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50 AIDS GLOBAL Die Zeitbombe tickt in der Ukraine In der letzten Ausgabe des Rainbow erschien unter diesem Titel ein Artikel zur Situation im Bereich HIV/AIDS in der Ukraine. Im zweiten Teil des Artikels wollen wir nun zwei Organisationen vorstellen, um unseren Lesern zu vermitteln, wie die AIDS-Bewegung in diesem stark betroffenen Land Osteuropas mit geschätzten 500.000 Infizierten aussieht. Rainer Seybold „ZEIT DES LEBENS PLUS (ZDL+), DIE ERSTE UKRAINISCHE AIDS-HILFE Zeit des Lebens plus wurde bereits 1994 gegründet und ist damit eine der ersten Organisationen der Ukraine, die im HIV/AIDS – Bereich tätig ist. Im Jahr 2001 bekam die Organisation finanzielle Mittel vom Globalen Fonds. Der Mitgründer Anatolj Bondarenko ist hauptamtlicher Leiter bei ZdL+. „Die schwerste Zeit für uns war Mitte der 90er Jahre, in der HIV/Aids von Regierung und der Zivilgesellschaft völlig ignoriert wurde. Heute sind wir eine Vereinigung für positive Menschen, Ärzte und Wissenschaftler“. EINE „AIDS-HILFE“ IM UNTERGESCHOß DER LAVRA-KLINIK Ihren Sitz hat die Organisation im gleichen Gebäude wie die Lavra-Spezialklinik. ZdL+ bekommt Räume für Büro und Versammlungen im EG der Klinik mietfrei, stellt jedoch im Gegenzug seine Arbeitskräfte für Sozialarbeit, Betreuung und Krankentransporte in der Klinik zur Verfügung. ZdL+ hat somit Kontakt zu allen 20-25 stationär untergebrachten und jährlich ca. 2.400 ambulant TEIL 2 untersuchten und betreuten Patienten. Es gibt eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Ärzten und dem medizinischen Personal. Schwerpunkt der Arbeit sind Behandlung und Pflege der Schwerkranken in der Klinik. Bei ZdL+ arbeiten 10 hauptamtliche Mitarbeiter: DIE POLITISCHEN SCHWERPUNKTE „Zugang zu Behandlung für alle“. Dieser Leitsatz entspricht einem Artikel aus dem Grundgesetz, der besagt, dass jeder Mensch ein Recht auf medizinische Versorgung hat. Die Behandlung soll laut ZdL+ möglichst mit antiretroviralen Originalpräparaten erfolgen. Es existiert kaum Vertrauen zu den generischen Medikamenten, die derzeit aus Indien kommen. Auch Generika, die in der Ukraine produziert würden, könnte ZdL+ nicht vertrauen, denn sie fürchten das Fehlen von wichtigen Substanzen und mangelhafte Qualitätskontrollen. Dies ist ein umstrittenes Thema, vor allem bei internationalen Organisationen, die in der Ukraine tätig sind, denn mit den meist sehr viel billigeren Generika könnten vielleicht doppelt oder dreimal so viel Kranke behandelt werden.
