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Orte des Bildes im Kirchenraum Johannes Rauchenberger 1 ...

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<strong>Orte</strong> <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong> 1<br />

<strong>Johannes</strong> <strong>Rauchenberger</strong><br />

1. Einstellungen<br />

Auch Kirchen haben in Zeiten, die sich besonders der Wirtschaftlichkeit unterwerfen (müssen),<br />

einen starken Legit<strong>im</strong>itätsdruck – gerade dann, wenn sie, wie derzeit in Mitteleuropa, zunehmend<br />

leerer werden. Sie versuchen diesen mitunter mit dem Argument zu entschärfen, dass ihre Substanz<br />

und ihr Inventar – und dazu zählen ganz wesentlich Architektur und Bildausstattung – von einem<br />

besonderen kulturgeschichtlichen Wert sind. Ökonomische, kulturhistorische oder einfach auch nur<br />

musealisierte Denkweisen müssen sich aber auch mit überzeitlichen Zitaten aus der Tagespresse<br />

konfrontieren: „Es dürfen nicht nur die Steine reden.“ 2 Derartige Appelle gehören einer Gegenwart<br />

an, die christentumserblich reich ist, die sich womöglich sogar bemüht, dieses wieder als Kulturerbe<br />

zu schätzen, zu hüten und zu verstehen, der aber die reale Lebendigkeit abhanden gekommen ist:<br />

Die Sorge, die dabei zum Ausdruck kommt, mag überdeckt sein vom <strong>im</strong>merhin formulierten<br />

grundsätzlichen Zutrauen, dass eben „Steine reden“ können. Denn man könnte auch umgekehrt<br />

denken: Wie sähe eine Kirche aus, wenn nur die Menschen redeten? Eine Behauptung und<br />

Einwohnung <strong>des</strong> Heiligen ohne Räume, Gestaltung und Ästhetik – also ohne „redende Steine“ – ist<br />

rud<strong>im</strong>entär. 3<br />

Kirchen und mit ihnen ihre Bilder sind fast <strong>im</strong>mer Mehrzeitenräume aus Epochen, Einstellungen,<br />

Generationen. Was be<strong>im</strong> jeweiligen Nutzer jeweils neu ankommt, sind kollektive Erlebnisse,<br />

individuelle Frömmigkeitserfahrungen, ästhetische Rührungen. Diese sind ganz wesentlich<br />

best<strong>im</strong>mt von Bildern, die einen <strong>Kirchenraum</strong> konstituieren und strukturieren. Bilder tragen das<br />

<strong>im</strong>aginative Gedächtnis einer Religion. Sie sind eng verwandt mit St<strong>im</strong>mungen, die sich ins<br />

individuelle Gedächtnis einprägen. Diese sind, was die Rezeptionsseite anlangt, notwendig<br />

biografisch bedingt. Ob man sie mit Assoziationen wie übel- oder wohlriechend, muffig, kalt, licht,<br />

warm, schwer, leicht, in Verbindung bringt, ob man sie in Zeiten existenzieller Bedrängnis, intensiv<br />

erlebten Lebensglücks eher int<strong>im</strong> wahrn<strong>im</strong>mt oder soziale Zusammenkünfte rituell aufwertet, ob<br />

1<br />

Dieser Artikel erscheint in: REINHARD HOEPS (Hg.): Handbuch der Bildtheologie, Bd 2. Funktionen, Paderborn u.a.<br />

2012.<br />

2<br />

Ansprache Papst Benedikts XVI. am 7.9. 2008 in der Wiener Hofburg, zit. nach:<br />

http://www.papstbesuch.at/content/site/de/home/ansprachen/texte/article/970.html (abgerufen am: 15.10.2010): „Es<br />

muss daher ein Anliegen aller sein, nicht zuzulassen, dass eines Tages womöglich nur noch die Steine hierzulande vom<br />

Christentum reden würden.“<br />

3<br />

Vgl. THOMAS ERNE/PETER SCHÜTZ (Hg.): Die Religion <strong>des</strong> Raumes und die Räumlichkeit der Religion. (Arbeiten zur<br />

Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, hg. von L. Friedrichs, E. Hauschildt, F.K.Praßl, A. Steinmeier), Bd. 63,<br />

Göttingen 2010.


man mit ihnen einen Raum der Stille oder einen höchst erdenklicher Musikalität sieht, ob man als<br />

Nutzer unbelastet wirkende Jugendliche, betagte Gesichter oder schlicht Touristengruppen zählt –<br />

Kirchen haben ein dermaßen breites Nutzungs-, Rezeptions- und Repräsentationsspektrum, dass es<br />

schwer ist, einen Idealtypus von dem nachzuzeichnen, was höchstens Kinderzeichnungen und<br />

Verkehrsschilder mit dem verbundenen Piktogrammen „Haus und Turm“ gemeinsam haben.<br />

Jedenfalls bildet jenes breite Assoziationsspektrum die Folien, auf denen Gutmenschen, Ätzer,<br />

„liturgisch Enttäuschte“ 4 (P. Strasser), Fromme, Kranke, Beglückte Hochzeiten, Beerdigungen,<br />

Taufen, Weihnachtsmetten, Ostermessen, einfache „Sonntagsgottesdienste“ oder auch bloß<br />

touristische Einblicke oder Konzertbesuche wahrnehmen. Der Blick auf die Geschichte gibt ein<br />

differenziertes und ein sehr verästeltes Bild, wie eine Kirche aussehen könnte, welche<br />

Einrichtungsgegenstände sie aufweisen sollte, mit welcher Art von Bildern sie bestückt sein kann,<br />

und wo sich diese in einer rechten Weise befinden (sollen). Konfessionsspezifisch ist er längst nicht<br />

mehr idealtypisch abzugrenzen, wenngleich das Eigenleben der Bilder, ihrer Bildorte und -träger <strong>im</strong><br />

katholischen Kultraum traditionell ein viel größeres Spektrum aufweist.<br />

Aber gehören zu einer Kirche überhaupt notwendig Bilder dazu? Dazu sind Einstellungen zu klären,<br />

was ins bildliche Visier gerät. Denn dieses ist vielfältig, mitunter wirr, meist unsystematisch, ja<br />

wuchernd, erregend, aber mitunter auch erdrückend: Pausbäckige Heilige, wangenrote Jungfrauen<br />

in Goldgewändern, Machtrepräsentationen mit allen erdenklichen Insignien, masochistische<br />

Gewaltszenen, die einen zeitgenössischen Horrorfilm kaum unterbieten, kostbar bekleidete Skelette<br />

unter den entzückenden Blicken jener Hauptdarsteller, die einen propagandistischen Link in ihr<br />

Leben vor der fleischlichen Verwesung bieten, fügen sich keineswegs nur zur ästhetischen<br />

Erquickung, sondern können auch eine große Belastung darstellen. Nicht zuletzt <strong>des</strong>halb haben<br />

Kultreformen stets auf die wesentlichen Best<strong>im</strong>mungsmerkmale einer Kirche verwiesen. Und diese<br />

scheinen ohne Bilder auszukommen, mehr noch: Sie fassen die Nutzer selbst als das eigentliche<br />

Bild auf.<br />

Im Folgenden werden einige wenige Einstellungen von Kirchenräumen in Bezug auf ihre Bilder<br />

bedacht. Sie sind getragen von einem dialektischen Unterlaufen einer von den Grunddokumenten<br />

der christlichen Religion her rührende Versuchung zur Profanität, die mit einer kritischen Haltung<br />

gegenüber herkömmlichen Formen der Kultpraxis zusammenhängt.<br />

2. lapi<strong>des</strong> vivi<br />

Denn die ersten Christen verabscheuten die damaligen Kultstätten. Ihre Inszenierung verweigerten<br />

sie gerade. Sie trafen sich erst in Häusern, um das Herrenmahl zu feiern.<br />

4 Vgl. PETER STRASSER: Die einfachen Dinge <strong>des</strong> Lebens, München 2009, 89-99.


Auch wenn die christlichen Kirchen 2000 Jahre später zu den prägendsten Kulturdenkmälern<br />

zählen: Christen kämen eigentlich auch ohne sie aus. Die Dialektik der Geschichte weiß freilich<br />

anderes zu erzählen. Sakralräume, ihr Volumen, ihre Größe, ihre Einwölbungen, ihre Fassaden, ihre<br />

von Licht durchfluteten Fenster, ihre Türme haben auch ganz andere Co<strong>des</strong> <strong>im</strong> Schlepptau. Das<br />

zeigt sich erneut, wenn nun „andere“ auf dem he<strong>im</strong>isch gemeinten Marktplatz ihre Öffentlichkeit<br />

beanspruchen: Die Minarettdiskussion in Westeuropa ist dafür derzeit ein gutes Beispiel; der<br />

Wettlauf um die Sakralität der Architekturen findet auch anderswo statt: in Zentren der Mobilität<br />

oder am Umschlagplatz für den Konsum.<br />

Kirchen als <strong>Orte</strong>, wo sich Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen und mit unterschiedlichen<br />

spirituellen Bedürfnissen versammeln, und die ein Kontrast sein wollen zu <strong>Orte</strong>n der Repräsentation<br />

und <strong>des</strong> täglichen Machtanspruchs, betonen dafür umso stärker die Bildhaftigkeit der versammelten<br />

Gemeinde: Diese ist selbst die Inszenierung und das Erlebnis. Das Versammeln der frühen<br />

Gemeinden in Häusern, die Ablehnung der traditionellen Sakralarchitektur in der Konstituierung als<br />

neue Religion baut auf einen Bildbegriff auf, der aus lebendigen Steinen (lapi<strong>des</strong> vivi) besteht (1<br />

Petr 2,5). Selbst wo es schon reale Bauwerke gibt – das <strong>im</strong>aginäre Weiterbauen <strong>im</strong> Sinne einer<br />

Gemeindebildung, die Zeiten und <strong>Orte</strong> entgrenzt, schließt diese Idee der „lapi<strong>des</strong> vivi“ ein. Schon<br />

der alttestamentliche Tempel wurde nach Esr 5,16 <strong>im</strong>mer noch weitergebaut, selbst als er schon da<br />

war. An die lebendigen Steine erinnert man sich verstärkt in Reformzeiten. Auch wenn die<br />

betreffenden Texte der erneuerten Liturgie nicht direkt davon sprechen – hier sind vor allem<br />

handlungstheoretische, funktionale und hierarchische Terminologien ausschlaggebend –, in der<br />

Rezeption der Reform <strong>des</strong> II. Vatikanischen Konzils wurden vor allem die Bildanalogien <strong>des</strong><br />

„Tempels <strong>des</strong> Heiligen Geistes“ (1 Kor 6,19) und <strong>des</strong> „Volkes Gottes“ prägend. Als Kirche<br />

versammelt es sich (hierarchisch und von der jeweiligen Funktion her unterschieden) um die Mitte<br />

