anderen Gefäßtumoren<br />

und insbesondere von vaskulären<br />

Malformationen unterscheiden,<br />

sind:<br />

Manifestation bei oder kurz nach der<br />

Geburt. Ein „Hämangiom“, das nach<br />

der 6. Lebenswoche neu auftritt, ist kein<br />

Häm angiom!<br />

Wachstumsdynamik. Ein „Hämangiom“,<br />

das nicht die typische Abfolge von Wachstum<br />

und Regression bietet, ist kein Hämangiom,<br />

zumindest kein typisches. Die<br />

Wachstumsphase dauert in der Regel 6 bis<br />

9 Monate. Bestimmte Hämangiome zeigen<br />

eine längere Wachstumsphase, die im<br />

Mittel bis zum 17. Monat anhält [1]. Dies<br />

betrifft vorzugsweise segmentale Hämangiome<br />

mit tiefen dermalen oder subkutanen<br />

Komponenten und solche der Parotisloge.<br />

Bei größeren Hämangiomen bilden<br />

sich vom 2. Lebensjahr an etwa 10%<br />

des Hämangiomvolumens pro Jahr zurück<br />

[2], sodass mit 5 Jahren noch 50%<br />

und mit 9 Jahren noch 10% des Tumorvolumens<br />

verbleiben. Bei etwa der Hälfte<br />

der größeren Hämangiome verbleiben<br />

Residuen wie Teleangiektasien oder Hautfalten.<br />

3 negative Kriterien. Hämangiome<br />

F wachsen nicht infiltrativ,<br />

F bluten nicht (Ausnahme: Ulzerationen)<br />

und<br />

F gehen nicht mit Gerinnungsstörungen<br />

einher (Ausnahme: diffuse intrahepatische<br />

Hämangiomatose).<br />

Komplikationen<br />

Die Mehrzahl der Hämangiome verläuft<br />

unkompliziert, regrediert spontan und<br />

bedarf daher keiner Behandlung. Komplikationen<br />

können sich aus ihrer Lokalisation<br />

und Größe ergeben.<br />

Lokalisation<br />

Problematisch sind insbesondere periorifizielle<br />

und intertriginöse Lokalisationen.<br />

Augennahe Hämangiome. Sie können<br />

durch direkte Kompression des Oberlids<br />

(. Abb. 2a) zu Astigmatismus und Myo-<br />

Zusammenfassung · Abstract<br />

Monatsschr Kinderheilkd <strong>2011</strong> · 159:1109–1118 DOI 10.1007/s00112-011-2428-0<br />

