„Entwicklung braucht Entschuldung.“ - Volksbank Kamen-Werne eG
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Reportage<br />
Klangkörper auf Reisen<br />
Unterwegs mit den Berliner Philharmonikern įAutogramme auf iPads<br />
und ungewohnte Geräusche im Saal įFotos von Monika Rittershaus<br />
Berlin. Wenn es jetzt kalt und klirrend<br />
wird, beginnt die Hochsaison der Winterkonzerte.<br />
Mit ihrer beseelten Musik<br />
vertreiben kleine Ensembles, große Orchester<br />
und die weltberühmten Stars<br />
die Tristesse der dunklen Tage. Dazu<br />
sind vor allem die Spitzenorchester viel<br />
unterwegs. Gerade erst sind die Berliner<br />
Philharmoniker von einer Tour durch<br />
Europa zurückgekommen. Zuvor waren<br />
sie in Asien unterwegs. Begleitet wurden<br />
sie dabei von der renommierten Wuppertaler<br />
Fotografin Monika Rittershaus.<br />
Ihre Bilder erzählen viel vom Reise-Alltag<br />
der 128 Musiker aus 25 Nationen<br />
samt Chef Sir Simon Rattle. Sie reisten<br />
im gecharterten Lufthansa-Jumbo<br />
„Duisburg<strong>“</strong> nach China, Korea, Japan<br />
und Taiwan. Unten, im Bauch des Jets,<br />
die 162 Kisten mit „ge<strong>braucht</strong>en Instrumenten<strong>“</strong>,<br />
wie es in den Zollpapieren<br />
steht. Der Frachtraum wurde auf 23<br />
Grad geheizt, damit der Leim der kostbaren<br />
Celli, Kontrabässe und Bratschen<br />
nicht aufquillt. Oben in der Economy<br />
Class, wo die jüngeren Musiker sitzen,<br />
die Kissenschlacht bei der Landung.<br />
Von Reisen bringt man immer auch<br />
Geschichten mit, so auch die Philharmoniker:<br />
Handyklingeln, Husten und Bonbonpapierknistern,<br />
diese Lärmquellen<br />
sind hinreichend bekannt, doch Cellist<br />
Ludwig Quandt berichtet von einem<br />
neuen Störgeräusch, das das Orchester<br />
beim Konzert in Peking vor eine Herausforderung<br />
stellte. In die Stille des vierten<br />
Mahler-Satzes hinein tönte aus dem Publikum<br />
ein sehr deutlich wahrnehmbarer<br />
Pups-Laut. Das Konzert wurde dennoch<br />
professionell beendet. Das war, wie<br />
Oboist Dominik Wollenweber später<br />
dem Süddeutschen Magazin sagt, „unsere<br />
größte Leistung, dass wir da nicht losgebrüllt<br />
haben vor Lachen<strong>“</strong>.<br />
Einen Insiderblick bieten Pressesprecherin<br />
Elisabeth Hilsdorf und Schlagzeuger<br />
Raphael Haeger mit ihren Reise-Eindrücken.<br />
Konzentriert beim Auftritt in Peking, ausgelassen bei der Kissenschlacht im Flugzeug.<br />
Das Orchester<br />
und Sir Simon<br />
werden wie Popstars<br />
empfangen<br />
Pressesprecherin<br />
Elisabeth Hilsdorf<br />
Die Pressearbeit für eine große<br />
Tournee beginnt natürlich schon<br />
weit im Vorfeld. Neben dem üblicherweise<br />
gefragtesten Interviewpartner,<br />
Sir Simon, waren diesmal auch die<br />
Medienvorstände viel im Einsatz. Sowohl<br />
aus Taiwan als auch aus Korea<br />
gab es Journalistendelegationen, die<br />
extra nach Berlin gekommen waren,<br />
um Interviews zu führen und sich das<br />
Orchester einmal live in der Philharmonie<br />
anzuhören. Auch Studioführungen<br />
der Kollegen der Digital Concert<br />
Hall waren begehrt.<br />
Insbesondere die Presse aus Taiwan<br />
zeigte sich sehr interessiert an der Digital<br />
Concert Hall und ihren Übertragungsmöglichkeiten.<br />
Dieses Interesse<br />
gipfelte letztendlich in der Live-Übertragung<br />
der Neunten Symphonie von<br />
Gustav Mahler aus Taipei in der DCH,<br />
der ersten Konzertübertragung dieser<br />
