09.10.2013 Aufrufe

Download Teil 2 - AIDS-Hilfe Stuttgart eV

Download Teil 2 - AIDS-Hilfe Stuttgart eV

Download Teil 2 - AIDS-Hilfe Stuttgart eV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Wir sind schon<br />

Lui<br />

Pour<br />

ab 12.00 Uhr<br />

mittags Geil!<br />

Schmidener Straße 51<br />

70372 Bad Cannstatt / <strong>Stuttgart</strong><br />

Telefon 0711 / 900 53 91


LEBEN MIT HIV & <strong>AIDS</strong><br />

schlagen zwischen der infizierten und<br />

nicht infizierten Welt. Denn Bilder ermöglichen<br />

es uns, sich emotional mit<br />

den Erfahrungen der Betroffenen und<br />

ihrem Umfeld auseinander zu setzen.<br />

Wer aber war Konrad Lutz?<br />

Konrad Lutz wurde am 08. Oktober<br />

1955 in München geboren. Er wächst in<br />

einem gutbürgerlichen, musischen und<br />

katholischen Elternhaus auf und wird<br />

somit in einem dem Mittelstand zugeordneten<br />

Haushalt groß.<br />

Er besuchte das Ludwigs-Gymnasium in<br />

München und lernte dort seinen Mitschüler<br />

Claus Strigl kennen, mit dem<br />

ihn bald eine enge Freundschaft verband,<br />

die über all die Jahre seines<br />

Lebens anhalten sollte. Bei Familie<br />

Strigl lernte Konrad Menschen kennen,<br />

denen kritische Äußerungen, politische<br />

Meinungen wichtig waren. Hier wurde<br />

er zum erstenmal Mal mit einer liberalen<br />

Geisteshaltung konfrontiert, die ihn nicht<br />

mehr loslassen sollte. Der Tod seiner<br />

Mutter – er war zu dieser Zeit 17 Jahre<br />

alt – hat ihn dann auch mit seinem<br />

Vater entzweit, mit der Konsequenz,<br />

dass er auszog. Und man kann fast<br />

sagen, von nun an begann eine Odyssee<br />

in seinem Leben. Er lebte in einer<br />

34 I 35<br />

Wohngemeinschaft, mit seinem Freund<br />

Claus eröffnete er das Werkstattkino in<br />

der Frauenhofer Straße.<br />

1981 ging er dann mit seiner damaligen<br />

Freundin Sonja und drei weiteren<br />

Freunden nach Süditalien, dort sollte ein<br />

altes Bauernhaus renoviert werden, was<br />

sich aber als schwieriger als angenommen<br />

herausstellte. Auch als Biobauer<br />

verdiente er sich sein Geld; oder auf<br />

einer Baustelle, wo schwere körperliche<br />

Arbeit gefordert war.<br />

1983 wird Konrad Dialysepatient, seine<br />

Nieren arbeiten nicht mehr; 1984<br />

kommt dann die Diagnose HIV dazu.<br />

Infiziert wurde er durch eine Blutkonserve,<br />

die ihm verabreicht wurde. Er<br />

bekommt das Testergebnis im Rahmen<br />

einer Routineuntersuchung mitgeteilt.<br />

Seine Freundin Sonja trennt sich darauf<br />

hin von Ihm.<br />

1986 beginnt er sich in der <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong><br />

München zu engagieren; denn so, wie<br />

in der Öffentlichkeit mit dem Thema HIV<br />

zu dieser Zeit umgegangen wird, ist<br />

nicht seine Sache. Er organisiert erste inoffizielle<br />

Positiventreffen. Er ist mit seinem<br />

kritischen, aufklärenden Naturell nicht zu<br />

bremsen, auch nicht von der Krankheit.<br />

Mit seinem Filmprojek „Coming Out“<br />

einer filmischen Dokumentation des 2.<br />

Europäischen Treffens HIV-Positiver und<br />

<strong>AIDS</strong>-Kranker, vollzieht Konrad Lutz sein<br />

wohl ehrgeizigstes Projekt. Doch die<br />

Krankheit beginnt auch deutliche Spuren<br />

zu hinterlassen.<br />

Während eines Positiventreffens in<br />

Göttingen bricht Konrad zusammen und<br />

wird in ein Krankenhaus eingeliefert. Am<br />

3. Februar 1990 stirbt Konrad an den<br />

Folgen von <strong>AIDS</strong>.<br />

Bis zum 30.März 2007 können Bilder<br />

zum Motto „miteinander – füreinander“<br />

eingesendet werden. Eine unabhängige<br />

Jury aus Künstlern, Kuratoren und<br />

Journalisten wählt unter all den Einsendungen<br />

die 13 besten aus.<br />

Mitmachen dürfen HIV-Positive und ihr<br />

engstes Umfeld. Der erste Preisträger erhält<br />

1.500 €, der zweite 1.000 €, der<br />

dritte 800 €, und es gibt zehn Anerkennungspreise<br />

im Wert von 400 €. Im<br />

Internet wird dann auch noch öffentlich<br />

abgestimmt und dieser Online-Publikumspreis<br />

wird mit 800 € dotiert.<br />

M.Miniböck<br />

Wie kann man mitmachen?:<br />

Ausschreibungsunterlagen zum 6.Konrad-Lutz-Preis können unter der<br />

email-Adresse: klp@add-coop.de oder unter<br />

Telefonnummer: 089/18 93 85-50 angefordert werden und<br />

stehen als <strong>Download</strong> unter www.hi-info.de zur Verfügung.


MAGAZIN<br />

Sexuell übertragbare Erkrankungen<br />

Sex ist wie das Baden in einem Ozean voll Lust und Leidenschaft in dem dummerweise aber auch<br />

einige Riffe, Seeigel und Untiefen sind, die das Baden gefährlich machen können. Wer aber weiß, wo<br />

die Gefahren sind, der kann ihnen auch ausweichen.<br />

Diese Artikelserie soll also keineswegs den Spaß am Sex vermiesen, sondern, bildhaft gesprochen, verhindern,<br />

dass man in einen Seeigel tritt. Und wenn es dann doch passiert, was danach zu tun ist.<br />

FEIGWARZEN<br />

CONDYLOME/ HPV-INFEKTION<br />

ALLGEMEINES:<br />

Die meisten Menschen haben sie schon<br />

mal gehabt – jene fleischfarbenen<br />

Warzen (Chondylome), die plötzlich an<br />

den Füssen, Händen aber auch anderen<br />

Körperstellen auftauchen. Mal sind sie<br />

groß, mal klein, mal einzeln, mal<br />

gehäuft.<br />

Eines sind sie jedoch nicht: lediglich ein<br />

harmloses kosmetisches Problem.<br />

Ursache für die „Naturnoppen“ ist die<br />

36 I 37<br />

Infektion mit einem der vielen Arten des<br />

HUMAN PAPILLOMA VIRUS ( HPV ). Und<br />

einige dieser Arten haben es in sich und<br />

können als Spätfolge zu Gebärmutterhalskrebs<br />

(Zervixcarcinom) oder bestimmten<br />

Darmkrebserkrankungen (Rektumcarcinom)<br />

führen. Nicht immer<br />

führt eine HPV-Infektion zum Chondylom,<br />

doch bleibt der Virus ein Leben<br />

lang im Wirt – und etwa 10 % der deutschen<br />

Bevölkerung sind damit infiziert.<br />

ÜBERTRAGUNGSWEGE:<br />

Da enger, direkter (Schleim-) Hautkontakt<br />

als Übertragungsweg gilt, sind<br />

Kondome nur ein bedingter Schutz – auf<br />

den trotzdem auf gar keinen Fall verzichtet<br />

werden sollte.<br />

BEHANDLUNG: Um die Warzen loszuwerden,<br />

gibt es verschiedene Möglichkeiten,<br />

wie z.B. Salben, „wegfrieren“<br />

mittels Kältetherapie, Einsatz von Laser<br />

und dem „guten, alten“ Skalpell.


Ergänzend ist eine stressärmere, gesündere Lebensweise<br />

des Patienten<br />

anzustreben,<br />

denn Feig- und<br />

Dellwarzen sind<br />

nun mal auch<br />

eine opportunistische<br />

Infektion.<br />

Wie auch<br />

immer, die<br />

„Naturnoppen“<br />

sind nicht ungefährlich<br />

und<br />

gehören in die<br />

Behandlung eines erfahrenen Hautarztes.<br />

Mit der heutigen RAINBOW-Ausgabe endet die STD- Serie,<br />

in der einige der bekanntesten sexuell übertragbaren Erkrankungen<br />

vorgestellt wurden. Trotz all den „Riffen“ und<br />

„Untiefen“ im Ozean der Lust wünscht der Autor allen<br />

Lesern viel Spass beim „Baden“!<br />

Günter Trugenberger


MAGAZIN<br />

Ein ungewöhnlicher Lebenslauf<br />

Zwischen Leben und Tod.<br />

36 Jahre alt ist er und gut aussehend.<br />

Extrem gut aussehend. Armistead<br />

Maupin in „Tales of the City“, würde ihn<br />

als A-Klasse-Schwuchtel betiteln; eine<br />

von denen, die man auf jeder Party<br />

haben muss.<br />

Aber wir sind auf keiner Party. Wir befinden<br />

uns in den Räumen des Bestattungshauses<br />

Haller und Achim Eckhardt<br />

arbeitet hier. Er sieht gar nicht so aus,<br />

wie man sich einen Bestatter vorstellt.<br />

Achim trägt einen hellgrünen Pullover<br />

und eine dunkle Hose. An seiner Hand<br />

sitzt ein schmaler, dunkelroter Ring.<br />

Alles an ihm ist stimmig.<br />

Vor einem Jahr gab er seinen gut bezahlten,<br />

erfolgreichen 32 Stunden-Job<br />

bei VW in Kassel auf, um nach <strong>Stuttgart</strong><br />

zu seinem Freund zu ziehen und um<br />

eine Arbeit zu tun, die Sinn macht.<br />

Nachts um 2 Uhr von Frauen geweckt zu<br />

38 I 39<br />

werden, die ihm weinend vom Tod ihres<br />

Mannes berichten, um bis um 19 oder<br />

20 Uhr vor dem Computer zu sitzen und<br />

Trauerkarten zu drucken. Um sich Lebensgeschichten<br />

anzuhören, stundenlang, von<br />

Menschen, die er nie getroffen hat, um<br />

mit Menschen in Vorsorgegesprächen<br />

über ihren eigenen Tod zu reden.<br />

Er verdient weniger, arbeitet mehr und<br />

ist glücklicher als je zuvor. Achim ist<br />

Gründungsmitglied des Fördervereins<br />

der <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> Kassel und ist dort immer<br />