© Springer-Verlag <strong>2011</strong><br />

P.H. Höger<br />

Hämangiome. Neue Aspekte zu Pathogenese,<br />

Differenzialdiagnosen und Therapie<br />

Zusammenfassung<br />

Mit einer Prävalenz von 10–12% im ersten Lebensjahr<br />

sind Hämangiome die häufigsten<br />

Tumoren bei Säuglingen. Sie zeigen eine charakteristische<br />

Wachstumsdynamik und unterliegen<br />

in 90% einer spontanen Regression.<br />

Neben den klassischen Hämangiomen unterscheidet<br />

man Hämangiomatosen, kongenitale,<br />

retikuläre und segmentale Hämangiome.<br />

Letztere stellen einen Übergang zu den<br />

vaskulären Fehlbildungen dar, die ansonsten<br />

aufgrund fehlender Dynamik meist leicht von<br />

den Hämangiomen abzugrenzen sind. Wichtige<br />

Differenzialdiagnosen umfassen das Granuloma<br />

pyogenicum, einen häufigen, gutartigen<br />

Gefäßtumor vorzugsweise des Gesichtsbereichs<br />

mit starker Blutungsneigung,<br />

und das Hämangioendotheliom, das infiltra-<br />

Hemangioma. New aspects of pathogenesis,<br />

differential diagnosis and therapy<br />

Abstract<br />

With a prevalence of 10–12% infantile hemangiomas<br />

(IH) represent the most common<br />

skin tumor in infancy. They are characterized<br />

by a sequence of growth and, in 90%, spontaneous<br />

regression. Special manifestations of IH<br />

include hemangiomatosis, congenital hemangioma<br />

(RICH/NICH), reticular and segmental<br />

hemangiomas (PHACE, PELVIS/SACRAL<br />

syndrome). The latter represent a transition<br />

between vascular tumor and vascular malformation.<br />

Important differential diagnoses of<br />

IH include pyogenic granuloma (PG) and hemangioendothelioma<br />

(HAE) of which PG is a<br />

common, benign vascular tumor with a predilection<br />

for the facial region and a proneness<br />

to bleed whereas HAE is a slowly grow-<br />

tiv wächst und mit einer Verbrauchskoagulopathie<br />

(Kasabach-Merritt-Syndrom) einhergehen<br />

kann. Die Mehrzahl der Hämangiome<br />

bedarf keiner Behandlung. Absolute Behandlungsindikationen<br />

sind bei Ulzeration oder<br />

drohender Obstruktion gegeben; für diese ist<br />

Propranolol das Mittel der ersten Wahl. Eine<br />

relative Behandlungsindikation stellen nichtobstruierende<br />

Gesichtshämangiome dar, die<br />

am besten mittels Kontaktkryotherapie behandelt<br />

werden.<br />

Schlüsselwörter<br />

Hämangiom · Hämangiomatose · Granuloma<br />

pyogenicum · Behandlungsindikation ·<br />

Propranolol<br />

ing tumor exhibiting infiltrative growth; unlike<br />

IH it is associated with the Kasabach-Merritt<br />

syndrome of consumptive coagulopathy.<br />

The majority of IHs do not require therapy,<br />

however, therapy is absolutely indicated for<br />

ulcerating or obstructive IH where propranolol<br />

is considered the first-line therapy. Nonobstructive<br />

facial IH represents a relative indication<br />

for therapy. Cryotherapy is most suitable<br />

for IH with diameters below 1 cm and a<br />

depth < 4 mm.<br />

Keywords<br />

Hemangioma · Hemangiomatosis ·<br />

Granuloma, pyogenic · Treatment<br />

indications · Propranolol<br />

Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong> |<br />

1111


Abb. 3 8 Kongenitales Hämangiom, Typ RICH mit bereits bei der Geburt bestehenden Regressionszeichen<br />

(a, Alter 1 Woche) und schnell voranschreitender spontaner Regression (b, Alter 11 Monate)<br />

