Häuser und Handwerker - Evangelisch-altreformierte Kirche in ...
Häuser und Handwerker - Evangelisch-altreformierte Kirche in ...
Häuser und Handwerker - Evangelisch-altreformierte Kirche in ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Mühlen, Geschäfte,<br />
<strong>Häuser</strong>, <strong>Handwerker</strong><br />
<strong>und</strong> Personen<br />
4
4<br />
Mühlengeschichte<br />
W<strong>in</strong>dmühle Hoogstede<br />
1811 bis etwa 1962<br />
Dr. He<strong>in</strong>rich Voort<br />
Am 18. Februar 1810 erhielten Gerrit Küpers,<br />
Johannes Dyckmann <strong>und</strong> Albert Belt zu<br />
Emlichheim auf ihren Antrag von dem Großherzoglich<br />
Bergischen Unterpräfekten des Arron<br />
dissements L<strong>in</strong>gen im Departement Ems<br />
die Erlaubnis, zwischen Scheerhorn <strong>und</strong> Bathorn<br />
<strong>in</strong> der „Municipalität kle<strong>in</strong>e R<strong>in</strong>ge“ e<strong>in</strong>e<br />
Mühle zu errichten. Zur Auflage machte die<br />
Behörde, dass die Mühle auf eigenem Gr<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Boden der Antragsteller zu errichten sei.<br />
Falls „der Fleck aber, wo Sie diese Mühle setzen<br />
wollen, Geme<strong>in</strong>heits Gr<strong>und</strong>“ sei, so ergänzte<br />
der Unterpräfekt, müssten die <strong>in</strong> der Verwaltungs<br />
ordnung von 1807 vorgeschriebenen<br />
For ma litäten beachtet werden.<br />
Die drei Konzessionäre, von denen zum<strong>in</strong>dest<br />
e<strong>in</strong>er fachk<strong>und</strong>ig war, unterzeichnete<br />
er doch e<strong>in</strong>en „Plaan of Bestek“ über das benötigte<br />
Holz für den Bau mit „Albert Belt<br />
Moolemaker te Emlenkamp“, setzten sich <strong>in</strong><br />
Er füllung dieser Forderung mit den lokalen<br />
Autoritäten <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung; am 10. Juli 1810<br />
stimmten der „Maire“ von Kle<strong>in</strong> R<strong>in</strong>ge, die<br />
Munizipalräte <strong>und</strong> die E<strong>in</strong>gesessenen „auf der<br />
Geme<strong>in</strong>heit Hoochstädt“ dem Mühlenbau zu.<br />
Noch im selben Monat übertrug Gerrit Küpers<br />
se<strong>in</strong> Anrecht auf se<strong>in</strong>e Kompagnons, <strong>und</strong> im<br />
August 1810 begannen Belt <strong>und</strong> Dyckmann<br />
mit dem Bau der Kornw<strong>in</strong>dmühle „<strong>in</strong> der<br />
Scheerhorner oder Bathorner Mark“, unweit<br />
des Gehöfts Hoffmeyer.<br />
Die gräflich bentheimsche Verwaltung<br />
g<strong>in</strong>g unverzüglich gegen den Bau vor, da er<br />
ihren Interessen zuwider lief, <strong>in</strong>dem e<strong>in</strong>e neue<br />
218<br />
Mühle das Aufkommen an zu mahlendem Korn<br />
<strong>in</strong> den ihr unterstehenden Mühlen zu verr<strong>in</strong>gern<br />
drohte. Sie leitete nicht nur juristische<br />
Schritte e<strong>in</strong>, sie ließ gar noch im selben Jahr<br />
„den begonnenen Mühlenbau ... destruiren“,<br />
zerstören. Die beiden Unternehmer, die Akten<br />
bezeichnen sie als „Mühlenmeisters Knechte“,<br />
waren dadurch von ihrem Vor-haben nicht<br />
abzubr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> begannen unverzüglich mit<br />
dem Wiederaufbau, ließen zugleich auch die<br />
Errichtung e<strong>in</strong>es Wohn-hauses <strong>in</strong> Angriff nehmen.<br />
1811 war die Mühle fertig.<br />
Prozess <strong>in</strong> 1812<br />
In dem Prozess, den das Haus Bentheim als<br />
Kläger beim Tribunal <strong>in</strong> Neuenhaus angestrengt<br />
hatte, pochte es auf se<strong>in</strong> Recht als<br />
Markenrichter; die ihm <strong>in</strong> dieser Eigenschaft<br />
aus dem Verkauf von Markengr<strong>und</strong> zustehende<br />
Tertia Marcalis, das Markendrittel, war<br />
nicht entrichtet worden. Die Beklagten führten<br />
dagegen aus, dass der Graf nicht mehr<br />
Landesherr sei <strong>und</strong> dass es ke<strong>in</strong>en Marken-<br />
Ausschnitt aus<br />
e<strong>in</strong>er Postkarte,<br />
etwa 1925<br />
„Dorfstraße<br />
mit Mühle“<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)
ichter mehr gebe, nachdem die Eigenbehörigkeit<br />
der Bauern aufgehoben sei; folglich sei<br />
auch der „Consens“, die Zustimmung der gräflichen<br />
Verwaltung zum Verkauf, nicht mehr<br />
erforderlich. Auch könnten die Bauern nicht<br />
gezwungen werden, e<strong>in</strong>e bestimmte Mühle<br />
aufzusuchen. Mühlenzwang, „jura bannaria<br />
gelten nicht“ <strong>und</strong> im Übrigen seien die bisher<br />
vorhandenen Mühlen mit mehr als 1½ Wegst<strong>und</strong>en<br />
zu weit entfernt, ganz abgesehen<br />
davon, dass Hochwasser es oft unmöglich<br />
mache, die Mühlen <strong>in</strong> Neuenhaus <strong>und</strong> Emlichheim<br />
aufzusuchen. Am 3. September 1812<br />
erkannte das Tribunal für Recht, die Mühle sei<br />
abzureißen, wenn der Kläger darauf bestehe,<br />
es sei denn, er sei durch Zahlung des Markendrittels<br />
abzuf<strong>in</strong>den. Die Verhandlungen<br />
darüber zogen sich h<strong>in</strong>. Als nach der Vertreibung<br />
der Franzosen die hannoversche pfandschaftliche<br />
Regierung wieder e<strong>in</strong>gesetzt wurde,<br />
gestattete diese den weiteren Betrieb der<br />
Mühle, wobei es aber den Ansche<strong>in</strong> hatte, dass<br />
sie dazu gewisse Auflagen machte.<br />
Vertrag von 1813<br />
Aus e<strong>in</strong>em Vertrag vom 15. April 1813 ist zu<br />
ersehen, dass nach Ablauf von drei Jahren die<br />
nicht näher erläuterte „Belast<strong>in</strong>g van den Landesheeren<br />
ophoort“. Hatten bis dah<strong>in</strong> vermutlich<br />
die Kompagnons geme<strong>in</strong>sam die Mühle<br />
betrieben (auch Dyckmann nennt sich 1813 <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Notariatsakte Müller zu Hoogstede) so<br />
wurde als Folge des Vertrages von 1813 die<br />
Mühle nur noch von e<strong>in</strong>em der beiden Erbauer<br />
betrieben, Johannes Dyckmann verpachtete<br />
se<strong>in</strong>en halben Anteil an „Moel en<br />
Huis“ (Letzteres war noch nicht völlig fertig<br />
gestellt) se<strong>in</strong>em Kompagnon Albert Belt für<br />
400 holländische Gulden im Jahr. E<strong>in</strong>igkeit<br />
bestand, dass das unternehmerische Risiko,<br />
„het zy Belast<strong>in</strong>g ofte Processen, het zy zware<br />
Stormw<strong>in</strong>d, Brand ofte dergelijen“ weiter von<br />
beiden zur Hälfte zu tragen war. Der laufende<br />
Unterhalt der Mühle, Reparaturen am Gangwerk<br />
<strong>und</strong> alles Verbrauchsmaterial allerd<strong>in</strong>gs<br />
sollten zu Lasten des Pächters gehen. Für den<br />
Verschleiß der Mahlste<strong>in</strong>e vere<strong>in</strong>barten die<br />
Vertragspartner, dass er nach der Höhe bestimmt<br />
werden sollte; von dem jetzt 15 „duym“<br />
MÜHLENGESCHICHTE<br />
(Zoll) messenden Läuferste<strong>in</strong> <strong>und</strong> dem 12 Zoll<br />
starken Liegerste<strong>in</strong> versprach der Pächter se<strong>in</strong>em<br />
bisherigen Teilhaber „wat er Word afgemalen<br />
van ieder Duym tien Gulden te<br />
betalen“.<br />
Januar 1814 <strong>in</strong> Betrieb<br />
Am 19. Januar 1814 teilte Müller Belt dem zuständigen<br />
Regierungsrat <strong>in</strong> Bentheim mit,<br />
„daß die neu erbaute Mühle e<strong>in</strong>en Gang habe<br />
<strong>und</strong> ich auf drey <strong>und</strong> vierzig volle Bauern<br />
Erbe als bestimmte Mahlgäste rechnen“ kann,<br />
Anzeichen für e<strong>in</strong>en wirtschaftlich ges<strong>und</strong>en<br />
Betrieb.<br />
Nur e<strong>in</strong>en Tag nach Abschluss des Pachtvertrages<br />
zwischen den beiden Unternehmern<br />
im Jahr 1813 starb Johannes Dyckmann; ge mäß<br />
den gesetzlichen Bestimmungen wurde von<br />
Gerichts wegen se<strong>in</strong> Nachlass <strong>in</strong>ventarisiert<br />
Daraus geht hervor, dass „auf der Mühle zu<br />
Hoogstede“ 47 Scheffel Korn <strong>und</strong> 75 Scheffel<br />
Buchweizen vorgef<strong>und</strong>en wurden, offenbar<br />
Mulfterkorn, von dem die Hälfte zum Nachlaß<br />
zählte, d,h, daß die Mühle zu jener Zeit<br />
voll <strong>in</strong> Betrieb war. Die an die „Gesellschaft“<br />
des Belt <strong>und</strong> Dyckmann geltend gemachten<br />
Forderungen zeigen, dass der Maurer Gerrit<br />
Hagels zu Gildehaus Ste<strong>in</strong>e zum Bau geliefert<br />
<strong>und</strong> daran gearbeitet hatte, Holz war aus<br />
Zwolle <strong>und</strong> Denekamp bezogen worden. Die<br />
Baukosten wurden auf <strong>in</strong>sgesamt 1888 Gulden<br />
beziffert, die zu jenem Zeitpunkt erst zum<br />
Teil beglichen waren, sodass die Erben des<br />
k<strong>in</strong>derlosen Johannes Dyckmann sich erheblichen<br />
Forderungen gegenübersahen.<br />
Graupengang 1817<br />
Albert Belt hatte „nach der Unterbrechung“<br />
- geme<strong>in</strong>t ist die Zeit der französischen Besetzung<br />
bis 1816 - <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Mühle e<strong>in</strong>en<br />
Graupen gang angelegt, der erst im August<br />
1817 be triebs bereit war <strong>und</strong> von ihm umgehend<br />
<strong>in</strong> Gang gesetzt wurde. Auf E<strong>in</strong>spruch<br />
der hannoverschen Kammerverwaltung untersagte<br />
ihm die Regierung <strong>in</strong> Bentheim 1820<br />
jedoch dessen Gebrauch; der Müller nahm auf<br />
das Verbot zunächst ke<strong>in</strong>e Rücksicht. Da se<strong>in</strong>e<br />
Graupenfabrikation e<strong>in</strong>e unliebsame Konkurrenz<br />
für die Wassermühle <strong>in</strong> Neuenhaus dar-<br />
219
4<br />
stellte, wies die Verwaltung <strong>in</strong> Erfüllung der<br />
Regierungsanordnung den Hausvogt Bruna<br />
im April 1821 an, „das Kreuz aus dem Ste<strong>in</strong>e<br />
des Graupenganges“ zu entfernen. Belt lieferte<br />
das Kreuz zwar aus, stellte aber sofort den Antrag,<br />
ihm den Gebrauch der „Pellmühle“ zu<br />
gestatten. Als dieser abgelehnt wurde, wiederholte<br />
er im März 1822 se<strong>in</strong> Gesuch. Auch<br />
dieses fand nicht die Zustimmung der Königlichen<br />
Kammer Adm<strong>in</strong>istration, die ihre Weige<br />
rung damit begründete, dass für die wäh rend<br />
der „Unterbrechungszeit“ gebauten Mühlen<br />
„deren e<strong>in</strong>stweiliger Gebrauch gestattet sei im,<br />
Zustand, wie er sich Anfang des Jahres 1814<br />
befand“; der Graupengang sei aber später e<strong>in</strong>gerichtet<br />
worden. Noch 1823 war er nicht<br />
wieder <strong>in</strong> Betrieb.<br />
In dieser Situation entschlossen sich die<br />
Erben Johann Dyckmanns, die auf e<strong>in</strong> gültiges<br />
Testament verweisen konnten <strong>und</strong> deren Erbrecht<br />
1822 vom Friedensgericht anerkannt<br />
worden war, die Betriebsgeme<strong>in</strong>schaft mit Belt<br />
aufzugeben. Noch 1823 hielten sie „für ihre<br />
Rechnung e<strong>in</strong>en zweyten Knecht auf der<br />
Mühle“, für den sie „Unterkommen <strong>in</strong> dem geme<strong>in</strong>schaftlichen<br />
erbaueten Wohnhaus verlangt“<br />
hatten; Belt verwehrte ihnen dies. Zur<br />
Vermeidung e<strong>in</strong>es langwierigen <strong>und</strong> kostspieligen<br />
Prozesses bemühten sie sich um e<strong>in</strong>en<br />
Käufer ihres Erbes. Förster Brill empfahl der<br />
Domänenkammer den Ankauf mit dem Kommentar,<br />
dass die „W<strong>in</strong>dmühle gut erbauet ist,<br />
aus e<strong>in</strong>er Umgebung von 900 Seelen sämtliche<br />
Maalgänge hat <strong>und</strong> von allen erbaueten<br />
Mühlen dem hochfürstlichen Interesse am<br />
mehrsten schadet“. Am 10. April 1823 überließen<br />
die Erben Dyckmann nach längeren<br />
Verhandlungen ihren Anteil an Mühle, Haus<br />
<strong>und</strong> Garten, für den sie zunächst 5.600 Gulden<br />
verlangt hatten, dem Fürstlichen Hause Bentheim<br />
zu e<strong>in</strong>em Kaufpreis von 4.000 Gulden.<br />
1823 Halb <strong>und</strong> halb<br />
Für die Mühle <strong>in</strong> Hoogstede war nun e<strong>in</strong>e<br />
höchst kuriose Situation entstanden, <strong>in</strong>dem<br />
dem Müller Albert Belt die e<strong>in</strong>e Hälfte gehörte,<br />
während die Domänenkammer die von<br />
ihr erworbene andere Hälfte öffentlich meistbietend<br />
zu verpachten trachtete. Nach e<strong>in</strong>er<br />
220<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Inventaraufnahme durch unabhängige Sachverständige<br />
(Belt hatte sich geweigert, daran<br />
teilzunehmen) erhielt am letzten Septembertag<br />
1823 der Kaufhändler <strong>in</strong> Hoogstede, Gerd<br />
Laarmann, den Zuschlag bei der „Verpachtung<br />
der e<strong>in</strong>en Hälfte der Fürstlich Bentheimschen<br />
W<strong>in</strong>dmühle nebst Zubehör zu Hochstädte“<br />
für 280 Gulden im Jahr während e<strong>in</strong>er sechsjährigen<br />
Pachtdauer (bis 1829). Pachtbeg<strong>in</strong>n<br />
für die Hälfte der W<strong>in</strong>dmühle <strong>und</strong> des Hauses<br />
sollte der 1. Oktober 1823 se<strong>in</strong>, für den halben<br />
Garten dagegen Petri 1824. Die übrigen<br />
Pachtbed<strong>in</strong>gungen entsprachen zeitüblichen<br />
Vorstellungen, <strong>in</strong>dem der Pächter sich mit 1 /32<br />
an Mulfter <strong>und</strong> 1 Prozent Staubmehl begnügen<br />
musste, sowie „Mühle <strong>und</strong> deren Hauptwerk,<br />
wie auch das gehende Werk, als Räder,<br />
Beyr<strong>in</strong>k, Rollen, Kammräder, Prahm, Stämpels,<br />
Kämme, Stäbe, Ruten, Hecken, Seilen,<br />
Tauen <strong>und</strong> wie sonstige Stücke Namen haben<br />
im beständigen guten Stande auf se<strong>in</strong>e Kosten<br />
unterhalten mußte“, auch die e<strong>in</strong>e Hälfte des<br />
Wohnhauses „mit Dach <strong>und</strong> Fach“ erhalten<br />
sollte. Andererseits verpflichtete sich die Domänenkammer<br />
als Verpächter<strong>in</strong>, „zur Unterhaltung<br />
der Achsen, Bruststücken, Laschen,<br />
Gallerie, Kappe, Stert <strong>und</strong> Schwerdten ... das<br />
grobe Holz viereckig (zu) liefern“, deren<br />
fernere „Verarbeitung, E<strong>in</strong>legung derselben,<br />
E<strong>in</strong>w<strong>in</strong>dung der Ste<strong>in</strong>e <strong>und</strong> sonstigen Repa -<br />
raturkosten“ wiederum dem Pächter oblag.<br />
Dieser haftete mit se<strong>in</strong>em Vermögen für das<br />
Pachtobjekt, musste darüber h<strong>in</strong>aus, auch dies<br />
war üblich, für die Pachtsumme e<strong>in</strong>en Bürgen<br />
stellen.<br />
Die ungewöhnlichen Besitzverhältnisse an<br />
der Mühle bargen den Keim zu Streitigkeiten<br />
<strong>in</strong> sich; Müller Belt, der auf der Mühle e<strong>in</strong>en<br />
Knecht beschäftigte, wohl weil er selbst nach<br />
e<strong>in</strong>em Bericht des Försters Brill von 1823 „<strong>in</strong><br />
dem Wohnhaus mit e<strong>in</strong>er Wirthschaft <strong>und</strong><br />
Krämerey ansässig“ war, legte nicht nur sofort<br />
Protest gegen die Verpachtung e<strong>in</strong>, er<br />
weigerte sich auch, dem Pächter der Domänenkammer,<br />
Laarmann, die Hälfte des Wohnhauses<br />
<strong>und</strong> des Gartens e<strong>in</strong>zuräumen. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus bestritt er dem Laarmann, der se<strong>in</strong>e Interessen<br />
durch e<strong>in</strong>en eigenen „Molenaars<br />
Knegt“, Caspar H<strong>in</strong>drik Koke, wahrnehmen
ließ, auch se<strong>in</strong> Anrecht am Mulfterkorn,<br />
<strong>in</strong>dem er „nach se<strong>in</strong>em Gutbef<strong>in</strong>den Korn<br />
für sich“ herausnahm. Daraufh<strong>in</strong> strengte die<br />
Domänenkammer 1824 e<strong>in</strong>en Prozess beim<br />
Provisorischen Tribunal zu Bentheim auf Abtretung<br />
der halben Liegenschaft, Herausgabe<br />
des Mulfterkorns zur Hälfte <strong>und</strong> Schadensersatz<br />
an. Auch die Frage der noch nicht geklärten<br />
markenrichterlichen Entschädigung<br />
wurde wieder zur Sprache gebracht. Belt bestritt<br />
die Rechtmäßigkeit der gegen ihn erhobenen<br />
Forderungen <strong>und</strong> beanspruchte zwei<br />
Drittel an Nutzung <strong>und</strong> Ertrag, bezweifelte<br />
auch die Richtigkeit des se<strong>in</strong>erzeitigen von<br />
ihm unterschriebenen Inventarverzeichnisses<br />
mit dem von se<strong>in</strong>em Anwalt vorgebrachten<br />
Argument, dass er „bekanntlich wenig oder<br />
nichts von der Teutschen Sprache verstehe“.<br />
Verschiedene Kompromissvorschläge wurden<br />
verhandelt, führten aber zu ke<strong>in</strong>em Ergebnis,<br />
da Belt sich 1825 zwar gr<strong>und</strong>sätzlich<br />
bereit erklärte, der Domänenkammer die Hälfte<br />
der Mühle e<strong>in</strong>zuräumen, sie dafür aber „auf<br />
ewige Zeiten <strong>in</strong> Erbpacht besitzen“ wollte.<br />
1826 wiederholte er se<strong>in</strong>en Vorschlag <strong>in</strong> abgeänderter<br />
Form, <strong>in</strong>dem er die verlangte Pachtzusage<br />
auf 30 Jahre bei e<strong>in</strong>er Pachtsumme<br />
von 250 Gulden beschränkte, zugleich aber<br />
für die Zeit danach e<strong>in</strong> Vorzugsrecht auf Weiterpacht<br />
oder gar Kauf der Mühle e<strong>in</strong>geräumt<br />
haben wollte <strong>und</strong> weiter verlangte, dass die<br />
Domänenkammer die Ansprüche der Erben<br />
Dyckmann abfand.<br />
Belt starb im Frühjahr 1826, ohne dass die<br />
Vergleichsverhandlungen zu e<strong>in</strong>em Ergebnis<br />
geführt hatten. Der Prozess zog sich h<strong>in</strong>,<br />
schließlich wurde die Juristenfakultät <strong>in</strong> Marburg<br />
e<strong>in</strong>geschaltet, die <strong>in</strong> ihrem Urteil im Januar<br />
1827 der Domänenkammer als Kläger<strong>in</strong><br />
Recht gab, der Witwe des Beklagten aber zugestand,<br />
weiteren „besseren Beweis“ beizubr<strong>in</strong>gen,<br />
e<strong>in</strong>e Revision des Urteils also zuließ.<br />
Noch im November 1827 reichte deren Anwalt<br />
e<strong>in</strong> umfangreiches „Duplum“, e<strong>in</strong>e Gegendarstellung,<br />
bei dem Standesherrlichen<br />
Amt Neuenhaus e<strong>in</strong>.<br />
Erst im Frühjahr 1828 bahnte sich e<strong>in</strong> Ausweg<br />
aus der verfahrenen Situation an, als<br />
H<strong>in</strong>rich Belt „aus Olthoorn im Holländischen“<br />
MÜHLENGESCHICHTE<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Eigenschaft als Vorm<strong>und</strong> der K<strong>in</strong>der<br />
se<strong>in</strong>es verstorbenen Bruders sich bereit erklärte,<br />
den Streit zu beenden. Auf welcher<br />
Basis e<strong>in</strong>e Übere<strong>in</strong>kunft erzielt wurde, ist<br />
nicht überliefert.<br />
Gemälde der W<strong>in</strong>dmühle von A. Leipner, 1955, im Besitz<br />
von Hedwig Müller (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Die Mühle blieb derweil durchaus <strong>in</strong> Betrieb.<br />
Aus e<strong>in</strong>em Kostenvoranschlag von<br />
Müh lenmeister F. Veld<strong>in</strong>k von 1830 ist zu ansehen,<br />
dass die „Zwikstellung“, die Galerie<br />
also, defekt <strong>und</strong> „geheel nieuw“ anzufertigen<br />
war, wofür dieser 418 Gulden veranschlagte.<br />
Offenbar geschah aber nichts zu ihrer Reparatur,<br />
denn 1833 wies Brill darauf h<strong>in</strong>, dass<br />
„die Stell<strong>in</strong>g ... ganz verschlissen“ war; der<br />
neue Kostenvoranschlag des Mühlenmeisters<br />
Pöölker lag mit 297 Gulden erheblich unter<br />
dem se<strong>in</strong>es Konkurrenten aus Emlichheim.<br />
Franz Müllers Gastwirtschaft<br />
im Müllerhaus um 1830<br />
Franz Müller, der Miteigentümer der Mühle,<br />
lehnte es aber ab, die Hälfte der Reparaturkosten<br />
zu tragen <strong>und</strong> schlug statt dessen vor, die<br />
Baumaßnahme selbst durchzuführen, wenn<br />
die Domänenkammer die Kosten zur Hälfte ersetzte;<br />
diese bestand jedoch auf Ausschreibung<br />
der Arbeiten <strong>und</strong> Vergabe an Dritte.<br />
221
4<br />
Franz Müller ließ die W<strong>in</strong>dmühle offenbar<br />
weiter von e<strong>in</strong>em Gehilfen bedienen, da er<br />
e<strong>in</strong>e Reihe anderer gut gehender Geschäfte betrieb;<br />
im Müllerhaus hatte er e<strong>in</strong>e „Krämerey,<br />
Bäckerey, Herberge <strong>und</strong> Schenkwirthschaft“<br />
e<strong>in</strong>gerichtet.<br />
Ende 1833 plante die Domänenkammer,<br />
ihren hälftigen Anteil an der Mühle durch den<br />
bisherigen Pächter der Emlichheimer W<strong>in</strong>dmühle,<br />
Arnold Friedrich Stüve, „adm<strong>in</strong>istrieren“,<br />
verwalten zu lassen, als sich F. Müller<br />
zur Pacht bereit erklärte. Auf drei Jahre überließ<br />
ihm die Domänenkammer ihre Hälfte zu<br />
300 Gulden im Jahr, im Übrigen sollten die<br />
Vertragsbed<strong>in</strong>gungen von 1823 gelten.<br />
Im Sommer 1834 barst die Mühlenachse,<br />
„da wo die Bruststücke durchgehen“, wie Brill<br />
erläuterte. Im Bentheimer Wald wurde e<strong>in</strong>e<br />
neue „Achse gefällt“ <strong>und</strong> im Lohnauftrag nach<br />
Nordhorn geschafft. Dass e<strong>in</strong> solcher Transport<br />
angesichts der schlechten Wegeverhältnisse<br />
mit Schwierigkeiten verb<strong>und</strong>en war,<br />
beweist die Tatsache, dass „18 Landfolgen<br />
Pferde vorgespannt“ werden mußten, um sie<br />
nach Veldhausen zu br<strong>in</strong>gen, von wo die gleiche<br />
Anzahl anderer Zugpferde sie dann an<br />
ihren Bestimmungsort brachte.<br />
Franz Müller blieb weiter Pächter des<br />
fürstlichen Anteils. In se<strong>in</strong>er <strong>und</strong> des Mühlenmeisters<br />
Fritz Veld<strong>in</strong>k Anwesenheit wurde<br />
1835 e<strong>in</strong> Inventar der Mühle aufgenommen,<br />
das später für die Ermittlung des „Verschleißes“<br />
diente. Wenn es dar<strong>in</strong> heißt, dass von der<br />
„Pellmölle“ der „Schievenloop of Steenkop“<br />
verschlissen war, so läßt dies daraus schließen,<br />
daß damals die Vorrichtung zum Pellen<br />
von Graupen schon längere Zeit <strong>in</strong> Betrieb gewesen<br />
se<strong>in</strong> muß, Die Erwähnung e<strong>in</strong>er<br />
„Builmöllen“ ist Beleg dafür, daß auch gebeutelt<br />
wurde.<br />
Müller starb wenige Jahre später; 1838<br />
wird als Pächter<strong>in</strong> der Mühle <strong>in</strong> Hoogstede die<br />
Witwe W. Müller mit ihrem Stiefsohn Johann<br />
He<strong>in</strong>rich Belt erwähnt. Der <strong>in</strong> jenem Jahr mit<br />
ihnen abgeschlossene Pachtvertrag überlässt<br />
ihnen auf sechs Jahre die dem fürstlichen<br />
Hause gehörende Hälfte der W<strong>in</strong>dmühle nebst<br />
der Müllerwohnung <strong>und</strong> dem zugehörigen<br />
Garten für 300 Gulden holländischer Münze,<br />
222<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Im Wesentlichen orientierte sich der Vertrag<br />
an den Bestimmungen, die bereits 1823 vere<strong>in</strong>bart<br />
waren; neu ist, daß bei unverschuldeten<br />
Unfällen Reparaturen mit mehr als 100<br />
Gulden Kosten diese zur Hälfte von der Domänenkammer<br />
getragen werden. Da die Müllerwohnung<br />
sich <strong>in</strong> sehr baufälligem Zustand<br />
befand, sollte sie entsprechend repariert werden,<br />
auch durfte Witwe Müller im Haus auf<br />
der Diele zwei Stuben bauen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>richten.<br />
Von den Baukosten, die sich auf 248 Gulden<br />
laut Kostenvoranschlag beliefen, sollte sie<br />
nach Ablauf der sechs Jahre von der Domänenkammer<br />
90 Gulden vergütet erhalten, sofern<br />
sie die Pacht nicht fortsetzte.<br />
Gelegentliche Angaben zu notwendigen<br />
lnstandsetzungsarbeiten lassen Baudetails der<br />
Mühle sichtbar werden, wenn z.B. 1838 das<br />
Anstreichen von „het agtkantige Spaandak met<br />
de Planken daaronder, met de Kappe, Staart<br />
en Vleugels“ verdungen wurde. Dass man ke<strong>in</strong>e<br />
Scheu vor auffälligen Farben hatte, zeigt die<br />
Anweisung, dass alles „twee keer met donker<br />
blaauw verf en wat wit te schilderen“ sei. Für<br />
die „Bretter auf der Zwikstellung“ dagegen<br />
wurde das „Betheeren“ für s<strong>in</strong>nvoll gehalten.<br />
Reparaturen <strong>und</strong> Verträge 1839–1869<br />
E<strong>in</strong> Sommergewitter beschädigte am 15. Juni<br />
1839 die Mühle schwer, als der Blitz e<strong>in</strong>schlug,<br />
glücklicherweise aber nicht zündete.<br />
Mühlenmeister Veld<strong>in</strong>k schätzte, dass sie „zum<br />
16ten Theil des Wertes beschädigt“ war, entsprechend<br />
trug die Brandversicherung 250<br />
Gulden, d.h. der Gesamtwert der Mühle lag<br />
bei 4.000 Gulden. Der zu ihrer Reparatur e<strong>in</strong>gereichte<br />
Kostenvoranschlag, e<strong>in</strong> Bruststück<br />
von 44 Fuß Länge, e<strong>in</strong> großer Pfosten „im aufstehenden<br />
Achtkantenwerk“ waren vorhanden,<br />
lag bei 424 Gu lden, <strong>in</strong>begriffen waren e<strong>in</strong> Flügel,<br />
Bretter <strong>und</strong> 500 „Späne“, also Sch<strong>in</strong>deln,<br />
nicht gerechnet war der durch Stillstand verursachte<br />
Schaden.<br />
Die 1842 herausgebrachte Karte von A.<br />
Papen zeigt die Hoogsteder W<strong>in</strong>dmühle<br />
ebenso wie das <strong>in</strong> den Jahren 1854/56 vermessene<br />
Blatt der Gauß’schen Landesaufnahme;<br />
sie lassen erkennen, wie günstig die<br />
Position der Mühle im Vechtetal etwa halb-
wegs zwischen den <strong>in</strong> Emlichheim <strong>und</strong> Veldhausen<br />
vorhandenen W<strong>in</strong>dkraftanlagen war.<br />
Nach Ablauf des Vertrages verlängerte ihn<br />
Jan H<strong>in</strong>drik Belt zugleich im Namen se<strong>in</strong>er<br />
Stiefmutter zum unveränderten Pachtsatz.<br />
Nachdem sich die Pächter erboten hatten, das<br />
Holz für Achse, Bruststücke <strong>und</strong> Laschen<br />
selbst liefern zu wollen, wurde e<strong>in</strong>e Pachtermäßigung<br />
um 30 Gulden vere<strong>in</strong>bart. Der Vertrag<br />
sollte dieses Mal zwölf Jahre laufen. Doch<br />
bereits 1850 starb der „Müller <strong>und</strong> Miteigen -<br />
thümer der Hoogsteder W<strong>in</strong>dmühle Müller<br />
oder Belt“. Se<strong>in</strong>e Stiefmutter erfüllte den Vertrag,<br />
suchte aber 1856 um Verlängerung für<br />
ihren Sohn Bernhard nach, was ihr auch<br />
bei 350 Gulden Pacht unter Nachlass von 30<br />
Gulden für anfallende Reparaturen zugestanden<br />
wurde. Neu aufgenommen ist unter die<br />
Vertragsklauseln jene, nach der die Pächter<br />
sich „mit dem bestehenden oder etwa abgeändert<br />
werdenden Mahlz<strong>in</strong>s begnügen“ müssen.<br />
Auch 1863 wird der Vertrag erneut um<br />
sechs Jahre verlängert. E<strong>in</strong>em Bericht des Emlichheimer<br />
Vogts Driemeyer aus jenem Jahr ist<br />
zu entnehmen, dass nach der gültigen Steuerrolle<br />
der Pachtwert der (ganzen) Mühle 360<br />
Reichstaler betrug. Er lag damit zwischen dem<br />
der Mühle <strong>in</strong> Emlichheim mit 500 Reichstaler<br />
MÜHLENGESCHICHTE<br />
<strong>und</strong> dem <strong>in</strong> Laar mit 220 Reichstaler, „welches<br />
das gute Bestehen der Mühlen nachweisen“,<br />
urteilte der Vogt.<br />
Als 1869 Witwe Müller den Pachtvertrag um<br />
e<strong>in</strong>e weitere Sechs-Jahres-Periode zu verlängern<br />
beabsichtigte, berichtete Rentmeister Crameer,<br />
es sei ihm <strong>und</strong> der Pächter<strong>in</strong> „gelungen, bei der<br />
Landdrostei e<strong>in</strong>e Entscheidung zu erwirken,<br />
welcher zufolge die Großr<strong>in</strong>ger Bauern die<br />
schon seit e<strong>in</strong>em Jahr ganz fertige W<strong>in</strong>dmühle<br />
nicht <strong>in</strong> Betrieb setzen dürfen, solange nicht<br />
der Reichstag das übrigens <strong>in</strong> naher Aussicht<br />
stehende Gesetz über Gewerbefreiheit verkündet<br />
hat“. Da deren Konkurrenz, wenn sie <strong>in</strong><br />
Betrieb genommen werde, spürbar se<strong>in</strong> müsse,<br />
empfahl er e<strong>in</strong>e „ger<strong>in</strong>ge Pachtermäßigung“.<br />
Die Müllersche W<strong>in</strong>dmühle h<strong>in</strong>ter Gasten, vor 1947. Aus westlicher Richtung von Weustes Kamp aus fotografiert (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Auf dieser Basis <strong>und</strong> zu e<strong>in</strong>em Pachtsatz<br />
von 324 Gulden im Jahr wurde der nächste<br />
Vertrag abgeschlossen, wenn auch nur für drei<br />
Jahre.<br />
1871 – höher bauen?<br />
Ende 1871 erhob die Witwe Müller „die alte<br />
Klage wieder, daß die Mühle nicht hoch genug<br />
liege“, Crameer befürwortete den Vorschlag,<br />
sie 20 bis 25 Fuß höher zu bauen <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en<br />
zweiten Mahlgang anzulegen; beides sei für<br />
1566 Gulden laut Kostenvoranschlag zu be-<br />
223
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
werkstelligen. Falls die Domänenkammer sich<br />
an den Kosten nicht beteiligen wolle, sei<br />
Witwe Müller auch bereit, die andere Hälfte<br />
der Mühle zu kaufen.<br />
Diesem zweiten Vorschlag zeigte sich die<br />
Domänenkammer nicht abgeneigt; sie <strong>in</strong>struierte<br />
