Download PDF - Zoo Magdeburg
Download PDF - Zoo Magdeburg
Download PDF - Zoo Magdeburg
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Zeitschrift für Besucher<br />
<strong>Zoo</strong>logischer Garten <strong>Magdeburg</strong><br />
ZOOLOGISCHER GARTEN<br />
MAGDEBURG<br />
Ausgabe 6 | 2011<br />
ISSN 1862-6297
2<br />
VORWORT<br />
Vorwort<br />
Nach dem Jubiläumsjahr “60 Jahre <strong>Zoo</strong> <strong>Magdeburg</strong>“ und<br />
dem Abschluss der ersten Großbauvorhaben gilt für unsere<br />
Besucher in diesem Jahr erst einmal das Neue zu entdecken<br />
und zu genießen. Mit Eröffnung unseres neuen Eingangs,<br />
der <strong>Zoo</strong>welle, der Südamerika-Anlage für Tapire und Nasenbären<br />
sowie Africambo 1 für unsere Spitzmaulnashörner<br />
und zahlreiche vergesellschaftete afrikanische Huftierarten,<br />
hat der <strong>Zoo</strong> heute bereits ein ganz anderes Gesicht<br />
bekommen und erfreulicherweise ist der Zuspruch unserer<br />
Besucher spürbar. Das Jahr 2010 hat uns, trotz schwerster<br />
Wetterkapriolen, ein leichtes Besucherplus gegenüber 2009<br />
beschert. Zufrieden können wir damit aber nicht sein, da<br />
wir uns mehr erhofft hatten. Dieses ist nur zu verständlich,<br />
denn wir haben ein ehrgeiziges Projekt, die Umsetzung der<br />
„Visionen 2006+“ begonnen und wir wollen zeigen, dass die<br />
Investitionen unserer Gesellschafter sowohl wirtschaftlich,<br />
als auch unseren ideellen Zielen folgend gut angelegt sind.<br />
Eine Besucherumfrage, die in der zweiten Hälfte des vergangenen<br />
Jahres durchgeführt wurde, zeigt sehr deutlich,<br />
dass wir auf dem richtigen Weg sind. Die Gesamtzufriedenheit<br />
unserer Besucher rangiert auf einer Skala von 1<br />
bis 10 bei 8, was einem „bin gut zufrieden“ entspricht.<br />
Unsere Besucher stammen nach der Umfrage - wie zu<br />
erwarten - zu rund 2/3 aus dem Großraum <strong>Magdeburg</strong>/<br />
Sachsen-Anhalt. Jedoch bereits 16 % der Besucher kommen<br />
aus dem östlichen Niedersachsen, was eindeutig auch auf<br />
das tagestouristische Potential unseres <strong>Zoo</strong>s hinweist.<br />
In diesem Jahr werden wir uns mit den Bautätigkeiten<br />
etwas zurückhalten, obwohl es nur kurz gilt, einmal<br />
durchzuatmen um sich bereits den nächsten „großen“<br />
Vorhaben intensiv zu widmen. Das Menschenaffenhaus<br />
mit seinen Außenanlagen, der neue Besucherparkplatz,<br />
eine große <strong>Zoo</strong>gastronomie, ein Gebäude für unsere Mitarbeiter<br />
und Africambo 2 mit den Elefanten stehen in<br />
diesem Jahr auf unserer Tagesordnung zur Bearbeitung.<br />
Aber auch die kleineren Bauprojekte im <strong>Zoo</strong> werden Sie<br />
begeistern. Besonders gespannt bin ich auf die neue, für<br />
Besucher begehbare Voliere mit Sittichen im Nordbereich<br />
des <strong>Zoo</strong>s. Mit großzügiger Unterstützung des <strong>Zoo</strong>fördervereins<br />
können wir dieses Highlight noch in diesem<br />
Jahr realisieren. Eine Mitgliedschaft im <strong>Zoo</strong>förderverein<br />
ist mit die beste Möglichkeit seine enge Verbundenheit<br />
zu unserem <strong>Zoo</strong> zu zeigen, sich einzubringen und uns<br />
tatkräftig zu unterstützen.<br />
Unser Tierbestand wächst zusehends. Neue Arten sind<br />
eingezogen, die erstmalig in <strong>Magdeburg</strong> gehalten werden,<br />
wie Streifenhyänen, Schopfhirsche (einen ersten Erfahrungsbericht<br />
erhalten Sie ab Seite 4), Siedleragamen, Spaltenschildkröten<br />
oder Langschnauzen-Kaninchenkängurus,<br />
um nur einige zu nennen. In diesem Jahr werden z.B. mit<br />
den Pennantsittichen in der für Besucher begehbaren<br />
Voliere oder mit den dämmerungsaktiven Grabfröschen<br />
im Nashornhaus wieder weitere neue Arten zu bewundern<br />
sein, so dass nicht nur die Tieranzahl, sondern auch die<br />
Artenvielfalt in unserem <strong>Zoo</strong> weiter zunimmt. Und sie<br />
wird auch zukünftig immer weiter steigen, wenn die oben<br />
beschriebenen Baumaßnahmen realisiert werden.<br />
Die natürlich vorkommende Artenvielfalt war vor kurzem<br />
Thema einer Jahreskonferenz der <strong>Zoo</strong>logischen Gesellschaft<br />
für Arten- und Populationsschutz (ZGAP), die in<br />
diesem Jahr bei uns in den Räumlichkeiten der <strong>Zoo</strong>welle<br />
mit rund 100 Teilnehmern stattgefunden hat. Ich freue<br />
mich besonders, dass der 1. Vorsitzende der ZGAP, Roland<br />
Wirth, unseren Lesern seine Sichtweise zur derzeitigen<br />
Situation des globalen Natur- und Artenschutzes offenbart.<br />
Roland Wirth ist einer der anerkanntesten Artenschützer<br />
Deutschlands, international hoch geachtet und ist u.a. Preisträger<br />
der Bruno H. Schubert Stiftung für herausragende<br />
Leistungen auf dem Gebiet des praktischen Natur- und<br />
Umweltschutzes. Sein Gastkommentar hat es sprichwörtlich<br />
in sich, wenn bedacht wird, dass die nackten Zahlen<br />
zur Artenvielfalt weiterhin erschreckend sind. 21 % aller<br />
bekannten Säugetier-, 30 % aller Amphibien und 70 %<br />
der erfassten Pflanzenarten sind beispielsweise akut von<br />
der Ausrottung bedroht. Entgegen der bisher anvisierten<br />
Ziele der Weltgemeinschaft ist die Tendenz weiter steigend.<br />
Nun muss sich beweisen, ob die auf der Weltnaturschutzkonferenz<br />
in Nagoya 2010 nach einem äußerst zähen<br />
und zeitweise dramatischen Verhandlungsmarathon<br />
erzielten Ergebnisse für den Schutz der biologischen<br />
Vielfalt tatsächlich greifen. Das Paket besteht aus einer<br />
insgesamt ambitionierten Naturschutzstrategie bis<br />
2020, einer Einigung auf einen verbindlichen Vertrag<br />
gegen Biopiraterie (ABS-Protokoll) und einem Plan zur<br />
Bereitstellung von Finanzen für Entwicklungsländer.
Umso wichtiger erscheint es uns daher, den <strong>Zoo</strong>besuchern<br />
deutlich zu machen, wie unvernünftig der Mensch mit<br />
der Artenvielfalt auf unserer Erde umgeht und dass es<br />
(noch) nicht zu spät ist, das Steuer für unsere Kinder und<br />
Enkelkinder zum Erhalt der Biodiversität herumzureißen.<br />
Ein hoffnungsfrohes Beispiel stellen wir Ihnen in der<br />
Mitte des Heftes vor – den erfolgreichen Kampf zweier<br />
kleiner chilenischen Orte gegen drei geplante Kohlekraftwerke,<br />
deren Bau nicht nur die Lebensgrundlage<br />
der freilebenden Humboldt-Pinguine, sondern auch der<br />
Inhalt<br />
TIERGESCHICHTEN<br />
Seite 4<br />
Ein neuer Hirsch am Platze – fernöstlicher Zuwachs<br />
in der Huftiersammlung<br />
Seite 6<br />
Zum Bau von Baumnestern durch Nasenbären<br />
im <strong>Zoo</strong>logischen Garten <strong>Magdeburg</strong><br />
PORTRAIT<br />
Seite 9<br />
Die „Elefantenpflegerin“ – Sonja Kratzke<br />
WISSENSCHAFT<br />
Seite 12<br />
Afrikanische Stromschnellenfrösche:<br />
unbekannte Vielfalt im Sprühnebel<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Seite 15<br />
David gegen Goliath auf chilenisch<br />
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT<br />
Seite 24<br />
Der Japan-Serau – Ein geheimnisvoller Bergbewohner<br />
GASTKOMMENTAR<br />
Seite 27<br />
Problemwölfe, Tierbabys in <strong>Zoo</strong>s und die Folklore von<br />
„Freiheit oder Tod“<br />
INHALT<br />
Menschen in der Region auf`s Massivste bedroht hätte.<br />
Wir werden nicht müde, nicht nur für einen interessanten<br />
und erlebnisreichen <strong>Zoo</strong> zu arbeiten, sondern auch engagiert<br />
für die Artenvielfalt und deren Erhalt zu werben.<br />
Es gibt noch viel zu tun, packen wir’s (gemeinsam) an!<br />
Ihr<br />
Kai Perret<br />
In den <strong>Zoo</strong> zurückgekehrt: Der Jungfernkranich<br />
3
4<br />
TIERGESCHICHTEN<br />
Ein neuer Hirsch am<br />
Platze – fernöstlicher<br />
Zuwachs in der<br />
Huftiersammlung<br />
Konstantin Ruske<br />
Um einen vielfältigen Tierbestand angemessen zu präsentieren,<br />
konzipieren <strong>Zoo</strong>s bereits seit Längerem etwa<br />
geographische oder lebensraumtypische Komplexe, in<br />
denen sich dann sehr unterschiedliche Vertreter aus der<br />
jeweils dargestellten Lebensgemeinschaft finden. So wird<br />
durch Abwechslung und bewusst starken Unterschieden<br />
zwischen Anlagennachbarn immer wieder neu die Aufmerksamkeit<br />
entfacht, die der einzelnen Tierart gebührt.<br />
Dementsprechend wurde unser asiatischer Raubtierbereich<br />
auch durch Tiere wie chinesische Zwergmuntjaks,<br />
Zwergmuntjak-Jungtier auf der heutigen Schopfhirschanlage<br />
zeitweise Blauelstern und seit 2010 Landschildkröten<br />
aufgelockert. In Zukunft soll dieses Prinzip verstärkt<br />
werden. Gerade die Muntjaks, die für den angrenzenden<br />
Sibirischen Tiger geruchlich und akustisch (die typischen<br />
Lautäußerungen führten auch zu der Bezeichnung „Bellhirsch“)<br />
interessant waren, bildeten für den Besucher<br />
einen Aufsehen erheischenden Kontrast zur größten<br />
Katze der Welt. Wenn sich die Zwerghirsche allerdings<br />
einmal nicht an Wassergraben oder Futterlaubplatz<br />
aufhielten, waren sie auf der recht tiefen Anlage nur<br />
recht schwer zu beobachten. Als im Norden des <strong>Zoo</strong>s<br />
eine der Größe der Tiere etwas angemessenere Anlage<br />
frei wurde, entschlossen wir uns zum Umzug dieser in<br />
Schopfhirsch mit Eckzähnen<br />
<strong>Magdeburg</strong> traditionsreichen Art. Ersetzt werden sie<br />
seit 26.10.2010 durch ein Paar der in Deutschland sonst<br />
nur im Tierpark Berlin und im Tiergarten Heidelberg<br />
gezeigten Ostchinesischen Schopfhirsche (Elaphodus<br />
cephalophus michianus). Diese ebenfalls in die Familie<br />
der Muntjakhirsche gehörenden Paarhufer mit von<br />
silbern bis schokoladenbraun changierendem Fell sind<br />
deutlich größer (Schulterhöhe bis 70 cm) und durch signalhafte<br />
weiße Abzeichen an Ohren und Hinterteil auch<br />
in der Entfernung besser auszumachen. Auch bei ihnen<br />
trägt der Bock als Relikt ursprünglicher Verwandschaft<br />
Eckzäne, die im Rivalenkampf zum Einsatz kommen.<br />
Das sehr schwach entwickelte, eigentlich nur aus zwei<br />
kurzen Stangen bestehende Geweih, das im namensgebenden<br />
Schopf verborgen ist, taugt dafür nicht. Im<br />
Freiland in China und Burma schätzt man den Bestand<br />
auf 300.000 bis 500.000 Tiere, allerdings ist von einer<br />
steten Dezimierung der Art durch die in diesen Regionen<br />
aktuell massive Bejagung auszugehen. In Europa<br />
beträgt der <strong>Zoo</strong>bestand derzeit 15 Tiere, in den USA<br />
etwas über 60 Exemplare, dort allerdings in der Nominatform.<br />
Die Haltung dieses Kleinhirsches in Europa<br />
ist eng mit dem <strong>Zoo</strong> Rotterdam verknüpft, der Anfang<br />
der 90er Jahre zwei Paare der Unterart michianus aus<br />
dem <strong>Zoo</strong> Shanghai importierte. Dazu kamen 1997 noch<br />
einmal 5,1 Tiere aus US-amerikanischer Zucht über den<br />
Bronx-<strong>Zoo</strong> in den Tierpark Berlin (Dieser hatte 1985 mit<br />
der Art die Welterstzucht außerhalb der Heimatländer,<br />
als ein Paar für San Diego dort in Quarantäne stand.).<br />
Aus dem „Re(h)“-Import gelangte auch ein Bock nach<br />
Rotterdam, der zusammen mit den Shanghaier Tieren<br />
dort die Basis für den heutigen Bestand in Europa bildete
(POHLE 1989, 1995, 1996, 1998, 2005). So bezogen auch<br />
wir unser Weibchen „Petra“ vom <strong>Zoo</strong> Rotterdam. Gemeinsam<br />
mit ihrem ihr zugedachten Partner, der im <strong>Zoo</strong><br />
Twycross (GB) geboren wurde, verbrachte sie zunächst<br />
12 Tage im Stall, um mit ihm als Rückzugsort vertraut<br />
zu werden. Bereits dabei zeigte sich ein deutlicher Unterschied<br />
im Charakter der beiden. Ist zwar auch „Petra“<br />
mittlerweile ruhig und abwartend in Anwesenheit der<br />
Pfleger, so reicht sie doch keinesfalls an die Zutraulich-<br />
„Lebendes Stück Seife“ - Schopfhirsch im Sprung<br />
keit des kleinen Briten heran. Schon der Transporteur<br />
berichtete fasziniert beim Eintreffen in <strong>Magdeburg</strong>, wie<br />
der sehr zahme Hirsch ohne Zwang und Druck von den<br />
englischen Kollegen in die Kiste gestreichelt worden war.<br />
Auch unseren Pflegern fraß er nach kurzer Zeit aus der<br />
Hand, lässt sich berühren und unternimmt bei Reinigungsarbeiten<br />
kleine Spaziergänge auf dem Stallgang<br />
(über ähnliche Zutraulichkeit berichten die Heidelberger<br />
Pfleger von ihren Schopfhirschen). Ob seines neugierigen<br />
und unerschrockenen Verhaltens lag es für uns nahe,<br />
dass, sollte es beim Kennenlernen der Freianlage und<br />
ihrer Grenzen in erster Exploration vielleicht zu einem<br />
Ausbruch kommen, es sicherlich den Bock betreffen würde.<br />
Vorsorglich wurde der Wassergraben am tierseitigen<br />
Ufer mit mehreren Flatterbändern markiert – die ersten<br />
fünf Tage lang durchstreiften auch beide Schopfhirsche<br />
komplikationslos ihr neues Revier. Am sechsten Tage<br />
erreichte mich ein Anruf des Bereichsleiters während<br />
eines Termins in der Stadt: „Im Gehege befindet sich nur<br />
noch ein Schopfhirsch und Besucher haben im Vorpark<br />
ein Reh gesehen!“ Schlimmste Vorstellungen taten sich<br />
auf, und wir hofften, dass das Tier zumindest nicht aus<br />
dem <strong>Zoo</strong>gelände gelangt war. Am Schauplatz angekommen,<br />
war es immer noch auf freiem Fuß – und es war<br />
das scheue Weibchen! Glücklicherweise sprengte es nicht<br />
quer über die großen Wiesenflächen, sondern drückte<br />
sich artgemäß in den dichten Rhododendronbüschen<br />
herum. Versuche, es über Wirtschaftswege ins Gehege<br />
zurück zu treiben, misslangen. Im hoppelnden Galopp<br />
durchbrach es die Treiberkette Richtung neuem Nashornhaus,<br />
„fing“ sich erfreulicherweise jedoch selbst in einem<br />
nach drei Seiten abgeschlossenen Pflanzstreifen hinter<br />
TIERGESCHICHTEN<br />
