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Häuser und Handwerker - Evangelisch-altreformierte Kirche in ...

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Mühlen, Geschäfte,<br />

<strong>Häuser</strong>, <strong>Handwerker</strong><br />

<strong>und</strong> Personen<br />

4


4<br />

Mühlengeschichte<br />

W<strong>in</strong>dmühle Hoogstede<br />

1811 bis etwa 1962<br />

Dr. He<strong>in</strong>rich Voort<br />

Am 18. Februar 1810 erhielten Gerrit Küpers,<br />

Johannes Dyckmann <strong>und</strong> Albert Belt zu<br />

Emlichheim auf ihren Antrag von dem Großherzoglich<br />

Bergischen Unterpräfekten des Arron<br />

dissements L<strong>in</strong>gen im Departement Ems<br />

die Erlaubnis, zwischen Scheerhorn <strong>und</strong> Bathorn<br />

<strong>in</strong> der „Municipalität kle<strong>in</strong>e R<strong>in</strong>ge“ e<strong>in</strong>e<br />

Mühle zu errichten. Zur Auflage machte die<br />

Behörde, dass die Mühle auf eigenem Gr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Boden der Antragsteller zu errichten sei.<br />

Falls „der Fleck aber, wo Sie diese Mühle setzen<br />

wollen, Geme<strong>in</strong>heits Gr<strong>und</strong>“ sei, so ergänzte<br />

der Unterpräfekt, müssten die <strong>in</strong> der Verwaltungs<br />

ordnung von 1807 vorgeschriebenen<br />

For ma litäten beachtet werden.<br />

Die drei Konzessionäre, von denen zum<strong>in</strong>dest<br />

e<strong>in</strong>er fachk<strong>und</strong>ig war, unterzeichnete<br />

er doch e<strong>in</strong>en „Plaan of Bestek“ über das benötigte<br />

Holz für den Bau mit „Albert Belt<br />

Moolemaker te Emlenkamp“, setzten sich <strong>in</strong><br />

Er füllung dieser Forderung mit den lokalen<br />

Autoritäten <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung; am 10. Juli 1810<br />

stimmten der „Maire“ von Kle<strong>in</strong> R<strong>in</strong>ge, die<br />

Munizipalräte <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>gesessenen „auf der<br />

Geme<strong>in</strong>heit Hoochstädt“ dem Mühlenbau zu.<br />

Noch im selben Monat übertrug Gerrit Küpers<br />

se<strong>in</strong> Anrecht auf se<strong>in</strong>e Kompagnons, <strong>und</strong> im<br />

August 1810 begannen Belt <strong>und</strong> Dyckmann<br />

mit dem Bau der Kornw<strong>in</strong>dmühle „<strong>in</strong> der<br />

Scheerhorner oder Bathorner Mark“, unweit<br />

des Gehöfts Hoffmeyer.<br />

Die gräflich bentheimsche Verwaltung<br />

g<strong>in</strong>g unverzüglich gegen den Bau vor, da er<br />

ihren Interessen zuwider lief, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong>e neue<br />

218<br />

Mühle das Aufkommen an zu mahlendem Korn<br />

<strong>in</strong> den ihr unterstehenden Mühlen zu verr<strong>in</strong>gern<br />

drohte. Sie leitete nicht nur juristische<br />

Schritte e<strong>in</strong>, sie ließ gar noch im selben Jahr<br />

„den begonnenen Mühlenbau ... destruiren“,<br />

zerstören. Die beiden Unternehmer, die Akten<br />

bezeichnen sie als „Mühlenmeisters Knechte“,<br />

waren dadurch von ihrem Vor-haben nicht<br />

abzubr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> begannen unverzüglich mit<br />

dem Wiederaufbau, ließen zugleich auch die<br />

Errichtung e<strong>in</strong>es Wohn-hauses <strong>in</strong> Angriff nehmen.<br />

1811 war die Mühle fertig.<br />

Prozess <strong>in</strong> 1812<br />

In dem Prozess, den das Haus Bentheim als<br />

Kläger beim Tribunal <strong>in</strong> Neuenhaus angestrengt<br />

hatte, pochte es auf se<strong>in</strong> Recht als<br />

Markenrichter; die ihm <strong>in</strong> dieser Eigenschaft<br />

aus dem Verkauf von Markengr<strong>und</strong> zustehende<br />

Tertia Marcalis, das Markendrittel, war<br />

nicht entrichtet worden. Die Beklagten führten<br />

dagegen aus, dass der Graf nicht mehr<br />

Landesherr sei <strong>und</strong> dass es ke<strong>in</strong>en Marken-<br />

Ausschnitt aus<br />

e<strong>in</strong>er Postkarte,<br />

etwa 1925<br />

„Dorfstraße<br />

mit Mühle“<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)


ichter mehr gebe, nachdem die Eigenbehörigkeit<br />

der Bauern aufgehoben sei; folglich sei<br />

auch der „Consens“, die Zustimmung der gräflichen<br />

Verwaltung zum Verkauf, nicht mehr<br />

erforderlich. Auch könnten die Bauern nicht<br />

gezwungen werden, e<strong>in</strong>e bestimmte Mühle<br />

aufzusuchen. Mühlenzwang, „jura bannaria<br />

gelten nicht“ <strong>und</strong> im Übrigen seien die bisher<br />

vorhandenen Mühlen mit mehr als 1½ Wegst<strong>und</strong>en<br />

zu weit entfernt, ganz abgesehen<br />

davon, dass Hochwasser es oft unmöglich<br />

mache, die Mühlen <strong>in</strong> Neuenhaus <strong>und</strong> Emlichheim<br />

aufzusuchen. Am 3. September 1812<br />

erkannte das Tribunal für Recht, die Mühle sei<br />

abzureißen, wenn der Kläger darauf bestehe,<br />

es sei denn, er sei durch Zahlung des Markendrittels<br />

abzuf<strong>in</strong>den. Die Verhandlungen<br />

darüber zogen sich h<strong>in</strong>. Als nach der Vertreibung<br />

der Franzosen die hannoversche pfandschaftliche<br />

Regierung wieder e<strong>in</strong>gesetzt wurde,<br />

gestattete diese den weiteren Betrieb der<br />

Mühle, wobei es aber den Ansche<strong>in</strong> hatte, dass<br />

sie dazu gewisse Auflagen machte.<br />

Vertrag von 1813<br />

Aus e<strong>in</strong>em Vertrag vom 15. April 1813 ist zu<br />

ersehen, dass nach Ablauf von drei Jahren die<br />

nicht näher erläuterte „Belast<strong>in</strong>g van den Landesheeren<br />

ophoort“. Hatten bis dah<strong>in</strong> vermutlich<br />

die Kompagnons geme<strong>in</strong>sam die Mühle<br />

betrieben (auch Dyckmann nennt sich 1813 <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Notariatsakte Müller zu Hoogstede) so<br />

wurde als Folge des Vertrages von 1813 die<br />

Mühle nur noch von e<strong>in</strong>em der beiden Erbauer<br />

betrieben, Johannes Dyckmann verpachtete<br />

se<strong>in</strong>en halben Anteil an „Moel en<br />

Huis“ (Letzteres war noch nicht völlig fertig<br />

gestellt) se<strong>in</strong>em Kompagnon Albert Belt für<br />

400 holländische Gulden im Jahr. E<strong>in</strong>igkeit<br />

bestand, dass das unternehmerische Risiko,<br />

„het zy Belast<strong>in</strong>g ofte Processen, het zy zware<br />

Stormw<strong>in</strong>d, Brand ofte dergelijen“ weiter von<br />

beiden zur Hälfte zu tragen war. Der laufende<br />

Unterhalt der Mühle, Reparaturen am Gangwerk<br />

<strong>und</strong> alles Verbrauchsmaterial allerd<strong>in</strong>gs<br />

sollten zu Lasten des Pächters gehen. Für den<br />

Verschleiß der Mahlste<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>barten die<br />

Vertragspartner, dass er nach der Höhe bestimmt<br />

werden sollte; von dem jetzt 15 „duym“<br />

MÜHLENGESCHICHTE<br />

(Zoll) messenden Läuferste<strong>in</strong> <strong>und</strong> dem 12 Zoll<br />

starken Liegerste<strong>in</strong> versprach der Pächter se<strong>in</strong>em<br />

bisherigen Teilhaber „wat er Word afgemalen<br />

van ieder Duym tien Gulden te<br />

betalen“.<br />

Januar 1814 <strong>in</strong> Betrieb<br />

Am 19. Januar 1814 teilte Müller Belt dem zuständigen<br />

Regierungsrat <strong>in</strong> Bentheim mit,<br />

„daß die neu erbaute Mühle e<strong>in</strong>en Gang habe<br />

<strong>und</strong> ich auf drey <strong>und</strong> vierzig volle Bauern<br />

Erbe als bestimmte Mahlgäste rechnen“ kann,<br />

Anzeichen für e<strong>in</strong>en wirtschaftlich ges<strong>und</strong>en<br />

Betrieb.<br />

Nur e<strong>in</strong>en Tag nach Abschluss des Pachtvertrages<br />

zwischen den beiden Unternehmern<br />

im Jahr 1813 starb Johannes Dyckmann; ge mäß<br />

den gesetzlichen Bestimmungen wurde von<br />

Gerichts wegen se<strong>in</strong> Nachlass <strong>in</strong>ventarisiert<br />

Daraus geht hervor, dass „auf der Mühle zu<br />

Hoogstede“ 47 Scheffel Korn <strong>und</strong> 75 Scheffel<br />

Buchweizen vorgef<strong>und</strong>en wurden, offenbar<br />

Mulfterkorn, von dem die Hälfte zum Nachlaß<br />

zählte, d,h, daß die Mühle zu jener Zeit<br />

voll <strong>in</strong> Betrieb war. Die an die „Gesellschaft“<br />

des Belt <strong>und</strong> Dyckmann geltend gemachten<br />

Forderungen zeigen, dass der Maurer Gerrit<br />

Hagels zu Gildehaus Ste<strong>in</strong>e zum Bau geliefert<br />

<strong>und</strong> daran gearbeitet hatte, Holz war aus<br />

Zwolle <strong>und</strong> Denekamp bezogen worden. Die<br />

Baukosten wurden auf <strong>in</strong>sgesamt 1888 Gulden<br />

beziffert, die zu jenem Zeitpunkt erst zum<br />

Teil beglichen waren, sodass die Erben des<br />

k<strong>in</strong>derlosen Johannes Dyckmann sich erheblichen<br />

Forderungen gegenübersahen.<br />

Graupengang 1817<br />

Albert Belt hatte „nach der Unterbrechung“<br />

- geme<strong>in</strong>t ist die Zeit der französischen Besetzung<br />

bis 1816 - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Mühle e<strong>in</strong>en<br />

Graupen gang angelegt, der erst im August<br />

1817 be triebs bereit war <strong>und</strong> von ihm umgehend<br />

<strong>in</strong> Gang gesetzt wurde. Auf E<strong>in</strong>spruch<br />

der hannoverschen Kammerverwaltung untersagte<br />

ihm die Regierung <strong>in</strong> Bentheim 1820<br />

jedoch dessen Gebrauch; der Müller nahm auf<br />

das Verbot zunächst ke<strong>in</strong>e Rücksicht. Da se<strong>in</strong>e<br />

Graupenfabrikation e<strong>in</strong>e unliebsame Konkurrenz<br />

für die Wassermühle <strong>in</strong> Neuenhaus dar-<br />

219


4<br />

stellte, wies die Verwaltung <strong>in</strong> Erfüllung der<br />

Regierungsanordnung den Hausvogt Bruna<br />

im April 1821 an, „das Kreuz aus dem Ste<strong>in</strong>e<br />

des Graupenganges“ zu entfernen. Belt lieferte<br />

das Kreuz zwar aus, stellte aber sofort den Antrag,<br />

ihm den Gebrauch der „Pellmühle“ zu<br />

gestatten. Als dieser abgelehnt wurde, wiederholte<br />

er im März 1822 se<strong>in</strong> Gesuch. Auch<br />

dieses fand nicht die Zustimmung der Königlichen<br />

Kammer Adm<strong>in</strong>istration, die ihre Weige<br />

rung damit begründete, dass für die wäh rend<br />

der „Unterbrechungszeit“ gebauten Mühlen<br />

„deren e<strong>in</strong>stweiliger Gebrauch gestattet sei im,<br />

Zustand, wie er sich Anfang des Jahres 1814<br />

befand“; der Graupengang sei aber später e<strong>in</strong>gerichtet<br />

worden. Noch 1823 war er nicht<br />

wieder <strong>in</strong> Betrieb.<br />

In dieser Situation entschlossen sich die<br />

Erben Johann Dyckmanns, die auf e<strong>in</strong> gültiges<br />

Testament verweisen konnten <strong>und</strong> deren Erbrecht<br />

1822 vom Friedensgericht anerkannt<br />

worden war, die Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft mit Belt<br />

aufzugeben. Noch 1823 hielten sie „für ihre<br />

Rechnung e<strong>in</strong>en zweyten Knecht auf der<br />

Mühle“, für den sie „Unterkommen <strong>in</strong> dem geme<strong>in</strong>schaftlichen<br />

erbaueten Wohnhaus verlangt“<br />

hatten; Belt verwehrte ihnen dies. Zur<br />

Vermeidung e<strong>in</strong>es langwierigen <strong>und</strong> kostspieligen<br />

Prozesses bemühten sie sich um e<strong>in</strong>en<br />

Käufer ihres Erbes. Förster Brill empfahl der<br />

Domänenkammer den Ankauf mit dem Kommentar,<br />

dass die „W<strong>in</strong>dmühle gut erbauet ist,<br />

aus e<strong>in</strong>er Umgebung von 900 Seelen sämtliche<br />

Maalgänge hat <strong>und</strong> von allen erbaueten<br />

Mühlen dem hochfürstlichen Interesse am<br />

mehrsten schadet“. Am 10. April 1823 überließen<br />

die Erben Dyckmann nach längeren<br />

Verhandlungen ihren Anteil an Mühle, Haus<br />

<strong>und</strong> Garten, für den sie zunächst 5.600 Gulden<br />

verlangt hatten, dem Fürstlichen Hause Bentheim<br />

zu e<strong>in</strong>em Kaufpreis von 4.000 Gulden.<br />

1823 Halb <strong>und</strong> halb<br />

Für die Mühle <strong>in</strong> Hoogstede war nun e<strong>in</strong>e<br />

höchst kuriose Situation entstanden, <strong>in</strong>dem<br />

dem Müller Albert Belt die e<strong>in</strong>e Hälfte gehörte,<br />

während die Domänenkammer die von<br />

ihr erworbene andere Hälfte öffentlich meistbietend<br />

zu verpachten trachtete. Nach e<strong>in</strong>er<br />

220<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Inventaraufnahme durch unabhängige Sachverständige<br />

(Belt hatte sich geweigert, daran<br />

teilzunehmen) erhielt am letzten Septembertag<br />

1823 der Kaufhändler <strong>in</strong> Hoogstede, Gerd<br />

Laarmann, den Zuschlag bei der „Verpachtung<br />

der e<strong>in</strong>en Hälfte der Fürstlich Bentheimschen<br />

W<strong>in</strong>dmühle nebst Zubehör zu Hochstädte“<br />

für 280 Gulden im Jahr während e<strong>in</strong>er sechsjährigen<br />

Pachtdauer (bis 1829). Pachtbeg<strong>in</strong>n<br />

für die Hälfte der W<strong>in</strong>dmühle <strong>und</strong> des Hauses<br />

sollte der 1. Oktober 1823 se<strong>in</strong>, für den halben<br />

Garten dagegen Petri 1824. Die übrigen<br />

Pachtbed<strong>in</strong>gungen entsprachen zeitüblichen<br />

Vorstellungen, <strong>in</strong>dem der Pächter sich mit 1 /32<br />

an Mulfter <strong>und</strong> 1 Prozent Staubmehl begnügen<br />

musste, sowie „Mühle <strong>und</strong> deren Hauptwerk,<br />

wie auch das gehende Werk, als Räder,<br />

Beyr<strong>in</strong>k, Rollen, Kammräder, Prahm, Stämpels,<br />

Kämme, Stäbe, Ruten, Hecken, Seilen,<br />

Tauen <strong>und</strong> wie sonstige Stücke Namen haben<br />

im beständigen guten Stande auf se<strong>in</strong>e Kosten<br />

unterhalten mußte“, auch die e<strong>in</strong>e Hälfte des<br />

Wohnhauses „mit Dach <strong>und</strong> Fach“ erhalten<br />

sollte. Andererseits verpflichtete sich die Domänenkammer<br />

als Verpächter<strong>in</strong>, „zur Unterhaltung<br />

der Achsen, Bruststücken, Laschen,<br />

Gallerie, Kappe, Stert <strong>und</strong> Schwerdten ... das<br />

grobe Holz viereckig (zu) liefern“, deren<br />

fernere „Verarbeitung, E<strong>in</strong>legung derselben,<br />

E<strong>in</strong>w<strong>in</strong>dung der Ste<strong>in</strong>e <strong>und</strong> sonstigen Repa -<br />

raturkosten“ wiederum dem Pächter oblag.<br />

Dieser haftete mit se<strong>in</strong>em Vermögen für das<br />

Pachtobjekt, musste darüber h<strong>in</strong>aus, auch dies<br />

war üblich, für die Pachtsumme e<strong>in</strong>en Bürgen<br />

stellen.<br />

Die ungewöhnlichen Besitzverhältnisse an<br />

der Mühle bargen den Keim zu Streitigkeiten<br />

<strong>in</strong> sich; Müller Belt, der auf der Mühle e<strong>in</strong>en<br />

Knecht beschäftigte, wohl weil er selbst nach<br />

e<strong>in</strong>em Bericht des Försters Brill von 1823 „<strong>in</strong><br />

dem Wohnhaus mit e<strong>in</strong>er Wirthschaft <strong>und</strong><br />

Krämerey ansässig“ war, legte nicht nur sofort<br />

Protest gegen die Verpachtung e<strong>in</strong>, er<br />

weigerte sich auch, dem Pächter der Domänenkammer,<br />

Laarmann, die Hälfte des Wohnhauses<br />

<strong>und</strong> des Gartens e<strong>in</strong>zuräumen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus bestritt er dem Laarmann, der se<strong>in</strong>e Interessen<br />

durch e<strong>in</strong>en eigenen „Molenaars<br />

Knegt“, Caspar H<strong>in</strong>drik Koke, wahrnehmen


ließ, auch se<strong>in</strong> Anrecht am Mulfterkorn,<br />

<strong>in</strong>dem er „nach se<strong>in</strong>em Gutbef<strong>in</strong>den Korn<br />

für sich“ herausnahm. Daraufh<strong>in</strong> strengte die<br />

Domänenkammer 1824 e<strong>in</strong>en Prozess beim<br />

Provisorischen Tribunal zu Bentheim auf Abtretung<br />

der halben Liegenschaft, Herausgabe<br />

des Mulfterkorns zur Hälfte <strong>und</strong> Schadensersatz<br />

an. Auch die Frage der noch nicht geklärten<br />

markenrichterlichen Entschädigung<br />

wurde wieder zur Sprache gebracht. Belt bestritt<br />

die Rechtmäßigkeit der gegen ihn erhobenen<br />

Forderungen <strong>und</strong> beanspruchte zwei<br />

Drittel an Nutzung <strong>und</strong> Ertrag, bezweifelte<br />

auch die Richtigkeit des se<strong>in</strong>erzeitigen von<br />

ihm unterschriebenen Inventarverzeichnisses<br />

mit dem von se<strong>in</strong>em Anwalt vorgebrachten<br />

Argument, dass er „bekanntlich wenig oder<br />

nichts von der Teutschen Sprache verstehe“.<br />

Verschiedene Kompromissvorschläge wurden<br />

verhandelt, führten aber zu ke<strong>in</strong>em Ergebnis,<br />

da Belt sich 1825 zwar gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

bereit erklärte, der Domänenkammer die Hälfte<br />

der Mühle e<strong>in</strong>zuräumen, sie dafür aber „auf<br />

ewige Zeiten <strong>in</strong> Erbpacht besitzen“ wollte.<br />

1826 wiederholte er se<strong>in</strong>en Vorschlag <strong>in</strong> abgeänderter<br />

Form, <strong>in</strong>dem er die verlangte Pachtzusage<br />

auf 30 Jahre bei e<strong>in</strong>er Pachtsumme<br />

von 250 Gulden beschränkte, zugleich aber<br />

für die Zeit danach e<strong>in</strong> Vorzugsrecht auf Weiterpacht<br />

oder gar Kauf der Mühle e<strong>in</strong>geräumt<br />

haben wollte <strong>und</strong> weiter verlangte, dass die<br />

Domänenkammer die Ansprüche der Erben<br />

Dyckmann abfand.<br />

Belt starb im Frühjahr 1826, ohne dass die<br />

Vergleichsverhandlungen zu e<strong>in</strong>em Ergebnis<br />

geführt hatten. Der Prozess zog sich h<strong>in</strong>,<br />

schließlich wurde die Juristenfakultät <strong>in</strong> Marburg<br />

e<strong>in</strong>geschaltet, die <strong>in</strong> ihrem Urteil im Januar<br />

1827 der Domänenkammer als Kläger<strong>in</strong><br />

Recht gab, der Witwe des Beklagten aber zugestand,<br />

weiteren „besseren Beweis“ beizubr<strong>in</strong>gen,<br />

e<strong>in</strong>e Revision des Urteils also zuließ.<br />

Noch im November 1827 reichte deren Anwalt<br />

e<strong>in</strong> umfangreiches „Duplum“, e<strong>in</strong>e Gegendarstellung,<br />

bei dem Standesherrlichen<br />

Amt Neuenhaus e<strong>in</strong>.<br />

Erst im Frühjahr 1828 bahnte sich e<strong>in</strong> Ausweg<br />

aus der verfahrenen Situation an, als<br />

H<strong>in</strong>rich Belt „aus Olthoorn im Holländischen“<br />

MÜHLENGESCHICHTE<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Vorm<strong>und</strong> der K<strong>in</strong>der<br />

se<strong>in</strong>es verstorbenen Bruders sich bereit erklärte,<br />

den Streit zu beenden. Auf welcher<br />

Basis e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft erzielt wurde, ist<br />

nicht überliefert.<br />

Gemälde der W<strong>in</strong>dmühle von A. Leipner, 1955, im Besitz<br />

von Hedwig Müller (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Die Mühle blieb derweil durchaus <strong>in</strong> Betrieb.<br />

Aus e<strong>in</strong>em Kostenvoranschlag von<br />

Müh lenmeister F. Veld<strong>in</strong>k von 1830 ist zu ansehen,<br />

dass die „Zwikstellung“, die Galerie<br />

also, defekt <strong>und</strong> „geheel nieuw“ anzufertigen<br />

war, wofür dieser 418 Gulden veranschlagte.<br />

Offenbar geschah aber nichts zu ihrer Reparatur,<br />

denn 1833 wies Brill darauf h<strong>in</strong>, dass<br />

„die Stell<strong>in</strong>g ... ganz verschlissen“ war; der<br />

neue Kostenvoranschlag des Mühlenmeisters<br />

Pöölker lag mit 297 Gulden erheblich unter<br />

dem se<strong>in</strong>es Konkurrenten aus Emlichheim.<br />

Franz Müllers Gastwirtschaft<br />

im Müllerhaus um 1830<br />

Franz Müller, der Miteigentümer der Mühle,<br />

lehnte es aber ab, die Hälfte der Reparaturkosten<br />

zu tragen <strong>und</strong> schlug statt dessen vor, die<br />

Baumaßnahme selbst durchzuführen, wenn<br />

die Domänenkammer die Kosten zur Hälfte ersetzte;<br />

diese bestand jedoch auf Ausschreibung<br />

der Arbeiten <strong>und</strong> Vergabe an Dritte.<br />

221


4<br />

Franz Müller ließ die W<strong>in</strong>dmühle offenbar<br />

weiter von e<strong>in</strong>em Gehilfen bedienen, da er<br />

e<strong>in</strong>e Reihe anderer gut gehender Geschäfte betrieb;<br />

im Müllerhaus hatte er e<strong>in</strong>e „Krämerey,<br />

Bäckerey, Herberge <strong>und</strong> Schenkwirthschaft“<br />

e<strong>in</strong>gerichtet.<br />

Ende 1833 plante die Domänenkammer,<br />

ihren hälftigen Anteil an der Mühle durch den<br />

bisherigen Pächter der Emlichheimer W<strong>in</strong>dmühle,<br />

Arnold Friedrich Stüve, „adm<strong>in</strong>istrieren“,<br />

verwalten zu lassen, als sich F. Müller<br />

zur Pacht bereit erklärte. Auf drei Jahre überließ<br />

ihm die Domänenkammer ihre Hälfte zu<br />

300 Gulden im Jahr, im Übrigen sollten die<br />

Vertragsbed<strong>in</strong>gungen von 1823 gelten.<br />

Im Sommer 1834 barst die Mühlenachse,<br />

„da wo die Bruststücke durchgehen“, wie Brill<br />

erläuterte. Im Bentheimer Wald wurde e<strong>in</strong>e<br />

neue „Achse gefällt“ <strong>und</strong> im Lohnauftrag nach<br />

Nordhorn geschafft. Dass e<strong>in</strong> solcher Transport<br />

angesichts der schlechten Wegeverhältnisse<br />

mit Schwierigkeiten verb<strong>und</strong>en war,<br />

beweist die Tatsache, dass „18 Landfolgen<br />

Pferde vorgespannt“ werden mußten, um sie<br />

nach Veldhausen zu br<strong>in</strong>gen, von wo die gleiche<br />

Anzahl anderer Zugpferde sie dann an<br />

ihren Bestimmungsort brachte.<br />

Franz Müller blieb weiter Pächter des<br />

fürstlichen Anteils. In se<strong>in</strong>er <strong>und</strong> des Mühlenmeisters<br />

Fritz Veld<strong>in</strong>k Anwesenheit wurde<br />

1835 e<strong>in</strong> Inventar der Mühle aufgenommen,<br />

das später für die Ermittlung des „Verschleißes“<br />

diente. Wenn es dar<strong>in</strong> heißt, dass von der<br />

„Pellmölle“ der „Schievenloop of Steenkop“<br />

verschlissen war, so läßt dies daraus schließen,<br />

daß damals die Vorrichtung zum Pellen<br />

von Graupen schon längere Zeit <strong>in</strong> Betrieb gewesen<br />

se<strong>in</strong> muß, Die Erwähnung e<strong>in</strong>er<br />

„Builmöllen“ ist Beleg dafür, daß auch gebeutelt<br />

wurde.<br />

Müller starb wenige Jahre später; 1838<br />

wird als Pächter<strong>in</strong> der Mühle <strong>in</strong> Hoogstede die<br />

Witwe W. Müller mit ihrem Stiefsohn Johann<br />

He<strong>in</strong>rich Belt erwähnt. Der <strong>in</strong> jenem Jahr mit<br />

ihnen abgeschlossene Pachtvertrag überlässt<br />

ihnen auf sechs Jahre die dem fürstlichen<br />

Hause gehörende Hälfte der W<strong>in</strong>dmühle nebst<br />

der Müllerwohnung <strong>und</strong> dem zugehörigen<br />

Garten für 300 Gulden holländischer Münze,<br />

222<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Im Wesentlichen orientierte sich der Vertrag<br />

an den Bestimmungen, die bereits 1823 vere<strong>in</strong>bart<br />

waren; neu ist, daß bei unverschuldeten<br />

Unfällen Reparaturen mit mehr als 100<br />

Gulden Kosten diese zur Hälfte von der Domänenkammer<br />

getragen werden. Da die Müllerwohnung<br />

sich <strong>in</strong> sehr baufälligem Zustand<br />

befand, sollte sie entsprechend repariert werden,<br />

auch durfte Witwe Müller im Haus auf<br />

der Diele zwei Stuben bauen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>richten.<br />

Von den Baukosten, die sich auf 248 Gulden<br />

laut Kostenvoranschlag beliefen, sollte sie<br />

nach Ablauf der sechs Jahre von der Domänenkammer<br />

90 Gulden vergütet erhalten, sofern<br />

sie die Pacht nicht fortsetzte.<br />

Gelegentliche Angaben zu notwendigen<br />

lnstandsetzungsarbeiten lassen Baudetails der<br />

Mühle sichtbar werden, wenn z.B. 1838 das<br />

Anstreichen von „het agtkantige Spaandak met<br />

de Planken daaronder, met de Kappe, Staart<br />

en Vleugels“ verdungen wurde. Dass man ke<strong>in</strong>e<br />

Scheu vor auffälligen Farben hatte, zeigt die<br />

Anweisung, dass alles „twee keer met donker<br />

blaauw verf en wat wit te schilderen“ sei. Für<br />

die „Bretter auf der Zwikstellung“ dagegen<br />

wurde das „Betheeren“ für s<strong>in</strong>nvoll gehalten.<br />

Reparaturen <strong>und</strong> Verträge 1839–1869<br />

E<strong>in</strong> Sommergewitter beschädigte am 15. Juni<br />

1839 die Mühle schwer, als der Blitz e<strong>in</strong>schlug,<br />

glücklicherweise aber nicht zündete.<br />

Mühlenmeister Veld<strong>in</strong>k schätzte, dass sie „zum<br />

16ten Theil des Wertes beschädigt“ war, entsprechend<br />

trug die Brandversicherung 250<br />

Gulden, d.h. der Gesamtwert der Mühle lag<br />

bei 4.000 Gulden. Der zu ihrer Reparatur e<strong>in</strong>gereichte<br />

Kostenvoranschlag, e<strong>in</strong> Bruststück<br />

von 44 Fuß Länge, e<strong>in</strong> großer Pfosten „im aufstehenden<br />

Achtkantenwerk“ waren vorhanden,<br />

lag bei 424 Gu lden, <strong>in</strong>begriffen waren e<strong>in</strong> Flügel,<br />

Bretter <strong>und</strong> 500 „Späne“, also Sch<strong>in</strong>deln,<br />

nicht gerechnet war der durch Stillstand verursachte<br />

Schaden.<br />

Die 1842 herausgebrachte Karte von A.<br />

Papen zeigt die Hoogsteder W<strong>in</strong>dmühle<br />

ebenso wie das <strong>in</strong> den Jahren 1854/56 vermessene<br />

Blatt der Gauß’schen Landesaufnahme;<br />

sie lassen erkennen, wie günstig die<br />

Position der Mühle im Vechtetal etwa halb-


wegs zwischen den <strong>in</strong> Emlichheim <strong>und</strong> Veldhausen<br />

vorhandenen W<strong>in</strong>dkraftanlagen war.<br />

Nach Ablauf des Vertrages verlängerte ihn<br />

Jan H<strong>in</strong>drik Belt zugleich im Namen se<strong>in</strong>er<br />

Stiefmutter zum unveränderten Pachtsatz.<br />

Nachdem sich die Pächter erboten hatten, das<br />

Holz für Achse, Bruststücke <strong>und</strong> Laschen<br />

selbst liefern zu wollen, wurde e<strong>in</strong>e Pachtermäßigung<br />

um 30 Gulden vere<strong>in</strong>bart. Der Vertrag<br />

sollte dieses Mal zwölf Jahre laufen. Doch<br />

bereits 1850 starb der „Müller <strong>und</strong> Miteigen -<br />

thümer der Hoogsteder W<strong>in</strong>dmühle Müller<br />

oder Belt“. Se<strong>in</strong>e Stiefmutter erfüllte den Vertrag,<br />

suchte aber 1856 um Verlängerung für<br />

ihren Sohn Bernhard nach, was ihr auch<br />

bei 350 Gulden Pacht unter Nachlass von 30<br />

Gulden für anfallende Reparaturen zugestanden<br />

wurde. Neu aufgenommen ist unter die<br />

Vertragsklauseln jene, nach der die Pächter<br />

sich „mit dem bestehenden oder etwa abgeändert<br />

werdenden Mahlz<strong>in</strong>s begnügen“ müssen.<br />

Auch 1863 wird der Vertrag erneut um<br />

sechs Jahre verlängert. E<strong>in</strong>em Bericht des Emlichheimer<br />

Vogts Driemeyer aus jenem Jahr ist<br />

zu entnehmen, dass nach der gültigen Steuerrolle<br />

der Pachtwert der (ganzen) Mühle 360<br />

Reichstaler betrug. Er lag damit zwischen dem<br />

der Mühle <strong>in</strong> Emlichheim mit 500 Reichstaler<br />

MÜHLENGESCHICHTE<br />

<strong>und</strong> dem <strong>in</strong> Laar mit 220 Reichstaler, „welches<br />

das gute Bestehen der Mühlen nachweisen“,<br />

urteilte der Vogt.<br />

Als 1869 Witwe Müller den Pachtvertrag um<br />

e<strong>in</strong>e weitere Sechs-Jahres-Periode zu verlängern<br />

beabsichtigte, berichtete Rentmeister Crameer,<br />

es sei ihm <strong>und</strong> der Pächter<strong>in</strong> „gelungen, bei der<br />

Landdrostei e<strong>in</strong>e Entscheidung zu erwirken,<br />

welcher zufolge die Großr<strong>in</strong>ger Bauern die<br />

schon seit e<strong>in</strong>em Jahr ganz fertige W<strong>in</strong>dmühle<br />

nicht <strong>in</strong> Betrieb setzen dürfen, solange nicht<br />

der Reichstag das übrigens <strong>in</strong> naher Aussicht<br />

stehende Gesetz über Gewerbefreiheit verkündet<br />

hat“. Da deren Konkurrenz, wenn sie <strong>in</strong><br />

Betrieb genommen werde, spürbar se<strong>in</strong> müsse,<br />

empfahl er e<strong>in</strong>e „ger<strong>in</strong>ge Pachtermäßigung“.<br />