Crameer, e<strong>in</strong>en Kaufpreis auszuhandeln,<br />
der der gültigen Pachtsumme zu vier Prozent<br />
kapitalisiert entsprechen musste, also 8.130<br />
Gulden. Die Pächter<strong>in</strong> bot nur 4.000 Gulden,<br />
Crameer glaubte jedoch, 5.000 Gulden aushandeln<br />
zu können. Da starb die Witwe Müller<br />
Anfang 1875, ohne dass e<strong>in</strong> Kaufvertrag<br />
zu stande gekommen war. Ihr Sohn offerierte<br />
zunächst 4.500 Gulden, nach längeren Verhandlungen<br />
steigerte er se<strong>in</strong> Gebot auf 5.500<br />
Gulden. Zu diesem Preis erhielt er im April<br />
1877 den Zuschlag; die Hoogsteder Mühle<br />
g<strong>in</strong>g zur Gänze <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Eigentum über.<br />
Franz Müller 1910<br />
1890 ist im Gr<strong>und</strong>buch von Hoogstede als<br />
Eigentümer e<strong>in</strong>getragen Colon Bernhard Jager<br />
geb. Müller zu Hoogstede. 1910 starb Bernhard<br />
Müller, se<strong>in</strong> Sohn Franz folgte ihm auf<br />
der Mühle. Er kaufte 1916 das gesamte Inventar<br />
der Mühle <strong>in</strong> Laar mit Ausnahme des<br />
eisernen Kopfes der Achse für 800 Mark; falls<br />
W<strong>in</strong>dmühle Hoogstede, 1940 (He<strong>in</strong>rich Voort)<br />
224<br />
Mühlenstumpf <strong>und</strong> Sägewerk, Anfang 1960er (Willy Friedrich)<br />
er nicht e<strong>in</strong>en zusätzlichen Mahlgang damit<br />
e<strong>in</strong>richtete, ist denkbar, dass er es als e<strong>in</strong>e Art<br />
Ersatzteillager zu nutzen beabsichtigte.<br />
Als er zu Beg<strong>in</strong>n der 20er Jahre erkrankte,<br />
pachtete Gerrit-Jan Kooiker die W<strong>in</strong>dmühle<br />
für e<strong>in</strong>ige Jahre. Sie hatte zu der Zeit noch<br />
ke<strong>in</strong>en Motor; dieser wurde aber e<strong>in</strong>gebaut,<br />
als Kooiker (etwa 1923) die Pacht beendete,<br />
<strong>und</strong> auch nur zeitweise benutzt. Aus jener Zeit<br />
ist e<strong>in</strong>e fast anekdotenhafte Begebenheit überliefert.<br />
Als e<strong>in</strong>es Tages Mühlenbauer Jan Her<strong>in</strong>g<br />
aus Esche bei e<strong>in</strong>er Reparaturarbeit e<strong>in</strong>en<br />
der Flügel bestiegen hatte, löste der ahnungslose<br />
Müller die Bremse, <strong>und</strong> Her<strong>in</strong>g wurde<br />
durch die Luft gewirbelt, bis er sich bemerkbar<br />
machen konnte.<br />
Wann der Mühlenbetrieb e<strong>in</strong>gestellt wurde,<br />
ist nicht überliefert. E<strong>in</strong> Foto, das den Zustand<br />
der Mühle etwa Mitte der Dreißiger Jahre dokumentiert,<br />
zeigt sie noch betriebsbereit. Das<br />
Bild bestätigt die schon e<strong>in</strong> Jahrh<strong>und</strong>ert zuvor<br />
überlieferte Tatsache, dass es sich um e<strong>in</strong>en<br />
Galerieholländer handelte. Se<strong>in</strong> Sockel mit<br />
achteckigem Gr<strong>und</strong>riss ist aus Ziegelste<strong>in</strong>en<br />
aufgemauert, ihm liegt der Galerieboden auf.<br />
Das große Tor, das e<strong>in</strong>st Ackerwagen die<br />
E<strong>in</strong>fahrt gestattete, war <strong>in</strong> jener Zeit bereits<br />
zugemauert, alle<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e normale Tür war<br />
aus gespart. Etwa mannshoch oberhalb der<br />
Galerie begann der sich nach oben <strong>in</strong> elegantem<br />
Schwung verjüngende Mühlenkörper, der<br />
e<strong>in</strong>st vollständig sch<strong>in</strong>delgedeckt war, zum<br />
Zeitpunkt der Aufnahme aber bereits mehrere
Flickenstellen aufwies, die mit Brettern <strong>in</strong> sowohl<br />
horizontaler als auch vertikaler Anordnung<br />
aufgenagelt s<strong>in</strong>d. Die noch kompletten<br />
Mühlenflügel stehen <strong>in</strong> Ruhestellung, auch<br />
Kappe <strong>und</strong> Steert s<strong>in</strong>d noch erhalten.<br />
Sicher auf das Jahr 1936 ist e<strong>in</strong>e Aufnahme<br />
zu datieren, die die Mühlenflügel noch<br />
mit voller Segelbespannung zeigt. Nicht e<strong>in</strong>mal<br />
e<strong>in</strong> Vierteljahrh<strong>und</strong>ert später hatte sich<br />
das Bild völlig gewandelt. Zwar stand 1960 die<br />
Mühle noch, doch hatte sie ihre Flügel verloren,<br />
auch Galerie <strong>und</strong> Haube fehlten, stattdessen<br />
besaß sie e<strong>in</strong> behelfsmäßiges Dach. 1962<br />
wurde die W<strong>in</strong>dmühle abgerissen; ihre letzten<br />
Reste sollen 1970 beseitigt worden se<strong>in</strong>.<br />
Nachtrag: Laut Auskunft von H<strong>in</strong>drik<br />
Bouws, Niemöllerstraße 3, 49846 Emlichheim<br />
vom 03.07.2007 hat se<strong>in</strong> Vater 1947 Teile der<br />
alten W<strong>in</strong>dmühle (Flügel, Balken <strong>und</strong> Bretter)<br />
gekauft <strong>und</strong> beim Bau e<strong>in</strong>er Scheune auf se<strong>in</strong>em<br />
Hof <strong>in</strong> Volzel verwendet. Die Scheune<br />
steht noch heute. Die Mühle sei später noch<br />
wieder <strong>in</strong>stand gesetzt, aber niedriger gewesen<br />
als vorher. (gjb)<br />
Rossmühle Hoogstede<br />
Dr. He<strong>in</strong>rich Voort<br />
Als im Jahre 1860 der Müller Sander Heilmann<br />
<strong>in</strong> Wietmarschen beim zuständigen Amt<br />
Neuenhaus den Antrag stellte, ihm den Bau<br />
e<strong>in</strong>er „Roßmühle“ zur Herstellung von Buchweizengrütze<br />
zu genehmigen, ließ diese<br />
Be hörde <strong>in</strong> Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften<br />
<strong>in</strong> den ihr untergeordneten Vogteibezirken<br />
durch Umfrage die Notwendigkeit<br />
e<strong>in</strong>er solchen Anlage klären. Dabei stellte<br />
sich im Bericht des Vogts Driemeyer aus Emlichheim<br />
heraus, dass die Witwe Müller <strong>in</strong><br />
Hoogstede, die Mitbesitzer<strong>in</strong> der dortigen<br />
W<strong>in</strong>d mühle, damals e<strong>in</strong>e solche Vorrichtung<br />
besaß. Es handelte sich um „e<strong>in</strong>e Rollmühle,<br />
auf welcher Buchweizen <strong>und</strong> Habergrütze gemacht<br />
werden kann“, erläuterte der Vogt.<br />
„Zwar hat sie seit e<strong>in</strong>igen Jahren (seit dem<br />
Tode ihres ältesten Sohnes) davon ke<strong>in</strong>en Gebrauch<br />
gemacht, jedoch soll die Mühle noch<br />
<strong>in</strong> completen Stande sich bef<strong>in</strong>den, so daß alsogleich<br />
e<strong>in</strong> Pferd davor gespannt <strong>und</strong> Gebrauch<br />
davon gemacht werden kann. Die<br />
MÜHLENGESCHICHTE<br />
Wittwe Müller will e<strong>in</strong> Recht hierzu besitzen,<br />
dieses auch nicht aufgeben, vielmehr ehestens<br />
die Mühle wieder <strong>in</strong> Gebrauch nehmen“, so<br />
kommentierte Driemeyer die Lage.<br />
Weitere Nachrichten haben sich von der<br />
Hoogsteder Roßmühle nicht erhalten; ungewiss<br />
ist auch, ob sie nach 1860 wieder <strong>in</strong><br />
Gang gesetzt wurde.<br />
Literatur:<br />
F. Berends, H. Brooksnieder, H. Hannebrook,<br />
Die gute alte Zeit. Er<strong>in</strong>nerungen<br />
an Alt-Hoostede; Nordhorn o.J.<br />
Archivalien: Fürstlich Bentheimsches<br />
Archiv Burgste<strong>in</strong>furt, G 565, G 631;<br />
G 633; G 643 Bd. 1 + 2<br />
Staatsarchiv Osnabrück,<br />
Rep.340 Nr. 629; Rep.350 Neuhs Nr. 723;<br />
Rep.350 Neuhs Nr. 718<br />
Gescannt, korrigiert, ergänzt<br />
<strong>und</strong> neu aufgenommen, gjb 03.07.2007<br />
Mit Zustimmung des Verfassers<br />
Aus: He<strong>in</strong>rich Voort, Geschichte der W<strong>in</strong>d- <strong>und</strong> Wassermühlen<br />
<strong>in</strong> der Grafschaft Bentheim, (Bentheimer Land<br />
Band 110), Bad Bentheim 1987, Seite 170–181.<br />
W<strong>in</strong>dmühle Scheerhorn ca. 1885–1929<br />
Dr. He<strong>in</strong>rich Voort<br />
Bereits im Jahre 1819 wandten sich die E<strong>in</strong>gesessenen<br />
der zum Gericht Emlichheim gehörenden<br />
Bauerschaften Groß- <strong>und</strong> Kle<strong>in</strong>r<strong>in</strong>ge,<br />
Kalle, T<strong>in</strong>holt, Bathorn, Hoogstede,<br />
Scheerhorn <strong>und</strong> Berge an die hannoversche<br />
Regierung <strong>in</strong> Bentheim „wegen Erbauung<br />
e<strong>in</strong>er W<strong>in</strong>d-Öl-Mühle“. Als Standort dieser<br />
Anlage schlugen sie e<strong>in</strong>en geeigneten Platz <strong>in</strong><br />
der Gildschaft Scheerhorn vor. Zur Begründung<br />
ihrer Bitte erläuterten sie, dass der<br />
Anbau von ölhaltigen Früchten sehr zugenommen<br />
hätte <strong>und</strong> die vorhandenen Schlagwerke<br />
<strong>in</strong> den Wassermühlen an Vechte <strong>und</strong><br />
D<strong>in</strong>kel wegen Wassermangels während der<br />
Erntezeit der Ölsamen häufig nicht <strong>in</strong> Betrieb<br />
seien. „Bekanntlich wird der W<strong>in</strong>ter-Öl-<br />
Saamen schon vor Jacobi, der Sommer-Saamen<br />
aber im August <strong>und</strong> September reif, <strong>und</strong><br />
die E<strong>in</strong>gesessenen lassen den Saamen, sobald<br />
er reif <strong>und</strong> trocken ist, gern gleich schlagen“.<br />
Ausweichen konnten sie nur zu den Mühlen<br />
<strong>in</strong> Oldenzaal <strong>und</strong> Coevorden, doch war ihnen<br />
der Weg dorth<strong>in</strong> zu weit. So baten sie die<br />
Regierung, e<strong>in</strong>e zusätzliche, von W<strong>in</strong>d angetriebene<br />
Mühlenanlage „auf herrschaftliche<br />
Kosten“ anzulegen oder, falls dies nicht mög-<br />
225
4<br />
lich sei, „e<strong>in</strong>em sich dazu wahrsche<strong>in</strong>lich wohl<br />
f<strong>in</strong>denden Privato“ die Erlaubnis zum Bau zu<br />
erteilen.<br />
Die Mitglieder der bentheimschen Regierung<br />
gaben ihrer übere<strong>in</strong>stimmend ablehnenden<br />
Stellungnahme <strong>in</strong> kurzen, zum Umlauf<br />
bestimmten schriftlichen Kommentaren Ausdruck;<br />
wegen der für die herrschaftliche<br />
Ölmühle <strong>in</strong> Neuenhaus zu befürchtenden Konkurrenz<br />
spürten sie wenig Neigung, e<strong>in</strong>e weitere<br />
Anlage zu f<strong>in</strong>anzieren. Unter H<strong>in</strong>weis auf<br />
die vor wenigen Jahren zuvor entstandenen<br />
Ölmühlenschlagwerke des Jan Strick <strong>in</strong> Neuenhaus<br />
<strong>und</strong> des Lagemann <strong>in</strong> Wietmarschen,<br />
mit denen der Bedarf an Ölmühlen gedeckt<br />
sei, lehnten sie das Gesuch ab.<br />
Erbaut zwischen 1883 <strong>und</strong> 1889<br />
E<strong>in</strong>e W<strong>in</strong>dmühle dürfte Scheerhorn erst <strong>in</strong> der<br />
späteren zweiten Hälfte des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
erhalten haben; das genaue Datum ihres Baues<br />
ist nicht bekannt. Das diese Gegend erfassende<br />
226<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Blatt der hannoverschen Landesaufnahme von<br />
Gauss, das <strong>in</strong> den Jahren 1854 bis 1856 aufgenommen<br />
wurde, zeigt die Mühle noch nicht.<br />
Nach Kartenunterlagen des Katasteramtes Nordhorn<br />
wurde das Gr<strong>und</strong>stück, auf dem später<br />
die Mühle stand, 1883/84 von der Nach barparzelle<br />
abgetrennt; ob damals schon die<br />
Mühle errichtet wurde, ist nicht ersichtlich.<br />
1888/89 g<strong>in</strong>g die dem Colonen Evert Süwer<strong>in</strong>ck<br />
gehörende Fläche <strong>in</strong> das Eigentum<br />
des Müllers Wilm Grüter über, als dessen<br />
Wohnort Hoogstede e<strong>in</strong>getragen war. Das<br />
Baudatum der Scheerhorner Mühle ist damit<br />
auf den Zeitraum zwischen 1883 <strong>und</strong> 1889<br />
e<strong>in</strong>gegrenzt. So weist sie die Erstausgabe des<br />
Messtischblattes Veldhausen, das im Jahre<br />
1896 vermessen wurde, als <strong>in</strong> Betrieb bef<strong>in</strong>dliche<br />
Anlage aus.<br />
Wenig später – die mündliche Überlieferung<br />
nennt die Zeit um 1890 – erwarb He<strong>in</strong>rich<br />
Sommer die Anlage. Kurz vor Ausbruch<br />
des Ersten Weltkrieges sollte die Mühle offen-<br />
Karte mit der Lage der Hoogsteder <strong>und</strong> der Scheerhorner W<strong>in</strong>dmühle.,<br />
W<strong>in</strong>dmühle Scheerhorn (die Mühle liegt nordwestlich des Schriftzuges), die weiter nördlich gelegene Mühle (l<strong>in</strong>ks unterhalb des<br />
Namenszuges Hoogstede-Bathorn) ist die von Hoogstede. Kartengr<strong>und</strong>lage: Preußische Landesaufnahme 1 : 25 000, 3407<br />
(1898). Herausgegeben von der Preußischen Landesaufnahme. Vervielfältigt mit Erlaubnis des Niedersächs. Landesverwaltungsamtes<br />
– Landesvermessung – B 5 – 69/87. (He<strong>in</strong>rich Voort)
W<strong>in</strong>dmühle Scheerhorn mit den Geschwistern Sommer<br />
um 1925 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
bar mit Reet neu gedeckt werden, denn als zu<br />
Kriegsbeg<strong>in</strong>n Müller Sommer an die Front<br />
e<strong>in</strong>gezogen wurde, soll jahrelang Schilf im<br />
Müllershaus gelegen haben. Die Mühle stand<br />
zu der Zeit still.<br />
Nach Rückkehr des Müllers aus dem Felde<br />
wurde die Mühle wieder <strong>in</strong> Betrieb genommen.<br />
Nach e<strong>in</strong>em Foto von etwa 1920 handelte<br />
es sich bei dieser Mühle um e<strong>in</strong>en Erdholländer;<br />
auf gemauertem, etwa mannshohem<br />
Sockel mit schmaler E<strong>in</strong>gangstür saß die<br />
Holzkonstruktion des Rumpfes. Flügel, Reetdach<br />
<strong>und</strong> Steert s<strong>in</strong>d offenbar zu jener Zeit<br />
noch <strong>in</strong> gutem Zustand gewesen.<br />
Die Mühle mahlte zunächst ausschließlich<br />
mit W<strong>in</strong>dkraft, erhielt dann aber (etwa<br />
1923/24) e<strong>in</strong>en Motor. Wenig später wurde die<br />
Mühle abgerissen, als Müller Sommer die<br />
Hoogsteder W<strong>in</strong>dmühle übernahm; 1929 exis -<br />
tierte sie mit Sicherheit nicht mehr, als die<br />
Mühlenparzelle mit dem umliegenden Land<br />
im Kataster zu e<strong>in</strong>em Acker vere<strong>in</strong>igt wurde.<br />
Literatur:<br />
F. Berends, H. Brooksnieder, H. Hannebrook, Die gute alte<br />
Zeit. Er<strong>in</strong>nerungen an Alt Hoogstede; Nordhorn o. J.<br />
Archivalien: Staatsarchiv Osnabrück, Rep. 340 Nr. 638<br />
Aus: He<strong>in</strong>rich Voort, Geschichte der W<strong>in</strong>d- <strong>und</strong> Wassermühlen<br />
<strong>in</strong> der Grafschaft Bentheim.<br />
(Das Bentheimer Land 110), Bad Bentheim 1987, 333-335.<br />
Mit fre<strong>und</strong>licher Genehmigung des Verfassers (gjb)<br />
07.07.2007<br />
MÜHLENGESCHICHTE<br />
Mühlenbetrieb<br />
H<strong>in</strong>drik Köster seit 1925<br />
Von Hendrik <strong>und</strong> Irma Köster<br />
H<strong>in</strong>drik Köster wurde am 25. Februar 1895<br />
als erster Sohn der Eheleute Lukas <strong>und</strong> H<strong>in</strong>derkien<br />
Köster geb. Paus geboren. Die Kösters<br />
betrieben e<strong>in</strong>e Landwirtschaft. Die Hofstelle<br />
befand sich bis 1912 <strong>in</strong> Arkel an der Vechte<br />
(gegenüber von Bloemendal). Danach zog<br />
man an die Hauptstraße <strong>in</strong> Hoogstede. Dieser<br />
H<strong>in</strong>drik Köster hatte drei Brüder: Albert, Hendrikus<br />
<strong>und</strong> Jan sowie e<strong>in</strong>e Schwester Zwantien.<br />
Eigentlich hätte H<strong>in</strong>drik als ältester Sohn<br />
das landwirtschaftliche Erbe übernehmen<br />
müssen. Obwohl er die Landwirtschaftsschule<br />
<strong>in</strong> Neuenhaus mit Abschluss besucht hatte,<br />
übernahm er nicht den Hof, sondern errichtete<br />
mit se<strong>in</strong>em Bruder Hendrikus das Mühlengebäude<br />
an der gegenüberliegenden<br />
Straßenseite.<br />
Se<strong>in</strong> Bruder Albert widmete sich der Landwirtschaft,<br />
der jüngste Bruder Jan wurde später<br />
Pastor <strong>und</strong> Zwantien heiratete Jan-Harm<br />
Schoemaker, Emlichheim.<br />
1936 vor der 1925 erbauten Mühle Köster mit K<strong>in</strong>derzelt<br />
Stehend Ferienjunge aus Bremen, He<strong>in</strong>rich Köster,<br />
Unbekannt, vorne Henni Köster, Johann Köster, Jenni<br />
van Wieren, Henni Köster, Ernst Köster, He<strong>in</strong>rich Zomer,<br />
Wilhelm Blanke, Unbekannt (Köster)<br />
Am 1. Mai 1925 wurde der Mühlenbetrieb<br />
gegründet. H<strong>in</strong>drik betrieb die Getreidemühle,<br />
die das Getreide der heimischen Bauern schroten<br />
oder auch zu Backmehl verarbeiten konnte.<br />
H<strong>in</strong>driks Bruder Hendrikus hatte die Sägemühle.<br />
Sie wurde 1935 allerd<strong>in</strong>gs nach Em-<br />
227
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Oberleistungsprüfer Bernhard Koops <strong>und</strong> Lehrer Bernd-<br />
Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k vor Kösters Mühle, um 1960<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
lichheim verlegt, weil dort mehr Bauholz nach -<br />
gefragt wurde.<br />
H<strong>in</strong>drik Köster war gleichzeitig seit 1925<br />
Rendant (Geschäftsführer) der Spar- <strong>und</strong> Darlehnskasse<br />
Hoogstede. Die ersten Begriffe<br />
e<strong>in</strong>er Buchführung hat er vom damaligen katholischen<br />
Pfarrer gelernt.<br />
In den ersten Jahren war e<strong>in</strong> Herr Koyker<br />
aus Veldhausen als Müllermeister e<strong>in</strong>gestellt.<br />
Um 1960, Verkaufsraum Schrader, seitlich Kösters Mühle (Köster)<br />
228<br />
Dieser schaute des Öfteren aus dem Fenster<br />
der Mühle <strong>und</strong> sagte dann: „Ja, Köster, se willt<br />
van dage noch nich so hatte kummen.“ Das<br />
Müller handwerk hatte früher nicht den besten<br />
Ruf. Dafür spricht folgende Anekdote: Wenn<br />
e<strong>in</strong> Geselle e<strong>in</strong>gestellt wurde, sollte er weite<br />
Ärmel vorzeigen können, denn dadurch<br />
wurde das mit e<strong>in</strong>er Handschaufel aus dem<br />
Sack genommene Mehl noch etwas mehr. Als<br />
Lohn für das Schroten von fünfzig Kilogramm<br />
Roggen wurden drei Kilogramm e<strong>in</strong>behalten.<br />
Beim Herstellen von Backmehl waren es sogar<br />
sechs Kilogramm.<br />
Der Zweite Weltkrieg g<strong>in</strong>g auch an der<br />
Firma Köster nicht spurlos vorüber. Im November/Dezember<br />
1940 diente die leerstehende<br />
Sägemühle als Pferdestall für zwanzig<br />
Pferde der Kavallerie. Ende Mai 1940 wurden<br />
hier sechzig polnische Kriegsgefangene untergebracht,<br />
die bei den Bauern arbeiten<br />
mussten. Später wurden im Mühlengebäude<br />
französische Kriegsgefangene untergebracht.<br />
In der Sägemühle waren <strong>in</strong> den ersten Nachkriegsjahren<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge aus den Ostgebieten<br />
e<strong>in</strong>quartiert. Sie mussten bei laufendem Mühlenbetrieb<br />
sehr beengt <strong>und</strong> menschenunwürdig<br />
leben. Aber zu der Zeit war man froh, überhaupt<br />
e<strong>in</strong> Dach über dem Kopf zu haben. Das war bei<br />
den Vertriebenen besonders der Fall.
Hanomag <strong>und</strong><br />
Dreschmasch<strong>in</strong>e<br />
etwa 1967.<br />
Am Hanomag<br />
stehen Jan Höll -<br />
mann mit Heike<br />
Köster <strong>und</strong> Jutta<br />
Köster (Köster)<br />
Henni Köster <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich Köster <strong>in</strong> 1952.<br />
Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> Hof Johann Köster (Köster)<br />
Im vordersten Teil der Mühle wurde sogar<br />
e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d geboren. Es war Uwe Schrader. Die<br />
Schraders wohnten vorne <strong>in</strong> der Mühle <strong>und</strong><br />
hatten neben der Mühle e<strong>in</strong>e Baracke, <strong>in</strong> der<br />
sie e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en, gut laufenden Laden unterhielten.<br />
Später bauten sie an der Hauptstraße<br />
neben der <strong>altreformierte</strong>n <strong>Kirche</strong> e<strong>in</strong> Lebensmittelgeschäft.<br />
Auch die Familie Anton Penkert wohnte zu<br />
dieser Zeit im h<strong>in</strong>teren Teil der Mühle. Vorher<br />
wohnte Penkert auf dem Hofe Köster, wo er<br />
als B-Soldat tätig war.<br />
MÜHLENGESCHICHTE<br />
Nachdem der Sohn des Firmengründers,<br />
He<strong>in</strong>rich Köster, im November 1948 aus französischer<br />
Kriegsgefangenschaft heimgekehrt<br />
war, übernahm er im Alter von 22 Jahren die<br />
Leitung des Unternehmens. Zu den ersten Mitarbeitern<br />
gehörten <strong>in</strong> dieser Zeit Jan-Harm<br />
Mensen, Hoogstede, (er war 44 Jahre im Betrieb<br />
tätig) <strong>und</strong> H<strong>in</strong>drik Ellen, Hoogstede.<br />
In den 50er Jahren erlebte die Firma e<strong>in</strong>en<br />
ungeahnten Aufschwung. Dieser basierte auf<br />
der enorm wachsenden Veredlungswirtschaft<br />
<strong>in</strong> den landwirtschaftlichen Betrieben. Die<br />
Umsatzsteigerungen erforderten stets neue Investitionen.<br />
1960 wurde mit dem Verkauf von<br />
Düngemitteln begonnen. E<strong>in</strong> Lagergebäude<br />
mit Gleisanschluss wurde gebaut. Das ursprüngliche<br />
Mühlengebäude an der Hauptstraße<br />
wurde 1964 abgebrochen. An gleicher<br />
Stelle entstand e<strong>in</strong> neues Lagergebäude mit<br />
Büroräumen <strong>und</strong> moderner Getreidetrocknung.<br />
Im Jahr 1970 wurden weitere Getreidesilos<br />
errichtet.<br />
Im Jahre 1973 wurde <strong>in</strong> der Nähe des<br />
ehemaligen Hoogsteder Bahnhofes e<strong>in</strong> weiteres<br />
Lager für lose Düngemittel errichtet.<br />
Im Frühjahr 1977 wurde der Betrieb an der<br />
Hauptstraße um e<strong>in</strong>en Haus- <strong>und</strong> Gartenmarkt<br />
erweitert.<br />
229
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Die dritte Generation der Familie stieg<br />
1983 mit Hendrik Köster <strong>in</strong> das Unternehmen<br />
e<strong>in</strong>. Im Jahre 1986 wurde e<strong>in</strong>e moderne Düngermischanlage<br />
<strong>in</strong>stalliert. 1990 wurde e<strong>in</strong>e<br />
neue Maistrocknungsanlage errichtet, da <strong>in</strong><br />
unserer Region der Körnermaisanbau an Bedeutung<br />
zunahm. 1993 erfolgte die Fusion zu<br />
„Vechteland Agrarhandel“ mit der befre<strong>und</strong>eten<br />
Emlichheimer Landhandelsfirma Jan Boer<strong>in</strong>g<br />
Ruitman. Ende 1995 wurde an der<br />
Bergstraße e<strong>in</strong> neuer „Kiebitzmarkt“ (Haus<strong>und</strong><br />
Gartenmarkt) eröffnet.<br />
Die ursprüngliche Tätigkeit des Unternehmens<br />
als damaliger Mühlenbetrieb hielt im<br />
Jahre 2003 <strong>in</strong> modernerer Form erneut E<strong>in</strong>zug<br />
<strong>in</strong> das Unternehmen. Im Hoogsteder Gewerbegebiet<br />
entstand e<strong>in</strong> moderner Betrieb mit<br />
e<strong>in</strong>er neuen Mühle <strong>und</strong> Mischfutterproduktion<br />
sowie größerer Maistrocknungsanlage. Wie <strong>in</strong><br />
1925 so zeigt sich der Betrieb auch heute als<br />
zuverlässiger Partner der bäuerlichen Familienbetriebe<br />
unserer Niedergrafschaft.<br />
P.S. Im Jahre 2001 machte He<strong>in</strong>rich Köster<br />
Aufzeichnungen mit heiteren Episoden des<br />
Mühlenbetriebes. Etwa 25 Seiten umfassen<br />
diese Erlebnisse <strong>und</strong> Geschehnisse von früher.<br />
Wer sie nachlesen möchte, wende sich bitte an<br />
Hendrik Köster, Hoogstede.<br />
Jan Harm Mensen,1928-2006 war über 40 Jahre im Betrieb.<br />
Er wurde am 31.12.1993 verabschiedet (Mensen)<br />
230<br />
Neues Düngemittellager seit 1979 (Köster)<br />
Neubau Köster von 1964. Aufnahme von 1979 (Köster)<br />
He<strong>in</strong>rich Köster <strong>und</strong> Alw<strong>in</strong>e geb. Schoemaker <strong>in</strong> 1994<br />
(Köster)
Geschäfte <strong>und</strong> Gaststätten<br />
Sloot – e<strong>in</strong>e Hoogsteder<br />
Familiengeschichte<br />
Hilde Neuw<strong>in</strong>ger<br />
Sechzehn Jahre nach dem Bau der reformierten<br />
<strong>Kirche</strong> errichtete Geerd Sloot (1809–1855)<br />
im Jahre 1837 <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe zur <strong>Kirche</strong><br />
e<strong>in</strong> Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus. Auf dieses<br />
Datum weist e<strong>in</strong> alter Bauste<strong>in</strong> im Haus „Sloot“<br />
aus dem Jahr 1837 h<strong>in</strong>. Vermutlich ist dies<br />
das Gründungsjahr des Geschäftes Sloot. Die<br />
Inschrift lautet:<br />
Weant Gott behaegt,<br />
is beter beneiet als beklag(t)<br />
Geert Sloot, Anno 1837<br />
Wenn es Gott behagt,<br />
ist es besser beneidet als beklagt.<br />
Geert Sloot Ano 1837<br />
Gedenkste<strong>in</strong> im Hause Sloot-Neuw<strong>in</strong>ger von 1837<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Das Haus Sloot prägt bis heute das Ortsbild<br />
von Hoogstede. Das Geschäft Sloot hatte bis vor<br />
wenigen Jahren e<strong>in</strong>e zentrale Funktion <strong>in</strong> der<br />
Versorgung der Region. Darüberh<strong>in</strong>aus traten<br />
Mitglieder der Familie Sloot <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Generationen immer wieder im öffentlichen<br />
Leben der Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> Ersche<strong>in</strong>ung.<br />
Ausschnitt aus e<strong>in</strong>er farbigen Postkarte, kle<strong>in</strong>er Junge vor<br />
Sloot um 1900/1910 (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Die Herkunft<br />
Der genannte Geschäftsmann Geerd Sloot<br />
stammt aus Adorf/Neur<strong>in</strong>ge, aber se<strong>in</strong>e Abstammungsl<strong>in</strong>ie<br />
führt zurück nach Hoogstede.<br />
Se<strong>in</strong> Großvater gleichen Namens, Geert Sloot<br />
(1727–1810), Sohn von Albert Sloot, ist <strong>in</strong><br />
Hoogstede geboren.<br />
Als <strong>in</strong> der 2. Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
die Ansiedlungen <strong>in</strong> Adorf erfolgen, gehört<br />
der Großvater Geert Sloot zu den Kolonisten,<br />
die sich dort e<strong>in</strong>e Existenz aufbauen.<br />
Der Sohn <strong>und</strong> Hoferbe des Adorfer Kolonisten<br />
ist Hendrik Sloot. Dieser Hendrik ist der<br />
Vater des oben genannten Hoogsteder Geschäfts<br />
mannes Geerd Sloot. Die Mutter ist<br />
Zwenne, geb. Berends (29.12.1781–19.11.<br />
1853), die H. Sloot am 20.04.1806 heiratet.<br />
Hendrik Sloot erwirbt 1818 e<strong>in</strong>e größere<br />
Parzelle <strong>in</strong> der R<strong>in</strong>ger Mark (jetzt Neur<strong>in</strong>ge,<br />
an der Straße nach R<strong>in</strong>ge). Da es den Kolonisten<br />
<strong>in</strong> der R<strong>in</strong>ger Mark nicht erlaubt ist, auf<br />
231
4<br />
ihren Parzellen e<strong>in</strong> Haus zu bauen, kauft sich<br />
Hendrik Sloot <strong>in</strong> der Nähe e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Fläche<br />
Bathorner Markengr<strong>und</strong> von der Gildschaft<br />
Scheerhorn, worauf er se<strong>in</strong> Haus anlegt. Das<br />
ist die heutige Hofstelle Sloot, wo der Adorfer<br />
Damm auf den Bathorner Diek trifft. Der Verkauf<br />
dieses kle<strong>in</strong>en Stückchens Hochmoor<br />
erfolgte vermutlich nur auf Drängen von Hendrik<br />
Sloot. Die Lage zeigt Sloots starke B<strong>in</strong>dungen<br />
nach Adorf, wo er geboren <strong>und</strong><br />
aufgewachsen ist. Das vom Vater ererbte Kolonat<br />
<strong>in</strong> Adorf hat er beim Wechsel nach Neur<strong>in</strong>ge<br />
verkauft.<br />
Die Bauernschaften Scheerhorn, Berge,<br />
Hoogstede, Bathorn, Kalle <strong>und</strong> T<strong>in</strong>holt, die<br />
das neu entstandene Kirchspiel Arkel bilden,<br />
erhalten 1820 die Erlaubnis, Markengründe zu<br />
verkaufen, zur „Dotation des Pfarrgehalts“,<br />
also zugunsten der neu gegründeten Pfarrstelle<br />
<strong>in</strong> Hoogstede. Hendrik Sloot nutzt die<br />
Gelegenheit <strong>und</strong> erwirbt große Flächen<br />
„Moorgr<strong>und</strong>“ <strong>in</strong> der Nähe se<strong>in</strong>es Wohnhauses<br />
auf beiden Seiten des Bathorner Dieks.<br />
Danach kommt es zu jahrelangen Ause<strong>in</strong>andersetzungen<br />
zwischen Sloot <strong>und</strong> den „notablesten<br />
E<strong>in</strong>gesessenen der Bauernschaften<br />
Bathorn <strong>und</strong> Hochstädte“ über Größe <strong>und</strong> Begrenzung<br />
der erworbenen Flächen <strong>und</strong> über<br />
die Erfüllung der Abzahlungspflichten. Umstritten<br />
s<strong>in</strong>d auch die Eigentumsrechte, <strong>in</strong>sbesondere<br />
die Erlaubnis für den Bau der sechs<br />
Heuerleutewohnungen auf der Fläche südlich<br />
des Bathorner Dieks. Die „vornehmen“ Bathorner<br />
<strong>und</strong> Hoogsteder behaupten sogar, Sloot<br />
habe die Bedrängnis, <strong>in</strong> der sich se<strong>in</strong>erzeit die<br />
Verkäufer bef<strong>und</strong>en haben, ausgenutzt. Obendre<strong>in</strong><br />
sei der „Ausfertiger“ des Kontraktes, der<br />
damalige Hausvogt Bruna, durch den Kirchmeister<br />
von Hoogstede „missleitet“ worden,<br />
weil Hendrik Sloot den Kirchmeister mit 50<br />
Gulden bestochen habe.<br />
Ob die vorgebrachten Anschuldigungen<br />
dem tatsächlichen Sachverhalt entsprechen,<br />
lässt sich nur schwer beurteilen. Vermutlich<br />
kommt bei den Bathornern <strong>und</strong> Hoogstedern<br />