noch im Amt des Vorstands, hat beim<br />

Rosatelefon mitgearbeitet und war 17<br />

Jahre lang bei VW, hat dort gelernt,<br />

wurde für das Studium freigestellt, ist<br />

befördert worden und wieder befördert<br />

worden. So etwas gibt man nicht auf,<br />

vor allem nicht um Bestatter zu werden,<br />

um den ganzen Tag mit Leuten zu verbringen,<br />

die weinen, um ständig schwarz<br />

zu tragen und nur in Flüstertönen zu<br />

reden.<br />

Als er durch seinen Freund Hermann<br />

Bayer, der hier in <strong>Stuttgart</strong> Trauerfeiern<br />

und Hochzeiten gestaltet und Menschen<br />

in Trauer begleitet, eine etwas andere<br />

Bestatterin kennen lernt, öffnet sich für<br />

Achim eine neue Welt.<br />

Er entscheidet sich beim Bestattungshaus<br />

Haller ein einwöchiges Praktikum<br />

zu machen, um der Sache auf den<br />

Grund zu gehen, und merkt mit seiner<br />

ganzen Seele: Dafür wurde ich geschaffen.<br />

Alles was ich bis jetzt gelernt habe<br />

macht Sinn in Bezug auf diese Arbeit.<br />

Was ihn denn so an dieser Arbeit fasziniert,<br />

fragen wir. Er sieht nachdenklich<br />

aus, überlegt, und spricht dann eher<br />

reflektiert:<br />

Bilderquelle: www.photocase.com


Das Gefühl, dass man etwas tun kann,<br />

helfen kann, begleiten kann um einen<br />

guten, einen passenden Abschied zu<br />

ermöglichen. Und natürlich – er lächelt,<br />

die Dankbarkeit der Angehörigen. Noch<br />

nie in seinem Leben hat er soviel positive<br />

Rückmeldungen erhalten.<br />

Auch hat ihn diese Arbeit verändert. Er<br />

lebt bewusster, ist dankbarer für jeden<br />

Tag, den er erleben darf, nimmt das Gute<br />

nicht mehr als selbstverständlich hin,<br />

sondern als Geschenk. „Ich spüre meine<br />

eigene Endlichkeit und das tut manchmal<br />

weh, aber es macht das Leben<br />

kostbarer.“<br />

Gibt es denn keine Fälle die ihm schwer<br />

fallen, Fälle, die belasten, die einen<br />

nicht loslassen?<br />

Wenn eine Familie kurz vor Weihnachten<br />

ihren plötzlich jungen Vater verliert, drei<br />

Kinder zurückbleiben und das Trauergespräch<br />

unter dem Weihnachtsbaum<br />

stattfindet oder 300 Jugendliche bei<br />

einer Trauerfeier um ihre Mitschülerin<br />

weinen oder man die Aufgabe hat,<br />

Eltern die Asche ihres im Ausland<br />

ermordeten Sohnes zu übergeben, dann<br />

kann man das nicht so einfach wegstecken.<br />

Aber die Menschen, die wir begleiten<br />

müssen das auch aushalten und<br />

schließlich machen wir unsere Arbeit<br />

freiwillig. Der Austausch im Team, die<br />

regelmäßige Supervision und Fortbildungen<br />

helfen da sehr.<br />

Es ist ein sehr großes Geschenk und ein<br />

großer Vertrauensbeweis, derjenige sein<br />

zu dürfen, der den letzten Weg eines Menschen<br />

mitgestalten und betreuen darf.<br />

Andrea Haller


MAGAZIN<br />

Bücher, Bücher, Bücher<br />

Drachenläufer<br />

von Khaled Hosseini<br />

Mit seinem ersten Roman „Drachenläufer“<br />

ist Khaled Hosseini ein – wie ich<br />

meine – wirklich großartiges Buch<br />

gelungen: eine Geschichte die einen<br />

unwillkürlich in den Bann zieht und nicht<br />

mehr loslassen will.<br />

Die Geschichte beginnt 1975 in Kabul,<br />

Afghanistan, und beschreibt die schicksalhafte<br />

Verflechtung zweier Jungen,<br />

welche von dem was sie wirklich miteinander<br />

verbindet, nichts wissen. Trotz<br />

ihrer scheinbar unterschiedlichen Herkunft<br />

verbindet beide mehr als sie es<br />

jemals gewagt hätten zu denken. Es ist<br />

eine dramatische Geschichte in welcher<br />

Liebe, Hass, Leidenschaft, Verrat und<br />

der Versuch der Wiedergutmachung<br />

eine zentrale Rolle spielen. Es ist eine<br />

Geschichte, die im noch nicht besetzten<br />

Afghanistan spielt, eine Geschichte, die<br />

uns eintauchen lässt in die damals herrschenden<br />

Verhältnisse und uns beim<br />

lesen in Erstaunen versetzt, was aus<br />

einem Land und seinen Menschen werden<br />

kann. Die uns aber auch auf eindringliche<br />

Art und Weise zeigt zu was<br />

Freundschaft, der Wille zur Wiedergutmachung,<br />

fähig ist.<br />

40 I 41<br />

Fast ist man geneigt, zu glauben es handelte<br />

sich um eine Liebesgeschichte;<br />

und wenn man genau rein liest scheint<br />

es auch eine zu sein.<br />

Eine Ode an die Freundschaft, an ein<br />

Land, und an die Menschen die in dieser<br />

Geschichte eine Rolle spielen. Ein<br />

Buch, das trotz der im Buch beschrieben<br />

Umstände einen an das wirkliche Gute im<br />

Menschen glauben lässt und einen ein<br />

bisschen zum träumen verführt.<br />

Markus Miniböck<br />

Schlimme Engel<br />

von Eric Jourdan<br />

Der Autor Eric Jourdan, welcher ein<br />

Adapotivsohn von Julien Green war, hat<br />

diesen Roman im Alter von 17 Jahren<br />

geschrieben, um ihn sofort nach Erscheinen<br />

der Zensur zu opfern. Es<br />

bedurfte weiterer 30 Jahre, bis dieser<br />

hervorragende Roman wieder neu aufgelegt<br />

wurde. Jourdan wurde, wegen<br />

Unverschämtheiten, erotischen Eskapaden<br />

und anderen zu dieser Zeit als<br />

nicht schicklich geltenden Ereignissen<br />

von mehr als 10 Schulen verwiesen.<br />

Sein Werk umfasst neben Romanen<br />

auch Theaterstücke und Erzählbände.<br />

Heute lebt Jourdan in Paris.<br />

Die Liebe sollte uns noch lehren, dass<br />

sie den Stolz und alles andere mit<br />

Füßen tritt.<br />

Dies könnte ein Kern, um nicht zu sagen<br />

ein Schlüsselsatz sein, der den Inhalt<br />

und die Beziehung dieser zwei als<br />

außergewöhnlich schön bezeichneten<br />

Jugendlichen im Frankreich der 50er<br />

Jahre beschreibt.


In seinem Roman schreibt Jourdan von<br />

der Liebe zweier junger Männer , die in<br />

den Konvetionen der damaligen Zeit<br />

gefangen sind, deren Umwelt aber Ihre<br />

Neigung nicht verborgen bleibt. So gilt<br />

es nun, diese fast abgöttische Liebe, die<br />

Abhängigkeit voneinander, zu verbergen<br />

und doch zu geniessen. Bei dieser<br />

schwierigen Gradwanderung, seine<br />

eigenen Gefühle zu kontrollieren,<br />

kommt es einfach zu fatalen Situationen.<br />

So sind Aufruhr , Wut und Trauer<br />

die ständigen Begleiter dieser Beziehung.<br />

Gewalt, welche von Außen kommt, wird<br />

nun auch nach Innen zu einem Thema,<br />

fast ein Ritual, welches Raum zu schaffen<br />

scheint, die eigenen Gefühle zu<br />

unterdrücken oder zu kontrollieren.<br />

Das Buch besticht nicht nur durch seine<br />

Sprache, sondern auch durch die Wucht<br />

dessen, was geschieht und wie es<br />

geschieht.Ein Buch, das Wert ist gelesen<br />

zu werden.<br />

Markus Miniböck<br />

Missouri<br />

von Christine Wunnicke<br />

Auf der Flucht vor einem handfesten<br />

Skandal in London reisen Mitte des 19.<br />

Jahrhunderts der Dichter Douglas W.<br />

Fortescue und sein Bruder Jeremy mit<br />

einer Postkutsche durch den mittleren<br />

Westen. Auf dem Weg in ein neues<br />

Leben, jenseits der feinen Londoner<br />

Gesellschaft, wird die Kutsche plötzlich<br />

überfallen und Douglas wird von den<br />

Männern entführt. Der Anführer der<br />

Bande ist Joshua Jenkyns, ein wortkarger<br />

Sonderling mit einer Vorliebe für<br />

englische Lyrik. Nach und nach, mit<br />

wenigen Worten, schlichten Blicken und<br />

einfachen Gesten entsteht eine zärtliche<br />

Annäherung zwischen dem feinfühligen<br />

Dichter und seinem rauen Entführer, die<br />

Christine Wunnicke in schöner Sprache<br />

entfaltet.<br />

Dass dieses Buch nach dem großen<br />

Erfolg von „Brokeback Mountain“ vom<br />

Verlag mit einem Vergleich zum Film<br />

bzw. Buch beworben wurde („…Das<br />

deutsche Gegenstück zu „Brokeback<br />

Mountain“…), war naheliegend.<br />

Vermutlich war das auch der Grund<br />

warum die Erzählung, die bereits als <strong>Teil</strong><br />

von Wunnickes Romans „Fortescues<br />

Fabrik“ im Jahr 1998 erschien, jetzt in<br />

eigenständiger und leicht veränderter<br />

Form neu veröffentlicht wurde.<br />

Trotz aller Werbestrategien kann man<br />

als Leser froh sein, dass der Verlag<br />

diese Geschichte veröffentlicht hat.<br />

Christine Wunnicke erzählt hier eine<br />

wunderbar feinfühlige Geschichte, die<br />

sehr zu Herzen geht.<br />

Harald Mayer


MAGAZIN<br />

„STEHEN“<br />

Das neue Buch von Petrus Ceelen<br />

Wenn Ihr diese Zeilen lest, ist<br />

die Buchpräsentation von<br />

Petrus in LAURA’s Café zugunsten<br />

der <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> <strong>Stuttgart</strong> (AHS)<br />

am 27.10.2006 bereits vorbei.<br />

All die Jahre hat Petrus parallel zu seiner<br />

seelsorgerischen Arbeit in der<br />

Brücke e.V. Bücher geschrieben – er<br />

meint, dass er damit wohl Vieles aus<br />

seiner Arbeit verarbeitet und reflektiert,<br />

aber auch an uns weitergibt.<br />

Zwar hat Petrus mit seiner Arbeit in der<br />

Brücke aufgehört, aber er hat zum<br />

Glück nicht mit dem Schreiben aufgehört.<br />

Petrus hat uns aus Belgien einen<br />

Brief zu seinem Buch geschickt und<br />

Aus Petrus Ceelens Buch<br />

„STEHEN“<br />

17. Februar<br />

Du kannst mein Schicksal<br />

nicht auf dich nehmen.<br />

Du kannst mir mein Kreuz<br />

nicht abnehmen.<br />

Doch mit dir zusammen<br />

kann ich es tragen.<br />

Geteiltes Leid ist halbes Leid.<br />

42 I 43<br />

damit Ihr Lust darauf bekommt.<br />

Folgendes dazu:<br />

„STEHEN ist ein Buch, ein Wegbegleiter<br />

durch das Jahr: für jeden Tag ein<br />

Gedanke, ein Denkzettel, ein Anstoß.<br />

Die Texte wollen Weckrufe, Wachmacher<br />

sein: Komm, wach auf – jetzt ist<br />

die Zeit, heute ist der Tag. Was morgen<br />

ist, steht auf einem anderen Blatt.<br />

Jede Seite beginnt mit einem eigenen,<br />

oft eigentümlichen Text, drunter steht<br />

ein Satz, ein Zitat, ein Spruch, das den<br />

Tagestext weiterführt und vertieft ...“<br />

18. Februar<br />

Der fragende Mensch<br />

braucht eine Antwort,<br />

keine Worte.<br />

Der zweifelnde Mensch<br />

braucht Zuspruch,<br />

keine Sprüche.<br />

Der verzweifelte Mensch<br />

braucht Trost,<br />

keine Vertröstung.<br />

Das „Tagebuch“ des Seelsorgers Petrus<br />

macht Mut und will den LeserInnen helfern,<br />

das eigene Leben zu verstehen.<br />

Das Buch kostet 16,90 € und 5 € pro<br />

Buch gehen im Direktverkauf an<br />

die <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> <strong>Stuttgart</strong> (Verlag KBW,<br />