Die Müllersche W<strong>in</strong>dmühle h<strong>in</strong>ter Gasten, vor 1947. Aus westlicher Richtung von Weustes Kamp aus fotografiert (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Auf dieser Basis <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em Pachtsatz<br />

von 324 Gulden im Jahr wurde der nächste<br />

Vertrag abgeschlossen, wenn auch nur für drei<br />

Jahre.<br />

1871 – höher bauen?<br />

Ende 1871 erhob die Witwe Müller „die alte<br />

Klage wieder, daß die Mühle nicht hoch genug<br />

liege“, Crameer befürwortete den Vorschlag,<br />

sie 20 bis 25 Fuß höher zu bauen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en<br />

zweiten Mahlgang anzulegen; beides sei für<br />

1566 Gulden laut Kostenvoranschlag zu be-<br />

223


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

werkstelligen. Falls die Domänenkammer sich<br />

an den Kosten nicht beteiligen wolle, sei<br />

Witwe Müller auch bereit, die andere Hälfte<br />

der Mühle zu kaufen.<br />

Diesem zweiten Vorschlag zeigte sich die<br />

Domänenkammer nicht abgeneigt; sie <strong>in</strong>struierte<br />

Crameer, e<strong>in</strong>en Kaufpreis auszuhandeln,<br />

der der gültigen Pachtsumme zu vier Prozent<br />

kapitalisiert entsprechen musste, also 8.130<br />

Gulden. Die Pächter<strong>in</strong> bot nur 4.000 Gulden,<br />

Crameer glaubte jedoch, 5.000 Gulden aushandeln<br />

zu können. Da starb die Witwe Müller<br />

Anfang 1875, ohne dass e<strong>in</strong> Kaufvertrag<br />

zu stande gekommen war. Ihr Sohn offerierte<br />

zunächst 4.500 Gulden, nach längeren Verhandlungen<br />

steigerte er se<strong>in</strong> Gebot auf 5.500<br />

Gulden. Zu diesem Preis erhielt er im April<br />

1877 den Zuschlag; die Hoogsteder Mühle<br />

g<strong>in</strong>g zur Gänze <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Eigentum über.<br />

Franz Müller 1910<br />

1890 ist im Gr<strong>und</strong>buch von Hoogstede als<br />

Eigentümer e<strong>in</strong>getragen Colon Bernhard Jager<br />

geb. Müller zu Hoogstede. 1910 starb Bernhard<br />

Müller, se<strong>in</strong> Sohn Franz folgte ihm auf<br />

der Mühle. Er kaufte 1916 das gesamte Inventar<br />

der Mühle <strong>in</strong> Laar mit Ausnahme des<br />

eisernen Kopfes der Achse für 800 Mark; falls<br />

W<strong>in</strong>dmühle Hoogstede, 1940 (He<strong>in</strong>rich Voort)<br />

224<br />

Mühlenstumpf <strong>und</strong> Sägewerk, Anfang 1960er (Willy Friedrich)<br />

er nicht e<strong>in</strong>en zusätzlichen Mahlgang damit<br />

e<strong>in</strong>richtete, ist denkbar, dass er es als e<strong>in</strong>e Art<br />

Ersatzteillager zu nutzen beabsichtigte.<br />

Als er zu Beg<strong>in</strong>n der 20er Jahre erkrankte,<br />

pachtete Gerrit-Jan Kooiker die W<strong>in</strong>dmühle<br />

für e<strong>in</strong>ige Jahre. Sie hatte zu der Zeit noch<br />

ke<strong>in</strong>en Motor; dieser wurde aber e<strong>in</strong>gebaut,<br />

als Kooiker (etwa 1923) die Pacht beendete,<br />

<strong>und</strong> auch nur zeitweise benutzt. Aus jener Zeit<br />

ist e<strong>in</strong>e fast anekdotenhafte Begebenheit überliefert.<br />

Als e<strong>in</strong>es Tages Mühlenbauer Jan Her<strong>in</strong>g<br />

aus Esche bei e<strong>in</strong>er Reparaturarbeit e<strong>in</strong>en<br />

der Flügel bestiegen hatte, löste der ahnungslose<br />

Müller die Bremse, <strong>und</strong> Her<strong>in</strong>g wurde<br />

durch die Luft gewirbelt, bis er sich bemerkbar<br />

machen konnte.<br />

Wann der Mühlenbetrieb e<strong>in</strong>gestellt wurde,<br />

ist nicht überliefert. E<strong>in</strong> Foto, das den Zustand<br />

der Mühle etwa Mitte der Dreißiger Jahre dokumentiert,<br />

zeigt sie noch betriebsbereit. Das<br />

Bild bestätigt die schon e<strong>in</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert zuvor<br />

überlieferte Tatsache, dass es sich um e<strong>in</strong>en<br />

Galerieholländer handelte. Se<strong>in</strong> Sockel mit<br />

achteckigem Gr<strong>und</strong>riss ist aus Ziegelste<strong>in</strong>en<br />

aufgemauert, ihm liegt der Galerieboden auf.<br />

Das große Tor, das e<strong>in</strong>st Ackerwagen die<br />

E<strong>in</strong>fahrt gestattete, war <strong>in</strong> jener Zeit bereits<br />

zugemauert, alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e normale Tür war<br />

aus gespart. Etwa mannshoch oberhalb der<br />

Galerie begann der sich nach oben <strong>in</strong> elegantem<br />

Schwung verjüngende Mühlenkörper, der<br />

e<strong>in</strong>st vollständig sch<strong>in</strong>delgedeckt war, zum<br />

Zeitpunkt der Aufnahme aber bereits mehrere


Flickenstellen aufwies, die mit Brettern <strong>in</strong> sowohl<br />

horizontaler als auch vertikaler Anordnung<br />

aufgenagelt s<strong>in</strong>d. Die noch kompletten<br />

Mühlenflügel stehen <strong>in</strong> Ruhestellung, auch<br />

Kappe <strong>und</strong> Steert s<strong>in</strong>d noch erhalten.<br />

Sicher auf das Jahr 1936 ist e<strong>in</strong>e Aufnahme<br />

zu datieren, die die Mühlenflügel noch<br />

mit voller Segelbespannung zeigt. Nicht e<strong>in</strong>mal<br />

e<strong>in</strong> Vierteljahrh<strong>und</strong>ert später hatte sich<br />

das Bild völlig gewandelt. Zwar stand 1960 die<br />

Mühle noch, doch hatte sie ihre Flügel verloren,<br />

auch Galerie <strong>und</strong> Haube fehlten, stattdessen<br />

besaß sie e<strong>in</strong> behelfsmäßiges Dach. 1962<br />

wurde die W<strong>in</strong>dmühle abgerissen; ihre letzten<br />

Reste sollen 1970 beseitigt worden se<strong>in</strong>.<br />

Nachtrag: Laut Auskunft von H<strong>in</strong>drik<br />

Bouws, Niemöllerstraße 3, 49846 Emlichheim<br />

vom 03.07.2007 hat se<strong>in</strong> Vater 1947 Teile der<br />

alten W<strong>in</strong>dmühle (Flügel, Balken <strong>und</strong> Bretter)<br />

gekauft <strong>und</strong> beim Bau e<strong>in</strong>er Scheune auf se<strong>in</strong>em<br />

Hof <strong>in</strong> Volzel verwendet. Die Scheune<br />

steht noch heute. Die Mühle sei später noch<br />

wieder <strong>in</strong>stand gesetzt, aber niedriger gewesen<br />

als vorher. (gjb)<br />

Rossmühle Hoogstede<br />

Dr. He<strong>in</strong>rich Voort<br />

Als im Jahre 1860 der Müller Sander Heilmann<br />

<strong>in</strong> Wietmarschen beim zuständigen Amt<br />

Neuenhaus den Antrag stellte, ihm den Bau<br />

e<strong>in</strong>er „Roßmühle“ zur Herstellung von Buchweizengrütze<br />

zu genehmigen, ließ diese<br />

Be hörde <strong>in</strong> Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften<br />

<strong>in</strong> den ihr untergeordneten Vogteibezirken<br />

durch Umfrage die Notwendigkeit<br />

e<strong>in</strong>er solchen Anlage klären. Dabei stellte<br />

sich im Bericht des Vogts Driemeyer aus Emlichheim<br />

heraus, dass die Witwe Müller <strong>in</strong><br />

Hoogstede, die Mitbesitzer<strong>in</strong> der dortigen<br />

W<strong>in</strong>d mühle, damals e<strong>in</strong>e solche Vorrichtung<br />

besaß. Es handelte sich um „e<strong>in</strong>e Rollmühle,<br />

auf welcher Buchweizen <strong>und</strong> Habergrütze gemacht<br />

werden kann“, erläuterte der Vogt.<br />

„Zwar hat sie seit e<strong>in</strong>igen Jahren (seit dem<br />

Tode ihres ältesten Sohnes) davon ke<strong>in</strong>en Gebrauch<br />

gemacht, jedoch soll die Mühle noch<br />

<strong>in</strong> completen Stande sich bef<strong>in</strong>den, so daß alsogleich<br />

e<strong>in</strong> Pferd davor gespannt <strong>und</strong> Gebrauch<br />

davon gemacht werden kann. Die<br />

MÜHLENGESCHICHTE<br />

Wittwe Müller will e<strong>in</strong> Recht hierzu besitzen,<br />

dieses auch nicht aufgeben, vielmehr ehestens<br />

die Mühle wieder <strong>in</strong> Gebrauch nehmen“, so<br />

kommentierte Driemeyer die Lage.<br />

Weitere Nachrichten haben sich von der<br />

Hoogsteder Roßmühle nicht erhalten; ungewiss<br />

ist auch, ob sie nach 1860 wieder <strong>in</strong><br />

Gang gesetzt wurde.<br />

Literatur:<br />

F. Berends, H. Brooksnieder, H. Hannebrook,<br />

Die gute alte Zeit. Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an Alt-Hoostede; Nordhorn o.J.<br />

Archivalien: Fürstlich Bentheimsches<br />

Archiv Burgste<strong>in</strong>furt, G 565, G 631;<br />

G 633; G 643 Bd. 1 + 2<br />

Staatsarchiv Osnabrück,<br />

Rep.340 Nr. 629; Rep.350 Neuhs Nr. 723;<br />

Rep.350 Neuhs Nr. 718<br />

Gescannt, korrigiert, ergänzt<br />

<strong>und</strong> neu aufgenommen, gjb 03.07.2007<br />

Mit Zustimmung des Verfassers<br />

Aus: He<strong>in</strong>rich Voort, Geschichte der W<strong>in</strong>d- <strong>und</strong> Wassermühlen<br />

<strong>in</strong> der Grafschaft Bentheim, (Bentheimer Land<br />

Band 110), Bad Bentheim 1987, Seite 170–181.<br />

W<strong>in</strong>dmühle Scheerhorn ca. 1885–1929<br />

Dr. He<strong>in</strong>rich Voort<br />

Bereits im Jahre 1819 wandten sich die E<strong>in</strong>gesessenen<br />

der zum Gericht Emlichheim gehörenden<br />

Bauerschaften Groß- <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>r<strong>in</strong>ge,<br />

Kalle, T<strong>in</strong>holt, Bathorn, Hoogstede,<br />

Scheerhorn <strong>und</strong> Berge an die hannoversche<br />

Regierung <strong>in</strong> Bentheim „wegen Erbauung<br />

e<strong>in</strong>er W<strong>in</strong>d-Öl-Mühle“. Als Standort dieser<br />

Anlage schlugen sie e<strong>in</strong>en geeigneten Platz <strong>in</strong><br />

der Gildschaft Scheerhorn vor. Zur Begründung<br />

ihrer Bitte erläuterten sie, dass der<br />

Anbau von ölhaltigen Früchten sehr zugenommen<br />

hätte <strong>und</strong> die vorhandenen Schlagwerke<br />

<strong>in</strong> den Wassermühlen an Vechte <strong>und</strong><br />

D<strong>in</strong>kel wegen Wassermangels während der<br />

Erntezeit der Ölsamen häufig nicht <strong>in</strong> Betrieb<br />

seien. „Bekanntlich wird der W<strong>in</strong>ter-Öl-<br />

Saamen schon vor Jacobi, der Sommer-Saamen<br />

aber im August <strong>und</strong> September reif, <strong>und</strong><br />

die E<strong>in</strong>gesessenen lassen den Saamen, sobald<br />

er reif <strong>und</strong> trocken ist, gern gleich schlagen“.<br />

Ausweichen konnten sie nur zu den Mühlen<br />

<strong>in</strong> Oldenzaal <strong>und</strong> Coevorden, doch war ihnen<br />

der Weg dorth<strong>in</strong> zu weit. So baten sie die<br />

Regierung, e<strong>in</strong>e zusätzliche, von W<strong>in</strong>d angetriebene<br />

Mühlenanlage „auf herrschaftliche<br />

Kosten“ anzulegen oder, falls dies nicht mög-<br />

225


4<br />

lich sei, „e<strong>in</strong>em sich dazu wahrsche<strong>in</strong>lich wohl<br />

f<strong>in</strong>denden Privato“ die Erlaubnis zum Bau zu<br />

erteilen.<br />

Die Mitglieder der bentheimschen Regierung<br />

gaben ihrer übere<strong>in</strong>stimmend ablehnenden<br />

Stellungnahme <strong>in</strong> kurzen, zum Umlauf<br />

bestimmten schriftlichen Kommentaren Ausdruck;<br />

wegen der für die herrschaftliche<br />

Ölmühle <strong>in</strong> Neuenhaus zu befürchtenden Konkurrenz<br />

spürten sie wenig Neigung, e<strong>in</strong>e weitere<br />

Anlage zu f<strong>in</strong>anzieren. Unter H<strong>in</strong>weis auf<br />

die vor wenigen Jahren zuvor entstandenen<br />

Ölmühlenschlagwerke des Jan Strick <strong>in</strong> Neuenhaus<br />

<strong>und</strong> des Lagemann <strong>in</strong> Wietmarschen,<br />

mit denen der Bedarf an Ölmühlen gedeckt<br />

sei, lehnten sie das Gesuch ab.<br />

Erbaut zwischen 1883 <strong>und</strong> 1889<br />

E<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>dmühle dürfte Scheerhorn erst <strong>in</strong> der<br />

späteren zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

erhalten haben; das genaue Datum ihres Baues<br />

ist nicht bekannt. Das diese Gegend erfassende<br />

226<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Blatt der hannoverschen Landesaufnahme von<br />

Gauss, das <strong>in</strong> den Jahren 1854 bis 1856 aufgenommen<br />

wurde, zeigt die Mühle noch nicht.<br />

Nach Kartenunterlagen des Katasteramtes Nordhorn<br />

wurde das Gr<strong>und</strong>stück, auf dem später<br />

die Mühle stand, 1883/84 von der Nach barparzelle<br />

abgetrennt; ob damals schon die<br />

Mühle errichtet wurde, ist nicht ersichtlich.<br />

1888/89 g<strong>in</strong>g die dem Colonen Evert Süwer<strong>in</strong>ck<br />

gehörende Fläche <strong>in</strong> das Eigentum<br />

des Müllers Wilm Grüter über, als dessen<br />

Wohnort Hoogstede e<strong>in</strong>getragen war. Das<br />

Baudatum der Scheerhorner Mühle ist damit<br />

auf den Zeitraum zwischen 1883 <strong>und</strong> 1889<br />

e<strong>in</strong>gegrenzt. So weist sie die Erstausgabe des<br />

Messtischblattes Veldhausen, das im Jahre<br />

1896 vermessen wurde, als <strong>in</strong> Betrieb bef<strong>in</strong>dliche<br />

Anlage aus.<br />

Wenig später – die mündliche Überlieferung<br />

nennt die Zeit um 1890 – erwarb He<strong>in</strong>rich<br />

Sommer die Anlage. Kurz vor Ausbruch<br />

des Ersten Weltkrieges sollte die Mühle offen-<br />

Karte mit der Lage der Hoogsteder <strong>und</strong> der Scheerhorner W<strong>in</strong>dmühle.,<br />

W<strong>in</strong>dmühle Scheerhorn (die Mühle liegt nordwestlich des Schriftzuges), die weiter nördlich gelegene Mühle (l<strong>in</strong>ks unterhalb des<br />

Namenszuges Hoogstede-Bathorn) ist die von Hoogstede. Kartengr<strong>und</strong>lage: Preußische Landesaufnahme 1 : 25 000, 3407<br />

(1898). Herausgegeben von der Preußischen Landesaufnahme. Vervielfältigt mit Erlaubnis des Niedersächs. Landesverwaltungsamtes<br />

– Landesvermessung – B 5 – 69/87. (He<strong>in</strong>rich Voort)


W<strong>in</strong>dmühle Scheerhorn mit den Geschwistern Sommer<br />

um 1925 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

bar mit Reet neu gedeckt werden, denn als zu<br />

Kriegsbeg<strong>in</strong>n Müller Sommer an die Front<br />

e<strong>in</strong>gezogen wurde, soll jahrelang Schilf im<br />

Müllershaus gelegen haben. Die Mühle stand<br />

zu der Zeit still.<br />

Nach Rückkehr des Müllers aus dem Felde<br />

wurde die Mühle wieder <strong>in</strong> Betrieb genommen.<br />

Nach e<strong>in</strong>em Foto von etwa 1920 handelte<br />

es sich bei dieser Mühle um e<strong>in</strong>en Erdholländer;<br />

auf gemauertem, etwa mannshohem<br />

Sockel mit schmaler E<strong>in</strong>gangstür saß die<br />

Holzkonstruktion des Rumpfes. Flügel, Reetdach<br />

<strong>und</strong> Steert s<strong>in</strong>d offenbar zu jener Zeit<br />

noch <strong>in</strong> gutem Zustand gewesen.<br />

Die Mühle mahlte zunächst ausschließlich<br />

mit W<strong>in</strong>dkraft, erhielt dann aber (etwa<br />

1923/24) e<strong>in</strong>en Motor. Wenig später wurde die<br />

Mühle abgerissen, als Müller Sommer die<br />

Hoogsteder W<strong>in</strong>dmühle übernahm; 1929 exis -<br />

tierte sie mit Sicherheit nicht mehr, als die<br />

Mühlenparzelle mit dem umliegenden Land<br />

im Kataster zu e<strong>in</strong>em Acker vere<strong>in</strong>igt wurde.<br />

Literatur:<br />

F. Berends, H. Brooksnieder, H. Hannebrook, Die gute alte<br />

Zeit. Er<strong>in</strong>nerungen an Alt Hoogstede; Nordhorn o. J.<br />

Archivalien: Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 340 Nr. 638<br />

Aus: He<strong>in</strong>rich Voort, Geschichte der W<strong>in</strong>d- <strong>und</strong> Wassermühlen<br />

<strong>in</strong> der Grafschaft Bentheim.<br />

(Das Bentheimer Land 110), Bad Bentheim 1987, 333-335.<br />

Mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung des Verfassers (gjb)<br />

07.07.2007<br />

MÜHLENGESCHICHTE<br />

Mühlenbetrieb<br />

H<strong>in</strong>drik Köster seit 1925<br />

Von Hendrik <strong>und</strong> Irma Köster<br />

H<strong>in</strong>drik Köster wurde am 25. Februar 1895<br />

als erster Sohn der Eheleute Lukas <strong>und</strong> H<strong>in</strong>derkien<br />

Köster geb. Paus geboren. Die Kösters<br />

betrieben e<strong>in</strong>e Landwirtschaft. Die Hofstelle<br />

befand sich bis 1912 <strong>in</strong> Arkel an der Vechte<br />

(gegenüber von Bloemendal). Danach zog<br />

man an die Hauptstraße <strong>in</strong> Hoogstede. Dieser<br />

H<strong>in</strong>drik Köster hatte drei Brüder: Albert, Hendrikus<br />

<strong>und</strong> Jan sowie e<strong>in</strong>e Schwester Zwantien.<br />

Eigentlich hätte H<strong>in</strong>drik als ältester Sohn<br />

das landwirtschaftliche Erbe übernehmen<br />

müssen. Obwohl er die Landwirtschaftsschule<br />

<strong>in</strong> Neuenhaus mit Abschluss besucht hatte,<br />

übernahm er nicht den Hof, sondern errichtete<br />

mit se<strong>in</strong>em Bruder Hendrikus das Mühlengebäude<br />

an der gegenüberliegenden<br />

Straßenseite.<br />

Se<strong>in</strong> Bruder Albert widmete sich der Landwirtschaft,<br />

der jüngste Bruder Jan wurde später<br />

Pastor <strong>und</strong> Zwantien heiratete Jan-Harm<br />

Schoemaker, Emlichheim.<br />

1936 vor der 1925 erbauten Mühle Köster mit K<strong>in</strong>derzelt<br />

Stehend Ferienjunge aus Bremen, He<strong>in</strong>rich Köster,<br />

Unbekannt, vorne Henni Köster, Johann Köster, Jenni<br />

van Wieren, Henni Köster, Ernst Köster, He<strong>in</strong>rich Zomer,<br />

Wilhelm Blanke, Unbekannt (Köster)<br />

Am 1. Mai 1925 wurde der Mühlenbetrieb<br />

gegründet. H<strong>in</strong>drik betrieb die Getreidemühle,<br />

die das Getreide der heimischen Bauern schroten<br />

oder auch zu Backmehl verarbeiten konnte.<br />

H<strong>in</strong>driks Bruder Hendrikus hatte die Sägemühle.<br />

Sie wurde 1935 allerd<strong>in</strong>gs nach Em-<br />

227


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Oberleistungsprüfer Bernhard Koops <strong>und</strong> Lehrer Bernd-<br />

Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k vor Kösters Mühle, um 1960<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

lichheim verlegt, weil dort mehr Bauholz nach -<br />

gefragt wurde.<br />

H<strong>in</strong>drik Köster war gleichzeitig seit 1925<br />

Rendant (Geschäftsführer) der Spar- <strong>und</strong> Darlehnskasse<br />

Hoogstede. Die ersten Begriffe<br />

e<strong>in</strong>er Buchführung hat er vom damaligen katholischen<br />

Pfarrer gelernt.<br />

In den ersten Jahren war e<strong>in</strong> Herr Koyker<br />

aus Veldhausen als Müllermeister e<strong>in</strong>gestellt.<br />

Um 1960, Verkaufsraum Schrader, seitlich Kösters Mühle (Köster)<br />

228<br />

Dieser schaute des Öfteren aus dem Fenster<br />

der Mühle <strong>und</strong> sagte dann: „Ja, Köster, se willt<br />

van dage noch nich so hatte kummen.“ Das<br />

Müller handwerk hatte früher nicht den besten<br />

Ruf. Dafür spricht folgende Anekdote: Wenn<br />

e<strong>in</strong> Geselle e<strong>in</strong>gestellt wurde, sollte er weite<br />

Ärmel vorzeigen können, denn dadurch<br />

wurde das mit e<strong>in</strong>er Handschaufel aus dem<br />

Sack genommene Mehl noch etwas mehr. Als<br />

Lohn für das Schroten von fünfzig Kilogramm<br />

Roggen wurden drei Kilogramm e<strong>in</strong>behalten.<br />

Beim Herstellen von Backmehl waren es sogar<br />

sechs Kilogramm.<br />

Der Zweite Weltkrieg g<strong>in</strong>g auch an der<br />

Firma Köster nicht spurlos vorüber. Im November/Dezember<br />

1940 diente die leerstehende<br />

Sägemühle als Pferdestall für zwanzig<br />

Pferde der Kavallerie. Ende Mai 1940 wurden<br />

hier sechzig polnische Kriegsgefangene untergebracht,<br />

die bei den Bauern arbeiten<br />

mussten. Später wurden im Mühlengebäude<br />

französische Kriegsgefangene untergebracht.<br />

In der Sägemühle waren <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge aus den Ostgebieten<br />

e<strong>in</strong>quartiert. Sie mussten bei laufendem Mühlenbetrieb<br />

sehr beengt <strong>und</strong> menschenunwürdig<br />

leben. Aber zu der Zeit war man froh, überhaupt<br />

e<strong>in</strong> Dach über dem Kopf zu haben. Das war bei<br />

den Vertriebenen besonders der Fall.


Hanomag <strong>und</strong><br />

Dreschmasch<strong>in</strong>e<br />

etwa 1967.<br />

Am Hanomag<br />

stehen Jan Höll -<br />

mann mit Heike<br />

Köster <strong>und</strong> Jutta<br />

Köster (Köster)<br />

Henni Köster <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich Köster <strong>in</strong> 1952.<br />

Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> Hof Johann Köster (Köster)<br />

Im vordersten Teil der Mühle wurde sogar<br />

e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d geboren. Es war Uwe Schrader. Die<br />

Schraders wohnten vorne <strong>in</strong> der Mühle <strong>und</strong><br />

hatten neben der Mühle e<strong>in</strong>e Baracke, <strong>in</strong> der<br />

sie e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en, gut laufenden Laden unterhielten.<br />

Später bauten sie an der Hauptstraße<br />

neben der <strong>altreformierte</strong>n <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong> Lebensmittelgeschäft.<br />

Auch die Familie Anton Penkert wohnte zu<br />

dieser Zeit im h<strong>in</strong>teren Teil der Mühle. Vorher<br />

wohnte Penkert auf dem Hofe Köster, wo er<br />

als B-Soldat tätig war.<br />

MÜHLENGESCHICHTE<br />

Nachdem der Sohn des Firmengründers,<br />

He<strong>in</strong>rich Köster, im November 1948 aus französischer<br />

Kriegsgefangenschaft heimgekehrt<br />

war, übernahm er im Alter von 22 Jahren die<br />

Leitung des Unternehmens. Zu den ersten Mitarbeitern<br />

gehörten <strong>in</strong> dieser Zeit Jan-Harm<br />

Mensen, Hoogstede, (er war 44 Jahre im Betrieb<br />

tätig) <strong>und</strong> H<strong>in</strong>drik Ellen, Hoogstede.<br />

In den 50er Jahren erlebte die Firma e<strong>in</strong>en<br />

ungeahnten Aufschwung. Dieser basierte auf<br />

der enorm wachsenden Veredlungswirtschaft<br />

<strong>in</strong> den landwirtschaftlichen Betrieben. Die<br />

Umsatzsteigerungen erforderten stets neue Investitionen.<br />

1960 wurde mit dem Verkauf von<br />

Düngemitteln begonnen. E<strong>in</strong> Lagergebäude<br />

mit Gleisanschluss wurde gebaut. Das ursprüngliche<br />

Mühlengebäude an der Hauptstraße<br />

wurde 1964 abgebrochen. An gleicher<br />

Stelle entstand e<strong>in</strong> neues Lagergebäude mit<br />

Büroräumen <strong>und</strong> moderner Getreidetrocknung.<br />

Im Jahr 1970 wurden weitere Getreidesilos<br />

errichtet.<br />

Im Jahre 1973 wurde <strong>in</strong> der Nähe des<br />

ehemaligen Hoogsteder Bahnhofes e<strong>in</strong> weiteres<br />

Lager für lose Düngemittel errichtet.<br />

Im Frühjahr 1977 wurde der Betrieb an der<br />

Hauptstraße um e<strong>in</strong>en Haus- <strong>und</strong> Gartenmarkt<br />

erweitert.<br />

229


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Die dritte Generation der Familie stieg<br />

1983 mit Hendrik Köster <strong>in</strong> das Unternehmen<br />

e<strong>in</strong>. Im Jahre 1986 wurde e<strong>in</strong>e moderne Düngermischanlage<br />

<strong>in</strong>stalliert. 1990 wurde e<strong>in</strong>e<br />

neue Maistrocknungsanlage errichtet, da <strong>in</strong><br />

unserer Region der Körnermaisanbau an Bedeutung<br />

zunahm. 1993 erfolgte die Fusion zu<br />

„Vechteland Agrarhandel“ mit der befre<strong>und</strong>eten<br />

Emlichheimer Landhandelsfirma Jan Boer<strong>in</strong>g<br />

Ruitman. Ende 1995 wurde an der<br />

Bergstraße e<strong>in</strong> neuer „Kiebitzmarkt“ (Haus<strong>und</strong><br />

Gartenmarkt) eröffnet.<br />

Die ursprüngliche Tätigkeit des Unternehmens<br />

als damaliger Mühlenbetrieb hielt im<br />

Jahre 2003 <strong>in</strong> modernerer Form erneut E<strong>in</strong>zug<br />

<strong>in</strong> das Unternehmen. Im Hoogsteder Gewerbegebiet<br />

entstand e<strong>in</strong> moderner Betrieb mit<br />

e<strong>in</strong>er neuen Mühle <strong>und</strong> Mischfutterproduktion<br />

sowie größerer Maistrocknungsanlage. Wie <strong>in</strong><br />

1925 so zeigt sich der Betrieb auch heute als<br />

zuverlässiger Partner der bäuerlichen Familienbetriebe<br />

unserer Niedergrafschaft.<br />

P.S. Im Jahre 2001 machte He<strong>in</strong>rich Köster<br />

Aufzeichnungen mit heiteren Episoden des<br />

Mühlenbetriebes. Etwa 25 Seiten umfassen<br />

diese Erlebnisse <strong>und</strong> Geschehnisse von früher.<br />

Wer sie nachlesen möchte, wende sich bitte an<br />

Hendrik Köster, Hoogstede.<br />

Jan Harm Mensen,1928-2006 war über 40 Jahre im Betrieb.<br />

Er wurde am 31.12.1993 verabschiedet (Mensen)<br />

230<br />

Neues Düngemittellager seit 1979 (Köster)<br />

Neubau Köster von 1964. Aufnahme von 1979 (Köster)<br />

He<strong>in</strong>rich Köster <strong>und</strong> Alw<strong>in</strong>e geb. Schoemaker <strong>in</strong> 1994<br />

(Köster)


Geschäfte <strong>und</strong> Gaststätten<br />

Sloot – e<strong>in</strong>e Hoogsteder<br />

Familiengeschichte<br />

Hilde Neuw<strong>in</strong>ger<br />

Sechzehn Jahre nach dem Bau der reformierten<br />

<strong>Kirche</strong> errichtete Geerd Sloot (1809–1855)<br />

im Jahre 1837 <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe zur <strong>Kirche</strong><br />

e<strong>in</strong> Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus. Auf dieses<br />

Datum weist e<strong>in</strong> alter Bauste<strong>in</strong> im Haus „Sloot“<br />

aus dem Jahr 1837 h<strong>in</strong>. Vermutlich ist dies<br />

das Gründungsjahr des Geschäftes Sloot. Die<br />

Inschrift lautet:<br />

Weant Gott behaegt,<br />

is beter beneiet als beklag(t)<br />

Geert Sloot, Anno 1837<br />

Wenn es Gott behagt,<br />

ist es besser beneidet als beklagt.<br />

Geert Sloot Ano 1837<br />

Gedenkste<strong>in</strong> im Hause Sloot-Neuw<strong>in</strong>ger von 1837<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Das Haus Sloot prägt bis heute das Ortsbild<br />

von Hoogstede. Das Geschäft Sloot hatte bis vor<br />

wenigen Jahren e<strong>in</strong>e zentrale Funktion <strong>in</strong> der<br />

Versorgung der Region. Darüberh<strong>in</strong>aus traten<br />

Mitglieder der Familie Sloot <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Generationen immer wieder im öffentlichen<br />

Leben der Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung.<br />

Ausschnitt aus e<strong>in</strong>er farbigen Postkarte, kle<strong>in</strong>er Junge vor<br />

Sloot um 1900/1910 (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Die Herkunft<br />

Der genannte Geschäftsmann Geerd Sloot<br />

stammt aus Adorf/Neur<strong>in</strong>ge, aber se<strong>in</strong>e Abstammungsl<strong>in</strong>ie<br />

führt zurück nach Hoogstede.<br />

Se<strong>in</strong> Großvater gleichen Namens, Geert Sloot<br />

(1727–1810), Sohn von Albert Sloot, ist <strong>in</strong><br />

Hoogstede geboren.<br />

Als <strong>in</strong> der 2. Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

die Ansiedlungen <strong>in</strong> Adorf erfolgen, gehört<br />

der Großvater Geert Sloot zu den Kolonisten,<br />

die sich dort e<strong>in</strong>e Existenz aufbauen.<br />

Der Sohn <strong>und</strong> Hoferbe des Adorfer Kolonisten<br />

ist Hendrik Sloot. Dieser Hendrik ist der<br />

Vater des oben genannten Hoogsteder Geschäfts<br />

mannes Geerd Sloot. Die Mutter ist<br />

Zwenne, geb. Berends (29.12.1781–19.11.<br />

1853), die H. Sloot am 20.04.1806 heiratet.<br />

Hendrik Sloot erwirbt 1818 e<strong>in</strong>e größere<br />

Parzelle <strong>in</strong> der R<strong>in</strong>ger Mark (jetzt Neur<strong>in</strong>ge,<br />

an der Straße nach R<strong>in</strong>ge). Da es den Kolonisten<br />

<strong>in</strong> der R<strong>in</strong>ger Mark nicht erlaubt ist, auf<br />

231


4<br />

ihren Parzellen e<strong>in</strong> Haus zu bauen, kauft sich<br />

Hendrik Sloot <strong>in</strong> der Nähe e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Fläche<br />

Bathorner Markengr<strong>und</strong> von der Gildschaft<br />

Scheerhorn, worauf er se<strong>in</strong> Haus anlegt. Das<br />

ist die heutige Hofstelle Sloot, wo der Adorfer<br />

Damm auf den Bathorner Diek trifft. Der Verkauf<br />

dieses kle<strong>in</strong>en Stückchens Hochmoor<br />

erfolgte vermutlich nur auf Drängen von Hendrik<br />

Sloot. Die Lage zeigt Sloots starke B<strong>in</strong>dungen<br />

nach Adorf, wo er geboren <strong>und</strong><br />

aufgewachsen ist. Das vom Vater ererbte Kolonat<br />

<strong>in</strong> Adorf hat er beim Wechsel nach Neur<strong>in</strong>ge<br />

verkauft.<br />

Die Bauernschaften Scheerhorn, Berge,<br />

Hoogstede, Bathorn, Kalle <strong>und</strong> T<strong>in</strong>holt, die<br />

das neu entstandene Kirchspiel Arkel bilden,<br />

erhalten 1820 die Erlaubnis, Markengründe zu<br />

verkaufen, zur „Dotation des Pfarrgehalts“,<br />

also zugunsten der neu gegründeten Pfarrstelle<br />

<strong>in</strong> Hoogstede. Hendrik Sloot nutzt die<br />

Gelegenheit <strong>und</strong> erwirbt große Flächen<br />

„Moorgr<strong>und</strong>“ <strong>in</strong> der Nähe se<strong>in</strong>es Wohnhauses<br />

auf beiden Seiten des Bathorner Dieks.<br />

Danach kommt es zu jahrelangen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />

zwischen Sloot <strong>und</strong> den „notablesten<br />

E<strong>in</strong>gesessenen der Bauernschaften<br />

Bathorn <strong>und</strong> Hochstädte“ über Größe <strong>und</strong> Begrenzung<br />

der erworbenen Flächen <strong>und</strong> über<br />

die Erfüllung der Abzahlungspflichten. Umstritten<br />

s<strong>in</strong>d auch die Eigentumsrechte, <strong>in</strong>sbesondere<br />

die Erlaubnis für den Bau der sechs<br />

Heuerleutewohnungen auf der Fläche südlich<br />

des Bathorner Dieks. Die „vornehmen“ Bathorner<br />

<strong>und</strong> Hoogsteder behaupten sogar, Sloot<br />

habe die Bedrängnis, <strong>in</strong> der sich se<strong>in</strong>erzeit die<br />