<strong>des</strong> Altares, auf dem das Gedächtnis <strong>des</strong> Leidens und Sterbens Jesu Christi gefeiert wird: Tätige<br />

Teilnahme (participatio actuosa) ist dabei eine handlungstheoretische Leitfigur. 5<br />

Handlungstheoretisch ist es erst die Performance selbst, die gemeindliche Liturgie also mit den<br />

jeweils beteiligten Gesichtern und Individuen, die den <strong>Kirchenraum</strong> aus lebendigen Steinen als<br />

Kirche inszenieren. Diese Auffassung hat in der jüngeren liturgischen Reflexion in den Communio-<br />

Räumen breite Aufmerksamkeit gefunden. 6 Die Fokussierung <strong>des</strong> liturgischen Aktes zum Bild<br />

selbst wäre, auch wenn er selten gelingt, freilich als ein <strong>im</strong> höchsten Sinne künstlerischer Akt<br />

5 Vgl. ALBERT GERHARDS: Räume für eine tätige Teilnahme. Katholischer Kirchenbau aus theologisch-liturgischer<br />

Sicht, in: Wolfgang Jean Stock, Europäischer Kirchenbau 1950-2000, München 2002, 16-51.<br />

6 ALBERT GERHARDS/THOMAS STERNBERG/WALTER ZAHNER (Hgg.): Communio-Räume. Auf der Suche nach der<br />

angemessenen Raumgestalt katholischer Liturgie. (Bild-Raum-Feier. Studien zu Kirche und Kunst 2), Regensburg<br />

2003.


anzusehen. 7 Im Idealfall sind es verschiedene Rollen liturgischer Handlungsträger, die das Bild der<br />

Liturgie zur Bildhaftigkeit heben: Jede und jeder hat seine Rolle, nicht nur der Priester. Doch die<br />

Gefahr, dass in der Konzentration auf die liturgische Performance eine neue Form der<br />

Klerikalisierung vonstattengeht, ist damit freilich keineswegs gebannt: Eine überproportionale<br />

Inanspruchnahme <strong>des</strong> der Gemeinde zugewandten Akteurs lässt eine mangelnde Distanz zwischen<br />

Akteur und Rezipient aufkommen. Ein Abschweifen in Bilder, wie etwa in alten, bilderreichen<br />

Kirchen, und sei es nur durch die reich geschmückten Paramente, ist dabei schwer möglich: Man ist<br />

dem Liturgen, nicht selten auch seiner individuellen Sprache, vielmehr ausgeliefert.<br />

Dass die Gemeinde selbst das Bild sei, bestehend aus lebendigen Steinen, hat – heruntergebrochen<br />

auf konkrete Bauformen und Ausgestaltungen von Sakralräumen – freilich auch zur Konsequenz,<br />

dass die konkreten Gesichter und Figuren vor Ort die jeweiligen Spielfiguren der göttlichen Liturgie<br />

sein müssen – ohne Unterstützung oder Subl<strong>im</strong>ierung möglicher anderer (Assistenz-)Figuren, die<br />

einst mit den Mitteln der Kunstfertigkeit in den Raum gestellt worden waren, und denen mit den<br />

Strategien der Inszenierung und dem subjektiven Impetus der Andacht mannigfaltiges<br />

Energiepotenzial zugesprochen wurde.<br />

Die Zuerkennung <strong>des</strong> gemeindlichen Bildpotentials findet in einer Architektur eine Entsprechung,<br />

die eben der Kommunikation um eine gemeinsame Mitte förderlich ist. Betrachtet man die<br />

Liturgiereform <strong>des</strong> II. Vatikanischen Konzils auch aus der Perspektive damaliger architektonischer<br />

Avantgarde, so finden sich überzeugende Entsprechungen der Zentrierung <strong>des</strong> Altares als Mitte, um<br />

die sich die feiernde Gemeinde versammelt. 8 All diese architektonischen Neuerungen, die – in den<br />

Urzellen der liturgischen Erneuerung wie auf der Burg Rothenfels um Romano Guardini u.a. mit<br />

dem später so bedeutenden Kirchenbau-Architekten Rudolf Schwarz in Deutschland 9 – in den 60er<br />

Jahren nicht selten von einer ganz jungen Generation von Architekten um die damals lebendigen<br />

Hochschulgemeinden ausgegangen sind, kommen ohne Bilder aus. Im Gegenteil: Die feiernde<br />

Gemeinde gibt selbst das Bild der „lebendigen Steine“ ab. Unterstützt wurde diese Bildlichkeit der<br />

Gemeinde oft in der radikalen Materialästhetik einer bewusst gewählten Profanität: Das Profane<br />

sollte sich <strong>im</strong> Sakralraum wieder finden. Es reichte von Sichtbeton, Teppichboden bis zur<br />

Welleternitbedachung.<br />

7 Ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte der „Performance-Kunst“ als Liturgie bildet die 1995 veranstaltete „White<br />

Mass“ von James Lee Byars in St. Peter in Köln: In extremo war dort die Leere die Fülle, der Priester Altar. Vgl. dazu:<br />

GUIDO SCHLIMBACH: Für einen lange währenden Augenblick. Die Kunst-Station Sankt Peter Köln <strong>im</strong> Spannungsfeld<br />

von Religion und Kunst. Bild – Raum – Feier. Studien zu Kirche und Kunst. Band 7, Regensburg 2009, 249-254.<br />

8 Erwähnt seien in Österreich nur Architekten wie die arbeitsgruppe 4, JOSEF LACKNER, OTTOKAR UHL und FERDINAND<br />

SCHUSTER. Vgl. zu dieser Zeit: FRIEDRICH ACHLEITNER: Künstlerische Vielfalt und typologische Strenge. Kirchenbau in<br />

Österreich zwischen 1950 und 2000, in: WOLFGANG JEAN STOCK (Hg.), Europäischer Kirchenbau 1950-2000, München<br />

2002, 84-93. Zu Ottokar Uhls Studierendenkapellen vgl. ALOIS KÖLBL: Die Anfänge als Potential für die Zukunft, in:<br />

BERNHARD STEGER (Hg.): Themen der Architektur z.B. Ottokar Uhl, Wien 2011, 73-79.<br />

9 Vgl. RUDOLF SCHWARZ. Kirchenbau. Welt vor der Schwelle. Nachdruck 1. Auflage 1960. Herausgegeben von Maria<br />

Schwarz, Albert Gerhards und Josef Ruenauver, Regensburg 2007.


Der Fokus auf das gemeindliche Bildpotential hat auch die Einrichtung <strong>im</strong> Blickfeld, die dieses<br />

Zueinander und die aktive Teilnahme an der Liturgie fördert – <strong>im</strong> Gestühl und seiner Anordnung<br />

beispielsweise, die zu einer Haltung erzieht, die die Aufrichtigkeit <strong>des</strong> Körpers <strong>im</strong> Zueinander der<br />

Gemeindemitglieder um den sich möglichst in der Mitte befindlichen Altar betont. Auch der Altar<br />

selbst, auf dem Eucharistie gefeiert wird, oder der Ambo, auf dem die Heiligen Schriften vorgelesen<br />

werden, sind in dieser Auffassung möglichst bildlos. In der diese Reformen begleitenden<br />

Kampfrhetorik wurde der Altar vor allem als „Mahltisch“ statt als „Opferstein“ bezeichnet.<br />

Wer in dieser Reformzeit über Bilder <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong> nachdenkt, muss demnach den Altar in den<br />

Blick nehmen, denn Bilder <strong>im</strong> eigentlichen Sinne gibt es nicht. Im Zuge der fortschreitenden<br />

Formgebung neu gestalteter Altäre in den letzten 50 Jahren wurde gerade auch die Gemeindlichkeit<br />

<strong>des</strong> Altares selbst zur Bildaufgabe für Altarneuerungen. Es gibt überzeugende Beispiele, die nicht<br />

nur die Architektur selbst, sondern auch die Zusammensetzung einzelner Elemente <strong>im</strong> Altar als<br />

skulpturale Aufgabe zu lösen versuchten. Im Zusammenbau dieser Teile wurden die lebendigen<br />

Steine der Gemeinde inszeniert und rituell – als Teil <strong>des</strong> Aktes ritueller Konsekration – fest gefügt,<br />

auch die Urzelle der Zwölf als das Innenleben <strong>des</strong> Altares kann als skulpturale Aufgabe gesehen<br />

werden (vgl. Abb. XX Altar der Grazer Stiegenkirche, gestaltet von Gustav Troger; Altar der<br />

Jesuiten- und Universitätskirche in Wien, gestaltet von Michael Kienzer).<br />

Die Geschichte <strong>des</strong> christlichen Altares ist auch als Geschichte der konkreten Kultpraxis zu lesen.<br />

In den letzten 50 Jahren wurde das Gemeindemodell stark favorisiert. Das Verständnis der<br />

Inszenierung der Gemeinde als Bild <strong>des</strong> Leibes Christi ist gewiss auch an Grenzen gestoßen. Die<br />

Gefahr mancher Reformästhetik lag auch in der Verkürzung auf das gemeindliche Feiern, das<br />

entweder neu oder aus einer überwunden geglaubten Klerikalisierung wieder entdeckt und<br />

freigelegt wurde. Viele Reformgruppen und junge Gemeinden haben sich so nach der<br />

Liturgiereform neu formiert und über Jahre gehalten. Aber wie ist es dabei um eine Ästhetik der<br />

Dauer bestellt? Was die Regenerationsfähigkeit der „lebendigen Steine“ angeht, ist unbestreitbar ein<br />

Alterungsprozess zu beobachten. Wer in einer mitteleuropäischen Stadt eine reguläre<br />

Sonntagsmesse besucht, wird kaum bestreiten können: Reihen und Haare lichten sich merklich. Die<br />

Konzilsgeneration, die von vollen Kirchen schwärmte, von Aufbrüchen und Neuanfängen, von<br />

Versuchen am Neuen jeder Art, sie altert. Kritiker und Ätzer legen lustvoll (beinahe sadistisch) die<br />

Finger in die Wunden entstandener Formlosigkeit kirchlicher Liturgie der letzten 40 Jahre und<br />

trachten deren Vertreter als kultische Analphabeten zu denunzieren. 10 Vom Kult wird Form<br />

erwartet. Den Kult regulierende Eingriffe der letzten Jahre gehen eindeutig in die Richtung von<br />

Objektivierung und Traditionssicherung. Sollte man diese nicht, ohne das Wissen der<br />

Vergangenheit außer Acht zu lassen, vielmehr zukunftsorientiert weiterdenken? Es scheint, als ob<br />