<strong>Stuttgart</strong>; 384 Seiten).<br />

Ein ganz großes und liebes DANKE-<br />

SCHÖN an Petrus und an alle, die das<br />

Büchlein kaufen!<br />

Ulrike Hallenbach,<br />

Vorstand der <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> <strong>Stuttgart</strong><br />

Der leidende Mensch<br />

braucht einen Mitmenschen,<br />

kein Mitleid.<br />

Ein Mitmensch ist ein Mensch, der<br />

mit anderen mitfühlt<br />

Und ihr Leid mit ihnen mitträgt. Es<br />

bleibt nicht nur beim<br />

Mitgefühl.<br />

Wer fühlt, was er sieht, tut, was er kann.


Bildquelle: www.photocase.com


MAGAZIN<br />

Filmtipps Titel: „Angels in America“ Regie: Mike Nichols<br />

Als Tony Kushner Anfang der 90<br />

Jahre sein zweiteiliges Theaterstück<br />

„Angels in America“<br />

schrieb, rechnete vermutlich niemand<br />

mit dem durchschlagenden Erfolg, den<br />

dieses Theaterstück weltweit haben<br />

würde. Einem Theaterabend, der Themen<br />

wie <strong>AIDS</strong>, HIV, Homosexualität und die<br />

Verlogenheit der Gesellschaft während<br />

der „Reagan-Ära“ zum Inhalt hat, gab<br />

man keine großen Chancen.<br />

Doch man irrte sich. Als das Theaterstück<br />

im Jahr 1993 nach Aufführungen<br />

und Theater-Workshops in San Francisco,<br />

London und Los Angeles endlich in New<br />

York aufgeführt wurde, war das Echo<br />

phänomenal. Es wurde mit Preisen (inkl.<br />

Pulitzer-Preis!) geradezu überschüttet.<br />

Über zehn Jahre später produzierte der<br />

amerikanische Pay-Kanal HBO die Filmversion<br />

des Bühnenstücks als 6-stündige<br />

Miniserie. Prominent besetzt mit Al<br />

Pacino, Meryl Streep, Emma Thompson<br />

und Mary-Louise Parker wurde auch die<br />

Fernsehfassung mit sämtlichen namhaften<br />

Preisen der amerikanischen Fernsehindustrie<br />

ausgezeichnet. Dabei ist die<br />

Geschichte von „Angels in America“<br />

nicht gerade leichte Kost und wirft noch<br />

dazu einen äußerst kritischen Blick auf<br />

die amerikanische Gesellschaft.<br />

44 I 45<br />

Erzählt wird darin u. a. die Geschichte<br />

von Prior Walter und Louis Ironson. Prior<br />

hat gerade von seiner HIV-Infektion erfahren<br />

und wird daraufhin von Louis<br />

verlassen. Louis findet schnell Trost bei<br />

Joe Pitt, einem verheirateten Republikaner/Anwalt/Mormonen.<br />

Joes Frau<br />

Harper wiederum hat eine kleine Vorliebe<br />

für Tabletten und zieht sich immer<br />

mehr in die Welt ihrer Halluzinationen<br />

zurück. Dabei kann es durchaus vorkommen,<br />

dass sie in ihrer Traumwelt<br />

auf Prior trifft, den sie ja eigentlich gar<br />

nicht kennt. Joe hingegen ist sich seiner<br />

Vorliebe für Männer bewusst, kann das<br />

aber mit seinem Glauben nicht unter<br />

einen Hut bringen. Noch dazu arbeitet<br />

Joe für den skrupellosen Politiker Roy<br />

Cohn, den er heimlich verehrt. Roy Cohn<br />

ist selbst an <strong>AIDS</strong> erkrankt, leugnet dies<br />

aber vor der Öffentlichkeit. Die offizielle<br />

Diagnose lautet Lungenkrebs…<br />

Roy Cohn gab es wirklich. In den fünfziger<br />

Jahren war er die rechte Hand von<br />

Senator McCarthy und maßgeblich an<br />

der Kommunistenverfolgung und Diskriminierung<br />

in Amerika beteiligt. Er starb<br />

1986 an den Folgen seiner HIV-Infektion<br />

und gilt wegen seiner Skrupellosigkeit<br />

und Verlogenheit noch heute in<br />

der amerikanischen Gay-Community als<br />

eine Art „Schwuler Antichrist“!<br />

Vermutlich hört sich das Ganze jetzt für<br />

den einen oder anderen Leser etwas<br />

verwirrend an. Es ist auch nicht ganz<br />

einfach, den gesamten Inhalt der Geschichte<br />

in ein paar Zeilen zu erzählen.<br />

Ich empfehle daher einfach, sich die<br />

komplette Serie einmal auf DVD anzusehen<br />

und die Geschichte auf sich wirken<br />

zu lassen. Schwule Männer, tablettensüchtige<br />

Frauen, korrupte Politiker,<br />

tote Kommunisten, die als Geist erscheinen,<br />

Krankenpfleger mit langen<br />

Fingern, ein verwirrter Engel (grandios:<br />

Emma Thompson!), eine überforderte<br />

Mormonenmutter, ein Blick ins Jenseits,<br />

tolle Bilder, zynische Dialoge und ein<br />

kritischer Blick auf Amerika machen das<br />

Werk für mich zu einem wirklichen<br />

Fernseherlebnis!<br />

Leider brachte die Serie bei der Ausstrahlung<br />

im deutschen Fernsehen<br />

(ARD) im letzten Jahr nicht die erhofften<br />

Einschaltquoten. Darum wird es vermutlich<br />

eine Weile dauern, bis man die<br />

Serie wieder im Fernsehen zu sehen<br />

bekommt.<br />

Harald Mayer


§<br />

Das soziale Sicherungssystem nach Hartz IV<br />

POLITIK<br />

46 I 47<br />

von Rechtsanwalt Stefan Weidner, <strong>Stuttgart</strong><br />

Seit dem 01.01.2005 kam es zu<br />

einer grundlegenden Veränderung<br />

der sozialen Sicherungs-<br />

ausläuft oder von vorneherein kein<br />

Anspruch auf ALG I besteht, z.B. wegen<br />

zu geringen Beitragszeiten zur Arbeitssysteme<br />

in Deutschland. Betroffen hierlosenversicherung oder früherer Selbsvon<br />

sind alle arbeitslosen und dauerhaft<br />

kranken Menschen in Deutschland.<br />

tändigkeit.<br />

Das SGB II sieht nunmehr ausdrücklich<br />

Das Grundkonzept der Hartz IV-Reform Zumutbarkeitsregelungen vor, die nach-<br />

beruht darauf, dass die bisherige haltig in die bisherigen Besitzstände der<br />

Arbeitslosenhilfe abgeschafft wurde und Leistungsbezieher eingreifen. So setzt<br />

durch das sog. Arbeitslosengeld II er- der Bezug von SGB II eine Hilfssetzt<br />

wurde. Es wurde des weiteren eine bedürftigkeit voraus, die dazu führt,<br />

Unterscheidung zwischen „arbeitsfähi- dass vor einem Leistungsbezug das<br />

gen“ Personen vorgenommen und Per- gesamte Einkommen und ein großer <strong>Teil</strong><br />

sonen die nicht mehr arbeitsfähig sind. des bisherigen Vermögens verwertet<br />

Personen, die gesundheitlich als „noch“ werden muss. Hinzu tritt, dass eine<br />

arbeitsfähig gelten, erhalten das Arbeits- Leistungspflicht Dritter eingeführt<br />

losengeld II nach dem SGB II und wer- wurde, die dazu führt, dass Personen,<br />

den in die Zuständigkeit der Bundes- die mit dem <strong>Hilfe</strong>suchenden in einer<br />

agentur für Arbeit (JobCenter) verlagert. sog. Bedarfsgemeinschaft zusammenle-<br />

Personen, die nicht als arbeitsfähig gelten,<br />

erhalten nunmehr die sog. Grundben<br />

(wie Partner, Lebenspartner, Eltern<br />

sicherung nach dem SGB XII und komzogen werden.<br />

men in die Zuständigkeit des örtlichen<br />

Sozialamtes.<br />

§<br />

Leistungen nach dem SGB II:<br />

Die Leistungen nach SGB II gehen dabei Die Leistungen des ALG II bestehen<br />

sämtlichen Leistungen nach dem SGB aus einem Satz zu „Sicherung des<br />

XII vor. D.h. solange jemand als arbeits- Lebensunterhalt“, der in etwa dem Satz<br />

fähig angesehen wird erhält er aus- der bisherigen Sozialhilfe entspricht und<br />

schließlich Leistungen nach dem SGB II, den Leistungen für Unterkunft und<br />

nicht aber nach dem SGB XII. Der Bezug Heizung. Hinzu kommen in Ausnahme-<br />

von ALG II greift nunmehr dann ein fällen Mehrbedarfszuschläge sowie die<br />

wenn der Bezug von Arbeitslosengeld I Übernahme der Sozialversicherungs-<br />

und Kinder) zur Unterstützung herange-<br />

§<br />

§<br />

§<br />

beiträge für Kranken- Pflege- und<br />

Rentenversicherung.<br />

Durch eine Umstellung auf pauschalisierte<br />

Leistungen ist nach dem SGB II<br />

die Gewährung von Sonderleistungen<br />

nunmehr weitgehend ausgeschlossen.<br />

Das größte Problem für Menschen mit<br />

HIV und <strong>AIDS</strong> entsteht durch die Zuständigkeitsverlagerung<br />

des gesamten<br />

Bereichs der arbeitsfähigen Leistungsempfänger<br />

zur Bundesagentur für Arbeit.<br />

Es hat sich nämlich gezeigt, dass dies<br />

für die Betroffenen häufig erhebliche<br />

Probleme mit sich bringt, wenn das<br />

JobCenter davon erfährt, dass ein<br />

Leistungsempfänger HIV-positiv ist, sich<br />

der entsprechende Sachbearbeiter oft<br />

nicht mehr um eine Vermittlung einer<br />

Arbeitsstelle bemüht oder berufliche<br />

Rehabilitationsmaßnahmen nicht mehr<br />

bewilligen will. Hindergrund sind irrationale<br />

Vorurteile und die Vorstellung man<br />

könne einem Arbeitgeber keinen<br />

Menschen mit HIV vermitteln. Das<br />

Problem entsteht dadurch, dass durch<br />

die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlag,<br />

z.B. wegen kostenaufwendiger<br />

Ernährung, was bei HIV regelmäßig<br />

notwendig ist und gewährt wird, der<br />

Bundesagentur für Arbeit, ohne dass es<br />

der Betroffene will, seine HIV-Infektion<br />

bekannt wird.