Verkäufer bef<strong>und</strong>en haben, ausgenutzt. Obendre<strong>in</strong><br />

sei der „Ausfertiger“ des Kontraktes, der<br />

damalige Hausvogt Bruna, durch den Kirchmeister<br />

von Hoogstede „missleitet“ worden,<br />

weil Hendrik Sloot den Kirchmeister mit 50<br />

Gulden bestochen habe.<br />

Ob die vorgebrachten Anschuldigungen<br />

dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechen,<br />

lässt sich nur schwer beurteilen. Vermutlich<br />

kommt bei den Bathornern <strong>und</strong> Hoogstedern<br />

e<strong>in</strong> gewisser Neid auf, als sie mit ansehen müssen,<br />

dass <strong>in</strong> ihrer ehemals ungenutzten Mark<br />

der Kolonist Hendrik Sloot auf e<strong>in</strong>em Drittel der<br />

erworbenen Flächen Miete<strong>in</strong>nahmen erwirt-<br />

232<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

schaftet, die doppelt so hoch s<strong>in</strong>d wie se<strong>in</strong>e<br />

gesamten Abzahlungsverpflichtungen.<br />

Umstrittene Geme<strong>in</strong>dezugehörigkeit<br />

Besonders <strong>in</strong>teressant s<strong>in</strong>d die Entwicklungen<br />

der Geme<strong>in</strong>dezugehörigkeit. Bis 1853 fühlen<br />

sich Sloot <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Heuerleute der Geme<strong>in</strong>de<br />

Neur<strong>in</strong>ge zugehörig; H<strong>in</strong>drik Sloot ist <strong>in</strong> den<br />

30er Jahren selbst sogar sechs Jahre Vorsteher<br />

dieser Geme<strong>in</strong>de gewesen, <strong>und</strong> das, obwohl er<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Heuerleute <strong>in</strong> der „Mark von Bathorn<br />

<strong>und</strong> Hoogstäde wohnen“.<br />

Als im Jahre 1853 e<strong>in</strong>em Heuermann der<br />

Trausche<strong>in</strong> von der Geme<strong>in</strong>de Neur<strong>in</strong>ge verweigert<br />

wird, muss die Geme<strong>in</strong>dezugehörigkeit<br />

geklärt werden.<br />

Sloot <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Leute erklären, dass sie mit<br />

<strong>in</strong>sgesamt 51 Personen am liebsten e<strong>in</strong>e eigene<br />

politische Geme<strong>in</strong>de bilden würden. In<br />

ihrem Bemühen werden sie sogar von allen<br />

anderen Geme<strong>in</strong>den unterstützt, denen sie<br />

womöglich zugeschlagen werden könnten.<br />

Die Vorsteher von Bathorn, Scheerhorn <strong>und</strong><br />

Berge geben zu verstehen, dass ihre Geme<strong>in</strong>den<br />

wegen der weiten Entfernung nicht <strong>in</strong>frage<br />

kämen. Der Vorsteher von Neur<strong>in</strong>ge<br />

erklärt, dass se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de weder mit Sloot<br />

noch mit se<strong>in</strong>en Heuerleuten etwas zu tun<br />

haben wolle. Er empfehle e<strong>in</strong>e Zuordnung nach<br />

Adorf. Der Vorsteher von Adorf erklärt, se<strong>in</strong>e<br />

Geme<strong>in</strong>de sei e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>igung mit Sloot <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>en Heuerleuten gänzlich abgeneigt.<br />

Die Motive der ablehnenden Geme<strong>in</strong>den<br />

s<strong>in</strong>d vielfältig <strong>und</strong> unterschiedlich. Geme<strong>in</strong>sam<br />

ist allen die Besorgnis, die armen Heuerleute<br />

von Sloot könnten wegen ihrer Hilfsbedürftigkeit<br />

den Geme<strong>in</strong>den zur Last fallen, da<br />

Sloot ihnen „nicht so viel Land angewiesen<br />

(hat), als sie höchstnotwendig bedürfen, um<br />

e<strong>in</strong>igermaßen bestehen zu können“.<br />

Das Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Hannover entscheidet<br />

im September 1853, dass „der Colon<br />

Sloot mit se<strong>in</strong>en sieben Heuerleuten der Geme<strong>in</strong>de<br />

Neur<strong>in</strong>ge angehören“ soll.<br />

Die Geme<strong>in</strong>de Neur<strong>in</strong>ge legt noch e<strong>in</strong>mal<br />

Widerspruch e<strong>in</strong> mit der Begründung, dass die<br />

E<strong>in</strong>wohner von Neur<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>igung<br />

mit ihnen (Sloot <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Heuerleuten) sehr<br />

stark abgeneigt seien <strong>und</strong> sie außerdem zu


e<strong>in</strong>er anderen <strong>Kirche</strong>ngeme<strong>in</strong>de gehörten. Das<br />

Innenm<strong>in</strong>isterium bleibt aber bei se<strong>in</strong>er Entscheidung<br />

für e<strong>in</strong>en Zusammenschluss mit<br />

Neur<strong>in</strong>ge.<br />

Für den dann 71-jährigen Gründerkolonis -<br />

ten ist das sicher e<strong>in</strong>e bittere Entscheidung gewesen.<br />

Neben dem Tod se<strong>in</strong>er Frau im<br />

November 1853 ist die Abneigung der Neur<strong>in</strong>ger<br />

Kolonisten gegen ihn <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Heuerleute<br />

vermutlich der Gr<strong>und</strong> gewesen, dass er<br />

se<strong>in</strong>en Wohnsitz zu se<strong>in</strong>em ältesten Sohn,<br />

dem Kaufmann Geerd Sloot, nach Hoogstede<br />

verlegt. Se<strong>in</strong> Erbe <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge tritt se<strong>in</strong> drittältester<br />

Sohn Jan H<strong>in</strong>drik an. Der Gründer der<br />

Siedlung, Hendrik Sloot, stirbt im Alter von<br />

81 Jahren am 29.August 1863 <strong>in</strong> Hoogstede.<br />

Quelle:<br />

Gregor G. Santel „Neur<strong>in</strong>ge - Die Entstehung e<strong>in</strong>er<br />

Moorgeme<strong>in</strong>de“; Bentheimer Jahrbuch 1991, S. 197-240<br />

Geschäftsgründer Geerd Sloot<br />

Der Kaufmann Geerd Sloot wird am 09.11.1809<br />

<strong>in</strong> Adorf geboren <strong>und</strong> wächst dort auf dem von<br />

se<strong>in</strong>em Großvater begründeten Kolonistenhof<br />

auf. Als er elf Jahre alt ist, zieht se<strong>in</strong>e Familie<br />

nach Neur<strong>in</strong>ge (s.o.).<br />

Im Jahr 1837, also im Alter von 28 Jahren,<br />

eröffnet er <strong>in</strong> Hoogstede se<strong>in</strong> Geschäft.<br />

E<strong>in</strong> Jahr später, am 05.07.1838 heiratet er<br />

Jannegien Neerken aus Hoogstede, die 27-jährige<br />

Tochter von Colon Niklaas Neerken <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>er Frau Ale Wigger.<br />

GESCHÄFTE<br />

Geerd Sloot stirbt schon am 28.05.1855 im<br />

Alter von 45 Jahren an e<strong>in</strong>er „langwierigen<br />

Krankheit“. Er h<strong>in</strong>terlässt se<strong>in</strong>e Frau <strong>und</strong> fünf<br />

K<strong>in</strong>der im Alter zwischen fünf <strong>und</strong> 17 Jahren.<br />

Se<strong>in</strong>e Witwe heiratet am 04.04.1856 den 17<br />

Jahre jüngeren Hoogsteder Lehrer (seit 1851)<br />

Harm Schiev<strong>in</strong>k. Aus dieser Ehe geht e<strong>in</strong> Sohn<br />

hervor, Geert Schiev<strong>in</strong>k, geb. 24.1.1857.<br />

Nach dem Tod se<strong>in</strong>er Frau Jannegien am<br />

11.09.1887 heiratet Schiev<strong>in</strong>k e<strong>in</strong> zweites Mal<br />

mit der zweifach verwitweten Fennegien Kuite.<br />

Sie war <strong>in</strong> erster Ehe (1858) mit dem Colon<br />

Wasse Hannebrook (1823–1873) verheiratet<br />

<strong>und</strong> danach (1874) mit dem älteren Bruder<br />

<strong>und</strong> Witwer Geert Hannebrook (1813–1879).<br />

Harm Schiev<strong>in</strong>k stirbt 1907, se<strong>in</strong>e zweite Frau<br />

Fennegien 1919.<br />

Bäckermeister H<strong>in</strong>drik Sloot<br />

H<strong>in</strong>drik Sloot, geb. am 07.10.1844, der Geschäftsnachfolger<br />

des Gründers Geerd Sloot,<br />

ist zehn Jahre, als se<strong>in</strong> Vater stirbt. Er ist das<br />

dritte von fünf K<strong>in</strong>dern. E<strong>in</strong>e ältere Schwester,<br />

Aaltien Müller (Mulder) geb. Sloot, ist nach<br />

Brooklyn, Nordamerika, ausgewandert.<br />

Vermutlich wächst H<strong>in</strong>drik Sloot bei Verwandten<br />

<strong>in</strong> Emden auf <strong>und</strong> übernimmt im Erwachsenenalter<br />

das väterliche Geschäft.<br />

Haus Sloot mit Vorbau. Dies ist wahrsche<strong>in</strong>lich die älteste<br />

Aufnahme des Geschäfts. L<strong>in</strong>ks ist e<strong>in</strong> Teil der Backstube<br />

zu sehen. Den E<strong>in</strong>gang des Hauses schützt e<strong>in</strong> hölzerner<br />

Vorbau (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

233


4<br />

234<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Mehrere Quittungen weisen darauf h<strong>in</strong>,<br />

dass Geschwister <strong>und</strong> auch der Stiefvater ausgezahlt<br />

wurden.<br />

„Ich, der endesunterschriebene Lehrer Harm<br />

Schiev<strong>in</strong>k zu Hoogstede, bekenne hiermit, am<br />

heutigen Tage von me<strong>in</strong>em Stiefsohn, dem<br />

Bäcker <strong>und</strong> Kaufmann H<strong>in</strong>drik Sloot zu Hoogstede<br />

diejenigen 600 Gulden gleich E<strong>in</strong> Tausend<br />

Mark erhalten zu haben, welche mir aus dem<br />

Ehe- <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dschaftsvertrage vom 18. März<br />

1856 & 5 daselbst – für den Fall zustanden,<br />

daß ich von der Sloot`schen Stätte zu Hoogstede<br />

wieder abheiratete.<br />

Hoogstede den 17 März 1890<br />

H. Schiev<strong>in</strong>k, Lehrer“<br />

„Heute wurde mir von me<strong>in</strong>em Bruder H<strong>in</strong>drik<br />

Sloot zu Hoogstede den Rest me<strong>in</strong>er Abf<strong>in</strong>dung<br />

von der Slootschen Stätte Haus No 27 (früher<br />

No 25) zu Hoogstede mit f 500, wörtlich fünfh<strong>und</strong>ert<br />

gülden wie im Testament vom 16. Januar<br />

1882 von me<strong>in</strong>en Eltern festgestellt ist,<br />

ausgezahlt, wofür ich hiermit quittiere.<br />

Hoogstede den 10 August 1895<br />

A. Müller geb. Sloot“<br />

Quittung Erbschaft A. Müller geb. Sloot (USA) vom<br />

10.08.1895 (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

H<strong>in</strong>drik Sloot (1844–1904) ist Bäcker, Krämer<br />

<strong>und</strong> Postagent <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person. Er heiratet<br />

am 09.09.1875 Hille Büssemaker (09.11.1852<br />

bis 07.06.1884). Aus der Ehe gehen vier K<strong>in</strong>der<br />

hervor, zwei Söhne (Hermann <strong>und</strong> Johannes<br />

B. Th.) <strong>und</strong> zwei Töchter (Jennegien <strong>und</strong><br />

Johanna Ges<strong>in</strong>a). H<strong>in</strong>drik Sloot stirbt am<br />

17.02.1904.<br />

Geschäft Sloot<br />

mit Fahrradständer<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)


Bäckermeister Hermann Sloot<br />

Laut vorliegendem Erbvertrag vom 12.10.1903<br />

erbt der älteste Sohn Hermann Sloot, geb.<br />

10.04.1877, das Geschäft <strong>und</strong> wird somit Nachfolger.<br />

Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, also zu Lebzeiten<br />

des Vaters, übernimmt Hermann Sloot<br />

die Geschäftsführung. Auch er ist Bäcker, Krämer<br />

<strong>und</strong> Postagent. Zudem übt er die Aufgaben<br />

des Standesbeamten aus. Hermann Sloot<br />

heiratet am 25.05.1906 Zwenne, geb. Tyman<br />

aus Wilsum (25.05.1884 - 29.09.1959).<br />

Aus der Ehe gehen 3 K<strong>in</strong>der hervor, Hildegard<br />

(28.07.1907–10.08.1981), He<strong>in</strong>rich, geb.<br />

21.02.1911, Jenny (31.05.1921–27.07.2001).<br />

Hermann Sloot verstirbt am 28. Januar 1945.<br />

Hermann Sloot,1877-1945, mit Pfeife (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Kaufmann He<strong>in</strong>rich Sloot<br />

He<strong>in</strong>rich Sloot legt am 20.04 1931 die Gesellenprüfung<br />

als Bäcker <strong>und</strong> Konditor nach<br />

e<strong>in</strong>er Lehre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bäckerei <strong>in</strong> Bentheim ab.<br />

Danach ist er im elterlichen Betrieb tätig.<br />

Neben se<strong>in</strong>er Arbeit als Kaufmann hat He<strong>in</strong>rich<br />

Sloot e<strong>in</strong>e Organistenstelle <strong>in</strong> der anliegenden<br />

reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong>ne. Er bezieht<br />

über Jahre e<strong>in</strong>e Zeitschrift für Organisten mit<br />

dem Titel „Psalter <strong>und</strong> Harfe“ <strong>und</strong> ist Mitglied<br />

im Reichsverband für <strong>Kirche</strong>nmusik. Bis zur Installation<br />

e<strong>in</strong>es elektrischen Läutwerkes erfolgt<br />

das tägliche Mittagsläuten <strong>in</strong> der reformierten<br />

<strong>Kirche</strong> um 12 Uhr durch die Familie Sloot.<br />

GESCHÄFTE<br />

Hermann (1877–1945) <strong>und</strong> Zwenne Sloot geb. Tyman,<br />

1884–1959 (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

„Postkutsche“ vor dem Hause Sloot, mit Militär, um 1940<br />

im Zweiten Weltkrieg. Zweiter von rechts Hermann Sloot<br />

(1877–1945). Das Haus ist aufgestockt, oberhalb des Ladenlokals<br />

bef<strong>in</strong>den sich Schlafräume (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

E<strong>in</strong>e Anekdote spielt sich <strong>in</strong> der Zeit zwischen<br />

den beiden Weltkriegen ab. Im Hause<br />

Sloot lebt damals e<strong>in</strong> Dackel namens Waldmann.<br />

Waldmann läuft e<strong>in</strong>es Tages e<strong>in</strong>em Bäcker,<br />

der mittags die Glocken läuten will, nach.<br />

Er gelangt unbemerkt <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong>, aber nicht<br />

wieder mit h<strong>in</strong>aus. Zwar wird se<strong>in</strong> Bellen gehört,<br />

aber der H<strong>und</strong> kommt abends nicht nach<br />

Haus. Niemand kommt auf die Idee, dass der<br />

H<strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der <strong>Kirche</strong> bef<strong>in</strong>den könne. Am<br />

nächsten Morgen startet der Pastor (Buitkamp?)<br />

mit dem Fahrrad zu e<strong>in</strong>em Hausbesuch, kommt<br />

an dem <strong>Kirche</strong>nportal vorbei <strong>und</strong> hört Wald-<br />

235


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Briefpapier Sloot nach 1950 (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

mann bellen. Der Pastor befreit den Dackel, dieser<br />

rennt nach Hause <strong>und</strong> beißt den Bäcker <strong>in</strong>s<br />

Be<strong>in</strong>. Den Pastor begleitet Waldmann von nun<br />

an des Öfteren zu Hausbesuchen.<br />

Neben der Bäckerei, dem Lebensmittel<strong>und</strong><br />

Kurzwarenhandel bef<strong>in</strong>det sich auch die<br />

Poststelle im Geschäft Sloot. Der E<strong>in</strong>gang zur<br />

Post führt durch das Geschäft. Während des<br />

Krieges kommen täglich Dorfbewohner <strong>und</strong><br />

erk<strong>und</strong>igen sich nach Post von der Front.<br />

Freudige Gesichter gibt es, wenn e<strong>in</strong> Lebenszeichen<br />

e<strong>in</strong>trifft, aber viele warten vergebens.<br />

Gefallenen-Nachrichten gehen zum Ortsgruppenleiter,<br />

der die Angehörigen verständigen<br />

muss (Lehrer Tr<strong>in</strong>kler <strong>in</strong> Scheerhorn <strong>und</strong> Lehrer<br />

Kor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Kalle).<br />

236<br />

Auch e<strong>in</strong> Kohlenhandel wird betrieben.<br />

Dieser besteht schon vor dem 2. Weltkrieg.<br />

Während zu Kriegszeiten fast ausschließlich<br />

mit Torf geheizt wird, kommen nach Kriegsende<br />

als Heizmaterial Eierkohle <strong>und</strong> Brikett<br />

h<strong>in</strong>zu. Das Brennmaterial wird per Bahn geliefert,<br />

auf Pferdewagen geschippt, teils gleich<br />

zu den Leuten gefahren <strong>und</strong> dort abgeschippt,<br />

teils aber auch beim Geschäft gelagert. Der<br />

Transport der Kohle mit Pferd <strong>und</strong> Wagen ist<br />

e<strong>in</strong>e schwere Arbeit. Der Kohlenhandel wird<br />

bis Anfang der 70iger Jahre betrieben.<br />

He<strong>in</strong>rich Sloot wird zum Wehrdienst <strong>in</strong><br />

den Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>berufen. Während<br />

der Abwesenheit von He<strong>in</strong>rich Sloot im Zweiten<br />

Weltkrieg arbeitet se<strong>in</strong>e Verlobte Gerda<br />

Stroot im Geschäft. He<strong>in</strong>rich Sloot wird seit<br />

dem 11.10.1944 <strong>in</strong> Russland vermisst <strong>und</strong> im<br />

Jahr 1958 für tot erklärt.<br />

Nach dem Tod se<strong>in</strong>es Vaters Hermann<br />

Sloot (28.1.1945) wird das Geschäft unter dem<br />

Namen der Ehefrau Zwenne <strong>und</strong> nach deren<br />

Tod am 29.09.1957 durch die Tochter Jenny<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k weiterh<strong>in</strong> unter dem Geschäfts -<br />

namen „Sloot“ als Gemischtwarengeschäft<br />

(Lebens mittel, Porzellan, Eisenwaren, Kohlenhandel)<br />

geführt. Die Bäckerei besteht seit<br />

Kriegsende nicht mehr <strong>und</strong> die Poststelle geht<br />

nach dem Krieg über an Wasse Hannebrook.<br />

Im Jahr 1960 wird „Sloot“ zu e<strong>in</strong>em Selbstbedienungsgeschäft<br />

erweitert <strong>und</strong> umgebaut.<br />

Drei Soldaten, l<strong>in</strong>ks He<strong>in</strong>rich Sloot, 1911-1944<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Kohlenhändlerkarte<br />

1944/45<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)


Im Laden Alide Rigter<strong>in</strong>k geb. Schroven <strong>und</strong> Gerda Brouwer geb.<br />

Stroot. Der Laden während des Zweiten Weltkrieges. Deutlich zu<br />

erkennen ist die Bedienungstheke, dah<strong>in</strong>ter gibt es Schubladen <strong>und</strong><br />

Regale. (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Ende 1950er Jahre, der DKW vor dem Laden. Rechts die Eheleute<br />

Berend-Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k <strong>und</strong> Jenni geb. Sloot, l<strong>in</strong>ks vorne Henni<br />

Bleumer geb. Keen, dah<strong>in</strong>ter Berend<strong>in</strong>e Boll <strong>und</strong> h<strong>in</strong>ter dem DKW<br />

Ursel Klefoth geb. Schomburg. Im Auto sitzen ihre beiden K<strong>in</strong>der<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Bäckerei <strong>und</strong> Geschäftshaus werden mite<strong>in</strong>ander<br />

verb<strong>und</strong>en. Dies geht e<strong>in</strong>her mit der Errichtung<br />

e<strong>in</strong>er Telefonvermittlungsstelle durch<br />

die Post.<br />

Von 1975 bis 1985 ist das Geschäft vermietet<br />

an Hermann Wolts aus Osterwald. Danach<br />

übernimmt Wolfgang Neuw<strong>in</strong>ger, der<br />

Schwiegersohn der Geschäfts<strong>in</strong>haber<strong>in</strong>, die<br />

Geschäftsführung bis zum Tod von Jenny<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k am 27.07. 2001.<br />

Mitte September 2001 wird das Geschäft<br />

geschlossen, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teil der Räumlichkeiten<br />

eröffnet nach kurzer Umbauphase der<br />

GESCHÄFTE<br />

Jenny Harms-Ens<strong>in</strong>k,1921-2001, <strong>und</strong> Ursel Krüger<br />

im Laden <strong>in</strong> den 1950ern. Rechts auf der Ladentheke ist<br />

e<strong>in</strong>e alte Waage zu erkennen, über dem Tresen hängen Verkaufstüten<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Luftaufnahme Anwesen Sloot etwa 1957.<br />

Zwischen den Gebäuden erkennt man das „Schoolpättien“<br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Bäcker Johannes Schoemaker aus Emlichheim<br />

e<strong>in</strong>e Filiale se<strong>in</strong>es Emlichheimer Bäckereifachgeschäftes.<br />

Alle nachfolgenden Texte bis zum Ende dieses<br />

Kapitels stammen aus der Feder von M<strong>in</strong>i<br />

Büdden, soweit nicht anders angegeben.<br />

Karl Potgeter –<br />

Lebensmittel <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />

E<strong>in</strong>e bekannte Person <strong>in</strong> Hoogstede war Karl<br />

Potgeter, geboren am 18. Mai 1900 <strong>in</strong> Nordhorn.<br />

Er heiratete <strong>in</strong> erster Ehe Hendrika van<br />

237


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Haus van R<strong>in</strong>ge, T<strong>in</strong>holt (Willy Friedrich, GN 01.10.1982)<br />

R<strong>in</strong>ge aus T<strong>in</strong>holt. Bei se<strong>in</strong>en Schwiegereltern<br />

gründete er <strong>in</strong> der „Bowenkaamer“ e<strong>in</strong> erstes<br />

kle<strong>in</strong>es Lebensmittelgeschäft. (Auf dem Bild<br />

l<strong>in</strong>ks im Anbau des Hauses van R<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.)<br />

Es war das e<strong>in</strong>zige Lebensmittelgeschäft,<br />

das es <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt gegeben hat.<br />

Später baute Potgeter an der Bahnhofstraße<br />

e<strong>in</strong> neues Geschäftshaus, <strong>in</strong> dem noch<br />

heute se<strong>in</strong>e Schwiegertochter wohnt. Dort verkaufte<br />

er außer Lebensmittel auch Schreib<strong>und</strong><br />

Kurzwaren. Se<strong>in</strong>e Frau Hendrika verstarb<br />

früh, <strong>in</strong> zweiter Ehe war er mit Frieda geb.<br />

Gentrup verheiratet.<br />

Da Potgeter nicht am Zweiten Weltkrieg<br />

teilnehmen musste, konnte er sich tatkräftig<br />

se<strong>in</strong>em Geschäft widmen. Er wurde gelegentlich<br />

zum „Schanzen“ abkommandiert. Dann<br />

musste er helfen, Schutzgräben an Schulen <strong>und</strong><br />

Straßen auszuheben. Bei Potgeter konnte man<br />

im Krieg das berühmte gelbe, klebrige Maisbrot<br />

kaufen. Es wurde <strong>in</strong> Neuenhaus gebacken <strong>und</strong><br />

per Zug nach Hoogstede geliefert. Das Brot<br />

schmeckte zwar nicht, aber es sättigte.<br />

Nach Ende des Krieges gab es bei Potgeter<br />

die ersten Feigen, Datteln <strong>und</strong> Apfels<strong>in</strong>en zu<br />

kaufen. Diese Früchte waren für die Bevölkerung<br />

Neuheiten, vor allem für die K<strong>in</strong>der, die die<br />

Apfels<strong>in</strong>en deshalb öfters mit der Schale aßen.<br />

238<br />

Karl Potgeter wurde 1946 Standesbeamter,<br />

nachdem se<strong>in</strong> Vorgänger Hermann Sloot verstorben<br />

war. Trauungen nahm er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Wohnzimmer vor. Dort wurde der Tisch mit<br />

e<strong>in</strong>er weißen Decke <strong>und</strong> Blumenschmuck festlich<br />

hergerichtet. H<strong>in</strong>drik Jan Stroot <strong>und</strong> Johanna<br />

geb. Lübbers waren 1946 das erste<br />

Paar, das er traute. Gerrit Jan Weuste <strong>und</strong><br />

Alide geb. Höllmann waren 1969 das letzte<br />

Brautpaar, deren Eheschließung er vor se<strong>in</strong>em<br />

Ruhestand vollzog.<br />

Familie Potgeter um 1930.<br />

H<strong>in</strong>drika Potgeter geb. van R<strong>in</strong>ge, *1902 <strong>und</strong> Karl Potgeter,<br />

*1900. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Vater, davor die Söhne<br />

Johann <strong>und</strong> Bernhard (Christa Potgeter)


Geschäftshaus Potgeter mit Standesamt,<br />

Ausschnitt e<strong>in</strong>er Postkarte (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Karl Potgeter <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau Frieda haben<br />

bis <strong>in</strong>s hohe Alter gerne <strong>in</strong> ihrem kle<strong>in</strong>en<br />

Laden gearbeitet. Sie hatten viel Freude beim<br />

Bedienen ihrer K<strong>und</strong>schaft.<br />

Lebensmittel Köcklar-Wohlfahrt<br />

Auf dem Gr<strong>und</strong>stück an der Bergstraße/Ecke<br />

Breslauer Straße, <strong>in</strong> der Siedlung „Stapenberg“,<br />

baute der gebürtige Hoogsteder Adolf Köcklar<br />

1955 e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>familienhaus. Es verfügte über<br />

e<strong>in</strong>en separaten E<strong>in</strong>gang, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />

Lebensmittelladen führte. Tochter Maria, geb.<br />

am 26.02.1928, e<strong>in</strong>e gelernte Köch<strong>in</strong>, machte<br />

e<strong>in</strong>e Umschulung zur E<strong>in</strong>zelhandelskauffrau.<br />

Nach bestandener Prüfung eröffnete sie am<br />

01.10.1955 im Haus ihrer Eltern e<strong>in</strong> Lebensmittelgeschäft.<br />

Sie schloss sich der Osnabrücker<br />

Ve-Ge Handelsgesellschaft an. Dadurch<br />

konnte sie ihren K<strong>und</strong>en oft Sonderangebote<br />

anbieten. Backwaren lieferte der Bäcker Fritz<br />

Brosche <strong>und</strong> später die Bäckerei Schoemaker,<br />

Emlichheim.<br />

Am 28.05.1958 heiratete Maria Köcklar<br />

den Johann Wohlfahrt. Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen<br />

zwei Töchter hervor, Renate <strong>und</strong> Christel.<br />

Nach 17-jähriger Geschäftsführung musste<br />

Maria Köcklar-Wohlfahrt krankheitsbed<strong>in</strong>gt<br />

ihr Geschäft schließen. Nach dem Tode ihrer<br />

Eltern <strong>und</strong> ihres Mannes verkaufte sie das<br />

Haus. Sie wohnt jetzt bei der Familie ihrer<br />

Tochter Renate <strong>in</strong> Hoogstede.<br />

GESCHÄFTE<br />

Arbeitsbuch Bäckergeselle Albert Jan Hans 1929<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Bäckerei <strong>und</strong> Lebensmittel Hans<br />

1935 pachtete der Bäcker Albert Jan Hans,<br />

geb. am 23.06.06 <strong>in</strong> Bathorn, zusammen mit<br />

se<strong>in</strong>er Frau Johanna geb. Brooksnieder e<strong>in</strong><br />

Kolonialwarengeschäft mit Bäckerei von der<br />

Familie Ernst Speer. Frau S<strong>in</strong>a Speer geborene<br />

Vette hatte das Anwesen von ihrem Onkel,<br />

dem „Bäcker Vette“, geerbt. Familie Speer zog<br />

dann nach Oldenburg. Im Haus befand sich<br />

zusätzlich e<strong>in</strong>e Wohnung, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e Familie<br />

Kle<strong>in</strong> wohnte. Vermutlich war das Haus am<br />

Ortsausgang Richtung Scheerhorn e<strong>in</strong>es der<br />

ältesten Gebäude <strong>in</strong> Hoogstede, denn es trug<br />

die Hausnummer 2. Das Ehepaar Hans schaffte<br />

sich, auch bed<strong>in</strong>gt durch die guten Backwaren<br />

aus der eigenen Bäckerei, <strong>in</strong> kurzer Zeit<br />

e<strong>in</strong>en festen K<strong>und</strong>enkreis. Das Arbeitsdienstlager<br />

bei Koops <strong>in</strong> Bathorn wurde zum Teil<br />

mit Backwaren beliefert.<br />

Da es zu jener Zeit kaum e<strong>in</strong> motorisiertes<br />

Fahrzeug gab, brachte J. H. Brouwer, e<strong>in</strong> guter<br />

Fre<strong>und</strong> der Familie, jede Brotlieferung mit<br />

Pferd <strong>und</strong> Leiterwagen an Ort <strong>und</strong> Stelle.<br />

Am 13. März 1939 erhielt Albert Jan Hans<br />

se<strong>in</strong>en Stellungsbefehl. 1942 verbrachte er <strong>in</strong><br />

Hoogstede se<strong>in</strong>en letzten Heimaturlaub, seit-<br />

239


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Geschäft Hans am Ortse<strong>in</strong>gang, heute Vette (Lia Vette)<br />

dem gilt er als vermisst. Se<strong>in</strong>e Frau führte das<br />

Geschäft alle<strong>in</strong> weiter. Es folgten für sie, wie<br />

für alle Frauen, deren Männer e<strong>in</strong>gezogen<br />

waren, schwere Jahre voll Bangen <strong>und</strong> Hoffen.<br />

Bäcker Johann Sommer lieferte Brot <strong>und</strong><br />

Kuchen zum Verkauf.<br />

Johanna Hans oder ihre damalige Mitarbeiter<strong>in</strong><br />

Geertien Egbers mussten die Brote<br />

von der Bäckerei Sommer abholen. Sie legten<br />

fünf bis sechs Brote <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Le<strong>in</strong>ensack, befestigten<br />

den auf dem Gepäckträger des Fahrrades<br />

<strong>und</strong> transportierten sie so zum Geschäft<br />

Hans. Andere Lebensmittel lieferten die Firmen<br />

Westenberg <strong>und</strong> Keute aus Nordhorn,<br />

später auch die Firmen Schneegass <strong>und</strong> Puers<br />

aus Rhe<strong>in</strong>e.<br />

Die Lebensmittel wurden <strong>in</strong> Säcken oder<br />

Papiertüten angeliefert <strong>und</strong> <strong>in</strong> die dafür bestimmten<br />

Fächer <strong>und</strong> Schubladen h<strong>in</strong>ter dem<br />

Verkaufstresen geschüttet. An jeder Schublade<br />

befand sich e<strong>in</strong> Schildchen mit dem Namen<br />

des Inhalts. Beim Verkauf füllte man die lose<br />

Ware <strong>in</strong> gewünschter Menge – gewogen auf<br />

der auf dem Tresen stehenden geeichten Dezimalwaage<br />

– <strong>in</strong> Tüten ab. Ros<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Ko-<br />

240<br />

r<strong>in</strong>then waren fest <strong>in</strong> Holzkisten gepresst <strong>und</strong><br />

mit Bandeisen verschnürt.<br />

An der Bäckerei befand sich e<strong>in</strong> Holzverschlag,<br />

<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Petroleumfass mit e<strong>in</strong>er<br />

Handpumpe stand. Hier füllte man literweise<br />

Petroleum (St<strong>in</strong>kölie) <strong>in</strong> Flaschen ab. K<strong>und</strong>en,<br />

die weit abgelegen wohnten, waren noch<br />

nicht an das Stromnetz angeschlossen. Sie benötigten<br />

Petroleum für ihre Lampen.<br />

Im Hause Hans befand sich e<strong>in</strong>es der ers -<br />

ten Telefone im Ort mit der Rufnummer 202.<br />

War <strong>in</strong> der Nachbarschaft oder im K<strong>und</strong>enkreis<br />

der Besuch e<strong>in</strong>es Arztes oder Tierarztes erforderlich<br />

– Frau Hans stellte zu jeder Tages- <strong>und</strong><br />

Nachtzeit ihr Telefon zur Verfügung.<br />

In der damaligen Zeit war das Verhältnis<br />

zwischen Kaufmann <strong>und</strong> K<strong>und</strong>e auf dem<br />

Lande von eher familiärer Art. So war es auch<br />

im Geschäft Hans. Vor Weihnachten wurden<br />

die K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen zu e<strong>in</strong>er Tasse Kaffee mit selbstgebackenen<br />

Spekulatius (Kloaskerlties) <strong>in</strong> die<br />

Wohnung gebeten. Die Großmütter Hans <strong>und</strong><br />

Brooksnieder wechselten sich dann beim „Koffiesetten“<br />

ab. Die Männer nahmen gerne e<strong>in</strong>e<br />

angebotene Zigarre <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Schnäpschen an.