e<strong>in</strong> gewisser Neid auf, als sie mit ansehen müssen,<br />
dass <strong>in</strong> ihrer ehemals ungenutzten Mark<br />
der Kolonist Hendrik Sloot auf e<strong>in</strong>em Drittel der<br />
erworbenen Flächen Miete<strong>in</strong>nahmen erwirt-<br />
232<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
schaftet, die doppelt so hoch s<strong>in</strong>d wie se<strong>in</strong>e<br />
gesamten Abzahlungsverpflichtungen.<br />
Umstrittene Geme<strong>in</strong>dezugehörigkeit<br />
Besonders <strong>in</strong>teressant s<strong>in</strong>d die Entwicklungen<br />
der Geme<strong>in</strong>dezugehörigkeit. Bis 1853 fühlen<br />
sich Sloot <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Heuerleute der Geme<strong>in</strong>de<br />
Neur<strong>in</strong>ge zugehörig; H<strong>in</strong>drik Sloot ist <strong>in</strong> den<br />
30er Jahren selbst sogar sechs Jahre Vorsteher<br />
dieser Geme<strong>in</strong>de gewesen, <strong>und</strong> das, obwohl er<br />
<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Heuerleute <strong>in</strong> der „Mark von Bathorn<br />
<strong>und</strong> Hoogstäde wohnen“.<br />
Als im Jahre 1853 e<strong>in</strong>em Heuermann der<br />
Trausche<strong>in</strong> von der Geme<strong>in</strong>de Neur<strong>in</strong>ge verweigert<br />
wird, muss die Geme<strong>in</strong>dezugehörigkeit<br />
geklärt werden.<br />
Sloot <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Leute erklären, dass sie mit<br />
<strong>in</strong>sgesamt 51 Personen am liebsten e<strong>in</strong>e eigene<br />
politische Geme<strong>in</strong>de bilden würden. In<br />
ihrem Bemühen werden sie sogar von allen<br />
anderen Geme<strong>in</strong>den unterstützt, denen sie<br />
womöglich zugeschlagen werden könnten.<br />
Die Vorsteher von Bathorn, Scheerhorn <strong>und</strong><br />
Berge geben zu verstehen, dass ihre Geme<strong>in</strong>den<br />
wegen der weiten Entfernung nicht <strong>in</strong>frage<br />
kämen. Der Vorsteher von Neur<strong>in</strong>ge<br />
erklärt, dass se<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>de weder mit Sloot<br />
noch mit se<strong>in</strong>en Heuerleuten etwas zu tun<br />
haben wolle. Er empfehle e<strong>in</strong>e Zuordnung nach<br />
Adorf. Der Vorsteher von Adorf erklärt, se<strong>in</strong>e<br />
Geme<strong>in</strong>de sei e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>igung mit Sloot <strong>und</strong><br />
se<strong>in</strong>en Heuerleuten gänzlich abgeneigt.<br />
Die Motive der ablehnenden Geme<strong>in</strong>den<br />
s<strong>in</strong>d vielfältig <strong>und</strong> unterschiedlich. Geme<strong>in</strong>sam<br />
ist allen die Besorgnis, die armen Heuerleute<br />
von Sloot könnten wegen ihrer Hilfsbedürftigkeit<br />
den Geme<strong>in</strong>den zur Last fallen, da<br />
Sloot ihnen „nicht so viel Land angewiesen<br />
(hat), als sie höchstnotwendig bedürfen, um<br />
e<strong>in</strong>igermaßen bestehen zu können“.<br />
Das Innenm<strong>in</strong>isterium <strong>in</strong> Hannover entscheidet<br />
im September 1853, dass „der Colon<br />
Sloot mit se<strong>in</strong>en sieben Heuerleuten der Geme<strong>in</strong>de<br />
Neur<strong>in</strong>ge angehören“ soll.<br />
Die Geme<strong>in</strong>de Neur<strong>in</strong>ge legt noch e<strong>in</strong>mal<br />
Widerspruch e<strong>in</strong> mit der Begründung, dass die<br />
E<strong>in</strong>wohner von Neur<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>er Vere<strong>in</strong>igung<br />
mit ihnen (Sloot <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Heuerleuten) sehr<br />
stark abgeneigt seien <strong>und</strong> sie außerdem zu
e<strong>in</strong>er anderen <strong>Kirche</strong>ngeme<strong>in</strong>de gehörten. Das<br />
Innenm<strong>in</strong>isterium bleibt aber bei se<strong>in</strong>er Entscheidung<br />
für e<strong>in</strong>en Zusammenschluss mit<br />
Neur<strong>in</strong>ge.<br />
Für den dann 71-jährigen Gründerkolonis -<br />
ten ist das sicher e<strong>in</strong>e bittere Entscheidung gewesen.<br />
Neben dem Tod se<strong>in</strong>er Frau im<br />
November 1853 ist die Abneigung der Neur<strong>in</strong>ger<br />
Kolonisten gegen ihn <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Heuerleute<br />
vermutlich der Gr<strong>und</strong> gewesen, dass er<br />
se<strong>in</strong>en Wohnsitz zu se<strong>in</strong>em ältesten Sohn,<br />
dem Kaufmann Geerd Sloot, nach Hoogstede<br />
verlegt. Se<strong>in</strong> Erbe <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge tritt se<strong>in</strong> drittältester<br />
Sohn Jan H<strong>in</strong>drik an. Der Gründer der<br />
Siedlung, Hendrik Sloot, stirbt im Alter von<br />
81 Jahren am 29.August 1863 <strong>in</strong> Hoogstede.<br />
Quelle:<br />
Gregor G. Santel „Neur<strong>in</strong>ge - Die Entstehung e<strong>in</strong>er<br />
Moorgeme<strong>in</strong>de“; Bentheimer Jahrbuch 1991, S. 197-240<br />
Geschäftsgründer Geerd Sloot<br />
Der Kaufmann Geerd Sloot wird am 09.11.1809<br />
<strong>in</strong> Adorf geboren <strong>und</strong> wächst dort auf dem von<br />
se<strong>in</strong>em Großvater begründeten Kolonistenhof<br />
auf. Als er elf Jahre alt ist, zieht se<strong>in</strong>e Familie<br />
nach Neur<strong>in</strong>ge (s.o.).<br />
Im Jahr 1837, also im Alter von 28 Jahren,<br />
eröffnet er <strong>in</strong> Hoogstede se<strong>in</strong> Geschäft.<br />
E<strong>in</strong> Jahr später, am 05.07.1838 heiratet er<br />
Jannegien Neerken aus Hoogstede, die 27-jährige<br />
Tochter von Colon Niklaas Neerken <strong>und</strong><br />
se<strong>in</strong>er Frau Ale Wigger.<br />
GESCHÄFTE<br />
Geerd Sloot stirbt schon am 28.05.1855 im<br />
Alter von 45 Jahren an e<strong>in</strong>er „langwierigen<br />
Krankheit“. Er h<strong>in</strong>terlässt se<strong>in</strong>e Frau <strong>und</strong> fünf<br />
K<strong>in</strong>der im Alter zwischen fünf <strong>und</strong> 17 Jahren.<br />
Se<strong>in</strong>e Witwe heiratet am 04.04.1856 den 17<br />
Jahre jüngeren Hoogsteder Lehrer (seit 1851)<br />
Harm Schiev<strong>in</strong>k. Aus dieser Ehe geht e<strong>in</strong> Sohn<br />
hervor, Geert Schiev<strong>in</strong>k, geb. 24.1.1857.<br />
Nach dem Tod se<strong>in</strong>er Frau Jannegien am<br />
11.09.1887 heiratet Schiev<strong>in</strong>k e<strong>in</strong> zweites Mal<br />
mit der zweifach verwitweten Fennegien Kuite.<br />
Sie war <strong>in</strong> erster Ehe (1858) mit dem Colon<br />
Wasse Hannebrook (1823–1873) verheiratet<br />
<strong>und</strong> danach (1874) mit dem älteren Bruder<br />
<strong>und</strong> Witwer Geert Hannebrook (1813–1879).<br />
Harm Schiev<strong>in</strong>k stirbt 1907, se<strong>in</strong>e zweite Frau<br />
Fennegien 1919.<br />
Bäckermeister H<strong>in</strong>drik Sloot<br />
H<strong>in</strong>drik Sloot, geb. am 07.10.1844, der Geschäftsnachfolger<br />
des Gründers Geerd Sloot,<br />
ist zehn Jahre, als se<strong>in</strong> Vater stirbt. Er ist das<br />
dritte von fünf K<strong>in</strong>dern. E<strong>in</strong>e ältere Schwester,<br />
Aaltien Müller (Mulder) geb. Sloot, ist nach<br />
Brooklyn, Nordamerika, ausgewandert.<br />
Vermutlich wächst H<strong>in</strong>drik Sloot bei Verwandten<br />
<strong>in</strong> Emden auf <strong>und</strong> übernimmt im Erwachsenenalter<br />
das väterliche Geschäft.<br />
Haus Sloot mit Vorbau. Dies ist wahrsche<strong>in</strong>lich die älteste<br />
Aufnahme des Geschäfts. L<strong>in</strong>ks ist e<strong>in</strong> Teil der Backstube<br />
zu sehen. Den E<strong>in</strong>gang des Hauses schützt e<strong>in</strong> hölzerner<br />
Vorbau (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
233
4<br />
234<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Mehrere Quittungen weisen darauf h<strong>in</strong>,<br />
dass Geschwister <strong>und</strong> auch der Stiefvater ausgezahlt<br />
wurden.<br />
„Ich, der endesunterschriebene Lehrer Harm<br />
Schiev<strong>in</strong>k zu Hoogstede, bekenne hiermit, am<br />
heutigen Tage von me<strong>in</strong>em Stiefsohn, dem<br />
Bäcker <strong>und</strong> Kaufmann H<strong>in</strong>drik Sloot zu Hoogstede<br />
diejenigen 600 Gulden gleich E<strong>in</strong> Tausend<br />
Mark erhalten zu haben, welche mir aus dem<br />
Ehe- <strong>und</strong> K<strong>in</strong>dschaftsvertrage vom 18. März<br />
1856 & 5 daselbst – für den Fall zustanden,<br />
daß ich von der Sloot`schen Stätte zu Hoogstede<br />
wieder abheiratete.<br />
Hoogstede den 17 März 1890<br />
H. Schiev<strong>in</strong>k, Lehrer“<br />
„Heute wurde mir von me<strong>in</strong>em Bruder H<strong>in</strong>drik<br />
Sloot zu Hoogstede den Rest me<strong>in</strong>er Abf<strong>in</strong>dung<br />
von der Slootschen Stätte Haus No 27 (früher<br />
No 25) zu Hoogstede mit f 500, wörtlich fünfh<strong>und</strong>ert<br />
gülden wie im Testament vom 16. Januar<br />
1882 von me<strong>in</strong>en Eltern festgestellt ist,<br />
ausgezahlt, wofür ich hiermit quittiere.<br />
Hoogstede den 10 August 1895<br />
A. Müller geb. Sloot“<br />
Quittung Erbschaft A. Müller geb. Sloot (USA) vom<br />
10.08.1895 (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
H<strong>in</strong>drik Sloot (1844–1904) ist Bäcker, Krämer<br />
<strong>und</strong> Postagent <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Person. Er heiratet<br />
am 09.09.1875 Hille Büssemaker (09.11.1852<br />
bis 07.06.1884). Aus der Ehe gehen vier K<strong>in</strong>der<br />
hervor, zwei Söhne (Hermann <strong>und</strong> Johannes<br />
B. Th.) <strong>und</strong> zwei Töchter (Jennegien <strong>und</strong><br />
Johanna Ges<strong>in</strong>a). H<strong>in</strong>drik Sloot stirbt am<br />
17.02.1904.<br />
Geschäft Sloot<br />
mit Fahrradständer<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)
Bäckermeister Hermann Sloot<br />
Laut vorliegendem Erbvertrag vom 12.10.1903<br />
erbt der älteste Sohn Hermann Sloot, geb.<br />
10.04.1877, das Geschäft <strong>und</strong> wird somit Nachfolger.<br />
Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts, also zu Lebzeiten<br />
des Vaters, übernimmt Hermann Sloot<br />
die Geschäftsführung. Auch er ist Bäcker, Krämer<br />
<strong>und</strong> Postagent. Zudem übt er die Aufgaben<br />
des Standesbeamten aus. Hermann Sloot<br />
heiratet am 25.05.1906 Zwenne, geb. Tyman<br />
aus Wilsum (25.05.1884 - 29.09.1959).<br />
Aus der Ehe gehen 3 K<strong>in</strong>der hervor, Hildegard<br />
(28.07.1907–10.08.1981), He<strong>in</strong>rich, geb.<br />
21.02.1911, Jenny (31.05.1921–27.07.2001).<br />
Hermann Sloot verstirbt am 28. Januar 1945.<br />
Hermann Sloot,1877-1945, mit Pfeife (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Kaufmann He<strong>in</strong>rich Sloot<br />
He<strong>in</strong>rich Sloot legt am 20.04 1931 die Gesellenprüfung<br />
als Bäcker <strong>und</strong> Konditor nach<br />
e<strong>in</strong>er Lehre <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Bäckerei <strong>in</strong> Bentheim ab.<br />
Danach ist er im elterlichen Betrieb tätig.<br />
Neben se<strong>in</strong>er Arbeit als Kaufmann hat He<strong>in</strong>rich<br />
Sloot e<strong>in</strong>e Organistenstelle <strong>in</strong> der anliegenden<br />
reformierten <strong>Kirche</strong> <strong>in</strong>ne. Er bezieht<br />
über Jahre e<strong>in</strong>e Zeitschrift für Organisten mit<br />
dem Titel „Psalter <strong>und</strong> Harfe“ <strong>und</strong> ist Mitglied<br />
im Reichsverband für <strong>Kirche</strong>nmusik. Bis zur Installation<br />
e<strong>in</strong>es elektrischen Läutwerkes erfolgt<br />
das tägliche Mittagsläuten <strong>in</strong> der reformierten<br />
<strong>Kirche</strong> um 12 Uhr durch die Familie Sloot.<br />
GESCHÄFTE<br />
Hermann (1877–1945) <strong>und</strong> Zwenne Sloot geb. Tyman,<br />
1884–1959 (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
„Postkutsche“ vor dem Hause Sloot, mit Militär, um 1940<br />
im Zweiten Weltkrieg. Zweiter von rechts Hermann Sloot<br />
(1877–1945). Das Haus ist aufgestockt, oberhalb des Ladenlokals<br />
bef<strong>in</strong>den sich Schlafräume (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
E<strong>in</strong>e Anekdote spielt sich <strong>in</strong> der Zeit zwischen<br />
den beiden Weltkriegen ab. Im Hause<br />
Sloot lebt damals e<strong>in</strong> Dackel namens Waldmann.<br />
Waldmann läuft e<strong>in</strong>es Tages e<strong>in</strong>em Bäcker,<br />
der mittags die Glocken läuten will, nach.<br />
Er gelangt unbemerkt <strong>in</strong> die <strong>Kirche</strong>, aber nicht<br />
wieder mit h<strong>in</strong>aus. Zwar wird se<strong>in</strong> Bellen gehört,<br />
aber der H<strong>und</strong> kommt abends nicht nach<br />
Haus. Niemand kommt auf die Idee, dass der<br />
H<strong>und</strong> sich <strong>in</strong> der <strong>Kirche</strong> bef<strong>in</strong>den könne. Am<br />
nächsten Morgen startet der Pastor (Buitkamp?)<br />
mit dem Fahrrad zu e<strong>in</strong>em Hausbesuch, kommt<br />
an dem <strong>Kirche</strong>nportal vorbei <strong>und</strong> hört Wald-<br />
235
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Briefpapier Sloot nach 1950 (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
mann bellen. Der Pastor befreit den Dackel, dieser<br />
rennt nach Hause <strong>und</strong> beißt den Bäcker <strong>in</strong>s<br />
Be<strong>in</strong>. Den Pastor begleitet Waldmann von nun<br />
an des Öfteren zu Hausbesuchen.<br />
Neben der Bäckerei, dem Lebensmittel<strong>und</strong><br />
Kurzwarenhandel bef<strong>in</strong>det sich auch die<br />
Poststelle im Geschäft Sloot. Der E<strong>in</strong>gang zur<br />
Post führt durch das Geschäft. Während des<br />
Krieges kommen täglich Dorfbewohner <strong>und</strong><br />
erk<strong>und</strong>igen sich nach Post von der Front.<br />
Freudige Gesichter gibt es, wenn e<strong>in</strong> Lebenszeichen<br />
e<strong>in</strong>trifft, aber viele warten vergebens.<br />
Gefallenen-Nachrichten gehen zum Ortsgruppenleiter,<br />
der die Angehörigen verständigen<br />
muss (Lehrer Tr<strong>in</strong>kler <strong>in</strong> Scheerhorn <strong>und</strong> Lehrer<br />
Kor<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Kalle).<br />
236<br />
Auch e<strong>in</strong> Kohlenhandel wird betrieben.<br />
Dieser besteht schon vor dem 2. Weltkrieg.<br />
Während zu Kriegszeiten fast ausschließlich<br />
mit Torf geheizt wird, kommen nach Kriegsende<br />
als Heizmaterial Eierkohle <strong>und</strong> Brikett<br />
h<strong>in</strong>zu. Das Brennmaterial wird per Bahn geliefert,<br />
auf Pferdewagen geschippt, teils gleich<br />
zu den Leuten gefahren <strong>und</strong> dort abgeschippt,<br />
teils aber auch beim Geschäft gelagert. Der<br />
Transport der Kohle mit Pferd <strong>und</strong> Wagen ist<br />
e<strong>in</strong>e schwere Arbeit. Der Kohlenhandel wird<br />
bis Anfang der 70iger Jahre betrieben.<br />
He<strong>in</strong>rich Sloot wird zum Wehrdienst <strong>in</strong><br />
den Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>berufen. Während<br />
der Abwesenheit von He<strong>in</strong>rich Sloot im Zweiten<br />
Weltkrieg arbeitet se<strong>in</strong>e Verlobte Gerda<br />
Stroot im Geschäft. He<strong>in</strong>rich Sloot wird seit<br />
dem 11.10.1944 <strong>in</strong> Russland vermisst <strong>und</strong> im<br />
Jahr 1958 für tot erklärt.<br />
Nach dem Tod se<strong>in</strong>es Vaters Hermann<br />
Sloot (28.1.1945) wird das Geschäft unter dem<br />
Namen der Ehefrau Zwenne <strong>und</strong> nach deren<br />
Tod am 29.09.1957 durch die Tochter Jenny<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k weiterh<strong>in</strong> unter dem Geschäfts -<br />
namen „Sloot“ als Gemischtwarengeschäft<br />
(Lebens mittel, Porzellan, Eisenwaren, Kohlenhandel)<br />
geführt. Die Bäckerei besteht seit<br />
Kriegsende nicht mehr <strong>und</strong> die Poststelle geht<br />
nach dem Krieg über an Wasse Hannebrook.<br />
Im Jahr 1960 wird „Sloot“ zu e<strong>in</strong>em Selbstbedienungsgeschäft<br />
erweitert <strong>und</strong> umgebaut.<br />
Drei Soldaten, l<strong>in</strong>ks He<strong>in</strong>rich Sloot, 1911-1944<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Kohlenhändlerkarte<br />
1944/45<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)
Im Laden Alide Rigter<strong>in</strong>k geb. Schroven <strong>und</strong> Gerda Brouwer geb.<br />
Stroot. Der Laden während des Zweiten Weltkrieges. Deutlich zu<br />
erkennen ist die Bedienungstheke, dah<strong>in</strong>ter gibt es Schubladen <strong>und</strong><br />
Regale. (Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Ende 1950er Jahre, der DKW vor dem Laden. Rechts die Eheleute<br />
Berend-Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k <strong>und</strong> Jenni geb. Sloot, l<strong>in</strong>ks vorne Henni<br />
Bleumer geb. Keen, dah<strong>in</strong>ter Berend<strong>in</strong>e Boll <strong>und</strong> h<strong>in</strong>ter dem DKW<br />
Ursel Klefoth geb. Schomburg. Im Auto sitzen ihre beiden K<strong>in</strong>der<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Bäckerei <strong>und</strong> Geschäftshaus werden mite<strong>in</strong>ander<br />
verb<strong>und</strong>en. Dies geht e<strong>in</strong>her mit der Errichtung<br />
e<strong>in</strong>er Telefonvermittlungsstelle durch<br />
die Post.<br />
Von 1975 bis 1985 ist das Geschäft vermietet<br />
an Hermann Wolts aus Osterwald. Danach<br />
übernimmt Wolfgang Neuw<strong>in</strong>ger, der<br />
Schwiegersohn der Geschäfts<strong>in</strong>haber<strong>in</strong>, die<br />
Geschäftsführung bis zum Tod von Jenny<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k am 27.07. 2001.<br />
Mitte September 2001 wird das Geschäft<br />
geschlossen, aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teil der Räumlichkeiten<br />
eröffnet nach kurzer Umbauphase der<br />
GESCHÄFTE<br />
Jenny Harms-Ens<strong>in</strong>k,1921-2001, <strong>und</strong> Ursel Krüger<br />
im Laden <strong>in</strong> den 1950ern. Rechts auf der Ladentheke ist<br />
e<strong>in</strong>e alte Waage zu erkennen, über dem Tresen hängen Verkaufstüten<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Luftaufnahme Anwesen Sloot etwa 1957.<br />
Zwischen den Gebäuden erkennt man das „Schoolpättien“<br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Bäcker Johannes Schoemaker aus Emlichheim<br />
e<strong>in</strong>e Filiale se<strong>in</strong>es Emlichheimer Bäckereifachgeschäftes.<br />
Alle nachfolgenden Texte bis zum Ende dieses<br />
Kapitels stammen aus der Feder von M<strong>in</strong>i<br />
Büdden, soweit nicht anders angegeben.<br />
Karl Potgeter –<br />
Lebensmittel <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt<br />
E<strong>in</strong>e bekannte Person <strong>in</strong> Hoogstede war Karl<br />
Potgeter, geboren am 18. Mai 1900 <strong>in</strong> Nordhorn.<br />
Er heiratete <strong>in</strong> erster Ehe Hendrika van<br />
237
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Haus van R<strong>in</strong>ge, T<strong>in</strong>holt (Willy Friedrich, GN 01.10.1982)<br />
R<strong>in</strong>ge aus T<strong>in</strong>holt. Bei se<strong>in</strong>en Schwiegereltern<br />
gründete er <strong>in</strong> der „Bowenkaamer“ e<strong>in</strong> erstes<br />
kle<strong>in</strong>es Lebensmittelgeschäft. (Auf dem Bild<br />
l<strong>in</strong>ks im Anbau des Hauses van R<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt.)<br />
Es war das e<strong>in</strong>zige Lebensmittelgeschäft,<br />
das es <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt gegeben hat.<br />
Später baute Potgeter an der Bahnhofstraße<br />
e<strong>in</strong> neues Geschäftshaus, <strong>in</strong> dem noch<br />
heute se<strong>in</strong>e Schwiegertochter wohnt. Dort verkaufte<br />
er außer Lebensmittel auch Schreib<strong>und</strong><br />
Kurzwaren. Se<strong>in</strong>e Frau Hendrika verstarb<br />
früh, <strong>in</strong> zweiter Ehe war er mit Frieda geb.<br />
Gentrup verheiratet.<br />
Da Potgeter nicht am Zweiten Weltkrieg<br />
teilnehmen musste, konnte er sich tatkräftig<br />
se<strong>in</strong>em Geschäft widmen. Er wurde gelegentlich<br />
zum „Schanzen“ abkommandiert. Dann<br />
musste er helfen, Schutzgräben an Schulen <strong>und</strong><br />
Straßen auszuheben. Bei Potgeter konnte man<br />
im Krieg das berühmte gelbe, klebrige Maisbrot<br />
kaufen. Es wurde <strong>in</strong> Neuenhaus gebacken <strong>und</strong><br />
per Zug nach Hoogstede geliefert. Das Brot<br />
schmeckte zwar nicht, aber es sättigte.<br />
Nach Ende des Krieges gab es bei Potgeter<br />
die ersten Feigen, Datteln <strong>und</strong> Apfels<strong>in</strong>en zu<br />
kaufen. Diese Früchte waren für die Bevölkerung<br />
Neuheiten, vor allem für die K<strong>in</strong>der, die die<br />
Apfels<strong>in</strong>en deshalb öfters mit der Schale aßen.<br />
238<br />
Karl Potgeter wurde 1946 Standesbeamter,<br />
nachdem se<strong>in</strong> Vorgänger Hermann Sloot verstorben<br />
war. Trauungen nahm er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Wohnzimmer vor. Dort wurde der Tisch mit<br />
e<strong>in</strong>er weißen Decke <strong>und</strong> Blumenschmuck festlich<br />
hergerichtet. H<strong>in</strong>drik Jan Stroot <strong>und</strong> Johanna<br />
geb. Lübbers waren 1946 das erste<br />
Paar, das er traute. Gerrit Jan Weuste <strong>und</strong><br />
Alide geb. Höllmann waren 1969 das letzte<br />
Brautpaar, deren Eheschließung er vor se<strong>in</strong>em<br />
Ruhestand vollzog.<br />
Familie Potgeter um 1930.<br />
H<strong>in</strong>drika Potgeter geb. van R<strong>in</strong>ge, *1902 <strong>und</strong> Karl Potgeter,<br />
*1900. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> se<strong>in</strong> Vater, davor die Söhne<br />
Johann <strong>und</strong> Bernhard (Christa Potgeter)
Geschäftshaus Potgeter mit Standesamt,<br />
Ausschnitt e<strong>in</strong>er Postkarte (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Karl Potgeter <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau Frieda haben<br />
bis <strong>in</strong>s hohe Alter gerne <strong>in</strong> ihrem kle<strong>in</strong>en<br />
Laden gearbeitet. Sie hatten viel Freude beim<br />
Bedienen ihrer K<strong>und</strong>schaft.<br />
Lebensmittel Köcklar-Wohlfahrt<br />
Auf dem Gr<strong>und</strong>stück an der Bergstraße/Ecke<br />
Breslauer Straße, <strong>in</strong> der Siedlung „Stapenberg“,<br />
baute der gebürtige Hoogsteder Adolf Köcklar<br />
1955 e<strong>in</strong> E<strong>in</strong>familienhaus. Es verfügte über<br />
e<strong>in</strong>en separaten E<strong>in</strong>gang, der <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en<br />
Lebensmittelladen führte. Tochter Maria, geb.<br />
am 26.02.1928, e<strong>in</strong>e gelernte Köch<strong>in</strong>, machte<br />
e<strong>in</strong>e Umschulung zur E<strong>in</strong>zelhandelskauffrau.<br />
Nach bestandener Prüfung eröffnete sie am<br />
01.10.1955 im Haus ihrer Eltern e<strong>in</strong> Lebensmittelgeschäft.<br />
Sie schloss sich der Osnabrücker<br />
Ve-Ge Handelsgesellschaft an. Dadurch<br />
konnte sie ihren K<strong>und</strong>en oft Sonderangebote<br />
anbieten. Backwaren lieferte der Bäcker Fritz<br />
Brosche <strong>und</strong> später die Bäckerei Schoemaker,<br />
Emlichheim.<br />
Am 28.05.1958 heiratete Maria Köcklar<br />
den Johann Wohlfahrt. Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen<br />
zwei Töchter hervor, Renate <strong>und</strong> Christel.<br />
Nach 17-jähriger Geschäftsführung musste<br />
Maria Köcklar-Wohlfahrt krankheitsbed<strong>in</strong>gt<br />
ihr Geschäft schließen. Nach dem Tode ihrer<br />
Eltern <strong>und</strong> ihres Mannes verkaufte sie das<br />
Haus. Sie wohnt jetzt bei der Familie ihrer<br />
Tochter Renate <strong>in</strong> Hoogstede.<br />
GESCHÄFTE<br />
Arbeitsbuch Bäckergeselle Albert Jan Hans 1929<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Bäckerei <strong>und</strong> Lebensmittel Hans<br />
1935 pachtete der Bäcker Albert Jan Hans,<br />
geb. am 23.06.06 <strong>in</strong> Bathorn, zusammen mit<br />
se<strong>in</strong>er Frau Johanna geb. Brooksnieder e<strong>in</strong><br />
Kolonialwarengeschäft mit Bäckerei von der<br />
Familie Ernst Speer. Frau S<strong>in</strong>a Speer geborene<br />
Vette hatte das Anwesen von ihrem Onkel,<br />
dem „Bäcker Vette“, geerbt. Familie Speer zog<br />
dann nach Oldenburg. Im Haus befand sich<br />
zusätzlich e<strong>in</strong>e Wohnung, <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>e Familie<br />
Kle<strong>in</strong> wohnte. Vermutlich war das Haus am<br />
Ortsausgang Richtung Scheerhorn e<strong>in</strong>es der<br />
ältesten Gebäude <strong>in</strong> Hoogstede, denn es trug<br />
die Hausnummer 2. Das Ehepaar Hans schaffte<br />
sich, auch bed<strong>in</strong>gt durch die guten Backwaren<br />
aus der eigenen Bäckerei, <strong>in</strong> kurzer Zeit<br />
e<strong>in</strong>en festen K<strong>und</strong>enkreis. Das Arbeitsdienstlager<br />
bei Koops <strong>in</strong> Bathorn wurde zum Teil<br />
mit Backwaren beliefert.<br />
Da es zu jener Zeit kaum e<strong>in</strong> motorisiertes<br />
Fahrzeug gab, brachte J. H. Brouwer, e<strong>in</strong> guter<br />
Fre<strong>und</strong> der Familie, jede Brotlieferung mit<br />
Pferd <strong>und</strong> Leiterwagen an Ort <strong>und</strong> Stelle.<br />
Am 13. März 1939 erhielt Albert Jan Hans<br />
se<strong>in</strong>en Stellungsbefehl. 1942 verbrachte er <strong>in</strong><br />
Hoogstede se<strong>in</strong>en letzten Heimaturlaub, seit-<br />
239
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Geschäft Hans am Ortse<strong>in</strong>gang, heute Vette (Lia Vette)<br />
dem gilt er als vermisst. Se<strong>in</strong>e Frau führte das<br />
Geschäft alle<strong>in</strong> weiter. Es folgten für sie, wie<br />
für alle Frauen, deren Männer e<strong>in</strong>gezogen<br />
waren, schwere Jahre voll Bangen <strong>und</strong> Hoffen.<br />
Bäcker Johann Sommer lieferte Brot <strong>und</strong><br />
Kuchen zum Verkauf.<br />
Johanna Hans oder ihre damalige Mitarbeiter<strong>in</strong><br />
Geertien Egbers mussten die Brote<br />
von der Bäckerei Sommer abholen. Sie legten<br />
fünf bis sechs Brote <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Le<strong>in</strong>ensack, befestigten<br />
den auf dem Gepäckträger des Fahrrades<br />
<strong>und</strong> transportierten sie so zum Geschäft<br />
Hans. Andere Lebensmittel lieferten die Firmen<br />
Westenberg <strong>und</strong> Keute aus Nordhorn,<br />
später auch die Firmen Schneegass <strong>und</strong> Puers<br />
aus Rhe<strong>in</strong>e.<br />
Die Lebensmittel wurden <strong>in</strong> Säcken oder<br />
Papiertüten angeliefert <strong>und</strong> <strong>in</strong> die dafür bestimmten<br />
Fächer <strong>und</strong> Schubladen h<strong>in</strong>ter dem<br />
Verkaufstresen geschüttet. An jeder Schublade<br />
befand sich e<strong>in</strong> Schildchen mit dem Namen<br />
des Inhalts. Beim Verkauf füllte man die lose<br />
Ware <strong>in</strong> gewünschter Menge – gewogen auf<br />
der auf dem Tresen stehenden geeichten Dezimalwaage<br />
– <strong>in</strong> Tüten ab. Ros<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Ko-<br />
240<br />
r<strong>in</strong>then waren fest <strong>in</strong> Holzkisten gepresst <strong>und</strong><br />
mit Bandeisen verschnürt.<br />
An der Bäckerei befand sich e<strong>in</strong> Holzverschlag,<br />
<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong> Petroleumfass mit e<strong>in</strong>er<br />
Handpumpe stand. Hier füllte man literweise<br />
Petroleum (St<strong>in</strong>kölie) <strong>in</strong> Flaschen ab. K<strong>und</strong>en,<br />
die weit abgelegen wohnten, waren noch<br />
nicht an das Stromnetz angeschlossen. Sie benötigten<br />
Petroleum für ihre Lampen.<br />
Im Hause Hans befand sich e<strong>in</strong>es der ers -<br />
ten Telefone im Ort mit der Rufnummer 202.<br />
War <strong>in</strong> der Nachbarschaft oder im K<strong>und</strong>enkreis<br />
der Besuch e<strong>in</strong>es Arztes oder Tierarztes erforderlich<br />
– Frau Hans stellte zu jeder Tages- <strong>und</strong><br />
Nachtzeit ihr Telefon zur Verfügung.<br />
In der damaligen Zeit war das Verhältnis<br />
zwischen Kaufmann <strong>und</strong> K<strong>und</strong>e auf dem<br />
Lande von eher familiärer Art. So war es auch<br />
im Geschäft Hans. Vor Weihnachten wurden<br />
die K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen zu e<strong>in</strong>er Tasse Kaffee mit selbstgebackenen<br />
Spekulatius (Kloaskerlties) <strong>in</strong> die<br />
Wohnung gebeten. Die Großmütter Hans <strong>und</strong><br />
Brooksnieder wechselten sich dann beim „Koffiesetten“<br />
ab. Die Männer nahmen gerne e<strong>in</strong>e<br />
angebotene Zigarre <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Schnäpschen an.