§ Grundsicherung nach dem SGB XII:<br />

Diese Leistungen sehen eine <strong>Hilfe</strong><br />

zum Lebensunterhalt in Form von<br />

Regelsätzen sowie die notwendigen<br />

Leistungen für Unterkunft und Heizung<br />

vor. Für Personen die das 65. Lebensalter<br />

vollendet haben und deren Renten<br />

nicht ausreichend sind, ist nunmehr<br />

eine Grundsicherung im Alter vorgesehen,<br />

die eine Art Aufstockung der Rente<br />

darstellt.<br />

Menschen, die wegen ihrer HIV-<br />

Infektion oder <strong>AIDS</strong> nicht mehr erwerbsfähig<br />

sind, aber keine oder nur eine<br />

geringe Rente aus den Rentenversicherungssystemen<br />

erhalten, erhalten i.d.R.<br />

Leistungen der sozialen Grundsicherung.<br />

Ein Problem bei der sozialen<br />

Grundsicherung ist häufig die Frage,<br />

wann volle Erwerbsminderung vorliegt<br />

und wann noch eine Erwerbstätigkeit<br />

zugemutet werden kann. Die Frage ob<br />

jemand erwerbsgemindert ist, wird<br />

dabei auf Ersuchen des Trägers der<br />

Grundsicherung durch den zuständigen<br />

Rentenversicherungsträger untersucht.<br />

Der Dschungel der unterschiedlichen<br />

Träger und Zuständigkeiten ist hier für<br />

die Betroffenen oft ein großes Problem,<br />

um ihre berechtigten Leistungen anzumelden<br />

und zu erhalten.<br />

Bildquelle: www.photocase.com


POLITIK<br />

„Pillen statt Profit“ wird zur<br />

„Landschaft der Solidarität“<br />

Mitmachaktion in den Nachrichten<br />

Bildquelle: Aktionsbündnis gegen <strong>AIDS</strong><br />

Massenhaft Schachteln falten,<br />

im Dienst eines wichtigen<br />

Anliegens? Zehn Tage emsiges<br />

Treiben in den Räumen der Gemeinde<br />

Lietzensee in Berlin brachten<br />

das große Kunststück fertig: Am 11.<br />

August 2006 entstand, im Vorfeld der<br />

Welt-<strong>AIDS</strong>-Konferenz in Toronto, auf dem<br />

Breitscheidtplatz in Berlin eine 100 qm<br />

große „Landschaft der Solidarität“.<br />

Beim ersten Druckauftrag über 100.000<br />

leere, an Medikamentenschachteln angelehnte<br />

Papphüllen, hatte sich niemand<br />

diesen Erfolg vorstellen können.<br />

Mit Energie und Kreativität sammelten<br />

<strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong>n, Frauenverbände, entwikklungspolitische<br />

Gruppen, Gemeinden<br />

und Initiativen in nur 15 Monaten über<br />

280.000 Unterschriften. Die zentralen<br />

Anliegen der Mitmach-Aktion „Pillen<br />

statt Profit“ sind die Bereitstellung von<br />

48 I 49<br />

angepassten Dosierungen zur Behandlung<br />

von Kindern, bezahlbare Preise<br />

sowie der verbindliche Verzicht auf die<br />

Durchsetzung von Patenten in ärmeren<br />

Ländern.<br />

Mittags um fünf vor zwölf übergab das<br />

Aktionsbündnis gegen <strong>AIDS</strong> öffentlich<br />

die gesammelten Unterschriften an<br />

einen Vertreter des Verbandes der<br />

Forschenden Arzneimittelhersteller. Informiert<br />

und eingeladen hatte das<br />

Bündnis sieben führende Hersteller von<br />

<strong>AIDS</strong>-Medikamenten. Dass sich fast alle<br />

Unternehmen zwei Tage vor Beginn der<br />

Welt-<strong>AIDS</strong>-Konferenz dem Angebot zum<br />

Dialog verweigerten, legt leider das<br />

geringe Engagement der Pharmaindustrie<br />

offen. Die Unterstützung von<br />

ehrenamtlichen Helfern war dagegen<br />

bis in die heiße Phase kurz vor der<br />

Übergabe und darüber hinaus enorm.<br />

Mehr als 200 ehrenamtlich engagierte<br />

Menschen falteten und klebten vom<br />

1. bis 10. August in den Räumen der<br />

Gemeinde Lietzensee mit Unterstützung<br />

von Kirche PositHIV und unter der<br />

Anleitung des Künstlers Walbrodt alias<br />

Daniel Hoernemann, die unterschriebenen<br />

Schachteln zu 60 Bausteinen von<br />

einem Kubikmeter Volumen. 180 kg<br />

Leim, 60 Sperrholzbretter, 300 Holzklötze,<br />

1000 Schrauben und 25 Meter<br />

Messingdraht wurden insgesamt verarbeitet.<br />

Die dabei entstandenen Gespräche<br />

und Geräusche wurden aufgenommen<br />

und zu einer Soundcollage<br />

zusammengeschnitten. Jeder Mithelfer<br />

wurde namentlich dokumentiert.<br />

Erfreulich war das überaus rege<br />

Medieninteresse, insbesondere der<br />

Agenturen, der Berliner Radiosender<br />

und des Regionalsenders RBB. Dass<br />

diese Aktion als Nachricht wahrgenommen<br />

und in der ARD Tagesschau sowie<br />

in den ZDF Heute Nachrichten und dem<br />

Heute Journal gesendet wurde, spricht<br />

hoffentlich für ein wachsendes Interesse<br />

an HIV/<strong>AIDS</strong> als ein Thema, das uns alle<br />

angeht.<br />

Susanne Mittendorf,<br />

Aktionskoordinatorin beim Aktionsbündnis<br />

gegen <strong>AIDS</strong><br />

Bildquelle: www.photocase.com


Bildquelle: Aktionsbündnis gegen <strong>AIDS</strong><br />

Von Anfang an engagiert dabei.<br />

Immer bestsortiert,<br />

fachlich up to date.<br />

Mit dem freundlichen und<br />

patientenorientierten Team.