Die eigene Bäckerei wurde nicht mehr benutzt.<br />

Als Flüchtl<strong>in</strong>ge aus dem Osten Deutschlands<br />

nach Hoogstede kamen, wurde dort die<br />

sechsköpfige Familie Schack e<strong>in</strong>gewiesen. Die<br />

Holzbacktröge dienten der Familie lange Zeit<br />

als Betten. Als Fritz Müller nach dem Krieg<br />

die Bäckerei se<strong>in</strong>es Onkels Johann Sommer<br />

übernahm, belieferte er das Geschäft Hans<br />

weiter mit Backwaren.<br />

Auf vielfachen Wunsch von K<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

Bekannten organisierte Frau Hans den ersten<br />

„Knobelabend“ nach dem Krieg. Er fand <strong>in</strong> der<br />

alten Scheerhorner Schule statt. Geknobelt<br />

wurde vor allem um Kor<strong>in</strong>thenbrot, Butterkuchen<br />

<strong>und</strong> Süßigkeiten. Nach dem ersten Knobelabend<br />

folgten regelmäßig im Dezember<br />

jeden Jahres weitere Abende <strong>in</strong> den Gaststätten<br />

Warmer, Müller <strong>und</strong> Wolters.<br />

Als <strong>in</strong> Hoogstede 1949 das Gründungsfest<br />

des hiesigen Schützenvere<strong>in</strong>s auf der Wiese<br />

h<strong>in</strong>ter der Molkerei gefeiert wurde, verkaufte<br />

Frau Hans an e<strong>in</strong>em Stand Süßwaren <strong>und</strong> Kuchen.<br />

Bis 1954 führte sie das Geschäft <strong>und</strong><br />

gab es dann an den Kaufmann Evert Lübbers<br />

aus T<strong>in</strong>holt ab. Er baute auf dem nebenliegenden<br />

Gr<strong>und</strong>stück später e<strong>in</strong> neues Wohn<strong>und</strong><br />

Geschäftshaus. Der damalige Eigentümer<br />

<strong>und</strong> Schlosser Hermann Vette nutzte die alten<br />

Gebäude noch bis zu ihrem Abriss als Landmasch<strong>in</strong>enschlosserei.<br />

Jetzt steht an gleicher<br />

Stelle e<strong>in</strong> neues Wohnhaus, bewohnt von der<br />

Familie Udo Vette.<br />

Haus Hans, Ortsausgang Scheerhorn (heute Vette) um<br />

1960. Lebensmittelgeschäft Hans mit Bäckerei, später<br />

Landmasch<strong>in</strong>enschlosserei Vette (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

GESCHÄFTE<br />

M<strong>in</strong>i Büdden auf dem Arm ihres Vaters Albert Jan Hans<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

Lebensmittel <strong>und</strong> Bäckerei<br />

Sommer–Brosche<br />

Die Bäckerei Sommer, <strong>in</strong> der Bevölkerung<br />

auch „nejen Sommer“ genannt, war e<strong>in</strong>es der<br />

ältesten Geschäfte <strong>in</strong> Hoogstede. Es stand am<br />

heutigen Schulfeld Nr. 15. Der Bäckermeister<br />

Ernst Friedrich Sommer (1874–1947) <strong>und</strong><br />

se<strong>in</strong>e Frau Kathar<strong>in</strong>a (1879–1948) übergaben<br />

ihrem Sohn Johann (1907–1947), der auch das<br />

Bäckerhandwerk erlernt hatte, die Bäckerei<br />

mit dem Geschäft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Landwirtschaft.<br />

Johann Sommer war verheiratet<br />

mit Ges<strong>in</strong>e geb. Bekken. Während des Krieges<br />

im Jahr 1941 wurde das Dach der Bäckerei<br />

durch Teile e<strong>in</strong>es herabstürzenden Flugzeuges<br />

beschädigt.<br />

In der Familie Sommer wuchsen acht K<strong>in</strong>der<br />

auf. Der Vater Johann litt an schwerem<br />

Asthma, er starb schon im Alter von 40 Jahren.<br />

E<strong>in</strong>e große Verantwortung für ihre K<strong>in</strong>der<br />

<strong>und</strong> die Schwiegereltern lastete jetzt auf den<br />

Schultern von Ges<strong>in</strong>e Sommer. Sie führte den<br />

Betrieb tapfer weiter. In der Bäckerei arbeitete<br />

von 1947–1950 e<strong>in</strong> Onkel ihres verstorbenen<br />

Mannes. Von 1950 bis etwa 1955 leitete der<br />

älteste Sohn Ernst die Bäckerei. Dann zeigte<br />

der Bäckermeister Fritz Brosche Interesse am<br />

Geschäft. Zunächst übernahm er alle Arbeiten<br />

241


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Mutter Sommer mit ihren sieben K<strong>in</strong>dern um 1950;<br />

Willi, Kathar<strong>in</strong>a, Gisela, Johann, Gertrud <strong>und</strong> Lisbeth, dah<strong>in</strong>ter<br />

Ernst mit se<strong>in</strong>er Mutter Ges<strong>in</strong>e Sommer geb. Bekken<br />

<strong>und</strong> Hermann Sommer (Lisbeth Zimmermann)<br />

<strong>in</strong> der Bäckerei <strong>und</strong> wohnte mit se<strong>in</strong>er Frau<br />

Anni geb. Hilfers weiter <strong>in</strong> Füchtenfeld. Anni<br />

Brosche war dort als Geme<strong>in</strong>deschwester tätig.<br />

1958 kauften die Eheleute Brosche das<br />

Haus mit der Bäckerei. Ges<strong>in</strong>e Sommer zog<br />

1959 <strong>in</strong> ihr neues Haus am Schulfeld Nr. 13.<br />

Dort lebte sie dankbar <strong>und</strong> zufrieden <strong>in</strong> der<br />

Familie ihrer ältesten Tochter Kathar<strong>in</strong>a <strong>und</strong><br />

deren Mann Bernhard Westhuis. Ges<strong>in</strong>e Sommer<br />

starb 2002 im Alter von 92 Jahren, sechs<br />

Jahre nach dem Tod ihrer Tochter Kathar<strong>in</strong>a.<br />

Das Ehepaar Brosche führte den Betrieb <strong>in</strong><br />

bewährter Weise weiter. Mit ihren Backwaren<br />

belieferten sie viele Hoogsteder Geschäfte. Das<br />

Ehepaar blieb k<strong>in</strong>derlos. Als Anni Brosche<br />

1996 nach langer Krankheit starb, zog Fritz<br />

Brosche nach Emlichheim <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e betreute<br />

Wohnanlage. Dort ist er am 08.11.2000 gestorben.<br />

Se<strong>in</strong> Haus verkaufte er vorher an Frank<br />

Töller, den Sohn e<strong>in</strong>es Nachbarn. Dieser ließ<br />

die alten Gebäude bis auf die Garage abreißen<br />

<strong>und</strong> baute auf dem großen Gr<strong>und</strong>stück für sich<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Familie e<strong>in</strong> neues Wohnhaus.<br />

Bäckerei <strong>und</strong> Lebensmittel<br />

Stroer-Fuchs<br />

Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

Gerhard Stroer ist am 1. Dezember 1936 <strong>in</strong><br />

Neur<strong>in</strong>ge geboren. Dort führen se<strong>in</strong>e Eltern<br />

e<strong>in</strong> Lebensmittelgeschäft mit Bäckerei <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e Gaststätte. Nach der Schulzeit absolviert<br />

er 1952 bis 1955 e<strong>in</strong>e dreijährige Bäckerlehre<br />

242<br />

im elterlichen Betrieb. Von 1955 bis e<strong>in</strong>schließlich<br />

Herbst 1966 sammelt er <strong>in</strong> verschie -<br />

denen Bäckereien umfassende Erfahrungen. In<br />

dieser Zeit war er auch e<strong>in</strong> Jahr auf der Wanderschaft.<br />

Noch heute erzählt er gerne von<br />

dieser schönen Zeit. Die wichtigsten Orte se<strong>in</strong>er<br />

Wanderschaft waren Köln, Zürich, Wiesbaden.<br />

Nach der Wanderschaft arbeitet er <strong>in</strong><br />

Recke, Emsdetten, Münster <strong>und</strong> Nordhorn. In<br />

Münster besucht er die Meisterschule.<br />

Am 9. Mai 1961 schließt er die Ausbildung<br />

mit der Prüfung zum Bäckermeister vor der<br />

Industrie- <strong>und</strong> Handelskammer <strong>in</strong> Münster ab.<br />

In Emsdetten lernt er die Papenburger<strong>in</strong> Bernhard<strong>in</strong>e<br />

Dünhöft kennen.<br />

Während se<strong>in</strong>es Aufenthaltes <strong>in</strong> Nordhorn<br />

organisiert er nebenbei die Erstellung des<br />

Neubaues <strong>in</strong> Hoogstede an der Bergstraße <strong>und</strong><br />

treibt geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>er späteren Frau den<br />

Aufbau des Geschäftes voran. Am 23. November<br />

heiraten beide <strong>und</strong> am 4. Dezember<br />

1966 geht der lang ersehnte Wunsch der Eigenständigkeit<br />

<strong>in</strong> Erfüllung.<br />

Der Aufbau e<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>enstammes wird<br />

durch den „Brötchenservice“ gefördert. Bernhard<strong>in</strong>e<br />

Stroer br<strong>in</strong>gt wochentags jeden Morgen<br />

etwa 60 Familien im näheren Umkreis<br />

ofenfrische Brötchen. Auch die Möglichkeit,<br />

bestimmte Backwaren kurzfristig gebacken zu<br />

bekommen, wirkt sich auf die geschäftliche<br />

Entwicklung positiv aus.<br />

Geschäftsübergabe Stroer-Fuchs<br />

im Jahr 1987. Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik Koops,<br />

Gerd <strong>und</strong> Bernhard<strong>in</strong>e Stroer, Uwe <strong>und</strong> Petra Fuchs<br />

<strong>und</strong> stellvertretender Bürgermeister Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

(GN-Foto)


Schraders<br />

Verkaufsbude,<br />

1950-1957.<br />

Anna Arens,<br />

Siegward Schrader,<br />

Johannes Stich,<br />

Erw<strong>in</strong> Schrader<br />

(Hilde Schrader)<br />

In den e<strong>in</strong><strong>und</strong>zwanzig Geschäftsjahren<br />

s<strong>in</strong>d Kathar<strong>in</strong>a Westhuis geb. Sommer 20<br />

Jahre, L<strong>in</strong>a Arends geb. Krans neun Jahre <strong>und</strong><br />

Traute Lamann geb. Boll sechs Jahre als Verkäufer<strong>in</strong><br />

dabei, während Ges<strong>in</strong>e Boll geb.<br />

Snieders 20 Jahre im Haushalt tätig ist.<br />

Aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen muss Gerhard<br />

Stroer die Arbeit als Bäcker e<strong>in</strong>stellen.<br />

Auf dem rückwärtigen Bereich des Gr<strong>und</strong>stückes,<br />

zwischen dem Geschäftshaus <strong>und</strong> dem<br />

Nachbarn Mülstegen, baut Stroer 1987 e<strong>in</strong><br />

neues Wohnhaus. Das Geschäft wird an Uwe<br />

<strong>und</strong> Petra Fuchs vermietet. Diese stellen e<strong>in</strong>ige<br />

Jahre später ihre geschäftlichen Ak tivitäten<br />

e<strong>in</strong>, bewohnen aber nach wie vor geme<strong>in</strong>sam<br />

mit ihren beiden Töchtern das umgebaute<br />

Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus.<br />

Kolonialwarengeschäft Schrader<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Die Familien Schrader <strong>und</strong> Stich mussten im<br />

Krieg ihre Heimat <strong>in</strong> Ostpreußen verlassen.<br />

Erw<strong>in</strong> Schrader, geb. am 03.11.1919 <strong>in</strong> Herdenau,<br />

<strong>und</strong> Hilde Stich, geboren <strong>in</strong> Schaakendorf,<br />

kamen nach ihrer Flucht mit ihren<br />

Familien nach Großr<strong>in</strong>ge. Dort fanden sie <strong>in</strong><br />

der alten Schule e<strong>in</strong>e vorläufige Bleibe. Erw<strong>in</strong><br />

Schrader war gelernter Kaufmann <strong>und</strong> arbeitete<br />

zunächst im Lebensmittelgeschäft von<br />

Hermann Wiefer<strong>in</strong>k <strong>in</strong> R<strong>in</strong>ge. Wegen besserer<br />

Verdienstmöglichkeiten bei der Textilfabrik<br />

GESCHÄFTE<br />

N<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Nordhorn wechselte er se<strong>in</strong>en Arbeitsplatz<br />

dorth<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong> Wunsch vom eigenen<br />

Geschäft aber blieb.<br />

Die Familien Schrader <strong>und</strong> Stich zogen nach<br />

Hoogstede <strong>und</strong> wohnten <strong>in</strong> „Kösters Mühle“.<br />

Am 24.05.1947 heirateten Erw<strong>in</strong> Schrader <strong>und</strong><br />

Hilde Stich. Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen zwei Söhne<br />

hervor, Siegward <strong>und</strong> se<strong>in</strong> jüngerer Bruder Uwe.<br />

Im Frühjahr 1950 g<strong>in</strong>g der lang ersehnte<br />

Wunsch Erw<strong>in</strong> Schraders endlich <strong>in</strong> Erfüllung:<br />

In e<strong>in</strong>er Holzbaracke, die dem Fischhändler<br />

Fiedrich gehörte <strong>und</strong> auf Rädern von „Keen<br />

Hanne“ bis zu „Kösters Mühle“ gerollt wurde,<br />

eröffnete Schrader mit se<strong>in</strong>er Frau e<strong>in</strong> Kolonialwarengeschäft.<br />

Hier boten sie auf engstem<br />

Raum Lebensmittel, Backwaren <strong>und</strong> Fisch an.<br />

Die Wohnung <strong>in</strong> der Mühle wurde für die<br />

Familie bald zu kle<strong>in</strong> <strong>und</strong> so kauften Schraders<br />

an der Hauptstraße (jetzige Hausnummer<br />

23) e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück, auf dem sie sich e<strong>in</strong> Wohn<strong>und</strong><br />

Geschäftshaus errichten ließen. 1957 war<br />

das Haus zum E<strong>in</strong>zug fertig <strong>und</strong> die Neueröff -<br />

nung des Geschäftes konnte stattf<strong>in</strong>den. Das<br />

Warenangebot wurde um e<strong>in</strong>en Getränkeverkauf<br />

erweitert. Backwaren lieferten die Bä ckereien<br />

Koops aus R<strong>in</strong>ge sowie Brosche <strong>und</strong><br />

Stroer aus Hoogstede. Mit viel Liebe <strong>und</strong> Fleiß<br />

baute das Ehepaar Schrader sich se<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>enstamm<br />

auf. Bei W<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Wetter brachte<br />

Hilde Schrader ihren K<strong>und</strong>en <strong>in</strong> aller Frühe<br />

per Fahrrad die Frühstücksbrötchen <strong>in</strong>s Haus.<br />

243


4<br />

244<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Die Zeit der Lebensmittelkarten<br />

An dieser Stelle sei er<strong>in</strong>nert an die Lebensmittelkarten<br />

im <strong>und</strong> nach dem Krieg, die sich<br />

jeder Bürger der Geme<strong>in</strong>de am Anfang e<strong>in</strong>es<br />

Monats beim Bürgermeister abholen konnte.<br />

Für diese Lebensmittelmarken konnte er dann<br />

e<strong>in</strong>e bestimmte Grammzahl an Fett, Hülsenfrüchten,<br />

Nährmitteln wie Reis, Sago, Zucker,<br />

Mehl, Kartoffelmehl <strong>und</strong> Brot beim Kaufmann<br />

kaufen. Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der bekamen Sondermarken<br />

für K<strong>in</strong>dernahrung wie Gust<strong>in</strong>, Pudd<strong>in</strong>g <strong>und</strong><br />

Milchpulver. Sogar Seife <strong>und</strong> Waschpulver<br />

gab es nur bei Abgabe der dafür bestimmten<br />

Marken. Der K<strong>und</strong>e brachte bei jedem E<strong>in</strong>kauf<br />

se<strong>in</strong>e Lebensmittelkarte mit, der Kaufmann<br />

schnitt die erforderlichen Marken heraus <strong>und</strong><br />

deponierte sie <strong>in</strong> leere Bonbongläser. Bonbons<br />

gab es zu der Zeit eh nicht zu kaufen. Am Monatsende<br />

wurden die Marken sortiert, auf Papierbögen<br />

geklebt <strong>und</strong> beim Hilfsamt <strong>in</strong><br />

Neuenhaus oder der Nebenstelle <strong>in</strong> Emlichheim<br />

abgeliefert. Für die Marken gab es Bezugssche<strong>in</strong>e<br />

zurück, damit der Kaufmann bei<br />

se<strong>in</strong>en Händlern Ware ordern konnte. Kaffeebohnen<br />

<strong>und</strong> Rauchwaren wurden jedem Geschäftsmann<br />

je nach Größe se<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>en -<br />

kreises zugeteilt. Bedürftige erhielten h<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />

wieder Bezugssche<strong>in</strong>e für Bekleidung, Schuhe<br />

<strong>und</strong> Stiefel.<br />

Die Zeit der Lebensmittelmarken fand erst<br />

im Sommer 1948 zur Währungsreform ihr<br />

Ende. Jeder Bürger, groß <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>, bekam<br />

vierzig Deutsche Mark (DM) Kopfgeld bar ausgezahlt.<br />

In den Geschäften konnte man plötzlich<br />

wieder frei kaufen. Es wurden Waren<br />

angeboten, von denen man Jahre nur geträumt<br />

hatte. „De slimme Tied“ (so nennt die<br />

ältere Generation diese Jahre bis zur Währungsreform)<br />

war endlich vorbei.<br />

„De slimme Tied“<br />

Die Menschen hier <strong>in</strong> der ländlichen Region<br />

s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der schlimmen Zeit von großer Not<br />

<strong>und</strong> vor allem von Hunger verschont geblieben.<br />

Viele bürgerliche Familien gehörten zu<br />

den Selbstversorgern, jedes freie Eckchen auf<br />

dem Gr<strong>und</strong>stück wurde als Garten genutzt, <strong>in</strong><br />

dem Gemüse, Kartoffeln <strong>und</strong> Rüben angebaut<br />

wurden. War Gelegenheit zur Schwe<strong>in</strong>ehaltung<br />

gegeben, fütterte man möglichst zwei<br />

Schwe<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>es wurde verkauft, das andere<br />

blieb für den eigenen Haushalt. Das Schwe<strong>in</strong>efutter<br />

bestand hauptsächlich aus gekochten<br />

Kartoffelschalen, Brennnesseln <strong>und</strong> Melde.<br />

Die Landwirte mussten von ihren Erzeugnissen<br />

über den Ortsbauernführer bestimmte<br />

Mengen an den Staat liefern. Jedes Stück Vieh<br />

wurde gezählt <strong>und</strong> listenmäßig erfasst. Wollte<br />

e<strong>in</strong> Landwirt zum Eigenverbrauch e<strong>in</strong><br />

Schwe<strong>in</strong> schlachten, so benötigte er dafür e<strong>in</strong>e<br />

Genehmigung des Bürgermeisters. Das zu<br />

schlachtende Tier wurde auf der öffentlichen<br />

Waage bei Müller gewogen <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Gewicht<br />

besche<strong>in</strong>igt. Oft wurde e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Schwe<strong>in</strong><br />

zum Wiegen gebracht, aber e<strong>in</strong> großes oder<br />

gar zwei geschlachtet. Das war die Zeit des<br />

„Schwarz-Schlachtens“. Auf diese Art <strong>und</strong><br />

Weise wurden Behörden häufig betrogen, man<br />

durfte sich nicht erwischen lassen. In e<strong>in</strong>igen<br />

Ortsteilen gab es e<strong>in</strong> „Wiegeschwe<strong>in</strong>“, das alle<br />

Familien zum Wiegen brachten. Dieses Tier<br />

fand den Weg zur Waage auch ohne Begleitung.<br />

Hunger <strong>und</strong> Not hielten sich hier auf dem<br />

Lande <strong>in</strong> Grenzen, dafür war die Not <strong>in</strong> Städten<br />

<strong>und</strong> Ballungsgebieten umso größer. Etwa<br />

1945 begann die „Hamsterzeit“. In überfüllten<br />

Zügen fuhren Städter <strong>in</strong> ländliche Gegenden,<br />

auch bis nach Hoogstede, um für ihre Familien<br />

Lebensmittel zu „hamstern“. Was sie <strong>in</strong><br />

ihrem Haushalt entbehren konnten wie Wäsche,<br />

De-cken, Porzellan, Bestecke <strong>und</strong> ähnliches<br />

packten sie <strong>in</strong> ihren Rucksack <strong>und</strong><br />

versuchten, es gegen Nahrungsmittel wie Kartoffeln<br />

<strong>und</strong> Fett e<strong>in</strong>zutauschen. Durch diese<br />

Tauschgeschäfte hat sich manches junge Mädchen<br />

damals e<strong>in</strong>e bescheidene Aussteuer besorgt.<br />

Sogar Material für den Hausbau wurde<br />

mit Butter <strong>und</strong> Speck auf dem Schwarzmarkt<br />

besorgt.


Jan Mülstegen<br />

im Zweiten Weltkrieg<br />

(Alw<strong>in</strong>e Westerhoff)<br />

Jan H<strong>in</strong>drik Lage schlachtet e<strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong><br />

(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />

Nach etwa 30-jähriger Arbeit im eigenem<br />

Betrieb wurde Erw<strong>in</strong> Schrader schwer krank<br />

<strong>und</strong> starb am 24.01. 1983 im Alter von 64<br />

Jahren. Bis 1995 führte Hilde Schrader das<br />

Geschäft alle<strong>in</strong> weiter <strong>und</strong> verpachtete es<br />

dann an die Bäckerei Klemp aus Neugnadenfeld.<br />

Zur Zeit bef<strong>in</strong>den sich Büroräume der<br />

Baufirma Gos<strong>in</strong>k im Haus Schrader.<br />

Fleischerei Mülstegen<br />

Jan Mülstegen wurde am 10.04.1917 <strong>in</strong> Haftenkamp<br />

geboren. Er erlernte <strong>in</strong> Uelsen <strong>in</strong> der<br />

Metzgerei Eppmann das Fleischerhandwerk.<br />

Im Zweiten Weltkrieg, am 23.12.1941, heiratete<br />

er die am 16.04.1921 <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge geborene<br />

Ges<strong>in</strong>e Keute. Ges<strong>in</strong>e Keute arbeitete zu der Zeit<br />

als Haushaltshilfe beim Kaufmann Hermann<br />

Sloot hier im Ort.<br />

Das Ehepaar Mülstegen mietete e<strong>in</strong>e Wohnung<br />

im Haus von Wilhelm Taubken. Nach<br />

dem Krieg bot sich Mülstegen e<strong>in</strong>e Stelle als<br />

Koch beim Hoogsteder Kulturamt, das damals<br />

GESCHÄFTE<br />

Schlachterei Mülstegen um 1970 (Alw<strong>in</strong>e Westerhoff)<br />

<strong>in</strong> Baracken mit Verwaltung <strong>und</strong> Küche auf<br />

„Weustes Kamp“, dem heutigen Möllenkamp,<br />

untergebracht war. Mülstegen bekochte Angestellte<br />

<strong>und</strong> Arbeiter des Kulturamtes, die<br />

teilweise auch <strong>in</strong> den Baracken wohnten.<br />

Schon bald erwarb das Ehepaar Mülstegen<br />

e<strong>in</strong>en Bauplatz vom Bauern Weuste an der<br />

heutigen Bergstraße. Die Firma Gerrit Jan Brouwer<br />

begann mit dem Bau e<strong>in</strong>es Wohnhauses.<br />

Die Beschaffung des benötigten Baumaterials<br />

war nach dem Krieg sehr mühsam. Die Ste<strong>in</strong>e<br />

<strong>und</strong> anderes Baumaterial, das er im Ruhrgebiet<br />

erwarb, bezahlte Mülstegen überwiegend mit<br />

Speck. Aus den Trümmern der <strong>Häuser</strong> <strong>in</strong> den<br />

Städten wurden brauchbare Ste<strong>in</strong>e heraus gesucht<br />

<strong>und</strong> mit der Bahn nach Hoogstede verfrachtet.<br />

Bevor man die Ste<strong>in</strong>e hier vermauerte,<br />

wurde der alte Mörtel „abgebickt“. Aus Schutt<br />

<strong>und</strong> Mörtel wurden zudem neue Ste<strong>in</strong>e für den<br />

Bau geformt. Da die verbauten Ste<strong>in</strong>e folglich<br />

von unterschiedlicher Farbe waren, wurde der<br />

Bau von außen verputzt – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> dieser Gegend<br />

damals unübliche Bauart.<br />

Bevor Jan Mülstegen sich selbstständig<br />

machte, ließ er an der Rückseite des Gebäudes<br />

e<strong>in</strong> Schlachthaus <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Wurstküche<br />

anbauen. In e<strong>in</strong>em ausgefliesten kle<strong>in</strong>en Ladenraum<br />

verkaufte Ges<strong>in</strong>e Mülstegen seit der<br />

Zeit Fleisch- <strong>und</strong> Wurstwaren.<br />

Dem Ehepaar Mülstegen wurden zwei K<strong>in</strong>der<br />

geboren, e<strong>in</strong> Sohn <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Tochter. Der<br />

Sohn übernahm den Betrieb se<strong>in</strong>er Eltern. Aus<br />

wirtschaftlichen Gründen, bed<strong>in</strong>gt durch das<br />

Aufkommen der Großraummärkte mit Fleischabteilungen,<br />

wurde aus der Metzgerei Mülstegen<br />

e<strong>in</strong> Imbiss <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Party-Service.<br />

245


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Gaststätte Adele Lorenz<br />

Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

Adele Lorenz wurde als jüngste Tochter des<br />

Gastwirtes Jan-Harm Harms-Ens<strong>in</strong>k – genannt<br />

Wolters Jan-Harm – <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Ehefrau<br />

Swenne Alfer<strong>in</strong>k am 12.05.1927 geboren.<br />

Bereits mit 25 Jahren machte sie sich 1952<br />

selbstständig. Sie errichtete an der Bahnhofstraße<br />

e<strong>in</strong>e Gaststätte mit e<strong>in</strong>er Wohnung im<br />

Obergeschoss. Später erweiterte sie das Gebäude<br />

um e<strong>in</strong>en Saal <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Kegelbahn. Im<br />

Saal fanden Vere<strong>in</strong>sfeste, Tanzveranstaltungen<br />

<strong>und</strong> Familienfeste statt. Adele Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

heiratete Werner Lorenz. Der e<strong>in</strong>zige Sohn<br />

Horst schlug nicht die Laufbahn e<strong>in</strong>es Gastwirts<br />

e<strong>in</strong>. Werner verunglückte 1977 tödlich.<br />

Adele musste danach alle anfallenden Arbeiten<br />

alle<strong>in</strong> erledigen. Bald führte sie die<br />

Gaststätte mit dem Saalbetrieb nur noch e<strong>in</strong>geschränkt<br />

weiter. Sie konzentrierte sich mehr<br />

auf ihre Stammgäste. Dem Schützenvere<strong>in</strong>,<br />

der dort se<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>slokal hat, <strong>und</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />

Kegelvere<strong>in</strong>en stand das Anwesen bis<br />

zum Schluss zur Verfügung.<br />

Adele, wie sie landläufig genannt wurde,<br />

war e<strong>in</strong>e resolute <strong>und</strong> herzliche Wirt<strong>in</strong>. Nach<br />

dem Ende ihrer aktiven Zeit änderten sich<br />

wiederholt die Besitzverhältnisse.<br />

Gastwirt<strong>in</strong> Adele Lorenz geb. Harms-Ens<strong>in</strong>k (Wolters)<br />

um 1975 (Leni Töller)<br />

246<br />

Engler -<br />

die kle<strong>in</strong>e Kneipe von „Keen Hanne“<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Der gebürtige Hoogsteder Zimmermann Gerhard<br />

Keen kaufte zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau<br />

Johanna geborene Hemke (*1906 <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge)<br />

im Jahre 1928 e<strong>in</strong> Haus mit e<strong>in</strong>em größeren<br />

Gr<strong>und</strong>stück. Die bisherigen Eigentümer waren<br />

Jan van Laar <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau. Die Ehe blieb<br />

k<strong>in</strong>derlos <strong>und</strong> wegen des hohen Alters waren<br />

sie auf fremde Hilfe angewiesen. Das Ehepaar<br />

Keen verpflichtete sich, den van Laars bis ans<br />

Ende ihrer Tage Hilfe zu gewähren. Gerhard<br />

Keen verstarb im Jahre 1932 bei e<strong>in</strong>em Arbeitsunfall<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau blieb im Alter von<br />

26 Jahren mit ihren vier K<strong>in</strong>dern alle<strong>in</strong>. Sie heiratete<br />

1936 ihren zweiten Mann, den Schlosser<br />

Gustav Fiedrich. Er war 1887 <strong>in</strong> Ostpreußen geboren,<br />

machte dort e<strong>in</strong>e Schlosserlehre <strong>und</strong><br />

g<strong>in</strong>g dann auf die Walz. So kam er <strong>in</strong> die Grafschaft<br />

<strong>und</strong> fand Arbeit <strong>in</strong> Uelsen <strong>und</strong> später am<br />

Kulturamt <strong>in</strong> Bathorn.<br />

Das ehemalige Haus van Laar war von alters<br />

her e<strong>in</strong>e Bauernschänke gewesen. Johanna<br />

Fiedrich, <strong>in</strong> Hoogstede <strong>und</strong> Umgebung<br />

besser bekannt als „Keen Hanne“, versuchte<br />

nach dem Krieg, wieder e<strong>in</strong>e Ausschankgenehmigung<br />

zu erhalten. Ab 1951 durfte sie <strong>in</strong><br />

ihrer Kneipe nur alkoholfreie Getränke ausschenken,<br />

erst zwei Jahre später bekam sie die<br />

Erlaubnis zum Alkoholausschank.