pie führen. Folge des asymmetrischen Refraktionsfehlers<br />

(Anisometropie) ist eine<br />

lebenslange Amblyopie. Diese kann auch<br />

durch partielle Okklusion der Sehachse<br />

aufgrund einer hämangiombedingten<br />

Ptose oder durch einen hämangiominduzierten<br />

Strabismus verursacht werden [3].<br />

Nasale Hämangiome. Hämangiome der<br />

Nasenspitze können eine Verformung<br />

der Nase zur Folge haben („Cyrano-de-<br />

Bergerac-Nase“). Ihre Rückbildung verläuft<br />

langsamer als bei Hämangiomen anderer<br />

Lokalisationen. Hämangiome des<br />

Naseneingangs können die Nasenatmung<br />

behindern (. Abb. 2b,c).<br />

Oberlippenhämangiome. Auch sie zeigen<br />

eine im Vergleich zu anderen Lokalisationen<br />

langsamere Rückbildung<br />

(. Abb. 2d).<br />

Intertriginös lokalisierte Hämangiome.<br />

Hämangiome im Bereich der Halsfalten,<br />

der Axillen oder des Anogenitalbereichs<br />

neigen zur Ulzeration. Dies erklärt sich<br />

durch die auch ohne Hämangiom bereits<br />

vorliegende Neigung dieser Hautregionen<br />

zur Mazeration, aus der sich Erosionen<br />

entwickeln können. Die Blutversorgung<br />

der Haut ist im Bereich von Hämangiomen<br />

jedoch keineswegs besser, sondern<br />

eher schlechter, da ein regelrechtes<br />

Kapillarstromgebiet nicht vorliegt.<br />

1112 | Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong><br />

Leitthema<br />

Paratracheale Hämangiome. Sie können<br />

isoliert oder in Assoziation mit kutanen<br />

(vorzugsweise im „Bartbereich“ lokalisierten)<br />

Hämangiomen auftreten und entweder<br />

aufgrund endotrachealer (subglottischer)<br />

Lokalisation oder durch Kompression<br />

von außen zu einer unmittelbar lebensbedrohlichen<br />

Verlegung der oberen<br />

Atemwege führen. Das Wachstumsverhalten<br />

der paratrachealen und begleitender<br />

kutanen Hämangiome verläuft nicht immer<br />

parallel.<br />

Größe<br />

Große Hämangiome können aufgrund<br />

einer ausgedehnten Hyperperfusion eine<br />

Herzinsuffizienz zur Folge haben. Dies ist<br />

insbesondere bei der diffusen neonatalen<br />

Hämangiomatose der Fall, die mit multiplen<br />

Leberhämangiomen einhergeht. In<br />

großen Hämangiomen wird zudem eine<br />

Dejodinase exprimiert, sodass es zur sekundären<br />

Hypothyreose kommen kann.<br />

Besondere Manifestationsformen<br />

In den letzten Jahren wurden verschiedene<br />

Krankheitsbilder definiert, die sich<br />

entweder durch eine andere Manifestation<br />

(kongenitales Auftreten, besondere<br />

Morphe des Hämangioms), ein anderes<br />

(oder fehlendes) Wachstumsverhalten<br />

oder syndromale Assoziationen von<br />

Abb. 4 8 Retikuläres Hämangiom („infantile hemangioma<br />

with minimal or arrested growth“)<br />

den klassischen infantilen Hämangiomen<br />

unterscheiden.<br />

NICH/RICH<br />

Diesen beiden seltenen Hämangiomtypen<br />

sind ihr kongenitales Auftreten und<br />

immunhistologisch die Abwesenheit des<br />

hämangiomtypischen Gewebemarkers<br />

GLUT1 gemeinsam.<br />

NICH („non-involuting congenital<br />

haemangioma“) zeichnet sich durch<br />

das völlige Fehlen jedweder Regression<br />

aus. RICH („rapidly involuting congenital<br />

haemangioma“) hingegen weist bereits<br />

bei der Geburt klinische Regressionszeichen<br />

auf und bildet sich dann meist trotz<br />

häufig beachtlicher anfänglicher Größe<br />

innerhalb weniger Monate nahezu komplett<br />

zurück (. Abb. 3). Überschneidungen<br />

zwischen NICH und RICH sind möglich,<br />

d. h. einige RICH-Hämangiome verbleiben<br />

auf einem bestimmten Regressionsstand,<br />

ohne sich weiter zurückzubilden<br />

[18].<br />

Retikuläres infantiles Hämangiom<br />

Das retikuläre Hämangiom wird als abortive<br />

Variante der klassischen Hämangiome<br />

aufgefasst. Aufgrund seines allenfalls<br />

geringen Wachstums wird es auch<br />

als IH-MAG („infantile haemangioma<br />

with minimal or arrested growth“) bezeichnet<br />

[22]. Vorwiegend an den unteren<br />

Extremitäten zeigen sich ein blasser<br />

erythematöser Patch mit retikulärer Gefäßzeichnung<br />

sowie einzelnen erythematösen<br />

Papeln im Randbereich, die einer<br />

Proliferation und Regression unterliegen<br />

(. Abb. 4).


Abb. 5 8 Segmentale Hämangiome, a PHACE-Syndrom, b PELVIS- oder SACRAL-Syndrom<br />

Abb. 6 8 Differenzialdiagnosen des Hämangioms: a Granuloma pyogenicum, b kaposiformes Hämangioendotheliom,<br />