10 Vgl. MARTIN MOSEBACH: Häresie der Formlosigkeit. Die römische Liturgie und ihr Feind, Wien 2007.


das Argument der Jahrhunderte schwerer wiegt als reformtheologische Argumente, die schließlich<br />

zu einer erneuerten Liturgie geführt haben. Was wurde <strong>im</strong> Reformprozess übersehen? Hat dies auch<br />

mit den Bildern zu tun? Wie sehr sind Bild- und Kultregulierungen zeitbedingt, und welche Gesetze<br />

treten dabei in Kraft?<br />

3. Regulierte Bildorte<br />

Auch eine zeitgenössische Erwartungshaltung würde in der Ausstattung einer katholischen Kirche<br />

hinsichtlich ihrer Funktionalität, ihres Inventars, ihrer Bebilderung und ihrer Ästhetik ein offizielles<br />

Reglement erwarten, hat ein derartiges Gebäude doch noch <strong>im</strong>mer einen hohen Wiedererkennungsund<br />

Vergleichbarkeitswert. Man würde an Bücher und Regelwerke denken, wie nun eine Kirche<br />

auszugestalten sei. Es gibt in den entsprechenden Reformparagraphen eine genaue<br />

Funktionszuordnung <strong>des</strong> kirchlichen Inventars 11 , allein Lehrbücher für Künstler, wie es sie noch<br />

nach dem Tridentinischen Konzil 12 gegeben hatte, gibt es seit dem II. Vaticanum keine, höchstens<br />

Handreichungen der Bischofskonferenzen 13 . Es ist vielmehr erstaunlich, mit welchem Zutrauen die<br />

Kunst, die für die Neugestaltung der Kirchenräume arbeiten wird, bedacht wird. 14 Die<br />

Ausgestaltung eines katholischen liegt in der Letztverantwortung <strong>des</strong> jeweiligen Orts-Bischofs, der<br />

von Liturgie- und Kunstkommissionen unterstützt wird, was bereits <strong>im</strong> Konzil festgelegt wurde:<br />

„Bei der Beurteilung von Kunstwerken sollen die Ortsordinarien die Diözesankommission für<br />

sakrale Kunst hören und gegebenenfalls auch andere besonders sachverständige<br />

Persönlichkeiten.“ 15 Diese lokalen Regulierungsverfahren haben zu einer besonderen Färbung der<br />

Sakralkunst beigetragen – mit allen Vor- und Nachteilen, die damit verbunden sind.<br />

Reformen ist grundsätzlich gemein, dass sie möglichst an den Ursprungspunkt ihrer gemeinsamen<br />

Großerzählung kommen möchten. Was die Liturgiereform <strong>des</strong> II. Vaticanums anlangt, so war dies<br />

11<br />

Die erste Instruktion, die sich der erneuerten Liturgie widmet, war „Inter oecumenici“ der Ritenkonkregation vom<br />

26.9.1964. In Kap. 5 werden die Ausstattungsteile eines <strong>Kirchenraum</strong>s mit folgenden Überschriften eingeleitet:<br />

„Hochaltar“, „Die Sitze für den Zelebranten und die Ministri“, „Die Nebenaltäre“, „Die Ausstattung der Altäre“, „Die<br />

Aufbewahrung der Heiligen Eucharistie“, „Der Ambo“, „Der Platz für Schola und Orgel“, „Die Plätze für alle<br />

Gläubigen“, „Das Baptisterium“, auszugsweise dokumentiert bei RALF VON BÜHREN: Kunst und Kirche <strong>im</strong> 20.<br />

Jahrhundert. Die Rezeption <strong>des</strong> Zweiten Vatikanischen Konzils, (Konziliengeschichte, hg. von WALTER<br />

BRANDMÜLLER, Reihe B: Untersuchungen), Paderborn 2008, 659f.<br />

Weiters: die Institutio generalis Missalis Romani der Gottesdienstkongregation vom 26.3.1970 über „Gestaltung und<br />

Ausstattung <strong>des</strong> <strong>Kirchenraum</strong>es für die Messfeier“, dokumentiert bei VON BÜHREN: Kunst und Kirche, 668-673.<br />

12<br />

Beispielhaft gilt das Reformwerk <strong>des</strong> Karl Borromäus, das noch <strong>im</strong> 19. Jahrhundert galt: CARLO BORROMEO:<br />

Instructionorum Fabricae et Supellectis Ecclesiae Libri duo. 1577.<br />

13<br />

Vgl. die „Leitlinien für den Bau und die Ausgestaltung von gottesdienstlichen Räumen“ der Deutschen<br />

Bischofskonferenz vom 25.10. 1988, auszugsweise dokumentiert bei VON BÜHREN: Kunst und Kirche <strong>im</strong> 20.<br />

Jahrhundert, 711-712, die „Handreichung Liturgie und Bild“ vom 23.4.1996 der Deutschen Bischofskonferenz,<br />

auszugsweise dokumentiert bei VON BÜHREN: Kunst und Kirche, 739-742; sowie die Handreichung über „Räume der<br />

Stille“ der Deutschen Bischofskonferenz vom 14.2.2003, dokumentiert bei VON BÜHREN: Kunst und Kirche, 772-782.<br />

14<br />

Einen breiten Überblick aller lehramtlichen Äußerungen zur Bilderfrage nach dem II. Vatikanischen Konzil bietet:<br />

VON BÜHREN: Kunst und Kirche, a.a.O.<br />

15<br />

SC 126, Zit. nach: Das zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare I, 104.


die frühchristliche Situation der Spätantike, durch das Gestrüpp der Geschichte verstellt, in die man<br />

zurückkommen wollte, um einen unverstellteren Blick auf den Ursprung zu bekommen.<br />

Altar als Bildort<br />

Dem Zentrum <strong>des</strong> christlichen Kultes, der Feier der Eucharistie, wurde in der liturgischen<br />

Erneuerung ein besonderer Stellenwert verliehen. Dem Altar galt demnach auch ein besonderes<br />

Augenmerk: Die wesentliche Änderung nach der letzten Liturgiereform war, dass ein Altar wieder<br />

umschreitbar sein sollte, wie er in frühchristlicher Zeit umschreitbar war. Er sollte wieder die<br />

wirkliche Mitte <strong>des</strong> Raumes sein. Die Zelebrationsrichtung versus populum wurde als ein möglicher<br />

Weg angesehen, das gemeinschaftliche Feiern in der Gedächtnisstiftung <strong>im</strong> Herrenmahl wieder<br />

herzustellen.<br />

Denkt man den Altar als Bild <strong>des</strong> gemeinsamen Leibes Christi, hat das einen Bildbegriff auf sehr<br />

hohem Niveau <strong>im</strong> Gepäck. Entlastende Bilder in ihm selbst, an der Wand oder <strong>im</strong> Raum können<br />

ihm nicht zu Hilfe kommen. Aber ist es überhaupt legit<strong>im</strong>, einen Altar in der Kategorie <strong>des</strong><br />

Bildlichen zu denken? Ist die Gedächtnisstiftung an das Herrenmahl nicht ausschließlich <strong>im</strong><br />

Vollzug <strong>des</strong> Feierns selbst gegeben? Die rituellen Akte einer Altarkonsekration verraten dabei<br />

mehr: Sie rufen Szenen und Bilder auf, die zwischen Vollzug, Symbolik und reiner Bildhaftigkeit<br />

pendeln. Die Salbung an fünf Stellen, das Entzünden von Weihrauch, das Bedecken mit dem Tuch<br />

weisen ihm auf der Bildebene die Stelle Jesu Christi zu, erinnern an die alttestamentlichen<br />

Opferstätten und die Symbolhandlungen, die mit dem weißen Kleid verbunden sind. Aber auch<br />

seine Materialität wird beschworen: Als „Fels von Golgota“ wird der Altar in den begleitenden<br />

Texten bezeichnet, aber ebenso auch als Fels <strong>des</strong> Ostermorgens. Die Symbolisierung, die sich dabei<br />

vollzieht, hat natürlich auch entsprechende Auswirkungen auf die Neufassung eines Altares als<br />

Skulptur. Sie reicht in der mannigfaltigen bildhauerischen Gestaltung von der Gestaltung eines<br />

Felsblocks bis zur skulpturalen Gestaltung von Grabbinden, die Leichtigkeit und Erhebung<br />

suggerieren (vgl. Abb. XX: Altar in der Dominikuskapelle in St. Andrä/Graz, gestaltet von Michael<br />

Kienzer).<br />

Der erste Akt einer Altarkonsekration, die Reliquienbestattung, legt noch ein weiteres <strong>im</strong>plizites<br />

Bildmoment für die spätere Entwicklung <strong>des</strong> Altares frei, die <strong>im</strong> Blick auf den Ursprung auch<br />

beibehalten wurde: Von Anfang an wurden Altäre über den Gräbern der Märtyrer errichtet. Sie<br />

verbinden damit die „lebendigen Steine“ der jeweiligen Gegenwart mit den Heiligen, die vor dieser<br />

Zeit den Glauben bezeugten. Die Verbindung eines Altares mit den Reliquien der Heiligen lässt<br />

schließlich einen weiteren Entwicklungsschritt, was die bildnerische Potentialität eines christlichen


Altares ausmacht, zu. 16 Das Leben der Heiligen, die mit dem Altar verbunden sind, drängt danach<br />

bildhaft zu werden: die Voraussetzung für spätere Altarblätter in ihrer ganzen Erzählfreudigkeit. Im<br />

Barock entstehen daraus gar die Sarkophagaltäre.<br />

Altäre haben sich seit dem 11. Jahrhundert zu zentralen Bildträgern entwickelt. Was in der Epoche<br />

der christlichen Basilika und noch in der Romanik zunächst einfache Steinretabeln waren, die man<br />

umschreiten konnte, entwickelte sich zu den gotischen Flügelaltären mit reichem Schaupotenzial.<br />

Voraussetzung war die Richtungsänderung <strong>des</strong> liturgischen Feierns und eine Schaufrömmigkeit, die<br />

sich auch mit der Zeigung von Reliquien verband, die auf den Altären mit entsprechendem<br />

Rahmenwerk (Reliqienmonstranzen) zur Verehrung aufgestellt wurden. Vermutlich hat sich aus<br />

diesem Vorgang heraus der gotische Flügelaltar herausgebildet. 17 Was als Reliquie präsent verehrt<br />

wurde, hat sich auf der Bildebene in eine Erzählfigur entwickelt.<br />

Seit der Karolingerzeit rückte der Bischofsthron <strong>im</strong>mer häufiger auf die rechte Seite, seit dem 11.<br />

Jahrhundert zelebrierte der Priester die Messe vor dem Altar stehend, mit dem Rücken zur<br />

Gemeinde. Damit war der Weg für die Entwicklung großer Altarretabeln frei. Die vermehrte<br />