Gaststätte Engler um 1965, mit Günter Engler (Engler)<br />

„Keen Hanne“ öffnete die ehemalige Bauernschänke<br />

<strong>und</strong> bewirtete ihre Gäste. Als im<br />

Jahr 1956 die Betonstraße nach Kalle ausgebaut<br />

wurde, fanden etliche Arbeiter <strong>in</strong> ihrem<br />

Haus auf engstem Raum Unterkunft <strong>und</strong> Verpflegung.<br />

Der K<strong>und</strong>enstamm der kle<strong>in</strong>en Kneipe vergrößerte<br />

sich <strong>und</strong> das Ehepaar Fiedrich plante<br />

zusammen mit Tochter Erna <strong>und</strong> Schwiegersohn<br />

Günther Engler e<strong>in</strong>en Umbau der bisherigen<br />

Gebäude. 1965 wurde e<strong>in</strong> Gastraum mit<br />

Saal, Küche <strong>und</strong> Thekenbereich angegliedert.<br />

Im Saal fanden etwa 150 Personen Platz,<br />

wurde auch reichlich <strong>und</strong> gern für Familienfeiern<br />

genutzt, zumal sich „ Keen Hanne“ zugleich<br />

als Köch<strong>in</strong> anbot.<br />

Sie hatte ke<strong>in</strong>e Probleme mit der Zubereitung<br />

von schmackhaften Speisen für große<br />

Gesellschaften. Hanne hatte nie e<strong>in</strong>e Kochschule,<br />

noch e<strong>in</strong>en Kochkurs besucht, sondern<br />

sie hatte sich das Kochen im Laufe der Jahre<br />

selbst angeeignet. Bei Familienfeiern fand sie<br />

<strong>in</strong> der Küche Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung von den<br />

jeweiligen Nachbarn. Dabei hat sie so e<strong>in</strong>ige<br />

ihrer Kochtipps verraten. Bis zum Jahr 1978,<br />

kurz vor ihrem Tod, hat sie <strong>in</strong> „ ihrer Küche“<br />

gewirkt.<br />

Die Vere<strong>in</strong>e, wie der Sportvere<strong>in</strong>, das Rote<br />

Kreuz <strong>und</strong> der V.d.K. feierten ihre Vere<strong>in</strong>s<strong>und</strong><br />

Jahresfeste im Saal Fiedrich / Engler. Außerdem<br />

fanden regelmäßig Tanzabende für jedermann<br />

statt.<br />

GESCHÄFTE<br />

Den Tagesbetrieb <strong>in</strong> der Kneipe gab die Familie<br />

Fiedrich/Engler schon 1977 auf. Den<br />

Saal führte sie noch bis 1991 als Dorfgeme<strong>in</strong>schaftshaus<br />

weiter. Dann wurden die Gebäude<br />

an die Firma Wolf Bandstahlschnitte verkauft.<br />

Textilhaus Borgmann-Kl<strong>in</strong>ge<br />

In Hoogstede fehlte nach dem Krieg e<strong>in</strong><br />

Textilgeschäft. Als im Scholtenschen Haus die<br />

Werk statt vom Wehldräjer ausgeräumt wurde,<br />

machte Maria Schophuis, die Frau des Schmiedemeisters,<br />

den Vorschlag, dort e<strong>in</strong> Textilgeschäft<br />

e<strong>in</strong>zurichten. Als K<strong>und</strong><strong>in</strong> <strong>und</strong> frühere<br />

Nachbar<strong>in</strong> der Geschwister Borgmann <strong>in</strong> Emlichheim<br />

nahm sie mit Treuda <strong>und</strong> Herm<strong>in</strong>e<br />

Tuchfühlung auf <strong>und</strong> hatte Erfolg.<br />

Die Borgmanns Wichter machten aus der<br />

ehemaligen Werkstatt e<strong>in</strong>en Verkaufsraum,<br />

sogar mit e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>em Schaufenster. 1950<br />

g<strong>in</strong>g der Verkauf los. Herm<strong>in</strong>e kam nach<br />

Hoogstede <strong>und</strong> Treuda blieb im Hauptgeschäft<br />

<strong>in</strong> Emlichheim.<br />

Die Textilien <strong>und</strong> Kurzwaren, die zum<br />

Teil mit dem Zug geliefert wurden, mussten<br />

per Fahrrad oder Handwagen vom Bahnhof<br />

abgeholt werden. Verkauft wurden Stoffe als<br />

Meterware für Kleider Schürzen <strong>und</strong> Kittel,<br />

Unterwäsche, Strumpfwaren <strong>und</strong> K<strong>in</strong>derkleidung<br />

sowie Kurzwaren.<br />

Herm<strong>in</strong>e Borgmann heiratete im Jahr 1953<br />

den Kaufmann Albert-Jan Kl<strong>in</strong>ge aus Uelsen.<br />

Sie zogen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Wohnung neben ihrem<br />

Laden. Albert-Jan hatte <strong>in</strong> Emlichheim e<strong>in</strong>e<br />

Strickerei <strong>und</strong> fertigte dort Damen- <strong>und</strong> Herrenpullover,<br />

Westen <strong>und</strong> Strickjacken an, die<br />

teils mit farbigen Motiven von Frauen bestickt<br />

wurden. Verkauft wurden sie im eigenen Geschäft.<br />

Dieses lief so gut, dass im Herbst 1953<br />

das erste Lehrmädchen, unter der Bed<strong>in</strong>gung,<br />

es müsse sich <strong>in</strong> plattdeutscher Sprache mit der<br />

K<strong>und</strong>schaft unterhalten, e<strong>in</strong>gestellt wurde. Zum<br />

Glück hatte Hildegard Warna ke<strong>in</strong>e Probleme<br />

damit.<br />

Das Angebot im Laden wurde immer größer,<br />

<strong>und</strong> so wurden die Räumlichkeiten bald<br />

zu kle<strong>in</strong>. Die Firmen brachten immer mehr<br />

neue Stoffe wie Lawabel, Perlon, Ausbrenner<br />

auf den Markt. Und so entstand e<strong>in</strong> neues<br />

Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus ganz <strong>in</strong> der Nähe<br />

247


4<br />

an der Hauptstraße. Das Verkaufssortiment<br />

wurde um Betten, Gard<strong>in</strong>en, Bett- <strong>und</strong> Tischwäsche<br />

sowie Oberbekleidung erweitert.<br />

Sommer- <strong>und</strong> W<strong>in</strong>terschlussverkäufe zogen<br />

besonders viele K<strong>und</strong>en an. Wenn an solchen<br />

Tagen morgens die Ladentür geöffnet wurde,<br />

standen schon viele Schnäppchenjäger vor der<br />

Tür. Jeder wollte der Erste se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>mal hatte<br />

Albert-Jan Kl<strong>in</strong>ge se<strong>in</strong>e Ausverkaufsware mit<br />

dem Spruch: „ Ditt gifft alles förn Appel un`n<br />

Ei!“ dekoriert. Prompt erschien e<strong>in</strong> K<strong>und</strong>e mit<br />

e<strong>in</strong>em Apfel <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Ei <strong>in</strong> der Hand. Wohl<br />

oder Übel musste Albert-Jan die Waren nun<br />

herausrücken. Auf diese Weise hat er se<strong>in</strong>e<br />

Ware nie wieder angeboten.<br />

Nach mehreren baulichen Maßnahmen<br />

bekam das Geschäft immer wieder e<strong>in</strong> neues<br />

Gesicht. Für Gard<strong>in</strong>en <strong>und</strong> K<strong>in</strong>derbekleidung<br />

brauchte man mehr Platz. So entschlossen sich<br />

Kl<strong>in</strong>ges Anfang der 80er Jahre, e<strong>in</strong>e Halle anzubauen.<br />

Hier richteten sie e<strong>in</strong>e Abteilung mit<br />

Damen- <strong>und</strong> Herrenoberbekleidung e<strong>in</strong>. Bei regelmäßigen<br />

Modenschauen wurden den K<strong>und</strong>en<br />

die neuste Mode vorgestellt. Als Models<br />

fungierten Frauen aus dem K<strong>und</strong>enstamm oder<br />

die eigenen Verkäufer<strong>in</strong>nen. Albert-Jan fuhr<br />

regelmäßig mit se<strong>in</strong>en Angestellten nach Düsseldorf<br />

oder Neuss, um aktuelle Ware zu ordern.<br />

Alle<strong>in</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong> konnten sich die<br />

K<strong>und</strong>en im Hoogsteder Bekleidungshaus nach<br />

der neusten Mode e<strong>in</strong>kleiden.<br />

248<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Im Sommer 1984 traten durch den Tod von<br />

Herm<strong>in</strong>e Kl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> der Familie <strong>und</strong> im Geschäft<br />

tiefgreifende Veränderungen e<strong>in</strong>. Albert-Jan<br />

führte zunächst das Geschäft mit<br />

Hilfe se<strong>in</strong>er Angestellten weiter. Die Adoptivtochter,<br />

e<strong>in</strong>e Nichte des Ehepaares Kl<strong>in</strong>ge,<br />

hatte e<strong>in</strong>en sozialen Beruf erlernt <strong>und</strong> zeigte<br />

an der Weiterführung des Geschäfts ke<strong>in</strong> Interesse.<br />

Albert-Jan verkle<strong>in</strong>erte den Betrieb<br />

um die angebaute Halle <strong>und</strong> vermietete diese<br />

an den Apotheker Dr. Bernd Ebhardt.<br />

1992 gab Kl<strong>in</strong>ge aus Altersgründen auch<br />

den verbliebenen Teil des Geschäftes auf <strong>und</strong><br />

verpachtete ihn an das „ W<strong>in</strong>keltie“ <strong>und</strong> später<br />

an das Gard<strong>in</strong>enhaus Körner.<br />

Im Herbst 1989 heiratete Kl<strong>in</strong>ge se<strong>in</strong>e<br />

zweite Frau Helga, die nach se<strong>in</strong>em Tod 2008<br />

wieder <strong>in</strong> ihre Heimat <strong>in</strong>s Erzgebirge zog.<br />

Leider ist die Zukunft des ehemaligen Textilhauses<br />

Borgmann ungewiss; es wird vorübergehend<br />

als Matratzenlager genutzt, steht aber<br />

zum Verkauf.<br />

Kl<strong>in</strong>ge als Standesbeamter 1969–1974<br />

Albert-Jan Kl<strong>in</strong>ge übernahm im Jahr 1969 das<br />

Amt des hiesigen Standesbeamten von se<strong>in</strong>em<br />

Vorgänger Karl Potgeter. Aus jener Zeit sei<br />

noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Begebenheit zu erzählen.<br />

Herr Kl<strong>in</strong>ge war e<strong>in</strong> korrekter Standesbeamter,<br />

der Trauungen pflichtbewusst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Wohnzimmer durchführte. E<strong>in</strong>es Tages er-<br />

Albert Jan Kl<strong>in</strong>ge<br />

<strong>und</strong> Elfriede um<br />

1960 im Laden<br />

(Elfriede Voita)


schien e<strong>in</strong> Brautpaar mit se<strong>in</strong>en Trauzeugen<br />

zum vere<strong>in</strong>barten Term<strong>in</strong> bei Frau Kl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong><br />

der Wohnung, doch der Standesbeamte war<br />

nicht anwesend. Oh Schreck, was nun. Er<br />

hatte den Term<strong>in</strong> vergessen <strong>und</strong> war auch<br />

nicht erreichbar. Es herrschte helle Aufregung.<br />

Frau Kl<strong>in</strong>ge bereitete <strong>in</strong> aller Eile alles für die<br />

Trauung vor <strong>und</strong> als der ahnungslose Albert-<br />

Jan erschien, war se<strong>in</strong> Entsetzen groß. Trotzdem<br />

g<strong>in</strong>g alles se<strong>in</strong>en gewohnten Gang. Die<br />

Zeremonie wurde nur um e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e verspätet<br />

vollzogen, was unserem Standesbeamten<br />

sehr pe<strong>in</strong>lich war, es passierte ihm nie wieder.<br />

Frisörgeschäft Drechsel-Büdden<br />

In früheren Jahren kannte man hier <strong>in</strong> Hoogstede<br />

ke<strong>in</strong>en Frisör. Die Männer schnitten sich<br />

gegenseitig ihre Haare, Jungen wurde der<br />

Kopf bis auf e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es „Tüffie“ am Vorderkopf<br />

kahl geschoren. Mädchen trugen Flechten<br />

(Zöpfe) <strong>und</strong> Frauen e<strong>in</strong>en verschlungenen<br />

Nackenknoten mit Haarnetz. G<strong>in</strong>g es um<br />

e<strong>in</strong>en perfekten Haarschnitt oder bei Frauen<br />

um e<strong>in</strong>e Dauerwelle, fuhr man nach Neuenhaus<br />

oder Emlichheim. Erst nach dem Krieg<br />

Ende der 40ger Jahre eröffnete der Frisörmeister<br />

Johannes Veddeler im Hause Thole im<br />

Ortsteil Scheerhorn e<strong>in</strong>en Damen- <strong>und</strong> Herrensalon.<br />

Se<strong>in</strong> Hauptgeschäft befand sich <strong>in</strong><br />

Wilsum. Veddeler stellte bald den Gesellen<br />

GESCHÄFTE<br />

Kurt Drechsel e<strong>in</strong>. Drechsel entstammte e<strong>in</strong>er<br />

Frisörfamilie aus Chemnitz <strong>und</strong> sollte ursprünglich<br />

den Betrieb se<strong>in</strong>er Eltern übernehmen.<br />

Se<strong>in</strong> Elternhaus sowie das Geschäft<br />

wurden während des Krieges durch Bomben<br />

total zerstört <strong>und</strong> somit auch se<strong>in</strong>e Zukunft <strong>in</strong><br />

Chemnitz. In englischer Kriegsgefangenschaft<br />

lernte Kurt Drechsel se<strong>in</strong>en späteren Fre<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Gönner Georg Voet aus Brecklenkamp<br />

kennen. Durch ihn kam Drechsel nach se<strong>in</strong>er<br />

Entlassung als Spätheimkehrer <strong>in</strong> die Grafschaft<br />

Bentheim. Georg Voet besorgte ihm zunächst<br />

Arbeit <strong>in</strong> der Landwirtschaft, darauf<br />

folgte e<strong>in</strong>e Tätigkeit bei der Ölfirma Elweraht<br />

<strong>in</strong> Osterwald. Im Herbst 1949 kehrte Drechsel<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en erlernten Beruf als Frisör zurück.<br />

Bald machte er se<strong>in</strong>e Meisterprüfung <strong>und</strong><br />

übernahm das Geschäft von Johann Veddeler.<br />

Die Anfänge waren damals mühsam <strong>und</strong> bescheiden.<br />

Es gab nur e<strong>in</strong>en Raum, <strong>in</strong> dem<br />

weibliche <strong>und</strong> männliche K<strong>und</strong>en bedient<br />

wurden. Erst als sich der K<strong>und</strong>enkreis vergrößerte<br />

<strong>und</strong> Drechsel se<strong>in</strong>en ersten Lehrl<strong>in</strong>g<br />

(Hermann Oldach) e<strong>in</strong>stellte, mietete er von<br />

Frau Thole andere Räume. Er richtete e<strong>in</strong>en<br />

Herren- <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en separaten Damensalon mit<br />

je drei Bedienungsplätzen e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> weiterer<br />

Raum diente als Büro <strong>und</strong> zum Aufenthalt für<br />

Angestellte. Beheizt wurden die Räume mit<br />

Kohleöfen, Heizung kannte man noch nicht.<br />

Uschi Dummer <strong>und</strong> Kurt Drechsel vor dem alten Frisörgeschäft Drechsel, 1958. Das Geschäft war im Haus Thole,<br />

Hauptstraße103 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

249


4<br />

E<strong>in</strong> schwieriges Problem war damals die Wasserversorgung,<br />

vor allem im Damensalon. In<br />

Hoogstede gab es noch ke<strong>in</strong>e R<strong>in</strong>gwasserleitung<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> den wenigsten <strong>Häuser</strong>n e<strong>in</strong>e<br />

Hauswasserversorgung. Im Haus Thole stand<br />

<strong>in</strong> der Waschküche e<strong>in</strong> Terrazzo-Spülste<strong>in</strong> mit<br />

e<strong>in</strong>er Schwengelpumpe, um damit das Wasser<br />

aus e<strong>in</strong>em Brunnen hochzupumpen. Erhitzt<br />

wurde es bei Frau Thole auf dem Küchenherd,<br />

danach wohl temperiert <strong>in</strong> zwei Liter fassenden<br />

Henkeltöpfen zur Kopfwäsche zu den<br />

Waschbecken gebracht.<br />

Als ich am 1. April 1953 als zweiter Lehrl<strong>in</strong>g<br />

bei me<strong>in</strong>em späteren Stiefvater me<strong>in</strong>e<br />

Lehre begann, stand im Büro bereits e<strong>in</strong> 2-<br />

Flammen-Gaskocher, also e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Erleichterung.<br />

Zu Anfang me<strong>in</strong>er Lehrzeit gab es im<br />

Damenfach nur e<strong>in</strong>e Dauerwelle, die Heiß-<br />

Welle. Bald brachten die Firmen neue schonende<br />

Präparate auf den Markt. Auch im<br />

Salon Drechsel wurde mit diesen Präparaten<br />

genau nach Vorschrift gearbeitet. Leider stellte<br />

sich der erwartete Erfolg nicht e<strong>in</strong>. Die K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen<br />

klagten über e<strong>in</strong> Brennen auf der<br />

Kopfhaut <strong>und</strong> die Haltbarkeit der Dauerwelle<br />

war ger<strong>in</strong>g. Wo lag die Ursache? Kurt Drechsel<br />

ließ im Schwarzkopf-Labor Analysen von<br />

unserem Gr<strong>und</strong>wasser vornehmen. Die Che-<br />

250<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

miker stellten e<strong>in</strong>en großen Eisengehalt des<br />

Wassers fest. Die Eisenteilchen oxydierten mit<br />

dem Dauerwellwasser – daher dieses Brennen<br />

auf der Kopfhaut <strong>und</strong> die ger<strong>in</strong>ge Haltbarkeit.<br />

Das Gr<strong>und</strong>wasser war für die neuen Dauerwellen<br />

ungeeignet. Wie war dieses Problem<br />

am besten zu lösen? Zunächst holten die<br />

Lehrl<strong>in</strong>ge mehrmals am Tag mit Hilfe e<strong>in</strong>es<br />

mit Milchkannen beladenen Handwagens eisenfreies<br />

Wasser aus der etwa 500 Meter entfernten<br />

Wäscherei. Auf mehrfachen Rat, die<br />

Kopfhaut der Dauerwellk<strong>und</strong>en mit Regenwasser<br />

zu waschen, ließ Drechsel Regenr<strong>in</strong>nen<br />

am Haus anbr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> im Garten e<strong>in</strong>e<br />

große Zisterne bauen, <strong>in</strong> der nun Regenwasser<br />

gespeichert wurde. E<strong>in</strong>e Hauswasserversorgung<br />

pumpte das gefilterte Regenwasser zum Wasserhahn<br />

im Büro hoch. Etwa zehn Jahre wurde<br />

mit den beiden verschiedenen Wassersorten<br />

gearbeitet <strong>und</strong> der Erfolg stellte sich e<strong>in</strong>.<br />

Im April 1957 heiratete Kurt Drechsel<br />

me<strong>in</strong>e Mutter, die Witwe Johanna Hans geb.<br />

Brooksnieder. Sie wurde <strong>in</strong> den täglichen Geschäftsablauf<br />

mit e<strong>in</strong>bezogen <strong>und</strong> verrichtete<br />

viele Nebenarbeiten. Ich bekam e<strong>in</strong>en fürsorglichen<br />

Stiefvater, der nicht nur mir, sondern<br />

auch allen se<strong>in</strong>en Lehrl<strong>in</strong>gen se<strong>in</strong> Fach<strong>und</strong><br />

Allgeme<strong>in</strong>wissen vermittelte. Mit se<strong>in</strong>en<br />

Kurt <strong>und</strong> Johanna Drechsel mit allen ehemaligen Lehrl<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> 1974. Kurt Drechsel <strong>und</strong> Johanna geb. Brooksnieder (verw.<br />

Hans) mit v.l. Anni Keute geb. Schö<strong>in</strong>k, Waltraud Körner geb. Becker, Elisabeth Humbert geb. Schonhoff, Johann Lübbers,<br />

Hannelore Bahlo geb. Anders, Hermann Oldach, Gudrun Pohlmann geb. Leitz, Adelheid Schaible geb. Treider, M<strong>in</strong>i Büdden<br />

geb. Hans (M<strong>in</strong>i Büdden)


Angestellten besuchte er oft Preisfrisieren <strong>und</strong><br />

Messen <strong>in</strong> verschiedenen Städten wie Hamburg,<br />

Dortm<strong>und</strong>, München <strong>und</strong> sogar Paris.<br />

E<strong>in</strong> gutes kollegiales Betriebsklima zwischen<br />

Chef <strong>und</strong> Angestellten übertrug sich auch auf<br />

den K<strong>und</strong>enkreis; er vergrößerte sich ständig.<br />

Die bisherigen Räume im Hause Thole reichten<br />

nicht mehr aus. Im Frühjahr 1963 wurde<br />

mit dem Bau e<strong>in</strong>es Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshauses<br />

an der Hauptstraße <strong>in</strong> der Ortsmitte begonnen.<br />

Im November war es dann soweit, der<br />

Frisör–Betrieb Drechsel zog <strong>in</strong> se<strong>in</strong> neues<br />

Domizil. Hier gab es außer den Bedienungsplätzen<br />

getrennte Warteecken für Damen <strong>und</strong><br />

Herren, e<strong>in</strong>e Verkaufs- sowie e<strong>in</strong>e Mixecke.<br />

Auf dem Flur befand sich e<strong>in</strong>e Spültoilette für<br />

K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Personal. Bis dah<strong>in</strong> gab es nur<br />

e<strong>in</strong> Plumpsklosett auf der Diele. Die größten<br />

Erleichterungen waren e<strong>in</strong>erseits die automatische<br />

Ölheizung <strong>und</strong> andererseits die Warm<strong>und</strong><br />

Kaltwasserleitungen an den Waschplätzen.<br />

Endlich gehörte die Rennerei mit den<br />

Wassertöpfen der Vergangenheit an. Das Arbeiten<br />

machte großen Spaß.<br />

Ende der 60er Jahre traten große Verän -<br />

derungen im Geschäft Drechsel e<strong>in</strong>. Langjährige<br />

Angestellte heirateten <strong>und</strong> zogen <strong>in</strong><br />

andere Orte. Kurt Drechsel konnte se<strong>in</strong>en<br />

Beruf aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen nicht<br />

mehr ausführen <strong>und</strong> verpachtete den Betrieb.<br />

Er selber arbeitete <strong>in</strong> der Auto-Firma Hermann<br />

Maathuis als Büroangestellter.<br />

Im August 1974 luden die Drechsels alle<br />

ehemaligen Lehrl<strong>in</strong>ge mit ihren Ehepartnern<br />

GESCHÄFTE<br />

Der rückwärtige Bereich des Anwesens des Gast-<br />

<strong>und</strong> Landwirtes Jan-Harm Harms-Ens<strong>in</strong>k (Wolters)<br />

(Gerrit Ranft)<br />

<strong>in</strong> den Saal Bloemen e<strong>in</strong>. Auf e<strong>in</strong> ausgiebiges<br />

Essen folgte e<strong>in</strong> gemütlicher Teil <strong>und</strong> viele geme<strong>in</strong>same<br />

Erlebnisse wurden <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung<br />

gerufen. Am Schluss des Abends waren sich<br />

alle e<strong>in</strong>ig: „Unsen Boss, de sällt wa betaalen,<br />

loate man wat van`t Konto haalen“ – was er<br />

dann auch gerne getan hat.<br />

Im W<strong>in</strong>ter 1977 starb Kurt Drechsel im<br />

Alter von 60 Jahren nach längerer Krankheit.<br />

Der Salon war <strong>in</strong> den folgenden Jahren an<br />

verschiedene Pächter vermietet, bis unser<br />

Sohn Guido Büdden Interesse am Frisörberuf<br />

zeigte. 1984 kam er zu e<strong>in</strong>em ehemaligen<br />

Lehrl<strong>in</strong>g des Salons Drechsel, Johann Lübbers,<br />

der se<strong>in</strong> Geschäft <strong>in</strong> Itterbeck führt, <strong>in</strong> die<br />

Lehre. Lübbers übernahm vorübergehend den<br />

Hoogsteder Salon als Filiale. Nach gründlicher<br />

Renovierung übernahm Guido Büdden im Januar<br />

1991 das Geschäft se<strong>in</strong>er Großeltern Kurt<br />

<strong>und</strong> Johanna Drechsel. Er führt es zusammen<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau Ute geb. Töller.<br />

251


4<br />

<strong>Häuser</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Handwerker</strong><br />

Villa <strong>und</strong> Familie Stönnebr<strong>in</strong>k<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Bernhard He<strong>in</strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k (1879–1939)<br />

wurde am 21.12.1879 <strong>in</strong> Halle geboren. Er war<br />

seit 1903 als Lehrer an der Schule <strong>in</strong> Scheerhorn<br />

tätig, bis er strafversetzt werden sollte,<br />

weil er heiraten „musste“. Am 27.12.1904 heiratete<br />

er die Haustochter Gesien Schütte (geb.<br />

21.05.1882 <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt). Da se<strong>in</strong>e Frau etlichen<br />

Besitz mit <strong>in</strong> die Ehe brachte, quittierte Stönnebr<strong>in</strong>k<br />

den Schuldienst.<br />

Um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende ließ Stönnebr<strong>in</strong>k<br />

für se<strong>in</strong>e Familie <strong>in</strong> der Ortsmitte e<strong>in</strong><br />

herrschaftliches Haus bauen, das <strong>in</strong> Hoogstede<br />

wegen se<strong>in</strong>er Stattlichkeit <strong>und</strong> Größe die„Villa<br />

Stönnebr<strong>in</strong>k“ genannt wurde. Zum Haus gehörten<br />

e<strong>in</strong> Wohnteil mit e<strong>in</strong>er großen gefliesten<br />

Küche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em mit wertvollen Möbeln<br />

<strong>und</strong> Plüschvorhängen ausgestatteten Wohn-<br />

252<br />

<strong>und</strong> Esszimmer. Die Schlafräume befanden<br />

sich im Obergeschoss. Der Wirtschaftsteil enthielt<br />

e<strong>in</strong>e Diele <strong>und</strong> Ställe für Pferde <strong>und</strong><br />

Kühe. Auf dem dazugehörigen Hof stand e<strong>in</strong>e<br />

Scheune für Kutsche, Wagen <strong>und</strong> Geräte. Zum<br />

Anwesen zählte e<strong>in</strong> großer Gemüse- <strong>und</strong><br />

Obstgarten. Die Familie Stönnebr<strong>in</strong>k besaß<br />

zudem etliche Ländereien <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>stücke,<br />

vor allem im „Stapenberg“, sowie den elterlichen<br />

Hof der Ehefrau <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt – die sogenannte<br />

Schütterey – mit zugehörigem Gr<strong>und</strong><br />

<strong>und</strong> Boden. Diese „Schütterey“ war an Familie<br />

Jünger<strong>in</strong>k verpachtet.<br />

In der Zementfabrik von Stönnebr<strong>in</strong>k, der<br />

„Pannenbude“, waren etliche Arbeiter mit der<br />

Herstellung von Zementdachziegeln, Brunnenr<strong>in</strong>gen<br />

(Püttenr<strong>in</strong>ge) <strong>und</strong> Grabste<strong>in</strong>en beschäftigt.<br />

Der Betrieb ist später e<strong>in</strong>gestellt<br />

worden, aus der „Pannenbude“ wurde e<strong>in</strong>e<br />

Postkarte der<br />

„Cementwarenfabrik<br />

B. Stönnebr<strong>in</strong>k“<br />

etwa 1925.<br />

Notiert auf der<br />

Rückseite dieser<br />

Postkarte aus<br />

dem Besitz der<br />

Familie Rott.<br />

Heckhuis,<br />

Rooy Aalder<strong>in</strong>k,<br />

H. J. Berends,<br />

H. J. Völker,<br />

G. Berends,<br />

Stönnebr<strong>in</strong>k<br />

(Rott)


Anfang 1930er<br />

Jahre, erstes Taxi<br />

von Bernhard<br />

Stönnebr<strong>in</strong>k<br />

(Aus „Alt-<br />

Hoogstede“)<br />

Bernhard He<strong>in</strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k,<br />

Rückseite: „24.12.1934 Für Gesiene“.<br />

Bernhard He<strong>in</strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k starb am 26.02.1939<br />

im Alter von 60 Jahren. Er h<strong>in</strong>terließ drei K<strong>in</strong>der,<br />

Henny, Gesiene <strong>und</strong> Bernhard (Brigitte Stönnebr<strong>in</strong>k)<br />

Wohnung, die Jan Hessel<strong>in</strong>k (Rieks Jan) mit<br />

se<strong>in</strong>er Familie bezog. Anfang der 50er Jahre<br />

kauften Albert <strong>und</strong> Emmi Brill das Haus.<br />

Henny heiratete den Holländer Cornelius<br />

Woudsma. Sie zog mit ihrem Mann nach Holland.<br />

Henny erbte nach dem Tod der Mutter<br />

Gesien am 29.07.1950 e<strong>in</strong>e Hälfte des Hauses<br />

HÄUSER UND HANDWERKER<br />

samt Gartengr<strong>und</strong>stück. In diesem Hausteil<br />

wohnten bis zum Verkauf im Jahr 1978 verschiedene<br />

Familien zur Untermiete.<br />

Gesiene Stönnebr<strong>in</strong>k erbte die „Schütterey“<br />

<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt. Sie übergab ihr Erbe an die<br />

Stadt Nordhorn, die daraufh<strong>in</strong> den Landwirt<br />

Pley aus Nordhorn nach T<strong>in</strong>holt umsiedelte.<br />

Im Gegenzug baute die Stadt für Gesiene<br />

Stönnebr<strong>in</strong>k e<strong>in</strong> Mehrfamilienhaus <strong>in</strong> Nordhorn,<br />

das sie 1954 mit ihren beiden Töchtern<br />

bezog.<br />

Der Sohn Bernhard erbte die andere Haushälfte<br />

der Villa, den ehemaligen Wirtschaftsteil,<br />

der allerd<strong>in</strong>gs schon Anfang der 20er Jahre zu<br />

e<strong>in</strong>em Wohnbereich umgebaut worden war. Zu<br />

se<strong>in</strong>em Erbteil gehörten auch der Hofraum<br />

sowie die Gr<strong>und</strong>stücke im Stapenberg.<br />

Bernhard Stönnebr<strong>in</strong>k jun. heiratete 1942<br />

die Schwarzwälder<strong>in</strong> Paula Bühler. Mit ihrem<br />

Sohn He<strong>in</strong>z lebten sie seit 1945 im elterlichen<br />

Haus. Bernhard Stönnebr<strong>in</strong>k war e<strong>in</strong> begeis -<br />

terter Autofahrer <strong>und</strong> machte das Autofahren<br />

zu se<strong>in</strong>em Beruf. Nach dem Ende des Krieges<br />

gründete er e<strong>in</strong>en Fuhrpark mit LKW, Taxi,<br />

Mietwagen <strong>und</strong> Bus. Der LKW wurde für<br />

Viehtransporte <strong>in</strong>s Ruhrgebiet e<strong>in</strong>gesetzt, mit<br />

dem Taxi fuhr Stönnebr<strong>in</strong>k se<strong>in</strong>e K<strong>und</strong>en <strong>in</strong><br />

die nähere <strong>und</strong> weitere Umgebung <strong>und</strong> nutzte<br />

es auch für Krankenfahrten. Wer ke<strong>in</strong> eigenes<br />

Auto hatte, aber e<strong>in</strong>en Führersche<strong>in</strong> besaß,<br />

konnte sich bei ihm e<strong>in</strong>en Mietwagen ausleihen.<br />

Viele junge Frauen aus Hoogstede <strong>und</strong><br />

Umgebung fanden damals Arbeit <strong>in</strong> der Näherei<br />

ten Cate <strong>in</strong> Almelo. „Stönnebr<strong>in</strong>ks<br />

Bernd“ transportierte sie jeden Tag mit se<strong>in</strong>em<br />

Bus zu ihrer Arbeitsstelle <strong>und</strong> zurück. Der Bus<br />

wurde später auch als Schulbus e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong><br />

für Ausflüge genutzt.<br />

Ab etwa 1960 erweiterte Stönnebr<strong>in</strong>k se<strong>in</strong>en<br />

Fuhrpark um e<strong>in</strong>en Leichenwagen. Er war<br />

damit der erste Leichenbestatter Hoogstedes<br />

<strong>und</strong> verrichtete diesen Dienst bis 1983.<br />

Die Gr<strong>und</strong>stücke im Stapenberg verkaufte<br />

Stönnebr<strong>in</strong>k günstig als Bauplätze <strong>und</strong> ermöglichte<br />

so etlichen, zumeist vertriebenen<br />

Familien die Möglichkeit zum Aufbau e<strong>in</strong>er<br />

neuen Zukunft mit Haus <strong>und</strong> Hof <strong>in</strong> Hoogstede.<br />

Hieraus entstand nach dem Krieg die<br />

erste Siedlung „Im Stapenberg“.<br />

253


4<br />

254<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Im Jahr 1998 – nach dem Tod der Eltern –<br />

verkaufte Sohn He<strong>in</strong>z Stönnebr<strong>in</strong>k die von ihm<br />

geerbte Haushälfte der „Villa Stönnebr<strong>in</strong>k“.<br />

Gesien geb. Schütte <strong>und</strong> Bernhard Stönnebr<strong>in</strong>k sr. mit<br />

Tochter Henny (Brigitte Stönnebr<strong>in</strong>k)<br />

Das alte Spritzenhaus<br />

(ca. 1900–1964)<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

In unmittelbarer Nähe des heutigen Feuerwehr-Gerätehauses<br />

stand vor Jahren das alte<br />

Spritzenhaus. Es war <strong>in</strong> zwei separate Räume<br />

aufgeteilt. In e<strong>in</strong>em stellte die Hoogsteder<br />

Feuerwehr ihre Feuerspritze <strong>und</strong> andere Geräte<br />

unter, der andere hatte e<strong>in</strong> vergittertes<br />

Fensterchen <strong>und</strong> war notdürftig als Zelle<br />

e<strong>in</strong>gerichtet. Hier fanden früher auch Wanderburschen,<br />

die auf der Walz waren, e<strong>in</strong>e<br />

Übernachtungsmöglichkeit. Sie konnten sich<br />

beim Bürgermeister melden, er stellte ihnen<br />

e<strong>in</strong>e Besche<strong>in</strong>igung für e<strong>in</strong>e kostenlose Übernachtung<br />

aus. Der Schlüssel zu diesem Raum<br />

im Spritzenhaus war beim Bahnhofswirt Wilhelm<br />

Taubken deponiert. Dort konnte er abgeholt<br />

<strong>und</strong> am nächsten Morgen wieder<br />

abgegeben werden.<br />

Der Hoogsteder Polizist Alfred Leipner<br />

sperrte auch schon mal Randalierer, sich im<br />

Dorf aufhaltende, streitende Zigeuner oder angetrunkene<br />

Personen zur Ausnüchterung <strong>in</strong><br />

diese Zelle. Gegen Ende des Krieges, als jeder<br />

verfügbare Raum zur Unterbr<strong>in</strong>gung der<br />

Flüchtl<strong>in</strong>ge gebraucht wurde, stand das Feuerwehrauto<br />

<strong>in</strong> der alten katholischen Schule. Im<br />

Spritzenhaus fanden zwei Familien vorüberge-<br />

Postkarte Hoogstede um 1920, Villa<br />

Stönnebr<strong>in</strong>k, Kolonat Stönnebr<strong>in</strong>k u.a. (MB)<br />

Müller`sche Schankwirtschaft <strong>und</strong> Müller`sche Mühle<br />

(Löhnberg, Photogr. Schüttorf) l<strong>in</strong>ks unten Schütterij,<br />

heute Pley, T<strong>in</strong>holt.<br />

hend e<strong>in</strong>e notdürftige Bleibe. Im größeren<br />

Raum lebte Mutter Jodszuweit mit ihren K<strong>in</strong>dern,<br />

im anderen die Familie Rebelsky-Jasch<strong>in</strong>sky.<br />

In den Jahren 1963/64 bekam die Feuerwehr<br />

e<strong>in</strong> neues Gebäude. Das alte Spritzenhaus<br />

hatte se<strong>in</strong>en Dienst getan <strong>und</strong> wurde abgerissen.<br />

Das „Rosemann’sche“ Haus<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Neben dem Gr<strong>und</strong>stück von Bollen steht das<br />

im Jahr 1932 erbaute Haus der Eheleute Albertus<br />

(geb. 16.10.1893) <strong>und</strong> Fennegien (geb.<br />

5.5.1898) Rosemann. Albertus Rosemann war<br />

Bäcker <strong>und</strong> arbeitete <strong>in</strong> der Bäckerei von<br />

Altes Spritzenhaus<br />

vor 1955


HÄUSER UND HANDWERKER<br />

Gerrit-Jan <strong>und</strong> Aaltien Rosemann, 1938. Albertus Rosemann war Sohn dieses Ehepaares (Aus „Alt-Hoogstede“)<br />

Hermann Sloot. In dem vorderen Teil se<strong>in</strong>es<br />

Hauses richtete er e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Lebensmittelverkauf<br />

e<strong>in</strong>, den er aber nach kurzer Zeit<br />

an Geert Lucas verpachtete. Er selber fuhr per<br />

Fahrrad zu se<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> handelte mit<br />

Stoffen. Bevor er später bei der Bentheimer<br />

Eisenbahn als Streckenarbeiter e<strong>in</strong>gestellt<br />

wurde, arbeitete er als Handlanger bei der<br />

Firma Kwade <strong>in</strong> Großr<strong>in</strong>ge.<br />

Das Ehepaar Rosemann lebte mit se<strong>in</strong>en<br />

fünf K<strong>in</strong>dern (Gerda, Ges<strong>in</strong>e, Alide, Gerrit <strong>und</strong><br />

