Lassen sich Signifikanztests auf Vollerhebungen ... - SpringerLink
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O-6 Joachim Behnke<br />
3. Fall 2: Die Vollerhebung ist die theoretisch einzig relevante Grundgesamtheit<br />
Nur weil man etwas tun kann, heißt dies noch lange nicht, dass man es tun muss oder<br />
auch nur tun sollte. Die Anwendung eines <strong>Signifikanztests</strong> <strong>auf</strong> <strong>Vollerhebungen</strong> kann<br />
zwar im obigen Sinn gerechtfertigt werden, aber wenn es uns ausschließlich um eine<br />
Deskription der Grundgesamtheit geht, dann ist die entsprechende Beschreibung der<br />
Eigenschaften der Vollerhebung alles, was wir anstreben können. Der überwiegende<br />
Teil der statistischen Test- und Schätzverfahren versucht nichts anderes, als mit Hilfe<br />
einer Stichprobe zu einer angemessenen Deskription der Struktur der Grundgesamtheit<br />
zu gelangen. Schließlich zielt auch die Schätzung von Zusammenhängen immer <strong>auf</strong> die<br />
deskriptive Struktur der Grundgesamtheit. „Kausale Inferenz“ folgt niemals aus der<br />
Durchführung eines statistischen Verfahrens an <strong>sich</strong>, sondern aus einem Zusammenwirken<br />
theoretischer Überlegungen und der Gestaltung des Forschungsdesigns. Wenn nun<br />
die Grundgesamtheit vollkommen erhoben werden kann und es nur um die Bestimmung<br />
bestimmter Eigenschaften wie z.B. der Parameter ihrer Verteilung geht, dann ist<br />
ein Signifikanztest nicht nur überflüssig, sondern geradezu irreführend und daher unsinnig.<br />
Wäre Arbuthnot nicht ein mathematischer Amateur mit metaphysischen Neigungen<br />
gewesen (neben seinen Tätigkeiten als Leibarzt von Queen Anne und als satirischer<br />
Schriftsteller), sondern Monopolist bei der Herstellung von Babykleidung von<br />
Einjährigen, dann hätte ihm die Vollerhebung der Geburten des letzten Jahres vollkommen<br />
genügt, um alles zu erfahren, was zur Optimierung seines Produktionsprozesses<br />
von Strampelanzügen in den aktuellen Modefarben, die von Jahr zu Jahr wechseln,<br />
notwendig gewesen wäre.<br />
3.1 Das Problem des Messfehlers<br />
Für den eben besprochenen Fall, dass es uns ausschließlich um die Beschreibung der<br />
Vollerhebung geht, haben wir allerdings ein wichtiges Problem unterschlagen, nämlich<br />
dass das, was wir messen, nicht unbedingt mit dem übereinstimmt, was wir eigentlich<br />
messen wollen. Zwar können wir getrost davon ausgehen, dass der Messfehler bei der<br />
Bestimmung des Geschlechts eines Neugeborenen bis <strong>auf</strong> wenige Ausnahmen vernachlässigbar<br />
gering ausfällt, leider ist diese optimistische Annahme aber gerade in den Sozialwissenschaften<br />
vermutlich eher selten gerechtfertigt (was leicht dazu verleitet, das<br />
Problem des Messfehlers der Einfachheit halber ganz zu ignorieren). Tatsächlich sind<br />
die Anfänge der statistischen Theorie gerade durch Anwendungen charakterisiert, in<br />
denen die Varianz eines Messwertes ganz und gar <strong>auf</strong> Messfehler zurückzuführen war.<br />
Das zu behandelnde Problem bestand darin, dass man in der Astronomie oft mehrere<br />
Planetenpositionen zum gleichen Zeitpunkt gemessen hatte und man aus dieser Verteilung<br />
von Messwerten <strong>auf</strong> den „wahren Messwert“ schließen wollte. In diesem Zusammenhang<br />
hat Gauß die Normalverteilungskurve als Fehlerkurve berühmt gemacht, mit<br />
der historisch bedauerlichen Folge, dass Gauß irrtümlich auch für den Entdecker der<br />
Normalverteilungskurve gehalten wurde und nicht de Moivre, dem dieses Verdienst<br />
tatsächlich zustand. Das große Verdienst von Gauß bestand allerdings darin, dass er<br />
zeigen konnte, dass die von Legendre und ihm entwickelte Methode der kleinsten<br />
Quadrate genau dann angemessen ist und zum richtigen Ergebnis führt, wenn man