POLITIK<br />

Du trinkst Kaffee, ich Tee...<br />

Liebe trotz Bomben im Nahen Osten – ein Interview mit Marwan und Ulrich<br />

Marwan, 36 Jahre, Webdesigner,<br />

geboren in Beirut und sein<br />

Freund Ulrich, 42 Jahre,<br />

Architekt, geboren in Schwäbisch Hall –<br />

wollten im August u. a. zu einem internationalen,<br />

schwulen Bärentreffen<br />

(„Bear Arabica“, ursprünglich geplant<br />

für den 18-20. August, siehe www.lebtour.com)<br />

nach Beirut fahren und freuten<br />

sich schon darauf. Doch es kam –<br />

wie so oft im Leben – ganz anders...<br />

Den Libanon „20 Jahre zurückbomben“<br />

kündigte der israelische Generalstabchef<br />

nicht nur in Worten an (Deutschlandfunk,<br />

RAINBOW: Lieber Marwan und Ulrich,<br />

wie habt ihr die letzten Wochen erlebt?<br />

Marwan: Meine Gedanken waren natürlich<br />

in Beirut bei meiner Familie und bei<br />

meinen Freunden. Mit Entsetzen, in<br />

Trauer und Wut habe ich die Nachrichten<br />

verfolgt.<br />

50 I 51<br />

Bildquelle: www.photocase.com<br />

Bildquelle: www.photocase.com<br />

Themen der Woche, 12.8.06): „Die Infrastruktur<br />

des Libanon ist weitgehend zerstört.<br />

Straßen, Brücken, Häfen, der<br />

Beiruter Flughafen, lebenswichtige Einrichtungen<br />

wie Kraft- und Wasserwerke,<br />

Krankenhäuser und Schulen, Radiound<br />

Fernsehstationen. Die Bombardierung<br />

von Öltanks löste eine der größten<br />

Umweltkatastrophen im Mittelmeer<br />

aus. Über 1100 Tote, ein Drittel davon<br />

Kinder, Hunderte Tote in Israel und<br />

Gaza, viele Tausende Menschen verletzt<br />

und verstümmelt, Hunderttausende<br />

traumatisiert. Rund eine Million, ein<br />

Viertel der libanesischen Bevölkerung,<br />

In den letzten Jahren hat sich der<br />

Libanon hoffnungsvoll entwickelt. Das<br />

Land war geprägt von einem Boom in<br />

allen Bereichen, sei es in der Wirtschaft<br />

oder im sozialen Leben. Das hat sich<br />

auch darin gezeigt, dass es inzwischen<br />

– trotz offiziell noch bestehender,<br />

repressiven Gesetzgebung – eine<br />

war auf der Flucht. Sie kehren unter<br />

hohem Risiko in ihre Heimatorte zurück,<br />

wo sie ein unerträgliches Ausmaß an<br />

Zerstörung und gefährliche Reste israelischer<br />

Streubomben erwarten.<br />

Mindestens 15.000 zerstörte oft zwölfstöckige<br />

Wohnhäuser, ganze Stadtteile<br />

und Dörfer. Auch auf israelischer Seite<br />

mussten Menschen fliehen, wurden<br />

Zivilpersonen getötet und verletzt und<br />

Häuser zerstört, doch die große Schieflage<br />

kann niemand leugnen.“ heißt es in<br />

einem Flugblatt des <strong>Stuttgart</strong>er Aktionsbündnis<br />

Libanon-Krieg.<br />

äußerst lebendige Schwulenszene mit<br />

zahlreichen Kneipen, Bars, Discos,<br />

Hamams und einen Gay Beach gibt.<br />

Ulrich: Im letzten Sommer waren wir<br />

beispielsweise bei einer riesigen Beach<br />

Party. Ich hätte nicht erwartet, dass<br />

Schwule und Heteros in der arabischen


Welt so ausgelassen und unvoreingenommen<br />

miteinander feiern können.<br />

Marwan: Mit dem Krieg schien alles zerstört<br />

oder mindestens um Jahre zurükkgeworfen<br />

zu sein. Mich hat das in meiner<br />

gesamten Lebensplanung verunsichert,<br />

weil ich nicht mehr weiß, ob ich<br />

jemals dort wieder leben kann und will.<br />

Bereits 1982 hat Israel unser Land zerstört.<br />

Wenn wir jetzt alles wieder im<br />

Libanon aufbauen, wer sagt uns, dass<br />

Israel nicht erneut unser Land überfällt<br />

und zerstört?<br />

RAINBOW: Worin seht ihr die Ursache<br />

dieser schlimmen Entwicklung?<br />

Marwan: Die Begründung Israels, die<br />

Befreiung von zwei entführten Soldaten,<br />

halte ich für einen Vorwand. Um zwei<br />

entführte Soldaten zu befreien, muss<br />

man nicht ein ganzes Land zerstören<br />

und Kriegsverbrechen an Tausenden<br />

unschuldigen Menschen begehen. Auch<br />

braucht man deswegen weder Streunoch<br />

Phosphorbomben anzuwenden. Was<br />

die wirklichen Kriegsgründe angeht, da<br />

vertraue ich eher dem amerikanischen<br />

Journalisten Hersh der Zeitschrift „New<br />

Yorker“, der aufgezeigt hat, dass Israel<br />

diesen Krieg in Abstimmung mit der US-<br />

Regierung von langer Hand vorbereitet<br />

hatte (siehe hierzu auch: www.spiegel.de/politik/ausland/0.1518.druck-<br />

431774).<br />

Die Offensive im Libanon gilt demnach<br />

in Washington als Testlauf für einen<br />

möglichen Iran-Krieg, bei dem die<br />

Bush-Regierung sich vorbehält, Atomwaffen<br />

einzusetzen, was allerdings auch<br />

unter amerikanischen Militärs umstritten<br />

ist.<br />

Der mit riesigen Rohstoff- und Energiereserven<br />

bestückte Raum zwischen<br />

Afrika und Asien ist leider für die multinationalen<br />

Energie-Konzerne sehr interessant<br />

und die spielen in der US-<br />

(Außen-)Politik eine wichtige Rolle.<br />

Allein der Iran verfügt nach Russland<br />

über die zweitgrößten Erdgasreserven<br />

der Welt. Er liegt mit 70 Millionen<br />

Einwohnern genau zwischen Irak und


POLITIK<br />

Afghanistan, welche bereits von Besatzungs-Truppen<br />

besetzt sind. Vor<br />

allem die US-Regierung strebt nach der<br />

vollständigen Kontrolle der Region.<br />

Ulrich: Die UNO-Vollversammlung hatte<br />

am 29. November 1947 in einer Resolution<br />

Palästina in einen jüdischen<br />

Staat und in einen palästinensischarabischen<br />

Staat geteilt. Zum Zeitpunkt<br />

der Gründung des Staats Israel standen<br />

609.000 Juden etwa 1,38 Millionen<br />

Palästinensern gegenüber. Die Gründung<br />

eines palästinensischen Staates wird<br />

bis heute durch eine völkerrechtswidrige<br />

Besatzungspolitik Israels verhindert.<br />

Mittlerweile gibt es etwa 7,2 Millionen<br />

palästinensische Flüchtlinge – das sind<br />

ca. 74 % der palästinensischen Bevölkerung.<br />

In mehr als 130 UNO-Resolutionen<br />

bestätigte die UNO-Vollversammlung<br />

das Rückkehrrecht dieser<br />

Flüchtlinge. Doch Israel wird von den<br />

USA und auch von der Bundesregierung<br />

nicht einmal öffentlich getadelt, wenn<br />

es solche Resolutionen schlicht ignoriert.<br />

Kein Verständnis habe ich dafür, dass<br />

unsere Regierung die israelische<br />

Militär- und Kriegspolitik durch<br />

52 I 53<br />

Waffenlieferungen im Wert von über<br />

einer Milliarde Euro unterstützt. So<br />

wurde beispielsweise jüngst ein Vertrag<br />

über die Lieferung von zwei deutschen<br />

U-Booten modernster Bauart unterzeichnet,<br />

die sogar Atomwaffen tragen<br />

können. Wer als angeblich neutraler<br />

Schiedsrichter glaubwürdig sein will,<br />

kann nicht dem einen Kontrahenten in<br />

großem Umfang Waffen liefern und<br />

gleichzeitig gegen den anderen eine<br />

Blockade errichten. Außerdem stellt sich<br />

die Frage, warum die UN-Soldaten nur<br />

auf libanesischem Gebiet und nicht auf<br />

beiden Seiten der Grenze eingesetzt<br />

werden.<br />

RAINBOW: Der Zentralrat der Juden<br />

warf der SPD-Politikerin Heidemarie<br />

Wieczorek-Zeul vor, sie unterstützte<br />

eine antisemitische Stimmung, weil sie<br />

den Einsatz von Streubomben durch<br />

Israel im Libanon kritisiert hat, was für<br />

eine breite Diskussion gesorgt hat. Wie<br />

ist Eure Haltung dazu?<br />

Ulrich: Leider wird eine solche Kritik oft<br />

und meist zu Unrecht als antisemitisch<br />

diffamiert. Es gibt viele jüdische Stimmen,<br />

die ebenso diese Kriegspolitik verurteilen.<br />

Dafür will ich drei Beispiele nennen:<br />

Das erste Beispiel ist die Verweigerung<br />

des Kriegseinsatzes im Libanon durch<br />

hunderte Soldaten und Reservisten der<br />

israelischen Armee. Einige von ihnen<br />

wurden deshalb inhaftiert. Die israelischen<br />

Organisationen „New Profile“ und<br />

„Yesh Guvl“ verbreiteten diese Informationen<br />

und organisieren die Solidarität<br />

mit mutigen Menschen, die<br />

Strafen durch den israelischen Staat<br />

riskieren. Zu ihnen gehört der Hauptfeldwebel<br />

Omri Zeid, der sich weigerte,<br />

dem Befehl nachzukommen, 150<br />

Raketen auf das libanesische Dorf<br />

Mjadara abzufeuern. Zeid erklärte: „Ich<br />

bin nicht bereit, <strong>Teil</strong> einer Armee zu<br />

sein, die auf Frauen und Kinder<br />

schießt.“ (www.conncetion-ev.de).<br />

Das zweite Beispiel ist Prof. Dr. Fanny-<br />

Michaela Reisin, deren Großeltern im KZ<br />

von den Nazis ermodert wurden und die<br />

sich gegen den Missbrauch des Andenkens<br />

an die Toten des Holocaust auf<br />

der Demonstration „Stoppt den Krieg in<br />

Libanon und Gaza“ am 12. August 2006<br />

in Berlin als Vertreterin der „Jüdischen<br />

Stimme für einen gerechten Frieden in<br />

Nahost“ ausgesprochen hat. Sie hielt<br />

eine Rede „Nicht in meinem / nicht in<br />

unserem Namen“, die sehr viele


Menschen berührt hat und die man im<br />

Internet nachlesen kann (www.juedische-stimme.de<br />

oder www.friedenskooperative.de/themen/nahost47.htm).<br />

Das dritte und letzte Beispiel für Auflehnung<br />

von Juden gegen die aktuelle<br />

israelische Politik, das ich nennen<br />

möchte, war in der September-Ausgabe<br />

der Schwulenzeitschrift Box (Nr. 159) zu<br />

lesen: Dort wird berichtet, dass am<br />

10. August 200 Schwule, Lesben und<br />

Transgender im Jerusalemer Liberty Bell<br />

Park einen stillen Protest durchführten,<br />

nachdem der Worldpride 2006, der in<br />

Jerusalem stattfinden sollte, wegen des<br />

Krieges abgesagt wurde. Dabei soll es<br />

zu Rangeleien mit der Polizei gekommen<br />

sein, da auch Plakate gegen den<br />

Libanon-Krieg getragen wurden. Ein<br />

Demonstrant wurde verhaftet, weil er<br />

eine palästinensische Flagge trug.<br />

Weiter wurde berichtet, dass in ultraorthodoxen<br />

(jüdischen) Stadtvierteln<br />