Johann) auf engem Raum, weil schon vor dem<br />

Krieg <strong>in</strong> den vorderen Zimmern die Schwes -<br />

ternstation der Geme<strong>in</strong>de untergebracht war.<br />

Dort wohnten <strong>und</strong> arbeiteten nache<strong>in</strong>ander<br />

die Krankenschwestern Mathilde, Gesiene,<br />

Hermiene (Lübbers) <strong>und</strong> Anni Bartels.<br />

Im Jahr 1970 kauften Luise <strong>und</strong> Hans Hövelkamp<br />

das Haus Rosemann. Sie erweiterten<br />

das Gebäude am h<strong>in</strong>teren Teil um e<strong>in</strong>e Wohnung<br />

<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Halle. Bis 1995 konnte man im<br />

Geschäft Hövelkamp Tapeten, Farben, Bodenbeläge,<br />

Schulbücher <strong>und</strong> Schreibwaren kaufen.<br />

Jetzt bef<strong>in</strong>det sich die Praxis des Zahnarztes<br />

Dr. Holl im ehemaligen Haus Rosemann.<br />

Das Scholten’sche Haus<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Im Ortskern von Hoogstede, an der Hauptstraße<br />

gegenüber der reformierten <strong>Kirche</strong>, steht das<br />

ehemalige Scholten`sche Haus mit der langjährigen<br />

Hausnummer 17, heute Nr. 48.<br />

Im Jahr 1861 kauften der Holzdrechsler<br />

Gerrit Jan Scholten <strong>und</strong> Frau Janna geb. Wiefer<strong>in</strong>k<br />

das Haus mit zugehörigem Hofraum<br />

<strong>und</strong> Ländereien (e<strong>in</strong>e sogenannte Kötterei)<br />

von den Eheleuten Geert <strong>und</strong> Gese Michel geborene<br />

Laarmann.<br />

Der Sohn der Eheleute Scholten, H<strong>in</strong>drik<br />

Jan, geboren im März 1872, erbte nach deren<br />

Tod das ganze Anwesen. H<strong>in</strong>drik Jan Scholten<br />

heiratete im Juni 1906 se<strong>in</strong>e Frau Ges<strong>in</strong>a geb.<br />

B<strong>in</strong>geler aus Kalle. Im Haus Scholten befand<br />

sich neben der Wohnung der Eheleute noch<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Mietwohnung. Im Dielenteil mit<br />

„Bansdöre <strong>und</strong> Unnerschur“ gab es e<strong>in</strong>en<br />

Ziegen- <strong>und</strong> zwei Schwe<strong>in</strong>eställe mit dazwischenliegendem<br />

Plumpsklo.<br />

Die Diele wurde am Sonntag <strong>und</strong> bei Beerdigungen<br />

zum Unterstellen von Fahrrädern<br />

der <strong>Kirche</strong>nbesucher genutzt. Erst wenn das<br />

255


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Das Ehepaar H<strong>in</strong>drik Jan Scholten <strong>und</strong> Ges<strong>in</strong>a<br />

geb. B<strong>in</strong>geler um 1910 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

letzte Rad e<strong>in</strong>gestellt war, wurde die Tür abgeschlossen<br />

<strong>und</strong> dann g<strong>in</strong>g auch das Ehepaar<br />

Scholten zur <strong>Kirche</strong>.<br />

H<strong>in</strong>ter dem Haus stand separat e<strong>in</strong> „Kockhus“<br />

mit e<strong>in</strong>em großen Kessel zum Kochen der<br />

Wäsche <strong>und</strong> des Schwe<strong>in</strong>efutters. Ebenfalls h<strong>in</strong>ter<br />

dem Haus lag e<strong>in</strong> „Höffie“, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gezäunter<br />

Gemüsegarten. Hier wuchsen neben<br />

dem Gemüse verschiedene Beerensträucher.<br />

In Haus <strong>und</strong> Hof waltete <strong>und</strong> schaltete<br />

„Weehldräjers S<strong>in</strong>-Möhj“, so wurde sie im Ort<br />

genannt. Sie war für ihren Fleiß, aber ebenso<br />

für ihre außerordentliche Sparsamkeit bekannt<br />

<strong>und</strong> hat immer für schlechtere Zeiten gespart.<br />

Ihre Liebl<strong>in</strong>gstiere, zwei Ziegen, hat sie besonders<br />

umsorgt <strong>und</strong> regelmäßig gemolken.<br />

Die Milch war damals sehr wertvoll <strong>und</strong><br />

wurde im Haushalt verwendet.<br />

H<strong>in</strong>drik Jan Scholten (de Weehldräjer)<br />

hatte se<strong>in</strong>en Drechsler-Beruf <strong>und</strong> die Werkstatt<br />

von se<strong>in</strong>em Vater übernommen. Se<strong>in</strong>e<br />

Meisterprüfung legte er 1936 <strong>in</strong> Osnabrück ab.<br />

Die Werkstatt – de Dräjkamer – befand sich<br />

längs der Diele zur Straßenseite <strong>und</strong> besaß<br />

e<strong>in</strong>en separaten E<strong>in</strong>gang an der Giebelseite.<br />

Scholten war Fachmann im Herstellen von<br />

Sp<strong>in</strong>nrädern (Weehle, daher der Name Weehl-<br />

256<br />

dräjer) <strong>und</strong> Haspeln. Noch heute gibt es von<br />

ihm gefertigte Sp<strong>in</strong>nräder, die immer noch <strong>in</strong>takt<br />

s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> genutzt werden. E<strong>in</strong> Exemplar<br />

ist im Besitz der Tochter des früheren Hoogsteder<br />

Pastors Voget. Sie wohnt im süddeutschen<br />

Raum <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gt das Sp<strong>in</strong>nrad bei<br />

Bedarf noch heute <strong>in</strong> Gang. E<strong>in</strong> anderes soll<br />

im Amsterdamer Reichsmuseum ausgestellt<br />

<strong>und</strong> zu bew<strong>und</strong>ern se<strong>in</strong>.<br />

H<strong>in</strong>drik Jan Scholten hat wertvolle, gewissenhafte<br />

Arbeit geleistet. Se<strong>in</strong>e von Hand gefertigten<br />

Stühle <strong>und</strong> Sessel gibt es auch heute<br />

noch <strong>in</strong> etlichen Familien. E<strong>in</strong> Nachleimen ist<br />

nahezu nie notwendig. Besonders sorgfältig<br />

verarbeitet waren die Sitzflächen se<strong>in</strong>er Sessel<br />

<strong>und</strong> Stühle, die er aus B<strong>in</strong>sen (Boejse) geflochten<br />

hat. Außerdem fertigte er Holzharken <strong>und</strong><br />

die dazugehörigen Stiele für die Heuernte,<br />

Wellhaken <strong>und</strong> Sensenstiele mit Griff an.<br />

Das Ehepaar Scholten blieb k<strong>in</strong>derlos <strong>und</strong><br />

als S<strong>in</strong>a Scholten im Jahr 1948 plötzlich starb,<br />

war H<strong>in</strong>drik Jan Scholten auf fremde Hilfe angewiesen.<br />

Die Familie Büdden, die damals <strong>in</strong><br />

der Mietwohnung lebte, nahm sich des hilflosen<br />

76-Jährigen an. Bis zu se<strong>in</strong>em Tode wurde<br />

er versorgt <strong>und</strong> gepflegt <strong>und</strong> er vererbte der<br />

Familie als Dank se<strong>in</strong> Haus mit Hofraum.<br />

Das Haus ist seitdem immer wieder um<strong>und</strong><br />

ausgebaut worden. Als erstes änderte man<br />

die ehemalige Werkstatt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Verkaufsraum<br />

mit Schaufenster <strong>und</strong> Regalen um. 1949<br />

eröffneten die „Borgmanns-Wichter“ Treuda<br />

<strong>und</strong> Herm<strong>in</strong>e dann das erste Textilgeschäft <strong>in</strong><br />

Hoogstede. 1961 bis 1964 folgte Johannes Lorenz<br />

Jönssen, er war Elektriker <strong>und</strong> verkaufte<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Geschäft sämtliche Elektrogeräte.<br />

Zu dieser Zeit ist das Dielenende mit<br />

Ställen <strong>und</strong> Unnerschur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Wohnung umgebaut<br />

worden, die dann vom Eigentümer bewohnt<br />

wurde.<br />

In den gewerblichen Räumen befand sich<br />

etliche Jahre die Fahrschule Kurt Hauschild,<br />

später dann e<strong>in</strong> Wollstübchen, darauf das<br />

„W<strong>in</strong>keltien“, danach e<strong>in</strong> Versicherungsbüro<br />

<strong>und</strong> nochmals e<strong>in</strong>e Fahrschule.<br />

In welchem Jahr das Scholten`sche Haus<br />

erbaut worden ist, ist leider nicht festzustellen.<br />

Bei dem Abriss e<strong>in</strong>er alten Mauer fand man<br />

allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> mit der Jahreszahl


1904. Vermutlich fanden zu der Zeit schon<br />

Veränderungen am Haus statt. An e<strong>in</strong>er Giebelwand<br />

bef<strong>in</strong>det sich noch heute der ursprüngliche<br />

Sockel aus Bentheimer Sandste<strong>in</strong>.<br />

Schuster He<strong>in</strong>rich Warmer<br />

(1910–1982)<br />

Johann Jeur<strong>in</strong>k <strong>und</strong> Irma Köster<br />

He<strong>in</strong>rich Warmer, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>wüchsiger Mann,<br />

wurde am 15. März 1910 <strong>in</strong> Hoogstede geboren.<br />

Mit se<strong>in</strong>en Eltern zog er Mitte der 1920er Jahre<br />

nach Diffelen <strong>in</strong> die Niederlande. He<strong>in</strong>richs<br />

Onkel <strong>und</strong> Tante blieben auf dem Hof <strong>in</strong> Hoogstede.<br />

He<strong>in</strong>rich Warmer begann mit 17 Jahren<br />

<strong>in</strong> den Niederlanden e<strong>in</strong>e Ausbildung zum<br />

Schuster . Nach Beendigung der Lehrzeit blieb<br />

er dort e<strong>in</strong>ige Jahre als Schustergeselle. 1932<br />

kehrte er nach Hoogstede zurück. Er wohnte bei<br />

se<strong>in</strong>er Schwester, die <strong>in</strong>zwischen wieder auf den<br />

Hof an der Wilsumer Straße zurückgekehrt war.<br />

Von den beiden kle<strong>in</strong>en Zimmern (Dällenkämerties)<br />

diente ihm e<strong>in</strong>s als Schlafzimmer, das<br />

andere als Werkstatt, als „Schusterkamer“.<br />

Für die K<strong>und</strong>schaft war der Weg zur<br />

„Schusterkamer“ beschwerlich, er führte über<br />

die Diele, wo unter anderem auch gedroschen<br />

HÄUSER UND HANDWERKER<br />

Schafe, Sp<strong>in</strong>nrad, Sense <strong>und</strong> Heuharken vor dem Hause Scholten, heute Büdden. „Weehldräjer“ H<strong>in</strong>drik Jan Scholten<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau Ges<strong>in</strong>a geb. B<strong>in</strong>geler vor ihrem Haus (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

wurde. Trotzdem nahmen damals bereits viele<br />

Hoogsteder Warmers Dienste <strong>in</strong> Anspruch.<br />

1948 baute er auf dem Gr<strong>und</strong>stück se<strong>in</strong>er<br />

Schwester e<strong>in</strong> eigenes Häuschen, das er Mitte<br />

der 1960er Jahre erweiterte. Nachdem der<br />

Stabs musikkapellmeister Hermann Gröbe<br />

(1879–1970) aus der Oberwohnung ausgezogen<br />

war, zog Warmer <strong>in</strong>s Obergeschoss <strong>und</strong><br />

richtete im Erdgeschoss neben der Schusterwerkstatt<br />

e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Laden e<strong>in</strong>. Gröbe<br />

wohnte danach bei der Familie Gosen an der<br />

Bergstraße 20.<br />

Schuster He<strong>in</strong>rich Warmer war e<strong>in</strong> liebenswerter<br />

<strong>und</strong> jederzeit fre<strong>und</strong>licher <strong>und</strong> lebensbejahender<br />

Mensch. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

g<strong>in</strong>gen immer wieder gerne Leute auch ohne<br />

Auftrag zu ihm, um e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Plausch zu<br />

halten. Manches Mal reichte der Platz auf se<strong>in</strong>er<br />

Bank <strong>in</strong> der „Schusterkamer“ für die vielen<br />

Besucher nicht aus.<br />

Hansi, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er gelber Kanarienvogel,<br />

war se<strong>in</strong> ständiger Begleiter. Im Frühjahr 1973<br />

wurde Warmer von e<strong>in</strong>em unbekannten maskierten<br />

Mann brutal überfallen <strong>und</strong> ausgeraubt.<br />

Über diese Tat war das ganze Dorf<br />

erbost. Trotz e<strong>in</strong>er hohen Belohnung blieb<br />

257


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Schuster He<strong>in</strong>rich Warmer (1910-1982) <strong>in</strong> der Werkstatt.<br />

Ähnlich Alt-Hoogstede S. 56 (He<strong>in</strong>rich Warmer)<br />

die Tat ungeklärt. Gleich nach dem Überfall<br />

schaffte Warmer sich zum Schutz e<strong>in</strong>en Schäferh<strong>und</strong><br />

an, der bis zu se<strong>in</strong>er Erkrankung e<strong>in</strong><br />

treuer Begleiter war.<br />

Bis kurz vor se<strong>in</strong>em Tod kam er mit allen<br />

anfallenden Hausarbeiten bestens alle<strong>in</strong>e klar.<br />

Für das Mittagessen <strong>und</strong> die Wäsche sorgte<br />

zuerst se<strong>in</strong>e Schwester, danach se<strong>in</strong>e Nichte.<br />

Am 15.08.1982 verstarb He<strong>in</strong>rich Warmer. Seit<br />

der Zeit hat Hoogstede ke<strong>in</strong>en Schuster mehr.<br />

He<strong>in</strong>rich Haubrich – Zweiräder<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

He<strong>in</strong>rich Haubrich wurde 1890 <strong>in</strong> Großr<strong>in</strong>ge<br />

an der Schleuse im Brückenwärterhaus geboren.<br />

Vom 1. März 1906 bis zum 1. März 1910<br />

war er als Schmied-Lehrl<strong>in</strong>g bei Schmiedemeister<br />

Haubrich <strong>in</strong> Hoogstede.<br />

In e<strong>in</strong>em alten Gebäude an der Molkereistraße<br />

<strong>in</strong> Hoogstede richtete er sich nach der<br />

Lehre e<strong>in</strong>e Fahrradwerkstatt e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Zeitzeug<strong>in</strong><br />

berichtet, sie habe um 1933 für 18<br />

Reichsmark e<strong>in</strong> gebrauchtes Fahrrad bei ihm<br />

gekauft.<br />

1937 baute He<strong>in</strong>rich Haubrich geme<strong>in</strong>sam<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau Reg<strong>in</strong>a geb. Wösten e<strong>in</strong> neues<br />

Haus mit Werkstatt an der Hauptstraße. Dort<br />

verkaufte er Fahrräder, Motorroller, Nähma-<br />

258<br />

Schuster Warmer mit H<strong>und</strong> vor se<strong>in</strong>em Geschäft<br />

(He<strong>in</strong>rich Warmer)<br />

sch<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Zubehör. E<strong>in</strong> Werbespruch damals<br />

lautete: „Fahr auch du – N.S.U.“<br />

He<strong>in</strong>rich Haubrich war leidenschaftlicher<br />

Jäger <strong>und</strong> Jagdhornbläser. In se<strong>in</strong>em Wohnzimmer<br />

stand e<strong>in</strong> Grammophon. Oft legte er<br />

Gesellenzeugnis<br />

H. Haubrich,<br />

*1890<br />

(Gerhard Heet)


Tankstelle<br />

Bollen,<br />

um 1950,<br />

Friedrich Bollen<br />

<strong>und</strong> Johanna<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />

aus T<strong>in</strong>holt<br />

(Aus „Alt-<br />

Hoogstede“)<br />

Haus von He<strong>in</strong>rich Haubrich, jetzt Gerhard Heet, heute<br />

Hauptstraße 96 (Gerhard Heet)<br />

Volks- <strong>und</strong> Jagdliederplatten auf. Das ehemalige<br />

Haus Haubrich wird heute (Hauptstraße<br />

96) von se<strong>in</strong>em Schwiegersohn Gerhard Heet<br />

<strong>und</strong> dessen Frau bewohnt.<br />

Fahrräder<br />

Gerrit Jan Zomer/Friedrich Bollen<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Gerrit Jan Zomer, geboren 1900 <strong>in</strong> R<strong>in</strong>ge, war<br />

Niederländer. Er lebte mit se<strong>in</strong>en Eltern <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>er Schwester <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt auf dem heutigen<br />

Hof Luttermann. Eigentlich sollte er den Hof<br />

der Eltern übernehmen, zeigte aber wenig Interesse<br />

für die Landwirtschaft. Schon <strong>in</strong> T<strong>in</strong>-<br />

HÄUSER UND HANDWERKER<br />

holt handelte er mit Fahrrädern <strong>und</strong> zog 1929<br />

mit se<strong>in</strong>er Frau Johanna geb. Egbers nach<br />

Hoogstede <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heuerhaus, das zum Hof<br />

Hannebrook gehörte. Später baute er sich e<strong>in</strong><br />

eigenes Haus mit Werkstatt an der Hauptstraße,<br />

später Bollen.<br />

Gerrit Jan Zomer wurde von den Nationalsozialisten<br />

bedroht <strong>und</strong> flüchtete im Juni<br />

1937 nach Heemse <strong>in</strong> Holland ab (siehe Seite<br />

357). Se<strong>in</strong>e Frau durfte mit den K<strong>in</strong>dern erst<br />

später ausreisen. Der Schwager Albert Jan<br />

Luttermann kümmerte sich weiter um den Betrieb<br />

<strong>und</strong> verpachtete ihn an den Fahrradmechaniker<br />

Friedrich Bollen, geb. 1908 <strong>in</strong> Ohne,<br />

<strong>und</strong> dessen Frau Tryntje geb. Rehw<strong>in</strong>kel. Bollen<br />

Fritz (wie man ihn im Dorf nannte) beantragte<br />

schon 1938 e<strong>in</strong>e Benz<strong>in</strong>zapfsäule, die<br />

auch genehmigt <strong>und</strong> vor dem Haus an der<br />

Straßenfront e<strong>in</strong>gebaut wurde. E<strong>in</strong>en Tank mit<br />

e<strong>in</strong>em Fassungsvermögen von 3.700 Litern<br />

grub man <strong>in</strong> die Erde e<strong>in</strong>.<br />

Jetzt hatte Hoogstede se<strong>in</strong>e erste Tankstelle,<br />

<strong>und</strong> die wenigen Autos <strong>und</strong> Motorräder,<br />

die es zu der Zeit gab, konnten im Ort<br />

betankt werden. Erst 1954 kaufte die Familie<br />

Bollen das Haus mit Hofraum. 1965 verlegte<br />

man die Tankstelle aufgr<strong>und</strong> der Verbreiterung<br />

der Hauptstraße <strong>in</strong> den h<strong>in</strong>teren Hofraum,<br />

jetzt mit zwei Zapfsäulen. Mittlerweile<br />

gab es <strong>in</strong> Hoogstede <strong>und</strong> Umgebung schon et-<br />

259


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Familie Bollen ungefähr <strong>in</strong> 1943. Luise <strong>und</strong> Johanne mit<br />

ihren Eltern Trientje geb. Rehw<strong>in</strong>kel <strong>und</strong> Friedrich Bollen<br />

(Luise Hövelkamp)<br />

liche stolze Auto- <strong>und</strong> Motorradbesitzer. Bollen<br />

erweiterte se<strong>in</strong>en Betrieb 1967 um e<strong>in</strong>e<br />

Reparaturwerkstatt für Kraftfahrzeuge <strong>und</strong><br />

e<strong>in</strong>e Waschhalle. 1987 kam noch e<strong>in</strong>e Autolackiererei<br />

h<strong>in</strong>zu.<br />

In Bollens Werkstatt wurden im Laufe der<br />

Jahre etliche Lehrl<strong>in</strong>ge ausgebildet. „Fritz was<br />

noch wall ´nen strengen Lehrbaas.“ E<strong>in</strong> ehemaliger<br />

Lehrl<strong>in</strong>g, H<strong>in</strong>drik Jan Lichtenborg, hat<br />

den Betrieb, nachdem Friedrich Bollen <strong>in</strong> den<br />

wohlverdienten Ruhestand gegangen war,<br />

noch e<strong>in</strong>ige Jahre weitergeführt.<br />

Elektrogeschäft Jönssen<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Johannes Lorenz Jönssen, geb. am 29.10.1929<br />

<strong>in</strong> Nordhorn, machte nach se<strong>in</strong>er Schulzeit<br />

e<strong>in</strong>e Lehre als Elektriker. Se<strong>in</strong>e Gesellenjahre<br />

arbeitete er <strong>in</strong> der Obergrafschaft <strong>und</strong> legte<br />

dann se<strong>in</strong>e Meisterprüfung ab. Etwa im Jahr<br />

1958 eröffnete er im Haus von Albert Brill an<br />

der Bergstraße <strong>in</strong> Hoogstede e<strong>in</strong> Elektrogeschäft.<br />

Als im ehemaligen Haus Scholten an<br />

der Hauptstraße e<strong>in</strong> Verkaufsraum mit kle<strong>in</strong>er<br />

Wohnung frei wurde, zog er 1961 mit se<strong>in</strong>er<br />

Familie dort e<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong>e Frau Wilfriede Jönssen<br />

geb. Gerlach führte das Geschäft, <strong>in</strong> dem<br />

elektrische Geräte, Lampen <strong>und</strong> Zubehör angeboten<br />

wurden. Der Zeitpunkt der Eröffnung<br />

war günstig. Die Menschen <strong>in</strong> Hoogstede <strong>und</strong><br />

Umgebung deckten sich zu dieser Zeit mit den<br />

neuesten Elektrogeräten e<strong>in</strong>. So verkaufte die<br />

Familie Jönssen viele Waschmasch<strong>in</strong>en, Kühl-<br />

260<br />

<strong>und</strong> Gefrierschränke <strong>und</strong> natürlich auch die<br />

ersten Fernsehgeräte.<br />

Johannes, besser bekannt als Hans, Jönssen<br />

<strong>in</strong>stallierte mit se<strong>in</strong>en Lehrl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Gesellen<br />

<strong>in</strong> vielen Neubauten die Elektroanlagen.<br />

Mit der Zeit wurde den Jönssens, die zwei<br />

Söhne hatten, Wohnung <strong>und</strong> Verkaufsraum zu<br />

kle<strong>in</strong>. Sie erwarben an der Ecke Hauptstraße/<br />

Wilsumer Straße e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück <strong>und</strong> errichteten<br />

dort e<strong>in</strong> geräumiges Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus.<br />

Im Frühjahr 1964 konnte man<br />

e<strong>in</strong>ziehen <strong>und</strong> dort das Elektrogeschäft erfolgreich<br />

weiterführen. Zu der Zeit wurden <strong>in</strong><br />

Hoogstede viele neue <strong>Häuser</strong> gebaut. So bot<br />

Hans Jönssen auch Dachr<strong>in</strong>nen oder Zubehör<br />

für landwirtschaftliche Melkmasch<strong>in</strong>en an.<br />

1975 eröffnete Firma Jönssen e<strong>in</strong>e Filiale <strong>in</strong><br />

Emlichheim an der Hauptstraße.<br />

Am 12.11 1978 verunglückte Hans Jönssen<br />

tödlich auf der Autobahn bei Bissendorf. Er<br />

wollte se<strong>in</strong>e Frau <strong>in</strong> der Kur besuchen. Es war<br />

unfassbar für se<strong>in</strong>e Frau, die Söhne <strong>und</strong> Angestellten.<br />

Trotz allem führte Wilfriede Jönssen<br />

mit den Angestellten den Betrieb weiter, um<br />

ihn für ihren Sohn Hans-Jürgen zu erhalten.<br />

Hans-Jürgen besuchte die Meisterschule <strong>in</strong> Oldenburg.<br />

Etwa zwei Monate nach dem Tod se<strong>in</strong>es<br />

Vaters verunglückte auch Hans-Jürgen am<br />

09.01.1979 tödlich. Der jüngste Sohn Dietmar,<br />

der e<strong>in</strong>e Ausbildung zum „ Kapitän auf großer<br />

Fahrt“ machte, befand sich auf hoher See. Er<br />

hatte ke<strong>in</strong> Interesse am Geschäft. So verkaufte<br />

Wilfriede Jönssen Haus <strong>und</strong> Geschäft an die<br />

Firma Arens aus Emlichheim. Frau Jönssen zog<br />

zurück nach Nordhorn. Sie heiratete noch e<strong>in</strong>mal<br />

<strong>und</strong> lebt im Jahr 2008 unter dem Namen<br />

Tibbe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pflegeheim.<br />

Schneider<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Nähkurse<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

In früheren Jahren gab es <strong>in</strong> ländlichen Gegenden<br />

wie Hoogstede ke<strong>in</strong> Geschäft, <strong>in</strong> dem<br />

man fertige Kleidung kaufen konnte. Dazu<br />

fehlte auch das nötige Geld. Jede Familie hatte<br />

ihre eigene Hausschneider<strong>in</strong> oder auch e<strong>in</strong>en<br />

Hausschneider, sogenannte „Näjhster“. Sie fertigten<br />

sämtliche Kleidung für Jung <strong>und</strong> Alt. Öfters<br />

im Jahr war die Schneider<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Woche<br />

oder auch länger im Haus, besonders dann,


wenn e<strong>in</strong>e Bauerntochter heiraten wollte. Für<br />

„Utsett maken“ war die Schneider<strong>in</strong> verantwortlich,<br />

ebenso für das Brautkleid, wie auch<br />

für „de Kaste packen bijt Good henbrengen“.<br />

Besonderes Augenmerk wurde auf das Stapeln<br />

der Wäsche im Wäscheschrank gelegt. Damit<br />

die schmal gestapelte Wäsche nicht nach h<strong>in</strong>ten<br />

wegkippte, legte man Kartons als Stütze<br />

dah<strong>in</strong>ter. Zum Schluss wurden bunte Stoffröschen,<br />

Schleifchen <strong>und</strong> Bändchen als Zierde<br />

an die Wäschewand geheftet. Die Schneider<br />

nähten hauptsächlich Jacken, Joppen, Konfirmations-<br />

<strong>und</strong> Trauanzüge.<br />

Für junge Mädchen auf dem Lande war es<br />

früher sehr wichtig, mit Nadel <strong>und</strong> Faden umgehen<br />

zu können. In der Handarbeitsst<strong>und</strong>e <strong>in</strong><br />

der Schule, die nachmittags stattfand, lernte<br />

man die Gr<strong>und</strong>begriffe vom Nähen, Stricken,<br />

Häkeln <strong>und</strong> Stopfen.<br />

Manche Schneider<strong>in</strong>nen boten <strong>in</strong> ihren<br />

Wohnungen <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>termonaten Nähkurse<br />

an. Teilgenommen daran haben Bauerntöchter<br />

<strong>und</strong> Mägde. E<strong>in</strong> Kursus dauerte vier Wochen.<br />

Unter Anleitung der Schneider<strong>in</strong> fertigten sich<br />

die Mädchen Kleider, Blusen, Röcke, Schürzen<br />

<strong>und</strong> Nachtwäsche an. Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte<br />

HÄUSER UND HANDWERKER<br />

E<strong>in</strong> Nähkursus etwa 1937. Geertien Kemper, D<strong>in</strong>a Boll, Hanna Lefer<strong>in</strong>k, Jennegien Egbers, Fenna Kortmann, Grietje Bloemendal,<br />

Anna Kemper, sitzend Gesien Büdden (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

der Teilnehmer<strong>in</strong>nen schauten schon mal <strong>in</strong><br />

der Nähstube vorbei, dann herrschte großes<br />

„Hallo“ bei den Mädchen. Fl<strong>in</strong>k wurden den<br />

Besuchern mit Stoffresten die Schuhe geputzt<br />

<strong>und</strong> dazu e<strong>in</strong> Sprüchle<strong>in</strong> aufgesagt:<br />

„Dir zur Ehre, uns zum Nutzen<br />

will ich dir die Füße putzen.<br />

Ich bitte um ke<strong>in</strong>e großen Gaben,<br />

möchte nur etwas Tr<strong>in</strong>kgeld haben.<br />

Ich will es ja nicht für mich alle<strong>in</strong>,<br />

es soll doch für uns alle se<strong>in</strong>.“<br />

Manchen Schabernack erlaubten sich die<br />

Mädchen vor allem bei den männlichen Besuchern.<br />

Da wurden mal schnell – natürlich<br />

unbemerkt – Handschuhe oder Jackenärmel<br />

zugenäht oder auch bunte Flicken an Jacken<br />

geheftet. Zur Abschlussfeier wurden dann alle<br />

Gönner <strong>und</strong> Spender zu Kaffee <strong>und</strong> Kuchen<br />

e<strong>in</strong>geladen.<br />

Der Tageslohn e<strong>in</strong>es Schneiders oder e<strong>in</strong>er<br />

Schneider<strong>in</strong> betrug um 1930 etwa 2 bis 2,50<br />

Reichsmark oder es wurde mit Naturalien entlohnt,<br />

um 1948, nach Kriegsende etwa fünf<br />

Deutsche Mark.<br />

261


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Nähkurs, etwa 1948. Es stehen v.l. Fenna v.d. Kamp-Bauer, Herm<strong>in</strong>e Engbers-Niers, Anna Höllman-Baschleben, unbekannt,<br />

unbekannt, Leiter<strong>in</strong> Anna H.-Ens<strong>in</strong>k-Derks, Gerda Jeur<strong>in</strong>k-Metten, Berta Bleumer-Beuker, Wilhelm<strong>in</strong>e Hans-Jeur<strong>in</strong>k, Fenna<br />

Lübbers-Mensen <strong>und</strong> Fenna Gosen-Kl<strong>in</strong>ge. Es sitzen v.l. Trude Suhr-Hulzebosch, Gesiene Kolthoff-Wiegm<strong>in</strong>k <strong>und</strong> Everd<strong>in</strong>e<br />

Wiegm<strong>in</strong>k-Oever<strong>in</strong>k (Anna Derks)<br />

Schneider<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Hoogstede waren u.a.<br />

Frau Züwer<strong>in</strong>k-Büdden, Frau Völker, Frau<br />

Günnemann, Frau Brooksnieder, S<strong>in</strong>a Köcklar,<br />

Antonia Dexneit, S<strong>in</strong>a Kle<strong>in</strong>, Anna Harms-Ens<strong>in</strong>k-Derks<br />

<strong>und</strong> Martha Tilch. Herrenschneider<br />

waren Hermann Sentker <strong>und</strong> Bernhard (Berni)<br />

Sommer.<br />

Schneider<strong>in</strong> Aaltien Rosemann bei der Arbeit, 1938<br />

(aus Trachten, Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />

262<br />

Hanf <strong>und</strong> Flachs konnte man mit diesem Sp<strong>in</strong>nrad sp<strong>in</strong>nen<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)


Holzschuhmacher – „Klumpenmaker“<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

E<strong>in</strong> wichtiger Mann für die Landbevölkerung<br />

war früher der Holzschuhmacher. An Sonn<strong>und</strong><br />

Feiertagen, beim Kirchgang oder bei der<br />

Arbeit auf dem Felde – fast immer wurden<br />

Holzschuhe getragen. Lederne Fußbekleidung<br />

konnten sich nur wenige Leute leisten.<br />

In Holzschuhen, die im W<strong>in</strong>ter zusätzlich<br />

mit Stroh ausgelegt waren, blieben die Füße<br />

länger warm. Es gab „hooge“ <strong>und</strong> „läge“<br />

Klumpen. Bei den „lägen“ Klumpen war der<br />

E<strong>in</strong>tritt länger, über dem E<strong>in</strong>tritt wurde e<strong>in</strong><br />

schmaler Lederstreifen – dat Klumpenleer –<br />

gelegt <strong>und</strong> mit „Klumpennägeln“ an beiden<br />

Seiten befestigt. Die guten, fe<strong>in</strong>eren Holzschuhe<br />

für den Sonntag fertigte der Holzschuhmacher<br />

aus dem Holz der Pappel, die für<br />

den täglichen Gebrauch aus Erlen- oder Birkenholz,<br />

da dieses härter <strong>und</strong> robuster ist.<br />

Holzschuhe aus Erlenholz hatten e<strong>in</strong>en rötlichen<br />

Farbton. Um den Ton aufzuhellen,<br />

kochte man die Klumpen e<strong>in</strong>ige St<strong>und</strong>en <strong>in</strong><br />

Wasser.<br />

E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Woche – meistens samstags –<br />

wurden alle Holzschuhe der Familie mit weißem<br />

Sand sauber gescheuert <strong>und</strong> zum Trocknen<br />

an die Hauswand gestellt.<br />

Holzschuhmacher Geert Hans (1865-1953) um 1934 bei<br />

der Arbeit (aus Trachten, Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />

HÄUSER UND HANDWERKER<br />

Hohe <strong>und</strong> niedrige Holzschuhe<br />

(aus Trachten, Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />

E<strong>in</strong>er der Holzschuhmacher im Raum<br />

Hoogstede war Geert Hans, im Volksm<strong>und</strong><br />

„Kösters Geert“ genannt. Er wurde im Jahr<br />

1865 <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>r<strong>in</strong>ge geboren <strong>und</strong> heiratete<br />

1894 nach Bathorn. Dort bewirtschaftete er<br />

e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Bauernhof <strong>und</strong> betätigte sich<br />

nebenbei als Holzschuhmacher. An e<strong>in</strong>em Tag<br />

fertigte er etwa sechs bis sieben Paar, mit Hilfe<br />

se<strong>in</strong>es Sohnes H<strong>in</strong>drikus sogar zehn bis elf<br />

Paar Holzschuhe an. Für jedes Paar bekam er<br />

als Lohn 50 Pfennige, das Holz wurde extra<br />

berechnet.<br />

Hufschmied Hermann Schophuis<br />

Leni Töller<br />

Über den Hufschmied kann man viel Interessantes<br />

erzählen. Hufschmiede wie anno dazumal<br />

gibt es heute nicht mehr. Als K<strong>in</strong>der<br />

waren wir oft dabei, wenn <strong>in</strong> der Schmiede<br />

me<strong>in</strong>es Vaters, Hermann Schophuis, die Pferde<br />

beschlagen wurden. Bei gutem Wetter wurde<br />

die Arbeit draußen an der Straße verrichtet.<br />

Me<strong>in</strong> Vater <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Geselle erledigten die Arbeit<br />

des Hufbeschlagens zusammen. E<strong>in</strong>er hob<br />

das Be<strong>in</strong> des Pferdes an <strong>und</strong> der andere löste<br />

das alte Hufeisen. Die Hufe mussten gere<strong>in</strong>igt<br />

<strong>und</strong> gehobelt werden. Dann wurde e<strong>in</strong> passendes<br />

Hufeisen ausgewählt <strong>und</strong> auf dem Huf<br />

anprobiert. Nun wurde das Eisen <strong>in</strong> das<br />

Schmiedefeuer gelegt <strong>und</strong> wir K<strong>in</strong>der durften<br />

den langen Hebel des Blasebalgs bewegen,<br />

damit die Kohle im Feuer richtig glühte. Das<br />

heiße Eisen wurde wieder am Huf des Pferdes<br />

anprobiert <strong>und</strong> so g<strong>in</strong>g es mehrere Male. Vom<br />

Feuer auf den Amboss <strong>und</strong> von dort wieder auf<br />

263


4<br />

den Pferdehuf, solange bis das Eisen perfekt<br />

auf den Huf passte. Beim Auflegen des heißen<br />

Eisens gab es jedes Mal e<strong>in</strong>en fürchterlichen<br />

Gestank vom verbrennenden Horn. Für das<br />

Pferd war diese Prozedur schmerzlos, da an<br />

der unteren Seite des Hufes ke<strong>in</strong>e Nerven liegen.<br />

Zuletzt befestigte man das Eisen mit den<br />

besonderen Hufnägeln, die durch das Eisen<br />

<strong>und</strong> durch den Huf geschlagen wurden. Die<br />

seitlich heraustretenden Nagelspitzen kniff<br />

man ab <strong>und</strong> feilte alles säuberlich glatt.<br />

In Hoogstede gab es vor 1935 schon drei<br />

Hufschmiede: Haubrich, Wösten <strong>und</strong> Blanke.<br />

Me<strong>in</strong> Vater Hermann Schophuis ist 1910 <strong>in</strong><br />

Agterhorn geboren. Er übernahm 1935 die<br />

alte Schmiede vom Hufschmied Blanke an der<br />

Hauptstraße <strong>in</strong> Hoogstede. Me<strong>in</strong> Vater kam<br />

mit dem Fahrrad aus Agterhorn <strong>und</strong> schlief<br />

von Montag bis Samstag bei der Familie<br />

Blanke „<strong>in</strong> ´t Dellenkämmertien“.<br />

Hufbeschlag-Lehrschmiede Münster 1934,<br />

l<strong>in</strong>ks Herman Schophuis (Leni Töller)<br />

264<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Die Hufbeschlagprüfung legte er <strong>in</strong> Müns -<br />

ter ab. Für die Meisterprüfung fuhr er zweimal<br />

<strong>in</strong> der Woche abends mit dem Fahrrad<br />

nach Nordhorn, um bei Dipl.-Ing. Lütgens Unterricht<br />

zu nehmen. Schon bald dachte me<strong>in</strong><br />

Vater an e<strong>in</strong>e eigene Schmiede <strong>und</strong> konnte<br />

von der Gaststätte Wolters e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück erwerben.<br />

Im Jahre 1938 war es soweit, er heiratete<br />

se<strong>in</strong>e Verlobte Maria <strong>und</strong> zog mit ihr <strong>in</strong> das<br />

neu erbaute Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus an der<br />

Hauptstraße.<br />

Von nun an wurde mit Gesellen <strong>und</strong> Lehrl<strong>in</strong>gen<br />

hart gearbeitet. Den hellen lauten<br />

Klang, den der Hammer verursacht, wenn er<br />

auf den Amboss traf, hörte man im ganzen<br />

Dorf. In den folgenden Jahren kam zur<br />

Schmiede e<strong>in</strong>e Gasol<strong>in</strong>-Tankstelle h<strong>in</strong>zu.<br />

Langsam verdrängten die Autos die Pferdefuhrwerke<br />

<strong>und</strong> so verpachtete me<strong>in</strong> Vater<br />

nach 20 Jahren se<strong>in</strong>e Schmiede <strong>und</strong> die Tankstelle<br />

an Hermann Maathuis.