c Naevus flammeus, d venöse Malformation<br />

Die Abgrenzung vom Naevus flammeus<br />

kann schwierig sein. Im Unterschied<br />

zu diesem und zum RICH/NICH<br />

ist das retikuläre Hämangiom GLUT1-positiv.<br />

Eine Assoziation mit urogenitalen,<br />

neurologischen und kardialen Fehlbildungen<br />

wurde beschrieben [19], scheint<br />

jedoch sehr selten zu sein [22].<br />

Hämangiomatosen<br />

Bestehen 10 oder mehr Hämangiome bei<br />

einem Kind, spricht man von einer Hämangiomatose.<br />

Im Säuglingsalter werden<br />

2 Formen unterschieden:<br />

1114 | Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong><br />

Leitthema<br />

Benigne neonatale Hämangiomatose<br />

(BNH). Bei ihr liegt keine extrakutane Beteiligung<br />

vor. Nicht selten finden sich 100<br />

und mehr oberflächliche Hämangiome<br />

(Durchmesser meist 3–13 mm), die sich wie<br />

normale Säuglingshämangiome verhalten<br />

und meist keiner Behandlung bedürfen.<br />

Diffuse neonatale Hämangiomatose<br />

(DNH). Bei ihr treten Hämangiome zusätzlich<br />

in mindestens 2 weiteren Organsystemen<br />

auf. Am häufigsten betroffen ist<br />

die Leber (64%), gefolgt von Zentralnervensystem<br />

(54%), Gastrointestinaltrakt<br />

und Lungen (je 52%). Komplikationen wie<br />

Obstruktion, intestinale Blutungen, Herzinsuffizienz<br />

u. a. sind möglich.<br />

Segmentale Hämangiome mit<br />

assoziierten Fehlbildungen<br />

Im Gegensatz zur „reinen Lehre“ der<br />

ISSVA-Klassifikation (. Abb. 1) stellen<br />

segmentale Hämangiome eine Überlappung<br />

zwischen vaskulärem Tumor und<br />

Gefäßfehlbildung dar. Sie können isoliert<br />

auftreten oder als neurokutanes Syndrom<br />

in Assoziation mit einer Vielzahl nichtvaskulärer<br />

Fehlbildungen. Sie zeigen die typische<br />

Wachstumsdynamik der Hämangiome,<br />

allerdings ist die Proliferationsphase<br />

intensiver und wesentlich länger als<br />

bei den nichtsegmentalen Formen. Die<br />

PHACE-assoziierten Hämangiome weisen<br />

darüber hinaus eine ausgeprägte Ulzerationstendenz<br />

auf.<br />

PHACE-Syndrom. Dieses ist durch eine<br />

Assoziation von Anomalien der posterioren<br />

Schädelgrube mit segmentalen Hämangiomen<br />

des Gesichts, arteriellen (Gefäßstenosen),<br />

kardialen („cardiac“) und okularen<br />

(„eye“) Anomalien definiert (. Abb. 5a).<br />

Wenn zusätzlich ventral Entwicklungsdefekte<br />

vorliegen (Sternumspalte, supraumbilikale<br />

Raphe), spricht man vom PHACES-<br />

Syndrom. Etwa 20% aller Kinder mit segmentalen<br />

Hämangiomen zeigen derartige<br />

Assoziationen [17]. Die Gesamtprävalenz<br />

liegt damit bei etwa 1:1000.<br />

PELVIS- bzw. SACRAL-Syndrom. Hämangiome<br />

des Lumbosakralbereichs können<br />

mit verschiedenen anogenitalen<br />

Fehlbildungen assoziiert sein, die akronymisch<br />

verknüpft wurden.<br />

Das PELVIS-Syndrom umschreibt die<br />

Assoziation von perinealen Hämangiomen,<br />

externen genitalen Fehlbildungen,<br />

Lipomyelomeningozelen, vesikorenalen<br />

Anomalien, Anus imperforatus und<br />

„skin tags“ (Hautanhängseln) [7]. Ähnliche<br />

Assoziationen werden in dem Akronym<br />

SACRAL-Synrom („spinal dysraphism,<br />

anogenital, cutaneous, renal and<br />

urological anomalies“) zusammengefasst<br />

(. Abb. 5b).