Die eigene Bäckerei wurde nicht mehr benutzt.<br />
Als Flüchtl<strong>in</strong>ge aus dem Osten Deutschlands<br />
nach Hoogstede kamen, wurde dort die<br />
sechsköpfige Familie Schack e<strong>in</strong>gewiesen. Die<br />
Holzbacktröge dienten der Familie lange Zeit<br />
als Betten. Als Fritz Müller nach dem Krieg<br />
die Bäckerei se<strong>in</strong>es Onkels Johann Sommer<br />
übernahm, belieferte er das Geschäft Hans<br />
weiter mit Backwaren.<br />
Auf vielfachen Wunsch von K<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
Bekannten organisierte Frau Hans den ersten<br />
„Knobelabend“ nach dem Krieg. Er fand <strong>in</strong> der<br />
alten Scheerhorner Schule statt. Geknobelt<br />
wurde vor allem um Kor<strong>in</strong>thenbrot, Butterkuchen<br />
<strong>und</strong> Süßigkeiten. Nach dem ersten Knobelabend<br />
folgten regelmäßig im Dezember<br />
jeden Jahres weitere Abende <strong>in</strong> den Gaststätten<br />
Warmer, Müller <strong>und</strong> Wolters.<br />
Als <strong>in</strong> Hoogstede 1949 das Gründungsfest<br />
des hiesigen Schützenvere<strong>in</strong>s auf der Wiese<br />
h<strong>in</strong>ter der Molkerei gefeiert wurde, verkaufte<br />
Frau Hans an e<strong>in</strong>em Stand Süßwaren <strong>und</strong> Kuchen.<br />
Bis 1954 führte sie das Geschäft <strong>und</strong><br />
gab es dann an den Kaufmann Evert Lübbers<br />
aus T<strong>in</strong>holt ab. Er baute auf dem nebenliegenden<br />
Gr<strong>und</strong>stück später e<strong>in</strong> neues Wohn<strong>und</strong><br />
Geschäftshaus. Der damalige Eigentümer<br />
<strong>und</strong> Schlosser Hermann Vette nutzte die alten<br />
Gebäude noch bis zu ihrem Abriss als Landmasch<strong>in</strong>enschlosserei.<br />
Jetzt steht an gleicher<br />
Stelle e<strong>in</strong> neues Wohnhaus, bewohnt von der<br />
Familie Udo Vette.<br />
Haus Hans, Ortsausgang Scheerhorn (heute Vette) um<br />
1960. Lebensmittelgeschäft Hans mit Bäckerei, später<br />
Landmasch<strong>in</strong>enschlosserei Vette (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
GESCHÄFTE<br />
M<strong>in</strong>i Büdden auf dem Arm ihres Vaters Albert Jan Hans<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
Lebensmittel <strong>und</strong> Bäckerei<br />
Sommer–Brosche<br />
Die Bäckerei Sommer, <strong>in</strong> der Bevölkerung<br />
auch „nejen Sommer“ genannt, war e<strong>in</strong>es der<br />
ältesten Geschäfte <strong>in</strong> Hoogstede. Es stand am<br />
heutigen Schulfeld Nr. 15. Der Bäckermeister<br />
Ernst Friedrich Sommer (1874–1947) <strong>und</strong><br />
se<strong>in</strong>e Frau Kathar<strong>in</strong>a (1879–1948) übergaben<br />
ihrem Sohn Johann (1907–1947), der auch das<br />
Bäckerhandwerk erlernt hatte, die Bäckerei<br />
mit dem Geschäft <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en Landwirtschaft.<br />
Johann Sommer war verheiratet<br />
mit Ges<strong>in</strong>e geb. Bekken. Während des Krieges<br />
im Jahr 1941 wurde das Dach der Bäckerei<br />
durch Teile e<strong>in</strong>es herabstürzenden Flugzeuges<br />
beschädigt.<br />
In der Familie Sommer wuchsen acht K<strong>in</strong>der<br />
auf. Der Vater Johann litt an schwerem<br />
Asthma, er starb schon im Alter von 40 Jahren.<br />
E<strong>in</strong>e große Verantwortung für ihre K<strong>in</strong>der<br />
<strong>und</strong> die Schwiegereltern lastete jetzt auf den<br />
Schultern von Ges<strong>in</strong>e Sommer. Sie führte den<br />
Betrieb tapfer weiter. In der Bäckerei arbeitete<br />
von 1947–1950 e<strong>in</strong> Onkel ihres verstorbenen<br />
Mannes. Von 1950 bis etwa 1955 leitete der<br />
älteste Sohn Ernst die Bäckerei. Dann zeigte<br />
der Bäckermeister Fritz Brosche Interesse am<br />
Geschäft. Zunächst übernahm er alle Arbeiten<br />
241
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Mutter Sommer mit ihren sieben K<strong>in</strong>dern um 1950;<br />
Willi, Kathar<strong>in</strong>a, Gisela, Johann, Gertrud <strong>und</strong> Lisbeth, dah<strong>in</strong>ter<br />
Ernst mit se<strong>in</strong>er Mutter Ges<strong>in</strong>e Sommer geb. Bekken<br />
<strong>und</strong> Hermann Sommer (Lisbeth Zimmermann)<br />
<strong>in</strong> der Bäckerei <strong>und</strong> wohnte mit se<strong>in</strong>er Frau<br />
Anni geb. Hilfers weiter <strong>in</strong> Füchtenfeld. Anni<br />
Brosche war dort als Geme<strong>in</strong>deschwester tätig.<br />
1958 kauften die Eheleute Brosche das<br />
Haus mit der Bäckerei. Ges<strong>in</strong>e Sommer zog<br />
1959 <strong>in</strong> ihr neues Haus am Schulfeld Nr. 13.<br />
Dort lebte sie dankbar <strong>und</strong> zufrieden <strong>in</strong> der<br />
Familie ihrer ältesten Tochter Kathar<strong>in</strong>a <strong>und</strong><br />
deren Mann Bernhard Westhuis. Ges<strong>in</strong>e Sommer<br />
starb 2002 im Alter von 92 Jahren, sechs<br />
Jahre nach dem Tod ihrer Tochter Kathar<strong>in</strong>a.<br />
Das Ehepaar Brosche führte den Betrieb <strong>in</strong><br />
bewährter Weise weiter. Mit ihren Backwaren<br />
belieferten sie viele Hoogsteder Geschäfte. Das<br />
Ehepaar blieb k<strong>in</strong>derlos. Als Anni Brosche<br />
1996 nach langer Krankheit starb, zog Fritz<br />
Brosche nach Emlichheim <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e betreute<br />
Wohnanlage. Dort ist er am 08.11.2000 gestorben.<br />
Se<strong>in</strong> Haus verkaufte er vorher an Frank<br />
Töller, den Sohn e<strong>in</strong>es Nachbarn. Dieser ließ<br />
die alten Gebäude bis auf die Garage abreißen<br />
<strong>und</strong> baute auf dem großen Gr<strong>und</strong>stück für sich<br />
<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Familie e<strong>in</strong> neues Wohnhaus.<br />
Bäckerei <strong>und</strong> Lebensmittel<br />
Stroer-Fuchs<br />
Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
Gerhard Stroer ist am 1. Dezember 1936 <strong>in</strong><br />
Neur<strong>in</strong>ge geboren. Dort führen se<strong>in</strong>e Eltern<br />
e<strong>in</strong> Lebensmittelgeschäft mit Bäckerei <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>e Gaststätte. Nach der Schulzeit absolviert<br />
er 1952 bis 1955 e<strong>in</strong>e dreijährige Bäckerlehre<br />
242<br />
im elterlichen Betrieb. Von 1955 bis e<strong>in</strong>schließlich<br />
Herbst 1966 sammelt er <strong>in</strong> verschie -<br />
denen Bäckereien umfassende Erfahrungen. In<br />
dieser Zeit war er auch e<strong>in</strong> Jahr auf der Wanderschaft.<br />
Noch heute erzählt er gerne von<br />
dieser schönen Zeit. Die wichtigsten Orte se<strong>in</strong>er<br />
Wanderschaft waren Köln, Zürich, Wiesbaden.<br />
Nach der Wanderschaft arbeitet er <strong>in</strong><br />
Recke, Emsdetten, Münster <strong>und</strong> Nordhorn. In<br />
Münster besucht er die Meisterschule.<br />
Am 9. Mai 1961 schließt er die Ausbildung<br />
mit der Prüfung zum Bäckermeister vor der<br />
Industrie- <strong>und</strong> Handelskammer <strong>in</strong> Münster ab.<br />
In Emsdetten lernt er die Papenburger<strong>in</strong> Bernhard<strong>in</strong>e<br />
Dünhöft kennen.<br />
Während se<strong>in</strong>es Aufenthaltes <strong>in</strong> Nordhorn<br />
organisiert er nebenbei die Erstellung des<br />
Neubaues <strong>in</strong> Hoogstede an der Bergstraße <strong>und</strong><br />
treibt geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>er späteren Frau den<br />
Aufbau des Geschäftes voran. Am 23. November<br />
heiraten beide <strong>und</strong> am 4. Dezember<br />
1966 geht der lang ersehnte Wunsch der Eigenständigkeit<br />
<strong>in</strong> Erfüllung.<br />
Der Aufbau e<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>enstammes wird<br />
durch den „Brötchenservice“ gefördert. Bernhard<strong>in</strong>e<br />
Stroer br<strong>in</strong>gt wochentags jeden Morgen<br />
etwa 60 Familien im näheren Umkreis<br />
ofenfrische Brötchen. Auch die Möglichkeit,<br />
bestimmte Backwaren kurzfristig gebacken zu<br />
bekommen, wirkt sich auf die geschäftliche<br />
Entwicklung positiv aus.<br />
Geschäftsübergabe Stroer-Fuchs<br />
im Jahr 1987. Bürgermeister Jan H<strong>in</strong>drik Koops,<br />
Gerd <strong>und</strong> Bernhard<strong>in</strong>e Stroer, Uwe <strong>und</strong> Petra Fuchs<br />
<strong>und</strong> stellvertretender Bürgermeister Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
(GN-Foto)
Schraders<br />
Verkaufsbude,<br />
1950-1957.<br />
Anna Arens,<br />
Siegward Schrader,<br />
Johannes Stich,<br />
Erw<strong>in</strong> Schrader<br />
(Hilde Schrader)<br />
In den e<strong>in</strong><strong>und</strong>zwanzig Geschäftsjahren<br />
s<strong>in</strong>d Kathar<strong>in</strong>a Westhuis geb. Sommer 20<br />
Jahre, L<strong>in</strong>a Arends geb. Krans neun Jahre <strong>und</strong><br />
Traute Lamann geb. Boll sechs Jahre als Verkäufer<strong>in</strong><br />
dabei, während Ges<strong>in</strong>e Boll geb.<br />
Snieders 20 Jahre im Haushalt tätig ist.<br />
Aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen muss Gerhard<br />
Stroer die Arbeit als Bäcker e<strong>in</strong>stellen.<br />
Auf dem rückwärtigen Bereich des Gr<strong>und</strong>stückes,<br />
zwischen dem Geschäftshaus <strong>und</strong> dem<br />
Nachbarn Mülstegen, baut Stroer 1987 e<strong>in</strong><br />
neues Wohnhaus. Das Geschäft wird an Uwe<br />
<strong>und</strong> Petra Fuchs vermietet. Diese stellen e<strong>in</strong>ige<br />
Jahre später ihre geschäftlichen Ak tivitäten<br />
e<strong>in</strong>, bewohnen aber nach wie vor geme<strong>in</strong>sam<br />
mit ihren beiden Töchtern das umgebaute<br />
Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus.<br />
Kolonialwarengeschäft Schrader<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Die Familien Schrader <strong>und</strong> Stich mussten im<br />
Krieg ihre Heimat <strong>in</strong> Ostpreußen verlassen.<br />
Erw<strong>in</strong> Schrader, geb. am 03.11.1919 <strong>in</strong> Herdenau,<br />
<strong>und</strong> Hilde Stich, geboren <strong>in</strong> Schaakendorf,<br />
kamen nach ihrer Flucht mit ihren<br />
Familien nach Großr<strong>in</strong>ge. Dort fanden sie <strong>in</strong><br />
der alten Schule e<strong>in</strong>e vorläufige Bleibe. Erw<strong>in</strong><br />
Schrader war gelernter Kaufmann <strong>und</strong> arbeitete<br />
zunächst im Lebensmittelgeschäft von<br />
Hermann Wiefer<strong>in</strong>k <strong>in</strong> R<strong>in</strong>ge. Wegen besserer<br />
Verdienstmöglichkeiten bei der Textilfabrik<br />
GESCHÄFTE<br />
N<strong>in</strong>o <strong>in</strong> Nordhorn wechselte er se<strong>in</strong>en Arbeitsplatz<br />
dorth<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong> Wunsch vom eigenen<br />
Geschäft aber blieb.<br />
Die Familien Schrader <strong>und</strong> Stich zogen nach<br />
Hoogstede <strong>und</strong> wohnten <strong>in</strong> „Kösters Mühle“.<br />
Am 24.05.1947 heirateten Erw<strong>in</strong> Schrader <strong>und</strong><br />
Hilde Stich. Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen zwei Söhne<br />
hervor, Siegward <strong>und</strong> se<strong>in</strong> jüngerer Bruder Uwe.<br />
Im Frühjahr 1950 g<strong>in</strong>g der lang ersehnte<br />
Wunsch Erw<strong>in</strong> Schraders endlich <strong>in</strong> Erfüllung:<br />
In e<strong>in</strong>er Holzbaracke, die dem Fischhändler<br />
Fiedrich gehörte <strong>und</strong> auf Rädern von „Keen<br />
Hanne“ bis zu „Kösters Mühle“ gerollt wurde,<br />
eröffnete Schrader mit se<strong>in</strong>er Frau e<strong>in</strong> Kolonialwarengeschäft.<br />
Hier boten sie auf engstem<br />
Raum Lebensmittel, Backwaren <strong>und</strong> Fisch an.<br />
Die Wohnung <strong>in</strong> der Mühle wurde für die<br />
Familie bald zu kle<strong>in</strong> <strong>und</strong> so kauften Schraders<br />
an der Hauptstraße (jetzige Hausnummer<br />
23) e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück, auf dem sie sich e<strong>in</strong> Wohn<strong>und</strong><br />
Geschäftshaus errichten ließen. 1957 war<br />
das Haus zum E<strong>in</strong>zug fertig <strong>und</strong> die Neueröff -<br />
nung des Geschäftes konnte stattf<strong>in</strong>den. Das<br />
Warenangebot wurde um e<strong>in</strong>en Getränkeverkauf<br />
erweitert. Backwaren lieferten die Bä ckereien<br />
Koops aus R<strong>in</strong>ge sowie Brosche <strong>und</strong><br />
Stroer aus Hoogstede. Mit viel Liebe <strong>und</strong> Fleiß<br />
baute das Ehepaar Schrader sich se<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>enstamm<br />
auf. Bei W<strong>in</strong>d <strong>und</strong> Wetter brachte<br />
Hilde Schrader ihren K<strong>und</strong>en <strong>in</strong> aller Frühe<br />
per Fahrrad die Frühstücksbrötchen <strong>in</strong>s Haus.<br />
243
4<br />
244<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Die Zeit der Lebensmittelkarten<br />
An dieser Stelle sei er<strong>in</strong>nert an die Lebensmittelkarten<br />
im <strong>und</strong> nach dem Krieg, die sich<br />
jeder Bürger der Geme<strong>in</strong>de am Anfang e<strong>in</strong>es<br />
Monats beim Bürgermeister abholen konnte.<br />
Für diese Lebensmittelmarken konnte er dann<br />
e<strong>in</strong>e bestimmte Grammzahl an Fett, Hülsenfrüchten,<br />
Nährmitteln wie Reis, Sago, Zucker,<br />
Mehl, Kartoffelmehl <strong>und</strong> Brot beim Kaufmann<br />
kaufen. Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der bekamen Sondermarken<br />
für K<strong>in</strong>dernahrung wie Gust<strong>in</strong>, Pudd<strong>in</strong>g <strong>und</strong><br />
Milchpulver. Sogar Seife <strong>und</strong> Waschpulver<br />
gab es nur bei Abgabe der dafür bestimmten<br />
Marken. Der K<strong>und</strong>e brachte bei jedem E<strong>in</strong>kauf<br />
se<strong>in</strong>e Lebensmittelkarte mit, der Kaufmann<br />
schnitt die erforderlichen Marken heraus <strong>und</strong><br />
deponierte sie <strong>in</strong> leere Bonbongläser. Bonbons<br />
gab es zu der Zeit eh nicht zu kaufen. Am Monatsende<br />
wurden die Marken sortiert, auf Papierbögen<br />
geklebt <strong>und</strong> beim Hilfsamt <strong>in</strong><br />
Neuenhaus oder der Nebenstelle <strong>in</strong> Emlichheim<br />
abgeliefert. Für die Marken gab es Bezugssche<strong>in</strong>e<br />
zurück, damit der Kaufmann bei<br />
se<strong>in</strong>en Händlern Ware ordern konnte. Kaffeebohnen<br />
<strong>und</strong> Rauchwaren wurden jedem Geschäftsmann<br />
je nach Größe se<strong>in</strong>es K<strong>und</strong>en -<br />
kreises zugeteilt. Bedürftige erhielten h<strong>in</strong> <strong>und</strong><br />
wieder Bezugssche<strong>in</strong>e für Bekleidung, Schuhe<br />
<strong>und</strong> Stiefel.<br />
Die Zeit der Lebensmittelmarken fand erst<br />
im Sommer 1948 zur Währungsreform ihr<br />
Ende. Jeder Bürger, groß <strong>und</strong> kle<strong>in</strong>, bekam<br />
vierzig Deutsche Mark (DM) Kopfgeld bar ausgezahlt.<br />
In den Geschäften konnte man plötzlich<br />
wieder frei kaufen. Es wurden Waren<br />
angeboten, von denen man Jahre nur geträumt<br />
hatte. „De slimme Tied“ (so nennt die<br />
ältere Generation diese Jahre bis zur Währungsreform)<br />
war endlich vorbei.<br />
„De slimme Tied“<br />
Die Menschen hier <strong>in</strong> der ländlichen Region<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der schlimmen Zeit von großer Not<br />
<strong>und</strong> vor allem von Hunger verschont geblieben.<br />
Viele bürgerliche Familien gehörten zu<br />
den Selbstversorgern, jedes freie Eckchen auf<br />
dem Gr<strong>und</strong>stück wurde als Garten genutzt, <strong>in</strong><br />
dem Gemüse, Kartoffeln <strong>und</strong> Rüben angebaut<br />
wurden. War Gelegenheit zur Schwe<strong>in</strong>ehaltung<br />
gegeben, fütterte man möglichst zwei<br />
Schwe<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>es wurde verkauft, das andere<br />
blieb für den eigenen Haushalt. Das Schwe<strong>in</strong>efutter<br />
bestand hauptsächlich aus gekochten<br />
Kartoffelschalen, Brennnesseln <strong>und</strong> Melde.<br />
Die Landwirte mussten von ihren Erzeugnissen<br />
über den Ortsbauernführer bestimmte<br />
Mengen an den Staat liefern. Jedes Stück Vieh<br />
wurde gezählt <strong>und</strong> listenmäßig erfasst. Wollte<br />
e<strong>in</strong> Landwirt zum Eigenverbrauch e<strong>in</strong><br />
Schwe<strong>in</strong> schlachten, so benötigte er dafür e<strong>in</strong>e<br />
Genehmigung des Bürgermeisters. Das zu<br />
schlachtende Tier wurde auf der öffentlichen<br />
Waage bei Müller gewogen <strong>und</strong> se<strong>in</strong> Gewicht<br />
besche<strong>in</strong>igt. Oft wurde e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Schwe<strong>in</strong><br />
zum Wiegen gebracht, aber e<strong>in</strong> großes oder<br />
gar zwei geschlachtet. Das war die Zeit des<br />
„Schwarz-Schlachtens“. Auf diese Art <strong>und</strong><br />
Weise wurden Behörden häufig betrogen, man<br />
durfte sich nicht erwischen lassen. In e<strong>in</strong>igen<br />
Ortsteilen gab es e<strong>in</strong> „Wiegeschwe<strong>in</strong>“, das alle<br />
Familien zum Wiegen brachten. Dieses Tier<br />
fand den Weg zur Waage auch ohne Begleitung.<br />
Hunger <strong>und</strong> Not hielten sich hier auf dem<br />
Lande <strong>in</strong> Grenzen, dafür war die Not <strong>in</strong> Städten<br />
<strong>und</strong> Ballungsgebieten umso größer. Etwa<br />
1945 begann die „Hamsterzeit“. In überfüllten<br />
Zügen fuhren Städter <strong>in</strong> ländliche Gegenden,<br />
auch bis nach Hoogstede, um für ihre Familien<br />
Lebensmittel zu „hamstern“. Was sie <strong>in</strong><br />
ihrem Haushalt entbehren konnten wie Wäsche,<br />
De-cken, Porzellan, Bestecke <strong>und</strong> ähnliches<br />
packten sie <strong>in</strong> ihren Rucksack <strong>und</strong><br />
versuchten, es gegen Nahrungsmittel wie Kartoffeln<br />
<strong>und</strong> Fett e<strong>in</strong>zutauschen. Durch diese<br />
Tauschgeschäfte hat sich manches junge Mädchen<br />
damals e<strong>in</strong>e bescheidene Aussteuer besorgt.<br />
Sogar Material für den Hausbau wurde<br />
mit Butter <strong>und</strong> Speck auf dem Schwarzmarkt<br />
besorgt.
Jan Mülstegen<br />
im Zweiten Weltkrieg<br />
(Alw<strong>in</strong>e Westerhoff)<br />
Jan H<strong>in</strong>drik Lage schlachtet e<strong>in</strong> Schwe<strong>in</strong><br />
(Hilde Neuw<strong>in</strong>ger)<br />
Nach etwa 30-jähriger Arbeit im eigenem<br />
Betrieb wurde Erw<strong>in</strong> Schrader schwer krank<br />
<strong>und</strong> starb am 24.01. 1983 im Alter von 64<br />
Jahren. Bis 1995 führte Hilde Schrader das<br />
Geschäft alle<strong>in</strong> weiter <strong>und</strong> verpachtete es<br />
dann an die Bäckerei Klemp aus Neugnadenfeld.<br />
Zur Zeit bef<strong>in</strong>den sich Büroräume der<br />
Baufirma Gos<strong>in</strong>k im Haus Schrader.<br />
Fleischerei Mülstegen<br />
Jan Mülstegen wurde am 10.04.1917 <strong>in</strong> Haftenkamp<br />
geboren. Er erlernte <strong>in</strong> Uelsen <strong>in</strong> der<br />
Metzgerei Eppmann das Fleischerhandwerk.<br />
Im Zweiten Weltkrieg, am 23.12.1941, heiratete<br />
er die am 16.04.1921 <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge geborene<br />
Ges<strong>in</strong>e Keute. Ges<strong>in</strong>e Keute arbeitete zu der Zeit<br />
als Haushaltshilfe beim Kaufmann Hermann<br />
Sloot hier im Ort.<br />
Das Ehepaar Mülstegen mietete e<strong>in</strong>e Wohnung<br />
im Haus von Wilhelm Taubken. Nach<br />
dem Krieg bot sich Mülstegen e<strong>in</strong>e Stelle als<br />
Koch beim Hoogsteder Kulturamt, das damals<br />
GESCHÄFTE<br />
Schlachterei Mülstegen um 1970 (Alw<strong>in</strong>e Westerhoff)<br />
<strong>in</strong> Baracken mit Verwaltung <strong>und</strong> Küche auf<br />
„Weustes Kamp“, dem heutigen Möllenkamp,<br />
untergebracht war. Mülstegen bekochte Angestellte<br />
<strong>und</strong> Arbeiter des Kulturamtes, die<br />
teilweise auch <strong>in</strong> den Baracken wohnten.<br />
Schon bald erwarb das Ehepaar Mülstegen<br />
e<strong>in</strong>en Bauplatz vom Bauern Weuste an der<br />
heutigen Bergstraße. Die Firma Gerrit Jan Brouwer<br />
begann mit dem Bau e<strong>in</strong>es Wohnhauses.<br />
Die Beschaffung des benötigten Baumaterials<br />
war nach dem Krieg sehr mühsam. Die Ste<strong>in</strong>e<br />
<strong>und</strong> anderes Baumaterial, das er im Ruhrgebiet<br />
erwarb, bezahlte Mülstegen überwiegend mit<br />
Speck. Aus den Trümmern der <strong>Häuser</strong> <strong>in</strong> den<br />
Städten wurden brauchbare Ste<strong>in</strong>e heraus gesucht<br />
<strong>und</strong> mit der Bahn nach Hoogstede verfrachtet.<br />
Bevor man die Ste<strong>in</strong>e hier vermauerte,<br />
wurde der alte Mörtel „abgebickt“. Aus Schutt<br />
<strong>und</strong> Mörtel wurden zudem neue Ste<strong>in</strong>e für den<br />
Bau geformt. Da die verbauten Ste<strong>in</strong>e folglich<br />
von unterschiedlicher Farbe waren, wurde der<br />
Bau von außen verputzt – e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> dieser Gegend<br />
damals unübliche Bauart.<br />
Bevor Jan Mülstegen sich selbstständig<br />
machte, ließ er an der Rückseite des Gebäudes<br />
e<strong>in</strong> Schlachthaus <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Wurstküche<br />
anbauen. In e<strong>in</strong>em ausgefliesten kle<strong>in</strong>en Ladenraum<br />
verkaufte Ges<strong>in</strong>e Mülstegen seit der<br />
Zeit Fleisch- <strong>und</strong> Wurstwaren.<br />
Dem Ehepaar Mülstegen wurden zwei K<strong>in</strong>der<br />
geboren, e<strong>in</strong> Sohn <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Tochter. Der<br />
Sohn übernahm den Betrieb se<strong>in</strong>er Eltern. Aus<br />
wirtschaftlichen Gründen, bed<strong>in</strong>gt durch das<br />
Aufkommen der Großraummärkte mit Fleischabteilungen,<br />
wurde aus der Metzgerei Mülstegen<br />
e<strong>in</strong> Imbiss <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Party-Service.<br />
245
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Gaststätte Adele Lorenz<br />
Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
Adele Lorenz wurde als jüngste Tochter des<br />
Gastwirtes Jan-Harm Harms-Ens<strong>in</strong>k – genannt<br />
Wolters Jan-Harm – <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Ehefrau<br />
Swenne Alfer<strong>in</strong>k am 12.05.1927 geboren.<br />
Bereits mit 25 Jahren machte sie sich 1952<br />
selbstständig. Sie errichtete an der Bahnhofstraße<br />
e<strong>in</strong>e Gaststätte mit e<strong>in</strong>er Wohnung im<br />
Obergeschoss. Später erweiterte sie das Gebäude<br />
um e<strong>in</strong>en Saal <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Kegelbahn. Im<br />
Saal fanden Vere<strong>in</strong>sfeste, Tanzveranstaltungen<br />
<strong>und</strong> Familienfeste statt. Adele Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
heiratete Werner Lorenz. Der e<strong>in</strong>zige Sohn<br />
Horst schlug nicht die Laufbahn e<strong>in</strong>es Gastwirts<br />
e<strong>in</strong>. Werner verunglückte 1977 tödlich.<br />
Adele musste danach alle anfallenden Arbeiten<br />
alle<strong>in</strong> erledigen. Bald führte sie die<br />
Gaststätte mit dem Saalbetrieb nur noch e<strong>in</strong>geschränkt<br />
weiter. Sie konzentrierte sich mehr<br />
auf ihre Stammgäste. Dem Schützenvere<strong>in</strong>,<br />
der dort se<strong>in</strong> Vere<strong>in</strong>slokal hat, <strong>und</strong> den e<strong>in</strong>zelnen<br />
Kegelvere<strong>in</strong>en stand das Anwesen bis<br />
zum Schluss zur Verfügung.<br />
Adele, wie sie landläufig genannt wurde,<br />
war e<strong>in</strong>e resolute <strong>und</strong> herzliche Wirt<strong>in</strong>. Nach<br />
dem Ende ihrer aktiven Zeit änderten sich<br />
wiederholt die Besitzverhältnisse.<br />
Gastwirt<strong>in</strong> Adele Lorenz geb. Harms-Ens<strong>in</strong>k (Wolters)<br />
um 1975 (Leni Töller)<br />
246<br />
Engler -<br />
die kle<strong>in</strong>e Kneipe von „Keen Hanne“<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Der gebürtige Hoogsteder Zimmermann Gerhard<br />
Keen kaufte zusammen mit se<strong>in</strong>er Frau<br />
Johanna geborene Hemke (*1906 <strong>in</strong> Neur<strong>in</strong>ge)<br />
im Jahre 1928 e<strong>in</strong> Haus mit e<strong>in</strong>em größeren<br />
Gr<strong>und</strong>stück. Die bisherigen Eigentümer waren<br />
Jan van Laar <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau. Die Ehe blieb<br />
k<strong>in</strong>derlos <strong>und</strong> wegen des hohen Alters waren<br />
sie auf fremde Hilfe angewiesen. Das Ehepaar<br />
Keen verpflichtete sich, den van Laars bis ans<br />
Ende ihrer Tage Hilfe zu gewähren. Gerhard<br />
Keen verstarb im Jahre 1932 bei e<strong>in</strong>em Arbeitsunfall<br />
<strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Frau blieb im Alter von<br />
26 Jahren mit ihren vier K<strong>in</strong>dern alle<strong>in</strong>. Sie heiratete<br />
1936 ihren zweiten Mann, den Schlosser<br />
Gustav Fiedrich. Er war 1887 <strong>in</strong> Ostpreußen geboren,<br />
machte dort e<strong>in</strong>e Schlosserlehre <strong>und</strong><br />
g<strong>in</strong>g dann auf die Walz. So kam er <strong>in</strong> die Grafschaft<br />
<strong>und</strong> fand Arbeit <strong>in</strong> Uelsen <strong>und</strong> später am<br />
Kulturamt <strong>in</strong> Bathorn.<br />
Das ehemalige Haus van Laar war von alters<br />
her e<strong>in</strong>e Bauernschänke gewesen. Johanna<br />
Fiedrich, <strong>in</strong> Hoogstede <strong>und</strong> Umgebung<br />
besser bekannt als „Keen Hanne“, versuchte<br />
nach dem Krieg, wieder e<strong>in</strong>e Ausschankgenehmigung<br />
zu erhalten. Ab 1951 durfte sie <strong>in</strong><br />
ihrer Kneipe nur alkoholfreie Getränke ausschenken,<br />
erst zwei Jahre später bekam sie die<br />
Erlaubnis zum Alkoholausschank.
