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Beispiel einer Seminararbeit - Oliver Götze

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Über die Investitur des Borso d'Este zum Markgrafen von Ferrara<br />

1. Einleitung<br />

Im Herbst 1450, als die ersten Blätter von den Bäumen fielen und in der Poebene die Ernte<br />

eingefahren werden musste, konnten die Bürger der oberitalienischen Stadt Ferrara einem seltenen<br />

Ereignis beiwohnen: 1 An einem Oktobernachmittag, nur wenige Stunden nach dem Tode des<br />

Markgrafen Leonello, ritt sein Bruder Borso d'Este in Begleitung einiger Anhänger von<br />

Belriguardo, der unweit von Voghenza erbauten, vielfach besungenen Lieblingsvilla der Este,<br />

durch das von vielen kleinen Kanälen durchzogene, üppig sumpfige Contado nach Ferrara. Einer<br />

vorher mit dem Consiglio de XII Savi, dem Stadtkonzil, vereinbarten Prozedur gemäß, stoppte der<br />

Reiter außerhalb der Stadtmauern in der Nähe der alten byzantinischen Kathedrale und wurde dort<br />

von <strong>einer</strong> jubelnden Menge mit Rufen "Viva Borso!" und "Borso marchese!" begrüßt. Aus dieser<br />

Menge trat sodann Agostino da Villa, der Guidice de Savi, und geleitete den jungen Mann in die<br />

Kathedrale, um ihn vor dem Altar im Beisein aller Räte zum Markgrafen auszurufen und ihm die<br />

Insignien des Signorats zu überreichen. Freudig nahm Borso diese entgegen, versprach, stets ein<br />

guter Herrscher zu sein, und kleidete sich nun in ein mit Gold und Edelsteinen besetztes<br />

Brokatgewand. Anschließend bestieg er sein weißes Lieblingspferd Aethon, überquerte den Po auf<br />

der Ponte di San Giorgio und gelangte durch die Porta di Sotto in die Straßen der Altstadt, an<br />

deren Seiten sich die Bürger versammelt hatten, um zu winken oder Blumen zu werfen. Der neue<br />

Stadtherr lächelte freundlich zurück, reichte seinen Untertanen die Hand zum Kuss und<br />

durchquerte von Trompetenklängen begleitet die Via Grande und die Via San Paolo bis zur Piazza<br />

del Duomo. Vor der pittoresken Kathedrale stiegen er und sein Gefolge von den Pferden und<br />

mussten viel Mühe aufwenden, um sich durch die Menge einen Weg zum Hochaltar zu bahnen,<br />

vor dem bereits der Bruder des Herzogs von Mailand und andere Adlige warteten. Noch einmal<br />

sprach der Guidice de Savi und legte den Treueschwur für die Bürger von Ferrara ab, bevor auch<br />

die Herren aus Modena und Reggio, den neben Ferrara größten Städten des estensischen<br />

Herrschaftsgebietes, dem Signore ihre Loyalität versicherten. In <strong>einer</strong> kurzen Ansprache dankte<br />

Borso dann den Anwesenden und verließ als neuer Signore die Kathedrale, um seine Gemächer im<br />

Castel Vecchio, einem der Stadtpaläste der Este, aufzusuchen.<br />

Die oben beschriebene Amtseinsetzung Borsos wurde von verschiedenen ferraresischen<br />

Chronisten überliefert, weil der neue Signore kein legitimer Erbe, sondern ein in der Erbfolge<br />

ursprünglich nicht berücksichtigter Bastard des Marchesen Niccolo III. (reg. 1393-1441) war.<br />

1 Zu der folgenden Schilderung vgl. Charles Rosenberg, The Este monuments and urban development in<br />

Renaissance Ferrara, Cambridge 1997, S. 80ff und Walther Ludwig, Die Borsias des Tito Strozzi, Ein lateinisches<br />

Epos der Renaissance, München 1977, S. 264-267.<br />

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