Diagnostik und<br />

Differenzialdiagnosen<br />

Die Diagnose eines Hämangioms ergibt<br />

sich in der Regel allein aus dem klinischen<br />

Befund und Verlauf bzw. aus der Anamnese.<br />

Weiterführende Diagnostik ist bei<br />

großen, subkutanen oder multiplen Hämangiomen<br />

indiziert:<br />

Größenausdehnung. Jedes Hämangiom<br />

sollte vermessen werden. Zur Objektivierung<br />

von Wachstum bzw. Regression ist<br />

eine Fotodokumentation (mit Maßband)<br />

ratsam.<br />

Tiefenausdehnung. Bei subkutanen<br />

Häm angiomen ist eine (möglichst dreidimensionale)<br />

Sonographie indiziert.<br />

Sehr große Hämangiome/Hämangiomatose.<br />

Bei Hämangiomen mit einem<br />

Durchmesser von mehr als 10 cm und<br />

bei einer Hämangiomatose (10 oder<br />

mehr Hämangiome) sollten eine Echokardiographie<br />

und die Bestimmung von<br />

Differenzialblutbild (mit Bestimmung der<br />

Thrombozytenzahl), Gerinnungsstatus<br />

(Fibrinogenverbrauch?) und TSH (Thyreoidea<br />

stimulierendes Hormon: Hypothyreose?)<br />

veranlasst werden.<br />

Insbesondere folgende Differenzialdiagnosen<br />

sind zu bedenken:<br />

Granuloma pyogenicum<br />

Das Granuloma pyogenicum ist nach dem<br />

Hämangiom der häufigste Gefäßtumor des<br />

Kleinkindesalters (. Abb. 6a). Es ist bevorzugt<br />

im Gesicht lokalisiert. Typisch sind<br />

F die Manifestation nach dem 6. Lebensmonat<br />

(nur 10% treten früher auf) und<br />

F die (im Unterschied zum Hämangiom!)<br />

ausgeprägte Blutungsneigung.<br />

Eine spontane Regression ist nicht zu erwarten.<br />

Mittel der Wahl ist die Behandlung<br />

mittels Elektrokaustik; gestielte Granulomata<br />

pyogenica können auch abgebunden<br />

werden.<br />

Kaposiformes<br />

Hämangioendotheliom<br />

Dieser seltene Gefäßtumor (. Abb. 6b)<br />

kann sich bereits kongenital oder im ers-<br />

Abb. 7 8 Behandlungseffekt von Propranolol (2 mg/kg/Tag), a,b intrakutanes Hämangiom des Oberlids<br />

und subkutanes Hämangiom infraorbital vor und nach 6-monatiger Therapie, c,d ulzerierendes<br />