Anzahl der Altäre, verbunden mit entsprechenden Reliquien, die dem quantitativen Denken der<br />

damaligen Heilsökonomie entsprach, führte auch zur Vermehrung der Bildorte in den<br />

Seitenkapellen, den Wänden und Säulen einer Kirche. Ursächlich dafür waren die sich entwickelnde<br />

Praxis der täglichen Privatmesse je<strong>des</strong> Priesters, die Heiligenverehrung und die Stiftung von<br />

Altären samt zugehöriger Pfründe und Verpflichtung <strong>des</strong> Totengedächtnisses. Auch diese Altäre<br />

entwickeln sich mit ihren Retabeln zu wichtigen Bildträgern <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong>. Auch die Entstehung<br />

<strong>des</strong> Lettners als einer bildlichen Trennwand gegenüber der klerikalen Hochliturgie <strong>im</strong> Chor, die das<br />

gemeine Gottesvolk nicht integrieren konnte oder wollte, förderte den Ort der Bilder – besonders<br />

der Kreuzaltäre –, freilich oft jenseits der Kontrolle der hinter der Mauer befindlichen und tätigen<br />

Hochliturgen. 18<br />

Die Verbindung eines Altares mit einem sich über ihm befindenden Bild war in dieser Zeit noch<br />

nicht gegeben. Tafelbilder wurden bis ins 14. Jahrhundert nicht fest auf dem Altar installiert,<br />

sondern wurden wie die Reliquiare nur an Festtagen aufgestellt. Gründe liegen <strong>im</strong> Zusammenspiel<br />

von Liturgie und Raum: Zur Visualisierung der Feste waren unterschiedliche Bilder nötig. Das<br />

autonome Altarbild, das vor allem in Italien seinen bildlichen Ausgangspunkt nahm, erhielt<br />

wichtige Impulse durch die Ikonen, die durch Handelsbeziehungen mit dem Osten und als Beute<br />

16<br />

Vgl. JOSEPH BRAUN: Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung: (Band 1): Arten, Bestandteile,<br />

Altargrab, Weihe, Symbolik (Band 1); Ders.: Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung: (Band 2): Die<br />

Ausstattung <strong>des</strong> Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und<br />

Sakramentsaltar, Altarschranken, München 1924.<br />

17<br />

So die Vermutung <strong>des</strong> Liturgiewissenschaftlers Philipp Harnoncourt <strong>im</strong> Gespräch mit dem Autor.<br />

18<br />

Vgl. MONIKA SCHMELZER: Der mittelalterliche Lettner <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum. Typologie und Funktion.<br />

Petersberg 2004.


aus den Kreuzzügen ins Land gekommen waren. Was zunächst als einfache Zusammenstellung von<br />

Heiligenbildern begann, sollte bald komplexe Bilderwände hervorbringen. Sie waren Bildorte der<br />

Repräsentation, aber ebenso reicher Erzählung.<br />

Die Reformen <strong>des</strong> Tridentinischen Konzils (1545-1563) hinsichtlich der Bildorte lagen in der Re-<br />

Integration <strong>des</strong> bislang von der Hochliturgie ausgeschlossenen Volkes und der in verschiedenen<br />

<strong>Orte</strong>n <strong>des</strong> <strong>Kirchenraum</strong>s sich verselbständigt habenden Bilder, den Säulen oder Nischen, wo Bilder<br />

angebracht wurden. Die Lettner, die Trennwände zwischen dem Ort klerikaler Hochliturgie und<br />

dem einfachen Laienraum, wurden in der Folge dieses Reformsogs niedergerissen. Bilder wurden<br />

fortan der privaten Andacht enthoben und mit dem offiziellen Kult verbunden: Die zahlreichen<br />

Nebenaltäre boten hiezu einen willkommenen Bildort. Der Tabernakel wanderte nach und nach in<br />

den Hauptaltar. Die mult<strong>im</strong>edial angelegten Arkaden- und Gebälkretabeln <strong>des</strong> Barock dienten<br />

schließlich der synästhetischen Überwältigungsstrategien der Glaubensinhalte. Sie haben nicht<br />

selten Kultbilder in ihrem Zentrum. Als „Gnadenbilder“ 19 verdanken sie ihre Kraft und Wirkung der<br />

subjektiven Andacht der Einzelnen. Sie werden durch „Modernisierung von außen“ 20 in die<br />

offizielle bildliche Kultinszenierung integriert. Auch Altarblätter, auf denen konkret verehrte<br />

Heilige oder aber gezielte „Programmheilige“ der jeweiligen Orden abgebildet waren, wurden<br />

durch die Rahmung in größere Kontexte der christlichen Heilsgeschichte bzw. der katholischen<br />

Bildwelten – Altarsakrament am unteren Ende <strong>des</strong> Bilddramas und die Trinitätsdarstellung an<br />

seinem oberen Ende – kombiniert. Dabei wurden die damals neuesten Bildmedien integriert, was<br />

der Mult<strong>im</strong>edialität heutiger Eventinszenierung vergleichbar ist. Selbst „Wandelaltäre“ waren<br />

damals üblich, der bekannteste unter ihnen ist noch be<strong>im</strong> Grabmal <strong>des</strong> Hl. Ignatius von Loyola in<br />

der Kirche Il Gesu in Rom zu besichtigen: Ein Altarblatt wird dabei vor die Statue gezogen (vgl.<br />

Abb. XX: Altar <strong>des</strong> Hl. Ignatius in Il Gesu in Rom). Diese Modernität <strong>des</strong> Medialen ist mit wenigen<br />

Ausnahmen nicht in die Bildausstattungen von Kirchen der späteren Jahrhunderte eingegangen.<br />

Voraussetzung dieser reichen Bildentfaltung bildet freilich die Richtung <strong>des</strong> liturgischen Aktes. In<br />

dem Moment, wo sich wie durch die letzte Liturgiereform die Richtungsänderung <strong>des</strong><br />

eucharistischen Feierns für den Liturgen – und somit auch die Konzentration auf die Eucharistie als<br />

den Hauptsinn eines Sakralbaus – erneut ändert und in die vorromanische bzw. spätantike Situation<br />

zurückkehrt, wird der Sinn von Bildern, die in Altarretabeln ihre Hochblüte entfaltet haben, zur<br />

Disposition gestellt. Sie bilden nicht mehr die visuelle Ausfaltung <strong>des</strong> liturgischen Akts und der<br />

Viten der Heiligen, sondern stellen fortan eine Art Hintergrundstaffage dar. Dies hat in der Phase<br />

der Altarraumumgestaltungen der letzten 40 Jahre teilweise zu erheblichen raumbildlichen<br />

Irritationen geführt, sodass gerade in historisch bedeutsamen Sakralräumen die seit der<br />

19<br />

Vgl. DAVID GANZ/GEORG HENKEL: Kritik und Modernisierung, in: Hoeps (Hg.) Handbuch der Bildtheologie Bd. 1,<br />

262-285, hier: 279f.<br />

20<br />

Ebd.


Liturgiereform aufgestellten Volksaltäre oft als ästhetische Fremdkörper erlebt werden. Dieser<br />

Eindruck verschl<strong>im</strong>mert sich bei mangelnder künstlerischer Qualität oder Kitsch. Gelungen scheint<br />

ein derartiger Eingriff dort, wo der Kontrast zwischen geschichtlichem Bildraum und<br />

zeitgenössischer künstlerischer Zeichensetzung als gegenseitig st<strong>im</strong>ulierend erlebt wird: Dabei liegt<br />

meist eine künstlerisch behutsame Auseinandersetzung mit dem konkreten Kontext und Umraum<br />

zugrunde. Der Bildort <strong>des</strong> zeitgenössischen Altares wird somit nicht bloß als neu zu gestaltende<br />

liturgische Zentraleinrichtung gesehen, sondern als ein Reflex auf den Raum und seine Bilder –<br />

etwa als bewusste Konkurrenz in der Farbigkeit mit dominanten barocken Deckenfresken in der<br />

optischen Spiegelung <strong>des</strong> vertikalen Hochaltars in die Horizontale in Form eines Teppichs, der<br />

unter einem Betonblockaltar durchfließt (vgl. Abb. XX: als Reflex auf den spätbarocken Hochaltar<br />

von Veit Königer (1771) die Gestaltung von Hubert Schmalix (2001) in der Kirche am Weizberg/Ö),<br />

oder als farbliche Übertragung bedeutender gotischer Kirchenfenster in eine bunte Strichcode-<br />

Fläche in den jeweiligen Altarwänden (vgl. Abb. XX in der Gestaltung von Sabina Hörtner (2005)<br />

in der Berg-Wallfahrtskirche St. Erhard in der Breitenau/Ö) oder als skulpturale Stipes-<br />

Unterstützung eines seiner Funktion entkleideten Hochaltarziboriums in Form einer raumgroßen<br />

„Monstranz“ (vgl. Abb. XX in der von Alfred Graf gestalteten Dorfkirche St. Oswald bei<br />

Plankenwarth/Graz/Ö). Gelungen kann eine Interaktion von Zeitgenossenschaft in der<br />

künstlerischen Ausdrucksweise und Historizität <strong>des</strong> Raumes dann bezeichnet werden, wenn der<br />

zeitgenössische Altar ein reflexives Bildmoment der auf ihn einwirkenden Bilder <strong>des</strong><br />

<strong>Kirchenraum</strong>es in sich trägt.<br />

Ein in der Geschichte der Sakralkunst scheinbar neuer Aspekt liegt <strong>im</strong> Selbstverständnis der<br />

Moderne und ihrer Kunst begründet: ein zeitgenössisches Kunstwerk – und somit eben auch den<br />

Altar als Skulptur – <strong>im</strong> Sinne der modernen Autonomie zu begreifen. Auch wenn diese Idee<br />

mitunter zu Konflikten mit dem Selbstverständnis der Ars sacra bzw. Ars liturgica führt, die<br />

wiederum per definitionem der Kunst eine dienende Rolle zuweist, geht es um bildkünstlerische,<br />

meist bildhauerische Fragestellungen: Qualitäts-Ansprüche, die an eine zeitgenössische Skulptur<br />

gerichtet sind, liegen in den Aspekten der Form, <strong>im</strong> Ausloten ihrer Gravitation, Formationen und<br />

Leerstellen, in ihrer Materialität sowie <strong>im</strong> geglückten Zusammenspiel einer möglichen Symbolik<br />

mit den <strong>im</strong>manenten Kriterien einer Skulptur. Die Spannung, die sich aus einem zeitgenössischen<br />

Skulpturbegriff und der Funktionalität eines Altares ergibt, kann freilich nicht aufgelöst werden. Er<br />

muss jedenfalls nicht als Gegensatz aufgefasst werden. Die Geschichte der Sakralkunst lehrt<br />

<strong>im</strong>merhin, dass die gelungensten Lösungen dort zu finden sind, wo Kunst sich auf der Höhe ihrer<br />

Zeit entfalten konnte.