Gaststätte Engler um 1965, mit Günter Engler (Engler)<br />
„Keen Hanne“ öffnete die ehemalige Bauernschänke<br />
<strong>und</strong> bewirtete ihre Gäste. Als im<br />
Jahr 1956 die Betonstraße nach Kalle ausgebaut<br />
wurde, fanden etliche Arbeiter <strong>in</strong> ihrem<br />
Haus auf engstem Raum Unterkunft <strong>und</strong> Verpflegung.<br />
Der K<strong>und</strong>enstamm der kle<strong>in</strong>en Kneipe vergrößerte<br />
sich <strong>und</strong> das Ehepaar Fiedrich plante<br />
zusammen mit Tochter Erna <strong>und</strong> Schwiegersohn<br />
Günther Engler e<strong>in</strong>en Umbau der bisherigen<br />
Gebäude. 1965 wurde e<strong>in</strong> Gastraum mit<br />
Saal, Küche <strong>und</strong> Thekenbereich angegliedert.<br />
Im Saal fanden etwa 150 Personen Platz,<br />
wurde auch reichlich <strong>und</strong> gern für Familienfeiern<br />
genutzt, zumal sich „ Keen Hanne“ zugleich<br />
als Köch<strong>in</strong> anbot.<br />
Sie hatte ke<strong>in</strong>e Probleme mit der Zubereitung<br />
von schmackhaften Speisen für große<br />
Gesellschaften. Hanne hatte nie e<strong>in</strong>e Kochschule,<br />
noch e<strong>in</strong>en Kochkurs besucht, sondern<br />
sie hatte sich das Kochen im Laufe der Jahre<br />
selbst angeeignet. Bei Familienfeiern fand sie<br />
<strong>in</strong> der Küche Hilfe <strong>und</strong> Unterstützung von den<br />
jeweiligen Nachbarn. Dabei hat sie so e<strong>in</strong>ige<br />
ihrer Kochtipps verraten. Bis zum Jahr 1978,<br />
kurz vor ihrem Tod, hat sie <strong>in</strong> „ ihrer Küche“<br />
gewirkt.<br />
Die Vere<strong>in</strong>e, wie der Sportvere<strong>in</strong>, das Rote<br />
Kreuz <strong>und</strong> der V.d.K. feierten ihre Vere<strong>in</strong>s<strong>und</strong><br />
Jahresfeste im Saal Fiedrich / Engler. Außerdem<br />
fanden regelmäßig Tanzabende für jedermann<br />
statt.<br />
GESCHÄFTE<br />
Den Tagesbetrieb <strong>in</strong> der Kneipe gab die Familie<br />
Fiedrich/Engler schon 1977 auf. Den<br />
Saal führte sie noch bis 1991 als Dorfgeme<strong>in</strong>schaftshaus<br />
weiter. Dann wurden die Gebäude<br />
an die Firma Wolf Bandstahlschnitte verkauft.<br />
Textilhaus Borgmann-Kl<strong>in</strong>ge<br />
In Hoogstede fehlte nach dem Krieg e<strong>in</strong><br />
Textilgeschäft. Als im Scholtenschen Haus die<br />
Werk statt vom Wehldräjer ausgeräumt wurde,<br />
machte Maria Schophuis, die Frau des Schmiedemeisters,<br />
den Vorschlag, dort e<strong>in</strong> Textilgeschäft<br />
e<strong>in</strong>zurichten. Als K<strong>und</strong><strong>in</strong> <strong>und</strong> frühere<br />
Nachbar<strong>in</strong> der Geschwister Borgmann <strong>in</strong> Emlichheim<br />
nahm sie mit Treuda <strong>und</strong> Herm<strong>in</strong>e<br />
Tuchfühlung auf <strong>und</strong> hatte Erfolg.<br />
Die Borgmanns Wichter machten aus der<br />
ehemaligen Werkstatt e<strong>in</strong>en Verkaufsraum,<br />
sogar mit e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>em Schaufenster. 1950<br />
g<strong>in</strong>g der Verkauf los. Herm<strong>in</strong>e kam nach<br />
Hoogstede <strong>und</strong> Treuda blieb im Hauptgeschäft<br />
<strong>in</strong> Emlichheim.<br />
Die Textilien <strong>und</strong> Kurzwaren, die zum<br />
Teil mit dem Zug geliefert wurden, mussten<br />
per Fahrrad oder Handwagen vom Bahnhof<br />
abgeholt werden. Verkauft wurden Stoffe als<br />
Meterware für Kleider Schürzen <strong>und</strong> Kittel,<br />
Unterwäsche, Strumpfwaren <strong>und</strong> K<strong>in</strong>derkleidung<br />
sowie Kurzwaren.<br />
Herm<strong>in</strong>e Borgmann heiratete im Jahr 1953<br />
den Kaufmann Albert-Jan Kl<strong>in</strong>ge aus Uelsen.<br />
Sie zogen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Wohnung neben ihrem<br />
Laden. Albert-Jan hatte <strong>in</strong> Emlichheim e<strong>in</strong>e<br />
Strickerei <strong>und</strong> fertigte dort Damen- <strong>und</strong> Herrenpullover,<br />
Westen <strong>und</strong> Strickjacken an, die<br />
teils mit farbigen Motiven von Frauen bestickt<br />
wurden. Verkauft wurden sie im eigenen Geschäft.<br />
Dieses lief so gut, dass im Herbst 1953<br />
das erste Lehrmädchen, unter der Bed<strong>in</strong>gung,<br />
es müsse sich <strong>in</strong> plattdeutscher Sprache mit der<br />
K<strong>und</strong>schaft unterhalten, e<strong>in</strong>gestellt wurde. Zum<br />
Glück hatte Hildegard Warna ke<strong>in</strong>e Probleme<br />
damit.<br />
Das Angebot im Laden wurde immer größer,<br />
<strong>und</strong> so wurden die Räumlichkeiten bald<br />
zu kle<strong>in</strong>. Die Firmen brachten immer mehr<br />
neue Stoffe wie Lawabel, Perlon, Ausbrenner<br />
auf den Markt. Und so entstand e<strong>in</strong> neues<br />
Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus ganz <strong>in</strong> der Nähe<br />
247
4<br />
an der Hauptstraße. Das Verkaufssortiment<br />
wurde um Betten, Gard<strong>in</strong>en, Bett- <strong>und</strong> Tischwäsche<br />
sowie Oberbekleidung erweitert.<br />
Sommer- <strong>und</strong> W<strong>in</strong>terschlussverkäufe zogen<br />
besonders viele K<strong>und</strong>en an. Wenn an solchen<br />
Tagen morgens die Ladentür geöffnet wurde,<br />
standen schon viele Schnäppchenjäger vor der<br />
Tür. Jeder wollte der Erste se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>mal hatte<br />
Albert-Jan Kl<strong>in</strong>ge se<strong>in</strong>e Ausverkaufsware mit<br />
dem Spruch: „ Ditt gifft alles förn Appel un`n<br />
Ei!“ dekoriert. Prompt erschien e<strong>in</strong> K<strong>und</strong>e mit<br />
e<strong>in</strong>em Apfel <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em Ei <strong>in</strong> der Hand. Wohl<br />
oder Übel musste Albert-Jan die Waren nun<br />
herausrücken. Auf diese Weise hat er se<strong>in</strong>e<br />
Ware nie wieder angeboten.<br />
Nach mehreren baulichen Maßnahmen<br />
bekam das Geschäft immer wieder e<strong>in</strong> neues<br />
Gesicht. Für Gard<strong>in</strong>en <strong>und</strong> K<strong>in</strong>derbekleidung<br />
brauchte man mehr Platz. So entschlossen sich<br />
Kl<strong>in</strong>ges Anfang der 80er Jahre, e<strong>in</strong>e Halle anzubauen.<br />
Hier richteten sie e<strong>in</strong>e Abteilung mit<br />
Damen- <strong>und</strong> Herrenoberbekleidung e<strong>in</strong>. Bei regelmäßigen<br />
Modenschauen wurden den K<strong>und</strong>en<br />
die neuste Mode vorgestellt. Als Models<br />
fungierten Frauen aus dem K<strong>und</strong>enstamm oder<br />
die eigenen Verkäufer<strong>in</strong>nen. Albert-Jan fuhr<br />
regelmäßig mit se<strong>in</strong>en Angestellten nach Düsseldorf<br />
oder Neuss, um aktuelle Ware zu ordern.<br />
Alle<strong>in</strong> aus diesem Gr<strong>und</strong> konnten sich die<br />
K<strong>und</strong>en im Hoogsteder Bekleidungshaus nach<br />
der neusten Mode e<strong>in</strong>kleiden.<br />
248<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Im Sommer 1984 traten durch den Tod von<br />
Herm<strong>in</strong>e Kl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong> der Familie <strong>und</strong> im Geschäft<br />
tiefgreifende Veränderungen e<strong>in</strong>. Albert-Jan<br />
führte zunächst das Geschäft mit<br />
Hilfe se<strong>in</strong>er Angestellten weiter. Die Adoptivtochter,<br />
e<strong>in</strong>e Nichte des Ehepaares Kl<strong>in</strong>ge,<br />
hatte e<strong>in</strong>en sozialen Beruf erlernt <strong>und</strong> zeigte<br />
an der Weiterführung des Geschäfts ke<strong>in</strong> Interesse.<br />
Albert-Jan verkle<strong>in</strong>erte den Betrieb<br />
um die angebaute Halle <strong>und</strong> vermietete diese<br />
an den Apotheker Dr. Bernd Ebhardt.<br />
1992 gab Kl<strong>in</strong>ge aus Altersgründen auch<br />
den verbliebenen Teil des Geschäftes auf <strong>und</strong><br />
verpachtete ihn an das „ W<strong>in</strong>keltie“ <strong>und</strong> später<br />
an das Gard<strong>in</strong>enhaus Körner.<br />
Im Herbst 1989 heiratete Kl<strong>in</strong>ge se<strong>in</strong>e<br />
zweite Frau Helga, die nach se<strong>in</strong>em Tod 2008<br />
wieder <strong>in</strong> ihre Heimat <strong>in</strong>s Erzgebirge zog.<br />
Leider ist die Zukunft des ehemaligen Textilhauses<br />
Borgmann ungewiss; es wird vorübergehend<br />
als Matratzenlager genutzt, steht aber<br />
zum Verkauf.<br />
Kl<strong>in</strong>ge als Standesbeamter 1969–1974<br />
Albert-Jan Kl<strong>in</strong>ge übernahm im Jahr 1969 das<br />
Amt des hiesigen Standesbeamten von se<strong>in</strong>em<br />
Vorgänger Karl Potgeter. Aus jener Zeit sei<br />
noch e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Begebenheit zu erzählen.<br />
Herr Kl<strong>in</strong>ge war e<strong>in</strong> korrekter Standesbeamter,<br />
der Trauungen pflichtbewusst <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Wohnzimmer durchführte. E<strong>in</strong>es Tages er-<br />
Albert Jan Kl<strong>in</strong>ge<br />
<strong>und</strong> Elfriede um<br />
1960 im Laden<br />
(Elfriede Voita)
schien e<strong>in</strong> Brautpaar mit se<strong>in</strong>en Trauzeugen<br />
zum vere<strong>in</strong>barten Term<strong>in</strong> bei Frau Kl<strong>in</strong>ge <strong>in</strong><br />
der Wohnung, doch der Standesbeamte war<br />
nicht anwesend. Oh Schreck, was nun. Er<br />
hatte den Term<strong>in</strong> vergessen <strong>und</strong> war auch<br />
nicht erreichbar. Es herrschte helle Aufregung.<br />
Frau Kl<strong>in</strong>ge bereitete <strong>in</strong> aller Eile alles für die<br />
Trauung vor <strong>und</strong> als der ahnungslose Albert-<br />
Jan erschien, war se<strong>in</strong> Entsetzen groß. Trotzdem<br />
g<strong>in</strong>g alles se<strong>in</strong>en gewohnten Gang. Die<br />
Zeremonie wurde nur um e<strong>in</strong>e St<strong>und</strong>e verspätet<br />
vollzogen, was unserem Standesbeamten<br />
sehr pe<strong>in</strong>lich war, es passierte ihm nie wieder.<br />
Frisörgeschäft Drechsel-Büdden<br />
In früheren Jahren kannte man hier <strong>in</strong> Hoogstede<br />
ke<strong>in</strong>en Frisör. Die Männer schnitten sich<br />
gegenseitig ihre Haare, Jungen wurde der<br />
Kopf bis auf e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es „Tüffie“ am Vorderkopf<br />
kahl geschoren. Mädchen trugen Flechten<br />
(Zöpfe) <strong>und</strong> Frauen e<strong>in</strong>en verschlungenen<br />
Nackenknoten mit Haarnetz. G<strong>in</strong>g es um<br />
e<strong>in</strong>en perfekten Haarschnitt oder bei Frauen<br />
um e<strong>in</strong>e Dauerwelle, fuhr man nach Neuenhaus<br />
oder Emlichheim. Erst nach dem Krieg<br />
Ende der 40ger Jahre eröffnete der Frisörmeister<br />
Johannes Veddeler im Hause Thole im<br />
Ortsteil Scheerhorn e<strong>in</strong>en Damen- <strong>und</strong> Herrensalon.<br />
Se<strong>in</strong> Hauptgeschäft befand sich <strong>in</strong><br />
Wilsum. Veddeler stellte bald den Gesellen<br />
GESCHÄFTE<br />
Kurt Drechsel e<strong>in</strong>. Drechsel entstammte e<strong>in</strong>er<br />
Frisörfamilie aus Chemnitz <strong>und</strong> sollte ursprünglich<br />
den Betrieb se<strong>in</strong>er Eltern übernehmen.<br />
Se<strong>in</strong> Elternhaus sowie das Geschäft<br />
wurden während des Krieges durch Bomben<br />
total zerstört <strong>und</strong> somit auch se<strong>in</strong>e Zukunft <strong>in</strong><br />
Chemnitz. In englischer Kriegsgefangenschaft<br />
lernte Kurt Drechsel se<strong>in</strong>en späteren Fre<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Gönner Georg Voet aus Brecklenkamp<br />
kennen. Durch ihn kam Drechsel nach se<strong>in</strong>er<br />
Entlassung als Spätheimkehrer <strong>in</strong> die Grafschaft<br />
Bentheim. Georg Voet besorgte ihm zunächst<br />
Arbeit <strong>in</strong> der Landwirtschaft, darauf<br />
folgte e<strong>in</strong>e Tätigkeit bei der Ölfirma Elweraht<br />
<strong>in</strong> Osterwald. Im Herbst 1949 kehrte Drechsel<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en erlernten Beruf als Frisör zurück.<br />
Bald machte er se<strong>in</strong>e Meisterprüfung <strong>und</strong><br />
übernahm das Geschäft von Johann Veddeler.<br />
Die Anfänge waren damals mühsam <strong>und</strong> bescheiden.<br />
Es gab nur e<strong>in</strong>en Raum, <strong>in</strong> dem<br />
weibliche <strong>und</strong> männliche K<strong>und</strong>en bedient<br />
wurden. Erst als sich der K<strong>und</strong>enkreis vergrößerte<br />
<strong>und</strong> Drechsel se<strong>in</strong>en ersten Lehrl<strong>in</strong>g<br />
(Hermann Oldach) e<strong>in</strong>stellte, mietete er von<br />
Frau Thole andere Räume. Er richtete e<strong>in</strong>en<br />
Herren- <strong>und</strong> e<strong>in</strong>en separaten Damensalon mit<br />
je drei Bedienungsplätzen e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong> weiterer<br />
Raum diente als Büro <strong>und</strong> zum Aufenthalt für<br />
Angestellte. Beheizt wurden die Räume mit<br />
Kohleöfen, Heizung kannte man noch nicht.<br />
Uschi Dummer <strong>und</strong> Kurt Drechsel vor dem alten Frisörgeschäft Drechsel, 1958. Das Geschäft war im Haus Thole,<br />
Hauptstraße103 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
249
4<br />
E<strong>in</strong> schwieriges Problem war damals die Wasserversorgung,<br />
vor allem im Damensalon. In<br />
Hoogstede gab es noch ke<strong>in</strong>e R<strong>in</strong>gwasserleitung<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> den wenigsten <strong>Häuser</strong>n e<strong>in</strong>e<br />
Hauswasserversorgung. Im Haus Thole stand<br />
<strong>in</strong> der Waschküche e<strong>in</strong> Terrazzo-Spülste<strong>in</strong> mit<br />
e<strong>in</strong>er Schwengelpumpe, um damit das Wasser<br />
aus e<strong>in</strong>em Brunnen hochzupumpen. Erhitzt<br />
wurde es bei Frau Thole auf dem Küchenherd,<br />
danach wohl temperiert <strong>in</strong> zwei Liter fassenden<br />
Henkeltöpfen zur Kopfwäsche zu den<br />
Waschbecken gebracht.<br />
Als ich am 1. April 1953 als zweiter Lehrl<strong>in</strong>g<br />
bei me<strong>in</strong>em späteren Stiefvater me<strong>in</strong>e<br />
Lehre begann, stand im Büro bereits e<strong>in</strong> 2-<br />
Flammen-Gaskocher, also e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Erleichterung.<br />
Zu Anfang me<strong>in</strong>er Lehrzeit gab es im<br />
Damenfach nur e<strong>in</strong>e Dauerwelle, die Heiß-<br />
Welle. Bald brachten die Firmen neue schonende<br />
Präparate auf den Markt. Auch im<br />
Salon Drechsel wurde mit diesen Präparaten<br />
genau nach Vorschrift gearbeitet. Leider stellte<br />
sich der erwartete Erfolg nicht e<strong>in</strong>. Die K<strong>und</strong><strong>in</strong>nen<br />
klagten über e<strong>in</strong> Brennen auf der<br />
Kopfhaut <strong>und</strong> die Haltbarkeit der Dauerwelle<br />
war ger<strong>in</strong>g. Wo lag die Ursache? Kurt Drechsel<br />
ließ im Schwarzkopf-Labor Analysen von<br />
unserem Gr<strong>und</strong>wasser vornehmen. Die Che-<br />
250<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
miker stellten e<strong>in</strong>en großen Eisengehalt des<br />
Wassers fest. Die Eisenteilchen oxydierten mit<br />
dem Dauerwellwasser – daher dieses Brennen<br />
auf der Kopfhaut <strong>und</strong> die ger<strong>in</strong>ge Haltbarkeit.<br />
Das Gr<strong>und</strong>wasser war für die neuen Dauerwellen<br />
ungeeignet. Wie war dieses Problem<br />
am besten zu lösen? Zunächst holten die<br />
Lehrl<strong>in</strong>ge mehrmals am Tag mit Hilfe e<strong>in</strong>es<br />
mit Milchkannen beladenen Handwagens eisenfreies<br />
Wasser aus der etwa 500 Meter entfernten<br />
Wäscherei. Auf mehrfachen Rat, die<br />
Kopfhaut der Dauerwellk<strong>und</strong>en mit Regenwasser<br />
zu waschen, ließ Drechsel Regenr<strong>in</strong>nen<br />
am Haus anbr<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> im Garten e<strong>in</strong>e<br />
große Zisterne bauen, <strong>in</strong> der nun Regenwasser<br />
gespeichert wurde. E<strong>in</strong>e Hauswasserversorgung<br />
pumpte das gefilterte Regenwasser zum Wasserhahn<br />
im Büro hoch. Etwa zehn Jahre wurde<br />
mit den beiden verschiedenen Wassersorten<br />
gearbeitet <strong>und</strong> der Erfolg stellte sich e<strong>in</strong>.<br />
Im April 1957 heiratete Kurt Drechsel<br />
me<strong>in</strong>e Mutter, die Witwe Johanna Hans geb.<br />
Brooksnieder. Sie wurde <strong>in</strong> den täglichen Geschäftsablauf<br />
mit e<strong>in</strong>bezogen <strong>und</strong> verrichtete<br />
viele Nebenarbeiten. Ich bekam e<strong>in</strong>en fürsorglichen<br />
Stiefvater, der nicht nur mir, sondern<br />
auch allen se<strong>in</strong>en Lehrl<strong>in</strong>gen se<strong>in</strong> Fach<strong>und</strong><br />
Allgeme<strong>in</strong>wissen vermittelte. Mit se<strong>in</strong>en<br />
Kurt <strong>und</strong> Johanna Drechsel mit allen ehemaligen Lehrl<strong>in</strong>gen <strong>in</strong> 1974. Kurt Drechsel <strong>und</strong> Johanna geb. Brooksnieder (verw.<br />
Hans) mit v.l. Anni Keute geb. Schö<strong>in</strong>k, Waltraud Körner geb. Becker, Elisabeth Humbert geb. Schonhoff, Johann Lübbers,<br />
Hannelore Bahlo geb. Anders, Hermann Oldach, Gudrun Pohlmann geb. Leitz, Adelheid Schaible geb. Treider, M<strong>in</strong>i Büdden<br />
geb. Hans (M<strong>in</strong>i Büdden)
Angestellten besuchte er oft Preisfrisieren <strong>und</strong><br />
Messen <strong>in</strong> verschiedenen Städten wie Hamburg,<br />
Dortm<strong>und</strong>, München <strong>und</strong> sogar Paris.<br />
E<strong>in</strong> gutes kollegiales Betriebsklima zwischen<br />
Chef <strong>und</strong> Angestellten übertrug sich auch auf<br />
den K<strong>und</strong>enkreis; er vergrößerte sich ständig.<br />
Die bisherigen Räume im Hause Thole reichten<br />
nicht mehr aus. Im Frühjahr 1963 wurde<br />
mit dem Bau e<strong>in</strong>es Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshauses<br />
an der Hauptstraße <strong>in</strong> der Ortsmitte begonnen.<br />
Im November war es dann soweit, der<br />
Frisör–Betrieb Drechsel zog <strong>in</strong> se<strong>in</strong> neues<br />
Domizil. Hier gab es außer den Bedienungsplätzen<br />
getrennte Warteecken für Damen <strong>und</strong><br />
Herren, e<strong>in</strong>e Verkaufs- sowie e<strong>in</strong>e Mixecke.<br />
Auf dem Flur befand sich e<strong>in</strong>e Spültoilette für<br />
K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Personal. Bis dah<strong>in</strong> gab es nur<br />
e<strong>in</strong> Plumpsklosett auf der Diele. Die größten<br />
Erleichterungen waren e<strong>in</strong>erseits die automatische<br />
Ölheizung <strong>und</strong> andererseits die Warm<strong>und</strong><br />
Kaltwasserleitungen an den Waschplätzen.<br />
Endlich gehörte die Rennerei mit den<br />
Wassertöpfen der Vergangenheit an. Das Arbeiten<br />
machte großen Spaß.<br />
Ende der 60er Jahre traten große Verän -<br />
derungen im Geschäft Drechsel e<strong>in</strong>. Langjährige<br />
Angestellte heirateten <strong>und</strong> zogen <strong>in</strong><br />
andere Orte. Kurt Drechsel konnte se<strong>in</strong>en<br />
Beruf aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen nicht<br />
mehr ausführen <strong>und</strong> verpachtete den Betrieb.<br />
Er selber arbeitete <strong>in</strong> der Auto-Firma Hermann<br />
Maathuis als Büroangestellter.<br />
Im August 1974 luden die Drechsels alle<br />
ehemaligen Lehrl<strong>in</strong>ge mit ihren Ehepartnern<br />
GESCHÄFTE<br />
Der rückwärtige Bereich des Anwesens des Gast-<br />
<strong>und</strong> Landwirtes Jan-Harm Harms-Ens<strong>in</strong>k (Wolters)<br />
(Gerrit Ranft)<br />
<strong>in</strong> den Saal Bloemen e<strong>in</strong>. Auf e<strong>in</strong> ausgiebiges<br />
Essen folgte e<strong>in</strong> gemütlicher Teil <strong>und</strong> viele geme<strong>in</strong>same<br />
Erlebnisse wurden <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung<br />
gerufen. Am Schluss des Abends waren sich<br />
alle e<strong>in</strong>ig: „Unsen Boss, de sällt wa betaalen,<br />
loate man wat van`t Konto haalen“ – was er<br />
dann auch gerne getan hat.<br />
Im W<strong>in</strong>ter 1977 starb Kurt Drechsel im<br />
Alter von 60 Jahren nach längerer Krankheit.<br />
Der Salon war <strong>in</strong> den folgenden Jahren an<br />
verschiedene Pächter vermietet, bis unser<br />
Sohn Guido Büdden Interesse am Frisörberuf<br />
zeigte. 1984 kam er zu e<strong>in</strong>em ehemaligen<br />
Lehrl<strong>in</strong>g des Salons Drechsel, Johann Lübbers,<br />
der se<strong>in</strong> Geschäft <strong>in</strong> Itterbeck führt, <strong>in</strong> die<br />
Lehre. Lübbers übernahm vorübergehend den<br />
Hoogsteder Salon als Filiale. Nach gründlicher<br />
Renovierung übernahm Guido Büdden im Januar<br />
1991 das Geschäft se<strong>in</strong>er Großeltern Kurt<br />
<strong>und</strong> Johanna Drechsel. Er führt es zusammen<br />
mit se<strong>in</strong>er Frau Ute geb. Töller.<br />
251
4<br />
<strong>Häuser</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Handwerker</strong><br />
Villa <strong>und</strong> Familie Stönnebr<strong>in</strong>k<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Bernhard He<strong>in</strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k (1879–1939)<br />
wurde am 21.12.1879 <strong>in</strong> Halle geboren. Er war<br />
seit 1903 als Lehrer an der Schule <strong>in</strong> Scheerhorn<br />
tätig, bis er strafversetzt werden sollte,<br />
weil er heiraten „musste“. Am 27.12.1904 heiratete<br />
er die Haustochter Gesien Schütte (geb.<br />
21.05.1882 <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt). Da se<strong>in</strong>e Frau etlichen<br />
Besitz mit <strong>in</strong> die Ehe brachte, quittierte Stönnebr<strong>in</strong>k<br />
den Schuldienst.<br />
Um die Jahrh<strong>und</strong>ertwende ließ Stönnebr<strong>in</strong>k<br />
für se<strong>in</strong>e Familie <strong>in</strong> der Ortsmitte e<strong>in</strong><br />
herrschaftliches Haus bauen, das <strong>in</strong> Hoogstede<br />
wegen se<strong>in</strong>er Stattlichkeit <strong>und</strong> Größe die„Villa<br />
Stönnebr<strong>in</strong>k“ genannt wurde. Zum Haus gehörten<br />
e<strong>in</strong> Wohnteil mit e<strong>in</strong>er großen gefliesten<br />
Küche <strong>und</strong> e<strong>in</strong>em mit wertvollen Möbeln<br />
<strong>und</strong> Plüschvorhängen ausgestatteten Wohn-<br />
252<br />
<strong>und</strong> Esszimmer. Die Schlafräume befanden<br />
sich im Obergeschoss. Der Wirtschaftsteil enthielt<br />
e<strong>in</strong>e Diele <strong>und</strong> Ställe für Pferde <strong>und</strong><br />
Kühe. Auf dem dazugehörigen Hof stand e<strong>in</strong>e<br />
Scheune für Kutsche, Wagen <strong>und</strong> Geräte. Zum<br />
Anwesen zählte e<strong>in</strong> großer Gemüse- <strong>und</strong><br />
Obstgarten. Die Familie Stönnebr<strong>in</strong>k besaß<br />
zudem etliche Ländereien <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>stücke,<br />
vor allem im „Stapenberg“, sowie den elterlichen<br />
Hof der Ehefrau <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt – die sogenannte<br />
Schütterey – mit zugehörigem Gr<strong>und</strong><br />
<strong>und</strong> Boden. Diese „Schütterey“ war an Familie<br />
Jünger<strong>in</strong>k verpachtet.<br />
In der Zementfabrik von Stönnebr<strong>in</strong>k, der<br />
„Pannenbude“, waren etliche Arbeiter mit der<br />
Herstellung von Zementdachziegeln, Brunnenr<strong>in</strong>gen<br />
(Püttenr<strong>in</strong>ge) <strong>und</strong> Grabste<strong>in</strong>en beschäftigt.<br />
Der Betrieb ist später e<strong>in</strong>gestellt<br />
worden, aus der „Pannenbude“ wurde e<strong>in</strong>e<br />
Postkarte der<br />
„Cementwarenfabrik<br />
B. Stönnebr<strong>in</strong>k“<br />
etwa 1925.<br />
Notiert auf der<br />
Rückseite dieser<br />
Postkarte aus<br />
dem Besitz der<br />
Familie Rott.<br />
Heckhuis,<br />
Rooy Aalder<strong>in</strong>k,<br />
H. J. Berends,<br />
H. J. Völker,<br />
G. Berends,<br />
Stönnebr<strong>in</strong>k<br />
(Rott)
Anfang 1930er<br />
Jahre, erstes Taxi<br />
von Bernhard<br />
Stönnebr<strong>in</strong>k<br />
(Aus „Alt-<br />
Hoogstede“)<br />
Bernhard He<strong>in</strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k,<br />
Rückseite: „24.12.1934 Für Gesiene“.<br />
Bernhard He<strong>in</strong>rich Stönnebr<strong>in</strong>k starb am 26.02.1939<br />
im Alter von 60 Jahren. Er h<strong>in</strong>terließ drei K<strong>in</strong>der,<br />
Henny, Gesiene <strong>und</strong> Bernhard (Brigitte Stönnebr<strong>in</strong>k)<br />
Wohnung, die Jan Hessel<strong>in</strong>k (Rieks Jan) mit<br />
se<strong>in</strong>er Familie bezog. Anfang der 50er Jahre<br />
kauften Albert <strong>und</strong> Emmi Brill das Haus.<br />
Henny heiratete den Holländer Cornelius<br />
Woudsma. Sie zog mit ihrem Mann nach Holland.<br />
Henny erbte nach dem Tod der Mutter<br />
Gesien am 29.07.1950 e<strong>in</strong>e Hälfte des Hauses<br />
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
samt Gartengr<strong>und</strong>stück. In diesem Hausteil<br />
wohnten bis zum Verkauf im Jahr 1978 verschiedene<br />
Familien zur Untermiete.<br />
Gesiene Stönnebr<strong>in</strong>k erbte die „Schütterey“<br />
<strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt. Sie übergab ihr Erbe an die<br />
Stadt Nordhorn, die daraufh<strong>in</strong> den Landwirt<br />
Pley aus Nordhorn nach T<strong>in</strong>holt umsiedelte.<br />
Im Gegenzug baute die Stadt für Gesiene<br />
Stönnebr<strong>in</strong>k e<strong>in</strong> Mehrfamilienhaus <strong>in</strong> Nordhorn,<br />
das sie 1954 mit ihren beiden Töchtern<br />
bezog.<br />
Der Sohn Bernhard erbte die andere Haushälfte<br />
der Villa, den ehemaligen Wirtschaftsteil,<br />
der allerd<strong>in</strong>gs schon Anfang der 20er Jahre zu<br />
e<strong>in</strong>em Wohnbereich umgebaut worden war. Zu<br />
se<strong>in</strong>em Erbteil gehörten auch der Hofraum<br />
sowie die Gr<strong>und</strong>stücke im Stapenberg.<br />
Bernhard Stönnebr<strong>in</strong>k jun. heiratete 1942<br />
die Schwarzwälder<strong>in</strong> Paula Bühler. Mit ihrem<br />
Sohn He<strong>in</strong>z lebten sie seit 1945 im elterlichen<br />
Haus. Bernhard Stönnebr<strong>in</strong>k war e<strong>in</strong> begeis -<br />
terter Autofahrer <strong>und</strong> machte das Autofahren<br />
zu se<strong>in</strong>em Beruf. Nach dem Ende des Krieges<br />
gründete er e<strong>in</strong>en Fuhrpark mit LKW, Taxi,<br />
Mietwagen <strong>und</strong> Bus. Der LKW wurde für<br />
Viehtransporte <strong>in</strong>s Ruhrgebiet e<strong>in</strong>gesetzt, mit<br />
dem Taxi fuhr Stönnebr<strong>in</strong>k se<strong>in</strong>e K<strong>und</strong>en <strong>in</strong><br />
die nähere <strong>und</strong> weitere Umgebung <strong>und</strong> nutzte<br />
es auch für Krankenfahrten. Wer ke<strong>in</strong> eigenes<br />
Auto hatte, aber e<strong>in</strong>en Führersche<strong>in</strong> besaß,<br />
konnte sich bei ihm e<strong>in</strong>en Mietwagen ausleihen.<br />
Viele junge Frauen aus Hoogstede <strong>und</strong><br />
Umgebung fanden damals Arbeit <strong>in</strong> der Näherei<br />
ten Cate <strong>in</strong> Almelo. „Stönnebr<strong>in</strong>ks<br />
Bernd“ transportierte sie jeden Tag mit se<strong>in</strong>em<br />
Bus zu ihrer Arbeitsstelle <strong>und</strong> zurück. Der Bus<br />
wurde später auch als Schulbus e<strong>in</strong>gesetzt <strong>und</strong><br />
für Ausflüge genutzt.<br />
Ab etwa 1960 erweiterte Stönnebr<strong>in</strong>k se<strong>in</strong>en<br />
Fuhrpark um e<strong>in</strong>en Leichenwagen. Er war<br />
damit der erste Leichenbestatter Hoogstedes<br />
<strong>und</strong> verrichtete diesen Dienst bis 1983.<br />
Die Gr<strong>und</strong>stücke im Stapenberg verkaufte<br />
Stönnebr<strong>in</strong>k günstig als Bauplätze <strong>und</strong> ermöglichte<br />
so etlichen, zumeist vertriebenen<br />
Familien die Möglichkeit zum Aufbau e<strong>in</strong>er<br />
neuen Zukunft mit Haus <strong>und</strong> Hof <strong>in</strong> Hoogstede.<br />
Hieraus entstand nach dem Krieg die<br />
erste Siedlung „Im Stapenberg“.<br />
253
4<br />
254<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Im Jahr 1998 – nach dem Tod der Eltern –<br />
verkaufte Sohn He<strong>in</strong>z Stönnebr<strong>in</strong>k die von ihm<br />
geerbte Haushälfte der „Villa Stönnebr<strong>in</strong>k“.<br />
Gesien geb. Schütte <strong>und</strong> Bernhard Stönnebr<strong>in</strong>k sr. mit<br />
Tochter Henny (Brigitte Stönnebr<strong>in</strong>k)<br />
Das alte Spritzenhaus<br />
(ca. 1900–1964)<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
In unmittelbarer Nähe des heutigen Feuerwehr-Gerätehauses<br />
stand vor Jahren das alte<br />
Spritzenhaus. Es war <strong>in</strong> zwei separate Räume<br />
aufgeteilt. In e<strong>in</strong>em stellte die Hoogsteder<br />
Feuerwehr ihre Feuerspritze <strong>und</strong> andere Geräte<br />
unter, der andere hatte e<strong>in</strong> vergittertes<br />
Fensterchen <strong>und</strong> war notdürftig als Zelle<br />
e<strong>in</strong>gerichtet. Hier fanden früher auch Wanderburschen,<br />
die auf der Walz waren, e<strong>in</strong>e<br />
Übernachtungsmöglichkeit. Sie konnten sich<br />
beim Bürgermeister melden, er stellte ihnen<br />
e<strong>in</strong>e Besche<strong>in</strong>igung für e<strong>in</strong>e kostenlose Übernachtung<br />
aus. Der Schlüssel zu diesem Raum<br />
im Spritzenhaus war beim Bahnhofswirt Wilhelm<br />
Taubken deponiert. Dort konnte er abgeholt<br />
<strong>und</strong> am nächsten Morgen wieder<br />
abgegeben werden.<br />
Der Hoogsteder Polizist Alfred Leipner<br />
sperrte auch schon mal Randalierer, sich im<br />
Dorf aufhaltende, streitende Zigeuner oder angetrunkene<br />
Personen zur Ausnüchterung <strong>in</strong><br />
diese Zelle. Gegen Ende des Krieges, als jeder<br />
verfügbare Raum zur Unterbr<strong>in</strong>gung der<br />
Flüchtl<strong>in</strong>ge gebraucht wurde, stand das Feuerwehrauto<br />
<strong>in</strong> der alten katholischen Schule. Im<br />
Spritzenhaus fanden zwei Familien vorüberge-<br />
Postkarte Hoogstede um 1920, Villa<br />
Stönnebr<strong>in</strong>k, Kolonat Stönnebr<strong>in</strong>k u.a. (MB)<br />
Müller`sche Schankwirtschaft <strong>und</strong> Müller`sche Mühle<br />
(Löhnberg, Photogr. Schüttorf) l<strong>in</strong>ks unten Schütterij,<br />
heute Pley, T<strong>in</strong>holt.<br />
hend e<strong>in</strong>e notdürftige Bleibe. Im größeren<br />
Raum lebte Mutter Jodszuweit mit ihren K<strong>in</strong>dern,<br />
im anderen die Familie Rebelsky-Jasch<strong>in</strong>sky.<br />
In den Jahren 1963/64 bekam die Feuerwehr<br />
e<strong>in</strong> neues Gebäude. Das alte Spritzenhaus<br />
hatte se<strong>in</strong>en Dienst getan <strong>und</strong> wurde abgerissen.<br />
Das „Rosemann’sche“ Haus<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Neben dem Gr<strong>und</strong>stück von Bollen steht das<br />
im Jahr 1932 erbaute Haus der Eheleute Albertus<br />
(geb. 16.10.1893) <strong>und</strong> Fennegien (geb.<br />
5.5.1898) Rosemann. Albertus Rosemann war<br />
Bäcker <strong>und</strong> arbeitete <strong>in</strong> der Bäckerei von<br />
Altes Spritzenhaus<br />
vor 1955
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
Gerrit-Jan <strong>und</strong> Aaltien Rosemann, 1938. Albertus Rosemann war Sohn dieses Ehepaares (Aus „Alt-Hoogstede“)<br />
Hermann Sloot. In dem vorderen Teil se<strong>in</strong>es<br />
Hauses richtete er e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Lebensmittelverkauf<br />
e<strong>in</strong>, den er aber nach kurzer Zeit<br />
an Geert Lucas verpachtete. Er selber fuhr per<br />
Fahrrad zu se<strong>in</strong>en K<strong>und</strong>en <strong>und</strong> handelte mit<br />
Stoffen. Bevor er später bei der Bentheimer<br />
Eisenbahn als Streckenarbeiter e<strong>in</strong>gestellt<br />
wurde, arbeitete er als Handlanger bei der<br />
Firma Kwade <strong>in</strong> Großr<strong>in</strong>ge.<br />
Das Ehepaar Rosemann lebte mit se<strong>in</strong>en<br />
fünf K<strong>in</strong>dern (Gerda, Ges<strong>in</strong>e, Alide, Gerrit <strong>und</strong><br />
Johann) auf engem Raum, weil schon vor dem<br />
Krieg <strong>in</strong> den vorderen Zimmern die Schwes -<br />
ternstation der Geme<strong>in</strong>de untergebracht war.<br />
Dort wohnten <strong>und</strong> arbeiteten nache<strong>in</strong>ander<br />
die Krankenschwestern Mathilde, Gesiene,<br />
Hermiene (Lübbers) <strong>und</strong> Anni Bartels.<br />
Im Jahr 1970 kauften Luise <strong>und</strong> Hans Hövelkamp<br />
das Haus Rosemann. Sie erweiterten<br />