dem Vogelhaus. Die kaum drei Meter breite offene Seite<br />
wurde nun mit vier Kollegen „dicht gemacht“. Langsam<br />
näherten sie sich durch die Büsche dem Hirsch. Je näher<br />
sie kamen, umso unruhiger äugte das kleine Huftier nach<br />
einem Ausweg. Wohl spähte es Richtung Oberkante der<br />
umgebenden Zäune, aber ein Buschschlüpfer sucht nicht<br />
sein Heil, indem er sprichwörtlich Wände hochgeht, wie<br />
es zum Beispiel viele Antilopen in dieser Situation getan<br />
hätten. Auf zwei Meter ließ es uns herankommen, dann<br />
startete der vierbeinige Torpedo und schaffte es mit<br />
Bravour, wie ein Aal zwischen den Fängern hindurchzugleiten.<br />
Allein die zweite Kette Treiber hatte es nicht<br />
einkalkuliert. Ein Verzweiflungssprung nach vorn ließ<br />
es zufällig auf eine Tierpflegerin prallen, die dadurch<br />
zwar umgerissen wurde, aber beherzt das ob seines so<br />
glatten Fells „lebende Stück Seife“ packte und sich mit<br />
ihm auf dem Boden wälzte, es aber nicht los ließ! Zu Hilfe<br />
eilende Kollegen sicherten dann Beine und Rumpf und<br />
befreiten sie so von ihrer quicklebendigen Trophäe. Nach<br />
Rückführung der Tiere in den Stall war auch schnell die<br />
Ausbruchsstelle gefunden. Der vor Jahren zum Sumpfbeet<br />
umgestaltete Wassergraben hatte nur noch eine<br />
Tiefe von rund 10 cm. Das Schopfhirschweibchen war<br />
bequem durch den Schlick zur äußeren Grabenmauer<br />
gelaufen und war über die Elektrodrähte gesprungen. In<br />
mühevoller Arbeit wurde daraufhin der Schlamm aus<br />
dem Becken herausgeholt und die maximale Grabentiefe<br />
wieder hergestellt. Erneute Ausbrüche blieben bisher<br />
aus, die Tiere sind nun tatsächlich eingewöhnt und wir<br />
hoffen auf baldigen Nachwuchs.<br />
Dank<br />
Mein Dank gilt Herrn Harald Schmidt, Kurator am <strong>Zoo</strong><br />
Rotterdam, der mir für den Artikel freundlicherweise<br />
die Bestandsdaten der dort gehaltenen Schopfhirsche<br />
zukommen ließ.<br />
Quellen:<br />
POHLE, C. (1989): „Geburt eines Schopfhirsches im Tierpark Berlin sowie<br />
Angaben zu Gewicht und Geweihwechsel von Elaphodus cephalophus“;<br />
Der <strong>Zoo</strong>logische Garten (NF) 59, S. 188-194.<br />
(1995): „Huftierhaltung und -zucht im Tierpark Berlin-Friedrichsfelde<br />
in den ersten vier Jahrzehnten seines Bestehens“; Milu Bd.8, Heft 3/4,<br />
S. 415-451.<br />
(1996): „Jahreszeitliche Verteilung der Cerviden - Geburten im Tierpark<br />
Berlin-Friedrichsfelde“; Milu Bd.8, Heft 6, S.698-705.<br />
(1998): „Schopfhirsche im Tierpark Berlin- Friedrichsfelde“; Takin 7 , Heft 2,<br />
S. 16-18.<br />
(2005): „Zehn Jahre danach: Die Entwicklung des Huftierbestandes im<br />
fünften Jahrzehnt des Tierparks Berlin“; Milu Bd. 11, Heft 4, S. 396-416.<br />
5
6<br />
TIERGESCHICHTEN<br />
Zum Bau von<br />
Baumnestern durch<br />
Nasenbären im<br />
<strong>Zoo</strong>logischen<br />
Garten <strong>Magdeburg</strong><br />
René Driechciarz und Konstantin Ruske<br />
Die Geschichte der <strong>Zoo</strong>logischen Gärten ist von Anfang<br />
an ein Prozess der steten Weiterentwicklung, des Gewinnens<br />
und Beachtens neuer Einsichten und Kenntnisse,<br />
mithin ein ständiges Suchen nach Verbesserung in der<br />
Haltung jeder Tierart. So ist auch die Planung und der<br />
Bau neuer Tieranlagen eigentlich immer getragen von<br />
dem Wunsch, nicht nur attraktivere Schaubereiche für<br />
die Besucher zu schaffen, sondern auch für die Bewohner<br />
den Lebensstandard weiter zu heben. Ein schönes, wenn<br />
nicht wertvollstes Zeichen für den tiergärtnerischen<br />
Erfolg einer neuen Anlage ist die Beobachtung von Verhaltensweisen,<br />
die unter den alten Haltungsbedingungen<br />
nicht zu beobachten waren, obwohl sie von dieser Tierart<br />
aus dem Freiland bekannt sind.<br />
Dies ist bei unserer Gruppe Roter Nasenbären (Nasua<br />
nasua) der Fall, die nach Bezug der neuen Südamerika-<br />
Anlage mit dem Bau von Baumnestern begannen. Da<br />
dieses Verhalten in der deutschsprachigen Literatur nur<br />
wenig im Detail beschrieben ist, sollen im Folgenden<br />
Einzelheiten aus der Saison 2010 geschildert werden.<br />
In wechselnden, für Kleinraubtierhaltung typischen<br />
Käfiganlagen werden Nasenbären seit 1970 (SCHRÖ-<br />
Tapire und Nasenbären auf der Südamerika-Anlage<br />
Nasenbären auf der Stieleiche<br />
PEL, 2000) im <strong>Zoo</strong> <strong>Magdeburg</strong> gezeigt. Die robusten und<br />
anspruchslosen <strong>Zoo</strong>tiere (Erstzucht 1972) entwickelten<br />
sich auch unter diesen herkömmlichen Bedingungen<br />
gut. Von der Befriedigung der Grundbedürfnisse kann<br />
zweifelsohne ausgegangen werden. Am 14.9.2009 siedelte<br />
die aus 5,1 Tieren bestehende Nasenbären-Gruppe in die<br />
neu errichtete Anlage, die verschiedene südamerikanische<br />
Urwald- und Grasland-Bewohner in naturnahem<br />
Lebensraum präsentieren will (PERRET & KÖGLER 2010).<br />
Den Nasenbären stehen dabei zwei Innenkäfige a 16 qm<br />
sowie die 2000 qm große, reich mit lebenden Bäumen<br />
bestückte Außenanlage zur Verfügung. Sind auch einige<br />
der besonders wertvollen Bäume (z. B. fruchtspendende<br />
Mirabellen (Prunus domestica subsp. syriaca), gegen<br />
das Beklettern durch die Nasenbären geschützt, bleiben<br />
doch insgesamt 8 Starkbäume der Arten Sommerlinde<br />
(Tilia platyphyllos), Weißdorn (Crataegus monogyna),<br />
Spitzahorn (Acer platanoides), Hainbuche (Carpinus betulus),<br />
Birke (Betulaceae), Trauerweide (Salix babylonica),<br />
Stieleiche (Quercus robur), Esche (Thymallus thymallus)<br />
(wenn freistehend wegen glatter Rinde gemieden) als<br />
Betätigungsfeld, Ausguck und eben auch Schlafplatz in<br />
voller Höhe für die Kleinbären erreichbar. Da die Tiere<br />
nur zu zwei Kontrollfütterungen täglich, die gleichzeitig<br />
ein regelmäßiges Einsperren trainieren, kurzfristig<br />
ins Haus geholt werden, haben sie viele Stunden Zeit,<br />
sich geeignete Astgabeln als Ruheplätze auszusuchen.<br />
Dies geschieht auch bei nur wenigen Plusgraden und<br />
bevorzugt im Sommer über Nacht. Und ist es bereits ein<br />
Erlebnis, die oft erwähnte Behändigkeit der Nasenbären<br />
beim Balancieren über dünne Äste in 16 m Höhe zu beobachten<br />
und sich über die wie Baumschmuck verteilten<br />
Fellknäule in unterschiedlichen Etagen zu freuen, so<br />
waren die ab Juni 2010 registrierten Nester eine wei-
Kleines Nest auf der Hainbuche<br />
tere Bestätigung der artgerechten Haltung in der neuen<br />
Südamerika-Anlage. Auch im lateinamerikanischen<br />
Raum, in dem sich die natürlichen Verbreitungsgebiete<br />
der Gattung Nasua befinden, ist bisher wenig zu diesem<br />
für Kleinraubtiere außergewöhnlichen Verhalten publiziert<br />
worden. Umso interessanter sind für uns Vergleiche<br />
mit Daten aus dem Freiland, die OLIFIERS et. al. (2009)<br />
gewannen. Wie im brasilianischen Pantanal beobachtet,<br />
werden die Nester auch bei uns für zwei Zwecke gebaut<br />
und genutzt. Zum einen sind es bloße Schlafnester,<br />
zum anderen Zufluchts- und Aufzuchtsort für werfende<br />
Mütter und ihre heranwachsenden Jungtiere. Während<br />
andere Arten gleichen oder ähnlichen Ökotyps vor allem<br />
bereits bestehende geschützte Schlafbereiche wie Baum-<br />
oder Felsenhöhlen beziehen, bildete sich bei Nasenbären<br />
die Verhaltensweise des freien Nestbaues heraus. Diese<br />
alternativ opportunistische Verhaltensweise gibt den<br />
Nasenbären die Möglichkeit, eine vagabundierende<br />
Lebensweise innerhalb ihrer Territorien, die mehrere<br />
Quadratkilometer groß sein können, auszuüben. Darüber<br />
hinaus werden dadurch Konkurrenzsituationen mit<br />
anderen Raubsäugern wie z. B. dem Waschbär (Procyon<br />
lotor) insbesondere im Hinblick auf geschützte Schlafbereiche<br />
wie Baum- und Felsenhöhlen vermieden. Prinzipiell<br />
kann eine Nutzung von Baumhöhlen aufgrund<br />
der Gruppengrößen von bis zu 30 Weibchen sowie den<br />
sehr großen Würfen und den zur Verfügung stehenden<br />
Höhlen auch in den Regenwäldern Südamerikas und<br />
insbesondere den Savannen und Galeriewäldern eher<br />
ausgeschlossen werden. Aus den unterschiedlichen Nutzungen,<br />
die auch an die Geschlechter gebunden sind,<br />
resultieren differierende Bauweisen, wie wir bei unseren<br />
Tieren feststellen konnten. Unsere Männchen bogen als<br />
Unterbau in einer Astgabel (Aststärke mindestens 1 cm)<br />
dort wachsende Zweige zurecht. Auf diese wurde eine<br />
Auflage abgebissener und zurechtgedrückter Äste aufgebracht.<br />
Während die Außenränder taubennestartig eher<br />
liederlich ausgefranst waren, stellte sich der Innenteil mit<br />
einem Durchmesser von 25 - 50 cm als deutlich fester<br />
und kompakter dar. Die Nester werden, wenn möglich,<br />
regelmäßig neu angelegt, ältere aktiv entfernt. So wurden<br />
etwa am 22.6.2010 zwei neue Nester vorgefunden,<br />
zwei alte waren herunter geworfen. Am 27.6.2010 fand<br />
sich erneut ein frisches Nest, gleichzeitig war ein altes<br />
abgestoßen worden. Bereits am 8.7.2010 waren wiede-<br />
TIERGESCHICHTEN<br />
rum zwei neue Nester gebaut worden. Über Gründe für<br />
den häufigen Wechsel kann nur gemutmaßt werden. So<br />
könnten „zu lang“ genutzte Nester stärker von Parasiten<br />
befallen sein und/oder als Anlaufpunkt für potentielle<br />
Fressfeinde als „zu bekannt“ erscheinen.<br />
Das von unserem Weibchen zum Zwecke der Jungenaufzucht<br />
angelegte Nest wies demgegenüber wesentliche<br />
Unterschiede auf. Aus Gründen des Populationsmanagements<br />
ist sie das einzige weibliche Tier der Gruppe. Um<br />
die Belastbarkeitsgrenze unseres Weibchens nicht zu<br />
überschreiten, sind vier der fünf Männchen frühzeitig<br />
kastriert worden. Im Jahr 2010 war das Weibchen vom<br />
2.4. bis 14.7.2010 von den Männchen getrennt im Innenstall,<br />
um dort in Ruhe zu werfen und ihre 5 Jungen<br />
über die ersten Wochen zu bringen. Auch im Freiland<br />
verbringen die Weibchen die erste Phase der Aufzucht<br />
außerhalb ihrer Gruppe (EMMONS, 1997). Unserer Bärin<br />
wurde am 14.7.2010 samt der Jungen wieder Zugang zur<br />
Außenanlage in Anwesenheit der Männchen gewährt.<br />
Am 20.7.2010 fiel ein sehr großes, von der Sonne gut<br />
beschienenes Nest in einer Trauerweide auf, das sie mit<br />
ihrem Wurf bezogen hatte. Das Konstruktionsprinzip<br />
entspricht dem der Schlafnester der Männchen, allerdings<br />
ob der umfangreicheren Dimension mit erheblich<br />
dickeren Astgabeln als Unterbau. Der Durchmesser dieses<br />
Nestes betrug rund 1,30 m, das Gewicht wurde mit 10<br />
kg bestimmt. Solange sich die Jungen auf der Anlage<br />
befanden (Abgabe am 14.8.2010), war interessanterweise<br />
Nest auf der Trauerweide<br />
7
8<br />
TIERGESCHICHTEN<br />
Nasenbärin im Nest mit Jungtieren<br />
nur der Vater einige Male auf diesem Nest zu beobachten,<br />
nie jedoch die Kastraten. Dies spricht durchaus für individuelle<br />
Bindungen zwischen den Gruppenmitgliedern,<br />
die durch den bei einzelnen Rüden bestehenden Fertilitätsstatus<br />
erklärt werden könnte, wenngleich sie außerhalb<br />
des Schlafnestes den gleichen Futterplatz nutzen.<br />
Eventuell wurde auch durch das Fernhalten der Kastraten<br />
mögliches agonistisches Verhalten der „Nichtväter“ gegenüber<br />
den Jungen von der Mutter im Nest vermieden.<br />
Nach Abgabe der Jungen waren hin und wieder auch<br />
die Kastraten auf dem Nest, hauptsächlich jedoch das<br />
Zuchtpaar. Am 15.10.2010 wurde das Nest bei starkem<br />
Sturm vom Baum geweht und anschließend vermessen.<br />
Im Pantanal konnten OLIFIERS und Mitarbeiter (2009)<br />
Weibchennester mit einer durchschnittlichen Grundfläche<br />
von 49x38 cm und 45x45 cm nachweisen. Somit war<br />
unser Nest etwa doppelt so groß. Weißrüsselnasenbären<br />
(Nasua narica), deren Junge durch Kapuzineraffen (Cebus<br />
capucinus) bejagt werden (PERRY et. al. 1993), bauen<br />
sogar geschlossene Kugelnester, gelegentlich/häufig mit<br />
zwei Eingängen. Die Anpassungsfähigkeit an die jeweiligen<br />
Gegebenheiten bezüglich vorhandener Bäume und<br />
Nistmaterialien sowie Erfordernisse, die aus Feinddruck<br />
resultieren, ist der gesamten opportunistischen Natur<br />
der Nasenbären folgend also extrem hoch. Die durchschnittliche<br />
Höhe der Nistplätze in den Bäumen liegt im<br />
Pantanal bei 4,4 - 9,3 m (und höher), unser Aufzuchtsnest<br />
in der Weide war 7,5 m hoch, die Schlafnester der<br />
Männchen befanden sich in 8 - 12 m Höhe.<br />
Insgesamt freuen wir uns, dass die Bedingungen auf<br />
unserer neuen Anlage es den Tieren nun gestatten, dieses<br />
besondere und gattungstypische Verhaltensmuster zu<br />
zeigen, was ihren Komfort sicher erhöht. Mit Spannung<br />
erwarten wir die kommende (Zucht-)Saison und haben<br />
darüber hinaus wieder einen Anstoß erhalten, auch über<br />
die Bedürfnisse unserer scheinbar weniger anspruchsvollen<br />
Pfleglinge nachzudenken.<br />
Quellen:<br />
EMMONS, L. (1997): „Neotropical rainforest mammals: a field guide“,<br />
Chicago, The University of Chicago Press, S. XVI + 307 .<br />
OLIFIERS, N., BIANCHI, R. d C., MOURAO, G. d M. und M.E. Gompper (2009):<br />
“Construction of aboreal nests by brown-nosed coatis, Nasua nasua<br />
(Carnivora: Procyonidae) in the Brazil Pantanal”, <strong>Zoo</strong>logia 26 (3), S. 571-574.<br />
PERRET, K. & KÖGLER J. (2010): „Tapir, Nasenbär und Co - eine „amazonische“<br />
Wohngemeinschaft“, Felis News 2010, S. 11.<br />
PERRY, S. & L. ROSE (1993): “Begging and transfer of coati meat by White-<br />
faced capuchin monkeys (Cebus capucinus)”, Primates 35 (4), S. 409-415.<br />
SCHRÖPEL, M. (2000): „Im Zeichen des Luchses - 50 Jahre <strong>Zoo</strong> <strong>Magdeburg</strong>”,<br />
Chronik, Anlage XX.