Art aus einem anderen Saal als der<br />
Philharmonie. Nach dem Konzert<br />
wurden das Orchester und Sir Simon<br />
wie Popstars in der Taipeh-Arena<br />
empfangen, wo 15.000 Zuschauer das<br />
Konzert gesehen und gehört hatten.<br />
Wenn man es nicht besser wüsste, hätte<br />
man den Eindruck bekommen können,<br />
die neueste Boy-Band würde gefeiert.<br />
Für die eigentliche Tournee wird eine<br />
Pressekiste gut mit Informationsmaterial<br />
über das Orchester gefüllt.<br />
Dieses Mal durfte es dank der Kollegen<br />
von Berlin Phil Media etwas mehr<br />
sein … Es wurden insgesamt 13.000<br />
Flyer verteilt. Einer der Gründe, warum<br />
das Flugzeug auf dem Rückweg<br />
deutlich leichter war.<br />
Neben den Interviews vor der Reise<br />
gab es noch die Pressekonferenzen<br />
während der Tournee. In jeder Stadt<br />
stellten sich Sir Simon, Intendant<br />
Martin Hoffmann und die Vorstände<br />
in wechselnder Besetzung den Fragen<br />
der örtlichen Presse, wobei die Zahl<br />
der Journalisten jedes Mal beeindruckend<br />
war. In Taipeh und Tokio waren<br />
jeweils über 100 Pressevertreter vor<br />
Ort. Während in Deutschland eine<br />
durchschnittliche Pressekonferenz allerdings<br />
nach 45 Minuten vorbei ist,<br />
ViRtuelle KonzeRthalle<br />
Die Berliner Philharmoniker live erleben,<br />
das kann nicht jeder. Entweder, weil<br />
die Konzerte ausverkauft oder schlicht<br />
waren hier wegen der längeren Übersetzungszeiten<br />
durchaus auch einmal<br />
zwei Stunden drin. Zusätzlich gaben<br />
einzelne Musiker Interviews, vor allem<br />
Konzertmeister Daishin Kashimoto<br />
war in seiner japanischen Heimat<br />
ein gefragter Mann.<br />
Neben den Pressevertretern wollten<br />
auch die Fans möglichst nahe an „ihre<strong>“</strong><br />
Philharmoniker herankommen. Hierfür<br />
organisierte die EMI vor Ort Signierstunden<br />
für das Orchester, Sir Simon<br />
und die 12 Cellisten. Es wurden<br />
insgesamt 16.000 Autogramme gegeben<br />
(9.600 davon von den 12 Cellisten), gefühlt<br />
ebenso viele Fotos geschossen<br />
und Hände geschüttelt. Auch hier technische<br />
Fortschritte allerorten: Nicht<br />
wenige iPhones und iPads wurden mit<br />
Unterschriften versehen.<br />
Gebloggt wurde ebenfalls, dieses<br />
Mal mit mehr Fotos und weniger Text.<br />
Die Fotos stammten dabei nicht nur<br />
von unserer mitreisenden Fotografin<br />
Monika Rittershaus, sondern erstmals<br />
auch von einer Reihe fotografierender<br />
Orchestermitglieder. Darunter konnte<br />
man einige Talente entdecken!<br />
Das Bloggen selbst war teilweise mit<br />
Hindernissen versehen. Vor allem in<br />
China mit seiner restriktiven Internetpolitik<br />
gestaltete sich das Ganze etwas<br />
schwierig, man konnte neue Beiträge<br />
einstellen, sie sich danach aber nicht<br />
mehr angucken - Bloggen im Blindflug<br />
quasi.<br />
Das für mich persönlich am meisten<br />
beeindruckende Erlebnis war das<br />
Konzert für UNICEF in Sendai. Es ist<br />
das eine, über die Katastrophe in Japan<br />
in den Medien zu lesen und zu hören,<br />
aber wirklich dort zu stehen und<br />
die Zerstörung zu sehen, ist etwas<br />
ganz anderes und macht demütig.<br />
Dezember 2012 ----- Genossenschaftliche allGemeine 3<br />
zu kostspielig sind. Das Orchester bietet<br />
im Internet die „Digital Concert Hall<strong>“</strong>.<br />
Für eine monatliche Gebühr von 14,90<br />
Euro können Live-Übertragungen ver-<br />
Sightseeing einmal<br />
ganz anders<br />
Schlagzeuger<br />
Raphael Haeger<br />