Plakate gehangen hätten, die jedem<br />

4.500 Dollar Belohnung versprachen,<br />

der einen Schwulen tötet.<br />

RAINBOW: Wie sieht es im Libanon mit<br />

solchen Schwulenhassern aus? Angeblich<br />

wies der schiitische Religionsführer<br />

Sayyed Mohammed Hussein<br />

Fadlallah im August 2003 darauf hin,<br />

dass Homosexuellen nach seinem Verständnis<br />

in einem islamischen Gottesstaat<br />

die Todesstrafe droht.<br />

Marwan: Es gibt viele Libanesen, die<br />

Schwulen und Lesben gegenüber sehr<br />

offen und tolerant sind, besonders die<br />

jüngeren Leute. Leider trifft man auch<br />

auf gegenteilige Ansichten.<br />

Ulrich: Was Schwule angeht, scheinen<br />

sich die ultra-orthodoxen Juden und die<br />

fundamentalistischen Schiiten der<br />

Hisbollah hervorragend zu verstehen.<br />

Das sollte uns Schwule weltweit zu<br />

einer guten Zusammenarbeit gegen<br />

diese bedrohliche Homophobie herausfordern.<br />

Im Iran wurden seit 1982<br />

angeblich ca. 3000 Schwule hingerichtet<br />

– so heißt es in der neuen Veröffentlichung<br />

„Respekt“ des Lesben-/Schwulenverbandes<br />

Deutschland (LSVD, siehe<br />

www.lsvd.de) vom September 2006.<br />

Wie der Krieg im Gaza und Libanon,<br />

dürfen uns diese Hinrichtungen hierzulande<br />

nicht unberührt lassen!<br />

RAINBOW: Hinrichtungen, Kriege –<br />

Menschen sterben weltweit auch noch<br />

an tödlichen Krankheiten wie z. B. HIV<br />

und <strong>AIDS</strong>. Im Zusammenhang mit der<br />

weltweiten Epidemie <strong>AIDS</strong> hören wir nur<br />

selten Nachrichten aus dem arabischen<br />

Raum. Was sind Eure Eindrücke über<br />

den Umgang mit HIV und <strong>AIDS</strong> im<br />

Libanon und in anderen arabischen<br />

Ländern?<br />

Marwan: Führende moslemische wie<br />

christliche Geistliche lehnen in Beirut<br />

Safer-Sex-Aufklärung ab und sehen<br />

<strong>AIDS</strong> als Problem des „unmoralischen“<br />

Westens. Egal, wie wir bestehende<br />

Tatsachen wie Prostitution, Promiskuität,<br />

Drogen, Analverkehr und Homosexualität<br />

in der arabischen Welt bewerten,<br />

es wird nach wie vor von moslemischer<br />

wie christlicher Seite versucht,<br />

diese Realität einfach nicht wahrhaben<br />

zu wollen und HIV nur als Probleme des<br />

westlichen Lebensstils und der westlichen<br />

Welt zu sehen. Dabei ist gerade<br />

Beirut eine Hochburg der Prostitution<br />

und des Sextourismus, besonders aus<br />

den Golfstaaten.<br />

Ulrich: Zwischen einer halben und einer<br />

Million HIV-Infizierte sollen in den arabischen<br />

Ländern leben. Dies zeigt, dass<br />

die Verbreitung von <strong>AIDS</strong> in der Region<br />

zwar noch nicht die Ausmaße angenommen<br />

hat, wie es in anderen <strong>Teil</strong>en der<br />

Welt der Fall ist, dass sie andererseits


POLITIK<br />

jedoch ernst genommen werden muss,<br />

da die Voraussetzungen für eine ähnliche<br />

Entwicklung wie in der westlichen<br />

Welt durchaus gegeben sind, wenn<br />

nicht mehr Präventions- und Antidiskriminierungsarbeit<br />

in diesen Ländern<br />

geleistet wird. „Augen zu“ hilft bekanntlich<br />

bei HIV und <strong>AIDS</strong> nicht.<br />

RAINBOW: Habt ihr abschließend einen<br />

Wunsch, den Ihr unseren LeserInnen<br />

über das RAINBOW mitteilen wollt?<br />

Ulrich: Eine Zusammenarbeit und einen<br />

intensiven Meinungsaustausch zwischen<br />

jüdischen, arabischen und deutschen<br />

Lesben und Schwulen würde ich<br />

sehr begrüßen. Die Proklamation von<br />

Anerkennung und Völkerfreundschaft z.<br />

B. im Rahmen des CSD wäre eine gute<br />

V eranstaltungshinweis<br />

54 I 55<br />

Folklorefest am Tag der Internationalen<br />

Solidarität mit dem palästinensischen<br />

Volk<br />

Mit dabei:<br />

• Tarab (palästinensische Musikgruppe aus der<br />

Schweiz)<br />

• Palästinensische Folkloregruppe aus Wien<br />

• Grup Siar (türkische Musikgruppe)<br />

KULTURHAUS ARENA<br />

Ulmer Str. 241 <strong>Stuttgart</strong>-Wangen<br />

Am 03.12.2006, Einlass ab 15 Uhr<br />

Veranstalter: Arabischer Kulturclub<br />

Unterstützer: Aktionsbündnis gegen den Krieg in<br />

Palästina und Libanon<br />

Sache. Es darf nicht sein, dass wir uns<br />

nach Herkunft, sexueller Orientierung<br />

oder Weltanschauung/Glauben auseinander<br />

dividieren lassen.<br />

Marwan: Wir hoffen, dass jetzt nach dem<br />

Krieg der stärkere Einfluss der Hisbollah<br />

nicht zu größeren Repressionen gegen<br />

Lesben und Schwule im Libanon führt.<br />

In Beirut gibt es unseres Wissens die<br />

einzige Organisation in der arabischen<br />

Welt, die für die Rechte von Lesben und<br />

Schwule offen eintritt. Sie heißt Helem,<br />

was auf deutsch „Traum“ bedeutet<br />

(www.helem.net). Helem gibt beispielsweise<br />

seit letztem Jahr das erste arabische<br />

Schwulen- und Lesbenmagazin<br />

Barra („Out“) heraus. Und Helem führte<br />

am 31. Mai dieses Jahres erstmals eine<br />

Versammlung anlässich des ersten<br />

Internationalen Tages gegen Homophobie<br />

in einem Beiruter Hotel am Meer<br />

durch. Daran nahmen 200 Leute teil,<br />

schwul und hetero. Die Gruppe hat dabei<br />

den Film „Ich existiere“ gezeigt, eine<br />

Dokumentation über Homosexuelle aus<br />

dem Mittleren Osten, den ich gerne einmal<br />

bei einem CSD in Deutschland sehen<br />

würde. Sie hat Anstecker und Flugblätter<br />

mit der Parole verteilt, die mich stark an<br />

das diesjährige CSD-Motto in <strong>Stuttgart</strong><br />

„Bist Du auch normal?“ erinnert hat:<br />

„Du trinkst Kaffee, ich Tee. Heißt das,<br />

einer von uns ist pervers?“<br />

Wir bedanken uns im Namen der RAIN-<br />

BOW-Redaktion bei Marwan und Ulrich<br />

für das Gespräch<br />

Ralf Bogen und Dietmar Wagner<br />

WEIDNER &COLLEGEN<br />

Anwaltskanzlei<br />

Schloßstr. 57 B<br />

70176 <strong>Stuttgart</strong><br />

Tel. 0711/61 55 67-0<br />

Fax 0711/61 55 67-25<br />

E-Mail: RA@weidner-collegen.de<br />

Internet: www.weidner-collegen.de


In enger Zusammenarbeit mit 10 <strong>Stuttgart</strong>er Szene-Clubs und Diskotheken informiert das<br />

Rauschgiftdezernat der <strong>Stuttgart</strong>er Polizei auf ihrer Homepage über synthetische Drogen, deren<br />

Begleiterscheinungen, den Risiken des Konsums und den möglichen Folgen.<br />

Auf der Homepage finden sich auch mehrere „Links“ zu örtlichen Drogenhilfeeinrichtungen.<br />

Individuelle Fragen können per e-mail an uns gerichtet werden.<br />

Auf Wunsch bieten wir auch Informationsveranstaltungen an.


<strong>AIDS</strong> GLOBAL<br />

Time to deliver – es ist Zeit, zu Handeln!<br />

Welt-<strong>AIDS</strong>-Konferenz von13.- 18. August in Kanada mit 24.000 <strong>Teil</strong>nehmern<br />

„Was gab es Neues in Toronto?“ – das war eine der häufigen Fragen in den <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong>n und bei<br />

Betroffenen nach der Internationalen <strong>AIDS</strong>-Konferenz in Kanada.<br />

Im medizinischen Bereich<br />

gab es zum Thema Impfstoff gegen HIV<br />

die Nachricht, die wir schon seit einigen<br />

Jahren hören: es gibt noch keinen Durchbruch,<br />

es wird noch 8-10 Jahre dauern,<br />

dann wird vermutlich zwar kein vorbeugender<br />

Impfstoff gegen alle Virustypen<br />

gefunden sein, jedoch könnte es im<br />

Bereich der therapeutischen Impfung<br />

(Infektiosität bei Impfung von HIV-<br />

Positiven würde gegen Null sinken) oder<br />

der prophylaktischen Impfung gegen<br />

bestimmten Virustypen und Resistenzformen<br />

eine Schutzformel geben.<br />

Im Bereich der antiretroviralen Therapie<br />

gibt es weitere Forschungen mit der<br />

Kombination mehrerer Protease-Inhibitoren,<br />

sowie Studien über Medikamente<br />

gegen die Nebenwirkungen der Fettumverteilungen,<br />

Lipodystrophie. Für beide<br />

Bereiche werden baldige positive Ergebnisse<br />

erwartet.<br />

56 I 57<br />

Bei der Entwicklung von Dosierungen<br />

und Darreichungsformen für Kinder gab<br />

es allerdings eine sehr gute Nachricht.<br />

Hintergrund ist, dass derzeit weltweit ca.<br />

2,2 Mio Kinder unter 15 Jahren mit HIV<br />

und <strong>AIDS</strong> leben, 2004 starben mehr als<br />

500.000 Kinder an den Folgen von <strong>AIDS</strong>,<br />

und nur die wenigen Kinder, die in Industrieländern<br />

betroffen sind, erhalten<br />

schlecht schmeckende, sehr teure<br />

Sirups, die schwierig einzunehmen sind<br />

und ständig gekühlt werden müssen.<br />

Daher forderte das Aktionsbündnis<br />

in seiner Pharma-Aktion, im Rahmen<br />

derer 280.000 Unterschriften gesammelt<br />

wurden, von den Originalherstellern eine<br />

Entwicklung von Kombinationspräparaten<br />

zur ein- bis zweimaligen Einnahme<br />

pro Tag als kleine Tablette mit<br />

allen benötigten Wirkstoffen. Eine solche<br />

wasserlösliche Minitablette, die für<br />

zwei Gewichtsklassen verfügbar ist und<br />

von der Weltgesundheitsorganisation<br />

bereits qualitätsgeprüft wurde, stellte<br />

nun die indische Generika- Firma<br />

Ranbaxy in Toronto als „verkaufsbereit“<br />

vor. Sie soll lediglich 50-60 USD pro<br />

Kind und Jahr kosten. Wenn dies in der<br />

Praxis Realität wird und hohe Produktionskapazitäten<br />

zur Verfügung stehen<br />

(der indische Konkurrent Cipla steht<br />

offenbar am Ende einer vergleichbaren<br />

Entwicklung), könnte dies der Beginn<br />

der kostengünstigen Versorgung von<br />

Kindern auch in armen Ländern sein.<br />

Schwerpunktthemen in Toronto waren<br />

neue Erkenntnisse in der Prävention,die<br />

Diskussion um Abbau von Stigma,<br />

Diskriminierung und für mehr<br />

Menschenrechte, und schließlich der<br />

Zugang zu Behandlung vor allem in<br />

ärmeren Ländern und für bisher<br />

benachteiligte Gruppen.