Blumengeschäft<br />

<strong>und</strong> Eiscafe <strong>in</strong><br />

2008.<br />

Hier stand das<br />

Haus Blanke<br />

(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Ehepaar Willem <strong>und</strong> Tr<strong>in</strong>tje Blanke mit Sohn Gerhard Blanke (1912-1977) (Blanke)<br />

Hufschmiede wurden nicht mehr benötigt<br />

<strong>und</strong> so wurde aus der Schmiede e<strong>in</strong>e Autowerkstatt.<br />

Aus der Gasol<strong>in</strong>-Tankstelle wurde<br />

e<strong>in</strong>e BP-Tankstelle.<br />

Blanke von der Blanke<br />

Die ehemalige Schmiede Blanke stand an der<br />

Ecke der Hauptstraße <strong>und</strong> der jetzigen Blanke.<br />

Das Ehepaar Blanke stammte aus den Niederlanden.<br />

Tr<strong>in</strong>tje Blanke hat lebenslang ihre niederländische<br />

Tracht getragen, wie man sie auf<br />

dem Foto erkennen kann.<br />

HÄUSER UND HANDWERKER<br />

Das Haus Blanke, nach dem die „Blanke“<br />

benannt wurde. (Blanke)<br />

265


4<br />

Personen <strong>und</strong><br />

Persönlichkeiten<br />

Familie Doldersum<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Im Ortsteil Bathorn wohnte vor Jahren die Familie<br />

Rott, später Doldersum. Friedrich Julius<br />

Jordan Rott wurde im Harz geboren <strong>und</strong> wuchs<br />

dort auf. Er g<strong>in</strong>g als junger Maurergeselle auf<br />

Wanderschaft <strong>und</strong> kam <strong>in</strong> die Grafschaft. Beim<br />

Bau des Coevorden-Piccardie-Kanals fand er<br />

Arbeit. Er mauerte Brückenpfeiler, Schleusenwände<br />

<strong>und</strong> Brückenwärterhäuser. Geheiratet<br />

hat er am 24. Juli 1884 Gesien Laarmann aus<br />

Hoogstede. Kurz zuvor kaufte er sich am Böbbeldiek<br />

up de Haar e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück mit kle<strong>in</strong>em<br />

Häuschen von dem Kaufmann Sloot.<br />

Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Tochter (Fenna)<br />

<strong>und</strong> zwei Söhne (Johann <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich) hervor.<br />

Johann Hermann Rott ist im Ersten Weltkrieg<br />

bei Reims <strong>in</strong> Frankreich gefallen. Der<br />

Gerrit-Jan Büdden (1891-1983) beim Korbflechten,<br />

<strong>in</strong> 1977. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> Teekessel auf dem Herd<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

266<br />

Sohn He<strong>in</strong>rich heiratete am 8. September<br />

1939 Jennegien Bekken. Sie waren die ersten<br />

Siedler im Stapenberg <strong>in</strong> Hoogstede. Deren<br />

Sohn Johann <strong>und</strong> Frau Johanne wohnen noch<br />

heute auf dem Gr<strong>und</strong>stück.<br />

Die Tochter Fenna, geb. am 8. November<br />

1884 wohnte ihr ganzes Leben im elterlichen<br />

Haus am Böbbeldiek. Sie heiratete den Holländer<br />

Wellmer Doldersum, geboren 25. Januar<br />

1890. Sie führten zusammen mit fünf K<strong>in</strong>dern<br />

e<strong>in</strong> bescheidenes Dase<strong>in</strong>. Wellmer Doldersum<br />

verdiente se<strong>in</strong> Geld anfangs mit Pollern, das bedeutet<br />

Ödland zu kultivieren mittels Schaufel<br />

<strong>und</strong> Schubkarre – e<strong>in</strong>e schwere Arbeit. Ebenso<br />

verstand er das Korbflechten, Stuhlsitze-w<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> Bürsten-b<strong>in</strong>den (Pottbössel) aus Heide.<br />

Zudem stellte er Reisigbesen her <strong>und</strong> reparierte<br />

Regenschirme. Bekannt war er auch als<br />

Maulwurf-(Frooten)-fänger. Die abgezogenen<br />

Felle der Tiere verkaufte er nach Holland. Erst<br />

<strong>in</strong> späteren Jahren fand er geregelte Arbeit bei<br />

der Emslandstärke <strong>in</strong> Emlichheim. E<strong>in</strong> im<br />

Volksm<strong>und</strong> bekannter Ausspruch von Wellmer<br />

Doldersum war: „Die Großen haben immer<br />

recht, der Kle<strong>in</strong>e kriegt nie recht (gliek).“<br />

Der gemischte Chor<br />

mit Lehrer Wüppen<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Nach dem Krieg im Jahr 1947 trat der Hauptlehrer<br />

Friedrich Wüppen se<strong>in</strong>en Dienst an der<br />

Volksschule <strong>in</strong> Hoogstede an. Er stammte aus<br />

e<strong>in</strong>er sehr musikalischen Familie. Se<strong>in</strong> Vater<br />

war Organist <strong>in</strong> der evangelisch-reformierten<br />

Geme<strong>in</strong>de Emlichheim <strong>und</strong> Leiter des dortigen<br />

Gesangvere<strong>in</strong>s. Lehrer Wüppen suchte bald<br />

nach se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stellung die besten Sänger <strong>und</strong>


Sänger<strong>in</strong>nen aus unserer Schule aus <strong>und</strong><br />

gründete e<strong>in</strong>en Schulchor. Auftritte fanden bei<br />

Schulfesten sowie bei der jährlichen Weihnachtsfeier<br />

statt.<br />

Im Jahr 1950 rief Wüppen alle schulentlassenen,<br />

sangesfreudigen jungen Mädchen<br />

<strong>und</strong> Männer des Kirchspieles Arkel zur Gründung<br />

e<strong>in</strong>es Chores auf. E<strong>in</strong>e stattliche Anzahl<br />

junger Leute fand sich e<strong>in</strong>, <strong>und</strong> der gemischte<br />

Chor unter dem Vorsitz von Ze<strong>in</strong> Lübbers aus<br />

Kalle wurde gegründet. Viele Eltern <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de,<br />

vor allem alle<strong>in</strong>erziehende Witwen,<br />

deren Männer im Krieg geblieben waren, begrüßten<br />

die Idee des Lehrers, weil er der Jugend<br />

e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Freizeitbeschäftigung bot.<br />

Die Übungsst<strong>und</strong>en fanden jeden Dienstagabend<br />

<strong>in</strong> der Schule statt. Vierstimmig wurden<br />

<strong>Kirche</strong>nlieder, Psalmen <strong>und</strong> vor allem<br />

Volkslieder e<strong>in</strong>geübt. Bei besonderen Anlässen<br />

wie e<strong>in</strong>er Goldenen Hochzeit oder e<strong>in</strong>em<br />

achtzigsten oder neunzigsten Geburtstag<br />

brachte der Chor e<strong>in</strong> Ständchen, ebenso bei<br />

Verlobungen <strong>und</strong> Hochzeiten der Mitglieder.<br />

Ab <strong>und</strong> zu begleitete der Chor den sonntäglichen<br />

Gottesdienst <strong>in</strong> der reformierten <strong>Kirche</strong>.<br />

Bei der jährlichen Gedenkfeier zum Volkstrauertag<br />

am Kriegerdenkmal brachte der<br />

Chor passende Lieder zu Gehör. Er verfügte<br />

PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />

Rektor Wüppen mit gemischtem Chor, etwa 1960. Von l<strong>in</strong>ks: Zwantiene Lahuis geb. Lübbers, Wilhelm<strong>in</strong>e Janssen geb. Jonker,<br />

Wüppen, Henni Bleumer geb. Keen, Geertien Jonker geb. Brooksnieder, verdeckt, Jennegien Büssis geb. Alfer<strong>in</strong>k, Frieda Harmsen<br />

geb. Warmer, Alida Wüppen, Hildegard Jauer geb. Warna (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

über e<strong>in</strong>e beachtliche Stimmenqualität <strong>und</strong><br />

übte auch schweres Liedgut e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e gute Sopransänger<strong>in</strong><br />

war Alida Wüppen, die Frau des<br />

Chorleiters. Hatte sie e<strong>in</strong> Solo zu s<strong>in</strong>gen, ließ<br />

sie kurz vor ihrem E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>en „Eierklopp“<br />

durch die Kehle gleiten <strong>und</strong> ihre Stimme klang<br />

besonders hell <strong>und</strong> klar.<br />

Innerhalb des Chores bildeten Mitglieder<br />

bald e<strong>in</strong>e Laien-Spielschar. Im Herbst jeden<br />

Jahres wählten sie e<strong>in</strong> Theaterstück aus (überwiegend<br />

geschrieben von Karl Bunje) <strong>und</strong><br />

übten es unter der Regie von Wüppen e<strong>in</strong>. In<br />

den W<strong>in</strong>termonaten Januar/Februar traten sie<br />

dann mit ihrem Jahresfest an die Öffentlichkeit.<br />

In den ersten Jahren fanden diese<br />

Abende, auch Sängerfest genannt, im Saal<br />

Müller auf e<strong>in</strong>er provisorisch gebauten Bühne<br />

statt. In den Pausen traten die Sänger<strong>in</strong>nen<br />

<strong>und</strong> Sänger mit e<strong>in</strong>igen Liedvorträgen auf.<br />

Spieler wie auch Sänger waren mit großem<br />

Eifer dabei <strong>und</strong> wurden durch lebhaften Beifall<br />

der Zuschauer belohnt.<br />

1963 erweiterte die Gaststätte Lorenz<br />

ihren Saal um e<strong>in</strong>en Bühnenanbau, darauf<br />

verlegte der Chor se<strong>in</strong>e Sängerfeste <strong>in</strong> diesen<br />

Saal. Mit den <strong>in</strong> Plattdeutsch gespielten Bühnenstücken<br />

„De dree Bl<strong>in</strong>dgänger“, „Dat Hörrohr“<br />

<strong>und</strong> „Familienanschluss“ hatten die<br />

267


4<br />

Akteure der Spielschar besonders großen Erfolg.<br />

Der kle<strong>in</strong>e Saal Lorenz war an jedem<br />

Abend bis auf den letzten Platz besetzt, zusätzliche<br />

Term<strong>in</strong>e mussten angesetzt werden.<br />

1964 erkrankte plötzlich kurz vor der Premiere<br />

der Chor- <strong>und</strong> Spielleiter Wüppen, da<br />

vertrat ihn Helmut Leonard, der Leiter des<br />

Emlichheimer Gesangvere<strong>in</strong>s.<br />

Damit die Geselligkeit <strong>in</strong>nerhalb des Chores<br />

nicht zu kurz kam, organisierte der jeweilige<br />

Vorstand jedes Jahr im Sommer e<strong>in</strong>en Ausflug.<br />

Diese Fahrten festigten den Zusammenhalt <strong>und</strong><br />

wurden von den Mitgliedern gerne angenommen.<br />

Mitte bis Ende der sechziger Jahre verließen<br />

etliche Mitglieder den Chor, sei es altersoder<br />

berufsbed<strong>in</strong>gt oder durch Heirat <strong>in</strong> andere<br />

Orte. Der starke Chor schrumpfte bis auf<br />

e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe zusammen. Neue Mitglieder<br />

meldeten sich nicht. Als e<strong>in</strong>e der treuesten<br />

Sänger<strong>in</strong>nen des Chores, M<strong>in</strong>a Jeur<strong>in</strong>k, ihre<br />

Hochzeit feierte, konnte man ihr aus Mangel<br />

an Stimmen das übliche Ständchen nicht s<strong>in</strong>gen.<br />

E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Abordnung fuhr zur Gratulation<br />

<strong>und</strong> Überreichung e<strong>in</strong>es Geschenkes<br />

nach Georgsdorf – e<strong>in</strong>e bedauerliche Situation<br />

für den Chorleiter Wüppen.<br />

Am 1. Mai 1978 trafen sich ehemalige<br />

Chormitglieder noch e<strong>in</strong>mal <strong>und</strong> brachten<br />

dem schon lange <strong>in</strong> Neuenhaus wohnenden<br />

ehemaligen Dirigenten Friedrich Wüppen e<strong>in</strong><br />

Überraschungsständchen zum siebzigsten Geburtstag.<br />

„Krumme Rieke“ <strong>und</strong> „lange Rieke“<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Hendrika (Henny) Müller, e<strong>in</strong>e Schwester des<br />

Hoogsteder Gastwirtes Franz Müller, wohnte<br />

mit ihren K<strong>in</strong>dern He<strong>in</strong>rich <strong>und</strong> Trude <strong>in</strong><br />

ihrem im Jahr 1912 erbauten Haus an der<br />

Hauptstraße (jetziges Haus Günnemann).<br />

Henny Müller erteilte an der katholischen<br />

Schule im Ort Handarbeitsunterricht. Wegen<br />

ihrer e<strong>in</strong> wenig verwachsenen Figur nannte<br />

man sie auch „krumme Rieke“. Ihre langjährige<br />

Mitbewohner<strong>in</strong> Hendrika Diekhuis-Weghake,<br />

geb. am 28. Februar 1868 <strong>in</strong> Laarwald,<br />

bekam von der Bevölkerung aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />

körperlichen Größe den Namen „lange Rieke“.<br />

268<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

So gab es hier im Ort e<strong>in</strong>e „krumme“ <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />

„lange Rieke“. Die K<strong>in</strong>der von Henny Müller<br />

nannten die lange Rieke e<strong>in</strong>fach „Akka“, weil<br />

sie Hendrika nicht aussprechen konnten.<br />

„Akka“ wurde e<strong>in</strong> „Hoogsteder Orig<strong>in</strong>al“.<br />

Hendrika Diekhuis-Weghake genannt Akka, 1868–1955<br />

(Lia Vette)<br />

Die beiden Gastwirte Müller <strong>und</strong> Wolters-<br />

Harms-Ens<strong>in</strong>k bearbeiteten zusätzlich e<strong>in</strong>e<br />

Landwirtschaft, ebenso der Schmied Bernhard<br />

Haubrich. Bei diesen drei Familien gab es für<br />

Akka reichlich Beschäftigung, um sich ihren<br />

genügsamen Lebensunterhalt zu verdienen.<br />

Sie verrichtet schwere Männerarbeit wie Ställe<br />

ausmisten, Mist auf Wagen laden <strong>und</strong> auf den<br />

Acker streuen, Kartoffeln roden <strong>und</strong> so weiter.<br />

All diese Arbeiten erledigte sie ohne zu<br />

murren. Akka scheute vor ke<strong>in</strong>er Arbeit zurück,<br />

sie war im Gegenteil dankbar dafür.<br />

E<strong>in</strong>es Tages erschien Akka notgedrungen<br />

<strong>in</strong> der Praxis des damaligen Arztes Dr. Kurt<br />

Krüger. Irgendwie hatte sie sich ihre Wange<br />

aufgerissen. E<strong>in</strong>e große tiefe W<strong>und</strong>e klaffte <strong>in</strong><br />

ihrem Gesicht. Dr. Krüger wollte die W<strong>und</strong>e<br />

unter Narkose nähen. Ihre Antwort war, er<br />

solle nur anfangen zu nähen – das halte sie<br />

auch ohne Betäubung aus. So war Akka – hart<br />

gegen sich selbst.<br />

In den Sommermonaten traf man Akka oft<br />

auf dem Weg <strong>in</strong>s Moor an. An mehreren


Tagen g<strong>in</strong>g sie zu Fuß <strong>in</strong> Klumpen den langen<br />

Weg „noat Venn“ <strong>und</strong> erledigte dort anfallende<br />

Torfarbeiten. Wurde ihr gelegentlich<br />

e<strong>in</strong>e Mitfahrgelegenheit auf e<strong>in</strong>em Ackerwagen<br />

angeboten, lehnte sie dankend ab. Sie<br />

zockelte lieber neben dem Wagen her, e<strong>in</strong>e<br />

Hand am Ackerwagen, <strong>in</strong> der anderen den<br />

„R<strong>in</strong>gbühl“ mit „Dr<strong>in</strong>kelskanne“ <strong>und</strong> der Tagesration<br />

an Butterbroten. Nebenbei versorgte<br />

Akka noch die Ziegen <strong>und</strong> den Garten von<br />

Henny Müller. Akka ist wegen ihrer Ersche<strong>in</strong>ung<br />

<strong>und</strong> ihres eigenartigen Verhaltens oft<br />

gehänselt <strong>und</strong> verspottet worden, vor allem<br />

auch von K<strong>in</strong>dern.<br />

Als Henny Müller im Jahr 1952 starb,<br />

fühlte sich Akka hilflos <strong>und</strong> alle<strong>in</strong>. In e<strong>in</strong>er<br />

Mietwohnung im Haus lebte damals der katholische<br />

Lehrer Franz Richelmann. Nach se<strong>in</strong>em<br />

Weggang aus Hoogstede zog die Familie<br />

Karl Neumann dort e<strong>in</strong>. Als Akka gebrechlich<br />

<strong>und</strong> krank wurde, übernahm Frau Neumann<br />

die Pflege. Als erstes zog Akka <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en wohnlich<br />

e<strong>in</strong>gerichteten Raum um, bisher befand<br />

sich ihre Schlafstatt neben dem Ziegenstall<br />

auf der Diele. War das Leben von Akka auch<br />

immer arbeitsreich <strong>und</strong> hart gewesen, so kam<br />

sie im hohen Alter doch <strong>in</strong> den Genuss e<strong>in</strong>er<br />

guten Betreuung. Sie starb am 1. April 1955.<br />

Geert Vogelsang 1875–1960 beim Dengeln der Sense<br />

(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />

PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />

Die K<strong>in</strong>der der Henny Müller verkauften<br />

das Haus 1957 an Margarete Fühner, e<strong>in</strong>e gebürtige<br />

Emlichheimer<strong>in</strong>. Sie ließ das Haus um<br />

e<strong>in</strong>en Anbau vergrößern <strong>und</strong> eröffnete e<strong>in</strong><br />

Textil- <strong>und</strong> Wäschegeschäft. Im Jahr 1973 erwarben<br />

Hermann <strong>und</strong> Adele Günnemann das<br />

Haus, Adele Günnemann führte das Textilgeschäft<br />

bis <strong>in</strong> ihr Rentenalter weiter.<br />

Küster Geert Vogelsang (1875–1960)<br />

M<strong>in</strong>i Büdden<br />

Geert Vogelsang (geb.1875) wohnte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Haus am heutigen Neuland Nr. 34. Zu Haus <strong>und</strong><br />

Hof gehörten auch kle<strong>in</strong>ere Ländereien, auf<br />

denen er Getreide anbaute, um damit se<strong>in</strong>e Kuh,<br />

die Schwe<strong>in</strong>e <strong>und</strong> das Kle<strong>in</strong>vieh zu versorgen.<br />

Um se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen aufzubessern, arbeitete er<br />

als Knecht beim Kaufmann Hermann Sloot.<br />

Dort verrichtete er alle anfallenden Arbeiten <strong>in</strong><br />

Haus <strong>und</strong> Hof, vor allem aber im Kohlenlager<br />

beim E<strong>in</strong>sacken von Briketts <strong>und</strong> Eierkohlen.<br />

Vielen älteren Hoogstedern ist Geert Vogelsang<br />

<strong>in</strong> guter Er<strong>in</strong>nerung als langjähriger Küs -<br />

ter der evangelisch-reformierten <strong>Kirche</strong>ngeme<strong>in</strong>de.<br />

Zu se<strong>in</strong>en Aufgaben zählte das tägliche<br />

Mittagsgeläut um 12 Uhr wie auch das Läuten<br />

zu allen Gottesdiensten <strong>und</strong> Beerdigungen.<br />

Zu jener Zeit wurden die Glocken noch per<br />

Hand geläutet. Durch rhythmisches Ziehen der<br />

langen Seile unten im Turm wurden die Glo -<br />

cken zum Schw<strong>in</strong>gen gebracht, das erforderte<br />

erhebliche Kräfte.<br />

Das Bedienen des Blasebalges an der Orgel<br />

gehörte ebenso zum Küsterdienst. Bei jedem<br />

Orgelspiel musste er zur Stelle se<strong>in</strong>. Viel Arbeit<br />

gab es für den Küster auch im W<strong>in</strong>ter. In<br />

zwei großen Öfen, die im Herbst im <strong>Kirche</strong>nraum<br />

aufgestellt wurden, zündete er schon<br />

St<strong>und</strong>en vor Gottesdienstbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> Feuer an.<br />

Geheizt wurde überwiegend mit Torf.<br />

Geert Vogelsang starb 1960. Se<strong>in</strong>e dritte<br />

Ehefrau, Fennegien geb. Hannebrook, überlebte<br />

ihn. Se<strong>in</strong> Sohn Jan H<strong>in</strong>drik wohnte <strong>in</strong> Neustadt/<br />

Holste<strong>in</strong>. Stiefsohn Friedrich Naber <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Frau Berta versorgten ihn bis <strong>in</strong>s hohe Alter.<br />

Aus den Ländereien wurden nach se<strong>in</strong>em Tod<br />

Bauplätze, das Haus wurde verkauft. Auch<br />

Naber nahmen lange Zeit die Küsterdienste <strong>in</strong><br />

der reformierten Geme<strong>in</strong>de wahr.<br />

269


4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Küster Vogelsang beim Rasene<strong>in</strong>säen (1920-1925). Von l<strong>in</strong>ks: Geert Vogelsang, e<strong>in</strong> Helfer, zwei K<strong>in</strong>der von Pastor Voget mit<br />

Aaltien Bloemendal. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks die <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> rechts der Lehrsaal<br />

Dr. Jan Jeur<strong>in</strong>k (1913-1995)<br />

Hedwig Claudi, Neuenhaus<br />

Jan Jeur<strong>in</strong>k wurde am 1. August 1913 <strong>in</strong> Arkel<br />

geboren als ältester Sohn des Landwirts Johann<br />

Jeur<strong>in</strong>k <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Ehefrau Aaltien, geb.<br />

Meier. Er ist am 25. Dezember 1995 verstorben<br />

<strong>und</strong> <strong>in</strong> Neuenhaus beerdigt.<br />

Unfallbed<strong>in</strong>gt konnte Jan Jeur<strong>in</strong>k den elterlichen<br />

Hof nicht übernehmen. Deshalb<br />

machte er 1937 se<strong>in</strong> Abitur an der Aufbauschule<br />

<strong>in</strong> Nordhorn. Anschließend besuchte er<br />

zwei Jahre die Hochschule für Lehrerbildung<br />

<strong>in</strong> Oldenburg <strong>und</strong> arbeitete dann als Lehrer an<br />

der zweiklassigen Schule <strong>in</strong> Wilsum.<br />

Im Herbst 1940 g<strong>in</strong>g Jan Jeur<strong>in</strong>k an die<br />

Universität <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen. 1942 bestand er dort<br />

das Diplomexamen <strong>und</strong> wurde 1943 zum Doktor<br />

der Landwirtschaft ernannt. Er blieb bis<br />

Sommer 1948 an der Universität Gött<strong>in</strong>gen als<br />

wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Seedorff.<br />

1946 heiratete er Hedwig Claudi aus Neuenhaus.<br />

Mit ihr hat er e<strong>in</strong>en Sohn.<br />

1948/49 absolvierte er e<strong>in</strong>e Ausbildung als<br />

Landwirtschaftslehrer <strong>in</strong> Meppen. Danach war<br />

er dort bis 1955 als Landwirtschaftslehrer <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsberater tätig.<br />

270<br />

Jan Jeur<strong>in</strong>k (1913–1995)<br />

1955 wurde Dr. Jan Jeur<strong>in</strong>k Referent der<br />

Landwirtschaftskammer Oldenburg <strong>und</strong> blieb<br />

bis zum 1. August 1984 fast dreißig Jahre als<br />

Hauptschriftleiter <strong>und</strong> Verlagsleiter für das<br />

Landwirtschaftblatt Weser-Ems verantwortlich.


Obertreiber<br />

Timmer Bätz<br />

während der<br />

Treibjagd<br />

(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Jan Jeur<strong>in</strong>k überreicht J. H. Koops 1985 „Mien aule<br />

Ollerhuus“ (Willy Friedrich)<br />

1972 wurde er zudem zum Landwirtschaftsdirektor<br />

ernannt <strong>und</strong> er erhielt im Sommer<br />

1980 für se<strong>in</strong>e Verdienste <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />

den Niedersächsischen Verdienstorden am<br />

Bande. Getragen hat er ihn nie, dafür war er zu<br />

bescheiden. Der Orden blieb <strong>in</strong> der Schatulle.<br />

Nach se<strong>in</strong>er Pensionierung hat Jan Jeur<strong>in</strong>k<br />

sich ausschließlich der volksk<strong>und</strong>lichen Arbeit<br />

gewidmet, <strong>in</strong>sbesondere se<strong>in</strong>er Heimat, der Niedergrafschaft<br />

Bentheim, <strong>und</strong> dem bäuerlichen<br />

Berufsstand. So dokumentierte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

plattdeutschen Buch „Mien aule Ollerhuus“ das<br />

Leben <strong>und</strong> die Gebräuche auf dem Lande. Er<br />

PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />

schrieb die Schulchronik se<strong>in</strong>er Heimatschule<br />

Hoogstede. Außerdem entstand <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />

mit dem Museumsdorf Cloppenburg<br />

das Buch „Die Trachten der Niedergrafschaft<br />

Bentheim“. Er schrieb zahlreiche Artikel über<br />

Sitten <strong>und</strong> Gebräuche se<strong>in</strong>er Heimat. „Der Grafschafter“<br />

hat viele Beiträge gedruckt <strong>und</strong> veröffentlicht.<br />

Dr. Jan Jeur<strong>in</strong>k war stets e<strong>in</strong> Grafschafter<br />

Bauernsohn, se<strong>in</strong>er Heimat fühlte er sich verpflichtet<br />

<strong>und</strong> war mit ihr eng verb<strong>und</strong>en. Er<br />

starb Ende 1995 <strong>und</strong> fand se<strong>in</strong>e letzte Ruhestätte<br />

<strong>in</strong> Neuenhaus.<br />

Timmer Bätz<br />

– Lambertus Jeur<strong>in</strong>k (1900–1986)<br />

Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />

Mit se<strong>in</strong>em richtigen Namen „Lambertus Jeur<strong>in</strong>k“<br />

kannten <strong>und</strong> kennen ihn wenige, als<br />

„Timmer Bätz“ jedoch war <strong>und</strong> ist er vielen <strong>in</strong><br />

Hoogstede <strong>und</strong> Umgebung bekannt. Lambertus<br />

wurde mit se<strong>in</strong>em Zwill<strong>in</strong>gsbruder Friedrich<br />

Jeur<strong>in</strong>k am 1. Juni 1900 <strong>in</strong> Hoogstede auf<br />

dem elterlichen Hof an der jetzigen Wilsumer<br />

Straße geboren. Mit vier<strong>und</strong>zwanzig Jahren<br />

heiratete er Fenna Jeur<strong>in</strong>k (genannt Timmer).<br />

Fortan wohnte er auf der Hofstelle am heutigen<br />

Schwarzen Diek <strong>und</strong> bewirtschaftete den<br />

landwirtschaftlichen Betrieb.<br />

Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen vier Töchter hervor.<br />

Die älteste Tochter D<strong>in</strong>a blieb auf dem elterlichen<br />

Betrieb. Sie heiratete 1953 H<strong>in</strong>drik-Jan<br />

271


4<br />

van Münster, der heute drei<strong>und</strong>achtzigjährig<br />

geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>er Tochter Luise Hessel<strong>in</strong>k<br />

das längst von e<strong>in</strong>em landwirtschaftlichen Gebäude<br />

zu e<strong>in</strong>em modern umgebauten Wohnhaus<br />

bewohnt.<br />

Die se<strong>in</strong>erzeitige mittelgroße Hofstelle ermöglichte<br />

Vater Lambertus, nach der E<strong>in</strong>heirat<br />

se<strong>in</strong>es Schwiegersohnes nebenbei <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de<br />

ehrenamtliche Tätigkeiten auszuüben.<br />

Von Nachbarn <strong>und</strong> Bekannten ließ Timmer Bätz<br />

sich zeitlebens gern zur Hilfe rufen, <strong>und</strong> es<br />

ehrte ihn sehr, wenn man sich se<strong>in</strong>er Tatkraft<br />

<strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Erf<strong>in</strong>dungss<strong>in</strong>n anvertraute.<br />

Fast täglich sah man ihn, e<strong>in</strong>en großen<br />

schlanken Mann, mit se<strong>in</strong>er Fietse durch das<br />

Dorf fahren. Er <strong>in</strong>formierte sich gerne über<br />

alles Wissenswerte aus der Geme<strong>in</strong>de <strong>und</strong> war<br />

auch anderen gegenüber sehr mitteilsam. Man<br />

sah ihn sehr oft, wie er sich mit Leuten unterhielt.<br />

Meistens stand er dabei auf dem l<strong>in</strong>ken<br />

Be<strong>in</strong>, das rechte hatte er noch über den Fahrradsattel<br />

geschwungen. Dabei rauchte er fast<br />

immer e<strong>in</strong>e Pfeife <strong>und</strong> <strong>in</strong> Ausnahmefällen e<strong>in</strong>e<br />

gute „Handelsgold“.<br />

Menschen wie er, den viele als e<strong>in</strong>en guten<br />

<strong>und</strong> aufrichtigen Mann kannten, waren prädest<strong>in</strong>iert,<br />

Arbeiten <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de zu verrichten<br />