Die „Elefantenpfl<br />
egerin“ –<br />
Sonja Kratzke<br />
Björn Encke<br />
Fast jedes Unternehmen mit Tradition verfügt in den<br />
Reihen seiner Mitarbeiter über sogenannte Urgesteine –<br />
Kollegen, die seit vielen Jahren dabei sind, den Aufbau<br />
und die Entwicklung des Betriebes miterlebt und mitgeprägt<br />
haben. Sonja Kratzke ist das wohl bekannteste<br />
aktive „Urgestein“ des <strong>Magdeburg</strong>er <strong>Zoo</strong>s – und eines<br />
seiner markantesten obendrein.<br />
Als gelernte Geflügelwirtin trat sie am 1.9.1966 ihren<br />
Dienst als Tierpflegerin an, die Prüfung zum <strong>Zoo</strong>tierpfleger<br />
folgte einige Jahre später. Schon bald entdeckte<br />
sie im Umgang mit den in <strong>Magdeburg</strong> geborenen Schimpansenmännern<br />
Robi, Gando und Demu ihre Liebe zu<br />
den Menschenaffen, es sollte jedoch 20 Jahre dauern,<br />
bis sie als dann verantwortliche Revierleiterin bei den<br />
Menschenaffen ihre Erfüllung finden sollte. Zunächst<br />
unterbrachen Schwangerschaft und Babypause ihre berufliche<br />
Laufbahn, ohne freilich die Nähe zum <strong>Zoo</strong> zu<br />
verlieren – schließlich lebte sie mit ihrem Mann, dem<br />
langjährigen <strong>Zoo</strong>tierinspektor Ortwin Kratzke bis 2010<br />
direkt auf dem Gelände, nur einen Steinwurf weit entfernt<br />
von „ihrem“ Revier im Norden des <strong>Zoo</strong>s. Luchse, Adler<br />
und auch die europäischen Wildkatzen gehörten dazu.<br />
Als 1985 der <strong>Zoo</strong> einen Findlingswurf dieser seltenen<br />
und äußerst scheuen einheimischen Raubkatze aus dem<br />
Harz erhielt, war es Sonja Kratzke, die mit Hilfe einer<br />
Katzenamme die fünf Welpen aufzog. Mit ihnen gelang<br />
der Durchbruch bei der Zucht; zahlreiche Nachkommen<br />
Die glücklichste Zeit. Sonja Kratzke mit der jungen Nana in ihrem „Fahrzeug“<br />
beim <strong>Zoo</strong>spaziergang, 1988<br />
Sonja Kratzke mit jungen Wildkatzen, 1985<br />
PORTRAIT<br />
der <strong>Magdeburg</strong>er Wildkatzen konnten im Laufe der Jahre<br />
wieder ausgewildert werden.<br />
Dieser Erfolg konnte Sonja Kratzke nicht davon abhalten,<br />
ihren Traum von den Menschenaffen zu verwirklichen.<br />
Die Gelegenheit bot sich 1987 – im Jahr zuvor waren<br />
Robi, Gando und Demu abgegeben worden. Das völlig<br />
überalterte Affenhaus war keine zumutbare Unterkunft<br />
für erwachsene Schimpansenmänner. Die tiergärtnerische<br />
Entscheidung, auf die Haltung von Menschenaffen zu<br />
verzichten, wurde von der Öffentlichkeit jedoch keineswegs<br />
akzeptiert. Schließlich gab die Direktion dem<br />
Druck nach und übernahm das im niederländischen<br />
Rhenen geborene anderthalb-jährige Schimpansenweibchen<br />
Nana. Da sich die vormalige „Affenmutter“<br />
Bärbel Engelhardt zu dieser Zeit selbst in Mutterschutz<br />
befand, war der Weg frei für Sonja Kratzke. Nana war<br />
noch ein Kind, nach drei Monaten bei der völlig überforderten<br />
Mutter hatten die holländischen Kollegen sie<br />
in die Handaufzucht überführen müssen. Um der jungen<br />
Schimpansendame eine möglichst gute Eingewöhnung<br />
zuteil werden zu lassen, stellte der damalige Direktor<br />
Wolfgang Puschmann Sonja Kratzke von allen übrigen<br />
Aufgaben frei, einziger Auftrag: die Pflege von Nana.<br />
Was folgte, war die glücklichste Zeit ihres Berufslebens.<br />
Die Tage vergingen mit Spaziergängen und Spiel mit der<br />
heranwachsenden Nana, am Abend wachte Sonja Kratzke<br />
an ihrem Schlafplatz im alten Affenhaus, bis die Kleine<br />
eingeschlafen war. „Kaum dachte man, jetzt schläft sie,<br />
und wollte sich ganz leise zurückziehen, hob sie den<br />
Kopf und protestierte. Wie bei einem Kleinkind am Bett<br />
saß ich oft Stunden lang, bis ich nach Hause konnte.“<br />
Zwei Jahre nach Nana kam Wubbo, ein 4-jähriger Schimpansenmann<br />
mit einer traumatischen Kindheit. „Wubbo<br />
kam aus der AIDS-Forschung, ohne Schneidezähne,<br />
9
10<br />
PORTRAIT<br />
Doppelportrait einer inniglichen Beziehung. Sonja Kratzke und „Zieh-<br />
Tochter“ Nana, 1990<br />
völlig verängstigt, ein gebrochener Affe.“ Sonja Kratzke<br />
hat auch ihn unter ihre Fittiche genommen, hat ihn gepäppelt<br />
und versucht, ihm seine Ängste zu nehmen. Ein<br />
souveräner Schimpansenmann ist Wubbo nie geworden,<br />
Sonja Kratzke drückt es nur sehr viel schöner aus: „Er ist<br />
ein Gentleman, er lässt Nana den Vortritt.“ Allein, wenn<br />
er einen für Schimpansen typischen cholerischen Anfall<br />
kriegt, geht sie ihm aus dem Weg, ansonsten ist Nana die<br />
Chefin, die Schlauere von beiden. Einmal hat sie sogar<br />
Sonja Kratzke ausgetrickst, es war der 1.5.2007. Sonja<br />
Kratzke öffnete die Tür zum Absperrkäfig, wähnte Nana<br />
auf der großen Anlage. Was sie nicht sah war, dass Nana<br />
sich – vollkommen entgegen aller Gewohnheiten - an der<br />
Decke hängend versteckt hatte. Erst als der Anruf kam,<br />
Nana sitze auf einer Mauer an der <strong>Zoo</strong>kasse und lasse sich<br />
fotografieren, fiel Sonja Kratzke auf, dass sie ausgebrochen<br />
war. Unverzüglich eilte sie zum Ort des Geschehens. Tatsächlich<br />
ließ sich Nana in alter Gewohnheit an der Hand<br />
zurück ins Menschaffenhaus führen, die Sache ging gut<br />
aus. Das Herz ist Sonja Kratzke erst in die Hose gerutscht,<br />
als Nana wieder in ihrer Anlage und eingesperrt war.<br />
Spaß mit Nana: Mit der Meldung, Nana telefoniere gerne mit anderen<br />
Schimpansen in den <strong>Zoo</strong>s der Welt jagte der <strong>Zoo</strong> die Presse ins Bockshorn<br />
– nicht alle Pressevertreter fanden diesen Aprilscherz lustig, 1993<br />
„Die Intelligenz dieser Tiere ist eine ständige Herausforderung.<br />
Einen guten Pfleger zeichnet aus, sich dieser<br />
Herausforderung täglich zu stellen.“<br />
Es gibt in den <strong>Zoo</strong>s nur wenige Tiere, die ihre Pfleger<br />
in dieser Beziehung so stark herausfordern, neben den<br />
Menschenaffen sind dies vielleicht noch Delfine und<br />
natürlich Elefanten. Und so wie der Mensch die Tiere<br />
prägt, mit denen er eng zusammen ist, so prägen auch<br />
die Tiere den Menschen. Nicht von ungefähr gibt es das<br />
geflügelte Wort in der <strong>Zoo</strong>welt: „Es gibt nur eins, was<br />
Kommunikation gehört zum Geschäft, am Besten mit einem Lächeln.<br />
Sonja Kratzke klärt Besucher über den Sinn der Beschäftigung von Menschenaffen<br />
auf.<br />
schwieriger ist als Elefanten, und das sind Elefantenpfleger.“<br />
Dominanz, unbedingte Autorität und absolutes<br />
Selbstvertrauen sind hier – zumindest im direkten<br />
Kontakt – überlebenswichtig. Selbiges gilt sicherlich<br />
auch für Menschenaffenpfleger. Sowohl bei Elefanten<br />
als auch bei Menschenaffen rücken die <strong>Zoo</strong>s nach und<br />
nach von einer Haltung im direkten Kontakt ab. Sonja<br />
Kratzke gehört einer Generation an, bei welcher der<br />
Ausdruck „ein Leben für und mit Menschenaffen“ noch<br />
wörtlich zu verstehen ist, die Entschärfung eines Menschenaffenausbruchs<br />
durch An-die-Hand-Nehmen wird<br />
es in Zukunft in <strong>Zoo</strong>logischen Gärten kaum noch geben.<br />
Diesen Wandel sieht auch Sonja Kratzke, und sie sieht<br />
ihn mit Optimismus. „Wenn man sich heute ansieht,<br />
welche Möglichkeiten es gibt, die Tiere intelligent zu<br />
beschäftigen, sie zu fordern und zu fördern, dann ist<br />
das schon enorm.“ Was sie sich wünscht für die zukünftige<br />
Pfleger-Generation? Mehr Offenheit zwischen den<br />
<strong>Zoo</strong>s, die Möglichkeit, in anderen Betrieben Erfahrung<br />
zu sammeln und sich auszutauschen. Und für Wubbo<br />
und Nana? Dass es ihnen gut geht, sie nach Möglichkeit<br />
doch noch mit anderen Schimpansen zu einer intakten<br />
Gruppe zusammengeführt werden, und wenn dies in
Für die artgerechte Haltung von hochintelligenten Tieren ist der regelmäßige<br />
Einsatz von Beschäftigungsmitteln unerlässlich. Wubbo beim<br />
Werkzeuggebrauch - mit Hilfe eines Stöckchens pult er die im „Rosinenholz“<br />
versteckten Leckereien heraus.<br />
<strong>Magdeburg</strong> nicht möglich ist, vielleicht auch anderswo.<br />
Es sind Tierpersönlichkeiten, und es sind menschliche<br />
Persönlichkeiten, die das Schicksal und Geschick eines<br />
<strong>Zoo</strong>s prägen, für Nana und Wubbo und Sonja Kratzke<br />
gilt dies in besonderem Maße, in guten wie in schlechten<br />
Zeiten. Und auch diese gab es in all den Jahren ihrer<br />
Tätigkeit, die Zeiten des Streites, der menschlichen Zerwürfnisse.<br />
Und wenn sie heute sagt „die Frage, was am<br />
Ende wichtiger ist, Affen oder Freundschaft, dann ist<br />
das für mich keine Frage: natürlich die Affen“, dann<br />
zeugt dies zwar von eher vernarbten denn verheilten<br />
Wunden, und doch wird es verständlicher, wenn man<br />
versteht, woher es kommt.<br />
PORTRAIT<br />
„Sonja war immer eine sehr lebenslustige Frau“, erinnert<br />
sich eine Kollegin, „hilfsbereit, gewissenhaft, manchmal<br />
ein bisschen launisch oder auch ungeduldig. Wir haben<br />
doch alle damals den Beruf ergriffen aus tiefster Überzeugung<br />
und mit großem Enthusiasmus. Unser Leben<br />
war der <strong>Zoo</strong>.“<br />
Durch Enthusiasmus befeuerter Idealismus bedingt<br />
starke Überzeugungen und die Bereitschaft, für diese<br />
zu streiten. Die Verbindung mit der Exklusivität des<br />
Mensch-Tier-Verhältnisses, wie sie zwischen Pfleger<br />
und hoch intelligentem Tier bestehen kann, bringt fast<br />
zwangsläufig jenen archetypischen „Elefantenpfleger“<br />
hervor. Niemand wird für Nana jemals die Rolle Sonja<br />
Kratzkes einnehmen können, aber das muss auch nicht<br />
schlimm sein. „Ich weiß meine Schimpansen bei den<br />
Kollegen in guten Händen, wenn ich gehe“, es werden<br />
nicht ihre Hände sein, genauso wenig, wie irgendwelche<br />
Hände jemals Nana an der Hand mitten durch die Schar<br />
der <strong>Zoo</strong>besucher werden lotsen können, aber das sollte<br />
ohnehin besser nie mehr notwendig werden.<br />
Ende 2011 wird Sonja Kratzke den <strong>Zoo</strong> nach über<br />
45 Jahren verlassen. Was danach kommt und wie es sich<br />
wohl anfühlen wird, darüber mag sie heute noch nicht<br />
spekulieren, allein ihre Rückschau steht, und sie steht<br />
für sie: „Ich habe immer versucht, mein Bestes zu geben,<br />
ob es immer das Beste war, weiß ich nicht.“<br />
Allmorgendliche Routine, die Säuberung der 250 qm großen Innenanlage der Schimpansen. Im Vergleich zu den 30 qm des alten Affenhauses bedeutete<br />
die Eröffnung des neue Menschenaffenhauses 2000 einen Quantensprung. Die geplanten Außenanlagen jedoch konnten aus Kostengründen<br />
nicht realisiert werden. Ihre Fertigstellung ist für 2013 geplant.<br />
11
12<br />
WISSENSCHAFT<br />
Afrikanische Stromschnellenfrösche:<br />
unbekannte Vielfalt<br />
im Sprühnebel<br />
Michael F. Barej & Mark-Oliver Rödel<br />
Museum für Naturkunde, Leibniz Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung<br />
an der Humboldt Universität Berlin, Invalidenstr. 43,<br />
D-10115 Berlin<br />
In den Medien verweisen Schlagwörter wie „globaler<br />
Diversitätsverlust“ oder „weltweites Amphibiensterben“<br />
regelmäßig darauf, dass viele Tier- und Pflanzenarten<br />
allgemein, ganz besonders aber Amphibien vom Aussterben<br />
bedroht sind. Die Ursachen hierfür sind vielfältig<br />
und reichen von der Zerstörung oder Umwandlung von<br />