Bildquelle: www.photocase.com


<strong>AIDS</strong> GLOBAL<br />

Prävention<br />

Ein wichtiges Thema auf dem Kongress<br />

war die männliche Beschneidung.<br />

Erste Studien in Afrika zeigen bereits<br />

heute, dass bei beschnittenen Männern<br />

die Wahrscheinlichkeit, sich selbst beim<br />

heterosexuellen Geschlechtsverkehr mit<br />

HIV zu infizieren, um bis zu 60% abnimmt.<br />

Verantwortlich dafür sind die<br />

Vielzahl der sogenannten „Langerhans’schen<br />

Zellen auf der Vorhaut, die<br />

eine Übertragung fördern, und die mit<br />

der Beschneidung weitgehend entfernt<br />

werden. Darüber hinaus nimmt bei<br />

beschnittenen Männern durch Verhornung<br />

und Verdickung der Haut am<br />

Eichel- und Vorhautbereich die Häufigkeit<br />

der kleinen Verletzungen, Haarrisse<br />

und Entzündungen ab.<br />

Diskutiert wurde in Toronto bereits für<br />

einige afrikanische Staaten mit hohen<br />

Neuinfektionszahlen die Notwendigkeit<br />

der Vorbereitung breiter Beschneidungskampagnen<br />

mit rechtzeitiger Ausbildung<br />

der dafür benötigten Fachkräfte, obwohl<br />

die Ergebnisse weiterer Studien in zwei<br />

anderen afrikanischen Ländern erst<br />

Ende 2007 erwartet werden. Bei diesen<br />

Studien werden auch die Übertragungsrisiken<br />

auf die Partner untersucht.<br />

58 I 59<br />

Erstaunlich ist, dass ca. 99% der<br />

Männer, die in eine Beschneidung einwilligten,<br />

mit dem Ergebnis zufrieden<br />

waren und sich nicht negativ beeinträchtigt<br />

fühlten.<br />

Ein weiteres Thema war die Notwendigkeit<br />

der Erforschung und Erprobung<br />

von Mikrobiziden als Mittel der<br />

selbstbestimmten Verhinderung einer<br />

HIV Infektion bei Frauen.<br />

Bisher sind in der Studien Gels und<br />

Schäume sowie Vaginal-Gummiringe in<br />

der Erprobung, die Frauen Stunden oder<br />

Tage vor einem möglichen Geschlechtsverkehr<br />

anwenden können, ohne dass<br />

der Partner mit einbezogen werden<br />

muss. Mikrobizide enthalten Chemikalien,<br />

die eindringende Viren abtöten<br />

können sowie wahlweise zusätzlich<br />

Empfängnisschutz bieten sollen. Einige<br />

in der Forschung befindliche Mikrobizide<br />

enthalten niedrig dosierte antiretrovirale<br />

Substanzen. Das Problem sind<br />

bisher noch die Aggressivität und Toxizität<br />

der Chemikalien, die in vielen<br />

Fällen die Scheideschleimhaut verletzen<br />

oder Entzündungen herbeiführen können,<br />

was umgekehrt die Wahrscheinlichkeit<br />

einer HIV-Infektion noch erhöhen<br />

würde. Mikrobizide sind noch nicht<br />

verfügbar, man rechnet mit möglichen<br />

positiven Forschungdergebnisen in ca.<br />

3-5 Jahren. Auch eine Markteinführung<br />

von Mikrobiziden für den Analverkehr<br />

ist denkbar. Wichtig bei der Beurteilung<br />

dieser Präventionsmethode ist, dass<br />

man heute davon ausgeht, dass kein<br />

100%iger Schutz erreicht werden kann;<br />

Prognosen über Reduktion des Infektionsrisikos<br />

liegen bei max. 70-80%.<br />

Mikrobizide werden voraussichtlich<br />

daher nur ein ergänzendes Präventionsmittel<br />

sein und müssten möglichst<br />

in Kombination mit anderen Mitteln und<br />

Methoden angewendet werden.<br />

In der politischen Diskussion um die<br />

künftige Verfügbarkeit von Mikrobiziden<br />

war es dem Aktionsbündnis gegen <strong>AIDS</strong><br />

im Gespräch mit der internationalen Koordinationsorganisation<br />

für die Forschung,<br />

der ISM (International Society<br />

of Microbicides) ein zentrales Anliegen,<br />

dass es auf Mikrobizide keine Patentrechte<br />

geben darf. Die erforschten<br />

Formeln müssen zur Herstellung frei<br />

sein. Mikrobizide müssen sehr kostengünstig<br />

verfügbar sein, im Idealfall günstiger<br />

als Kondome, sonst wird der<br />

große Vorteil der selbstbestimmten<br />

Anwendung für Frauen durch die


Kostenhürde wieder zunichte gemacht.<br />

Gerade für Frauen mit sehr niedrigen<br />

Einkommen, Frauen in Armenvierteln,<br />

die von Gewaltanwendung in Verbindung<br />

mit Sexualität gefährdet sind<br />

oder Frauen, die aus wirtschaftlichen<br />

Gründen zur Leistung von Sexangeboten<br />

gezwungen sind, muss dieses<br />

künftige Präventionsmittel breit verfügbar<br />

sein. Der Druck auf die schnellere<br />

Erforschung von Mikrobiziden wurde auf<br />

dem Kongress sowohl durch die Bill-<br />

Clinton- als auch Bill-Gates-Stiftung<br />

verstärkt. Auch die Bundesregierung will<br />

die Forschung 2007 mit 1 Mio € fördern.<br />

(Die Diskussion darüber, ob dieser<br />

Betrag in Anbetracht der benötigten<br />

Forschungssumme von ca. 300 Mio $<br />

für eine der führenden Wirtschaftsnationen<br />

angebracht ist, dürfte noch<br />

geführt werden).<br />

Abbau von Stigma und Diskriminierung,<br />

Achtung der Menschenrechte<br />

Diese Themen wurden durch viele<br />

Vorträge, Plenen und workshops abgedeckt,<br />

in denen die Stärkung der Rechte<br />

von Frauen, von Jugendlichen und von<br />

sexuellen Minderheiten (Homosexuelle,<br />

Transsexuelle) im Blickpunkt standen.<br />

Bemerkenswert positiv im Vergleich mit<br />

anderen Konferenzen war, dass in den<br />

Veranstaltungen nicht nur ÜBER diese<br />

Minderheiten und ihre Stärkung gesprochen<br />

wurde, sondern dass die<br />

VertreterInnen dieser Gruppen SELBST<br />

Redner und Veranstalter waren. Dies<br />

war in Toronto ein bedeutender Schritt<br />

in die richtige Richtung.<br />

Eine weitere oft stigmatisierte Gruppe,<br />

nämlich die der Drogengebraucher-<br />

Innen, trat auf der Konferenz deutlicher<br />

als bisher an die Öffentlichkeit. In diesem<br />

Zusammenhang nahm die Präsentation<br />

von durchweg positiven Ergebnissen<br />

bei Studien über Spritzentauschprogramme,<br />

bzw. Vergabe steriler<br />

Nadeln, sowie sehr guter Ergebnisse<br />

von Substitutionsprogrammen in Osteuropa<br />

einen wichtigen Platz ein.<br />

Viele Organisationen forderten daher in<br />

Toronto von den Regierungen in Ost-


<strong>AIDS</strong> GLOBAL<br />

europa und Asien, diese sog. Maßnahmen<br />

der Risikominderung (harm<br />

reduction“ Programme) nun dringlichst<br />

umzusetzen und die Kriminalisierung<br />

von DrogengebraucherInnen abzubauen.<br />

Zugang zu Prävention, Testung und<br />

Behandlung<br />

war das große Thema der Demonstration,<br />

die am ersten Tag der Konferenz<br />

durch die Innenstadt Torontos<br />

zog.<br />

Derzeit haben laut der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) weltweit 1,6 Mio.<br />

