Ausgabe 49 2/2012 - Arbeiterwohlfahrt Unterbezirk Dortmund
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Was bedeutet eigentlich Inklusion?<br />
Selbstverständliches Dabeisein. Durch die Behindertenrechtskonvention<br />
(BRK) hat sich der<br />
Blickwinkel verändert. Es geht heute nicht mehr<br />
darum, wie viele behinderte Menschen die „normale“<br />
Gesellschaft verkraften kann oder wie viele<br />
Rollstühle in ein Klassenzimmer passen. Sondern<br />
darum, die sozialen Räume so umzubauen<br />
und zu gestalten, dass jeder, der möchte, selbstverständlich<br />
dabei sein kann. Das geht nicht von<br />
heute auf morgen. Aber durch die BRK gibt es<br />
diesen Anspruch, und er ist rechtsverbindlich.<br />
Wie sieht das konkret aus?<br />
Zum Beispiel müssen sich Eltern, die ein Kind mit<br />
Behinderung auf eine Regelschule schicken wollen,<br />
nicht mehr einfach so abspeisen oder viele<br />
Kilometer weit schicken lassen. Die Betroffenen<br />
sind nun keine Bittsteller mehr, sondern können<br />
ihre Rechte politisch und wenn nötig auch vor<br />
Gericht durchsetzen.<br />
In welchen Bereichen sehen Sie den größten<br />
Handlungsbedarf?<br />
Wichtig finde ich an der BRK, dass sie sich tatsächlich<br />
mit allen gesellschaftlichen Bereichen<br />
beschäftigt. Es geht natürlich um Schule und<br />
Arbeit, aber eben auch um Behinderung und<br />
Sexualität, Elternschaft und Familie, auch um<br />
die Psychiatrie-Gesetzgebung und um barrierefreie<br />
Zugänge zu Wohnungen und zum Gesundheitssystem,<br />
um nur einige Themenfelder<br />
zu nennen. Manche Bereiche wie zum Beispiel<br />
Sexualität und Elternschaft sind so neu, dass<br />
dort noch gar kein konkreter Handlungsbedarf<br />
benannt werden kann. Dort müssen zunächst<br />
die Tabus weg.<br />
ScHWERPUNKT INKLUSION<br />
Professor Heiner Bielefeldt ist Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und<br />
Menschenrechtspolitik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.<br />
Der Theologe und Philosoph war von 2003 bis 2009 Direktor des Deutschen Instituts<br />
für Menschenrechte in Berlin, das beauftragt ist, als „Monitoring-Stelle“ die<br />
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention zu begleiten.<br />
Deutschland hat die BRK<br />
unterzeichnet, damit haben<br />
die Betroffenen einen<br />
verbindlichen Rechtsanspruch.<br />
Aber sie können<br />
ihre Rechte noch nicht in<br />
allen Bereichen einklagen.<br />
Wie ist das zu verstehen?<br />
In der BRK gibt es den Begriff<br />
der „angemessenen<br />
Vorkehrungen“. Das bedeutet,<br />
was möglich ist, soll<br />
möglich gemacht werden,<br />
ohne Übermäßiges zu verlangen.<br />
Es handelt sich um<br />
Maßnahmen, mit denen im<br />
Einzelfall erkennbare Barrieren<br />
weggeräumt werden.<br />
Interview mit Professor Dr. Heiner Bielefeldt<br />
„Was möglich ist, soll<br />
möglich gemacht werden“<br />
Dazu gehört zum Beispiel, dass ein Arbeitsplatz<br />
an die individuellen Bedürfnisse eines Menschen<br />
mit Behinderung angepasst wird. Das können<br />
veränderte Arbeitsabläufe, Arbeitszeiten oder<br />
auch bauliche Veränderungen sein. Solche angemessenen<br />
Vorkehrungen sind jedoch im deutschen<br />
Recht bisher nur punktuell verankert. Erst<br />
wenn sie gesetzlich festgeschrieben sind, wird<br />
daraus einklagbares Recht und ein Ende der Diskriminierung.<br />
Das klingt sehr teuer.<br />
Es kostet natürlich Geld, aber wenn man damit<br />
pragmatisch umgeht, ist das durchaus machbar.<br />
Am Institut für Menschenrechte haben wir<br />
beispielsweise bei öffentlichen Vorträgen nach<br />
vorheriger Anmeldung Gebärdendolmetscher<br />
eingesetzt. Das sprach sich herum und so kamen<br />
manchmal zehn oder zwanzig Gehörlose<br />
Foto: Cornelius Wachinger<br />
zu den Veranstaltungen. Das zeigt: Wenn die<br />
Barriere weg ist, nehmen natürlich mehr Menschen<br />
mit Behinderung am „normalen“ gesellschaftlichen<br />
Leben teil. Und genau darum geht<br />
es doch.<br />
Was kann die Zivilgesellschaft, was kann ein<br />
Wohlfahrtsverband tun?<br />
Wichtig ist der aktive Austausch mit den Betroffenen<br />
und ihren Interessenvertretern. Dadurch<br />
ändert sich gesellschaftliches Bewusstsein. Früher<br />
nannte man Menschen mit Behinderung „Sorgenkinder“.<br />
Heute gibt es überall Behindertenbeauftragte.<br />
Es setzt sich die Erkenntnis durch: Menschen<br />
sind nicht behindert, sondern sie werden<br />
behindert. Inzwischen gibt es die ersten Enthinderungsstellen.<br />
Das ist der Weg. <br />
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