Lebensräumen, der direkten Übernutzung (z.B. als Nahrungsmittel),<br />
über Krankheiten bis zum Klimawandel.<br />
Dem offensichtlichen Verlust an Arten steht, für manche<br />
Lebensraum der P. vulpiae in Kamerun<br />
P. parkeri Weibchen<br />
sicher überraschend, die stetig wachsende Zahl bekannter<br />
Arten gegenüber. So wurden in den letzten drei Jahren<br />
etwa 550 Amphibienarten wissenschaftlich neu, das<br />
bedeutet zum ersten Mal, beschrieben. Bekannt sind<br />
derzeit knapp 7000 Arten, vor 25 Jahren waren es 4500.<br />
Weitere Arten werden fast wöchentlich neu entdeckt oder<br />
sind bereits in den Sammlungen diverser Naturkundemuseen<br />
präsent und warten nun darauf, von den jeweiligen<br />
Spezialisten einen Namen zu bekommen. Dieser stetige<br />
Zuwachs an bekannten Arten liegt zum einen darin begründet,<br />
dass viele Gebiete bis heute wissenschaftlich nie<br />
oder nur oberflächlich untersucht wurden, zum anderen<br />
bieten moderne integrative Forschungsansätze durch die<br />
Verknüpfung vieler Methoden bessere Möglichkeiten,<br />
artspezifische Unterschiede überhaupt zu erkennen. So<br />
werden heute die traditionellen Methoden der Morphologie<br />
und Anatomie durch molekulare (Genetik) und<br />
bioakustische (Paarungsrufe der Frösche), aber auch<br />
ökologische und verhaltenskundliche Methoden ergänzt.<br />
Berücksichtigt werden auch nicht mehr nur die adulten,<br />
ausgewachsenen Stadien, sondern oft auch die Larven<br />
und deren Merkmale und Biologie.<br />
Denkt man an die Vielfalt (Diversität) tropischer Frösche,<br />
hat man oft bunte Pfeilgift- oder Baumfrösche<br />
vor Augen, dabei zeichnen sich aber gerade die weniger<br />
auffällig gefärbten Arten häufig durch eine besonders<br />
interessante Biologie aus. Insbesondere beeindruckt dabei<br />
bei den Amphibien die fast grenzenlose Vielfalt an<br />
Fortpflanzungsstrategien. Zu den augenscheinlich „wenig<br />
attraktiven“ Fröschen gehören auch die Arten der<br />
Gattung Petropedetes. Es handelt sich hierbei um recht<br />
einheitlich, bräunlich gefärbte, mittelgroße Frösche (die<br />
größten Vertreter erreichen bis zu 7,5 cm Körperlänge),<br />
die entlang von Stromschnellen in den afrikanischen Regenwäldern<br />
leben. Bis vor kurzem glaubte man, dass sie<br />
zur Familie der „Echten Frösche“ (Ranidae) gehören. In<br />
diese Familie gehören z.B. auch unsere heimischen Gras-<br />
und Wasserfrösche. Inzwischen weiß man aber, dass die<br />
Stromschnellenfrösche in eine eigene Familie, die Petropedetidae,<br />
gehören. Der bekannteste Vertreter dieser Familie<br />
ist der mit über 34 cm Körperlänge weltgrößte Frosch, der
Femoraldrüsen an den Innenseiten der Oberschenkel bei P. johnstoni<br />
(Männchen)<br />
Goliathfrosch, Conraua goliath. Die Stromschnellenfrösche<br />
sind hingegen meist nur Spezialisten bekannt. Bis vor<br />
kurzem glaubte man, dass die Gattung Petropedetes nur<br />
wenige Arten umfasst, die eindeutige Bestimmung der Tiere<br />
deshalb auch nicht schwierig ist. Einige Unstimmigkeiten<br />
zwischen unseren eigenen Beobachtungen und dem aus<br />
der Literatur bekannten Wissen, veranlasste uns im Jahr<br />
2010 allerdings dazu, mit einer wissenschaftlichen Aufarbeitung<br />
(Revision) - zunächst der zentralafrikanischen<br />
Arten - zu beginnen. Allein für Kamerun konnten wir so<br />
bereits drei neue Arten identifizieren und wissenschaftlich<br />
beschreiben. Nach aktuellem Kenntnisstand sind nun 12<br />
Arten wissenschaftlich beschrieben. Die größte Artenvielfalt<br />
liegt mit acht bekannten Arten in Zentralafrika<br />
(Petropedetes cameronensis, P. euskircheni, P. johnstoni,<br />
P. juliawurstnerae, P. palmipes, P. parkeri, P. perreti und<br />
P. vulpiae). Kamerun ist dabei das Diversitätszentrum, das<br />
all diese Arten beheimatet. Aus Ostafrika sind derzeit drei<br />
Vertreter beschrieben (P. dutoiti, P. martiensseni und P.<br />
yakusini). Westafrika scheint mit nur einer einzigen Art,<br />
P. natator, am artenärmsten zu sein.<br />
Hypertrophie der Arme, Tympanalpapille und Knochensporn bei P. vulpiae<br />
WISSENSCHAFT<br />
Charakterisiert ist die Gattung durch T-förmige letzte<br />
Zehenglieder (Endphalangen) und dreieckig verbreiterte<br />
Haftscheiben an Zehen und Fingern, einen externen<br />
Fortsatz im Trommelfell (Tympanalpapille), sowie Drüsen<br />
an den Innenseiten der Oberschenkel (Femoraldrüsen).<br />
Die Funktion dieser Femoraldrüsen ist unbekannt. Man<br />
nimmt aber an, dass sie bei der Fortpflanzung eine Rolle<br />
spielen. Ähnliche Drüsen findet man auch bei vielen<br />
anderen Froschgruppen. Ein für die Gattung Petropedetes<br />
einzigartiges Merkmal ist dagegen die Tympanalpapille,<br />
die ausschließlich die Männchen einiger zentral- und<br />
ostafrikanischer Arten besitzen, und die oft nur zur<br />
Paarungszeit ausgebildet wird. Sie unterstützt die Aussendung<br />
von Lauten, verstärkt aber auch deren Wahrnehmung<br />
und ist auf den arttypischen Frequenzbereich<br />
ausgelegt. Möglicherweise dienen die Fortsätze zudem<br />
als visuelles Erkennungsmerkmal auf kurze Entfernung<br />
und spielen eine Rolle beim Balzverhalten.<br />
Gelege bewachendes Männchen (P. perreti) mit Tympanalpapille<br />
Weitere rein saisonale sekundäre Geschlechtsmerkmale<br />
der Männchen sind eine Zunahme des Armumfangs<br />
(brachiale Hypertrophie) und ein stilettartiger Knochensporn,<br />
der am Daumen durch die Haut nach außen<br />
dringt. Darüber hinaus bilden sich in unterschiedlichem<br />
Umfang winzige Dornen in der Kehlregion, an Kopf und<br />
Flanken, den Oberarmen und im Brustbereich aus. Eine<br />
Zuordnung von Männchen zu einem Taxon ermöglicht<br />
die Bestimmung der Ausprägung der Schwimmhäute,<br />
der Größe und Lage der Femoraldrüsen, der Größe<br />
des Tympanums und der Position der Tympanalpapille.<br />
Eine Artbestimmung bei Weibchen und Jungtieren fällt<br />
dagegen deutlich schwerer. Diese Umstände führten sicherlich<br />
lange dazu, dass Unterschiede auf Artniveau<br />
nicht erkannt wurden.<br />
Generell sind diese Frösche zur Abenddämmerung oder<br />
nachts aktiv, können aber bei ausreichender Luftfeuchtigkeit<br />
auch tagsüber entlang von Fliessgewässern angetroffen<br />
werden. Zur Biologie ist jedoch bis dato nur sehr wenig<br />
bekannt, vieles geht auf anekdotische Beobachtungen oder<br />
Vermutungen zurück. Vielfach finden sich bei den Arten,<br />
13
14<br />
WISSENSCHAFT<br />
Petropedetes natator, Mt. Nimba 2008<br />
deren Männchen größer werden als die artgleichen Weibchen<br />
(z.B. P. parkeri), Kratzer am Körper. Ein umgekehrtes<br />
Größenverhältnis (Männchen größer als Weibchen) ist bei<br />
Amphibien selten und wird sehr oft mit Brutpflege und<br />
aggressivem Territorialverhalten sowie entsprechenden<br />
körperlichen Merkmalen bei den Männchen (Sporne an<br />
den Händen, Fangzähne und ähnliches) in Verbindung<br />
gebracht. Wahrscheinlich handelt es sich bei den Kratzern<br />
der Männchen um verheilte Verletzungen, die sie sich in<br />
Kämpfen mit den scharfen Dornenspornen zugefügt haben.<br />
Beobachtet hat dies allerdings noch niemand. Nach<br />
erfolgreicher Partnerfindung über akustische und visuelle<br />
Signale hat die Tympanalpapille eine weitere Funktion.<br />
Weibchen berühren die Papille beim Amplexus mit ihren<br />
Vorderextremitäten und es wird vermutet, dass sie so<br />
eine Aussonderung durch die Femoraldrüsen der Männchen<br />
stimulieren. Zur Fortpflanzung, die am Anfang der<br />
Regenzeit beginnt, platzieren Weibchen das Gelege auf<br />
feuchten Felsblöcken in der Spritzwasserzone entlang von<br />
Wasserläufen. Für verschiedene zentralafrikanische Arten<br />
liegen Beobachtungen vor, dass Männchen das Gelege offensichtlich<br />
bewachen. Die Kaulquappen aller Petropedetes-<br />
Arten sind hervorragend an ihren Lebensraum angepasst.<br />
Es gibt aber zwei ganz unterschiedliche Ökotypen. Die<br />
Petropedetes natator Männchen, Mt. Nimba<br />
zentralafrikanischen Kaulquappen leben auf Felsen in<br />
der Spritzwasserzone. Sie haben einen sehr muskulösen<br />
Schwanz mit nur geringem Flossensaum, den sie zum Klettern<br />
auf den vertikalen Felsflächen verwenden. Darüber<br />
hinaus bilden sie sehr früh ihre Hinterextremitäten aus,<br />
die ebenfalls als Hilfe bei der Fortbewegung dienen. Bei<br />
Gefahr flüchten die Kaulquappen durch Sprünge über die<br />
feuchte Oberfläche der Felsbrocken, stürzen sich aber nur<br />
im äußersten Notfall ins Wasser. Für einige Arten wurde<br />
aber auch eine Eiablage unter Blättern beobachtet und eine<br />
terrestrische Lebensweise der Kaulquappe vermutet. Dies<br />
geht auf Beobachtungen von Kaulquappen am Waldboden<br />
abseits von Gewässern zurück.<br />
Wie die zentralafrikanischen Arten ist auch der westafrikanische<br />
Petropedetes natator an schnell fließende Bäche<br />
und Flüsse gebunden. Seine Kaulquappen leben aber<br />
ganz anders als die zentralafrikanische Verwandtschaft.<br />
Mittels eines riesigen, saugnapfartigen Mundfeldes kleben<br />
sie sich an Steinen mitten in der stärksten Strömung von<br />
Flussläufen fest. In den vergangenen Jahren haben wir<br />
viele Fundorte von Stromschnellenfröschen in Guinea,<br />
Sierra Leone, Liberia und der Elfenbeinküste gefunden<br />
und so das bekannte Verbreitungsgebiet der Art deutlich<br />
erweitern können. Wie viele andere tropische Amphibien<br />
ist auch P. natator durch den Verlust geeigneter Lebensräume<br />
gefährdet. Gemäß der aktuellen Roten Liste der<br />
IUCN (International Union for Conservation of Nature)<br />
weist P. natator zwar einen abnehmenden Populationstrend<br />
auf, gilt jedoch als „gering gefährdet“, da die Art<br />
weit verbreitet ist. Momentan analysieren wir die genetischen<br />
und morphologischen Merkmale von Fröschen<br />
aus ganz Westafrika. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch,<br />
dass die Vielfalt an Stromschnellenfröschen in Westafrika<br />
bisher unterschätzt wurde und dass sich die „Art“<br />
P. natator aus mehreren Arten mit jeweils viel kleineren<br />
Verbreitungsgebieten zusammensetzt. Der Gefährdungsgrad<br />
der bekannten und der neu zu beschreibenden Arten<br />
wird so ein ganz anderer sein müssen.<br />
Weiterhin konnten wir feststellen, dass sich Petropedetes<br />
natator durch viele Merkmale von ihren zentral- und<br />
ostafrikanischen Verwandten unterscheiden. Neben<br />
den ganz unterschiedlichen Kaulquappen sind z.B. bei<br />
P. natator für beide Geschlechter Fangzähne am Unterkiefer<br />
bekannt und die Männchen besitzen einen Schallapparat<br />
für die Lautgebung. Dies sind Merkmale, die sonst<br />
bei keiner anderen Art der Gattung vertreten sind. In<br />
Zusammenarbeit mit Wissenschaftler aus Genf und Basel<br />
untersuchen wir deshalb, ob die westafrikanischen Frösche<br />
sogar in eine eigene, neue, Gattung zu stellen sind.<br />
Um die biologische Diversität schützen zu können, ist<br />
es zwingend erforderlich sie zu verstehen, das heißt u.a.<br />
eine möglichst genaue Übersicht über die Arten und ihre<br />
Verbreitung und Lebensweise zu erhalten. Die Gattung<br />
Petropedetes war lange Zeit aus dem Fokus der Wissenschaft<br />
gerückt. Neben der bislang übersehenen taxonomisch/systematischen<br />
Vielfalt zeigen u.a. die zerkratzten<br />
Männchen, dass hier möglicherweise noch viel mehr sehr<br />
interessante Verhaltensweisen zu entdecken sind.