Menschen Zugang zur Behandlung mit<br />

antiretroviralen Medikamenten. Dies<br />

sind lediglich 24% der geschätzten 6,5<br />

Millionen Menschen, die dringend Therapie<br />

benötigen. Warum kann keine höhere<br />

Behandlungszahl erreicht werden? Vor<br />

allem aus drei Gründen:<br />

1) Es fehlt nach wie vor an Geld.<br />

Die großen Geberstaaten, so auch<br />

Deutschland, erfüllen ihre Versprechen<br />

nach finanzieller Unterstützung nur<br />

unzureichend. Für das Jahr 2007 fehlen<br />

derzeit von benötigten 18 Mrd. $ noch<br />

über die Hälfte der Ressourcen, nämlich<br />

nahezu 10 Mrd. $. Die Bundesregierung<br />

sollte 2006 für die internationale <strong>AIDS</strong>-<br />

60 I 61<br />

Bekämpfung 800 Mio € ausgeben.<br />

Frau Wieczorek-Zeul machte in Toronto<br />

lediglich die vage Zusage von „vermutlich“<br />

400 Mio € für 2007!<br />

2) Pharmafirmen blockieren den Zugang<br />

zur lebenswichtigen Therapie:<br />

Originalhersteller der antiretroviralen<br />

Medikamente geben kaum freiwillige<br />

Lizenzen zur lokalen Produktion ab,halten<br />

über bilaterale Verträge mit einzelnen<br />

Staaten an überhöhten Preisen fest<br />

und blockieren über jahrelang andauernde<br />

juristische Prozesse den Export<br />

von Medikamenten in andere Länder.<br />

Diese Firmen verhindern über politischen<br />

Druck und juristische Prozesse<br />

auch die Umsetzung von Zwangslizenzen<br />

von armen Ländern.<br />

Auch für Industriestaaten sind die<br />

Möglichkeiten, die die Welthandelsorganisation<br />

(WTO) einräumt, zu komplex,<br />

um die Produktion von Generika in<br />

ihrem Land für den Export in ärmere<br />

Länder zu ermöglichen. In Kanada zeigte<br />

eine Gesetzesinitiative der Regierung<br />

2004 und das Projekt einer Generika–<br />

Firma, von Ärzte ohne Grenzen und<br />

einem Anwaltsverband mit dem Ziel,<br />

unter dem WTO-Kompromiss der sog.<br />

TRIPS-Regelung Generika für arme<br />

Länder zu produzieren, dass diese<br />

Regelung faktisch nicht funktioniert.<br />

Denn nach nahezu drei Jahren komplexer<br />

Formalitäten und juristischer Schritte<br />

hat noch keine einzige Medikamentenpackung<br />

ein Entwicklungsland erreicht.<br />

Für alle Beteiligten und AktivistInnen ist<br />

daher klar, dass die WTO dringend eine<br />

Neuregelung verabschieden muss.<br />

3) Unzureichende Gesundheits-Infrastruktur<br />

in armen Ländern und der<br />

Mangel an Gesundheitsfachkräften<br />

In vielen armen Ländern fehlt es an<br />

Gesundheitsstationen, Kliniken und<br />

einer besseren Verkehrsanbindung der<br />

bereits vorhandenen Gesundheitsstruktur.<br />

Das größte Problem ist allerdings<br />

das mangelnde Personal: im<br />

Afrika südlich der Sahara fehlen heute<br />

ca. 4 Mio Gesundheitsfachkräfte für die<br />

Behandlung von Menschen mit HIV und<br />

<strong>AIDS</strong>.<br />

Die Gründe liegen hauptsächlich an der<br />

auch in diesem Sektor hohen Sterblichkeit<br />

an <strong>AIDS</strong> und an der Abwanderung<br />

ausgebildeter Fachkräfte in<br />

Hochlohnländer. Dies wird verstärkt<br />

durch die gezielte Anwerbung von<br />

Staaten wie den USA, Großbritannien,<br />

Frankreich und Australien, um in ihren


Gesundheitsbereichen Kosten zu sparen.<br />

Dies konterkariert natürlich deren<br />

finanzielle Geldbeiträge für die internationale<br />

<strong>AIDS</strong>-Bekämpfung. Zu geringe<br />

internationale Proteste zu dieser Praxis<br />

veranlasst diese Länder jedoch bis<br />

heute nicht zur Änderung ihrer Politik.<br />

Einen Versuch, das Problem anzupakken,<br />

machte während der Konferenz die<br />

WHO und stellte ihr neues Programm<br />

„Treat, Train and Retain“ (TTR) vor, das<br />

unter anderem den Vorschlag beinhaltet,<br />

die Gehälter der Fachkräfte in den<br />

armen Ländern deutlich zu erhöhen, um<br />

Abwanderungen zu verhindern. Je nach<br />

der Höhe der Gehaltssteigerungen<br />

würde das WHO-Programm zwischen 7<br />

und 14 Mrd. $ kosten. Konkrete Pläne,<br />

wie diese Summen beschafft werden<br />

könnten , ohne die bereits unter Geldmangel<br />

leidenden bestehenden Finanzinstrumente<br />

anzuzapfen, kann die WHO<br />

in ihrem Papier jedoch noch nicht<br />

machen.<br />

10 Jahre nach Durban - welchen Sinn<br />

hat eine Welt-<strong>AIDS</strong>-Konferenz?<br />

Für sechs Tage flogen 24.000 Menschen<br />

durch die Welt, verursachten hohe<br />

Kosten für Reisen, Hotels, Spesen.und<br />

einen riesigen Zeitaufwand. Steht dieser<br />

Aufwand in einem Verhältnis zum Sinn<br />

und Erfolg einer solchen Mammut-<br />

Konferenz?<br />

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten,<br />

doch die in vielen Ländern dramatischen<br />

Probleme des Kampfes<br />

gegen <strong>AIDS</strong> erfordern:<br />

• die Vernetzung und den Austausch<br />

von Wissen von ExpertInnen und zivilgesellschaftlichen<br />

AkteurInnen und<br />

AktivistInnen<br />

• die Sensibilisierung der Öffentlichkeit<br />

und der Medien, um Sachverhalte<br />

bekannt zu machen und notwendige<br />

Schritte einzufordern<br />

• die internationale Präsenz und nicht<br />

nur das Bekenntnis, sondern auch<br />

das HANDELN der führenden Politiker.<br />

Letzteres sollte auf der höchsten Ebene<br />

erfolgen, und in diesem dritten Punkt<br />

bleibt Toronto klar hinter den Forderungen<br />

der AktivistInnen und der <strong>AIDS</strong>-<br />

Organisationen zurück. Auch der kanadische<br />

Ministerpräsident blieb der<br />

Konferenz fern. „Die Präsenz und der<br />

politische Druck eines Ex-Präsidenten<br />

(Clinton) und eines Multimillionärs<br />

(Gates) ist zu wenig! Die internationale<br />

Politik lässt das größte Gesundheitsproblem<br />

der Erde links liegen“ beklagen<br />

viele <strong>Teil</strong>nehmerInnen.<br />

Die immer vielschichtigeren Probleme<br />

rund um HIV spiegeln sich nicht nur in<br />

medizinischen, gesellschaftlich-sozialen,<br />

kulturellen, politischen und juristischen<br />

Bereichen. Die Verantwortlichen<br />

versuchen mit Zahlen und Fakten zu<br />

arbeiten. Im Unterbewusstsein ihrer<br />

Gesellschaften und in ihrer täglichen<br />

politischen Praxis manifestierten sich<br />

jedoch zu oft Stigma, Diskriminierung<br />

und Angst. In den Jahrhunderte lang<br />

nicht aufgearbeiteten Bereichen von<br />

Korruption oder Prostitution fällt ehrliches<br />

Bekenntnis und Handeln in den<br />

meisten Staaten und Kulturen schwer.<br />

Viele dieser Themen müssen ehrlicher,<br />

toleranter und ohne den Egoismus der<br />

„Ersten Welt“ gelöst werden. Viel<br />

Wissen zu HIV und <strong>AIDS</strong> wurde bereits,<br />

auch in Toronto, zusammengetragen.<br />

Jetzt ist es höchste Zeit – „to deliver“ –<br />

zu Handeln. Und auch zehn Jahre nach<br />

Durban, wo 1996 die antiretrovirale<br />

Therapie ihren Durchbruch hatte und<br />

seither Millionen Menschen das Leben<br />

verlängerte, brauchen wir regionale,<br />

länderübergreifende UND globale Plattformen,<br />

um ständig voneinander zu lernen,<br />

aber vor allem auch die noch völlig<br />

unzureichende globale Verantwortung<br />

auf ALLEN politischen und gesellschaftlichen<br />

Ebenen einzufordern. Dies bedeutet<br />

für das Handeln „zu Hause“ in<br />

Deutschland für uns alle, ebenso<br />

Verantwortung zu tragen und zu handeln:<br />

• ständig für verbesserte Therapien<br />

ohne Nebenwirkungen zu kämpfen<br />

• für eine stärkere Forschung in der<br />

Prävention und vor allem an einem<br />

Impfstoff gegen HIV, denn dies können<br />

nur Länder mit guter medizinischer<br />

Forschungsstruktur und vorhandenen<br />

Resourcen anstossen;<br />

• für solidarisches Eintreten für Zugang<br />

zu Prävention und Therapie für ALLE<br />

Menschen;<br />

• für das Verfolgen des Ziels einer<br />

Heilung von <strong>AIDS</strong> und schliesslich einer<br />

Welt ohne <strong>AIDS</strong>.<br />

Rainer Seybold<br />

Bildquelle:<br />

Christiane Fischer,<br />

BUKO-Pharmakampagne


<strong>AIDS</strong> GLOBAL<br />

<strong>AIDS</strong> in der Ukraine II<br />

So der Arbeitstitel des Film zum Thema <strong>AIDS</strong> in Osteuropa<br />

bedeutet Grenzland,<br />

und das ist unter den<br />

„Ukraine“<br />

gegenwärtig dort immer<br />

noch herrschenden Umstände durchaus<br />

passend. Mal abgesehen davon, dass<br />

wir den Namen Ukraine schon mal<br />

gehört haben und dies meist im<br />

Zusammenhang mit Russland, wissen<br />

wir eigentlich wenig über das Land und<br />

über die Menschen, die dort leben.<br />

Vorstellungen haben wir schon, aber<br />

reichen die aus?<br />

Die Ukraine ist nach Russland, das flächenmäßig<br />

größte Land Europas. Es<br />

hat 48 Millionen Einwohner, davon sind<br />

ca. 600.000 HIV infiziert; das ist ein<br />

Prozent der Bevölkerung. Jährlich sterben<br />

30.000 Menschen an den Folgen<br />

von HIV/<strong>AIDS</strong>. Weitere 200 Menschen<br />

stecken sich täglich an. Somit wird die<br />

Ukraine als das Epizentrum der <strong>AIDS</strong>-<br />

Epidemie in Osteuropa bezeichnet.<br />

62 I 63<br />

Es wird vermutet, dass das Virus im Jahr<br />

1987 über die Hafenstadt Odessa in die<br />

damalige Sowjetunion eingeschleppt<br />

wurde. Die im Süden der Ukraine liegende<br />

Hafenstadt, hat nach Schätzungen<br />

der Weltgesundheitsorganisation ca.<br />

80.000 HIV Infizierte; das ist jeder<br />

zwölfte Bewohner der Stadt. Der ukrainische<br />

Staat hat bereits Ende der 90er-<br />

Jahre damit aufgehört, Statistiken darüber<br />

zu führen. Die unaufhörlich ansteigenden<br />

Infektionen haben sich negativ<br />

auf das Image des aufstrebenden<br />

Industriestaates ausgewirkt.<br />

HIV/<strong>AIDS</strong> wird in der Ukraine tabuisiert,<br />

stigmatisiert und bedeutet für die Betroffenen<br />

vor allem eines:<br />

Ausgrenzung, Wegsperren, Isolation.<br />

Wer <strong>AIDS</strong> hat, findet keine Arbeit; wenn<br />

es bekannt wird verliert er sie, sieht sich<br />

den Anfeindungen der Nachbarn ausgesetzt,<br />

wird in Krankenhäusern in die<br />

Stationen für Geschlechtskranke verbracht<br />

und lebt fortan hinter Gitterstäben<br />

in einer geschlossenen Abteilung.<br />

Besonders hart trifft es die Gefängnisinsassen<br />

mit einer HIV-Infektion. Diese<br />

sind meist wegen Drogenmissbrauchs<br />

in die Haftanstalt gekommen, der auch<br />

gleichzeitig der häufigste Übertragungsweg<br />

einer Ansteckung ist. Die Ansteckung<br />

erfolgt meist über den gemeinsamen Gebrauch<br />

von Spritzen. Der Kreislauf setzt<br />

sich fort in Waisenhäusern, Obdachlosenund<br />

Zwangsarbeiterlagern. Das Lagerleben,<br />

für einen Europäer kaum vorstellbar,<br />

ist von ungeahnter Härte, schwerste<br />

Brutalität und Vergewaltigungen sind<br />

nicht selten.<br />

Wenn man nun noch bedenkt, dass der<br />

Drogenmissbrauch bei Inhaftierten häufiger<br />

anzutreffen ist als bei Nicht-Inhaftierten,<br />

braucht man sich kaum noch


zu wundern, dass das Virus sich so<br />

schnell und so oft verbreitet.<br />

Eine Gruppe von Menschen engagiert<br />

sich seit drei Jahren für die ukrainischen<br />

<strong>AIDS</strong>-Kranken, und hat schon<br />

einiges bewegt und auf den Weg gebracht.<br />

Vielen von Euch ist vielleicht<br />

noch der Film „So wollen wir nicht sterben<br />

– <strong>AIDS</strong> in Odessa“ ein Begriff, der<br />

anschaulich darstellt, wie die Situation<br />

vor Ort ist. Seit diesem Film – und in der<br />

Zeit davor – sind verschiedene deutschukrainische<br />

Projekte entstanden, die es<br />

jetzt gilt weiter zu führen und voran zu<br />

bringen.<br />

Um dieses Thema nicht in Vergessenheit<br />

geraten zu lassen, wurde nun ein<br />

weiterer Film gedreht, der den Arbeitstitel<br />

„<strong>AIDS</strong> in der Ukraine II“ trägt. In<br />

diesem Film werden nun die gesell-<br />

schaftlichen Ursachen und Begleiterscheinungen<br />

der Epidemie gezeigt und<br />

die Menschen die etwas dagegen tun.<br />

Interessanterweise sind es meist Frauen<br />

die sich dieser schwierigen Aufgabe<br />

verschrieben haben und selbst unter<br />

schwierigsten Bedienungen den Betroffen<br />

helfen, so gut es geht und soweit<br />

sie können.<br />

Weitere Unterstützung kommt auch von<br />

den <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong>n und nicht zuletzt von<br />

der DAH (Deutsche <strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong> e.V.), die<br />

durch ihren Bundesgeschäftsführer Luis<br />

Escobar erkannt hat und noch einmal<br />

eindringlich versichert, dass das Thema<br />

<strong>AIDS</strong> in Osteuropa eine herausragende<br />

Bedeutung hat. Von Vorteil bei diesem<br />

deutsch-ukrainischen Projekten ist die<br />

jahrzehntelange Erfahrung und das<br />

gesammelte Know-How der deutschen<br />

<strong>AIDS</strong>-<strong>Hilfe</strong>n.<br />

Ein weiterer Punkt in dieser Sache ist<br />

dass die Bundesregierung sich zu<br />

einem Maßnahmenpaket entschlossen<br />

hat welches zur Bekämpfung der <strong>AIDS</strong>-<br />

Epidemie, in der Ukraine dient.<br />

Ein erster Auftrag wurde schon an die<br />

GTZ (Dtsch. Gesell. für tech. Zusammenarbeit)<br />

vergeben. Was wiederum deutlich<br />

macht, dass auch Bundesministerien<br />

über die dringliche Situation in Osteuropa<br />

bestens informiert sind und dieser<br />

eine herausragende Bedeutung beimessen.<br />

Wer mehr zu diesem Thema wissen<br />

möchte, kann sich unter www.aidsukraine.com<br />

informieren.<br />

M.Miniböck


VI.<br />

Konrad Lutz<br />

Preis

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!