ZUSAMMENARBEIT MIT DER KIRCHE? Ein weiteres Arbeitsfeld ist die Entwicklung einer Zusammenarbeit mit der ukrainischen, vor allem der russisch-orthodoxen Kirche. Diese gestaltet sich noch sehr schwierig. Es gibt jedoch erste positive Ansätze, denn die moskautreue Richtung der orthodoxen Kirche hat eine Arbeitsgruppe und eine Initiative zu HIV gegründet. Dafür interessieren sich dann auch die Medien. Jedoch müssen bisher immer die Bereiche, bei denen es um Homosexualität geht, herausgehalten werden. Doch gerade um schwule Männer und solche, die es (nicht) sein wollen, geht es bei ZdL+. DIE EINZIGE UKRAINISCHE „AIDS-HILFE“ FÜR DIE VERACHTETEN SCHWULEN ZdL+ hat sich die Prävention in der Zielgruppe der homosexuellen und bisexuellen Männer zum Ziel gesetzt. Auch die Männer, die gelegentlich oder oft Sex mit Männern haben, sich jedoch nicht zwingend als homo- oder bisexuell definieren, sollen mit Aufklärungsmaterial über Infektionswege versorgt werden. In der Ukraine werden schwule Männer stark diskriminiert. Die sexuelle Identifikation eines Mannes als schwul wird in der Allgemeinbevölkerung stärker verurteilt als der intravenöse Drogengebrauch mit Heroin oder Mohn- Derivaten. Bis zur Öffnung des eisernen Vorhangs in Sowjet-Zeiten war Homosexualität illegal. Obwohl das Gesetz nun ab der Unabhängigkeit 1991 bei einer einvernehmlichen sexuellen Handlung ab 16 Jahren keinen Unterschied zwischen homo- oder heterosexuellen Partnern macht, Homosexualität ab diesem Alter also legal ist, können schwule Männer selten offen Ihre Orientierung bekennen. DAS PROBLEM DER SUBKULTUR Auch für selbst homosexuelle Mitarbeiter der Organisation ist es schwer, ihre Zielgruppe in der Präventionsarbeit zu erreichen. Eine schwule Szene gibt es nämlich, außer ansatzweise in Kiew, in der Ukraine nicht! Die Situation ist in keiner Weise mit den ersten Jahren der Organisation von schwuler Selbsthilfe in der Bundesrepublik oder in Westeuropa Mitte der 80er Jahre zu vergleichen, wo ca. 60-70 Prozent der Infizierten dieser Betroffenengruppe eine starke Motivation und Verantwortung der „Gay Community“ hervorriefen. AIDS GLOBAL 51 STATISTISCH 46 HOMOSEXUELLE POSITIVE IM GANZEN LAND! Laut offizieller Statistik gibt es in der Ukraine ganze 46 infizierte schwule Männer, nach Hochrechnungen von Anatolj Bondarenko dürften es jedoch mindestens 60.000 sein!!! Die Strukturen der homosexuellen Netzwerke in der Ukraine sind mager. Es gibt derzeit in der Ukraine nur eine einzige Selbsthilfegruppe für schwule Männer! Auf Initiative des deutschen Vereins Connect plus e.V., einem deutschen Verein, der die strukturelle Prävention und Unterstützung von positiven Netzwerken in Osteuropa fördert, bereiste A. Bondarenko und sein Kollege aus Odessa die Bundesrepublik. In Stuttgart und anderen Städten wurden AIDS-Hilfen, Schwerpunktpraxen und Kliniken besucht und es wurde geprüft, ob es Modelle gibt, die in die ukrainischen Verhältnisse übertragbar sind. Auf Basis des partnerschaftlichen Dialogs soll gegenseitiges Lernen im Bereich Prävention, Behandlung und Pflege sowie in der Interessensvertretung für Positive praktiziert werden. DAS ALL-UKRAINIAN NETWORK DER MENSCHEN MIT HIV UND AIDS (AUN) 1999 trafen sich 10 HIV-Positive aus Odessa, Poltava und Kiew zu einem losen Netzwerk. 2001 wurde das Network offiziell als Nichtregierungsorganisation registriert und bezog das erste Büro in Kiew. Damals gab es 5 hauptamtliche Mitarbeiter. Das AUN hat heute 300 Mitglieder und Vertretungen in 21 Städten. Es werden 5-6.000 HIVpositive Menschen erreicht. 98% der Mitarbeiter des AUN sind selbst infiziert. Momentan beschäftigt das Netzwerk ca. 25 hauptamtliche Mitarbeiter. Die Koordinatoren in den Städten und Regionen sind ehrenamtliche, gewählte Vertreter. Ein Zentralbüro mit den professionellen Kräften befindet sich in Kiew. Die Finanzierung erfolgt über Gelder des Global Fund über den Hauptempfänger Internat. AIDS Alliance und andere internationale Finanzquellen (Oxfam, Elton John Foundation, ein EU-Programm...). Zukünftig wird jedoch auch ein staatlicher Anteil an der Finanzierung angestrebt. Das Network ist die bekannteste und wohl größte Organisation mit und für HIV-positive Menschen der Ukraine mit der besten dezentralen Struktur.
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