David gegen Goliath<br />
auf chilenisch<br />
Wie die Humboldt-Pinguine einen historischen<br />
Sieg über die Energiewirtschaft errangen<br />
Björn Encke und Ulrike Weizsäcker<br />
Ende August 2010 lief eine Meldung über die Nachrichtenticker,<br />
die bei Tier- und Artenschützern weltweit im<br />
ersten Moment für ungläubiges Staunen und dann für<br />
Jubel sorgte. Der französisch-belgische Energiekonzern<br />
Suez Energy – hieß es da - zieht sein Projekt „Barrancones“<br />
zurück – nur Tage zuvor hatte der Konzern seitens<br />
der staatlichen Behörden grünes Licht für ebendieses<br />
Projekt erhalten: den Bau eines riesigen Kohlekraftwerkes<br />
an der nordchilenischen Küste – vis-a-vis des Schutzgebietes<br />
der Inseln Choros und Damas, einem der letzten<br />
Refugien des bedrohten Humboldt-Pinguins. Was war<br />
passiert? Spontan hatten sich im ganzen Land – zusammengetrommelt<br />
via Facebook, Twitter und Mobiltelefon,<br />
aufgebrachte Bürger zu Protestkundgebungen versammelt,<br />
Stunden nach der Entscheidung beherrschte das<br />
Thema die chilenischen Medien. Der öffentliche Druck<br />
steigt rapide, schließlich lenkt Präsident Sebastián Piñera<br />
ein und stellt sich auf die Seite der Demonstranten.<br />
Suez Energy zieht sein Projekt zurück – die Pinguine<br />
haben gewonnen.<br />
Das nationale Schutzgebiet für Humboldt-Pinguine beheimatet rund<br />
zwei Drittel der insgesamt geschätzten 25.000 verbliebenen Exemplare<br />
dieser Art, die ausschließlich an der chilenischen und peruanischen Küste<br />
vorkommt.<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Ulrike Weizsäcker, Fotografin<br />
(www.ulrike-weizsacker.com)<br />
So weit die simple Nachricht, was aber ist die Geschichte<br />
dahinter? Wie kann es sein, dass so viele Menschen<br />
plötzlich Anteil am Schicksal eines Pinguins nehmen,<br />
den die meisten von ihnen selbst niemals zu Gesicht<br />
bekommen werden? Sind die Chilenen plötzlich alle Tiernarren<br />
wie die Deutschen im Fall von Eisbär Knut? Die<br />
Mit einer Körpergröße von 45 cm und einem Gewicht von bis zu 4 kg<br />
gehört der Humboldt-Pinguin zu den kleineren Arten seiner Familie.<br />
Vermutung liegt nahe, dass die Antwort nein lautet, dass<br />
es tiefere Beweggründe geben muss als die emotionale<br />
Verbundenheit mit einem Tier, bzw. einer Art.<br />
Um diese Geschichte zu erfahren, haben wir die in Santiago<br />
de Chile lebende deutsche Fotografin Ulrike Weizsäcker<br />
in den Norden Chiles geschickt, an den Ort des Geschehens.<br />
Ihr fotografischer Bericht mag uns optimistisch<br />
stimmen, er erzählt uns die Geschichte des Sieges der<br />
Vernunft - und zwar sowohl der ökologischen, als auch<br />
der ökonomischen und sozialen Vernunft – mit einem<br />
kleinen, schwarz-weißen Frackträger als Galionsfigur.<br />
Hintergrund<br />
Im Jahr 2008 gründete das Ehepaar Gabriele und Werner<br />
Knauf in Landau in der Pfalz den Verein Sphenisco. Sein<br />
Ziel: Die Rettung der südamerikanischen Humboldt-<br />
Pinguine. Als Teilnehmer des Europäischen Erhaltungs-<br />
15
16<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Chilenisch-Deutsches Duo: Rosa Rojas und Gabriele Knauf, die Speerspitzen ihrer Vereine, auf Pinguin-Exkursion, und bei der Besprechung anstehender<br />
Aktionen. Die Arbeitsteilung: MODEMA organisiert den Protest vor Ort, Sphenisco sorgt für internationales Gehör und Unterstützung aus Europa.<br />
zuchtsprogramms für Humboldt-Pinguine lag es dem <strong>Zoo</strong><br />
<strong>Magdeburg</strong> nahe, im Rahmen seiner Aktion Naturschutz<br />
Sphenisco als kooperatives Mitglied zu unterstützen.<br />
Zu den Gründungsmitgliedern von Sphenisco zählte<br />
auch Rosa Rojas, die Vorsitzende der chilenischen Umweltschutzinitiative<br />
MODEMA (Movimiento de Defensa<br />
del Medio Ambiente), die sich ebenfalls für die Belange<br />
der Humboldt-Pinguine einsetzt.<br />
MODEMA selbst hatte sich gegründet, als 2007 Pläne<br />
bekannt wurden, an der Küste der Gemeinde La Higuera<br />
im Norden Chiles drei Kohlekraftwerke zu errichten - in<br />
unmittelbarer Nähe zum nationalen Schutzgebiet der<br />
Humboldt-Pinguine.<br />
Die Kraftwerke sollten helfen, den enormen Energiebedarf<br />
des Bergbaus in den nahe gelegenen Anden zu befriedigen<br />
- befeuert durch Importkohle, die in entsprechenden<br />
neuen Häfen direkt an die Kraftwerke herangeführt<br />
werden sollte.<br />
Wie alle Pinguine ernährt sich auch der Humboldt-Pinguin in erster<br />
Linie von kleineren schwarmbildenden Fischen, aber auch Tintenfische<br />
werden gerne genommen.<br />
Der Bau der Kraftwerke hätte durch die damit einhergehende<br />
Umweltverschmutzung nicht nur die Pinguine<br />
bedroht, sondern auch die Existenzgrundlage der dort<br />
ansässigen Bevölkerung, die fast ausschließlich von Fischerei,<br />
Tourismus und – im Rahmen der klimatischen<br />
Möglichkeiten - Landwirtschaft lebt. Die Gewässer dieses<br />
Küstenabschnittes zählen zu den artenreichsten und<br />
produktivsten Gebieten Chiles. Hauptgrund dafür sind<br />
die Meeresströmungen, die genau hier Eier und Larven<br />
von Fischen und anderen Meerestieren anschwemmen.<br />
Ein 500 MW-Kohlekraftwerk benötigt rund 80.000 Kubikmeter<br />
Kühlwasser pro Stunde, welches durch große<br />
Turbinen direkt aus dem Meer angesaugt wird – mit<br />
Chlor versetzt und um bis zu 10 Grad Celsius erhitzt,<br />
wird dieses Wasser zurück ins Meer geleitet.<br />
Die Folgen für die Meeresfauna wären entsprechend<br />
katastrophal. Gleichzeitig würde die Luftverschmutzung<br />
durch den täglichen Ausstoß von tonnenweise Kohlendioxid<br />
und anderen Schadstoffen rapide ansteigen, zumal<br />
aufwändige Filterungssysteme bei den geplanten<br />
Projekten nicht vorgesehen waren. Die Konsequenzen<br />
für die Landwirtschaft, die zudem stark auf Öko-Anbau<br />
ausgerichtet ist, wie für die Gesundheit der lokalen Bevölkerung<br />
liegen auf der Hand. Und auch die Auswirkungen<br />
auf den Tourismus lassen sich angesichts dieser<br />
Szenarien leicht abschätzen.<br />
Die Küstenstadt La Serena, 500 Kilometer nördlich der<br />
Hauptstadt Santiago, bildet das Tor zum Norden, hier<br />
beginnt der Übergang zur Atacama, der trockensten<br />
Wüste der Erde.<br />
Von der Küste geht es steil hinauf in die Anden. Hier<br />
findet sich das Herz der chilenischen Bergbauindustrie, in<br />
der Region Coquimbo maßgeblich die Minen El Indio und<br />
Pascua Lama, in denen vor allem Gold gefördert wird.
Chronologie der Ereignisse<br />
Schon kurz nach ihrer Gründung 2007 erkennen die<br />
MODEMA-Aktivisten um Rosa Rojas das Potenzial der<br />
Pinguine als Symbolfigur ihres Anliegens. Wer interessiert<br />
sich schon für die ökonomischen und sozialen<br />
Sorgen von ein paar Hundert-Seelen-Dörfern in Nord-<br />
Chile? MODEMA erklärt die Humboldt-Pinguine zu ihrer<br />
„Flaggschiffart“, zum Symbol für ihr Ringen um eine<br />
nachhaltige Politik im Sinne sowohl der Biodiversität<br />
als auch der Zukunftschancen der Region.<br />
2008 kommt es zu Expertenanhörungen vor der Regionalverwaltung<br />
in Coquimbo und zu ersten größeren<br />
Demonstrationen auch in La Serena. Im November zieht<br />
mit der halbstaatlichen Codelco das erste Unternehmen<br />
sein Projekt zurück.<br />
AKTION AKTION NATURSCHUTZ<br />
NATURSCHUTZ<br />
„Flaggschiffart“ Humboldt-Pinguin: Botschafter nicht nur für die anderen<br />
Tiere ihres Lebensraumes, sondern auch für die Menschen der Region.<br />
2009 werden die Kraftwerksprojekte an der Küste von<br />
La Higuera – unterstützt durch eine Medienkampagne<br />
und einen Dokumentarfilm – zunehmend zum nationalen<br />
Politikum. Und auch auf internationaler Ebene erheben<br />
sich – dank Sphenisco – mehr und mehr Stimmen.<br />
Ende August 2010 überschlagen sich die Ereignisse. Am<br />
Dienstag, den 24. August erklärt das regionale Entscheidungsgremium<br />
die Kraftwerks-Pläne des französischbelgischen<br />
Konzerns Suez Energy für umweltverträglich,<br />
mit Mehrheit der 15 Regierungsvertreter gegen 4 Gegenstimmen<br />
der externen Berater. Am Tag darauf übergeben<br />
die Aktivisten öffentlichkeitswirksam tausende<br />
Protestschreiben aus aller Welt, allein 17.000 davon hatte<br />
Sphenisco gesammelt. Während dieser Veranstaltung<br />
wird eine Regierungsvertreterin beim Schreiben einer<br />
17
18<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Im Juli 2009 erhalten zwei der führenden Umweltaktivisten Morddrohungen<br />
per SMS.<br />
SMS gefilmt: „27.000 Unterschriften haben sie gesammelt,<br />
diese Scheiß-Hippies, mir stinkt’s.“ Ein politischer<br />
Skandal droht, die Frau wird entlassen, und Präsident<br />
Piñera, der selbst gerne zum Tauchen an die Küste von<br />
La Higuera reist, sieht sich genötigt, einzulenken und<br />
damit sein eigenes Wahlkampf-Versprechen einzulösen.<br />
Am Donnerstag stellt er sich öffentlich auf die Seite des<br />
Protestes. Suez Energy zieht sein Projekt zurück.<br />
Kormorane auf Felsen - Auch sie gehören zu den Siegern im „Windschatten“ der Humboldt-Pinguine.<br />
Bootsname als Motto der Fischer in diesem Streit: „Todo o nada“ – „Alles<br />
oder nichts.“<br />
Der Wind hat endgültig zugunsten der Bürgerbewegung<br />
gedreht. Im März 2011 gibt mit CMP (Compania Minera<br />
del Pacifico) auch der letzte verbliebene Energiekonzern<br />
auf.
Nach 75 Kilometern auf der Panamericana<br />
von La Serena in nördliche<br />
Richtung zweigt die Straße ab nach<br />
Punta de Choros, 42 Kilometer durch<br />
die Bergketten der Küstenkordillere<br />
hinunter Richtung Pazifik. Am Wegesrand,<br />
ein erstes Ausrufezeichen<br />
der aufbegehrenden Zivilgesellschaft:<br />
Graffiti „No a las Termo“ – Kraftwerk<br />
nein danke!<br />
Die karge, steinige Landschaft hat bereits<br />
Wüstencharakter, gerade noch<br />
um die 100 mm Niederschlag fallen<br />
hier pro Jahr, in Deutschland liegt dieser<br />
Wert über 600 mm. Wer hier lebt,<br />
muss von Natur aus genügsam sein,<br />
wie Kakteen, oder auch Guanakos.<br />
Die raue Pazifikküste ist erreicht – in<br />
der Gemeinde La Higuera ein wahres<br />
Touristen-Paradies, felsige Küsten<br />
wechseln sich ab mit weißen Sandstränden<br />
an kleinen Buchten, ideale<br />
Bedingungen für Taucher, Sportangler<br />
und Sonnenanbeter.<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Die komplette Ausstellung<br />
ist bis zum 28. September 2011 in der <strong>Zoo</strong>welle (<strong>Zoo</strong>eingang) zu besichtigen.<br />
Der Eintritt ist kostenfrei.<br />
19
20<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Rosa Rojas vor ihren Ferienhäusern,<br />
die sie im Sommer an Touristen vermietet.<br />
Sie ist Vorsitzende, Motor,<br />
Herz und Stimme der Bürgerinitiative<br />
MODEMA. Die Pinochet-Ära<br />
überdauerte sie im kanadischen Exil,<br />
nach dem Ende der Diktatur kehrte<br />
die Lehrerin in ihre Heimat zurück<br />
und ließ sich in Punta de Choros<br />
nieder.<br />
Hauptstraße am Ortseingang des 300<br />
Seelen-Dorfes Punta de Choros<br />
Silvia Gutierrez, als ehemalige Bankangestellte<br />
prädestiniert für den Job<br />
des Kassenwarts von MODEMA. Die<br />
Pinguin-T-Shirts hat Rosa Rojas<br />
Sohn in Kanada drucken lassen,<br />
durch deren Verkauf kamen einige<br />
Pesos in die MODEMA-Kasse. Dieses<br />
Exemplar freilich ist das letzte und<br />
unverkäuflich.
