Beispiel einer Seminararbeit - Oliver Götze
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en governare", 1469) und Ludovico Carbone, ein ebenfalls unter Borso zu Ansehen gelangter<br />
Humanist und Dichter, verknüpfte die Verdienste des Herrschers mit der Definition der Artes<br />
liberales. 47 Dem humanistischen Menschenideal zufolge konnte der einfache Bürger durch Fleiß<br />
und Talent seine persönliche Stellung in der Gesellschaft verbessern und durch virtus s<strong>einer</strong> Seele<br />
den Aufstieg in den Himmel ermöglichen. Die Ferrareser Humanisten stellten diese<br />
Aufstiegsmöglichkeiten des Menschen in einem einzigartigen Bilderzyklus dar, der als die<br />
Tarockkarten des Mantegna (Tarocchi del Mantegna) bekannt wurde. Diese Karten stammen<br />
jedoch nicht von Mantegna, sondern wurden um 1460 in Ferrara entworfen (möglicherweise von<br />
Francesco del Cossa 48 oder Angelo da Siena 49 ) und dienten auch nicht als Tarockspiel, sondern als<br />
didaktische Bilderfolge. Die Sammlung besteht aus fünf Gruppen zu zehn Karten, die stets ein<br />
bestimmtes Thema darstellen, 50 so in der ersten Gruppe die Rangstufen und Stände der<br />
menschlichen Gesellschaft (Bettler, Diener, Handwerker, Kaufmann, Adlige, Ritter, Doge, König,<br />
Kaiser, Papst) und in der zweiten die neun Musen mit ihrem Führer Apollo. In der dritten Gruppe<br />
wurden die artes liberales nach der Beschreibung des Martianus Capella zusammen mit Allegorien<br />
der Poesie, Philosophie und Theologie abgebildet, in der vierten Gruppe waren neben den sieben<br />
Kardinaltugenden drei kosmische Prinzipien (Licht, Zeit, Weltganzes) zu sehen und in der fünften<br />
die acht ptolemäischen Sphären zusammen mit dem Demiurgen (primo mobile) und dem<br />
Empyreum (prima causa). Die Karten wurden vermutlich für philosophische Diskussionen benutzt<br />
und dienten der Anregung der Diskutierenden, ähnlich wie Cusanus sein Globusspiel (De ludo<br />
globi, 1463) konzipierte, um aus der unregelmäßigen Wurfbahn der Kugel Rückschlüsse auf Gottes<br />
Willen zu ziehen. Bei Betrachtung der Tarocchi sollte der philosophisch interessierte Laie die<br />
verschiedenen Sphären der Welt in ihrer hierarchischen Ordnung erkennen und begreifen, wie<br />
unbedeutend die physische Existenz ist. Erst die Musen befähigen den Menschen, das Werk<br />
Gottes zu loben, mit den Wissenschaften kann er versuchen, den Kosmos zu verstehen, und der<br />
virtus ermöglicht ihm das Seelenheil. Petrarca schrieb: "Wohl aber liegt das Leben, das wir das<br />
selige nennen, auf hohem Gipfel, und ein schmaler Pfad, so sagt man, führt zu ihm empor. Es<br />
steigen auch viele Hügel zwischendurch auf, und von Tugend zu Tugend muss man weiter<br />
schreiten mit erhabenen Schritten." 51 Die Vorstellung der Humanisten, ein tüchtiges Leben würde<br />
der menschlichen Seele den Aufstieg in die himmlischen Sphären ermöglichen, wurde oft im<br />
Quattrocento rezepiert und verschiedenartig bildnerisch dargestellt, so auf Pinturicchios "Virtus<br />
und Fortuna" im Sieneser Dom und Baccio Baldinis Illustrationen zu Antonio Bettinis Werk<br />
46 Vgl. Tristano, S. 56.<br />
47 Vgl. Campbell, S. 11.<br />
48 Vgl. Ruhmer, S. 81f.<br />
49 Vgl. Uwe Westfehling, "Tarocchi": Menschenwelt und Kosmos, Ladenspelder, Dürer und die "Tarockkarten des<br />
Mantegna" (Ausstellungskatalog Wallraf-Richartz Museum Köln), Köln 1988, S. 50f.<br />
50 Ebd., S. 40ff.<br />
51 Francesco Petrarca, Die Besteigung des Mont Ventoux, Frankfurt/Main 1996, S. 19.<br />
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