Harry Potter und die Aids-Prävention. - Ludwig Boltzmann Institut für ...
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<strong>Harry</strong> <strong>Potter</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />
<strong>Aids</strong>-<strong>Prävention</strong>.<br />
Bemerkungen zur<br />
Entwicklung der Person, zur<br />
Rolle der Liebe <strong>und</strong> der<br />
Peers bei jungen Leuten im<br />
21. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Wolfgang Dür<br />
Österreichisch-deutscher <strong>Aids</strong>-Kongress, Wien, 1.6. – 3.6.2005<br />
<strong>Ludwig</strong><br />
<strong>Boltzmann</strong><br />
<strong>Institut</strong><br />
<strong>für</strong> Medizin- <strong>und</strong><br />
Ges<strong>und</strong>heitssoziologie<br />
<strong>Ludwig</strong><br />
<strong>Boltzmann</strong><br />
Gesellschaft<br />
<strong>Institut</strong> <strong>für</strong><br />
Soziologie<br />
Universität Wien
Jugend als Statuspassage in der<br />
klassischen Soziologie<br />
(vgl. z.B. Coleman 1961)<br />
• Der Entwicklung des Jugendlichen vom Kind zum Erwachsenen<br />
wird als Übergang oder Zwischenwelt zwischen zwei „Welten“ oder<br />
sozialen Zuständen vorgestellt.<br />
• Für <strong>die</strong>se Passage bilden Jugendliche zeitlich begrenzt eine<br />
eigene soziale Gruppe mit eigenen (teils problematischen)<br />
Kulturen aus <strong>und</strong> bewegen sich in eigenen sozialen Räumen<br />
• Diese werden „zugebilligt“, um <strong>die</strong> von Erwachsenen gestellten<br />
Aufgaben zu lösen: Persönlichkeitsentwicklung <strong>und</strong> Erwerb von<br />
Qualifikationen, <strong>und</strong> zwar in Auseinandersetzung mit der<br />
Erwachsenenwelt, auf <strong>die</strong> hin <strong>die</strong> Jugendlichen sich zu entwerfen<br />
haben – Vater, Mutter <strong>und</strong> LehrerInnen <strong>die</strong>nen als Vorbilder<br />
• Die Vorgaben der Erwachsenenwelt werden ganz oder in<br />
modifizierter Form akzeptiert oder eben abgelehnt („Rebel without<br />
a cause“) – Rebellen werden mit intensivierter Erziehung gebogen<br />
W. Dür (2005): <strong>Harry</strong> <strong>Potter</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Aids</strong>-<strong>Prävention</strong>, <strong>Aids</strong>-Kongress Wien, 3.6.2005 2
Welche Aufgaben erledigen<br />
Jugendliche in der Zwischenwelt?<br />
• Trennung vom Elternhaus, Ablösung von den Eltern<br />
• Entwicklung einer psychosexuellen Identität<br />
• Aufbau von tragfähigen sozialen Beziehungen zum<br />
eigenen <strong>und</strong> anderen Geschlecht<br />
• Entwicklung eines Wert- <strong>und</strong> Moralsystems<br />
• Leistungsbereitschaft <strong>und</strong> Integration in den<br />
Arbeitsmarkt<br />
• Wiederbegegnung mit den Eltern<br />
Vgl. z.B. Klosinski (2003)<br />
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<strong>Harry</strong> <strong>Potter</strong> <strong>und</strong> Hermine Granger - zwei<br />
Individuen am Beginn der Jugendphase<br />
These:<br />
Die Roman-Serie von<br />
Joanne K. Rowling beschreibt<br />
einen Paradigmenwechsel<br />
in Erziehung <strong>und</strong><br />
Sozialisation von Jugendlichen;<br />
dabei steht <strong>die</strong> Welt<br />
der „Muggel“ <strong>für</strong> ihre<br />
soziale Lage in der ersten<br />
Moderne, <strong>die</strong> Welt von<br />
Hogwarts <strong>für</strong> ihre Lage in<br />
der zweiten oder reflexiven<br />
Moderne.<br />
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Hogwarts als Paradigma <strong>für</strong> <strong>die</strong> Jugend<br />
in der zweiten, „reflexiven“ Moderne<br />
Muggelwelt<br />
• Kind vs. Jugend vs. Erwachsene<br />
• Jugendliche sind schwach, haben<br />
keine Macht<br />
• Macht ist an soziale Position<br />
geb<strong>und</strong>en<br />
• Kinder <strong>und</strong> Jugendliche sind<br />
behütet<br />
• Lösungen sind bei den<br />
Erwachsenen, in Büchern<br />
• Hoher Anpassungsdruck löst<br />
häufig pubertäre Rebellion aus<br />
• Peers bieten kaum Halt, Hilfe;<br />
hedonistische Gr<strong>und</strong>orientierung<br />
Hogwarts<br />
• Kind vs. Jugend <strong>und</strong> Erwachsene<br />
• Jugendliche sind stark, können<br />
Macht haben<br />
• Macht ist erlernbares Verhalten<br />
(Zauberei)<br />
• Jugendliche sind Lebensgefahren<br />
ausgesetzt<br />
• Lösungen sind im eigenen Kopf, in<br />
der eigenen Person<br />
• keine Vorbilder verfügbar; statt<br />
Rebellion Zukunftsorientierung<br />
• Peers bieten Halt als Partner <strong>und</strong><br />
Weggenossen; pragmatische G.<br />
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<strong>Harry</strong> <strong>Potter</strong>´s Spiegelbild zeigt ihm den<br />