Hämangiom vor und nach 4-wöchiger Therapie<br />

ten Lebensjahr manifestieren. Im Unterschied<br />

zum Hämangiom ist er palpatorisch<br />

sehr derb. Er zeigt ein langsames,<br />

infiltratives Wachstum. Mit zunehmender<br />

Größe steigt die Wahrscheinlichkeit<br />

der Entwicklung einer disseminierten<br />

intravaskulären Gerinnung (Kasabach-<br />

Merritt-Syndrom).<br />

Therapie der Wahl ist, sofern eine Exzision<br />

nicht (mehr) möglich ist, die Chemotherapie<br />

mit Vincristin in Kombination<br />

mit Methylprednisolon.<br />

Naevus flammeus<br />

Der Naevus flammeus (Feuermal, kapilläre<br />

Malformation, . Abb. 6c) ist durch<br />

kongenitale Manifestation, ein scharf begrenztes<br />

Erythem und lebenslange Persistenz<br />

gekennzeichnet. Die Prävalenz liegt<br />

bei 0,3%. Erst mit der Pubertät kommt es<br />

gelegentlich zu trophischen Effekten, d. h.<br />

einer leichten Substanzvermehrung.<br />

Feuermale beruhen auf der fehlenden<br />

Innervation kapillarer Gefäße. Sie sind<br />

häufig segmental angeordnet und können<br />

im Rahmen neurokutaner Syndrome<br />

mit anderen Fehlbildungen assoziiert sein;<br />

in einigen Fällen kann eine Mutation des<br />

RASA1-Gens (Chromosom 5q13.3) vorliegen.<br />

Die häufigsten dieser Syndrome<br />

sind das Sturge-Weber-Syndrom (Naevus<br />

flammeus im Segment V.1 mit begleitender<br />

leptomeningealer Angiomatose,<br />

Buphthalmus/Glaukom und Anfallsleiden)<br />

und das Klippel-Trenaunay-Syndrom<br />

(Naevus flammeus einer Extremität<br />

mit assoziierten venösen Ektasien, Hyper-<br />

oder Hypotrophie und variablen weiteren<br />

Assoziationen, z. B. Syndaktylien).<br />

Venöse Malformationen<br />

Sie sind durch ektatische venöse Gefäße gekennzeichnet<br />

und können ebenfalls isoliert<br />

oder syndromal auftreten (. Abb. 6d).<br />

Assoziationen bestehen insbesondere mit<br />

lymphatischen Fehlbildungen (lymphatisch-venöse<br />

Malformation).<br />

Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong> |<br />

1115


Tab. 1 Behandlung infantiler Hämangiome mit Propranolol – Empfehlungen<br />

zum Vorgehen<br />

Untersuchungen<br />

vor Therapiebeginn<br />

Dosierung und<br />

Therapiedauer<br />

Therapieeinleitung/Aufdosierung<br />

Therapieüberwachung<br />

Therapie<br />

Da sich Hämangiome in 80–90% der Fälle<br />

spontan zurückbilden und die Mehrzahl<br />

hinsichtlich Lokalisation, Anzahl und<br />

Größe unproblematisch ist, gilt auch im<br />

„Propranololzeitalter“:<br />

E Zuwarten ist eine legitime<br />

Behandlungsoption.<br />

Mittlerweile wird Propranolol trotz fehlender<br />

Zulassung und möglicher Nebenwirkungen<br />

häufig unkritisch weit außerhalb<br />

jeglicher Leitlinie auch bei Hämangiomen<br />

eingesetzt, die man bedenkenlos<br />

der spontanen Regression überlassen<br />

könnte. Daher ist es sinnvoll, zunächst die<br />

Behandlungsziele zu definieren:<br />

Behandlungsziele<br />

und -indikation<br />

EKG<br />

Echokardiographie<br />

Fotodokumentation des Hämangioms<br />

BZ nüchtern<br />

Standarddosierung 2 mg/kg/Tag in 3 Einzeldosen postprandial<br />

Dosisanpassung an Alle 4 Wochen<br />

Körpergewicht<br />

Therapiedauer 6 Monate<br />

Schnelle Aufdosierung<br />

bei akut drohender<br />

Obstruktion<br />

Langsame Aufdosierung<br />

bei nicht<br />

akut bedrohlicher<br />

Situation<br />

Am wichtigsten sind die Prävention und<br />

ggf. Therapie lebensbedrohlicher, obstruierender<br />

bzw. funktionell beeinträchtigender<br />

oder schmerzhaft ulzerierter<br />

Häm angiome. Zur funktionellen Beeinträchtigung<br />

kann sicherlich auch eine<br />

schwerwiegende kosmetische Beeinträch-<br />

Stationäre Aufnahme<br />

Tägliche Dosissteigerung von 0,5 bis auf 2,0 mg/kg/<br />

Tag in 3 Einzeldosen (postprandial)<br />

Monitorüberwachung<br />

Kontrolle von RR und BZ<br />

Entlassung bei unauffälligen Befunden<br />

24 h nach Erreichen der Enddosis<br />

Ambulante Behandlung<br />

Wöchentliche Dosissteigerung von 0,5 bis auf 2,0 mg/<br />

kg/Tag in 3 Einzeldosen (postprandial)<br />

RR, Puls und BZ am Tag nach jeder Dosissteigerung<br />

Im ersten Behandlungsmonat wöchentliche Kontrolle von RR und BZ,danach<br />

alle 2 Wochen<br />

