9 Vorträge, 1924 - Rudolf Steiner Online Archiv
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ANTHROPOSOPHIE. EINE ZUSAMMENFASSUNG NACH 21 JAHREN<br />
Erster Vortrag<br />
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Und wieder, nicht der Kopf, aber die Tiefen des Unbewußten<br />
formulieren sich Fragen, die Unterfragen sind dieser allgemeinen<br />
Frage, die ich eben erörtert habe. Indem der Mensch sein<br />
physisches Dasein, das sein Werkzeug ist zwischen Geburt und<br />
Tod, betrachtet, weiß er: Ohne diese physische Welt kann ich<br />
dieses Dasein zwischen Geburt und Tod gar nicht leben, denn<br />
ich muß fortwährend Anleihen machen bei diesem Dasein der<br />
sichtbaren Welt. Jeder Bissen, den ich in den Mund nehme, jeder<br />
Trunk Wasser ist aus dieser Welt der Sichtbarkeit, der ich ja<br />
gar nicht angehöre. Ich kann ohne sie im physischen Dasein<br />
nicht leben. Habe ich eben einen Bissen zu mir genommen aus<br />
einer Substanz, die ja dieser sichtbaren Welt angehören muß,<br />
und gehe ich unmittelbar, nachdem ich diesen Bissen zu mir<br />
genommen habe, durch die Pforte des Todes, in dem Augenblicke<br />
gehört dasjenige, was der Bissen in mir ist, den Vernichtungskräften<br />
dieser sichtbaren Welt an. Und daß er in mir selbst<br />
nicht den Vernichtungskräften angehört, davor muß ihn mein<br />
Wesen, mein eigenes Wesen bewahren. Aber nirgends draußen<br />
in der sichtbaren Welt ist dieses eigene Wesen zu finden. Was<br />
tue ich denn mit dem Bissen, den ich in den Mund nehme, was<br />
tue ich mit dem Trunk Wasser, den ich in den Mund nehme,<br />
durch mein eigenes Wesen? Wer bin ich denn, der die Substanzen<br />
der Natur empfängt und umwandelt? Wer bin ich denn?<br />
Das ist die zweite Frage, die Unterfrage, die aus der ersten entsteht.<br />
Ich gehe nicht nur, indem ich mich in ein Verhältnis setze zu<br />
der Welt der Sichtbarkeit, durch die Finsternis, ich handle in<br />
der Finsternis, ohne zu wissen, wer handelt, ohne zu wissen,<br />
was das Wesen ist, das ich als mein Ich bezeichne. Ich bin ganz<br />
hingegeben an die sichtbare Welt; aber ich gehöre ihr nicht an.<br />
Das hebt den Menschen heraus aus der sichtbaren Welt. Das<br />
läßt ihn sich selber erscheinen als Angehörigen einer ganz anderen<br />
Welt. Und die bange, die große Zweifelsfrage steht da:<br />
Wo ist die Welt, der ich angehöre? - Und je mehr die menschliche<br />
Zivilisation vorgeschritten ist, je mehr die Menschen intensiv<br />
denken gelernt haben, desto mehr ist diese Frage eine bange<br />
Frage geworden. Und sie sitzt heute in den Tiefen der Gemüter.<br />
Die Menschen teilen sich, insofern sie der zivilisierten Welt an-<br />
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