Cristian Cortez, der Alcalde del Mar,<br />
der „Meeresbürgermeister“ – als<br />
Zivilbeamter der Marine ist er der<br />
Chef des Hafens und legt fest, ob die<br />
Boote auslaufen dürfen oder nicht.<br />
Für ihn ging es bei dem Kampf gegen<br />
die Kraftwerke um die Zukunft<br />
seiner Zunft.<br />
Der Strand auf der Isla Damas. Im<br />
Jahr besuchen fast 40.000 Touristen<br />
die Ortschaften und Schutzgebiete,<br />
mit der Fischerei die wichtigste Einnahmequelle.<br />
Yvonne Ronc kam mit ihrem Mann<br />
Anfang der 90er Jahre nach Punta<br />
de Choros. Als „Pioniere“ haben sie<br />
ihr Gästehaus mit der inzwischen bekanntesten<br />
Tauchschule am Ort aufgebaut.<br />
Das Meer, so sagt sie, bedeute<br />
alles für sie: Leben und Frieden.<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
21
22<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
Lita Piñones, die Grundschullehrerin<br />
von Punta de Choros. Sie unterrichtet<br />
18 Kinder der 1. bis 6. Klasse zusammen<br />
in einem Raum. Ihr Theaterstück<br />
über die Pinguine und die<br />
Bedrohung deren Lebensraumes, alles<br />
mit selbstgebastelten Kostümen, war<br />
ein Großereignis im Ort.<br />
Kinder auf dem Schulhof von Punta<br />
de Choros<br />
Jan van Dijk, ein holländischer Aussteiger,<br />
Fischer, Landwirt und neben<br />
Rosa Rojas die treibende Kraft von<br />
MODEMA. Er sah durch die Kraftwerkspläne<br />
sein persönliches Paradies<br />
bedroht. Um den sommerlichen<br />
Touristen zu entgehen, lebt er in Los<br />
Choros und nicht in Punta de Choros<br />
– außerdem ist dort der Boden fruchtbarer,<br />
gedeihen seine Oliven besser.
Das Tier als bester Freund des Menschen<br />
- ohne die Pinguine wäre diese<br />
Geschichte sicher anders ausgegangen,<br />
da sind sich José Ter Horst und<br />
Rosa Rojas einig. Stoffpinguin „Alex“<br />
wurde, ausgestattet mit Infomaterial,<br />
von Sphenisco nach Chile geschickt,<br />
wo er in aufklärerischer Mission von<br />
Schule zu Schule reiste.<br />
Er steht noch nicht lange in Punta<br />
de Choros, der heilige San Pedro,<br />
Schutzpatron der Fischer. Der Kult<br />
um die Schutzheiligen wird hier<br />
sehr ernst genommen – und er hat<br />
gewirkt, sehr zum Unglück seines<br />
„uneigennützigen“ Spenders: Suez<br />
Energy.<br />
Diese Foto-Reportage wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung<br />
des LVM-Servicebüros Carsten Decker und Oliver Leiding <strong>Magdeburg</strong><br />
Wir bedanken uns bei Sphenisco, namentlich Gabriele und Werner Knauf,<br />
für die Überlassung der Pinguin-Fotos und wertvolle Hinweise.<br />
Spenden für die Aktion Naturschutz unter Spendenkonto:<br />
ZOOLOGISCHER GARTEN MAGDEBURG gGmbH<br />
Stichwort: „Aktion Naturschutz“<br />
Konto Nummer: 1385119<br />
Bankleitzahl: 810 932 74 (Volksbank <strong>Magdeburg</strong> eG)<br />
AKTION NATURSCHUTZ<br />
23
24<br />
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT<br />
Der Japan-Serau –<br />
Ein geheimnisvoller<br />
Bergbewohner<br />
Ellen Driechciarz<br />
Die Gebirgsregionen der Erde sind Lebensraum für viele<br />
interessante und hoch spezialisierte Tierarten. Und es<br />
finden sich dort, obwohl auf unterschiedlichen Kontinenten,<br />
vergleichbare Arten, die sich von ihrem Körperbau,<br />
der Ernährung sowie ihrer Lebensweise her an<br />
das Hochlandklima, das unwegsame Gelände und die<br />
dort wachsenden Pflanzen angepasst haben.<br />
So erheben sich, in Anlehnung an die europäischen<br />
Alpen, auf der Insel Honshu die japanischen Alpen. Das<br />
gewaltige und schroffe Gebirge mit hohen Berggipfeln<br />
und aktiven Vulkanen durchzieht die gesamte Insel.<br />
Ein Bewohner dieser Hochgebirgswelt ist der „Nihonkamoshika“,<br />
der Japan-Serau (Capricornis crispus). Seine<br />
Verbreitung erstreckt sich neben Honshu auf die japanischen<br />
Inseln Shikoku und Kyushu sowie auf Taiwan.<br />
Weil ihr Fell und Fleisch sehr begehrt waren, wurden<br />
die Tiere jahrhundertelang stark bejagt. Das führte zu<br />
einem starken Rückgang der Bestände, sodass der Serau<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts als bedroht eingestuft wurde.<br />
Gerade noch rechtzeitig setzte ein Umdenken ein und<br />
erste Schutzmaßnahmen wurden ergriffen, 1955 wurde<br />
der Japan-Serau sogar zum „Naturdenkmal“ erklärt.<br />
Inzwischen haben sich die Bestände wieder erholt und<br />
das Überleben dieser interessanten Tierart kann derzeit<br />
als gesichert angesehen werden.<br />
Erst spät gelangten auch Tiere nach Amerika und Europa.<br />
Bis heute werden diese seltenen Vertreter der Gämsenartigen<br />
außerhalb Japans in nur wenigen Tiergärten<br />
gezeigt.<br />
1999 erhielt unser <strong>Zoo</strong> ein Pärchen aus dem Tiergarten<br />
Schönbrunn in Wien. Seitdem kann der <strong>Zoo</strong> <strong>Magdeburg</strong><br />
große Erfolge bei der Haltung und Zucht von Japan-<br />
Seraus aufweisen. <strong>Magdeburg</strong> war die dritte zoologische<br />
Einrichtung in Europa, die einen Zuchterfolg verbuchen<br />
konnte.<br />
Ein typisches <strong>Zoo</strong>tier, das der <strong>Zoo</strong>besucher bei seinem<br />
Rundgang erwartet, ist der Japan-Serau also nicht. Er<br />
ist weder auffällig gefärbt, noch hat er eine außergewöhnliche<br />
Gestalt, er gibt kaum Geräusche von sich und<br />
bewegt sich eher bedächtig in seinem Terrain. So erkennen<br />
viele <strong>Zoo</strong>besucher diese Tierart auf den ersten Blick<br />
nicht und laufen einfach weiter. Kinder rufen dagegen<br />
häufig interessiert: „Mama, guck mal!“<br />
Besonders wenn sie zusammengekauert auf einem ihrer<br />
Liegeplätze liegen und als einzige Regung das Spiel der<br />
Ohren ihre Aufmerksamkeit verrät, sind sie vom Besucher
nur schwer zuzuordnen. Und so kann man hier Zeuge<br />
der amüsantesten Vermutungen werden.<br />
So teilte ein Kind seiner Mutter aufgeregt mit: „Guck<br />
mal da oben, da oben auf dem Berg. Siehst du es? Ein<br />
Wildschwein.“ Komischerweise denken das auch andere<br />
<strong>Zoo</strong>besucher, denn wir hörten auch diesen Ausspruch:<br />
„Die sehen aus wie aus dem Gruselfilm. Schweine mit<br />
Hörnern.“ Ein anderes Kind erklärte seinen Eltern mit<br />
voller Überzeugung: „Ich guck mir jetzt die Bären an!“,<br />
und hüpfte damit vergnügt an die Anlage heran.<br />
Im Winterhalbjahr haben Japan-Seraus immer ein sehr<br />
dichtes und plüschig wirkendes Fell. Da sie einen kurzen<br />
Schwanz haben, wirkt ihr Hinterteil recht rund und dick.<br />
Seltsam war dagegen die Bezeichnung der Tiere als<br />
„Luchs!“ Jedoch wurde dieser Besucher von seiner Begleitung<br />
gleich aufgeklärt: „Nein, ein Luchs ist rot.“ Eine<br />
weitere Tierart, mit der die Japan-Seraus oft verwechselt<br />
werden, ist der Wolf. Denn wenn man dem Serau nur<br />
ins Gesicht schaut, fällt vielleicht wirklich eine gewisse<br />
Ähnlichkeit mit dem Wolf auf. Möglicherweise erinnert<br />
die Fellfärbung an einen Wolf und auch Japan-Seraus<br />
haben einen intensiven, durchdringenden Blick aus hellen<br />
Augen. So hörten wir den erfreuten Ausruf: „Oh, gucke<br />
mal, da sind noch Wölfe!“ Andere meinen zu erkennen:<br />
„Die sehen aus wie eine Mischung aus Ziege und Wolf.“<br />
Zumindest die Ziegen-Vermutung ist durchaus berechtigt,<br />
denn nicht nur in ihrem Äußeren ähneln Japan-Seraus<br />
den Ziegen.<br />
Tatsächlich erwies sich die systematische Verwandtschaft<br />
lange als rätselhaft. Wissenschaftlich gehören<br />
sie gemeinsam mit den Goralen, den Schneeziegen und<br />
den Gämsen zu den Gämsenartigen. Das nehmen auch<br />
einige Besucher an und äußern sich dementsprechend:<br />
„Sieht aus wie eine Gämse!“<br />
Seraus scheinen nicht anspruchsvoll zu sein, dennoch<br />
stellen sie höchste Ansprüche an ihr Futter und an die<br />
Haltungsbedingungen. In Japan sind sie an niedrige<br />
Temperaturen und Schnee angepasst und so brauchen<br />
sie auch in unseren Breiten keinen beheizbaren Stall.<br />
Überhaupt halten sich Japan-Seraus sehr gern nur auf<br />
ihrer Außenanlage auf und sind damit für die <strong>Zoo</strong>besucher<br />
äußerst präsent.<br />
Einmal auf die Japan-Seraus aufmerksam geworden,<br />
suchen und lesen die Besucher grundsätzlich das Tierschild,<br />
um sich über diese anscheinend mysteriösen Tiere,<br />
die sie jetzt noch nicht einordnen können, Klarheit zu<br />
verschaffen. Oftmals lesen <strong>Zoo</strong>besucher den Text des<br />
Tierschildes sogar für alle laut vor. Sofort, nachdem<br />
der Tiername „Japan-Serau“ gefallen ist, werden immer<br />
wieder folgende Äußerungen eingeworfen: „Das kommt<br />
aus Japan!“, oder „Japan-Serau, der wohnt in Japan.“<br />
sowie auch „Japan-Serau. Der sieht ja richtig komisch<br />
aus.“ Es stellt sich dabei die Frage, wie sollte denn ein<br />
Japan-Serau aussehen?<br />
Männchen und Weibchen sehen fast gleich aus und<br />
beide Geschlechter tragen Hörner. Dass die Seraus zur<br />
Familie der Hornträger gehören wird ebenfalls auf dem<br />
Tierschild beschrieben und viele <strong>Zoo</strong>besucher schauen<br />
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT<br />
daher näher hin. „Ja, da sind ja die Hörner!“ erkennen<br />
dann viele auch dieses Merkmal an den Tieren. Im dichten<br />
Winterfell dagegen sind die Hörner fast verborgen und<br />
damit schwer zu erkennen.<br />
Tritt der Besucher an die Anlage heran, erhebt sich vor<br />
ihm ein beinahe 2,50 m hoher Berg. Ausgestattet mit<br />
Geröllflächen, großen Steinen und liegenden Stämmen<br />
soll er einen kleinen Ausschnitt aus der Bergwelt Japans<br />
imitieren. Die Umzäunung ist wegen der Klettergewandtheit<br />
und der Sprungfähigkeit der Japan-Seraus<br />
fast drei Meter hoch. Am Besucherweg öffnen zwei große<br />
überdachte Sichtfenster weit den Blick auf die Anlage.<br />
Durch diese Scheibenantritte gewinnt der Besucher den<br />
Eindruck, den Tieren und ihrem Lebensraum besonders<br />
nahe zu sein. Die Japan-Seraus stören sich daran in keiner<br />
Weise und halten sich nicht selten im Fensterbereich<br />
und damit in unmittelbarer Nähe zu den Besuchern auf.<br />
Natürlich nutzen sie außerdem je nach Aktivitätsphase<br />
im Laufe des Tages die gesamte Anlage und entschwinden<br />
dadurch auch schon mal den Blicken des Betrachters.<br />
Japan-Seraus fressen Gräser und Kräuter, daneben Blätter,<br />
Knospen und Triebe von Laub- und Nadelbäumen.<br />
In unserem <strong>Zoo</strong> erhalten sie täglich Laub zur Fütterung,<br />
im Sommer frisch, im Winter getrocknet. Bekommen<br />
sie Laub, reagieren sie sofort und lassen sich gut in den<br />
Sichtbereich der Besucher lenken. Wenn unser Weibchen<br />
ein Jungtier hat, bringt sie es dann auch ganz ohne<br />
Scheu mit.<br />
25
26<br />
DEM BESUCHER ABGELAUSCHT<br />
Abgefressene Äste verbleiben teilweise auf der Anlage<br />
und werden zu einem Asthaufen aufgestapelt. Oftmals<br />
steigen die Tiere auf dieses Astgewirr und zeigen damit<br />
ihre gute Klettergewandtheit und Trittsicherheit. Gleichzeitig<br />
werden die Hufe abgenutzt und es bringt auch ganz<br />
nebenbei Abwechslung für die Tiere. Viele <strong>Zoo</strong>besucher<br />
schreiben diesen Asthaufen, besonders während der<br />
Osterzeit, noch eine ganz andere Funktion zu. So hören<br />
wir immer wieder: „Guck mal, die haben ein Osterfeuer.“<br />
Die Asthaufen werden von den Japan-Seraus ebenfalls<br />
zum Durchschlüpfen und Schubbeln genutzt. Ihr im<br />
Frühjahr noch anhaftendes und dichtes Winterfell können<br />
sie auf diese angenehme Weise besser abstreifen<br />
und an den hängengebliebenen Fellfetzen erkennen<br />
wir den Erfolg. Diese Fellfetzen sind dann bei Nester<br />
bauenden Wildvögeln sehr beliebt. Sie brauchen sich<br />
hier nur zu bedienen. Eine weitere Möglichkeit, das<br />
Winterfell loszuwerden, bieten die vorwitzigen Krähen.<br />
Diese setzen sich sogar auf den Rücken unserer<br />
Seraus und zupfen ganz aktiv die Unterwolle heraus.<br />
Den Seraus scheint es zu gefallen, denn sie lassen die<br />
Krähen gewähren.<br />
Viele <strong>Zoo</strong>besucher finden die Japan-Seraus wenigstens<br />
so bemerkenswert, dass sie die Tiere doch eingehender<br />
betrachten und sich natürlich auch gern ihre Informationen<br />
vom Tierschild holen möchten. Hier zeigt sich<br />
wieder einmal der hohe Stellenwert dieser Informationsmöglichkeit.<br />
Die geschickte Vermittlung von Wissen<br />
über Wildtiere und über die Wechselbeziehungen in der<br />
Natur beeinflusst natürlich auch die Einstellung der<br />
Menschen unserer Zeit zum Wildtier und zur Natur.<br />
Nicht zuletzt möchte ein <strong>Zoo</strong> auch mit unscheinbaren<br />
Tieren, die aber doch zoologische Kostbarkeiten sind, das<br />
besondere Interesse und vielleicht sogar Begeisterung<br />
bei den <strong>Zoo</strong>besuchern wecken.<br />
Durch seine Seltenheit ist der Japan-Serau wahrscheinlich<br />
auch künftig bei den <strong>Zoo</strong>besuchern kaum bekannt.<br />
Allein Stammbesucher unseres <strong>Zoo</strong>s konnten in den<br />
Jahren seit 1999 die Anwesenheit der Japan-Seraus und<br />
ihre geborenen Jungtiere im Auge behalten. Jedoch horchen<br />
Fachleute auf, wenn sie von der Haltung im <strong>Zoo</strong><br />
<strong>Magdeburg</strong> erfahren und wissen die Zuchterfolge der<br />
vergangenen Jahre sehr zu schätzen.