4. Besser als Predigt<br />

Aber es wäre eine grobe Verkürzung, würde sich die Bildproduktivität in einem <strong>Kirchenraum</strong> auf<br />

den Altar und <strong>des</strong>sen Bildpotential beschränken. Bilder haben keineswegs eine notwendige<br />

Verschränkung mit der Kulthandlung, wie es die Zentrierung um den Altar vielleicht nahelegen<br />

könnte. Eine Kirche ist ja nicht einfach Kultort, sondern daneben – oder darin – auch ein Ort der<br />

Verkündigung und der Rede. Bilder zeigen nicht nur, unterstützen oder suggerieren Präsenz, Bilder<br />

erzählen vor allem.<br />

Ambo und Kanzel<br />

Den performativen Aufführungsort der liturgischen Praxis <strong>des</strong> Vorlesens, Verkündigens und<br />

Predigens bildet der Ambo. Er ist in historisch geprägten Kirchen neu, ein Kernelement der<br />

liturgischen Erneuerung nach dem II. Vaticanum, und somit ein zentrales Stück liturgischer<br />

Neugestaltung. Er stellt die Wiederbelebung eines liturgischen Möbels dar, wie es in<br />

frühchristlicher Zeit bekannt war und auch heute noch in frühchristlichen Basiliken wie S. Sabina,<br />

S. Clemente, S. Prassede oder S. Lorenzo zu besichtigen ist.<br />

Allzu oft wurde er in den letzten Jahrzehnten – gemäß dem entsprechenden theologischen<br />

Modewort „Tisch <strong>des</strong> Wortes – Tisch <strong>des</strong> Brotes“ – formal dem Altar angeglichen und hat damit<br />

meistens die ästhetische Ponderation <strong>des</strong> Altarraums aus dem Gleichgewicht gebracht. Gelungen<br />

sind Ambonen vielmehr dann, wenn sie als eigenständige Skulptur mit der Zweckfunktion ein Pult<br />

für die Heilige Schrift zu sein, entwickelt werden (vgl. Abb. XX Michael Kienzers Ambo in der<br />

Dominikuskapelle der Kirche St. Andrä/Graz).<br />

Zumin<strong>des</strong>t was die Predigt betrifft, hat der Ambo den historisch gewachsenen Verkündigungsort,<br />

die Kanzel, außer Kraft gesetzt. Liturgiegeschichtlich ist die Kanzel nicht allein dem Ambo<br />

„entwachsen“ wie etwa der klassische Hochaltar einem umschreitbaren Steinretabel, der zum<br />

zweiten Bildort nach dem Antependium wurde. Kanzeln haben ihre Ursprungsgestalt in der<br />

Ausbreitung der Predigerorden <strong>des</strong> späten Mittelalters, sie waren auch <strong>im</strong> Außenraum bekannt 21<br />

und wanderten von derartiger Funktionalität wieder zurück in den <strong>Kirchenraum</strong>. Kanzeln bilden<br />

hervorragende Bildorte, die wesentlichen Zyklen der christlichen Heilsgeschichte zu erzählen. 22<br />

Kanzeln bilden aber auch – vor allem in der konfessionsgeschichtlichen Ausdifferenzierung nach<br />

dem Tridentinischen Konzil – vortreffliche Bildbeispiele, die Spannung von Institution und ihrem<br />

entlastenden Bildprogramm und der Subjektivität <strong>des</strong> Predigers aufrechtzuerhalten. Eine Kanzel<br />

21 Die „Außenkanzeln“ von Perugia oder Prato sind dafür auch bis in der Gegenwart nachvollziehbare Beispiele.<br />

22 Die der Goldene Ambo Heinreichs II. in Aachen (vor 1014), der Verduner Altar in Klosterneuburg (um 1181), die<br />

Kanzeln von Nicola und Giovanni Pisano in Pisa und Siena in der 2. Hälfte <strong>des</strong> 13. Jahrhunderts sind berühmte<br />

touristisch viel besuchte Beispiele dieser Erzählfreudigkeit an Ambonen <strong>im</strong> Früh- und Hochmittelalter.


zeichnet sich nicht einfach dadurch aus, dass sie die Person und St<strong>im</strong>me <strong>des</strong> Predigers hörbar und<br />

sichtbar macht, sondern <strong>des</strong>sen Reden in ein institutionell gesichertes Bildprogramm als Rahmung<br />

zurückbindet. Was die „Modernisierung von außen“ 23 <strong>im</strong> Hochaltar um ein älteres Bild inszenierte,<br />

wird auf der Kanzel mit den theatralen Bildelementen <strong>des</strong> Barock vollzogen: Die Aufbauten der<br />

Schalldeckel sind meist der Gottesoffenbarung und der Gesetzesübergabe am Sinai gewidmet, sein<br />

Plafond mit der inspirierenden Taube <strong>des</strong> Hl. Geistes versehen, die Brüstungsfelder mit<br />

Personifikationen der göttlichen Tugenden als Sinnbilder eine in die Ethik ausfließende Predigt.<br />

(Vgl. Abb. XX: Spätbarocke Kanzel in der Weizbergkirche, Ö) Kanzeln können <strong>im</strong> Barock aber<br />

auch in die Eigendynamik der Bildgenerierung hineingezogen werden, etwa als Schiffskanzel <strong>im</strong><br />

wilden Sturm der Zeit (vgl. Abb. XX: „Schiffskanzel in der Kirche <strong>des</strong> Kloster Irsee, D). Die Kanzel<br />

geht in ihrer Bildlichkeit davon aus, dass ein Ort für die Rede von Bildern unterstützt wird, die<br />

diese Rede überhaupt erst legit<strong>im</strong>ieren: Gesetz, Offenbarung, Inspiration und Tugend (Ethik) bilden<br />

so etwas wie bildlich legit<strong>im</strong>ierte Versicherungsco<strong>des</strong> gegen ein mögliches subjektives Geschwätz.<br />

Theologische Argumente für die Bilder <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong><br />

Denn dass nicht nur Steine, sondern auch Bilder reden können, geht von einem kommunikativen<br />

Grundparadigma aus, welches in das Feld der Rhetorik weist. Dieses ist auch der Grund, warum<br />

Bilder trotz anfänglicher akuter Bilderskepsis und Götzenbildkritik nach und nach Einlass in den<br />

christlichen Feierraum gefunden haben. Es war die einfache Medienerkenntnis, dass Bilder<br />

nachhaltiger <strong>im</strong>aginativ zu wirken in der Lage sind als die mündliche Predigt. In diese Richtung<br />

argumentierten die ersten schriftlichen Texte zur Legit<strong>im</strong>ation der Bilder in christlichen<br />

Kirchräumen, die uns von Gregor von Nazianz, Basilius dem Großen und Gregor von Nyssa, den<br />

drei Kappadokiern, überliefert sind. Bilder können s<strong>im</strong>ultan zeigen, was Rede erst nach und nach<br />

erzählen muss. 24 Und Bilder zeigen auch, ohne dass man lesen muss. In dieser Einsicht sind sie den<br />

„Visual Medias“ der Gegenwart voraus. Am nachhaltigsten, was die Einschätzung der Bilder <strong>im</strong><br />

<strong>Kirchenraum</strong> anhängt, gilt der berühmte Brief von Papst Gregor dem Großen an den Bischof<br />

Serenius von Marseille, der die Bilderfrage <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong> zu einem Niveauproblem zwischen<br />

„literati“ und „illiterati“ erklärt hat: „Denn darum wurden in den Kirchen Gemälde verwendet,<br />

damit die <strong>des</strong> Lesens Unkundigen wenigstens durch den Anblick der Wände lesen, was sie in<br />

Büchern (Codices) nicht zu lesen vermögen.“ 25 Gregor beeinflusste fast alle lehramtlichen<br />

Stellungnahmen, die sich mit den Bildern beschäftigen, nahezu 1500 Jahre lang, einschließlich die<br />

23 Vgl. Anm. 15.<br />

24 Vgl. dazu mit entsprechenden Belegstellen: JOHANNES RAUCHENBERGER: Biblische Bildlichkeit. Kunst – Raum<br />

theologischer Erkenntnis (ikon. Bild + Theologie, hg. von ALEX STOCK und REINHARD HOEPS), Paderborn u.a. 1998,<br />

123-128.<br />

25 Lat. Originalzitat: GREGOR M: EP CV ad Serenum Massiliensem Episcopum: PL 77, 1027f. Vgl. dazu: ALEX STOCK:<br />

Bilderstreit als Kontroverse um das Heilige, in DERS.: Keine Kunst, 22-44, hier: 33.


eformatorische Bildauffassung, besonders jene Martin Luthers. 26 Hängt dieses nachsichtige Urteil<br />

<strong>des</strong> spätantiken Papstes damit zusammen, dass sich Theologen, die sich allesamt als „literati“<br />

verstehen, so wenig mit den Bildern beschäftigten? Bilddidaktisch hält sich bis heute die<br />

Auffassung, mittelalterliche Bildzyklen auf Kirchwänden wären so etwas wie eine „Biblia<br />

Pauperum“. Doch wie viele sind mächtig und in der täglichen pastoralen Praxis befähigt und<br />

interessiert, derartige Bilder lesen zu können? Und wer sind „die Armen“?<br />

Nachhaltig und die Position Gregors erweiternd hat sich auch die Begründung <strong>des</strong> Thomas von<br />

Aquin für die Bilder ins christliche Gedächtnis eingetragen, die für ihn aus dreifachen Gründen in<br />

den Kirchen eingeführt wurden:<br />

„Zuerst wegen der Unterweisung der Ungebildeten, die durch die Bilder gleichsam wie durch<br />

besondere Bücher unterrichtet werden.<br />

Zweitens, damit das Gehe<strong>im</strong>nis der Fleischwerdung und die Beispiele der Heiligen stärker <strong>im</strong><br />

Gedächtnis wären, wenn sie täglich vor Augen wären.<br />

Drittens um die Neigung zur Andacht anzuregen, die durch das Gesehene wirksamer in uns erregt<br />

wird als das Gehörte.“ 27<br />

Im Sog der Rückschau<br />

Belehrung, Gedächtnisstiftung und Gefühlsst<strong>im</strong>ulanz haben freilich in den großen Bilderzählungen<br />

abendländischer Sakralkunst höchst komplexe Formen angenommen. Sie bedecken die<br />

Langhauswände frühchristlicher Basiliken mit Bildzyklen christlicher Heilsgeschichte. Sie füllen<br />

die Apsiden mit dem Antlitz <strong>des</strong> erhöhten Herrn als der eigentlichen Autorität aus, die die irdische<br />

weit übertrifft. Sie garantieren somit die bildlich permanente Präsenz <strong>des</strong>sen, was <strong>im</strong> liturgischen<br />