<strong>und</strong> öffentliche Ämter zu bekleiden.<br />

So hat auch Timmer Bätz viele Jahre uneigen -<br />

nützig der Allgeme<strong>in</strong>heit gedient.<br />

Hand- <strong>und</strong> Spanndienste<br />

Mehrere Jahre gehörte er – vor der Geme<strong>in</strong>dereform<br />

– dem Hoogsteder Geme<strong>in</strong>derat an.<br />

Damals g<strong>in</strong>g es auch darum, die Not <strong>in</strong> den<br />

ersten Nachkriegsjahren zu überw<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />

das Schulwesen wieder neu aufzubauen. Straßen<br />

<strong>und</strong> Radwege, wie man sie heute <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>de vorf<strong>in</strong>det, waren nicht vorhanden.<br />

Bis auf die heutige Hauptstraße, die se<strong>in</strong>erzeit<br />

aus Kopfste<strong>in</strong>en gepflastert war, waren alle anderen<br />

Wege re<strong>in</strong>e Sandwege, die sich teilweise<br />

<strong>in</strong> schlechtem Zustand befanden. Hier <strong>und</strong> da<br />

gab es entlang e<strong>in</strong>es solchen Sandweges auch<br />

e<strong>in</strong>en Fietsenpatt, der mit Holzpfählen zum<br />

Hauptweg h<strong>in</strong> abgegrenzt war.<br />

Solche Wege galt es im Zuge des bewährten<br />

Hand- <strong>und</strong> Spanndienstes <strong>in</strong> Ordnung zu<br />

br<strong>in</strong>gen. Das nannte man „Buurwerken“. Diese<br />

272<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Arbeiten wurden fast ausschließlich von<br />

Landwirten verrichtet, die auch den größten<br />

Nutzen von den Wegen hatten. Gesetzliche<br />

Gr<strong>und</strong>lagen für die Anzahl der Arbeitsst<strong>und</strong>en<br />

mit oder ohne Pferd gab es nicht. So hat<br />

Timmer Bätz diese Arbeiten organisiert. Trotz<br />

dieser mehr oder weniger freiwilligen Basis ist<br />

es ihm gelungen, immer wieder die Leute für<br />

Ausbesserungsarbeiten zu gew<strong>in</strong>nen, obwohl<br />

se<strong>in</strong>e Berufskollegen zu der Zeit schon alle<br />

hart arbeiten mussten. Es war schon e<strong>in</strong><br />

schwierigeres Unterfangen, die Leute für den<br />

Hand- <strong>und</strong> Spanndienst zu gew<strong>in</strong>nen.<br />

Das konnte nur gel<strong>in</strong>gen, weil er selber als<br />

gutes Vorbild vorang<strong>in</strong>g <strong>und</strong> man ihm für die<br />

E<strong>in</strong>teilung e<strong>in</strong>e gewisse Gerechtigkeit zugestand<br />

<strong>und</strong> somit entsprechend auch respektierte.<br />

Er lud dazu e<strong>in</strong>, führte Buch über<br />

geleistete St<strong>und</strong>en – mit oder ohne Pferd –<br />

teilte die Leute e<strong>in</strong> <strong>und</strong> bestimmte die E<strong>in</strong>satzstellen.<br />

Das war ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Aufgabe,<br />

die er viele Jahre uneigennützig zum Wohl der<br />

Allgeme<strong>in</strong>heit ausübte.<br />

Als Anfang der fünfziger Jahre die Hauptverkehrswege<br />

mit Schotter befestigt wurden,<br />

hat Timmer Bätz geme<strong>in</strong>sam mit Bürgermeis -<br />

ter Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k die Bordste<strong>in</strong>e gesetzt.<br />

Das Nivellement haben beide eigenverantwortlich<br />

festgelegt. Dass das nicht immer im<br />

S<strong>in</strong>ne aller geschehen konnte, lag <strong>in</strong> den verschiedenen<br />

Interessen der Anlieger begründet.<br />

Neben den harten Arbeiten wurde beiden<br />

Rückgrat abverlangt.<br />

Ortsvere<strong>in</strong> <strong>und</strong> Pferdeversicherung<br />

Der Bereich Landwirtschaft lag ihm sehr am<br />

Herzen. Er trat stets für die Belange se<strong>in</strong>er<br />

bäuerlichen Berufskollegen e<strong>in</strong>. So ist es nicht<br />

verw<strong>und</strong>erlich, dass er viele Jahre im Landwirtschaftlichen<br />

Ortsvere<strong>in</strong> Hoogstede die<br />

Kasse führte.<br />

E<strong>in</strong>e Leidenschaft von ihm war auch, sich<br />

im Pferdeversicherungsvere<strong>in</strong> Emlichheim/<br />

Laar verantwortungsvoll mit e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />

Hier ließen die Landwirte e<strong>in</strong>mal jährlich ihre<br />

Arbeitspferde schätzen <strong>und</strong> den Versicherungswert<br />

festlegen. Dieses setzte gewisse<br />

Tierkenntnisse voraus. Auch hier zeigte er geme<strong>in</strong>sam<br />

mit weiteren „Schätzern“ beim Fest-


legen des „Pferdewertes“ <strong>und</strong> somit der Versicherungssumme<br />

Rückgrat.<br />

Geme<strong>in</strong>devertretung <strong>und</strong> Feuerwehr<br />

Auch im kirchlichen Bereich war er engagiert.<br />

E<strong>in</strong>e Zeit lang war er Mitglied <strong>in</strong> der reformierten<br />

Geme<strong>in</strong>devertretung. Wo Arbeit zu<br />

verrichten war, war er mit dabei. Der Freiwilligen<br />

Feuerwehr gehörte er seit 1940 an.<br />

Durch se<strong>in</strong> hilfsbereites Wirken erwarb er sich<br />

auch hier große Verdienste. Von 1954 bis<br />

1964 war er ihr Brandmeister. Se<strong>in</strong> Führungsstil<br />

– so hört man heute noch von früheren<br />

Feuerwehrkameraden – sei weder autoritär<br />

noch lasch gewesen. Vielmehr übertrug er<br />

jedem se<strong>in</strong>er „Jungs“ e<strong>in</strong>e hohe Eigenverantwortlichkeit.<br />

Gerne erzählte er von der Feuerwehrschule<br />

<strong>in</strong> Loy bei Oldenburg.<br />

Während se<strong>in</strong>er Hauptzeit <strong>in</strong> der Feuerwehr<br />

war diese <strong>in</strong> der ehemaligen katholischen<br />

Volksschule an der Hauptstraße <strong>in</strong> Höhe<br />

der Hofzufahrt zum Büro der Firma Gosen<br />

stationiert.<br />

Genossenschaft<br />

Auch <strong>in</strong> das Genossenschaftswesen hat Timmer<br />

Bätz sich e<strong>in</strong>gebracht. Er war <strong>in</strong> der Zeit<br />

von 1956 bis 1969 im Vorstand der Raiffeisen-Warengenossenschaft<br />

Großr<strong>in</strong>ge e.G. ehrenamtlich<br />

tätig. Hier half er mit se<strong>in</strong>em<br />

allzeit geschätzten Rat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Erfahrungen.<br />

Damals hatte die Raiffeisen-Warengenossenschaft<br />

noch e<strong>in</strong>e Ausgabestelle <strong>in</strong> der<br />

alten „Müllerschen“ Scheune <strong>in</strong> Hoogstede,<br />

gleich neben der Viehwaage, wo sich heute<br />

der Dorfplatz mit dem Brunnen bef<strong>in</strong>det.<br />

Während des ganzen Jahres führte Timmer<br />

Bätz Nebentätigkeiten aus. Hierbei handelte es<br />

sich überwiegend um Tätigkeiten, die nicht<br />

jeder ausführen konnte, oder die auch Mut erforderten.<br />

Zum Beispiel galt es, junge Pferde<br />

zu belehren. Da gab es dann ab <strong>und</strong> zu schon<br />

mal Pferde, die sich nicht gerne vor landwirtschaftliche<br />

Geräte spannen ließen. Solchen<br />

scheuen, jungen <strong>und</strong> teilweise wilden Pferden<br />

das Geschirr anzulegen <strong>und</strong> vorzuspannen,<br />

war nicht ungefährlich <strong>und</strong> absolut nichts für<br />

zaghafte Männer. Genau das war etwas, was<br />

Timmer Bätz gerne tat. Es war für ihn e<strong>in</strong>e<br />

PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />

Herausforderung. Und stolz war er, wenn <strong>in</strong><br />

der „Buurschup“ erzählt wurde, dass Timmer<br />

Bätz es geschafft habe, wieder e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> störrisches<br />

Pferd so zu belehren, dass es <strong>in</strong> der<br />

Landwirtschaft als Arbeitspferd e<strong>in</strong>gesetzt<br />

werden konnte.<br />

Und dann gab es da noch komplizierte<br />

Bruchoperationen bei Ferkeln. Für solche<br />

schwierigen Fälle war Timmer auch <strong>in</strong> den<br />

umliegenden Geme<strong>in</strong>den als „Helfer <strong>in</strong> der<br />

Not“ ohne Tierarztkonditionen bekannt <strong>und</strong><br />

wurde gerne geholt. Das galt auch für H<strong>und</strong>e<strong>und</strong><br />

Katzenkastrationen.<br />

Kartoffeldämpfer <strong>und</strong> Hausschlachter<br />

Se<strong>in</strong>e „drokste“ Zeit begann im Herbst. Dann<br />

war er mit dem Kartoffeldämpfer unterwegs.<br />

Mit Wasserdampf wurden die zuvor gere<strong>in</strong>igten<br />

Kartoffeln gegart. Diesen Vorgang effizient<br />

durchführen konnte nicht jeder, <strong>und</strong> das<br />

setzte langjährige Erfahrungen voraus. Die so<br />

gewonnenen Silokartoffel wurden <strong>in</strong> der darauffolgenden<br />

Zeit an Schwe<strong>in</strong>e verfüttert.<br />

Timmer Bätz beim „Erpeldämpfen“<br />

(Aus „Alt-Hoogstede“)<br />

Wenn die „Dämpfzeit“ abgeschlossen war,<br />

begann für Timmer die Zeit der Hausschlachtungen.<br />

Mit e<strong>in</strong>em Bolzenschussgerät, e<strong>in</strong><br />

paar scharfen Messern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Gummischürze<br />

ausgestattet, begann se<strong>in</strong> Arbeitstag<br />

– wie auch während der Zeit des Kartoffeldämpfens<br />

– bereits <strong>in</strong> den frühen Morgenst<strong>und</strong>en.<br />

E<strong>in</strong> solcher Schlachttag wurde m<strong>in</strong>destens<br />

sechs bis acht Wochen im Voraus fest vere<strong>in</strong>bart.<br />

E<strong>in</strong>e Woche vorher bestätigte er den Tag<br />

273


4<br />

noch e<strong>in</strong>mal <strong>und</strong> er gab Anweisungen, die man<br />

zu befolgen hatte. Dazu zählte unter anderem,<br />

dass die Schlachttiere abends nicht mehr gefüttert<br />

werden durften. Weiterh<strong>in</strong> mussten ausreichend<br />

Behältnisse vorhanden se<strong>in</strong> <strong>und</strong> zu<br />

e<strong>in</strong>em bestimmten Zeitpunkt musste kochendes<br />

Wasser <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Behälter bereitstehen,<br />

<strong>in</strong> das das geschlachtete Schwe<strong>in</strong> dann gelegt<br />

<strong>und</strong> abgebrüht wurde, um danach die Borsten<br />

mit e<strong>in</strong>em Spezialmesser abzuschaben.<br />

Wenn das geschlachtete R<strong>in</strong>d auf der Diele<br />

am Haken <strong>und</strong>/oder das Schwe<strong>in</strong> an der Leiter<br />

h<strong>in</strong>g, war das erste geschafft. Darauf stieß<br />

man mit e<strong>in</strong>em „Söpien“ oder auch zwei an.<br />

Gegen Abend oder aber am nächsten Tag g<strong>in</strong>g<br />

es weiter. Die Zerlegung der geschlachteten<br />

Tiere sowie das Wursten <strong>und</strong> E<strong>in</strong>pökeln waren<br />

noch zu erledigen.<br />

Ober-Jagdtreiber<br />

Trotz dieser für ihn hektischen Zeit nahm er<br />

gerne E<strong>in</strong>ladungen zu den Hoogsteder Treibjagden<br />

an. Mit e<strong>in</strong>em auf se<strong>in</strong>e Körpergröße<br />

zugeschnittenen Treiberstock <strong>und</strong> Gummistiefeln<br />

ausgestattet, war ihm ke<strong>in</strong> Stacheldrahtzaun<br />

zu hoch <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Graben zu breit, auch<br />

wenn er manches Mal die H<strong>in</strong>dernisse unterschätzte.<br />

Das war für ihn ke<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>, vorzeitig<br />

nach Hause zu gehen. Die Treibjagd war auch<br />

für ihn erst zu Ende, wenn man nach der Jagd<br />

noch e<strong>in</strong> paar gesellige St<strong>und</strong>en mite<strong>in</strong>ander<br />

verbracht hatte <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>e Aufbruchstimmung<br />

da war. So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich,<br />

dass Timmer Bätz als erste Person von der<br />

Hoogsteder Jagdgeme<strong>in</strong>schaft zum „Obertreiber“<br />

gewählt wurde.<br />

Mitgefühl<br />

Timmer hat <strong>in</strong> vielen Situationen Mitgefühl<br />

bewiesen. So ist er gesehen worden, als e<strong>in</strong><br />

Bewohner des Armenhauses wegen e<strong>in</strong>er ihm<br />

nachgewiesenen Unregelmäßigkeit als Häftl<strong>in</strong>g<br />

für e<strong>in</strong> paar Tage im Spritzenhaus „e<strong>in</strong>gebuchtet“<br />

worden war, dass er diesem bei<br />

Dunkelheit <strong>in</strong> späten Abendst<strong>und</strong>en warme<br />

Mahlzeiten gebracht hat. Das Spritzenhaus<br />

befand sich <strong>in</strong> der Nähe des Bahnüberganges<br />

an der Bergstraße, wo sich heute der Kiebitzmarkt<br />

bef<strong>in</strong>det.<br />

274<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Timmer Bätz auf Treibjagd. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> von l<strong>in</strong>ks: A.-J. Keute,<br />

Hermann Jansen, Jan Kolthof <strong>und</strong> weitere Treiber (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Fünf<strong>und</strong>achtzigjährig verstarb Timmer<br />

Bätz am 05. März 1986. Er war e<strong>in</strong> über die<br />

Grenzen Hoogstedes h<strong>in</strong>aus bekannter <strong>und</strong> arbeitsamer<br />

Mensch, der auch <strong>in</strong> weniger guten<br />

Zeiten nie se<strong>in</strong>en Humor verloren hat <strong>und</strong><br />

immer für e<strong>in</strong> Späßchen zu haben war.<br />

Lambertistraße<br />

Johann Kemkers<br />

Timmer Bätz hatte viel zu erzählen, <strong>und</strong> er erzählte<br />

gern. Aber auch über ihn gab es viele<br />

Geschichten, <strong>und</strong> h<strong>in</strong> <strong>und</strong> wieder kann man<br />

noch heute manchmal die folgende Anekdote<br />

hören:<br />

In den 50er Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

wurde der sogenannte „Berg“ allmählich<br />

besiedelt. Wie überall <strong>in</strong> der<br />

Geme<strong>in</strong>de gab es auch hier ke<strong>in</strong>en befestigten<br />

Weg von der Ortsmitte zur Siedlung. Die heutige<br />

Bergstraße war auf der ganzen Länge e<strong>in</strong><br />

Sandweg, den zu passieren oft große Mühe<br />

machte, zumal bei anhaltendem Regen oder bei<br />

großer Trockenheit. Den Mitbürgern musste geholfen<br />

werden – darüber waren sich die Verantwortlichen<br />

<strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>ig, <strong>und</strong> wohl<br />

auch darüber, dass nur durch e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftsaktion<br />

der Missstand beseitigt werden<br />

konnte: „Buurwerken“ war angesagt. Damit<br />

landete die Verantwortung mit e<strong>in</strong>er gewissen<br />

Selbstverständlichkeit bei Timmer Bätz.<br />

Und Timmer Bätz tat, was man von ihm<br />

erwartete. Er löste im Rahmen der verfügbaren<br />

Mittel <strong>und</strong> Möglichkeiten die gestellte<br />

Aufgabe mit se<strong>in</strong>en Leuten. Nachdem das


Werk vollendet war, versammelte sich die<br />

ganze Mannschaft <strong>in</strong> geselliger R<strong>und</strong>e, freute<br />

sich über das gelungene Werk <strong>und</strong> feierte e<strong>in</strong><br />

wenig sich selber – darauf legte Timmer Bätz<br />

großen Wert. Nachdem e<strong>in</strong> paar Schnäpse die<br />

fröhliche Stimmung befördert hatten, kam aus<br />

der R<strong>und</strong>e der Vorschlag, der neuen „Straße“<br />

e<strong>in</strong>en Namen zu geben. Die fleißigen Helfer<br />

e<strong>in</strong>igten sich schnell auf „Lambertistraße“, <strong>in</strong><br />

Würdigung der Verdienste ihres Anführers<br />

Timmer Bätz, der, wie ja e<strong>in</strong>ige durchaus<br />

wussten, eigentlich Lambertus Jeur<strong>in</strong>k hieß.<br />

Die Sache duldete ke<strong>in</strong>en Aufschub; man<br />

begab sich umgehend zu „Haubrichs Anton“<br />

<strong>in</strong> die Schmiede <strong>und</strong> überredete den Meister,<br />

sofort das erwünschte Straßenschild zu fertigen.<br />

Haubrich machte den Spaß mit <strong>und</strong> erledigte<br />

unter vielen kritischen Augen die<br />

gestellte Aufgabe. Wieder zurück <strong>in</strong> der Straße<br />

war der Platz für das Straßennamenschild<br />

schnell gef<strong>und</strong>en: An der stattlichen Eiche direkt<br />

an der E<strong>in</strong>mündung zur Hauptstraße<br />

wurde es <strong>in</strong> angemessener Höhe ordentlich<br />

befestigt, <strong>und</strong> jedermann konnte nun weiß auf<br />

schwarzem Gr<strong>und</strong> lesen: Lambertistraße.<br />

Der aufmerksame Beobachter entdeckt<br />

noch heute, wenn er von der Hauptstraße <strong>in</strong><br />

die Bergstraße e<strong>in</strong>biegt, an der besagten Eiche<br />

e<strong>in</strong>e verbeulte <strong>und</strong> verrostete, tief <strong>in</strong> die R<strong>in</strong>de<br />

e<strong>in</strong>gewachsene Eisenplatte. Der alte Name<br />

darauf ist aber längst verloschen.<br />

PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />

Am Eichenbaum an der Ecke Hauptstraße/Bergstraße ist<br />

noch die Eisenplatte erkennbar auf der e<strong>in</strong>st „Lambertistraße“<br />

stand (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />

Fritz Müller (1916-2006) <strong>und</strong> Familie<br />

Magdalene Westhuis geb. Müller<br />

Nach Aufzeichnungen von Fritz Müller<br />

Das Elternhaus von Friederich Ernst Müller<br />

(bekannt als Fritz Müller) war die Gaststätte<br />

Müller (heute der Supermarkt Coma) an der<br />

Hauptstraße <strong>in</strong> Hoogstede. Se<strong>in</strong>e Eltern hießen<br />

Franz Müller (1874–1944) <strong>und</strong> Henrika<br />

Müller geb. Sommer (1887–1965).<br />

„Oma“ Henrika Müller geb. Sommer, 1908 (1887-1965)<br />

(Peter Marquardt)<br />

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4<br />

Vater Franz war Gastwirt <strong>und</strong> W<strong>in</strong>dmüller.<br />

Die Mühle stand <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe der<br />

Wirtschaft, rechts neben der damaligen Sägemühle.<br />

Der Gastwirtschaft gegenüber lag e<strong>in</strong>e<br />

große Scheune, <strong>in</strong> der die von den Bauern <strong>und</strong><br />

Händlern genutzte Viehwaage stand. Gleichzeitig<br />

diente sie als Unterstand für Tiere sowie<br />

als Pferdestall. Wochentags war reges Leben<br />

im Dorf. Per Handschlag wurden die Käufe der<br />

Bauern <strong>und</strong> Händler getätigt. Der anschließende<br />

Schnaps <strong>in</strong> der Wirtschaft gehörte<br />

dazu. Oft kamen durchreisende Händler zum<br />

Übernachten <strong>in</strong> das Haus, sodass die Fremdenzimmer<br />

ausgebaut wurden. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />

Landwirtschaft trug zum Lebensunterhalt bei.<br />

Franz Müller wurde im Ersten Weltkrieg<br />

e<strong>in</strong>gezogen <strong>und</strong> war Soldat <strong>in</strong> den Karpaten.<br />

Er kam mit ges<strong>und</strong>heitlichen Schäden heim.<br />

Se<strong>in</strong> Schwager He<strong>in</strong>rich Sommer, der auch das<br />

Müllerhandwerk erlernt hatte, arbeitete später<br />

<strong>in</strong> der Mühle.<br />

Franz Müller hatte zwei Geschwister. Der<br />

Bruder He<strong>in</strong>rich-Bernhard lebte mit se<strong>in</strong>er<br />

Frau Anna auf dem Hof Müller <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt. Er<br />

ist 1916 im Ersten Weltkrieg gefallen. Se<strong>in</strong>e<br />

Frau Anna heiratete später B. Staelberg. Die<br />

Schwester Henni Müller lebte mit ihren K<strong>in</strong>dern<br />

<strong>in</strong> dem heutigen Haus Günnemann. Sie<br />

war als Handarbeitslehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> der katholischen<br />

Schule tätig.<br />

Fritz’ Mutter Henrika stammte aus der Familie<br />

Sommer. Ihr Vater wurde 1846 <strong>in</strong> Hoogstede<br />

geboren <strong>und</strong> war später als Bäcker <strong>in</strong> der<br />

Bäckerei Warmer <strong>in</strong> Nordhorn tätig. Se<strong>in</strong>e Frau<br />

Adelheid kam aus Tilligte <strong>in</strong> den Niederlanden<br />

<strong>und</strong> arbeitete als Verkäufer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Nordhorn.<br />

Der Hoogsteder Landwirt Kennepohl stellte<br />

dem Ehepaar Sommer das kle<strong>in</strong>e weiße Haus<br />

an der Hauptstraße (heute im Besitz von B.<br />

Horstkamp) zur Verfügung. Hier eröffnete<br />

Sommer e<strong>in</strong>en Laden nebst Bäckerei. Später<br />

entstand das Haus auf der gegenüberliegenden<br />

Seite mit Bäckerei <strong>und</strong> Kolonialwarengeschäft.<br />

Als im Jahr 1909 die erste Kreisbahn<br />

auf der Nebenstrecke Neuenhaus–Hoogstede-<br />

Emlichheim <strong>in</strong> Betrieb genommen wurde,<br />

konnten die Waren für das Kolonialwarengeschäft<br />

Sommer mühelos angeliefert werden.<br />

Petroleum für die Beleuchtung brachte das<br />

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MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Unternehmen Schulte aus L<strong>in</strong>gen. Pferde<br />

zogen e<strong>in</strong>en eisenbereiften Tankwagen von<br />

Ort zu Ort <strong>und</strong> die unter der Erde liegenden<br />

Tanks wurden gefüllt. Die Firma Horstmann<br />

aus Ochtrup reiste mit Pferd <strong>und</strong> Wagen an,<br />

um Eier zu kaufen, die die Bauern im Geschäft<br />

gegen Lebensmittel e<strong>in</strong>getauscht hatten. Der<br />

blanke Korn wurde <strong>in</strong> Fässern geliefert <strong>und</strong><br />

die K<strong>und</strong>en brachten eigene Flaschen mit, um<br />

ihn e<strong>in</strong>zukaufen.<br />

Ehepaar Müller mit sechs erwachsenen K<strong>in</strong>dern, um 1940.<br />

Franz Müller <strong>und</strong> Henrika geb. Sommer, v. l. He<strong>in</strong>rich,<br />

Helene, Bernhard, Kathar<strong>in</strong>a, Maria <strong>und</strong> der Schwiegersohn<br />

Theobald Marquardt (Peter Marquardt)<br />

Sechs K<strong>in</strong>der wurden <strong>in</strong> der Familie Sommer<br />

geboren: Alois (Lehrer), Ernst (Pastor), Johann<br />

(Bäcker), He<strong>in</strong>rich (Müller), S<strong>in</strong>a (arbeitete<br />

bei der Schwester Henrika), Henrika (heiratete<br />

den Gastwirt Franz Müller), Johanna (Verkäufer<strong>in</strong>).<br />

Fritz Müller wurde am 13. Juni 1916 geboren.<br />

Er <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e sechs Geschwister wuchsen<br />

<strong>in</strong> der Gaststätte Müller auf: Kathar<strong>in</strong>a (lebte ab<br />

Elke Ranft <strong>und</strong><br />

Kathar<strong>in</strong>a Müller<br />

im Laden Sommer-<br />

Müller, 1980/85<br />

(Leni Töller)


Drei Müllertöchter <strong>und</strong> Schwager vor der Gaststätte<br />

Müller. Helene Müller, Kathar<strong>in</strong>a Müller, Theobald Marquardt<br />

<strong>und</strong> Johanne geb. Müller (Peter Marquardt)<br />

dem dritten Lebensjahr im Haus ihrer Großeltern<br />

Sommer <strong>und</strong> war hier später im Lebensmittelgeschäft<br />

tätig), Bernhard (war Wirt <strong>in</strong><br />

der Gaststätte des Vaters), Friederich (lernte<br />

das Bäckerhandwerk <strong>und</strong> arbeitete <strong>in</strong> der Bä -<br />

ckerei der Großeltern Sommer), Johanna (heiratete<br />

den Oberleutnant Theobald Marquardt<br />

<strong>und</strong> lebte mit der Familie <strong>in</strong> Hoogstede),<br />

Helene (war im elterlichen Betrieb tätig),<br />

He<strong>in</strong>rich (übernahm die Sägemühle <strong>und</strong> baute<br />

e<strong>in</strong> Fuhrunternehmen auf) <strong>und</strong> Maria (war<br />

ebenfalls im elterlichen Betrieb tätig)<br />

Fritz Müller besuchte von 1922 bis 1930<br />

die katholische Schule <strong>in</strong> Hoogstede. Er er-<br />

PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />

zählte se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern oft von sehr strengen<br />

Lehrern, die durchaus vom Rohrstock Gebrauch<br />

machten, von den vielen K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Schulraum sowie vom großen schwarzen<br />

Ofen, der von mitgebrachtem Holz oder<br />

Torf von den Schülern beheizt werden musste.<br />

Begeistert sprach er von e<strong>in</strong>em Lehrer Richelmann<br />

aus Bentheim, der den K<strong>in</strong>dern wohlgesonnen<br />

war <strong>und</strong> ihnen das Tor zur Welt<br />

öffnete. Mit ihm fuhr man zur Burg nach<br />

Bentheim, sah Wilhelm Tell auf der Freilichtbühne<br />

<strong>und</strong> überschritt zum ersten Mal im<br />

Leben die Grenze nach Holland.<br />

Am 30. April 1930 wurde Fritz Müller aus<br />

der Schule entlassen <strong>und</strong> mit 14 Jahren begann<br />

die Lehrstellensuche. 1930 gab es <strong>in</strong><br />

Deutschland über sechs Millionen Arbeitslose<br />

– es war nicht leicht, e<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz<br />

im Bäckerhandwerk zu bekommen. Für Fritz<br />

Müller stand es schon länger fest, dass er gerne<br />

Bäcker werden wollte. Schon oft hatte er bei<br />

Opa Sommer <strong>und</strong> Onkel Johann Sommer zuschauen<br />

<strong>und</strong> helfen dürfen. Das tat er nun auch<br />

– bis er am 1. April 1932 beim Bäckermeister<br />

Sandhaus <strong>in</strong> L<strong>in</strong>gen se<strong>in</strong>e Lehre beg<strong>in</strong>nen<br />

durfte. Gearbeitet wurde von morgens 4 Uhr bis<br />

um 19 Uhr abends. Kost <strong>und</strong> Wohnung gab es<br />

im Haus sowie etwas Geld für die nötigsten<br />

Ausgaben. Im März 1934 bestand Fritz Müller<br />

mit guten Noten die Gesellenprüfung <strong>und</strong> als<br />

ersten Lohn erhielt er 24 Reichsmark, die nach<br />

der Prüfungsfeier schnell ausgegeben waren.<br />

Die Sonntage verbrachte Fritz Müller<br />

immer öfter <strong>in</strong> L<strong>in</strong>gen. Er hatte e<strong>in</strong> Auge auf<br />

e<strong>in</strong>e hübsche junge Frau geworfen, die oft <strong>in</strong><br />

den Bäckerladen kam <strong>und</strong> ganz <strong>in</strong> der Nähe<br />

wohnte. Sie hieß Johanna Krüp <strong>und</strong> wurde se<strong>in</strong>e<br />

spätere Frau <strong>und</strong> Mutter se<strong>in</strong>er vier Töchter.<br />

Bei der Musterung im Jahr 1936 wurde<br />

Fritz Müller als tauglich e<strong>in</strong>gestuft. Es folgten<br />

der Dienst im Arbeitslager <strong>und</strong> 1938 die E<strong>in</strong>berufung<br />

zum Militär. Der Krieg verschlug ihn<br />

an verschiedene Orte, lange Zeit hielt er sich<br />

<strong>in</strong> Evereux <strong>in</strong> Frankreich auf. Dort war er<br />

Koch <strong>und</strong> Bäcker der Kompanie.<br />

Postkarte Gaststätte Müller, etwa 1965.<br />

Auf der Rückseite: „Gasthof Müller, Clubzimmer, Fremdenzimmer,<br />

Saal, 4459 Hoogstede, Grafschaft Bentheim,<br />

Telefon 05944 325“ (Michaelisdonn/Holst. Best.-Nr. 65336)<br />

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4<br />

MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />

Oma Adelheid Sommer (Urgroßmutter von Marlene<br />

Westhuis) geboren etwa 1860 (Peter Marquardt)<br />

In e<strong>in</strong>em Heimaturlaub wollte Fritz unbed<strong>in</strong>gt<br />

„se<strong>in</strong>e Hanna“ heiraten. Das erforderte die<br />

Beachtung vieler Formalitäten. Jeder musste<br />

e<strong>in</strong>en Ahnenpass vorlegen, aus dem hervorg<strong>in</strong>g,<br />

dass <strong>in</strong> den vorangegangenen 100 Jahren<br />

ke<strong>in</strong>e jüdischen Vorfahren <strong>in</strong> der Familie gelebt<br />

hatten. Somit konnte erst im nächsten Heimaturlaub<br />

am 7. April 1942 die Hochzeit <strong>in</strong> L<strong>in</strong>gen<br />

stattf<strong>in</strong>den. Am 31. Januar 1944 kam Tochter<br />

Ursula zur Welt. Da Fritz 1945 aus dem Militärdienst<br />

entlassen wurde, konnten die Eheleute<br />

erst danach e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Unterkunft im<br />

kle<strong>in</strong>en weißen Haus der Familie Sommer<br />

(heute Haus der Familie Kögler) beziehen. Als<br />

die Familie größer wurde, erhielten sie noch<br />

zwei kle<strong>in</strong>e Räume dazu. Fritz arbeitete <strong>in</strong> der<br />

Bäckerei se<strong>in</strong>es Onkels. Die Familie wohnte sehr<br />

bescheiden, aber die K<strong>in</strong>der hatten e<strong>in</strong>e w<strong>und</strong>erschöne<br />

Zeit. Sie er<strong>in</strong>nern sich oft <strong>und</strong> gerne<br />

Fritz Müller <strong>und</strong> Johanna geb. Krüpp etwa im Jahr 2005<br />

(Marlene Westhuis)<br />

278<br />

an die abendlichen Schlagballspiele mit den<br />

K<strong>in</strong>dern der Nachbarn, an die große Wiese vor<br />

dem Haus, an die vollbehangenen „Köttelbirnen-<br />

<strong>und</strong> Äffisbäume“ oder an den krummen<br />

Apfelbaumstamm, der als Verkaufstresen für<br />

Spiele diente.<br />

Im September 1947 absolvierte Fritz Müller<br />

die Meisterprüfung zum Bäcker <strong>und</strong> pachtete<br />

danach die Bäckerei se<strong>in</strong>es Onkels Johann<br />

Sommer. Mit vier K<strong>in</strong>dern war man k<strong>in</strong>derreich<br />

<strong>und</strong> bekam Baudarlehen. So wurde das Haus an<br />

der Hauptstraße 98 gebaut <strong>und</strong> im Jahr 1957<br />

bezogen.<br />

In den sechziger Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

entstandene Großbäckereien verkauften<br />

das Brot sehr viel günstiger. Das war das<br />

Ende für viele kle<strong>in</strong>e Bäckereien – auch für die<br />

Bäckerei von Fritz Müller. Bis zu se<strong>in</strong>er Rente<br />

im Jahr 1981 war er im Betrieb se<strong>in</strong>es Schwagers<br />

H. Krüp <strong>in</strong> der Grafschafter Autozentrale<br />

tätig. Das große Interesse am Leben se<strong>in</strong>er Mitmenschen<br />

hat Fritz Müller zur Mitarbeit <strong>in</strong> verschiedenen<br />

Gremien angespornt. Er arbeitete<br />

viele Jahre im <strong>Kirche</strong>nvorstand der katholischen<br />

<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hoogstede, gründete <strong>in</strong> Hoogstede<br />

die KAB (Katholische Arbeiterbewegung)<br />

<strong>und</strong> war Mitbegründer des hiesigen Schützenvere<strong>in</strong>s.<br />

Se<strong>in</strong> Interesse am politischen Geschehen<br />

hat er sich lange bewahren können. Er<br />

freute sich über Besucher, die mit ihm diskutierten<br />

<strong>und</strong> nicht die Gebrechen des Alterns<br />

zum Thema machten.<br />

Mit se<strong>in</strong>er Frau Hanna konnte er am 7. April<br />

2006 den 64. Hochzeitstag feiern. Am 12. September<br />

2006 verstarb er an den Folgen e<strong>in</strong>er<br />

schweren Krankheit. Nur zehn Wochen später<br />

folgte ihm se<strong>in</strong>e Frau im Tode.

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