Problemwölfe,<br />
Tierbabys in <strong>Zoo</strong>s<br />
und die Folklore von<br />
„Freiheit oder Tod“<br />
Wie mit falschen Argumenten<br />
der Niedergang der biologischen<br />
Vielfalt beschleunigt wird<br />
Roland Wirth<br />
Wie war das noch mit Braunbär „Bruno“?<br />
Oder neuerdings dem Wolf, der da im bayerischen Mangfall-Tal<br />
herum schleicht?<br />
„Wartet nur, ihr Naturschützer, bis das erste Kind getötet<br />
wird!“ hört man vor allem von Vertretern der Jägergilde.<br />
Wobei keineswegs alle Jäger über einen Kamm geschoren<br />
werden sollen. Es gibt selbstverständlich auch die<br />
seriös und ökologisch arbeitenden, aber die „kinderlieben<br />
Warner vor dem Wolf“ gehören eher nicht in diese<br />
Gruppe.<br />
Einige Jäger geben sich auch besonders tierlieb und<br />
werfen den Naturschützern vor, einfach nicht einsehen<br />
zu wollen, dass nicht nur der Wolf, sondern auch das<br />
Reh ein Lebensrecht habe. Ein eigenwilliges Argument<br />
angesichts von ca. 3,2 Millionen Säugetieren und 2,3<br />
Millionen Vögeln, die alljährlich in Deutschland weidmännisch<br />
zur Strecke gebracht werden. Nicht, dass gegen<br />
die Jagd grundsätzlich etwas einzuwenden wäre – Artenschützer<br />
können damit durchaus leben, solange die<br />
bejagten Arten in ihrem Bestand gesichert bleiben. Aber<br />
in Anbetracht dieser Zahlen ist das Lamentieren um<br />
die schlimmstenfalls einige hundert Rehe, Hirsche und<br />
Wildschweine, die selbst mehrere Wolfsrudel im Laufe<br />
eines Jahres töten und fressen, nicht sehr glaubwürdig.<br />
Es geht doch wohl eher darum, dass da ein natürlicher<br />
Jagdkonkurrent (der Wolf eben) im teuer gepachteten<br />
Revier Beute macht.<br />
Und trotzdem findet der Ruf „der Wolf muss zur Strecke<br />
gebracht werden“ durchaus Widerhall in weiten Teilen der<br />
ansonsten tierliebenden Bevölkerung. Aber aufgepasst!<br />
Wie anders wäre die Reaktion, wenn im Rahmen eines<br />
Erhaltungszuchtprogramms in <strong>Zoo</strong>s und Wildgehegen ein<br />
überzähliger Wolf, der absolut in keiner anderen seriösen<br />
Tierhaltung untergebracht werden kann, eingeschläfert<br />
werden würde. Spätestens jetzt würden den „Wolfstötern“<br />
Roland Wirth<br />
GASTKOMMENTAR<br />
Roland Wirth, Jahrgang 1954 und schon seit seiner<br />
Kindheit interessiert an Arten- und Naturschutz,<br />
ist Mitbegründer und 1. Vorsitzender der <strong>Zoo</strong>logischen<br />
Gesellschaft für Arten- und Populationsschutz<br />
(ZGAP). Ihr erklärtes Ziel: Der Schutz von<br />
weniger bekannten bedrohten Tierarten und deren<br />
Lebensräumen. Betrachtet man den Werdegang Roland<br />
Wirths, die zahlreiche ehrenamtliche Mitwirkung an<br />
den verschiedensten Artenschutzprojekten oder die<br />
Mitarbeit in unterschiedlichen Spezialistengruppen<br />
der International Union for Conservation of Nature<br />
(IUCN), so wird klar, dass Artenschutz hier nicht nur<br />
eine Herzensangelegenheit, sondern auch Lebensinhalt<br />
und -ziel ist. Emotionen fließen daher ebenso<br />
in seine Arbeit ein wie Fachwissen, Unmut ebenso<br />
wie der Wunsch nach Einsicht und Aufklärung. Der<br />
Kommentar ist ein beherzter „Zwischenruf“ und zeigt,<br />
dass Natur- und Artenschutz des Öfteren bedeutet,<br />
gegen Windmühlen zu kämpfen.<br />
in den Medien und durch eine breite Öffentlichkeit niedere<br />
Beweggründe unterstellt, und der Vorwurf geäußert,<br />
die Betreiber des Wildgeheges züchteten den Wolf ja nur,<br />
um mit dem niedlichen Jungtier Besucher zu locken.<br />
Wenn das denn nur so einfach wäre. Schlichte Feindbilder<br />
sind wunderbar – außerhalb eines Gehegezaunes ist es<br />
der Wolf selbst, befindet er sich innerhalb des Zaunes,<br />
ist es dann die <strong>Zoo</strong>direktion oder der <strong>Zoo</strong>tierarzt. Differenzierte<br />
Betrachtungen tun sich schwer in diesem Land.<br />
Kein Platz für Sumatratiger<br />
Hier trotzdem der Versuch an einem weiteren Beispiel:<br />
Der Sumatratiger (Panthera tigris sumatrae) ist eine der<br />
beiden bedrohtesten noch überlebenden Unterarten des<br />
27
28<br />
GASTKOMMENTAR<br />
Tigers. Ob er auf Sumatra die nächsten 20 Jahre überdauern<br />
wird, ist nicht sicher. Wie beruhigend deshalb,<br />
dass rund 220 Sumatratiger in weltweit koordinierten<br />
<strong>Zoo</strong>-Erhaltungszuchtprogrammen leben. Aber 220 Tiere<br />
sind letztlich zu wenig, um das angestrebte Ziel zu erreichen,<br />
für die kommenden Jahrzehnte möglichst über<br />
90 % der genetischen Vielfalt zu erhalten. Notwendig<br />
wären mindestens 300 oder noch besser 400 Sumatratiger<br />
in menschlicher Obhut. Tatsächlich gibt es aber Jahr<br />
für Jahr eher weniger, denn mehr Haltungsplätze für<br />
Sumatratiger. Ein <strong>Zoo</strong> nach dem anderen baut, häufig<br />
bedingt durch die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit,<br />
neue und vermeintlich bessere Anlagen. Bei Großkatzen<br />
in <strong>Zoo</strong>s bedeutet das meist, eine vor allem aus dem<br />
Besucherblickwinkel „natürlich“ wirkende, möglichst<br />
große Freianlage statt zwei oder drei kleinerer Gehege.<br />
Entsprechend muss der Arten- und Tierbestand ausgedünnt<br />
werden. Statt Sibirischer und Sumatratiger und<br />
vielleicht noch Persischer Leoparden werden zukünftig<br />
nur noch Sibirische Tiger gehalten – die sind die größten<br />
und daher attraktivsten für die Besucher, und winterhart<br />
sind sie auch noch. Da freut sich der zuständige Stadtrat<br />
oder Aufsichtsrat des <strong>Zoo</strong>s, der auf das Geld schaut, denn<br />
für Sumatratiger hätte man zumindest in den kühleren<br />
Klimazonen auch noch geheizte Innenräume benötigt.<br />
Außerdem wird in Zeiten knapper werdender finanzieller<br />
Mittel ohnehin verstärkt auf die „Wirtschaftlichkeit“<br />
geschaut (die von der Politik formulierten hehren Ziele<br />
zum Schutz der biologischen Vielfalt hin oder her). Also<br />
bekommt der engagierte Artenschutz-<strong>Zoo</strong>direktor auch<br />
keine Extragehege hinter den Kulissen genehmigt, um<br />
eine größere Population an Tigern artgerecht halten zu<br />
können.<br />
Vor diesem Hintergrund ist jeder einzelner <strong>Zoo</strong>platz für<br />
einen Sumatratiger von allerhöchster Wichtigkeit. Jedes<br />
Tier, das einen solchen knappen Platz zur Verfügung hat,<br />
muss seinen Beitrag für den Erhalt der Population leisten,<br />
damit diese auch noch in 20, 40 oder 60 Jahren vital<br />
und genetisch gesund bleibt – als „Lebensversicherung“,<br />
solange sich die Schutzsituation für Tiger auf Sumatra<br />
nicht dramatisch bessert.<br />
Damit stehen die Internationalen Erhaltungszuchtprogramme<br />
vor ihrem vielleicht größten Problem. Einmal<br />
angenommen, es herrscht ein momentaner „Männerüberschuss“<br />
in der Sumatratiger-Population der <strong>Zoo</strong>s<br />
(ungleiches Geschlechterverhältnis ist leider Alltagsgeschehen<br />
in kleinen Zuchtbeständen) und man benötigt<br />
dringend (und hat Platz für) drei junge nicht miteinander<br />
verwandte Weibchen, um damit neue Paare für die<br />
nächste Generation zusammen zu stellen. Also sollen<br />
drei sorgfältig nach genetischen Gründen ausgewählte<br />
Paare nun züchten. Aber die Tigermütter gebären nun<br />
nicht eines (was auch vorkommt), sondern jeweils drei<br />
bis vier Jungtiere, fast allesamt Männer. Schon steht<br />
der Zuchtbuchkoordinator vor dem Problem, nicht nur<br />
ein oder zwei der dringend benötigten Weibchen verfügbar<br />
zu haben, sondern auch an die zehn männliche<br />
Sumatratiger, die theoretisch gut gebraucht werden<br />
könnten (idealerweise sollte die Population ja nicht<br />
220, sondern aus genetischen Gründen 300 - 400 Tiere<br />
umfassen), für die aber absolut kein Platz ist. Würden<br />
diese Männchen in der Population verbleiben, blockieren<br />
sie für ihre gesamte Lebenszeit (20 - 25 Jahre) den<br />
Platz für mehrere der benötigten Zuchtpaare, womit die<br />
„effektive Zuchtpopulation“ der Sumatratiger (also der<br />
Teil der Population, der tatsächlich Gene an die nächste<br />
Generation weiter gibt) schon wieder kleiner wird. Dies<br />
bedeutet nichts anderes als mehr Inzucht und Verlust<br />
an genetischer Variabilität in den Folgegenerationen,<br />
als bei dem vorhandenen Platz sein müsste und somit<br />
eine wachsendes Risiko für das Überleben der gesamten<br />
Population (und bei einer in Freiheit bereits ausgerotteten<br />
Art natürlich für das Überleben der Art an sich).<br />
Entweder müssen die überzähligen Männchen also weg<br />
(an irgendeine Haltung in Asien zum Beispiel, die ggf.<br />
nicht den Pflegestandard hat, wie der abgebende <strong>Zoo</strong> in<br />
Europa) oder man schläfert sie im Interesse einer intakten<br />
Gesamtpopulation ein. Letzteres ist die eigentlich<br />
„natürlichste“ Option, denn auch in der Wildbahn hat<br />
ein Tigerweibchen im Idealfall in ihrem Leben bis zu 20<br />
Nachkommen, von denen aber in einer stabilen Population<br />
statistisch nur zwei überleben werden.<br />
Nur Wunschkinder bei <strong>Zoo</strong>tieren?<br />
Korrekterweise sind <strong>Zoo</strong>s zunehmend durch gesetzliche<br />
Vorgaben etwa der EU verpflichtet, Artenschutz (auch<br />
durch die ex situ-Erhaltung bedrohter Arten) zu leisten.<br />
Bei den dann aber unabdingbar anfallenden Entscheidungen<br />
zum Management einer genetisch gesunden<br />
Population handelt sich der <strong>Zoo</strong>, wie eben geschildert,<br />
jedoch schnell potentiellen Ärger ein - in Deutschland<br />
bis hin zur Strafverfolgung. Es ist jedenfalls Unsinn,<br />
wenn die, die zwar von Populationsmanagement nichts<br />
verstehen, es aber trotzdem immer besser wissen, den<br />
<strong>Zoo</strong>s unterstellen, Tiere ja nur zu züchten, damit, solange<br />
sie niedlich und klein sind, die Kasse klingelt.<br />
Die Alternative (leider zunehmend aus Angst vor Medienschelte<br />
oder vor Prozessandrohungen aus dem Kreis<br />
der <strong>Zoo</strong>gegner in den US-<strong>Zoo</strong>s praktiziert) ist, wirklich<br />
nur dann zu züchten, wenn schon im Vorfeld absolut<br />
sicher ist, dass eine artgerechte Unterbringung aller<br />
Nachzuchttiere garantiert ist, auch wenn bezogen auf<br />
das hier angeführte Beispiel anstatt der drei benötigten<br />
Weibchen z. B. eben 12 Männchen geboren werden.<br />
Da das zumindest bei Arten mit aufwändigeren<br />
Haltungsansprüchen kaum gewährleistet ist, züchten<br />
US-<strong>Zoo</strong>s mit vielen Arten fast gar nicht mehr. Wenn<br />
dann die Bestände überaltern und zusammen brechen<br />
und dadurch plötzlich Platz frei wird, versucht man<br />
noch schnell, die Lücken aufzufüllen. Das klappt dann<br />
häufig nicht mehr. Viele Tiere sind durch die jahrelang
verwendeten Langzeitverhütungsdepots unfruchtbar<br />
geworden, es fehlt ihnen an Aufzuchterfahrung oder<br />
sie sind inzwischen schlicht zu alt. Noch vor 20 - 30<br />
Jahren intakte US-Zuchtgruppen von bedrohten Arten<br />
wie Bartaffen (Macaca silenus) oder Przewalskipferden<br />
(Equus przewalskii) und viele andere wurden durch ein<br />
solches vermeintlich tierschutzkonformes Management<br />
inzwischen zugrunde gerichtet.<br />
Calamianhirsch droht auch in Erhaltungszucht<br />
das Ende<br />
Übrigens auch ein von der ZGAP vor knapp 20 Jahren mit<br />
initiiertes Erhaltungsprojekt für den hoch bedrohten Calamianhirsch<br />
(Axis calamianensis) droht nun durch diese<br />
falsche Strategie zu scheitern. Zwölf dieser Hirsche hatte,<br />
