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Orte des Bildes im Kirchenraum Johannes Rauchenberger 1 ...

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Bildtheorien über das Historiengemälde in den „Jetzt-Rausch <strong>des</strong> Quattrocento“ 28 münden: Was in<br />

der Bibel und in den Heiligenviten erzählt wird, geschieht jetzt, hier und heute. Schließlich werden<br />

diese anfänglich wie Filmszenen gestalteten Erzählbilder am Endpunkt ihrer Entwicklung allen<br />

Raum und alle begrenzende Architektur aufreißen – in den bildlich gemalten H<strong>im</strong>mel hinein, zu<br />

einer Zeit, als man längst begann, diesen naturwissenschaftlich leerzuräumen. Und wo das eigene<br />

Selbstverständnis ganz und gar zur Disposition stand, haben Bilder noch einmal mit der „Rhetorik<br />

<strong>des</strong> Leidens und Triumphierens“ 29 alle Gefühlsorgeln bedient, zu der eine ästhetische<br />

Überzeugungskunst (persuasio) <strong>im</strong> Stande war.<br />

Bilder zeichnen sich in einem christlichen <strong>Kirchenraum</strong> in all diesen wenigen Spots durch<br />

verschiedenste Formen der Narrativität aus, die sich von einfachen Erzähltechniken bis hin zu<br />

komplexen Typologien entwickeln. 30 Bilder in einem <strong>Kirchenraum</strong> haben in dieser Perspektive<br />

nicht bloß eine homiletische „Funktion“, sie wirken nicht einfach verkündigungsunterstützend,<br />

sondern definieren den christlichen Kultraum von seinen Grundstrukturen her. Sie strukturieren Zeit<br />

und Raum, Schöpfung und Apokalypse, Fall und Erlösung, Gottes Menschwerdung und seine<br />

Wiederkehr am Ende der Zeiten, sie aktualisieren die Heilgeschichte in die jeweilige Gegenwart,<br />

führen in ihrem appellativen Charakter in das Jetzt der Entscheidung zum Besseren und zeigen die<br />

zur Nachahmung empfohlenen Lebensszenen der Heiligen.<br />

Eine Kirche, so gesehen, ist über ihre ursprüngliche Vorstellung einer Versammlung aus lebendigen<br />

Steinen weit hinausgewachsen. Ihre Verbindung mit der Kunst und ihrer jeweiligen Entwicklung,<br />

ihre Verschmelzung mit Architektur, deren <strong>im</strong>manenten Gesetzen wie Schwerkraft, Licht, Masse<br />

und Raum, ihre symbolische Überhöhung als Gottesburg, H<strong>im</strong>mlisches Jerusalem, Ausdruck<br />

göttlicher Harmonie, Theatrum Mundi – jedenfalls aber als „Domus Dei“ (und nicht als<br />

Gemeindezentrum) –, ihre Leidenschaft für die Bilder, die diese Religion begründen und<br />

konstituieren, machen jenes flirrende Bilderfluidum aus, mit dem sich ein christlicher Sakralraum<br />

ins kulturelle Gedächtnis eingeschrieben hat.<br />

Mitunter sieht dabei die zeitgenössische Kunst präziser, was den Wert von Bildern in Kirchen<br />

ausmacht. Thomas Struths „Kirchenbilder“ etwa geben auf dem Niveau aktueller zeitgenössischer<br />

Kunst und <strong>im</strong> Kontext scheinbarer touristischer Säkularität ein beredtes Zeugnis. 31 Wie bei seinen<br />

„Museumsbildern“ ging er an Stätten großer kultureller Gedächtnisorte und setzte sie scheinbar<br />

gewöhnlich ins Bild. Was wie eine Dokumentarfotografie aus einem gewöhnlichen Touristentag<br />

28 Vgl. IVAN NAGEL: Gemälde und Drama. Giotto, Masaccio, Leonardo, Frankfurt 2009, 124-126.<br />

29 WERNER HOFMANN: Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion, in: Ders. (Hg.): Luther und die Folgen für<br />

die Kunst, 23-71, 33, mit entsprechenden Bildbeispielen.<br />

30 WOLFGANG KEMP hat aus den Erzählstrukturen eine Grundstruktur christlicher Kunst abgeleitet. Vgl. dazu:<br />

RAUCHENBERGER: Biblische Bildlichkeit, 261-294.<br />

31 Abb. in: THOMAS STRUTH: Museum Photographs, München 2005. Vgl. dazu: JOHANNES STÜCKELBERGER: Thomas<br />

Struths Kirchenbilder. Kirche als anderer Ort, in: Raumkonzepte. kunst und kirche 3/2005, Darmstadt 2005, 178-183.

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