Akt <strong>im</strong> darunter liegenden Altar gefeiert wird. Portale, Tympana, Fassaden, Kapitelle bilden weitere<br />

Bildorte, an denen sich Szenen aus der Heilsgeschichte zwischen Schöpfung, Sündenfall,<br />

Erlösungstaten Jesu und Jüngstem Gericht entfalten. Und wo sich plötzlich neue Bildorte aufgrund<br />

technischer Erneuerungen auftun: Beispielsweise wird in der die Wand auflösenden gotischen<br />

Kathedrale das Glasfenster zum Medium einer lichtdurchfluteten, fein strukturierten, mit reichen<br />

Bezügen versehenen Erzählfreudigkeit, die sich mit Ornamentalität, Struktur und Harmonie<br />

verbindet. Die Bilder eines Glasfensters einer gotischen Kathedrale zielen nicht darauf ab,<br />

tatsächlich auch vollends gelesen zu werden. Sie lassen ein Licht durch, das eine Ahnung vom<br />

h<strong>im</strong>mlischen Licht gibt. Großflächig gemalte Kastenbühnen an den Wänden italienischer<br />

Bettelordenskirchen fassen diese Geschichten als Dramen auf, die bis zu den ausführlichen<br />

26 Vgl. dazu ebd; vgl. auch zusammenfassend: RAUCHENBERGER: Biblische Bildlichkeit, 119-135.<br />

27 THOMAS VON AQUIN: Kommentar zu den Sentenzen <strong>des</strong> Petrus Lombardus Lib.3, dist.9, q I art 2; vgl interpretierend<br />

dazu: STOCK: Bilderstreit, in DERS.: Keine Kunst, 22-44.


Bildtheorien über das Historiengemälde in den „Jetzt-Rausch <strong>des</strong> Quattrocento“ 28 münden: Was in<br />

der Bibel und in den Heiligenviten erzählt wird, geschieht jetzt, hier und heute. Schließlich werden<br />

diese anfänglich wie Filmszenen gestalteten Erzählbilder am Endpunkt ihrer Entwicklung allen<br />

Raum und alle begrenzende Architektur aufreißen – in den bildlich gemalten H<strong>im</strong>mel hinein, zu<br />

einer Zeit, als man längst begann, diesen naturwissenschaftlich leerzuräumen. Und wo das eigene<br />

Selbstverständnis ganz und gar zur Disposition stand, haben Bilder noch einmal mit der „Rhetorik<br />

<strong>des</strong> Leidens und Triumphierens“ 29 alle Gefühlsorgeln bedient, zu der eine ästhetische<br />

Überzeugungskunst (persuasio) <strong>im</strong> Stande war.<br />

Bilder zeichnen sich in einem christlichen <strong>Kirchenraum</strong> in all diesen wenigen Spots durch<br />

verschiedenste Formen der Narrativität aus, die sich von einfachen Erzähltechniken bis hin zu<br />

komplexen Typologien entwickeln. 30 Bilder in einem <strong>Kirchenraum</strong> haben in dieser Perspektive<br />

nicht bloß eine homiletische „Funktion“, sie wirken nicht einfach verkündigungsunterstützend,<br />

sondern definieren den christlichen Kultraum von seinen Grundstrukturen her. Sie strukturieren Zeit<br />

und Raum, Schöpfung und Apokalypse, Fall und Erlösung, Gottes Menschwerdung und seine<br />

Wiederkehr am Ende der Zeiten, sie aktualisieren die Heilgeschichte in die jeweilige Gegenwart,<br />

führen in ihrem appellativen Charakter in das Jetzt der Entscheidung zum Besseren und zeigen die<br />

zur Nachahmung empfohlenen Lebensszenen der Heiligen.<br />

Eine Kirche, so gesehen, ist über ihre ursprüngliche Vorstellung einer Versammlung aus lebendigen<br />

Steinen weit hinausgewachsen. Ihre Verbindung mit der Kunst und ihrer jeweiligen Entwicklung,<br />

ihre Verschmelzung mit Architektur, deren <strong>im</strong>manenten Gesetzen wie Schwerkraft, Licht, Masse<br />

und Raum, ihre symbolische Überhöhung als Gottesburg, H<strong>im</strong>mlisches Jerusalem, Ausdruck<br />

göttlicher Harmonie, Theatrum Mundi – jedenfalls aber als „Domus Dei“ (und nicht als<br />

Gemeindezentrum) –, ihre Leidenschaft für die Bilder, die diese Religion begründen und<br />

konstituieren, machen jenes flirrende Bilderfluidum aus, mit dem sich ein christlicher Sakralraum<br />

ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben hat.<br />

Mitunter sieht dabei die zeitgenössische Kunst präziser, was den Wert von Bildern in Kirchen<br />

ausmacht. Thomas Struths „Kirchenbilder“ etwa geben auf dem Niveau aktueller zeitgenössischer<br />

Kunst und <strong>im</strong> Kontext scheinbarer touristischer Säkularität ein beredtes Zeugnis. 31 Wie bei seinen<br />

„Museumsbildern“ ging er an Stätten großer kultureller Gedächtnisorte und setzte sie scheinbar<br />

gewöhnlich ins Bild. Was wie eine Dokumentarfotografie aus einem gewöhnlichen Touristentag<br />

28 Vgl. IVAN NAGEL: Gemälde und Drama. Giotto, Masaccio, Leonardo, Frankfurt 2009, 124-126.<br />

29 WERNER HOFMANN: Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion, in: Ders. (Hg.): Luther und die Folgen für<br />

die Kunst, 23-71, 33, mit entsprechenden Bildbeispielen.<br />

30 WOLFGANG KEMP hat aus den Erzählstrukturen eine Grundstruktur christlicher Kunst abgeleitet. Vgl. dazu:<br />

RAUCHENBERGER: Biblische Bildlichkeit, 261-294.<br />

31 Abb. in: THOMAS STRUTH: Museum Photographs, München 2005. Vgl. dazu: JOHANNES STÜCKELBERGER: Thomas<br />

Struths Kirchenbilder. Kirche als anderer Ort, in: Raumkonzepte. kunst und kirche 3/2005, Darmstadt 2005, 178-183.


wirkt, ist vom Künstler in Wirklichkeit inszeniert bzw. aus Hunderten von Aufnahmen über Tage<br />

erarbeitet: Masse, Größe, Kleinheit und Ornament werden vor der Fassade der gotischen Kathedrale<br />

von Notre Dame in Paris ausgelotet. Den der Heiligen Messe beiwohnenden Menschen <strong>im</strong> großen<br />

Mailänder Dom werden ganz andere Blickachsen mit den hängenden Historienbildern aus dem<br />

Leben <strong>des</strong> Heiligen Karl Borromäus beigestellt – als Möglichkeit der individuellen Abschweife auf<br />

Bilder, die mit hohen Raumd<strong>im</strong>ensionen konkurrieren. Die stille Macht großer Bildwände und ihrer<br />

beredten Figuren in einer Kirche wie eine Madonna Bellinis wird dem Suchen, Nachlesen, auch<br />

Beten zur Seite gestellt (San Zaccaria in Venedig), so als ob sich die Sacra Conversazione auch in<br />

den Bereich <strong>des</strong> kundigen Kunsttouristen fortsetzt. Ein kollektiver Bewunderungsblick einer<br />

touristischen Kleingruppe wird <strong>im</strong> Kontext der Aura der Frari-Kirche in Venedig zu einem<br />

Transformationsvorgang von Lichtgestalten, die sich vor der Assunta von Tizian vollzieht. Und der<br />

funkelnde erhöhte Herr <strong>im</strong> Apsismosaik von Palermo hat – einer Betäubung gleich – <strong>im</strong><br />

sympathischen Kunstführer für die Touristenschar eine merkwürdige Ähnlichkeit.<br />

Bilder mögen für die <strong>des</strong> Lesens Unkundigen anfänglich theologisch legit<strong>im</strong>iert worden sein, das<br />

Verhältnis heute ist vielmehr reziprok: Bilder <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong> behaupten ihre Macht und ihre Kraft,<br />

ohne dass die Theologie für sie hinreichend sprachfähig ist. Angesichts der geballten Kraft<br />

kultureller Potentialität, die sich in den Erzählbildern christlicher Sakralkunst entfaltet, liegt für die<br />

Bildtheologie gerade aufgrund der Defizite der klassischen theologischen Disziplinen hinsichtlich<br />

der Lesbarkeit dieser Art von Bildern ein noch sehr weites Feld, das sich in Sprache fügen muss. Es<br />

ist dabei offenkundig, dass sie dabei der Hilfe anderer Wissenschaften, der Kunstwissenschaft vor<br />

allem – und in ihr vor allem der Erkundung mannigfaltiger Erzählstrukturen –, darf.<br />

Der Sog der Rückschau in das Fluidum der Bildausstattung einer christlichen Kirche gerät für<br />

unsere Fragestellung dennoch merkwürdig ins Stocken. Atmosphäre und Gefühle – die dritte<br />

Best<strong>im</strong>mung <strong>des</strong> Thomas für die Bilder – scheinen uns irgendwie vertraut. Aber sonst scheint der<br />

gewaltige Strom christlicher Erzählkunst in modernen und zeitgenössischen Kirchenräumen nahezu<br />

versiegt. Warum? Es ist gewiss nicht bloß das Ende <strong>des</strong> Historienbil<strong>des</strong> <strong>im</strong> 19. Jahrhundert, es ist<br />

auch nicht einfach die Erkenntnis, dass Narrativität von ihrer inneren Triebkraft her andere Medien<br />

wie Film und Videokunst gefunden, hat. Die moderne grob verkürzte Raumauffassung, die<br />

mangelnde Auftragskultur und der Mut, die Intensität der Konkretisierung der christlichen<br />

Erzählungen mit den heutigen Lebenswelten künstlerisch zu konfrontieren, sind min<strong>des</strong>tens ebenso<br />

stark.<br />

5. Das Bild als Konkurrenz?<br />

Bilder <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong>, so wie wir sie bisher beleuchtet haben, sind zu betrachten als lebendige<br />

Steine aus Menschen, sie entwickeln sich an den zentralen Kultorten wie Altar, Kanzel und Ambo


und sie erzählen in komplexer Manier von den Grunddokumenten <strong>des</strong> Christentums, das sich als<br />

Heilsgeschichte versteht. All diese Bildorte <strong>des</strong> christlichen Feierraums scheinen außer Streit zu<br />

stehen. Was aber ist mit den Bildern, um die in den Kirchen gestritten wurde? Ist das Bild <strong>im</strong><br />

<strong>Kirchenraum</strong> überhaupt in der Weise legit<strong>im</strong>iert, wie es hier den Anschein hatte? Bilder können<br />

nicht nur positiv etwas ins Bild setzen, sondern mit ihrer ästhetischen Potentialität auch eine<br />