das Gebäude am h<strong>in</strong>teren Teil um e<strong>in</strong>e Wohnung<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>e Halle. Bis 1995 konnte man im<br />
Geschäft Hövelkamp Tapeten, Farben, Bodenbeläge,<br />
Schulbücher <strong>und</strong> Schreibwaren kaufen.<br />
Jetzt bef<strong>in</strong>det sich die Praxis des Zahnarztes<br />
Dr. Holl im ehemaligen Haus Rosemann.<br />
Das Scholten’sche Haus<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Im Ortskern von Hoogstede, an der Hauptstraße<br />
gegenüber der reformierten <strong>Kirche</strong>, steht das<br />
ehemalige Scholten`sche Haus mit der langjährigen<br />
Hausnummer 17, heute Nr. 48.<br />
Im Jahr 1861 kauften der Holzdrechsler<br />
Gerrit Jan Scholten <strong>und</strong> Frau Janna geb. Wiefer<strong>in</strong>k<br />
das Haus mit zugehörigem Hofraum<br />
<strong>und</strong> Ländereien (e<strong>in</strong>e sogenannte Kötterei)<br />
von den Eheleuten Geert <strong>und</strong> Gese Michel geborene<br />
Laarmann.<br />
Der Sohn der Eheleute Scholten, H<strong>in</strong>drik<br />
Jan, geboren im März 1872, erbte nach deren<br />
Tod das ganze Anwesen. H<strong>in</strong>drik Jan Scholten<br />
heiratete im Juni 1906 se<strong>in</strong>e Frau Ges<strong>in</strong>a geb.<br />
B<strong>in</strong>geler aus Kalle. Im Haus Scholten befand<br />
sich neben der Wohnung der Eheleute noch<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Mietwohnung. Im Dielenteil mit<br />
„Bansdöre <strong>und</strong> Unnerschur“ gab es e<strong>in</strong>en<br />
Ziegen- <strong>und</strong> zwei Schwe<strong>in</strong>eställe mit dazwischenliegendem<br />
Plumpsklo.<br />
Die Diele wurde am Sonntag <strong>und</strong> bei Beerdigungen<br />
zum Unterstellen von Fahrrädern<br />
der <strong>Kirche</strong>nbesucher genutzt. Erst wenn das<br />
255
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Das Ehepaar H<strong>in</strong>drik Jan Scholten <strong>und</strong> Ges<strong>in</strong>a<br />
geb. B<strong>in</strong>geler um 1910 (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
letzte Rad e<strong>in</strong>gestellt war, wurde die Tür abgeschlossen<br />
<strong>und</strong> dann g<strong>in</strong>g auch das Ehepaar<br />
Scholten zur <strong>Kirche</strong>.<br />
H<strong>in</strong>ter dem Haus stand separat e<strong>in</strong> „Kockhus“<br />
mit e<strong>in</strong>em großen Kessel zum Kochen der<br />
Wäsche <strong>und</strong> des Schwe<strong>in</strong>efutters. Ebenfalls h<strong>in</strong>ter<br />
dem Haus lag e<strong>in</strong> „Höffie“, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er e<strong>in</strong>gezäunter<br />
Gemüsegarten. Hier wuchsen neben<br />
dem Gemüse verschiedene Beerensträucher.<br />
In Haus <strong>und</strong> Hof waltete <strong>und</strong> schaltete<br />
„Weehldräjers S<strong>in</strong>-Möhj“, so wurde sie im Ort<br />
genannt. Sie war für ihren Fleiß, aber ebenso<br />
für ihre außerordentliche Sparsamkeit bekannt<br />
<strong>und</strong> hat immer für schlechtere Zeiten gespart.<br />
Ihre Liebl<strong>in</strong>gstiere, zwei Ziegen, hat sie besonders<br />
umsorgt <strong>und</strong> regelmäßig gemolken.<br />
Die Milch war damals sehr wertvoll <strong>und</strong><br />
wurde im Haushalt verwendet.<br />
H<strong>in</strong>drik Jan Scholten (de Weehldräjer)<br />
hatte se<strong>in</strong>en Drechsler-Beruf <strong>und</strong> die Werkstatt<br />
von se<strong>in</strong>em Vater übernommen. Se<strong>in</strong>e<br />
Meisterprüfung legte er 1936 <strong>in</strong> Osnabrück ab.<br />
Die Werkstatt – de Dräjkamer – befand sich<br />
längs der Diele zur Straßenseite <strong>und</strong> besaß<br />
e<strong>in</strong>en separaten E<strong>in</strong>gang an der Giebelseite.<br />
Scholten war Fachmann im Herstellen von<br />
Sp<strong>in</strong>nrädern (Weehle, daher der Name Weehl-<br />
256<br />
dräjer) <strong>und</strong> Haspeln. Noch heute gibt es von<br />
ihm gefertigte Sp<strong>in</strong>nräder, die immer noch <strong>in</strong>takt<br />
s<strong>in</strong>d <strong>und</strong> genutzt werden. E<strong>in</strong> Exemplar<br />
ist im Besitz der Tochter des früheren Hoogsteder<br />
Pastors Voget. Sie wohnt im süddeutschen<br />
Raum <strong>und</strong> br<strong>in</strong>gt das Sp<strong>in</strong>nrad bei<br />
Bedarf noch heute <strong>in</strong> Gang. E<strong>in</strong> anderes soll<br />
im Amsterdamer Reichsmuseum ausgestellt<br />
<strong>und</strong> zu bew<strong>und</strong>ern se<strong>in</strong>.<br />
H<strong>in</strong>drik Jan Scholten hat wertvolle, gewissenhafte<br />
Arbeit geleistet. Se<strong>in</strong>e von Hand gefertigten<br />
Stühle <strong>und</strong> Sessel gibt es auch heute<br />
noch <strong>in</strong> etlichen Familien. E<strong>in</strong> Nachleimen ist<br />
nahezu nie notwendig. Besonders sorgfältig<br />
verarbeitet waren die Sitzflächen se<strong>in</strong>er Sessel<br />
<strong>und</strong> Stühle, die er aus B<strong>in</strong>sen (Boejse) geflochten<br />
hat. Außerdem fertigte er Holzharken <strong>und</strong><br />
die dazugehörigen Stiele für die Heuernte,<br />
Wellhaken <strong>und</strong> Sensenstiele mit Griff an.<br />
Das Ehepaar Scholten blieb k<strong>in</strong>derlos <strong>und</strong><br />
als S<strong>in</strong>a Scholten im Jahr 1948 plötzlich starb,<br />
war H<strong>in</strong>drik Jan Scholten auf fremde Hilfe angewiesen.<br />
Die Familie Büdden, die damals <strong>in</strong><br />
der Mietwohnung lebte, nahm sich des hilflosen<br />
76-Jährigen an. Bis zu se<strong>in</strong>em Tode wurde<br />
er versorgt <strong>und</strong> gepflegt <strong>und</strong> er vererbte der<br />
Familie als Dank se<strong>in</strong> Haus mit Hofraum.<br />
Das Haus ist seitdem immer wieder um<strong>und</strong><br />
ausgebaut worden. Als erstes änderte man<br />
die ehemalige Werkstatt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Verkaufsraum<br />
mit Schaufenster <strong>und</strong> Regalen um. 1949<br />
eröffneten die „Borgmanns-Wichter“ Treuda<br />
<strong>und</strong> Herm<strong>in</strong>e dann das erste Textilgeschäft <strong>in</strong><br />
Hoogstede. 1961 bis 1964 folgte Johannes Lorenz<br />
Jönssen, er war Elektriker <strong>und</strong> verkaufte<br />
<strong>in</strong> se<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Geschäft sämtliche Elektrogeräte.<br />
Zu dieser Zeit ist das Dielenende mit<br />
Ställen <strong>und</strong> Unnerschur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Wohnung umgebaut<br />
worden, die dann vom Eigentümer bewohnt<br />
wurde.<br />
In den gewerblichen Räumen befand sich<br />
etliche Jahre die Fahrschule Kurt Hauschild,<br />
später dann e<strong>in</strong> Wollstübchen, darauf das<br />
„W<strong>in</strong>keltien“, danach e<strong>in</strong> Versicherungsbüro<br />
<strong>und</strong> nochmals e<strong>in</strong>e Fahrschule.<br />
In welchem Jahr das Scholten`sche Haus<br />
erbaut worden ist, ist leider nicht festzustellen.<br />
Bei dem Abriss e<strong>in</strong>er alten Mauer fand man<br />
allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> mit der Jahreszahl
1904. Vermutlich fanden zu der Zeit schon<br />
Veränderungen am Haus statt. An e<strong>in</strong>er Giebelwand<br />
bef<strong>in</strong>det sich noch heute der ursprüngliche<br />
Sockel aus Bentheimer Sandste<strong>in</strong>.<br />
Schuster He<strong>in</strong>rich Warmer<br />
(1910–1982)<br />
Johann Jeur<strong>in</strong>k <strong>und</strong> Irma Köster<br />
He<strong>in</strong>rich Warmer, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>wüchsiger Mann,<br />
wurde am 15. März 1910 <strong>in</strong> Hoogstede geboren.<br />
Mit se<strong>in</strong>en Eltern zog er Mitte der 1920er Jahre<br />
nach Diffelen <strong>in</strong> die Niederlande. He<strong>in</strong>richs<br />
Onkel <strong>und</strong> Tante blieben auf dem Hof <strong>in</strong> Hoogstede.<br />
He<strong>in</strong>rich Warmer begann mit 17 Jahren<br />
<strong>in</strong> den Niederlanden e<strong>in</strong>e Ausbildung zum<br />
Schuster . Nach Beendigung der Lehrzeit blieb<br />
er dort e<strong>in</strong>ige Jahre als Schustergeselle. 1932<br />
kehrte er nach Hoogstede zurück. Er wohnte bei<br />
se<strong>in</strong>er Schwester, die <strong>in</strong>zwischen wieder auf den<br />
Hof an der Wilsumer Straße zurückgekehrt war.<br />
Von den beiden kle<strong>in</strong>en Zimmern (Dällenkämerties)<br />
diente ihm e<strong>in</strong>s als Schlafzimmer, das<br />
andere als Werkstatt, als „Schusterkamer“.<br />
Für die K<strong>und</strong>schaft war der Weg zur<br />
„Schusterkamer“ beschwerlich, er führte über<br />
die Diele, wo unter anderem auch gedroschen<br />
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
Schafe, Sp<strong>in</strong>nrad, Sense <strong>und</strong> Heuharken vor dem Hause Scholten, heute Büdden. „Weehldräjer“ H<strong>in</strong>drik Jan Scholten<br />
mit se<strong>in</strong>er Frau Ges<strong>in</strong>a geb. B<strong>in</strong>geler vor ihrem Haus (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
wurde. Trotzdem nahmen damals bereits viele<br />
Hoogsteder Warmers Dienste <strong>in</strong> Anspruch.<br />
1948 baute er auf dem Gr<strong>und</strong>stück se<strong>in</strong>er<br />
Schwester e<strong>in</strong> eigenes Häuschen, das er Mitte<br />
der 1960er Jahre erweiterte. Nachdem der<br />
Stabs musikkapellmeister Hermann Gröbe<br />
(1879–1970) aus der Oberwohnung ausgezogen<br />
war, zog Warmer <strong>in</strong>s Obergeschoss <strong>und</strong><br />
richtete im Erdgeschoss neben der Schusterwerkstatt<br />
e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Laden e<strong>in</strong>. Gröbe<br />
wohnte danach bei der Familie Gosen an der<br />
Bergstraße 20.<br />
Schuster He<strong>in</strong>rich Warmer war e<strong>in</strong> liebenswerter<br />
<strong>und</strong> jederzeit fre<strong>und</strong>licher <strong>und</strong> lebensbejahender<br />
Mensch. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />
g<strong>in</strong>gen immer wieder gerne Leute auch ohne<br />
Auftrag zu ihm, um e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Plausch zu<br />
halten. Manches Mal reichte der Platz auf se<strong>in</strong>er<br />
Bank <strong>in</strong> der „Schusterkamer“ für die vielen<br />
Besucher nicht aus.<br />
Hansi, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er gelber Kanarienvogel,<br />
war se<strong>in</strong> ständiger Begleiter. Im Frühjahr 1973<br />
wurde Warmer von e<strong>in</strong>em unbekannten maskierten<br />
Mann brutal überfallen <strong>und</strong> ausgeraubt.<br />
Über diese Tat war das ganze Dorf<br />
erbost. Trotz e<strong>in</strong>er hohen Belohnung blieb<br />
257
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Schuster He<strong>in</strong>rich Warmer (1910-1982) <strong>in</strong> der Werkstatt.<br />
Ähnlich Alt-Hoogstede S. 56 (He<strong>in</strong>rich Warmer)<br />
die Tat ungeklärt. Gleich nach dem Überfall<br />
schaffte Warmer sich zum Schutz e<strong>in</strong>en Schäferh<strong>und</strong><br />
an, der bis zu se<strong>in</strong>er Erkrankung e<strong>in</strong><br />
treuer Begleiter war.<br />
Bis kurz vor se<strong>in</strong>em Tod kam er mit allen<br />
anfallenden Hausarbeiten bestens alle<strong>in</strong>e klar.<br />
Für das Mittagessen <strong>und</strong> die Wäsche sorgte<br />
zuerst se<strong>in</strong>e Schwester, danach se<strong>in</strong>e Nichte.<br />
Am 15.08.1982 verstarb He<strong>in</strong>rich Warmer. Seit<br />
der Zeit hat Hoogstede ke<strong>in</strong>en Schuster mehr.<br />
He<strong>in</strong>rich Haubrich – Zweiräder<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
He<strong>in</strong>rich Haubrich wurde 1890 <strong>in</strong> Großr<strong>in</strong>ge<br />
an der Schleuse im Brückenwärterhaus geboren.<br />
Vom 1. März 1906 bis zum 1. März 1910<br />
war er als Schmied-Lehrl<strong>in</strong>g bei Schmiedemeister<br />
Haubrich <strong>in</strong> Hoogstede.<br />
In e<strong>in</strong>em alten Gebäude an der Molkereistraße<br />
<strong>in</strong> Hoogstede richtete er sich nach der<br />
Lehre e<strong>in</strong>e Fahrradwerkstatt e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e Zeitzeug<strong>in</strong><br />
berichtet, sie habe um 1933 für 18<br />
Reichsmark e<strong>in</strong> gebrauchtes Fahrrad bei ihm<br />
gekauft.<br />
1937 baute He<strong>in</strong>rich Haubrich geme<strong>in</strong>sam<br />
mit se<strong>in</strong>er Frau Reg<strong>in</strong>a geb. Wösten e<strong>in</strong> neues<br />
Haus mit Werkstatt an der Hauptstraße. Dort<br />
verkaufte er Fahrräder, Motorroller, Nähma-<br />
258<br />
Schuster Warmer mit H<strong>und</strong> vor se<strong>in</strong>em Geschäft<br />
(He<strong>in</strong>rich Warmer)<br />
sch<strong>in</strong>en <strong>und</strong> Zubehör. E<strong>in</strong> Werbespruch damals<br />
lautete: „Fahr auch du – N.S.U.“<br />
He<strong>in</strong>rich Haubrich war leidenschaftlicher<br />
Jäger <strong>und</strong> Jagdhornbläser. In se<strong>in</strong>em Wohnzimmer<br />
stand e<strong>in</strong> Grammophon. Oft legte er<br />
Gesellenzeugnis<br />
H. Haubrich,<br />
*1890<br />
(Gerhard Heet)
Tankstelle<br />
Bollen,<br />
um 1950,<br />
Friedrich Bollen<br />
<strong>und</strong> Johanna<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k<br />
aus T<strong>in</strong>holt<br />
(Aus „Alt-<br />
Hoogstede“)<br />
Haus von He<strong>in</strong>rich Haubrich, jetzt Gerhard Heet, heute<br />
Hauptstraße 96 (Gerhard Heet)<br />
Volks- <strong>und</strong> Jagdliederplatten auf. Das ehemalige<br />
Haus Haubrich wird heute (Hauptstraße<br />
96) von se<strong>in</strong>em Schwiegersohn Gerhard Heet<br />
<strong>und</strong> dessen Frau bewohnt.<br />
Fahrräder<br />
Gerrit Jan Zomer/Friedrich Bollen<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Gerrit Jan Zomer, geboren 1900 <strong>in</strong> R<strong>in</strong>ge, war<br />
Niederländer. Er lebte mit se<strong>in</strong>en Eltern <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>er Schwester <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt auf dem heutigen<br />
Hof Luttermann. Eigentlich sollte er den Hof<br />
der Eltern übernehmen, zeigte aber wenig Interesse<br />
für die Landwirtschaft. Schon <strong>in</strong> T<strong>in</strong>-<br />
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
holt handelte er mit Fahrrädern <strong>und</strong> zog 1929<br />
mit se<strong>in</strong>er Frau Johanna geb. Egbers nach<br />
Hoogstede <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Heuerhaus, das zum Hof<br />
Hannebrook gehörte. Später baute er sich e<strong>in</strong><br />
eigenes Haus mit Werkstatt an der Hauptstraße,<br />
später Bollen.<br />
Gerrit Jan Zomer wurde von den Nationalsozialisten<br />
bedroht <strong>und</strong> flüchtete im Juni<br />
1937 nach Heemse <strong>in</strong> Holland ab (siehe Seite<br />
357). Se<strong>in</strong>e Frau durfte mit den K<strong>in</strong>dern erst<br />
später ausreisen. Der Schwager Albert Jan<br />
Luttermann kümmerte sich weiter um den Betrieb<br />
<strong>und</strong> verpachtete ihn an den Fahrradmechaniker<br />
Friedrich Bollen, geb. 1908 <strong>in</strong> Ohne,<br />
<strong>und</strong> dessen Frau Tryntje geb. Rehw<strong>in</strong>kel. Bollen<br />
Fritz (wie man ihn im Dorf nannte) beantragte<br />
schon 1938 e<strong>in</strong>e Benz<strong>in</strong>zapfsäule, die<br />
auch genehmigt <strong>und</strong> vor dem Haus an der<br />
Straßenfront e<strong>in</strong>gebaut wurde. E<strong>in</strong>en Tank mit<br />
e<strong>in</strong>em Fassungsvermögen von 3.700 Litern<br />
grub man <strong>in</strong> die Erde e<strong>in</strong>.<br />
Jetzt hatte Hoogstede se<strong>in</strong>e erste Tankstelle,<br />
<strong>und</strong> die wenigen Autos <strong>und</strong> Motorräder,<br />
die es zu der Zeit gab, konnten im Ort<br />
betankt werden. Erst 1954 kaufte die Familie<br />
Bollen das Haus mit Hofraum. 1965 verlegte<br />
man die Tankstelle aufgr<strong>und</strong> der Verbreiterung<br />
der Hauptstraße <strong>in</strong> den h<strong>in</strong>teren Hofraum,<br />
jetzt mit zwei Zapfsäulen. Mittlerweile<br />
gab es <strong>in</strong> Hoogstede <strong>und</strong> Umgebung schon et-<br />
259
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Familie Bollen ungefähr <strong>in</strong> 1943. Luise <strong>und</strong> Johanne mit<br />
ihren Eltern Trientje geb. Rehw<strong>in</strong>kel <strong>und</strong> Friedrich Bollen<br />
(Luise Hövelkamp)<br />
liche stolze Auto- <strong>und</strong> Motorradbesitzer. Bollen<br />
erweiterte se<strong>in</strong>en Betrieb 1967 um e<strong>in</strong>e<br />
Reparaturwerkstatt für Kraftfahrzeuge <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>e Waschhalle. 1987 kam noch e<strong>in</strong>e Autolackiererei<br />
h<strong>in</strong>zu.<br />
In Bollens Werkstatt wurden im Laufe der<br />
Jahre etliche Lehrl<strong>in</strong>ge ausgebildet. „Fritz was<br />
noch wall ´nen strengen Lehrbaas.“ E<strong>in</strong> ehemaliger<br />
Lehrl<strong>in</strong>g, H<strong>in</strong>drik Jan Lichtenborg, hat<br />
den Betrieb, nachdem Friedrich Bollen <strong>in</strong> den<br />
wohlverdienten Ruhestand gegangen war,<br />
noch e<strong>in</strong>ige Jahre weitergeführt.<br />
Elektrogeschäft Jönssen<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Johannes Lorenz Jönssen, geb. am 29.10.1929<br />
<strong>in</strong> Nordhorn, machte nach se<strong>in</strong>er Schulzeit<br />
e<strong>in</strong>e Lehre als Elektriker. Se<strong>in</strong>e Gesellenjahre<br />
arbeitete er <strong>in</strong> der Obergrafschaft <strong>und</strong> legte<br />
dann se<strong>in</strong>e Meisterprüfung ab. Etwa im Jahr<br />
1958 eröffnete er im Haus von Albert Brill an<br />
der Bergstraße <strong>in</strong> Hoogstede e<strong>in</strong> Elektrogeschäft.<br />
Als im ehemaligen Haus Scholten an<br />
der Hauptstraße e<strong>in</strong> Verkaufsraum mit kle<strong>in</strong>er<br />
Wohnung frei wurde, zog er 1961 mit se<strong>in</strong>er<br />
Familie dort e<strong>in</strong>. Se<strong>in</strong>e Frau Wilfriede Jönssen<br />
geb. Gerlach führte das Geschäft, <strong>in</strong> dem<br />
elektrische Geräte, Lampen <strong>und</strong> Zubehör angeboten<br />
wurden. Der Zeitpunkt der Eröffnung<br />
war günstig. Die Menschen <strong>in</strong> Hoogstede <strong>und</strong><br />
Umgebung deckten sich zu dieser Zeit mit den<br />
neuesten Elektrogeräten e<strong>in</strong>. So verkaufte die<br />
Familie Jönssen viele Waschmasch<strong>in</strong>en, Kühl-<br />
260<br />
<strong>und</strong> Gefrierschränke <strong>und</strong> natürlich auch die<br />
ersten Fernsehgeräte.<br />
Johannes, besser bekannt als Hans, Jönssen<br />
<strong>in</strong>stallierte mit se<strong>in</strong>en Lehrl<strong>in</strong>gen <strong>und</strong> Gesellen<br />
<strong>in</strong> vielen Neubauten die Elektroanlagen.<br />
Mit der Zeit wurde den Jönssens, die zwei<br />
Söhne hatten, Wohnung <strong>und</strong> Verkaufsraum zu<br />
kle<strong>in</strong>. Sie erwarben an der Ecke Hauptstraße/<br />
Wilsumer Straße e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück <strong>und</strong> errichteten<br />
dort e<strong>in</strong> geräumiges Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus.<br />
Im Frühjahr 1964 konnte man<br />
e<strong>in</strong>ziehen <strong>und</strong> dort das Elektrogeschäft erfolgreich<br />
weiterführen. Zu der Zeit wurden <strong>in</strong><br />
Hoogstede viele neue <strong>Häuser</strong> gebaut. So bot<br />
Hans Jönssen auch Dachr<strong>in</strong>nen oder Zubehör<br />
für landwirtschaftliche Melkmasch<strong>in</strong>en an.<br />
1975 eröffnete Firma Jönssen e<strong>in</strong>e Filiale <strong>in</strong><br />
Emlichheim an der Hauptstraße.<br />
Am 12.11 1978 verunglückte Hans Jönssen<br />
tödlich auf der Autobahn bei Bissendorf. Er<br />
wollte se<strong>in</strong>e Frau <strong>in</strong> der Kur besuchen. Es war<br />
unfassbar für se<strong>in</strong>e Frau, die Söhne <strong>und</strong> Angestellten.<br />
Trotz allem führte Wilfriede Jönssen<br />
mit den Angestellten den Betrieb weiter, um<br />
ihn für ihren Sohn Hans-Jürgen zu erhalten.<br />
Hans-Jürgen besuchte die Meisterschule <strong>in</strong> Oldenburg.<br />
Etwa zwei Monate nach dem Tod se<strong>in</strong>es<br />
Vaters verunglückte auch Hans-Jürgen am<br />
09.01.1979 tödlich. Der jüngste Sohn Dietmar,<br />
der e<strong>in</strong>e Ausbildung zum „ Kapitän auf großer<br />
Fahrt“ machte, befand sich auf hoher See. Er<br />
hatte ke<strong>in</strong> Interesse am Geschäft. So verkaufte<br />
Wilfriede Jönssen Haus <strong>und</strong> Geschäft an die<br />
Firma Arens aus Emlichheim. Frau Jönssen zog<br />
zurück nach Nordhorn. Sie heiratete noch e<strong>in</strong>mal<br />
<strong>und</strong> lebt im Jahr 2008 unter dem Namen<br />
Tibbe <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Pflegeheim.<br />
Schneider<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Nähkurse<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
In früheren Jahren gab es <strong>in</strong> ländlichen Gegenden<br />
wie Hoogstede ke<strong>in</strong> Geschäft, <strong>in</strong> dem<br />
man fertige Kleidung kaufen konnte. Dazu<br />
fehlte auch das nötige Geld. Jede Familie hatte<br />
ihre eigene Hausschneider<strong>in</strong> oder auch e<strong>in</strong>en<br />
Hausschneider, sogenannte „Näjhster“. Sie fertigten<br />
sämtliche Kleidung für Jung <strong>und</strong> Alt. Öfters<br />
im Jahr war die Schneider<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Woche<br />
oder auch länger im Haus, besonders dann,
wenn e<strong>in</strong>e Bauerntochter heiraten wollte. Für<br />
„Utsett maken“ war die Schneider<strong>in</strong> verantwortlich,<br />
ebenso für das Brautkleid, wie auch<br />
für „de Kaste packen bijt Good henbrengen“.<br />
Besonderes Augenmerk wurde auf das Stapeln<br />
der Wäsche im Wäscheschrank gelegt. Damit<br />
die schmal gestapelte Wäsche nicht nach h<strong>in</strong>ten<br />
wegkippte, legte man Kartons als Stütze<br />
dah<strong>in</strong>ter. Zum Schluss wurden bunte Stoffröschen,<br />
Schleifchen <strong>und</strong> Bändchen als Zierde<br />
an die Wäschewand geheftet. Die Schneider<br />
nähten hauptsächlich Jacken, Joppen, Konfirmations-<br />
<strong>und</strong> Trauanzüge.<br />
Für junge Mädchen auf dem Lande war es<br />
früher sehr wichtig, mit Nadel <strong>und</strong> Faden umgehen<br />
zu können. In der Handarbeitsst<strong>und</strong>e <strong>in</strong><br />
der Schule, die nachmittags stattfand, lernte<br />
man die Gr<strong>und</strong>begriffe vom Nähen, Stricken,<br />
Häkeln <strong>und</strong> Stopfen.<br />
Manche Schneider<strong>in</strong>nen boten <strong>in</strong> ihren<br />
Wohnungen <strong>in</strong> den W<strong>in</strong>termonaten Nähkurse<br />
an. Teilgenommen daran haben Bauerntöchter<br />
<strong>und</strong> Mägde. E<strong>in</strong> Kursus dauerte vier Wochen.<br />
Unter Anleitung der Schneider<strong>in</strong> fertigten sich<br />
die Mädchen Kleider, Blusen, Röcke, Schürzen<br />
<strong>und</strong> Nachtwäsche an. Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Bekannte<br />
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
E<strong>in</strong> Nähkursus etwa 1937. Geertien Kemper, D<strong>in</strong>a Boll, Hanna Lefer<strong>in</strong>k, Jennegien Egbers, Fenna Kortmann, Grietje Bloemendal,<br />
Anna Kemper, sitzend Gesien Büdden (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
der Teilnehmer<strong>in</strong>nen schauten schon mal <strong>in</strong><br />
der Nähstube vorbei, dann herrschte großes<br />
„Hallo“ bei den Mädchen. Fl<strong>in</strong>k wurden den<br />
Besuchern mit Stoffresten die Schuhe geputzt<br />
<strong>und</strong> dazu e<strong>in</strong> Sprüchle<strong>in</strong> aufgesagt:<br />
„Dir zur Ehre, uns zum Nutzen<br />
will ich dir die Füße putzen.<br />
Ich bitte um ke<strong>in</strong>e großen Gaben,<br />
möchte nur etwas Tr<strong>in</strong>kgeld haben.<br />
Ich will es ja nicht für mich alle<strong>in</strong>,<br />
es soll doch für uns alle se<strong>in</strong>.“<br />
Manchen Schabernack erlaubten sich die<br />
Mädchen vor allem bei den männlichen Besuchern.<br />
Da wurden mal schnell – natürlich<br />
unbemerkt – Handschuhe oder Jackenärmel<br />
zugenäht oder auch bunte Flicken an Jacken<br />
geheftet. Zur Abschlussfeier wurden dann alle<br />
Gönner <strong>und</strong> Spender zu Kaffee <strong>und</strong> Kuchen<br />
e<strong>in</strong>geladen.<br />
Der Tageslohn e<strong>in</strong>es Schneiders oder e<strong>in</strong>er<br />
Schneider<strong>in</strong> betrug um 1930 etwa 2 bis 2,50<br />
Reichsmark oder es wurde mit Naturalien entlohnt,<br />
um 1948, nach Kriegsende etwa fünf<br />
Deutsche Mark.<br />
261
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Nähkurs, etwa 1948. Es stehen v.l. Fenna v.d. Kamp-Bauer, Herm<strong>in</strong>e Engbers-Niers, Anna Höllman-Baschleben, unbekannt,<br />
unbekannt, Leiter<strong>in</strong> Anna H.-Ens<strong>in</strong>k-Derks, Gerda Jeur<strong>in</strong>k-Metten, Berta Bleumer-Beuker, Wilhelm<strong>in</strong>e Hans-Jeur<strong>in</strong>k, Fenna<br />
Lübbers-Mensen <strong>und</strong> Fenna Gosen-Kl<strong>in</strong>ge. Es sitzen v.l. Trude Suhr-Hulzebosch, Gesiene Kolthoff-Wiegm<strong>in</strong>k <strong>und</strong> Everd<strong>in</strong>e<br />
Wiegm<strong>in</strong>k-Oever<strong>in</strong>k (Anna Derks)<br />
Schneider<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Hoogstede waren u.a.<br />
Frau Züwer<strong>in</strong>k-Büdden, Frau Völker, Frau<br />
Günnemann, Frau Brooksnieder, S<strong>in</strong>a Köcklar,<br />
Antonia Dexneit, S<strong>in</strong>a Kle<strong>in</strong>, Anna Harms-Ens<strong>in</strong>k-Derks<br />
<strong>und</strong> Martha Tilch. Herrenschneider<br />
waren Hermann Sentker <strong>und</strong> Bernhard (Berni)<br />
Sommer.<br />
Schneider<strong>in</strong> Aaltien Rosemann bei der Arbeit, 1938<br />
(aus Trachten, Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />
262<br />
Hanf <strong>und</strong> Flachs konnte man mit diesem Sp<strong>in</strong>nrad sp<strong>in</strong>nen<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)
Holzschuhmacher – „Klumpenmaker“<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
E<strong>in</strong> wichtiger Mann für die Landbevölkerung<br />
war früher der Holzschuhmacher. An Sonn<strong>und</strong><br />
Feiertagen, beim Kirchgang oder bei der<br />
Arbeit auf dem Felde – fast immer wurden<br />
Holzschuhe getragen. Lederne Fußbekleidung<br />
konnten sich nur wenige Leute leisten.<br />
In Holzschuhen, die im W<strong>in</strong>ter zusätzlich<br />
mit Stroh ausgelegt waren, blieben die Füße<br />
länger warm. Es gab „hooge“ <strong>und</strong> „läge“<br />
Klumpen. Bei den „lägen“ Klumpen war der<br />
E<strong>in</strong>tritt länger, über dem E<strong>in</strong>tritt wurde e<strong>in</strong><br />
schmaler Lederstreifen – dat Klumpenleer –<br />
gelegt <strong>und</strong> mit „Klumpennägeln“ an beiden<br />
Seiten befestigt. Die guten, fe<strong>in</strong>eren Holzschuhe<br />
für den Sonntag fertigte der Holzschuhmacher<br />
aus dem Holz der Pappel, die für<br />
den täglichen Gebrauch aus Erlen- oder Birkenholz,<br />
da dieses härter <strong>und</strong> robuster ist.<br />
Holzschuhe aus Erlenholz hatten e<strong>in</strong>en rötlichen<br />
Farbton. Um den Ton aufzuhellen,<br />
kochte man die Klumpen e<strong>in</strong>ige St<strong>und</strong>en <strong>in</strong><br />
Wasser.<br />
E<strong>in</strong>mal <strong>in</strong> der Woche – meistens samstags –<br />
wurden alle Holzschuhe der Familie mit weißem<br />
Sand sauber gescheuert <strong>und</strong> zum Trocknen<br />
an die Hauswand gestellt.<br />
Holzschuhmacher Geert Hans (1865-1953) um 1934 bei<br />
der Arbeit (aus Trachten, Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
Hohe <strong>und</strong> niedrige Holzschuhe<br />
(aus Trachten, Jan Jeur<strong>in</strong>k)<br />
E<strong>in</strong>er der Holzschuhmacher im Raum<br />
Hoogstede war Geert Hans, im Volksm<strong>und</strong><br />
„Kösters Geert“ genannt. Er wurde im Jahr<br />
1865 <strong>in</strong> Kle<strong>in</strong>r<strong>in</strong>ge geboren <strong>und</strong> heiratete<br />
1894 nach Bathorn. Dort bewirtschaftete er<br />
e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Bauernhof <strong>und</strong> betätigte sich<br />
nebenbei als Holzschuhmacher. An e<strong>in</strong>em Tag<br />
fertigte er etwa sechs bis sieben Paar, mit Hilfe<br />
se<strong>in</strong>es Sohnes H<strong>in</strong>drikus sogar zehn bis elf<br />
Paar Holzschuhe an. Für jedes Paar bekam er<br />
als Lohn 50 Pfennige, das Holz wurde extra<br />
berechnet.<br />
Hufschmied Hermann Schophuis<br />
Leni Töller<br />
Über den Hufschmied kann man viel Interessantes<br />
erzählen. Hufschmiede wie anno dazumal<br />
gibt es heute nicht mehr. Als K<strong>in</strong>der<br />
waren wir oft dabei, wenn <strong>in</strong> der Schmiede<br />
me<strong>in</strong>es Vaters, Hermann Schophuis, die Pferde<br />
beschlagen wurden. Bei gutem Wetter wurde<br />
die Arbeit draußen an der Straße verrichtet.<br />
Me<strong>in</strong> Vater <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Geselle erledigten die Arbeit<br />
des Hufbeschlagens zusammen. E<strong>in</strong>er hob<br />
das Be<strong>in</strong> des Pferdes an <strong>und</strong> der andere löste<br />
das alte Hufeisen. Die Hufe mussten gere<strong>in</strong>igt<br />
<strong>und</strong> gehobelt werden. Dann wurde e<strong>in</strong> passendes<br />
Hufeisen ausgewählt <strong>und</strong> auf dem Huf<br />
anprobiert. Nun wurde das Eisen <strong>in</strong> das<br />
Schmiedefeuer gelegt <strong>und</strong> wir K<strong>in</strong>der durften<br />
den langen Hebel des Blasebalgs bewegen,<br />
damit die Kohle im Feuer richtig glühte. Das<br />
heiße Eisen wurde wieder am Huf des Pferdes<br />
anprobiert <strong>und</strong> so g<strong>in</strong>g es mehrere Male. Vom<br />
Feuer auf den Amboss <strong>und</strong> von dort wieder auf<br />
263
4<br />
den Pferdehuf, solange bis das Eisen perfekt<br />
auf den Huf passte. Beim Auflegen des heißen<br />
Eisens gab es jedes Mal e<strong>in</strong>en fürchterlichen<br />
Gestank vom verbrennenden Horn. Für das<br />
Pferd war diese Prozedur schmerzlos, da an<br />
der unteren Seite des Hufes ke<strong>in</strong>e Nerven liegen.<br />
Zuletzt befestigte man das Eisen mit den<br />
besonderen Hufnägeln, die durch das Eisen<br />
<strong>und</strong> durch den Huf geschlagen wurden. Die<br />
seitlich heraustretenden Nagelspitzen kniff<br />
man ab <strong>und</strong> feilte alles säuberlich glatt.<br />
In Hoogstede gab es vor 1935 schon drei<br />
Hufschmiede: Haubrich, Wösten <strong>und</strong> Blanke.<br />
Me<strong>in</strong> Vater Hermann Schophuis ist 1910 <strong>in</strong><br />
Agterhorn geboren. Er übernahm 1935 die<br />
alte Schmiede vom Hufschmied Blanke an der<br />
Hauptstraße <strong>in</strong> Hoogstede. Me<strong>in</strong> Vater kam<br />
mit dem Fahrrad aus Agterhorn <strong>und</strong> schlief<br />
von Montag bis Samstag bei der Familie<br />
Blanke „<strong>in</strong> ´t Dellenkämmertien“.<br />
Hufbeschlag-Lehrschmiede Münster 1934,<br />
l<strong>in</strong>ks Herman Schophuis (Leni Töller)<br />
264<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Die Hufbeschlagprüfung legte er <strong>in</strong> Müns -<br />
ter ab. Für die Meisterprüfung fuhr er zweimal<br />
<strong>in</strong> der Woche abends mit dem Fahrrad<br />
nach Nordhorn, um bei Dipl.-Ing. Lütgens Unterricht<br />
zu nehmen. Schon bald dachte me<strong>in</strong><br />
Vater an e<strong>in</strong>e eigene Schmiede <strong>und</strong> konnte<br />
von der Gaststätte Wolters e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück erwerben.<br />
Im Jahre 1938 war es soweit, er heiratete<br />
se<strong>in</strong>e Verlobte Maria <strong>und</strong> zog mit ihr <strong>in</strong> das<br />
neu erbaute Wohn- <strong>und</strong> Geschäftshaus an der<br />
Hauptstraße.<br />
Von nun an wurde mit Gesellen <strong>und</strong> Lehrl<strong>in</strong>gen<br />
hart gearbeitet. Den hellen lauten<br />
Klang, den der Hammer verursacht, wenn er<br />
auf den Amboss traf, hörte man im ganzen<br />
Dorf. In den folgenden Jahren kam zur<br />
Schmiede e<strong>in</strong>e Gasol<strong>in</strong>-Tankstelle h<strong>in</strong>zu.<br />
Langsam verdrängten die Autos die Pferdefuhrwerke<br />
<strong>und</strong> so verpachtete me<strong>in</strong> Vater<br />
nach 20 Jahren se<strong>in</strong>e Schmiede <strong>und</strong> die Tankstelle<br />
an Hermann Maathuis.