Therapieende Wöchentliche Reduktion um 1 Dosis, dann Absetzen<br />

BZ Blutzucker, EKG Elektrokardiogramm, RR Blutdruck nach Riva-Rocci<br />

1116 | Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong><br />

Leitthema<br />

tigung durch größere Gesichtshämangiome<br />

gezählt werden.<br />

Die Indikation zur Behandlung ergibt<br />

sich somit aus<br />

F der Lokalisation,<br />

F dem Wachstumsverhalten bzw. der<br />

Wachstumsphase des Hämangioms<br />

sowie<br />

F drohenden Komplikationen.<br />

Am häufigsten ist eine drohende oder bereits<br />

eingetretene Obstruktion der oberen<br />

Luftwege oder des Auges Anlass zur Behandlung.<br />

Oft ist bei der Erstvorstellung des Kindes<br />

noch keine definitive Entscheidung<br />

über die Indikation bzw. das optimale<br />

Therapieverfahren möglich. Daher sind<br />

engmaschige Kontrolluntersuchungen<br />

das wichtigste Element bei der Betreuung<br />

von Kindern mit Hämangiomen.<br />

Verfahren<br />

Für die Behandlung stehen verschiedene<br />

medikamentöse und operative Methoden<br />

zur Verfügung, deren Auswahl wiederum<br />

durch Lokalisation, Größe und Wachstumsphase<br />

des Hämangioms beeinflusst<br />

wird.<br />

Aktive Nichtintervention<br />

Bei einem nicht wachsenden, nicht obstruierenden<br />

Hämangiom außerhalb des<br />

Gesichtsbereichs ist aktives Zuwarten die<br />

Methode der Wahl. Die Untersuchungsintervalle<br />

richten sich nach dem Alter des<br />

Kindes, als Faustregel gilt:<br />

E Alter des Kindes in Monaten = Untersuchungsintervall<br />

in Wochen<br />

Es ist ratsam und fördert die Compliance,<br />

den jeweiligen Befund im Verlauf zu fotodokumentieren,<br />

um sich selbst und die Eltern<br />

vom Verlauf der Spontanregression<br />

zu überzeugen.<br />

Kontaktkryotherapie<br />

Für kleine Hämangiome (Durchmesser<br />


Der Nd:YAG-Laser (Wellenlänge<br />

1064 nm, Eindringtiefe 8–10 mm) wird<br />

unter gleichzeitiger Kühlung der Hautoberfläche<br />

zur Behandlung größerer, subkutan<br />

gelegener Hämangiome eingesetzt.<br />

Orale Glukokortikoide<br />

Sofern keine Kontraindikation für Propranolol<br />

besteht, ist die Gabe oraler Steroide<br />

zur Hämangiombehandlung obsolet.<br />

Sie mögen allenfalls noch bei unmittelbar<br />

lebensbedrohlichen Hämangiomen der<br />

oberen Atemwege zur Therapieeinleitung<br />

in Kombination mit Propranolol indiziert<br />

sein, aber selbst für diese Indikation liegen<br />

mittlerweile überzeugende Fallserien einer<br />

Propranololmonotherapie vor.<br />

Propranolol<br />

Die Behandlung von Hämangiomen mit<br />

topischen und oralen β-Blockern wird<br />

sich mit Sicherheit in den nächsten Jahren<br />

als Therapie der Wahl durchsetzen.<br />

Derzeit wird ihr Einsatz allenfalls durch<br />

die fehlende Zulassung begrenzt.<br />

Aufgrund des rasanten „Siegeszugs“<br />

des Propranolols wurden zwar diverse<br />

Kasuistiken und Fallserien publiziert;<br />

das Ergebnis einer plazebokontrollierten<br />

Doppelblindstudie, die auch die Frage<br />

nach optimaler Dosis und Behandlungsdauer<br />

beantworten könnte, wird aber erst<br />

Ende 2012 vorliegen. Die einzige bisher<br />

publizierte kontrollierte Studie umfasste<br />

lediglich 40 Probanden [13]; sie bestätigte<br />

jedoch die Wirksamkeit und relative<br />

Nebenwirkungsarmut von Propranolol<br />

(2 mg/kg/Tag über 6 Monate). In mehreren<br />

Fallserien wurde die Wirksamkeit von<br />

Propranolol bei Patienten mit periorbitalen<br />

Hämangiomen (. Abb. 7a,b), lebensbedrohlichen<br />

subglottischen Hämangiomen<br />

[23], intrahepatischer Hämangiomatose<br />

[16] und ulzerierten Hämangiomen<br />

(. Abb. 7c,d [21]) dokumentiert.<br />

> Bei der Indikationsstellung<br />

zum Propranololeinsatz ist<br />

auf Leitlinien zu achten<br />

Bis zum Abschluss des Zulassungsverfahrens<br />

ist es ratsam, sich bei der Indikationsstellung<br />

an der entsprechenden AWMF-<br />

Leitlinie zu orientieren [4], zumal es sich<br />

trotz guter Verträglichkeit keinesfalls um<br />

eine inerte Substanz handelt und die Zielgruppe,<br />

nämlich junge Säuglinge, mit<br />

einem inhärenten Risiko für den plötzlichen<br />

Kindstod behaftet ist. Behandlungsindikation<br />