Konkurrenz zu dem ausspielen, was wörtlich gesagt wird, ja auch etwas ganz anderes zeigen. Eine<br />

Definition in ihrer abgrenzenden und best<strong>im</strong>menden Sprachlichkeit ist ein anderes Medium als ein<br />

ästhetisch synergetisches Bild: Dieses überzeugt, es wirbt, es spielt seine Sinne aus, verführt in<br />

Verzückung, erhebt den Geist, erweckt Mitleid, verleitet selbst zur Imagination und mitunter zur<br />

Urteilskraft. So gesehen: Dürfen dann Bilder überhaupt in den <strong>Kirchenraum</strong>? Welche dürfen hinein,<br />

welchen wird das Bleiberecht verwehrt? In seinen Passagen über die Bilder <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong><br />

betonen die Texte <strong>des</strong> II. Vatikanischen Konzils, dass<br />

„von den Gotteshäusern und anderen heiligen <strong>Orte</strong>n streng solche Werke von Künstlern<br />

ferngehalten werden sollen, die dem Glauben, den Sitten und der christlichen Frömmigkeit<br />

widersprechen und die das rechte religiöse Empfinden verletzen“ 32 .<br />

Es klingt dabei die Geschichte der Entfremdung von Sakralkunst, Kunst und Kirche nach, die an<br />

den Beginn der Moderne gemahnt. Dass sich Kunst und Sitten <strong>im</strong> Sakralraum widersprechen<br />

könnten, ist ein später Nachklang auf die Bildregulierung, die mit dem Beginn der katholischen<br />

Reform <strong>im</strong> Tridentinischen Konzil nach der harschen reformatorischen Bilderkritik begonnen hatte.<br />

Bilder, auch wenn man sie <strong>im</strong> damaligen Konfessionskonflikt propagandistisch 33 einzusetzen<br />

pflegte, sollten keine „falsche Lehre“ 34 vertreten. Und in den Debatten um den Ausweis<br />

„christlicher Kunst“ seit der Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts und der Installierung eines festen<br />

Binnenmilieus dieser Kunst findet sich noch ein Nachhall <strong>des</strong>sen, was dann mit der Entfremdung<br />

von „Kirchenkunst“ und der autonomen Moderne 35 breit ausgefaltet wird, bis schließlich ein<br />

scheinbarer Frieden mit der Rezeption der abstrakten Kunst als zeitgenössische Form der Ars Sacra<br />

geschlossen wird.<br />

Dass Bilder vom Sakralraum ausgeschlossen werden können, ist als Negativfolie zu ihrem Surplus<br />

zu sehen: Denn was positiv gesagt werden kann, sie seien „besser als Predigt“, kann auch negativ<br />

bedacht werden: „Entspricht das, was sie zeigen, auch der kirchlichen Lehre?“ Von den Büchern<br />

und Listen, was theologisch „rechte Bilder“ seien, ist man seit der Versöhnung mit der aktuellen<br />

Kunst erfreulicherweise weit entfernt. Hie und da kommt es – selbst in Höchstformen der<br />

32<br />

SC 124, zit. nach: Das zweite Vatikanische Konzil. Dokumente und Kommentare I, 103.<br />

33<br />

Vgl. HOFMANN: Luther und die Folgen für die Kunst, a.a.O.<br />

34<br />

So das Tridentinische Konzil in seinem Bildertraktat: DH 1825<br />

35<br />

Vgl. dazu: ALEX STOCK: Zwischen Tempel und Museum. Theologische Kunstkritik. Positionen der Moderne,<br />

Paderborn u.a. 1991.


Abstraktion – noch zum Konflikt. 36 Viel mehr wird der Kunst zugetraut, zeitgenössische Formen<br />

<strong>des</strong> Heiligen zu formulieren, sowohl in den Kategorien der Schönheit als auch jenseits überlieferter<br />

Formen. 37 Wenn in der theologischen Debatte und in lehramtlichen Texten vom Bild <strong>im</strong><br />

<strong>Kirchenraum</strong> die Rede ist, ist jene Brücke schnell geschlagen, die die Bereiche „Bild und Kult“ –<br />

bis hinein in eine damit verbundene Epochentheorie 38 – verbindet.<br />

„Bilderverehrung“ ist freilich mit der Frage <strong>des</strong> <strong>Orte</strong>s <strong>im</strong> <strong>Kirchenraum</strong> aufs engste verknüpft. Beruft<br />

man sich auf Konzilsaussagen, so wurde jene seit dem II. Konzil von Nizäa <strong>im</strong>mer wieder<br />

verteidigt, zuletzt sowohl <strong>im</strong> Konzil von Trient 39 als auch <strong>im</strong> II. Vatikanischen Konzil. Die<br />

Zeitumstände waren freilich andere: Im gegenreformatorischen Barock erlebte die Bilderverehrung<br />

in der Heiligen- und Marien-Verehrung, den Wallfahrten usw. eine von der kirchlichen Obrigkeit<br />

und den neuen Orden der Jesuiten, Theatiner, Oratorianer und Kapuziner geförderte neue Blüte. In<br />

den nüchternen 60er Jahren <strong>des</strong> vergangenen Jahrhunderts sind die Konzils-Passagen<br />

dementsprechend eher retardierend: Bilderverehrung wird in den betreffenden Zitaten gar als<br />

„Brauch“ bezeichnet, bei einer verstärkten Anzahl von verehrungswürdigen Bildern wird sogar eine<br />

„weniger gesunde Frömmigkeit“ befürchtet: „Der Brauch, in den Kirchen den Gläubigen heilige<br />

Bilder zur Verehrung darzubieten, werde nicht angetastet. Doch sollen sie in mäßiger Zahl und<br />

rechter Ordnung aufgestellt werden, damit sie nicht die Verwunderung der Gläubigen erregen oder<br />

einer weniger gesunden Frömmigkeit Vorschub leisten.“ 40<br />

Man darf nicht vergessen, dass dem entmythologisierten Wirklichkeitsverständnis der 60er Jahre in<br />

den katholischen Kirchräumen auch die größte Bilderbereinigung seit den reformatorischen<br />

Bilderstürmen folgte. Sie trug sehr oft ikonoklastische Züge. Unzählige Bilder wurden in dieser Zeit<br />

entfernt, auf den Dachboden geräumt, auf dem Trödelmarkt verkauft oder in den Depots der<br />

diözesanen Museen gelagert. Die Krise der christlichen Ikonografie war nun auch <strong>im</strong> katholischen<br />

<strong>Kirchenraum</strong> selbst angekommen – und mit ihr die Frage, ob und wie ein zeitgenössisches Bild <strong>im</strong><br />

36 Etwa die Altarskulptur von EDOUARDO CHILLIDA in St. Peter in Köln, die nach drei Jahren als Altar wieder zur<br />

Skulptur mutierte. Die Begründung: Ein christlicher Altar bestehe nicht aus drei Teilen, sondern sei mit einer Platte zu<br />

verbinden. Vgl. dazu zusammenfassend: SCHLIMBACH: Kunst Station, 354-371.<br />

37 Vgl. die diesbezüglichen Reden und „Briefe an die Künstler“ der Päpste Paul VI, <strong>Johannes</strong> Paul II. und Benedikt<br />

XVI, gut dokumentiert in: VON BÜHREN, Kunst und Kirche <strong>im</strong> 20. Jahrhundert, 665, 681, 686-690, 693-695, 697-705.<br />

748-755.<br />

38 Vgl. HANS BELTING: Bild und Kult. Eine Geschichte <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong> vor dem Zeitalter der Kunst, München 1990.<br />

39 DH 1823. Vgl. FRANÇOIS BŒSPFLUG/OLIVIER CHRISTIN: Das Konzil von Trient und die katholischen Traktate De<br />

<strong>im</strong>aginibus (1522-1680), in: HOEPS (Hg.): Handbuch der Bildtheologie I, 241-262.<br />

40 SC 125: „Über die sakrale Kunst und liturgisches Gerät und Gewand“, zit. nach: Das zweite Vatikanische Konzil.<br />

Dokumente und Kommentare I, 103. Fast wortgleich wird auch <strong>im</strong> kirchlichen Rechtsbuch <strong>des</strong> Co<strong>des</strong> Iuris Canonici<br />

von 1983 in can. 1188 angeordnet, daß die Praxis beizubehalten ist, in den Kirchen heilige Bilder für die Verehrung<br />

durch die Gläubigen anzubringen.


<strong>Kirchenraum</strong> situiert werden sollte. 41 Der Bildkult hat sich am Beginn <strong>des</strong> Medienzeitalters freilich<br />

anderswo seinen breiten Raum verschafft.<br />

Dennoch ist festzuhalten: Auch wenn der letzten Liturgiereform ein erneuertes und vertieftes<br />

Eucharistieverständnis – samt seinen bildlichen Auswirkungen – ein besonderes Anliegen war, eine<br />

„Zweckwidmung“ für den eucharistiezentrierten Gottesdienst alleine ist einem katholischen<br />

<strong>Kirchenraum</strong> eigentlich fremd. Lour<strong>des</strong>- und Fat<strong>im</strong>agrotten, Herz-Jesu-Bilder, Herz-Marien-Bilder,<br />

Josefsaltäre, Antoniusstatuen gesellten sich <strong>im</strong> geschlossenen katholischen Milieu <strong>des</strong> 19./20.<br />

Jahrhunderts zu den <strong>im</strong> Barock inszenierten Bildern, ja lösten sie teilweise sogar ab. Auch<br />

mittelalterliche Bilder blieben bestehen. Grabdenkmäler fanden selbstverständlich Eingang in den<br />

<strong>Kirchenraum</strong>. Bilder, die <strong>im</strong> engeren Sinne nicht mit dem Hauptkult zu tun hatten, fanden in<br />

katholischen Kirchräumen <strong>im</strong>mer ihren Platz, selbst wenn der Grad der Verehrung sich sehr<br />

verändert hat bzw. einfach stillgelegt wurde. Bilder dieser Art finden ihren Ort nicht nur an<br />

Retabeln, sondern auch an Säulen, Wänden, auf Sockeln, in Nischen, in eigenen Kapellen. Sie<br />

wurden aufgestellt zum Zwecke der Verehrung oder der Andacht, d.h. der betrachtenden<br />

Mitempfindung der dargestellten Szene (z.B. Pietà, <strong>Johannes</strong>minne, Kreuzweg, Krippe usw.).<br />

„Diese Art von Bildern hatte sich seit der Gotik in den Kirchen ausgebreitet <strong>im</strong> Zuge einer<br />

Diversifizierung der Frömmigkeit über den klerikalen Hauptkult hinaus. Die vor allem an die<br />