Blumengeschäft<br />
<strong>und</strong> Eiscafe <strong>in</strong><br />
2008.<br />
Hier stand das<br />
Haus Blanke<br />
(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Ehepaar Willem <strong>und</strong> Tr<strong>in</strong>tje Blanke mit Sohn Gerhard Blanke (1912-1977) (Blanke)<br />
Hufschmiede wurden nicht mehr benötigt<br />
<strong>und</strong> so wurde aus der Schmiede e<strong>in</strong>e Autowerkstatt.<br />
Aus der Gasol<strong>in</strong>-Tankstelle wurde<br />
e<strong>in</strong>e BP-Tankstelle.<br />
Blanke von der Blanke<br />
Die ehemalige Schmiede Blanke stand an der<br />
Ecke der Hauptstraße <strong>und</strong> der jetzigen Blanke.<br />
Das Ehepaar Blanke stammte aus den Niederlanden.<br />
Tr<strong>in</strong>tje Blanke hat lebenslang ihre niederländische<br />
Tracht getragen, wie man sie auf<br />
dem Foto erkennen kann.<br />
HÄUSER UND HANDWERKER<br />
Das Haus Blanke, nach dem die „Blanke“<br />
benannt wurde. (Blanke)<br />
265
4<br />
Personen <strong>und</strong><br />
Persönlichkeiten<br />
Familie Doldersum<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Im Ortsteil Bathorn wohnte vor Jahren die Familie<br />
Rott, später Doldersum. Friedrich Julius<br />
Jordan Rott wurde im Harz geboren <strong>und</strong> wuchs<br />
dort auf. Er g<strong>in</strong>g als junger Maurergeselle auf<br />
Wanderschaft <strong>und</strong> kam <strong>in</strong> die Grafschaft. Beim<br />
Bau des Coevorden-Piccardie-Kanals fand er<br />
Arbeit. Er mauerte Brückenpfeiler, Schleusenwände<br />
<strong>und</strong> Brückenwärterhäuser. Geheiratet<br />
hat er am 24. Juli 1884 Gesien Laarmann aus<br />
Hoogstede. Kurz zuvor kaufte er sich am Böbbeldiek<br />
up de Haar e<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>stück mit kle<strong>in</strong>em<br />
Häuschen von dem Kaufmann Sloot.<br />
Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>e Tochter (Fenna)<br />
<strong>und</strong> zwei Söhne (Johann <strong>und</strong> He<strong>in</strong>rich) hervor.<br />
Johann Hermann Rott ist im Ersten Weltkrieg<br />
bei Reims <strong>in</strong> Frankreich gefallen. Der<br />
Gerrit-Jan Büdden (1891-1983) beim Korbflechten,<br />
<strong>in</strong> 1977. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> Teekessel auf dem Herd<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
266<br />
Sohn He<strong>in</strong>rich heiratete am 8. September<br />
1939 Jennegien Bekken. Sie waren die ersten<br />
Siedler im Stapenberg <strong>in</strong> Hoogstede. Deren<br />
Sohn Johann <strong>und</strong> Frau Johanne wohnen noch<br />
heute auf dem Gr<strong>und</strong>stück.<br />
Die Tochter Fenna, geb. am 8. November<br />
1884 wohnte ihr ganzes Leben im elterlichen<br />
Haus am Böbbeldiek. Sie heiratete den Holländer<br />
Wellmer Doldersum, geboren 25. Januar<br />
1890. Sie führten zusammen mit fünf K<strong>in</strong>dern<br />
e<strong>in</strong> bescheidenes Dase<strong>in</strong>. Wellmer Doldersum<br />
verdiente se<strong>in</strong> Geld anfangs mit Pollern, das bedeutet<br />
Ödland zu kultivieren mittels Schaufel<br />
<strong>und</strong> Schubkarre – e<strong>in</strong>e schwere Arbeit. Ebenso<br />
verstand er das Korbflechten, Stuhlsitze-w<strong>in</strong>den<br />
<strong>und</strong> Bürsten-b<strong>in</strong>den (Pottbössel) aus Heide.<br />
Zudem stellte er Reisigbesen her <strong>und</strong> reparierte<br />
Regenschirme. Bekannt war er auch als<br />
Maulwurf-(Frooten)-fänger. Die abgezogenen<br />
Felle der Tiere verkaufte er nach Holland. Erst<br />
<strong>in</strong> späteren Jahren fand er geregelte Arbeit bei<br />
der Emslandstärke <strong>in</strong> Emlichheim. E<strong>in</strong> im<br />
Volksm<strong>und</strong> bekannter Ausspruch von Wellmer<br />
Doldersum war: „Die Großen haben immer<br />
recht, der Kle<strong>in</strong>e kriegt nie recht (gliek).“<br />
Der gemischte Chor<br />
mit Lehrer Wüppen<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Nach dem Krieg im Jahr 1947 trat der Hauptlehrer<br />
Friedrich Wüppen se<strong>in</strong>en Dienst an der<br />
Volksschule <strong>in</strong> Hoogstede an. Er stammte aus<br />
e<strong>in</strong>er sehr musikalischen Familie. Se<strong>in</strong> Vater<br />
war Organist <strong>in</strong> der evangelisch-reformierten<br />
Geme<strong>in</strong>de Emlichheim <strong>und</strong> Leiter des dortigen<br />
Gesangvere<strong>in</strong>s. Lehrer Wüppen suchte bald<br />
nach se<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>stellung die besten Sänger <strong>und</strong>
Sänger<strong>in</strong>nen aus unserer Schule aus <strong>und</strong><br />
gründete e<strong>in</strong>en Schulchor. Auftritte fanden bei<br />
Schulfesten sowie bei der jährlichen Weihnachtsfeier<br />
statt.<br />
Im Jahr 1950 rief Wüppen alle schulentlassenen,<br />
sangesfreudigen jungen Mädchen<br />
<strong>und</strong> Männer des Kirchspieles Arkel zur Gründung<br />
e<strong>in</strong>es Chores auf. E<strong>in</strong>e stattliche Anzahl<br />
junger Leute fand sich e<strong>in</strong>, <strong>und</strong> der gemischte<br />
Chor unter dem Vorsitz von Ze<strong>in</strong> Lübbers aus<br />
Kalle wurde gegründet. Viele Eltern <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de,<br />
vor allem alle<strong>in</strong>erziehende Witwen,<br />
deren Männer im Krieg geblieben waren, begrüßten<br />
die Idee des Lehrers, weil er der Jugend<br />
e<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>nvolle Freizeitbeschäftigung bot.<br />
Die Übungsst<strong>und</strong>en fanden jeden Dienstagabend<br />
<strong>in</strong> der Schule statt. Vierstimmig wurden<br />
<strong>Kirche</strong>nlieder, Psalmen <strong>und</strong> vor allem<br />
Volkslieder e<strong>in</strong>geübt. Bei besonderen Anlässen<br />
wie e<strong>in</strong>er Goldenen Hochzeit oder e<strong>in</strong>em<br />
achtzigsten oder neunzigsten Geburtstag<br />
brachte der Chor e<strong>in</strong> Ständchen, ebenso bei<br />
Verlobungen <strong>und</strong> Hochzeiten der Mitglieder.<br />
Ab <strong>und</strong> zu begleitete der Chor den sonntäglichen<br />
Gottesdienst <strong>in</strong> der reformierten <strong>Kirche</strong>.<br />
Bei der jährlichen Gedenkfeier zum Volkstrauertag<br />
am Kriegerdenkmal brachte der<br />
Chor passende Lieder zu Gehör. Er verfügte<br />
PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />
Rektor Wüppen mit gemischtem Chor, etwa 1960. Von l<strong>in</strong>ks: Zwantiene Lahuis geb. Lübbers, Wilhelm<strong>in</strong>e Janssen geb. Jonker,<br />
Wüppen, Henni Bleumer geb. Keen, Geertien Jonker geb. Brooksnieder, verdeckt, Jennegien Büssis geb. Alfer<strong>in</strong>k, Frieda Harmsen<br />
geb. Warmer, Alida Wüppen, Hildegard Jauer geb. Warna (M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
über e<strong>in</strong>e beachtliche Stimmenqualität <strong>und</strong><br />
übte auch schweres Liedgut e<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e gute Sopransänger<strong>in</strong><br />
war Alida Wüppen, die Frau des<br />
Chorleiters. Hatte sie e<strong>in</strong> Solo zu s<strong>in</strong>gen, ließ<br />
sie kurz vor ihrem E<strong>in</strong>satz e<strong>in</strong>en „Eierklopp“<br />
durch die Kehle gleiten <strong>und</strong> ihre Stimme klang<br />
besonders hell <strong>und</strong> klar.<br />
Innerhalb des Chores bildeten Mitglieder<br />
bald e<strong>in</strong>e Laien-Spielschar. Im Herbst jeden<br />
Jahres wählten sie e<strong>in</strong> Theaterstück aus (überwiegend<br />
geschrieben von Karl Bunje) <strong>und</strong><br />
übten es unter der Regie von Wüppen e<strong>in</strong>. In<br />
den W<strong>in</strong>termonaten Januar/Februar traten sie<br />
dann mit ihrem Jahresfest an die Öffentlichkeit.<br />
In den ersten Jahren fanden diese<br />
Abende, auch Sängerfest genannt, im Saal<br />
Müller auf e<strong>in</strong>er provisorisch gebauten Bühne<br />
statt. In den Pausen traten die Sänger<strong>in</strong>nen<br />
<strong>und</strong> Sänger mit e<strong>in</strong>igen Liedvorträgen auf.<br />
Spieler wie auch Sänger waren mit großem<br />
Eifer dabei <strong>und</strong> wurden durch lebhaften Beifall<br />
der Zuschauer belohnt.<br />
1963 erweiterte die Gaststätte Lorenz<br />
ihren Saal um e<strong>in</strong>en Bühnenanbau, darauf<br />
verlegte der Chor se<strong>in</strong>e Sängerfeste <strong>in</strong> diesen<br />
Saal. Mit den <strong>in</strong> Plattdeutsch gespielten Bühnenstücken<br />
„De dree Bl<strong>in</strong>dgänger“, „Dat Hörrohr“<br />
<strong>und</strong> „Familienanschluss“ hatten die<br />
267
4<br />
Akteure der Spielschar besonders großen Erfolg.<br />
Der kle<strong>in</strong>e Saal Lorenz war an jedem<br />
Abend bis auf den letzten Platz besetzt, zusätzliche<br />
Term<strong>in</strong>e mussten angesetzt werden.<br />
1964 erkrankte plötzlich kurz vor der Premiere<br />
der Chor- <strong>und</strong> Spielleiter Wüppen, da<br />
vertrat ihn Helmut Leonard, der Leiter des<br />
Emlichheimer Gesangvere<strong>in</strong>s.<br />
Damit die Geselligkeit <strong>in</strong>nerhalb des Chores<br />
nicht zu kurz kam, organisierte der jeweilige<br />
Vorstand jedes Jahr im Sommer e<strong>in</strong>en Ausflug.<br />
Diese Fahrten festigten den Zusammenhalt <strong>und</strong><br />
wurden von den Mitgliedern gerne angenommen.<br />
Mitte bis Ende der sechziger Jahre verließen<br />
etliche Mitglieder den Chor, sei es altersoder<br />
berufsbed<strong>in</strong>gt oder durch Heirat <strong>in</strong> andere<br />
Orte. Der starke Chor schrumpfte bis auf<br />
e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe zusammen. Neue Mitglieder<br />
meldeten sich nicht. Als e<strong>in</strong>e der treuesten<br />
Sänger<strong>in</strong>nen des Chores, M<strong>in</strong>a Jeur<strong>in</strong>k, ihre<br />
Hochzeit feierte, konnte man ihr aus Mangel<br />
an Stimmen das übliche Ständchen nicht s<strong>in</strong>gen.<br />
E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Abordnung fuhr zur Gratulation<br />
<strong>und</strong> Überreichung e<strong>in</strong>es Geschenkes<br />
nach Georgsdorf – e<strong>in</strong>e bedauerliche Situation<br />
für den Chorleiter Wüppen.<br />
Am 1. Mai 1978 trafen sich ehemalige<br />
Chormitglieder noch e<strong>in</strong>mal <strong>und</strong> brachten<br />
dem schon lange <strong>in</strong> Neuenhaus wohnenden<br />
ehemaligen Dirigenten Friedrich Wüppen e<strong>in</strong><br />
Überraschungsständchen zum siebzigsten Geburtstag.<br />
„Krumme Rieke“ <strong>und</strong> „lange Rieke“<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Hendrika (Henny) Müller, e<strong>in</strong>e Schwester des<br />
Hoogsteder Gastwirtes Franz Müller, wohnte<br />
mit ihren K<strong>in</strong>dern He<strong>in</strong>rich <strong>und</strong> Trude <strong>in</strong><br />
ihrem im Jahr 1912 erbauten Haus an der<br />
Hauptstraße (jetziges Haus Günnemann).<br />
Henny Müller erteilte an der katholischen<br />
Schule im Ort Handarbeitsunterricht. Wegen<br />
ihrer e<strong>in</strong> wenig verwachsenen Figur nannte<br />
man sie auch „krumme Rieke“. Ihre langjährige<br />
Mitbewohner<strong>in</strong> Hendrika Diekhuis-Weghake,<br />
geb. am 28. Februar 1868 <strong>in</strong> Laarwald,<br />
bekam von der Bevölkerung aufgr<strong>und</strong> ihrer<br />
körperlichen Größe den Namen „lange Rieke“.<br />
268<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
So gab es hier im Ort e<strong>in</strong>e „krumme“ <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e<br />
„lange Rieke“. Die K<strong>in</strong>der von Henny Müller<br />
nannten die lange Rieke e<strong>in</strong>fach „Akka“, weil<br />
sie Hendrika nicht aussprechen konnten.<br />
„Akka“ wurde e<strong>in</strong> „Hoogsteder Orig<strong>in</strong>al“.<br />
Hendrika Diekhuis-Weghake genannt Akka, 1868–1955<br />
(Lia Vette)<br />
Die beiden Gastwirte Müller <strong>und</strong> Wolters-<br />
Harms-Ens<strong>in</strong>k bearbeiteten zusätzlich e<strong>in</strong>e<br />
Landwirtschaft, ebenso der Schmied Bernhard<br />
Haubrich. Bei diesen drei Familien gab es für<br />
Akka reichlich Beschäftigung, um sich ihren<br />
genügsamen Lebensunterhalt zu verdienen.<br />
Sie verrichtet schwere Männerarbeit wie Ställe<br />
ausmisten, Mist auf Wagen laden <strong>und</strong> auf den<br />
Acker streuen, Kartoffeln roden <strong>und</strong> so weiter.<br />
All diese Arbeiten erledigte sie ohne zu<br />
murren. Akka scheute vor ke<strong>in</strong>er Arbeit zurück,<br />
sie war im Gegenteil dankbar dafür.<br />
E<strong>in</strong>es Tages erschien Akka notgedrungen<br />
<strong>in</strong> der Praxis des damaligen Arztes Dr. Kurt<br />
Krüger. Irgendwie hatte sie sich ihre Wange<br />
aufgerissen. E<strong>in</strong>e große tiefe W<strong>und</strong>e klaffte <strong>in</strong><br />
ihrem Gesicht. Dr. Krüger wollte die W<strong>und</strong>e<br />
unter Narkose nähen. Ihre Antwort war, er<br />
solle nur anfangen zu nähen – das halte sie<br />
auch ohne Betäubung aus. So war Akka – hart<br />
gegen sich selbst.<br />
In den Sommermonaten traf man Akka oft<br />
auf dem Weg <strong>in</strong>s Moor an. An mehreren
Tagen g<strong>in</strong>g sie zu Fuß <strong>in</strong> Klumpen den langen<br />
Weg „noat Venn“ <strong>und</strong> erledigte dort anfallende<br />
Torfarbeiten. Wurde ihr gelegentlich<br />
e<strong>in</strong>e Mitfahrgelegenheit auf e<strong>in</strong>em Ackerwagen<br />
angeboten, lehnte sie dankend ab. Sie<br />
zockelte lieber neben dem Wagen her, e<strong>in</strong>e<br />
Hand am Ackerwagen, <strong>in</strong> der anderen den<br />
„R<strong>in</strong>gbühl“ mit „Dr<strong>in</strong>kelskanne“ <strong>und</strong> der Tagesration<br />
an Butterbroten. Nebenbei versorgte<br />
Akka noch die Ziegen <strong>und</strong> den Garten von<br />
Henny Müller. Akka ist wegen ihrer Ersche<strong>in</strong>ung<br />
<strong>und</strong> ihres eigenartigen Verhaltens oft<br />
gehänselt <strong>und</strong> verspottet worden, vor allem<br />
auch von K<strong>in</strong>dern.<br />
Als Henny Müller im Jahr 1952 starb,<br />
fühlte sich Akka hilflos <strong>und</strong> alle<strong>in</strong>. In e<strong>in</strong>er<br />
Mietwohnung im Haus lebte damals der katholische<br />
Lehrer Franz Richelmann. Nach se<strong>in</strong>em<br />
Weggang aus Hoogstede zog die Familie<br />
Karl Neumann dort e<strong>in</strong>. Als Akka gebrechlich<br />
<strong>und</strong> krank wurde, übernahm Frau Neumann<br />
die Pflege. Als erstes zog Akka <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en wohnlich<br />
e<strong>in</strong>gerichteten Raum um, bisher befand<br />
sich ihre Schlafstatt neben dem Ziegenstall<br />
auf der Diele. War das Leben von Akka auch<br />
immer arbeitsreich <strong>und</strong> hart gewesen, so kam<br />
sie im hohen Alter doch <strong>in</strong> den Genuss e<strong>in</strong>er<br />
guten Betreuung. Sie starb am 1. April 1955.<br />
Geert Vogelsang 1875–1960 beim Dengeln der Sense<br />
(M<strong>in</strong>i Büdden)<br />
PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />
Die K<strong>in</strong>der der Henny Müller verkauften<br />
das Haus 1957 an Margarete Fühner, e<strong>in</strong>e gebürtige<br />
Emlichheimer<strong>in</strong>. Sie ließ das Haus um<br />
e<strong>in</strong>en Anbau vergrößern <strong>und</strong> eröffnete e<strong>in</strong><br />
Textil- <strong>und</strong> Wäschegeschäft. Im Jahr 1973 erwarben<br />
Hermann <strong>und</strong> Adele Günnemann das<br />
Haus, Adele Günnemann führte das Textilgeschäft<br />
bis <strong>in</strong> ihr Rentenalter weiter.<br />
Küster Geert Vogelsang (1875–1960)<br />
M<strong>in</strong>i Büdden<br />
Geert Vogelsang (geb.1875) wohnte <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Haus am heutigen Neuland Nr. 34. Zu Haus <strong>und</strong><br />
Hof gehörten auch kle<strong>in</strong>ere Ländereien, auf<br />
denen er Getreide anbaute, um damit se<strong>in</strong>e Kuh,<br />
die Schwe<strong>in</strong>e <strong>und</strong> das Kle<strong>in</strong>vieh zu versorgen.<br />
Um se<strong>in</strong> E<strong>in</strong>kommen aufzubessern, arbeitete er<br />
als Knecht beim Kaufmann Hermann Sloot.<br />
Dort verrichtete er alle anfallenden Arbeiten <strong>in</strong><br />
Haus <strong>und</strong> Hof, vor allem aber im Kohlenlager<br />
beim E<strong>in</strong>sacken von Briketts <strong>und</strong> Eierkohlen.<br />
Vielen älteren Hoogstedern ist Geert Vogelsang<br />
<strong>in</strong> guter Er<strong>in</strong>nerung als langjähriger Küs -<br />
ter der evangelisch-reformierten <strong>Kirche</strong>ngeme<strong>in</strong>de.<br />
Zu se<strong>in</strong>en Aufgaben zählte das tägliche<br />
Mittagsgeläut um 12 Uhr wie auch das Läuten<br />
zu allen Gottesdiensten <strong>und</strong> Beerdigungen.<br />
Zu jener Zeit wurden die Glocken noch per<br />
Hand geläutet. Durch rhythmisches Ziehen der<br />
langen Seile unten im Turm wurden die Glo -<br />
cken zum Schw<strong>in</strong>gen gebracht, das erforderte<br />
erhebliche Kräfte.<br />
Das Bedienen des Blasebalges an der Orgel<br />
gehörte ebenso zum Küsterdienst. Bei jedem<br />
Orgelspiel musste er zur Stelle se<strong>in</strong>. Viel Arbeit<br />
gab es für den Küster auch im W<strong>in</strong>ter. In<br />
zwei großen Öfen, die im Herbst im <strong>Kirche</strong>nraum<br />
aufgestellt wurden, zündete er schon<br />
St<strong>und</strong>en vor Gottesdienstbeg<strong>in</strong>n e<strong>in</strong> Feuer an.<br />
Geheizt wurde überwiegend mit Torf.<br />
Geert Vogelsang starb 1960. Se<strong>in</strong>e dritte<br />
Ehefrau, Fennegien geb. Hannebrook, überlebte<br />
ihn. Se<strong>in</strong> Sohn Jan H<strong>in</strong>drik wohnte <strong>in</strong> Neustadt/<br />
Holste<strong>in</strong>. Stiefsohn Friedrich Naber <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Frau Berta versorgten ihn bis <strong>in</strong>s hohe Alter.<br />
Aus den Ländereien wurden nach se<strong>in</strong>em Tod<br />
Bauplätze, das Haus wurde verkauft. Auch<br />
Naber nahmen lange Zeit die Küsterdienste <strong>in</strong><br />
der reformierten Geme<strong>in</strong>de wahr.<br />
269
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Küster Vogelsang beim Rasene<strong>in</strong>säen (1920-1925). Von l<strong>in</strong>ks: Geert Vogelsang, e<strong>in</strong> Helfer, zwei K<strong>in</strong>der von Pastor Voget mit<br />
Aaltien Bloemendal. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> l<strong>in</strong>ks die <strong>Kirche</strong> <strong>und</strong> rechts der Lehrsaal<br />
Dr. Jan Jeur<strong>in</strong>k (1913-1995)<br />
Hedwig Claudi, Neuenhaus<br />
Jan Jeur<strong>in</strong>k wurde am 1. August 1913 <strong>in</strong> Arkel<br />
geboren als ältester Sohn des Landwirts Johann<br />
Jeur<strong>in</strong>k <strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Ehefrau Aaltien, geb.<br />
Meier. Er ist am 25. Dezember 1995 verstorben<br />
<strong>und</strong> <strong>in</strong> Neuenhaus beerdigt.<br />
Unfallbed<strong>in</strong>gt konnte Jan Jeur<strong>in</strong>k den elterlichen<br />
Hof nicht übernehmen. Deshalb<br />
machte er 1937 se<strong>in</strong> Abitur an der Aufbauschule<br />
<strong>in</strong> Nordhorn. Anschließend besuchte er<br />
zwei Jahre die Hochschule für Lehrerbildung<br />
<strong>in</strong> Oldenburg <strong>und</strong> arbeitete dann als Lehrer an<br />
der zweiklassigen Schule <strong>in</strong> Wilsum.<br />
Im Herbst 1940 g<strong>in</strong>g Jan Jeur<strong>in</strong>k an die<br />
Universität <strong>in</strong> Gött<strong>in</strong>gen. 1942 bestand er dort<br />
das Diplomexamen <strong>und</strong> wurde 1943 zum Doktor<br />
der Landwirtschaft ernannt. Er blieb bis<br />
Sommer 1948 an der Universität Gött<strong>in</strong>gen als<br />
wissenschaftlicher Assistent bei Prof. Seedorff.<br />
1946 heiratete er Hedwig Claudi aus Neuenhaus.<br />
Mit ihr hat er e<strong>in</strong>en Sohn.<br />
1948/49 absolvierte er e<strong>in</strong>e Ausbildung als<br />
Landwirtschaftslehrer <strong>in</strong> Meppen. Danach war<br />
er dort bis 1955 als Landwirtschaftslehrer <strong>und</strong><br />
Wirtschaftsberater tätig.<br />
270<br />
Jan Jeur<strong>in</strong>k (1913–1995)<br />
1955 wurde Dr. Jan Jeur<strong>in</strong>k Referent der<br />
Landwirtschaftskammer Oldenburg <strong>und</strong> blieb<br />
bis zum 1. August 1984 fast dreißig Jahre als<br />
Hauptschriftleiter <strong>und</strong> Verlagsleiter für das<br />
Landwirtschaftblatt Weser-Ems verantwortlich.
