ANNA â FREUD â CULT(URE) - Anna-Freud-Oberschule
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<strong>ANNA</strong>-<strong>FREUD</strong>-<strong>CULT</strong>(<strong>URE</strong>)©<br />
Nr. 3 Dezember 2007 Seite/ Page/ Pagina<br />
Unsere drei Tschetschenen<br />
Aufgewachsen in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens, erlebten die<br />
Brüder Beckhan, Selim und Ruslan die Gräuel des Krieges . Danica führt für<br />
<strong>Anna</strong>-<strong>Freud</strong>-Cult(ure) ein bewegendes Interview mit den Geschwistern.<br />
Drei junge Männer. Jede Pause sitzen sie<br />
in unserer 0. Ebene. Man sieht ihnen an,<br />
dass sie Brüder sind. Aber wer sind sie?<br />
Der Älteste, Beckhan, ist 21 Jahre alt und<br />
ist im dritten Semester. Seine Leistungskurse<br />
sind Geschichte und Physik. Selim,<br />
der Mittlere, ist 19 Jahre alt und ebenfalls<br />
im dritten Semester. Seine Leistungskurse<br />
sind Englisch und Chemie. Der Jüngste,<br />
Ruslan, ist 18, im ersten Semester, und<br />
hat die Leistungsfächer Kunst und Englisch.<br />
Aufgrund einer Jahrzehnte langen Tradition<br />
werden alle drei nach dem Abi in Richtung<br />
Medizin oder Jura weitermachen- „Es<br />
ist nun mal ein ungeschriebenes Gesetz".<br />
In einem kleinen Spiel fordere ich die Brüder<br />
auf, sich gegenseitig zu beschreiben.<br />
Beckhan fängt an und beschreibt seinen<br />
Bruder Selim: "Selim ist zwar schüchtern,<br />
aber ein hübscher und vor allem romantischer<br />
Frauenheld. Er ist intelligent und hat<br />
sehr viel Sinn für Humor." Leidenschaftlich<br />
gerne schreibt er Gedichte und ist Kampfsportler.<br />
Zu Letzterem dreht er auch gerne<br />
eigene Videos. Beckhan hingegen ist für<br />
seinen Ehrgeiz bekannt. Er ist gesprächig<br />
und kann sowohl ernst als auch ein Spaßvogel<br />
sein. „Sein Talent ist das Flirten, nur<br />
an der Treue müsste er arbeiten", so sein<br />
Bruder Selim. Der "Sturkopf", wie Selim<br />
ihn beschreibt, ändert seine Meinung nie,<br />
selbst wenn er im Unrecht ist. Auch Beckhan<br />
ist leidenschaftlicher Kampfsportler<br />
und ein wahrer "Chillertyp".<br />
Als der Krieg ausbrach, flüchtete die<br />
Familie aus Angst in ein nahe liegendes<br />
Dorf und lebte zwei Jahre lang in einem<br />
Bunker.<br />
__________________________________<br />
Ruslan, der Jüngste des Trios, ist der Ruhigste<br />
und Schüchternste. „Er ist intelligent,<br />
kreativ und hilfsbereit", so Selim.<br />
Neben seinen beiden großen Single-<br />
Brüdern hat er als einziger eine Freundin<br />
und ist ausnahmslos treu. „Die tschetschenische<br />
Politik ist voll und ganz sein<br />
Element", meinen seine Brüder. Auf die<br />
Frage, was sie am Anderen besonders<br />
lieben, bekomme ich dreimal die Antwort:<br />
"Ich liebe alles an ihnen! Sie sind meine<br />
Brüder!"<br />
Drei Brüder mit häufig verschiedenen Interessen<br />
und Charakterzügen und doch verbindet<br />
sie ein und dieselbe schmerzvolle<br />
Erinnerung.<br />
Eines Tages ließen dann die Flugzeuge,<br />
die immer wieder über unsere Köpfe<br />
flogen, ihre Raketen los.<br />
__________________________________<br />
Geboren wurden sie in Grosny, der<br />
Hauptstadt Tschetscheniens, wo sie ihre<br />
Kindheit verbrachten. Als '94 jedoch der<br />
Krieg ausbrach, flüchtete die Familie aus<br />
Angst vor Angriffen in ein nahe liegendes<br />
Dorf, wo sie nahezu ganze 2 Jahre in einem<br />
Bunker lebten. „In diesen zwei Jahren<br />
gab es keine Schule, keine Arbeit und<br />
auch sonst nichts zu tun. Die Frauen im<br />
Bunker haben uns letztlich geholfen, die<br />
Zeit totzuschlagen. Wir haben stricken<br />
gelernt", erinnerte sich Beckhan lächelnd.<br />
Im Jahr '96 war es ihnen möglich, wieder<br />
zurück nach Grosny zu kehren, da ihr<br />
Haus nur leicht beschädigt blieb. Im Oktober<br />
'99 brach der zweite Krieg in Tschetschenien<br />
aus und sie mussten wieder in<br />
ein Dorf fliehen. Beckhan erinnert sich an<br />
eine Szene und erzählt mir davon. „Auf<br />
dem Marktplatz, an dem man wie gewöhnlich<br />
alles Mögliche eingekauft hatte, ließen<br />
eines Tages dann die Flugzeuge, die immer<br />
wieder über unseren Köpfen flogen,<br />
ihre Raketen los. Die Druckwelle war so<br />
stark, dass die Fensterscheiben brachen<br />
und die Körperteile der Menschen sich<br />
überall verteilten. Ich habe überlebt. Ich