Heiligenbilder geknüpfte Bilderverehrung mit den entsprechenden Heilserwartungen war ein<br />

Hauptangriffspunkt der reformatorischen Bilderkritik.“ 42<br />

Andachten, die auf heilige Bilder ausgerichtet sind, sind mit der letzten Liturgiereform als offizielle<br />

Kultpraxis fast vollkommen verschwunden, Andachten, die eine <strong>im</strong>aginative Ausrichtung haben<br />

(wie Kreuzweg-, Mai- oder Rosenkranzandachten) blieben in zeitgeistresistenteren Gegenden zwar<br />

bestehen, favorisiert wurde aber offiziell viel mehr das, „was bezeichnender ‚Wortgottesdienst’<br />

heißt“ 43 . Im offiziellen Kult der katholischen Kirche (Messe, Spendung von Sakramenten,<br />

Stundengebet) spielen Bilder gar keine Rolle, außer <strong>im</strong> Lokalkolorit <strong>des</strong> südlichen Katholizismus.<br />

In den Bildmeditationen pastoraler Kleingruppen tauchen allerdings alte Formen wieder auf,<br />

pastoraldidaktische Überlegungen führen dazu, Zeichnungen von Kindern und Jugendlichen<br />

temporär wieder in den Gottesdienstraum zu verankern. Auch die Aufstellung ostkirchlicher<br />

Ikonen, meist in der Nähe der Ambonen, ist eine frömmigkeitsgeschichtliche Entwicklung der<br />

41<br />

Vgl. dazu: JOHANNES RAUCHENBERGER: ARS RELIGIOSA, ARS SACRA, ARS LITURGICA, in: F. BOESPFLUG, F.<br />

DASSINGENA-TRÉVEDY, E. FUCHS, A. GERHARDS, G. RAVASI e Aa. (Ed.), LITURGIA E ARTE. La Sfida della<br />

Contemporeaneità. Edizione Qiqajon, Comunità di Bose 2011, 31-46; DERS: Domestizierte Zeitgenossenschaft?<br />

Zum Idiom der Kirchenkunst um die zweite Jahrtausendwende. (Tagung: Die Katholische Kirche in Deutschland und<br />

die zeitgenössische Kunst VI Neue Avantgarden?!, 27.-29. Mai 2009, Bad Honeff, (KSI der Erzdiözese Köln), in:<br />

Jahrbuch 2007-2010 <strong>des</strong> Verein Ausstellungshaus für christliche Kunst, Regensburg 2011, 16-36.<br />

42<br />

ALEX STOCK: Die Bilderfrage nach dem II. Vaticanum, in: Ders.: Keine Kunst. Aspekte der Bildtheologie, Paderborn<br />

1996, 105-117, 115.<br />

43<br />

Ebd.


letzten Jahrzehnte, die die Präsenz Jesu Christi <strong>im</strong> Wort durch die Präsenz <strong>des</strong> Antlitzes Jesu<br />

unterstreichen und verstärken soll. Diese Praxis ist meist relativ <strong>im</strong>mun gegen die Bildmacht <strong>des</strong><br />

vorhandenen historischen Raumes, sie ist in Kirchen aller Stilrichtungen zu finden, sogar in den<br />

bildlosen Kirchen der 60er Jahre <strong>des</strong> vergangenen Jahrhunderts. Erwähnenswert ist ferner, dass als<br />

beinahe obligatorische Bildausstattung einer katholischen Kirche in der konkreten Praxis auch bei<br />

Neubauten die Anbringung von Kreuzwegbildern geblieben ist, wenngleich die damit verbundene<br />

Andachtspraxis in der Passionszeit beinahe vollkommen verschwunden ist.<br />

Die Interventionen zeitgenössischer Kunst, die, ausgehend von der Pionierarbeit von Friedhelm<br />

Mennekes in der Kunststation St. Peter in Köln 44 , <strong>im</strong> deutschsprachigen Raum breite<br />

Nachkommenschaft gefunden hat – bis hin zu amtlich forcierten „Kulturkirchen“ <strong>im</strong> evangelischen<br />

Raum – haben zwar nicht den gleichen Status wie die oben beschriebenen Bilder, sie wären aber<br />

dennoch auch daraufhin zu reflektieren. 45 Welche Art von Kunst in welchem Kontext und in<br />

welchen Raum der Kirche einziehen darf, wären sowohl in ihren homiletischen Aspekten als auch<br />

mit den Aspekten von Präsenz verstärkt zu bedenken. 46 Denn ob sich zeitgenössische Bilder in den<br />

Raum einfügen, ob sie den Kult aufwerten, ihn hinterfragen, ironisieren, verstärken, verändern – das<br />

ist auch eine Frage der Raumkonzeption, die eben vom Selbstverständnis <strong>des</strong> Präsenzanspruchs<br />

definiert ist. Die eingangs erwähnten „lapi<strong>des</strong> vivi“ sind vom Anspruch her etwas anderes als eine<br />

Topik <strong>des</strong> <strong>Orte</strong>s, der von sich aus eine reale Gegenwart behauptet. Dennoch können beide so<br />

unterschiedliche Konzeptionen gerade durch zeitgenössische Kunst wieder zusammengeführt<br />

werden, wie etwa <strong>im</strong> in seiner Einfachheit bestechenden Schriftzug „Wir sind da“ <strong>des</strong><br />

österreichischen Künstlers Markus Wilfling, den dieser in den Eingangsbereich einer gotischen<br />

Kirche geschrieben hat. 47 (Vgl. Abb. XX: Markus Wilfling: „Wir sind da“, 2011, Fineliner, aus dem<br />

Projekt: 1+1+1=1 Trinität, Graz 2011, permanent installiert in der Eingangssituation der Grazer<br />

Leechkirche.)<br />

In den unterschiedlichen Raumauffassungen in Bezug auf den Präsenzanspruch unterscheiden sich<br />

katholische und evangelische Kirchen, und darin werden auch die Differenzen bei „Kulturkirchen“<br />

noch herausgearbeitet werden müssen. Kunstwerke, die <strong>im</strong> engeren Kultraum Platz greifen,<br />

kommen mit einem katholischen <strong>Kirchenraum</strong> viel eher in Konflikt.<br />

44 Vgl. dazu als Überblick: GUIDO SCHLIMBACH: Kunst-Station Sankt Peter, a.a.O.<br />

45 Vgl. JOSEF MEYER ZU SCHLOCHTERN: Interventionen. Autonome Gegenwartskunst in sakralen Räumen. (ikon. Bild +<br />

Theologie, hg. von ALEX STOCK und Reinhard Hoeps), Paderborn u.a. 2007.<br />

46 Vgl. RAUCHENBERGER: Zum Idiom der Kirchenkunst, a.a.O.; DERS.: Bestreiten, aber unterlaufen. Zum<br />

Kreativitätspotential zwischen christlichen Bildwelten und Gegenwartskunst am Beginn <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts, in: HOEPS<br />

(Hg.) Handbuch für Bildtheologie I, 354-375.<br />

47 Vgl. dazu: JOHANNES RAUCHENBERGER: 1+1+1=1. TRINITÄT. Ein nachgeknüpfter Erzählteppich zur Ausstellung,<br />

in: 1+1+1=1 TRINITÄT. Hg. von PHILIPP HARNONCOURT, BIRGIT PÖLZL, JOHANNES RAUCHENBERGER, Wien 2011,<br />

197-211, hier: 2011; Abb. 190/191.


Bilder können also ihre Konkurrenz nicht nur in ihrer rhetorischen, narrativen und homiletischen<br />

Qualität entfalten, sondern eben auch dort geltend machen, wo es um Aspekte von Präsenz und<br />

Repräsentation geht. Dabei entwickeln sie sogar ihre besondere Brisanz. Schließlich haben sie<br />

damit ihren eigenen Kult beansprucht oder sind mit dem offiziellen Kult in Konkurrenz geraten.<br />

Der Grad und das Ausmaß der Verehrung der Bilder standen keineswegs <strong>im</strong>mer <strong>im</strong> Einklang mit<br />

dem offiziellen kirchlichen Kult. Heftige politische Auseinandersetzungen, die bis zu Bilderstürmen<br />

und eben Bildzerstörungen reichten, waren schließlich Teil dieser Geschichte. Denn Kultbildern<br />

wurde von Seiten ihrer Gegner der Status von Götzenbildern zugesprochen. Und Götzenbilder<br />

waren der Inbegriff <strong>des</strong> Heidnischen, wogegen sich bereits in Zeiten <strong>des</strong> Anfangs die neue Religion<br />

mit ansehnlicher Schriftlegit<strong>im</strong>ation – von Bilderverbot bis scharfer Götzenbildkritik – abzugrenzen<br />

hatte. 48 Im II. Konzil von Nizäa (787) wird der Präsenzstatus von Bildern auf der Ebene der<br />

Eucharistie und der Reliquien verhandelt. 49 Auch wenn sich das Konzil auf den gleichen Status<br />

einigt, gehen die ost- und die westkirchliche Tradition dabei auseinander. In der westlichen<br />

Tradition wird der Präsenzstatus eigentlich nur bei Kultbildern akut. Die Integration in den<br />

eucharistischen Kult ist freilich nur ein Teil ihrer Entfaltungsgeschichte.<br />

6. Nachsatz<br />

Bilderverehrung, wie sie religiösen Bildern zukommt, erscheint uns heute eine vormoderne Praxis<br />

zu sein. Auch in der jüngeren Kunstwissenschaft wurde sie mit einer Epochentheorie verbunden.<br />

Vor dem Zeitalter der Kunst war das Zeitalter <strong>des</strong> Bil<strong>des</strong>. Sein Kontext war der Kult. Georg<br />

Friedrich Wilhelm Hegel war das Kniebeugen schon am Anfang <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts ein Ausweis<br />

der Nicht-Zeitgenossenschaft. „Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden<br />

und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen – es hilft nichts,<br />

unsere Knie beugen wir doch nicht mehr.“ 50 Der weitere Verlauf der Geschichte über das Bild und<br />

über sein Erbe, die Kunst, zeigt aber auf: Hegel hatte nicht vollkommen Recht.<br />

48<br />

Vgl. dazu ALEX STOCK: Frühchristliche Bildpolemik. Das Neue Testament und die Apologetik <strong>des</strong> 2. Jahrhunderts,<br />

in: HOEPS (Hg.): Handbuch der Bildtheologie I, 120-138.<br />

49<br />

Vgl. STOCK: Bilderstreit als Kontroverse um das Heilige, a.a.O.<br />

50<br />

Vgl. GEORG WILHELM FRIEDRICH HEGEL: Vorlesungen über die Ästhetik I-III (Theorie-Werkausgabe Bd. 13-15).<br />

Frankfurt 1970, hier: Werke 13, 142.

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