für Propranolol sind wachsende<br />

Hämangiome<br />

F mit drohender Obstruktion (Augen-,<br />

Nasen-, Lippenhämangiome, anogenitale,<br />

paralaryngeale oder tracheale<br />

Hämangiome) oder<br />

F mit anderen Komplikationen (Ulzeration,<br />

hyperperfusionsbedingte Herzinsuffizienz<br />

z. B. bei Hämangiomatosen)<br />

sowie<br />

F ausgedehnte segmentale Hämangiome.<br />

Nach den bisherigen eigenen Erfahrungen<br />

mit >100 behandelten Kindern und den<br />

publizierten Berichten wird die Behandlung<br />

in der Regel sehr gut vertragen. Bei


etwa 10% tritt eine leichte, meist nur transiente<br />

Hypotension auf, der durch langsamere<br />

Aufdosierung begegnet wird. Bei<br />

obstruktiver Bronchitis sollte eine Therapiepause<br />

eingelegt werden; diese ist zwingend<br />

geboten, sofern mit β-Mimetika behandelt<br />

werden muss. Selten, aber potenziell<br />

schwerwiegend, sind Hypoglykämien:<br />

Da β-Blocker die typischen Warnzeichen<br />

einer drohenden Hypoglykämie<br />

(Unruhe, Schwitzen, Tachykardie, Zittrigkeit)<br />

vollständig kupieren können, treten<br />

die Anfälle meist unvermittelt auf. Eine sichere<br />

Vorbeugung gibt es zwar nicht, aber<br />

die strikt postprandiale Verabreichung des<br />

Propranololsafts und das Weglassen einzelner<br />

Dosen bei Erbrechen oder Inappetenz<br />

sollte die Wahrscheinlichkeit ihres<br />

Auftretens zumindest deutlich verringern.<br />

Auf dem deutschen Markt ist Propranolol<br />

bisher nicht als Saft erhältlich; es<br />

besteht entweder die Möglichkeit des Imports<br />

aus England (Syprol TM 5 mg/5 ml<br />

oral Solution, Import über Fa. Infectopharm,<br />

Heppenheim) oder die Option<br />

der Herstellung individueller Einzeldosiskapseln<br />

in der Apotheke aus verfügbaren<br />

Propranololzubereitungen.<br />

Empfehlungen zur Durchführung und<br />

Überwachung der Behandlung werden in<br />

. Tab. 1 gegeben.<br />

E Eine 6-monatige Propanololbehandlung<br />

ist bei den meisten<br />

Hämangiomen ausreichend.<br />

Es muss allerdings mit einer (Teil-)Rezidivrate<br />

von bis zu 25% gerechnet werden. Diese<br />

Rate ist abhängig vom Lebensalter der<br />

Kinder: Wird die Behandlung in einem<br />

Alter beendet, die noch in die Wachstumsphase<br />

der Hämangiome fällt, ist ein Rezidiv<br />

wahrscheinlicher, als wenn die Therapie<br />

erst jenseits des ersten Lebensjahres<br />

beendet wird. Bestimmte Hämangiome<br />

(Häm angiome der Parotisregion, segmentale<br />

Hämangiome) zeigen eine prolongierte<br />

Wachstumsphase [1] und bedürfen daher<br />

auch einer längeren Behandlung.<br />

Fazit für die Praxis<br />

F Hämangiome sind gutartige Tumoren.<br />

F Bei unproblematischer Lokalisation<br />

darf die in 90% der Fälle im Alter von<br />

1118 | Monatsschrift Kinderheilkunde 11 · <strong>2011</strong><br />

Leitthema<br />

10 bis 13 Monaten einsetzende Spontanregression<br />

abgewartet werden.<br />

F Wichtig ist die Abgrenzung von anderen<br />

vaskulären Anomalien:<br />

1 Bei einem blutenden Hämangiom<br />

des Gesichtsbereichs handelt es sich<br />

meist um ein Granuloma pyogenicum.<br />

1 Infiltrierend wachsende Tumoren<br />

mit Gerinnungsstörungen können<br />

meist als Hämangioendotheliom<br />

diagnostiziert werden.<br />

1 Vaskuläre Fehlbildungen (venöse,<br />

kapillare, lymphatische, arterielle)<br />

zeigen nicht die hämangiomtypische<br />

Dynamik (Wachstum, Stillstand,<br />

Regression).<br />

F Absolute Behandlungsindikationen<br />

bestehen bei Ulzeration oder drohender<br />

Obstruktion, für diese stellt Propranolol<br />

das Mittel der ersten Wahl dar.<br />

F Eine relative Behandlungsindikation<br />

ist bei nicht obstruierenden Gesichtshämangiomen<br />

gegeben, die am besten<br />

mittels Kontaktkryotherapie behandelt<br />

werden.<br />

Korrespondenzadresse<br />

Prof. Dr. P.H. Höger<br />

Abteilungen Pädiatrie und päd. Dermatologie,<br />

Katholisches <strong>Kinderkrankenhaus</strong> Wilhelmstift<br />

Liliencronstraße130, 22149 Hamburg<br />

paediatrie@kkh-wilhelmstift.de<br />

Interessenkonflikt . Die korrespondierende Autorin<br />

gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.<br />

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