Für mich stand diese Reise unter<br />
dem Zeichen: Konzerte spielen,<br />
Partituren lernen und, wenn`s reinpasst,<br />
Spaziergänge und kleine Ausflüge<br />
machen. Darüber hinaus hat<br />
mich – und das soll Gegenstand dieses<br />
Beitrags sein – eine Beobachtung zum<br />
nachdenken angeregt: Das Publikum<br />
und das dafür zuständige „Personal<strong>“</strong><br />
in drei sehr verschiedenen Ländern.<br />
1. Station – Peking: Wenige Minuten<br />
vor dem Konzert reges Treiben im<br />
Saal. Man tauscht nochmal die Plätze<br />
(wohl innerhalb der Familie), und entschärft<br />
schon mal die Kamera als die<br />
ersten Fräcke auf der Bühne auftau-<br />
Boygroup? Mit dieser Container-Aufschrift kann es schon zu Verwechslungen kommen.<br />
chen. An den Saalausgängen stehen<br />
die Ordnerinnen, streng uniformierte<br />
Wächterinnen. Sobald einer im Publikum<br />
die Kamera aus der Deckung<br />
nimmt, richten jene mit strafender<br />
Geste (ausgestreckter Arm) einen Läserpointer<br />
auf das Objektiv des verwegenen<br />
Fotografen. Ich habe abends<br />
diese Geste vor dem Spiegel im Hotelzimmer<br />
mehrmals ausprobiert, mit<br />
eher lächerlichen Resultaten. Diese<br />
Frauen hätten den Pointer nicht ge<strong>braucht</strong>,<br />
allein der Blick löscht alle<br />
Daten.<br />
2. Station – Taipeh: Nach dem ersten<br />
Stück habe ich frei und nütze die ruhi-<br />
folgt werden oder im Archiv nach Konzertmitschnitten<br />
und Interviews gestöbert<br />
werden. Es gibt auch 48-Stunden-<br />
Tickets. www.digitalconcerthall.com<br />
Kleine Ausflüge der Musiker<br />
gen Minuten zu einem Spaziergang im<br />
leeren Foyer, während das Hornkonzert<br />
von Toshio Hosokawa mit meinem<br />
Kollegen Stefan Dohr als Solisten<br />
läuft. CD-Verkäuferinnen, Platzanweiserinnen,<br />
Kartenabreißerinnen<br />
beim gelösten Tratsch. Ich komme um<br />
die Ecke, Europäer, klar: Philharmoniker.<br />
Wie auf einen Schlag Totenstille<br />
(als verstünde ich chinesisch!). So viel<br />
Respekt ist mir nun auch nicht recht,<br />
ich gehe wieder um besagte Ecke und<br />
höre bald hinter mir leisen Pferdegalopp.<br />
Zwei junge Kartenfrauen strecken<br />
mir ein Programmheft hin, ich<br />
gebe ein Autogramm auf dem Umschlag<br />
und beide schwärmen in knappem<br />
Englisch, wie toll wir seien, und<br />
das wir bitte wiederkommen sollen.<br />
Galopp, weg sind sie. Der Jubel des Publikums<br />
im ganzen Land wenig später<br />
nach Bruckners Neunter ist bestens<br />
dokumentiert.<br />
3. Station – Tokio: Ich baue meine Instrumente<br />
auf und blicke gelegentlich<br />
in den schönen Publikumsraum der<br />
Suntory Hall. Sobald mein Blick eine<br />
der wartenden Platzanweiserinnen<br />
trifft, steht diese auf und macht eine<br />
leichte Verneigung. Wenig später sind<br />
wir alle auf der Bühne, stimmen die Instrumente<br />
und wenige Zuschauer suchen<br />
mit den Tickets in der Hand noch<br />
nach ihren Plätzen. Sofort kommen die<br />
Platzanweiserinnen, verneigen sich und<br />
weisen mit diskreten Handbewegungen<br />
auf die zu besetzenden Plätze und verneigen<br />
sich abermals.<br />
Reisen ist auch ohne Sightseeing<br />
sehr abwechslungsreich. Ω<br />
Die Texte von Elisabeth Hilsdorf und<br />
Raphael Haeger wurden erstmals in<br />
„128 – Das Magazin der Berliner Philharmoniker<strong>“</strong><br />
im März 2012 veröffentlicht.<br />
Der Abdruck hier erfolgt mit<br />
freundlicher Genehmigung der Stiftung<br />
Berliner Philharmoniker.