Obertreiber<br />
Timmer Bätz<br />
während der<br />
Treibjagd<br />
(Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Jan Jeur<strong>in</strong>k überreicht J. H. Koops 1985 „Mien aule<br />
Ollerhuus“ (Willy Friedrich)<br />
1972 wurde er zudem zum Landwirtschaftsdirektor<br />
ernannt <strong>und</strong> er erhielt im Sommer<br />
1980 für se<strong>in</strong>e Verdienste <strong>in</strong> der Landwirtschaft<br />
den Niedersächsischen Verdienstorden am<br />
Bande. Getragen hat er ihn nie, dafür war er zu<br />
bescheiden. Der Orden blieb <strong>in</strong> der Schatulle.<br />
Nach se<strong>in</strong>er Pensionierung hat Jan Jeur<strong>in</strong>k<br />
sich ausschließlich der volksk<strong>und</strong>lichen Arbeit<br />
gewidmet, <strong>in</strong>sbesondere se<strong>in</strong>er Heimat, der Niedergrafschaft<br />
Bentheim, <strong>und</strong> dem bäuerlichen<br />
Berufsstand. So dokumentierte er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
plattdeutschen Buch „Mien aule Ollerhuus“ das<br />
Leben <strong>und</strong> die Gebräuche auf dem Lande. Er<br />
PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />
schrieb die Schulchronik se<strong>in</strong>er Heimatschule<br />
Hoogstede. Außerdem entstand <strong>in</strong> Zusammenarbeit<br />
mit dem Museumsdorf Cloppenburg<br />
das Buch „Die Trachten der Niedergrafschaft<br />
Bentheim“. Er schrieb zahlreiche Artikel über<br />
Sitten <strong>und</strong> Gebräuche se<strong>in</strong>er Heimat. „Der Grafschafter“<br />
hat viele Beiträge gedruckt <strong>und</strong> veröffentlicht.<br />
Dr. Jan Jeur<strong>in</strong>k war stets e<strong>in</strong> Grafschafter<br />
Bauernsohn, se<strong>in</strong>er Heimat fühlte er sich verpflichtet<br />
<strong>und</strong> war mit ihr eng verb<strong>und</strong>en. Er<br />
starb Ende 1995 <strong>und</strong> fand se<strong>in</strong>e letzte Ruhestätte<br />
<strong>in</strong> Neuenhaus.<br />
Timmer Bätz<br />
– Lambertus Jeur<strong>in</strong>k (1900–1986)<br />
Johann Jeur<strong>in</strong>k<br />
Mit se<strong>in</strong>em richtigen Namen „Lambertus Jeur<strong>in</strong>k“<br />
kannten <strong>und</strong> kennen ihn wenige, als<br />
„Timmer Bätz“ jedoch war <strong>und</strong> ist er vielen <strong>in</strong><br />
Hoogstede <strong>und</strong> Umgebung bekannt. Lambertus<br />
wurde mit se<strong>in</strong>em Zwill<strong>in</strong>gsbruder Friedrich<br />
Jeur<strong>in</strong>k am 1. Juni 1900 <strong>in</strong> Hoogstede auf<br />
dem elterlichen Hof an der jetzigen Wilsumer<br />
Straße geboren. Mit vier<strong>und</strong>zwanzig Jahren<br />
heiratete er Fenna Jeur<strong>in</strong>k (genannt Timmer).<br />
Fortan wohnte er auf der Hofstelle am heutigen<br />
Schwarzen Diek <strong>und</strong> bewirtschaftete den<br />
landwirtschaftlichen Betrieb.<br />
Aus der Ehe g<strong>in</strong>gen vier Töchter hervor.<br />
Die älteste Tochter D<strong>in</strong>a blieb auf dem elterlichen<br />
Betrieb. Sie heiratete 1953 H<strong>in</strong>drik-Jan<br />
271
4<br />
van Münster, der heute drei<strong>und</strong>achtzigjährig<br />
geme<strong>in</strong>sam mit se<strong>in</strong>er Tochter Luise Hessel<strong>in</strong>k<br />
das längst von e<strong>in</strong>em landwirtschaftlichen Gebäude<br />
zu e<strong>in</strong>em modern umgebauten Wohnhaus<br />
bewohnt.<br />
Die se<strong>in</strong>erzeitige mittelgroße Hofstelle ermöglichte<br />
Vater Lambertus, nach der E<strong>in</strong>heirat<br />
se<strong>in</strong>es Schwiegersohnes nebenbei <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de<br />
ehrenamtliche Tätigkeiten auszuüben.<br />
Von Nachbarn <strong>und</strong> Bekannten ließ Timmer Bätz<br />
sich zeitlebens gern zur Hilfe rufen, <strong>und</strong> es<br />
ehrte ihn sehr, wenn man sich se<strong>in</strong>er Tatkraft<br />
<strong>und</strong> se<strong>in</strong>em Erf<strong>in</strong>dungss<strong>in</strong>n anvertraute.<br />
Fast täglich sah man ihn, e<strong>in</strong>en großen<br />
schlanken Mann, mit se<strong>in</strong>er Fietse durch das<br />
Dorf fahren. Er <strong>in</strong>formierte sich gerne über<br />
alles Wissenswerte aus der Geme<strong>in</strong>de <strong>und</strong> war<br />
auch anderen gegenüber sehr mitteilsam. Man<br />
sah ihn sehr oft, wie er sich mit Leuten unterhielt.<br />
Meistens stand er dabei auf dem l<strong>in</strong>ken<br />
Be<strong>in</strong>, das rechte hatte er noch über den Fahrradsattel<br />
geschwungen. Dabei rauchte er fast<br />
immer e<strong>in</strong>e Pfeife <strong>und</strong> <strong>in</strong> Ausnahmefällen e<strong>in</strong>e<br />
gute „Handelsgold“.<br />
Menschen wie er, den viele als e<strong>in</strong>en guten<br />
<strong>und</strong> aufrichtigen Mann kannten, waren prädest<strong>in</strong>iert,<br />
Arbeiten <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de zu verrichten<br />
<strong>und</strong> öffentliche Ämter zu bekleiden.<br />
So hat auch Timmer Bätz viele Jahre uneigen -<br />
nützig der Allgeme<strong>in</strong>heit gedient.<br />
Hand- <strong>und</strong> Spanndienste<br />
Mehrere Jahre gehörte er – vor der Geme<strong>in</strong>dereform<br />
– dem Hoogsteder Geme<strong>in</strong>derat an.<br />
Damals g<strong>in</strong>g es auch darum, die Not <strong>in</strong> den<br />
ersten Nachkriegsjahren zu überw<strong>in</strong>den <strong>und</strong><br />
das Schulwesen wieder neu aufzubauen. Straßen<br />
<strong>und</strong> Radwege, wie man sie heute <strong>in</strong> der<br />
Geme<strong>in</strong>de vorf<strong>in</strong>det, waren nicht vorhanden.<br />
Bis auf die heutige Hauptstraße, die se<strong>in</strong>erzeit<br />
aus Kopfste<strong>in</strong>en gepflastert war, waren alle anderen<br />
Wege re<strong>in</strong>e Sandwege, die sich teilweise<br />
<strong>in</strong> schlechtem Zustand befanden. Hier <strong>und</strong> da<br />
gab es entlang e<strong>in</strong>es solchen Sandweges auch<br />
e<strong>in</strong>en Fietsenpatt, der mit Holzpfählen zum<br />
Hauptweg h<strong>in</strong> abgegrenzt war.<br />
Solche Wege galt es im Zuge des bewährten<br />
Hand- <strong>und</strong> Spanndienstes <strong>in</strong> Ordnung zu<br />
br<strong>in</strong>gen. Das nannte man „Buurwerken“. Diese<br />
272<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Arbeiten wurden fast ausschließlich von<br />
Landwirten verrichtet, die auch den größten<br />
Nutzen von den Wegen hatten. Gesetzliche<br />
Gr<strong>und</strong>lagen für die Anzahl der Arbeitsst<strong>und</strong>en<br />
mit oder ohne Pferd gab es nicht. So hat<br />
Timmer Bätz diese Arbeiten organisiert. Trotz<br />
dieser mehr oder weniger freiwilligen Basis ist<br />
es ihm gelungen, immer wieder die Leute für<br />
Ausbesserungsarbeiten zu gew<strong>in</strong>nen, obwohl<br />
se<strong>in</strong>e Berufskollegen zu der Zeit schon alle<br />
hart arbeiten mussten. Es war schon e<strong>in</strong><br />
schwierigeres Unterfangen, die Leute für den<br />
Hand- <strong>und</strong> Spanndienst zu gew<strong>in</strong>nen.<br />
Das konnte nur gel<strong>in</strong>gen, weil er selber als<br />
gutes Vorbild vorang<strong>in</strong>g <strong>und</strong> man ihm für die<br />
E<strong>in</strong>teilung e<strong>in</strong>e gewisse Gerechtigkeit zugestand<br />
<strong>und</strong> somit entsprechend auch respektierte.<br />
Er lud dazu e<strong>in</strong>, führte Buch über<br />
geleistete St<strong>und</strong>en – mit oder ohne Pferd –<br />
teilte die Leute e<strong>in</strong> <strong>und</strong> bestimmte die E<strong>in</strong>satzstellen.<br />
Das war ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Aufgabe,<br />
die er viele Jahre uneigennützig zum Wohl der<br />
Allgeme<strong>in</strong>heit ausübte.<br />
Als Anfang der fünfziger Jahre die Hauptverkehrswege<br />
mit Schotter befestigt wurden,<br />
hat Timmer Bätz geme<strong>in</strong>sam mit Bürgermeis -<br />
ter Jan Harms-Ens<strong>in</strong>k die Bordste<strong>in</strong>e gesetzt.<br />
Das Nivellement haben beide eigenverantwortlich<br />
festgelegt. Dass das nicht immer im<br />
S<strong>in</strong>ne aller geschehen konnte, lag <strong>in</strong> den verschiedenen<br />
Interessen der Anlieger begründet.<br />
Neben den harten Arbeiten wurde beiden<br />
Rückgrat abverlangt.<br />
Ortsvere<strong>in</strong> <strong>und</strong> Pferdeversicherung<br />
Der Bereich Landwirtschaft lag ihm sehr am<br />
Herzen. Er trat stets für die Belange se<strong>in</strong>er<br />
bäuerlichen Berufskollegen e<strong>in</strong>. So ist es nicht<br />
verw<strong>und</strong>erlich, dass er viele Jahre im Landwirtschaftlichen<br />
Ortsvere<strong>in</strong> Hoogstede die<br />
Kasse führte.<br />
E<strong>in</strong>e Leidenschaft von ihm war auch, sich<br />
im Pferdeversicherungsvere<strong>in</strong> Emlichheim/<br />
Laar verantwortungsvoll mit e<strong>in</strong>zubr<strong>in</strong>gen.<br />
Hier ließen die Landwirte e<strong>in</strong>mal jährlich ihre<br />
Arbeitspferde schätzen <strong>und</strong> den Versicherungswert<br />
festlegen. Dieses setzte gewisse<br />
Tierkenntnisse voraus. Auch hier zeigte er geme<strong>in</strong>sam<br />
mit weiteren „Schätzern“ beim Fest-
legen des „Pferdewertes“ <strong>und</strong> somit der Versicherungssumme<br />
Rückgrat.<br />
Geme<strong>in</strong>devertretung <strong>und</strong> Feuerwehr<br />
Auch im kirchlichen Bereich war er engagiert.<br />
E<strong>in</strong>e Zeit lang war er Mitglied <strong>in</strong> der reformierten<br />
Geme<strong>in</strong>devertretung. Wo Arbeit zu<br />
verrichten war, war er mit dabei. Der Freiwilligen<br />
Feuerwehr gehörte er seit 1940 an.<br />
Durch se<strong>in</strong> hilfsbereites Wirken erwarb er sich<br />
auch hier große Verdienste. Von 1954 bis<br />
1964 war er ihr Brandmeister. Se<strong>in</strong> Führungsstil<br />
– so hört man heute noch von früheren<br />
Feuerwehrkameraden – sei weder autoritär<br />
noch lasch gewesen. Vielmehr übertrug er<br />
jedem se<strong>in</strong>er „Jungs“ e<strong>in</strong>e hohe Eigenverantwortlichkeit.<br />
Gerne erzählte er von der Feuerwehrschule<br />
<strong>in</strong> Loy bei Oldenburg.<br />
Während se<strong>in</strong>er Hauptzeit <strong>in</strong> der Feuerwehr<br />
war diese <strong>in</strong> der ehemaligen katholischen<br />
Volksschule an der Hauptstraße <strong>in</strong> Höhe<br />
der Hofzufahrt zum Büro der Firma Gosen<br />
stationiert.<br />
Genossenschaft<br />
Auch <strong>in</strong> das Genossenschaftswesen hat Timmer<br />
Bätz sich e<strong>in</strong>gebracht. Er war <strong>in</strong> der Zeit<br />
von 1956 bis 1969 im Vorstand der Raiffeisen-Warengenossenschaft<br />
Großr<strong>in</strong>ge e.G. ehrenamtlich<br />
tätig. Hier half er mit se<strong>in</strong>em<br />
allzeit geschätzten Rat <strong>und</strong> se<strong>in</strong>en Erfahrungen.<br />
Damals hatte die Raiffeisen-Warengenossenschaft<br />
noch e<strong>in</strong>e Ausgabestelle <strong>in</strong> der<br />
alten „Müllerschen“ Scheune <strong>in</strong> Hoogstede,<br />
gleich neben der Viehwaage, wo sich heute<br />
der Dorfplatz mit dem Brunnen bef<strong>in</strong>det.<br />
Während des ganzen Jahres führte Timmer<br />
Bätz Nebentätigkeiten aus. Hierbei handelte es<br />
sich überwiegend um Tätigkeiten, die nicht<br />
jeder ausführen konnte, oder die auch Mut erforderten.<br />
Zum Beispiel galt es, junge Pferde<br />
zu belehren. Da gab es dann ab <strong>und</strong> zu schon<br />
mal Pferde, die sich nicht gerne vor landwirtschaftliche<br />
Geräte spannen ließen. Solchen<br />
scheuen, jungen <strong>und</strong> teilweise wilden Pferden<br />
das Geschirr anzulegen <strong>und</strong> vorzuspannen,<br />
war nicht ungefährlich <strong>und</strong> absolut nichts für<br />
zaghafte Männer. Genau das war etwas, was<br />
Timmer Bätz gerne tat. Es war für ihn e<strong>in</strong>e<br />
PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />
Herausforderung. Und stolz war er, wenn <strong>in</strong><br />
der „Buurschup“ erzählt wurde, dass Timmer<br />
Bätz es geschafft habe, wieder e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong> störrisches<br />
Pferd so zu belehren, dass es <strong>in</strong> der<br />
Landwirtschaft als Arbeitspferd e<strong>in</strong>gesetzt<br />
werden konnte.<br />
Und dann gab es da noch komplizierte<br />
Bruchoperationen bei Ferkeln. Für solche<br />
schwierigen Fälle war Timmer auch <strong>in</strong> den<br />
umliegenden Geme<strong>in</strong>den als „Helfer <strong>in</strong> der<br />
Not“ ohne Tierarztkonditionen bekannt <strong>und</strong><br />
wurde gerne geholt. Das galt auch für H<strong>und</strong>e<strong>und</strong><br />
Katzenkastrationen.<br />
Kartoffeldämpfer <strong>und</strong> Hausschlachter<br />
Se<strong>in</strong>e „drokste“ Zeit begann im Herbst. Dann<br />
war er mit dem Kartoffeldämpfer unterwegs.<br />
Mit Wasserdampf wurden die zuvor gere<strong>in</strong>igten<br />
Kartoffeln gegart. Diesen Vorgang effizient<br />
durchführen konnte nicht jeder, <strong>und</strong> das<br />
setzte langjährige Erfahrungen voraus. Die so<br />
gewonnenen Silokartoffel wurden <strong>in</strong> der darauffolgenden<br />
Zeit an Schwe<strong>in</strong>e verfüttert.<br />
Timmer Bätz beim „Erpeldämpfen“<br />
(Aus „Alt-Hoogstede“)<br />
Wenn die „Dämpfzeit“ abgeschlossen war,<br />
begann für Timmer die Zeit der Hausschlachtungen.<br />
Mit e<strong>in</strong>em Bolzenschussgerät, e<strong>in</strong><br />
paar scharfen Messern <strong>und</strong> e<strong>in</strong>er Gummischürze<br />
ausgestattet, begann se<strong>in</strong> Arbeitstag<br />
– wie auch während der Zeit des Kartoffeldämpfens<br />
– bereits <strong>in</strong> den frühen Morgenst<strong>und</strong>en.<br />
E<strong>in</strong> solcher Schlachttag wurde m<strong>in</strong>destens<br />
sechs bis acht Wochen im Voraus fest vere<strong>in</strong>bart.<br />
E<strong>in</strong>e Woche vorher bestätigte er den Tag<br />
273
4<br />
noch e<strong>in</strong>mal <strong>und</strong> er gab Anweisungen, die man<br />
zu befolgen hatte. Dazu zählte unter anderem,<br />
dass die Schlachttiere abends nicht mehr gefüttert<br />
werden durften. Weiterh<strong>in</strong> mussten ausreichend<br />
Behältnisse vorhanden se<strong>in</strong> <strong>und</strong> zu<br />
e<strong>in</strong>em bestimmten Zeitpunkt musste kochendes<br />
Wasser <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen Behälter bereitstehen,<br />
<strong>in</strong> das das geschlachtete Schwe<strong>in</strong> dann gelegt<br />
<strong>und</strong> abgebrüht wurde, um danach die Borsten<br />
mit e<strong>in</strong>em Spezialmesser abzuschaben.<br />
Wenn das geschlachtete R<strong>in</strong>d auf der Diele<br />
am Haken <strong>und</strong>/oder das Schwe<strong>in</strong> an der Leiter<br />
h<strong>in</strong>g, war das erste geschafft. Darauf stieß<br />
man mit e<strong>in</strong>em „Söpien“ oder auch zwei an.<br />
Gegen Abend oder aber am nächsten Tag g<strong>in</strong>g<br />
es weiter. Die Zerlegung der geschlachteten<br />
Tiere sowie das Wursten <strong>und</strong> E<strong>in</strong>pökeln waren<br />
noch zu erledigen.<br />
Ober-Jagdtreiber<br />
Trotz dieser für ihn hektischen Zeit nahm er<br />
gerne E<strong>in</strong>ladungen zu den Hoogsteder Treibjagden<br />
an. Mit e<strong>in</strong>em auf se<strong>in</strong>e Körpergröße<br />
zugeschnittenen Treiberstock <strong>und</strong> Gummistiefeln<br />
ausgestattet, war ihm ke<strong>in</strong> Stacheldrahtzaun<br />
zu hoch <strong>und</strong> ke<strong>in</strong> Graben zu breit, auch<br />
wenn er manches Mal die H<strong>in</strong>dernisse unterschätzte.<br />
Das war für ihn ke<strong>in</strong> Gr<strong>und</strong>, vorzeitig<br />
nach Hause zu gehen. Die Treibjagd war auch<br />
für ihn erst zu Ende, wenn man nach der Jagd<br />
noch e<strong>in</strong> paar gesellige St<strong>und</strong>en mite<strong>in</strong>ander<br />
verbracht hatte <strong>und</strong> allgeme<strong>in</strong>e Aufbruchstimmung<br />
da war. So ist es nicht verw<strong>und</strong>erlich,<br />
dass Timmer Bätz als erste Person von der<br />
Hoogsteder Jagdgeme<strong>in</strong>schaft zum „Obertreiber“<br />
gewählt wurde.<br />
Mitgefühl<br />
Timmer hat <strong>in</strong> vielen Situationen Mitgefühl<br />
bewiesen. So ist er gesehen worden, als e<strong>in</strong><br />
Bewohner des Armenhauses wegen e<strong>in</strong>er ihm<br />
nachgewiesenen Unregelmäßigkeit als Häftl<strong>in</strong>g<br />
für e<strong>in</strong> paar Tage im Spritzenhaus „e<strong>in</strong>gebuchtet“<br />
worden war, dass er diesem bei<br />
Dunkelheit <strong>in</strong> späten Abendst<strong>und</strong>en warme<br />
Mahlzeiten gebracht hat. Das Spritzenhaus<br />
befand sich <strong>in</strong> der Nähe des Bahnüberganges<br />
an der Bergstraße, wo sich heute der Kiebitzmarkt<br />
bef<strong>in</strong>det.<br />
274<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Timmer Bätz auf Treibjagd. Im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong> von l<strong>in</strong>ks: A.-J. Keute,<br />
Hermann Jansen, Jan Kolthof <strong>und</strong> weitere Treiber (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Fünf<strong>und</strong>achtzigjährig verstarb Timmer<br />
Bätz am 05. März 1986. Er war e<strong>in</strong> über die<br />
Grenzen Hoogstedes h<strong>in</strong>aus bekannter <strong>und</strong> arbeitsamer<br />
Mensch, der auch <strong>in</strong> weniger guten<br />
Zeiten nie se<strong>in</strong>en Humor verloren hat <strong>und</strong><br />
immer für e<strong>in</strong> Späßchen zu haben war.<br />
Lambertistraße<br />
Johann Kemkers<br />
Timmer Bätz hatte viel zu erzählen, <strong>und</strong> er erzählte<br />
gern. Aber auch über ihn gab es viele<br />
Geschichten, <strong>und</strong> h<strong>in</strong> <strong>und</strong> wieder kann man<br />
noch heute manchmal die folgende Anekdote<br />
hören:<br />
In den 50er Jahren des vergangenen Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
wurde der sogenannte „Berg“ allmählich<br />
besiedelt. Wie überall <strong>in</strong> der<br />
Geme<strong>in</strong>de gab es auch hier ke<strong>in</strong>en befestigten<br />
Weg von der Ortsmitte zur Siedlung. Die heutige<br />
Bergstraße war auf der ganzen Länge e<strong>in</strong><br />
Sandweg, den zu passieren oft große Mühe<br />
machte, zumal bei anhaltendem Regen oder bei<br />
großer Trockenheit. Den Mitbürgern musste geholfen<br />
werden – darüber waren sich die Verantwortlichen<br />
<strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>ig, <strong>und</strong> wohl<br />
auch darüber, dass nur durch e<strong>in</strong>e Geme<strong>in</strong>schaftsaktion<br />
der Missstand beseitigt werden<br />
konnte: „Buurwerken“ war angesagt. Damit<br />
landete die Verantwortung mit e<strong>in</strong>er gewissen<br />
Selbstverständlichkeit bei Timmer Bätz.<br />
Und Timmer Bätz tat, was man von ihm<br />
erwartete. Er löste im Rahmen der verfügbaren<br />
Mittel <strong>und</strong> Möglichkeiten die gestellte<br />
Aufgabe mit se<strong>in</strong>en Leuten. Nachdem das
Werk vollendet war, versammelte sich die<br />
ganze Mannschaft <strong>in</strong> geselliger R<strong>und</strong>e, freute<br />
sich über das gelungene Werk <strong>und</strong> feierte e<strong>in</strong><br />
wenig sich selber – darauf legte Timmer Bätz<br />
großen Wert. Nachdem e<strong>in</strong> paar Schnäpse die<br />
fröhliche Stimmung befördert hatten, kam aus<br />
der R<strong>und</strong>e der Vorschlag, der neuen „Straße“<br />
e<strong>in</strong>en Namen zu geben. Die fleißigen Helfer<br />
e<strong>in</strong>igten sich schnell auf „Lambertistraße“, <strong>in</strong><br />
Würdigung der Verdienste ihres Anführers<br />
Timmer Bätz, der, wie ja e<strong>in</strong>ige durchaus<br />
wussten, eigentlich Lambertus Jeur<strong>in</strong>k hieß.<br />
Die Sache duldete ke<strong>in</strong>en Aufschub; man<br />
begab sich umgehend zu „Haubrichs Anton“<br />
<strong>in</strong> die Schmiede <strong>und</strong> überredete den Meister,<br />
sofort das erwünschte Straßenschild zu fertigen.<br />
Haubrich machte den Spaß mit <strong>und</strong> erledigte<br />
unter vielen kritischen Augen die<br />
gestellte Aufgabe. Wieder zurück <strong>in</strong> der Straße<br />
war der Platz für das Straßennamenschild<br />
schnell gef<strong>und</strong>en: An der stattlichen Eiche direkt<br />
an der E<strong>in</strong>mündung zur Hauptstraße<br />
wurde es <strong>in</strong> angemessener Höhe ordentlich<br />
befestigt, <strong>und</strong> jedermann konnte nun weiß auf<br />
schwarzem Gr<strong>und</strong> lesen: Lambertistraße.<br />
Der aufmerksame Beobachter entdeckt<br />
noch heute, wenn er von der Hauptstraße <strong>in</strong><br />
die Bergstraße e<strong>in</strong>biegt, an der besagten Eiche<br />
e<strong>in</strong>e verbeulte <strong>und</strong> verrostete, tief <strong>in</strong> die R<strong>in</strong>de<br />
e<strong>in</strong>gewachsene Eisenplatte. Der alte Name<br />
darauf ist aber längst verloschen.<br />
PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />
Am Eichenbaum an der Ecke Hauptstraße/Bergstraße ist<br />
noch die Eisenplatte erkennbar auf der e<strong>in</strong>st „Lambertistraße“<br />
stand (Johann Jeur<strong>in</strong>k)<br />
Fritz Müller (1916-2006) <strong>und</strong> Familie<br />
Magdalene Westhuis geb. Müller<br />
Nach Aufzeichnungen von Fritz Müller<br />
Das Elternhaus von Friederich Ernst Müller<br />
(bekannt als Fritz Müller) war die Gaststätte<br />
Müller (heute der Supermarkt Coma) an der<br />
Hauptstraße <strong>in</strong> Hoogstede. Se<strong>in</strong>e Eltern hießen<br />
Franz Müller (1874–1944) <strong>und</strong> Henrika<br />
Müller geb. Sommer (1887–1965).<br />
„Oma“ Henrika Müller geb. Sommer, 1908 (1887-1965)<br />
(Peter Marquardt)<br />
275
4<br />
Vater Franz war Gastwirt <strong>und</strong> W<strong>in</strong>dmüller.<br />
Die Mühle stand <strong>in</strong> unmittelbarer Nähe der<br />
Wirtschaft, rechts neben der damaligen Sägemühle.<br />
Der Gastwirtschaft gegenüber lag e<strong>in</strong>e<br />
große Scheune, <strong>in</strong> der die von den Bauern <strong>und</strong><br />
Händlern genutzte Viehwaage stand. Gleichzeitig<br />
diente sie als Unterstand für Tiere sowie<br />
als Pferdestall. Wochentags war reges Leben<br />
im Dorf. Per Handschlag wurden die Käufe der<br />
Bauern <strong>und</strong> Händler getätigt. Der anschließende<br />
Schnaps <strong>in</strong> der Wirtschaft gehörte<br />
dazu. Oft kamen durchreisende Händler zum<br />
Übernachten <strong>in</strong> das Haus, sodass die Fremdenzimmer<br />
ausgebaut wurden. E<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />
Landwirtschaft trug zum Lebensunterhalt bei.<br />
Franz Müller wurde im Ersten Weltkrieg<br />
e<strong>in</strong>gezogen <strong>und</strong> war Soldat <strong>in</strong> den Karpaten.<br />
Er kam mit ges<strong>und</strong>heitlichen Schäden heim.<br />
Se<strong>in</strong> Schwager He<strong>in</strong>rich Sommer, der auch das<br />
Müllerhandwerk erlernt hatte, arbeitete später<br />
<strong>in</strong> der Mühle.<br />
Franz Müller hatte zwei Geschwister. Der<br />
Bruder He<strong>in</strong>rich-Bernhard lebte mit se<strong>in</strong>er<br />
Frau Anna auf dem Hof Müller <strong>in</strong> T<strong>in</strong>holt. Er<br />
ist 1916 im Ersten Weltkrieg gefallen. Se<strong>in</strong>e<br />
Frau Anna heiratete später B. Staelberg. Die<br />
Schwester Henni Müller lebte mit ihren K<strong>in</strong>dern<br />
<strong>in</strong> dem heutigen Haus Günnemann. Sie<br />
war als Handarbeitslehrer<strong>in</strong> <strong>in</strong> der katholischen<br />
Schule tätig.<br />
Fritz’ Mutter Henrika stammte aus der Familie<br />
Sommer. Ihr Vater wurde 1846 <strong>in</strong> Hoogstede<br />
geboren <strong>und</strong> war später als Bäcker <strong>in</strong> der<br />
Bäckerei Warmer <strong>in</strong> Nordhorn tätig. Se<strong>in</strong>e Frau<br />
Adelheid kam aus Tilligte <strong>in</strong> den Niederlanden<br />
<strong>und</strong> arbeitete als Verkäufer<strong>in</strong> <strong>in</strong> Nordhorn.<br />
Der Hoogsteder Landwirt Kennepohl stellte<br />
dem Ehepaar Sommer das kle<strong>in</strong>e weiße Haus<br />
an der Hauptstraße (heute im Besitz von B.<br />
Horstkamp) zur Verfügung. Hier eröffnete<br />
Sommer e<strong>in</strong>en Laden nebst Bäckerei. Später<br />
entstand das Haus auf der gegenüberliegenden<br />
Seite mit Bäckerei <strong>und</strong> Kolonialwarengeschäft.<br />
Als im Jahr 1909 die erste Kreisbahn<br />
auf der Nebenstrecke Neuenhaus–Hoogstede-<br />
Emlichheim <strong>in</strong> Betrieb genommen wurde,<br />
konnten die Waren für das Kolonialwarengeschäft<br />
Sommer mühelos angeliefert werden.<br />
Petroleum für die Beleuchtung brachte das<br />
276<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Unternehmen Schulte aus L<strong>in</strong>gen. Pferde<br />
zogen e<strong>in</strong>en eisenbereiften Tankwagen von<br />
Ort zu Ort <strong>und</strong> die unter der Erde liegenden<br />
Tanks wurden gefüllt. Die Firma Horstmann<br />
aus Ochtrup reiste mit Pferd <strong>und</strong> Wagen an,<br />
um Eier zu kaufen, die die Bauern im Geschäft<br />
gegen Lebensmittel e<strong>in</strong>getauscht hatten. Der<br />
blanke Korn wurde <strong>in</strong> Fässern geliefert <strong>und</strong><br />
die K<strong>und</strong>en brachten eigene Flaschen mit, um<br />
ihn e<strong>in</strong>zukaufen.<br />
Ehepaar Müller mit sechs erwachsenen K<strong>in</strong>dern, um 1940.<br />
Franz Müller <strong>und</strong> Henrika geb. Sommer, v. l. He<strong>in</strong>rich,<br />
Helene, Bernhard, Kathar<strong>in</strong>a, Maria <strong>und</strong> der Schwiegersohn<br />
Theobald Marquardt (Peter Marquardt)<br />
Sechs K<strong>in</strong>der wurden <strong>in</strong> der Familie Sommer<br />
geboren: Alois (Lehrer), Ernst (Pastor), Johann<br />
(Bäcker), He<strong>in</strong>rich (Müller), S<strong>in</strong>a (arbeitete<br />
bei der Schwester Henrika), Henrika (heiratete<br />
den Gastwirt Franz Müller), Johanna (Verkäufer<strong>in</strong>).<br />
Fritz Müller wurde am 13. Juni 1916 geboren.<br />
Er <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e sechs Geschwister wuchsen<br />
<strong>in</strong> der Gaststätte Müller auf: Kathar<strong>in</strong>a (lebte ab<br />
Elke Ranft <strong>und</strong><br />
Kathar<strong>in</strong>a Müller<br />
im Laden Sommer-<br />
Müller, 1980/85<br />
(Leni Töller)
Drei Müllertöchter <strong>und</strong> Schwager vor der Gaststätte<br />
Müller. Helene Müller, Kathar<strong>in</strong>a Müller, Theobald Marquardt<br />
<strong>und</strong> Johanne geb. Müller (Peter Marquardt)<br />
dem dritten Lebensjahr im Haus ihrer Großeltern<br />
Sommer <strong>und</strong> war hier später im Lebensmittelgeschäft<br />
tätig), Bernhard (war Wirt <strong>in</strong><br />
der Gaststätte des Vaters), Friederich (lernte<br />
das Bäckerhandwerk <strong>und</strong> arbeitete <strong>in</strong> der Bä -<br />
ckerei der Großeltern Sommer), Johanna (heiratete<br />
den Oberleutnant Theobald Marquardt<br />
<strong>und</strong> lebte mit der Familie <strong>in</strong> Hoogstede),<br />
Helene (war im elterlichen Betrieb tätig),<br />
He<strong>in</strong>rich (übernahm die Sägemühle <strong>und</strong> baute<br />
e<strong>in</strong> Fuhrunternehmen auf) <strong>und</strong> Maria (war<br />
ebenfalls im elterlichen Betrieb tätig)<br />
Fritz Müller besuchte von 1922 bis 1930<br />
die katholische Schule <strong>in</strong> Hoogstede. Er er-<br />
PERSONEN UND PERSÖNLICHKEITEN<br />
zählte se<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dern oft von sehr strengen<br />
Lehrern, die durchaus vom Rohrstock Gebrauch<br />
machten, von den vielen K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Schulraum sowie vom großen schwarzen<br />
Ofen, der von mitgebrachtem Holz oder<br />
Torf von den Schülern beheizt werden musste.<br />
Begeistert sprach er von e<strong>in</strong>em Lehrer Richelmann<br />
aus Bentheim, der den K<strong>in</strong>dern wohlgesonnen<br />
war <strong>und</strong> ihnen das Tor zur Welt<br />
öffnete. Mit ihm fuhr man zur Burg nach<br />
Bentheim, sah Wilhelm Tell auf der Freilichtbühne<br />
<strong>und</strong> überschritt zum ersten Mal im<br />
Leben die Grenze nach Holland.<br />
Am 30. April 1930 wurde Fritz Müller aus<br />
der Schule entlassen <strong>und</strong> mit 14 Jahren begann<br />
die Lehrstellensuche. 1930 gab es <strong>in</strong><br />
Deutschland über sechs Millionen Arbeitslose<br />
– es war nicht leicht, e<strong>in</strong>en Ausbildungsplatz<br />
im Bäckerhandwerk zu bekommen. Für Fritz<br />
Müller stand es schon länger fest, dass er gerne<br />
Bäcker werden wollte. Schon oft hatte er bei<br />
Opa Sommer <strong>und</strong> Onkel Johann Sommer zuschauen<br />
<strong>und</strong> helfen dürfen. Das tat er nun auch<br />
– bis er am 1. April 1932 beim Bäckermeister<br />
Sandhaus <strong>in</strong> L<strong>in</strong>gen se<strong>in</strong>e Lehre beg<strong>in</strong>nen<br />
durfte. Gearbeitet wurde von morgens 4 Uhr bis<br />
um 19 Uhr abends. Kost <strong>und</strong> Wohnung gab es<br />
im Haus sowie etwas Geld für die nötigsten<br />
Ausgaben. Im März 1934 bestand Fritz Müller<br />
mit guten Noten die Gesellenprüfung <strong>und</strong> als<br />
ersten Lohn erhielt er 24 Reichsmark, die nach<br />
der Prüfungsfeier schnell ausgegeben waren.<br />
Die Sonntage verbrachte Fritz Müller<br />
immer öfter <strong>in</strong> L<strong>in</strong>gen. Er hatte e<strong>in</strong> Auge auf<br />
e<strong>in</strong>e hübsche junge Frau geworfen, die oft <strong>in</strong><br />
den Bäckerladen kam <strong>und</strong> ganz <strong>in</strong> der Nähe<br />
wohnte. Sie hieß Johanna Krüp <strong>und</strong> wurde se<strong>in</strong>e<br />
spätere Frau <strong>und</strong> Mutter se<strong>in</strong>er vier Töchter.<br />
Bei der Musterung im Jahr 1936 wurde<br />
Fritz Müller als tauglich e<strong>in</strong>gestuft. Es folgten<br />
der Dienst im Arbeitslager <strong>und</strong> 1938 die E<strong>in</strong>berufung<br />
zum Militär. Der Krieg verschlug ihn<br />
an verschiedene Orte, lange Zeit hielt er sich<br />
<strong>in</strong> Evereux <strong>in</strong> Frankreich auf. Dort war er<br />
Koch <strong>und</strong> Bäcker der Kompanie.<br />
Postkarte Gaststätte Müller, etwa 1965.<br />
Auf der Rückseite: „Gasthof Müller, Clubzimmer, Fremdenzimmer,<br />
Saal, 4459 Hoogstede, Grafschaft Bentheim,<br />
Telefon 05944 325“ (Michaelisdonn/Holst. Best.-Nr. 65336)<br />
277
4<br />
MÜHLEN, GESCHÄFTE, HÄUSER, HANDWERKER UND PERSONEN<br />
Oma Adelheid Sommer (Urgroßmutter von Marlene<br />
Westhuis) geboren etwa 1860 (Peter Marquardt)<br />
In e<strong>in</strong>em Heimaturlaub wollte Fritz unbed<strong>in</strong>gt<br />
„se<strong>in</strong>e Hanna“ heiraten. Das erforderte die<br />
Beachtung vieler Formalitäten. Jeder musste<br />
e<strong>in</strong>en Ahnenpass vorlegen, aus dem hervorg<strong>in</strong>g,<br />
dass <strong>in</strong> den vorangegangenen 100 Jahren<br />
ke<strong>in</strong>e jüdischen Vorfahren <strong>in</strong> der Familie gelebt<br />
hatten. Somit konnte erst im nächsten Heimaturlaub<br />
am 7. April 1942 die Hochzeit <strong>in</strong> L<strong>in</strong>gen<br />
stattf<strong>in</strong>den. Am 31. Januar 1944 kam Tochter<br />
Ursula zur Welt. Da Fritz 1945 aus dem Militärdienst<br />
entlassen wurde, konnten die Eheleute<br />
erst danach e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Unterkunft im<br />
kle<strong>in</strong>en weißen Haus der Familie Sommer<br />
(heute Haus der Familie Kögler) beziehen. Als<br />
die Familie größer wurde, erhielten sie noch<br />
zwei kle<strong>in</strong>e Räume dazu. Fritz arbeitete <strong>in</strong> der<br />
Bäckerei se<strong>in</strong>es Onkels. Die Familie wohnte sehr<br />
bescheiden, aber die K<strong>in</strong>der hatten e<strong>in</strong>e w<strong>und</strong>erschöne<br />
Zeit. Sie er<strong>in</strong>nern sich oft <strong>und</strong> gerne<br />
Fritz Müller <strong>und</strong> Johanna geb. Krüpp etwa im Jahr 2005<br />
(Marlene Westhuis)<br />
278<br />
an die abendlichen Schlagballspiele mit den<br />
K<strong>in</strong>dern der Nachbarn, an die große Wiese vor<br />
dem Haus, an die vollbehangenen „Köttelbirnen-<br />
<strong>und</strong> Äffisbäume“ oder an den krummen<br />
Apfelbaumstamm, der als Verkaufstresen für<br />
Spiele diente.<br />
Im September 1947 absolvierte Fritz Müller<br />
die Meisterprüfung zum Bäcker <strong>und</strong> pachtete<br />
danach die Bäckerei se<strong>in</strong>es Onkels Johann<br />
Sommer. Mit vier K<strong>in</strong>dern war man k<strong>in</strong>derreich<br />
<strong>und</strong> bekam Baudarlehen. So wurde das Haus an<br />
der Hauptstraße 98 gebaut <strong>und</strong> im Jahr 1957<br />
bezogen.<br />
In den sechziger Jahren des letzten Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
entstandene Großbäckereien verkauften<br />
das Brot sehr viel günstiger. Das war das<br />
Ende für viele kle<strong>in</strong>e Bäckereien – auch für die<br />
Bäckerei von Fritz Müller. Bis zu se<strong>in</strong>er Rente<br />
im Jahr 1981 war er im Betrieb se<strong>in</strong>es Schwagers<br />
H. Krüp <strong>in</strong> der Grafschafter Autozentrale<br />
tätig. Das große Interesse am Leben se<strong>in</strong>er Mitmenschen<br />
hat Fritz Müller zur Mitarbeit <strong>in</strong> verschiedenen<br />
Gremien angespornt. Er arbeitete<br />
viele Jahre im <strong>Kirche</strong>nvorstand der katholischen<br />
<strong>Kirche</strong> <strong>in</strong> Hoogstede, gründete <strong>in</strong> Hoogstede<br />
die KAB (Katholische Arbeiterbewegung)<br />
<strong>und</strong> war Mitbegründer des hiesigen Schützenvere<strong>in</strong>s.<br />
Se<strong>in</strong> Interesse am politischen Geschehen<br />
hat er sich lange bewahren können. Er<br />
freute sich über Besucher, die mit ihm diskutierten<br />
<strong>und</strong> nicht die Gebrechen des Alterns<br />
zum Thema machten.<br />
Mit se<strong>in</strong>er Frau Hanna konnte er am 7. April<br />
2006 den 64. Hochzeitstag feiern. Am 12. September<br />
2006 verstarb er an den Folgen e<strong>in</strong>er<br />
schweren Krankheit. Nur zehn Wochen später<br />
folgte ihm se<strong>in</strong>e Frau im Tode.