durch den engagierten Artenschützer William Oliver mit<br />
viel Mühe und Verhandlungsgeschick eingefädelt und<br />
organisiert, der <strong>Zoo</strong> San Diego als „Reservepopulation“<br />
aus den Philippinen bekommen. Diese vermehrten<br />
sich gut und schnell auf bald 60 Tiere. Andere US-<strong>Zoo</strong>s<br />
zeigten aber, auch vor dem Hintergrund der möglicherweise<br />
nicht platzierbaren Nachzucht, wenig Interesse an<br />
diesen „kleinen braunen Hirschen“, und der damalige<br />
Generalkurator Jim Dolan, der ein Herz für auch weniger<br />
spektakuläre bedrohte Arten hatte, ging in Ruhestand.<br />
Umgehend wurde die Zucht gestoppt. Inzwischen versucht<br />
eine kleine Gruppe von amerikanischen <strong>Zoo</strong>leuten den<br />
auf nur 20 Tiere geschrumpften Bestand noch zu retten.<br />
Doch die Hoffnung, von den überalterten und durch<br />
jahrelangen Zuchtstopp möglicherweise unfruchtbar<br />
gewordenen Weibchen noch Jungtiere zu erhalten, ist<br />
gering. <strong>Zoo</strong>gegner, die der Meinung sind, das „Problem<br />
<strong>Zoo</strong>“ sollte durch das „würdevolle“ Aussterben der jetzigen<br />
<strong>Zoo</strong>insassen gelöst werden, wird es freuen.<br />
Aber eine immer größer werdende Zahl von Arten, die<br />
nur Dank Erhaltungszucht überleben, wie etwa die Socorrotaube<br />
(Zenaida graysoni) oder andere wie das Przewalskipferd<br />
oder der Kalifornische Kondor (Gymnogyps<br />
californianus), die vor ihrer erfolgreichen Auswilderung<br />
zeitweise nur in <strong>Zoo</strong>s überlebt haben, gäbe es nach dem<br />
Willen dieser Tierschützer schon längst nicht mehr.<br />
In Würde aussterben?<br />
Mal abgesehen davon, dass dieses „würdevolle“ Aussterben<br />
ja nur funktioniert, wenn man alle Tiere in<br />
Menschenobhut an der Fortpflanzung hindert. Fortpflanzung<br />
ist aber nun mal der biologische Zweck einer<br />
jeden Generation von Lebewesen. Deshalb haben<br />
Hirsche Geweihe und Wildschafe Hörner und deshalb<br />
kämpfen die Männchen dieser Arten in der Brunftzeit<br />
bis zur totalen Erschöpfung um die Weibchen. Und nur<br />
deshalb erfreuen uns Vögel mit buntem Gefieder oder<br />
millionenfach im Frühjahr mit ihrem Gesang, um damit<br />
Weibchen anzulocken und das Revier für die erfolgreiche<br />
Aufzucht der Jungen abzustecken. Ob ein geschlechts-<br />
GASTKOMMENTAR<br />
loses Leben bis zum Tod, das manche Tierschützer so<br />
pathetisch „würdevoll“ nennen, wirklich im Interesse<br />
der Tiere ist, darf bezweifelt werden.<br />
Zudem, da die Gegner von Wildtieren in Menschenobhut<br />
üblicherweise moralische Gründe für ihre Sicht der<br />
Dinge anführen, sei die Gegenfrage erlaubt: Vorausgesetzt,<br />
Tiere in einer guten Gehegehaltung leiden weder<br />
physisch noch psychisch, ist dann die Forderung, Arten<br />
besser aussterben zu lassen, als sie durch Gehegezucht<br />
über die Zeit zu retten, tatsächlich moralisch vertretbar?<br />
Wie verträgt sich diese Forderung mit der Achtung vor<br />
der Vielfalt der Schöpfung? Und der Verantwortung,<br />
zukünftigen Generationen möglichst viel Artenvielfalt<br />
zu hinterlassen?<br />
Ob Tiere in Menschenobhut nicht nur körperlich, sondern<br />
auch psychisch gesund sind, lässt sich jedenfalls immer<br />
besser (z.B. durch Messung von Stresshormonen im Urin)<br />
nachweisen. Wenn also alle objektiven Kriterien darauf<br />
hindeuten, dass in einer guten Tierhaltung Individuen<br />
weder körperlich noch psychisch leiden, reduziert sich<br />
eine generelle Ablehnung von Wildtieren in Gehegen<br />
letztlich auf eine persönliche Weltanschauung. Die ist<br />
selbstverständlich Jedermann zugestanden, nur als moralische<br />
Begründung dafür, ein bewährtes Instrument<br />
zur Artenrettung generell nicht einzusetzen und somit<br />
gegen die Interessen zukünftiger Generationen zu handeln,<br />
ist das zu wenig.<br />
Bleibt zu guter letzt die ebenfalls von <strong>Zoo</strong>gegner öfters<br />
geäußerte Forderung, <strong>Zoo</strong>tiere doch in die Freiheit zu<br />
entlassen:<br />
Raus mit euch in die Freiheit!<br />
Da gäbe es durchaus Raum für Kooperation, wenn, und<br />
das ist ein großes WENN, nicht einfach nach dem Motto<br />
„Raus mit euch!“ ein paar Gehegetüren geöffnet werden<br />
sollen, sondern die Aussetzungen den international akzeptieren<br />
IUCN-Richtlinien entsprechen.<br />
Das bedeutet etwa, dass auszuwildernde Tiere der ursprünglich<br />
am Aussetzungsort vorkommenden Unterart<br />
oder Population entsprechen oder dieser möglichst nahe<br />
stehen, damit sie mit spezifischem Klima, Krankheitskeimen<br />
usw. vor Ort auch einigermaßen zurechtkommen.<br />
Die tierischen Neusiedler müssen im Rahmen eines ‚soft<br />
release’ das Leben im ursprünglichen Lebensraum Schritt<br />
für Schritt erlernen und nach der Auswilderung (per<br />
Telemetrie usw.) überwacht werden, um bei Problemen<br />
ggf. steuernd eingreifen zu können. Und es muss neben<br />
vielen andere Aspekten (a) natürlich intakter Habitat<br />
vorhanden sein, in dem es (b) keinen zu erwartenden<br />
größeren Konflikt mit den ansässigen Menschen gibt, (c)<br />
in dem auch wirklich Platz für die tierischen Neusiedler<br />
vorhanden ist – also nicht alle geeigneten Reviere<br />
bereits von Tieren derselben Art besetzt sind, was als<br />
29
30<br />
GASTKOMMENTAR<br />
nächsten Punkt automatisch einschließt, dass (d) die<br />
Ursachen, derentwegen die Art dort ausgerottet oder<br />
selten wurde, bekannt und beseitigt sind. Außer vielleicht<br />
Medienrummel für den, der das fordert, bringt es<br />
also nichts, die Rückführung von <strong>Zoo</strong>tigern nach Asien<br />
zu verlangen, wenn nahezu überall dort, wo Tiger noch<br />
leben, die Wilderei nicht unter Kontrolle ist.<br />
Und um dem Einwand vorzubeugen, das Geld für die<br />
Haltung von <strong>Zoo</strong>tigern wäre somit besser vor Ort investiert,<br />
sei angefügt, dass durch <strong>Zoo</strong>s und über von<br />
<strong>Zoo</strong>s organisierte Sammelaktionen (etwa die europaweite<br />
EAZA Tigerkampagne) in den letzten Jahren rund ein<br />
Viertel aller Finanzen aufgebracht wurden, die für den<br />
Schutz der letzten wild lebenden Tigerpopulation zur<br />
Verfügung standen.<br />
Seriöse Wiederansiedlung von bedrohten Arten unter<br />
Berücksichtigung der erwähnten Aspekte existieren<br />
bereits vielfach, nicht nur für Przewalskipferde, oder<br />
Kalifornische Kondore, sondern z.B. auch für Addaxantilopen<br />
(Addax nasomaculatus), Säbelantilopen (Oryx<br />
dammah), Feldhamster (Cricetus cricetus), Schwarzfußiltisse<br />
(Mustela nigripes) und Europäische Nerze (Mustela<br />
lutreola) bis hin zu Lord-Howe-Stabheuschrecken<br />
(Dryococelus australis) und vielen anderen Arten. <strong>Zoo</strong>s<br />
und verwandte Einrichtungen spielen in vielen dieser<br />
Projekte nicht nur durch das Bereitstellen von Tieren,<br />
sondern auch durch fachliche und finanzielle Hilfe eine<br />
Rolle. Jene Tierrechtsorganisationen, die so vehement<br />
„das Ende der Tiere hinter Gittern fordern“, glänzen<br />
aber bisher mit Abwesenheit, wenn es darum geht, dann<br />
wirklich Leistungen zu erbringen, um wissenschaftlich<br />
korrekt und unter Berücksichtigung des ökologischen<br />
und sozialen Umfeldes im Aussetzungsgebiet solche<br />
Tierpopulationen in Freiheit neu aufzubauen.<br />
Realitätstest für Tierschützer<br />
Großes aus einer ja oft durchaus idealistischen Weltsicht<br />
zu fordern, ist einfach. Dieses dann aber dem Realitätstest<br />
zu unterziehen oder gar seriös umzusetzen, ist<br />
eine andere Sache. Geld, Wissen, jahrelanges Durchhaltevermögen,<br />
Kompromissbereitschaft, diplomatisches<br />
Geschick, eine hohe Frust-Toleranz und Enthusiasmus<br />
sind gefragt. Heraus kommt dann für den Arten- und<br />
Naturschützer zermürbende tägliche Kleinarbeit, die oft<br />
auch noch wenig medienwirksam ist.<br />
Da sind dann die simplen Feindbilder bequemer – und<br />
auch für den Sensationsberichterstatter interessanter: Die<br />
Wölfe (oder die Tiger oder Biber), wenn sie in der Wildbahn<br />
menschlichen Interessen in die Quere kommen, der<br />
<strong>Zoo</strong>direktor, wenn die Tiere in Gehegen leben, oder der<br />
<strong>Zoo</strong>tierarzt, wenn es um Populationsmanagement geht.<br />
So verpuffen die Bemühungen zur Rettung der Artenvielfalt<br />
auch im Jahr eins nach der großen Biodiversitätskon-<br />
ferenz in Nagoya nicht nur im leeren Gerede der Politik,<br />
sondern nach wie vor auch im fundamentalistischen<br />
Streit selbst jener Interessengruppen wie Jäger, Angler,<br />
Landwirte und Tierschützer, die eigentlich wegen ihres<br />
Bezuges zur belebten Natur alle mit den Natur- und<br />
Artenschützern am selben Strang ziehen sollten.<br />
Dank<br />
Mein Dank gilt Jens-Ove Heckel für viele wichtige Anmerkungen<br />
zu einer früheren Version dieses Manuskripts.<br />
Quellen<br />
BMT (2008): Schicksal überzähliger <strong>Zoo</strong>tiere – bmt fordert <strong>Zoo</strong>s auf, auf<br />
Nachzucht zu verzichten, 3/2008, S. 11.<br />
Dickinson, P. (2010): The Good <strong>Zoo</strong> and Euthanasia. http://zoonewsdigest.<br />
blogspot.com/ 2010/11/ good-zoo-and-euthanasia.html.<br />
EAZA (2010): Statement on behalf of the European Association of <strong>Zoo</strong>s<br />
and Aquaria (EAZA) and the EAZA conservation breeding programme<br />
for tigers (the Tiger EEP) in reference to the recent conviction of staff of<br />
<strong>Zoo</strong> <strong>Magdeburg</strong> for the management euthanasia of three hybrid tigers.<br />
Etzold, S. (2008): Sterbehilfe im Tierpark, Die Zeit, 11.09.2008, S. 41-42.<br />
IUCN/SSC (2002): IUCN TECHNICAL GUIDELINES ON THE MANAGEMENT<br />
OF EX SITU POPULATIONS FOR CONSERVATION.<br />
IUCN/SSC/CRSG (2010): Global Re-Introduction Perspectives: 2010’ zum<br />
downloaden von www.iucnsscrsg.org<br />
Natura 2000 Newsletter (2010): Haltung der Europäer zur Biodiversität,<br />
28/2010, S. 12-13.<br />
VDZ (2008): Leitlinien zur Regulierung von Tierpopulationen in deutschsprachigen<br />
<strong>Zoo</strong>s. S. 82.<br />
WAZA (2010): Statement on behalf of the World Association of <strong>Zoo</strong>s<br />
and Aquariums (WAZA) in reference to the recent conviction of staff of<br />
<strong>Zoo</strong> <strong>Magdeburg</strong> for the management euthanasia of three hybrid tigers.<br />
IMPRESSUM<br />
Herausgeber:<br />
ZOOLOGISCHER GARTEN MAGDEBURG gGmbH<br />
<strong>Zoo</strong>allee 1, 39124 <strong>Magdeburg</strong><br />
Tel.: 0391 280900, Fax: 0391 280905100<br />
www.zoo-magdeburg.de<br />
Geschäftsführer: Dr. Kai Perret<br />
Aufsichtsratsvorsitzender: Dr. Lutz Trümper<br />
Handelsregister: Amtsgericht Stendal, HRB 5885<br />
USt.-IdNr.: DE251537548<br />
Steuer-Nr.: 102/105/90205<br />
Redaktion: Björn Encke, Regina Jembere, Andreas Krauss<br />
Fotos: Werner Knauf, Wilfried Kaufmann, René Driechciarz,<br />
Mark-Oliver Rödel, Laura Sandberger, Björn Encke, Andreas<br />
Krauss, Ellen Driechciarz, Ulrike Weizsäcker, Thiemo<br />
Braasch, <strong>Zoo</strong>archiv<br />
ISSN 1862-6297
Werden auch Sie <strong>Magdeburg</strong>er NaturTalent. Steigen Sie um auf 100 % CO 2 -freien<br />
SWM Natur Strom mit 10 % Windenergie aus unserem Windrad in <strong>Magdeburg</strong>-Schilfbreite.<br />
Infos unter unserer kostenlosen Servicehotline 0800 42 44 55 4 oder<br />
www.swm-naturtalente.de<br />
SWM Natur Strom<br />
Ich bin ein NaturTalent.<br />
Dank grüner Energie.