Stein der Weisen (Er ist in seiner Hosentasche!)<br />
Schon im ersten Band wird<br />
klar, wo Kraft, Kompetenz<br />
<strong>und</strong> Durchsetzungsvermögen<br />
sitzen: in der eigenen<br />
Person.<br />
Im Wettlauf mit dem bösen<br />
Grafen, der einen Lehrer<br />
zum Komplizen hat, zeigt<br />
<strong>Harry</strong>s Spiegelbild <strong>die</strong><br />
Lösung, <strong>die</strong> nur er sehen<br />
kann: der Stein der Weisen<br />
ist in seiner Hosentasche.<br />
Die Szene kann als Bild <strong>für</strong><br />
<strong>die</strong> Kraft der Selbstreflexion,<br />
aber auch <strong>für</strong> das Alleinauf-sich-gestellt-Sein<br />
der<br />
Jugendlichen gedeutet<br />
werden.<br />
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Welche makrosoziologischen Trends haben<br />
<strong>die</strong> Anforderungen an Jugend verändert? (1)<br />
• „Risikogesellschaft“: <strong>die</strong> Zukunft ist ungewiss, <strong>die</strong><br />
Gesellschaft selber ist das Risiko – was heißt dann „Politik<br />
machen“?<br />
• „Individualisierung“: steigende Ansprüche an <strong>die</strong> Fähigkeit,<br />
eine individuelle „ganze“ Person zu sein, sich von sozialen<br />
Rollen zu unterscheiden<br />
• „Pluralisierung der Lebensentwürfe“ : durch <strong>die</strong><br />
scheinbare Beliebigkeit verlieren Erwachsene ihre<br />
Vorbildfunktion<br />
• „Generationenkonflikt“: früher Wertekonflikt über das<br />
„richtige“ Leben, heute Verteilungskonflikt (Arbeitsplätze,<br />
Pensionen)<br />
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Welche makrosoziologischen Trends haben<br />
<strong>die</strong> Anforderungen an Jugend verändert? (2)<br />
• „Strukturwandel der Arbeit“: Dienstleistungen, IT; McJob;<br />
Flexibilisierung <strong>und</strong> lebenslanges Lernen; Innovativität<br />
• „Wandel der Berufsmotivation“: von Existenzsicherung zu<br />
Arbeitszufriedenheit <strong>und</strong> Lebensqualität<br />
• „ Wandel der Familienstrukturen“: von Kern- zu<br />
Patchworkfamilien<br />
• „Geschlechterkonflikt“: Angleichung der Lebensinteressen<br />
verändert komplementäre in symmetrische Beziehungen<br />
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Fünf Konsequenzen <strong>für</strong> <strong>die</strong> Jugendphase in<br />
spätmodernen Gesellschaften? (1)<br />
Vgl. u.a. Deutsche Shell (2000); Nörber (2003), Österr. Jugendstu<strong>die</strong> (2004)<br />
1. Verhältnis zur Zukunft<br />
– Die älteren Generationen bieten keine Vorbilder <strong>und</strong><br />
Lebensentwürfe mehr<br />
– Politik bietet keine Lösungen <strong>für</strong> <strong>die</strong> offenen Fragen der<br />
Zukunftssicherung<br />
2. Neue Elternrolle<br />
– Sie sind keine „Instanz“ mehr, aber Vertrauenspersonen<br />
– Ablösung vom Elternhaus im Einvernehmen, nicht im Konflikt<br />
3. Kulturelle Freisetzung der Jugendphase<br />
– keine normative Jugendkultur, keine Orientierung, viele<br />
verschiedene „Jugenden“<br />
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Fünf Konsequenzen ... (Forts.)<br />
4. Soziale <strong>und</strong> zeitliche Entstrukturierung der Jugendphase<br />
– es gibt keine eigene „Jugendwelt“ mehr mit klaren Grenzen<br />
– Verlängerung der Adoleszenz durch Bildung, Abhängigkeit<br />
– auch Erwachsene können immer wieder „Jungendphasen“<br />
durchleben (Neuorientierung bei Identitätskrisen, Jobwechsel,<br />
Scheidung)<br />
5. Selbstbezogenheit, „unprogrammatische Individualität“<br />
– Man muss Vertrauen in sich selbst haben<br />
– Man muss Selbstkompetenz, soziale Kompetenz haben<br />
– Selbstabgrenzung gegenüber Manipulationen, Drogen, Sekten,<br />
F<strong>und</strong>amentalismen<br />
– Lernfähigkeit, Selbstveränderung<br />
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Das Problem der Selbstreferenz ist<br />
<strong>Harry</strong>s zentrale Herausforderung<br />
• Band 2:<br />
– Graf Voldemort attackiert <strong>Harry</strong> durch <strong>die</strong> Kraft eines<br />
alten Tagebuches – Worte, einmal aufgenommen, sind<br />
fremd <strong>und</strong> eigen zugleich; sie können manipulieren<br />
(F<strong>und</strong>amentalismus)<br />
• Band 3:<br />
– Dementoren (De-Mentoren!) attackieren <strong>Harry</strong>, der sich<br />
schützen kann, indem er seine Kraft außerhalb seiner<br />
selbst (am anderen Ufer eines Sees) entdeckt<br />
• Band 4:<br />
– Im trimagischen Turnier lautet <strong>die</strong> zweite Aufgabe:<br />
Finde heraus, worin <strong>die</strong> Aufgabe besteht!<br />
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Die Abschließung der Person –<br />
<strong>Harry</strong>s Hauptproblem in Band 5<br />
Person A Person B<br />
Verbindung<br />
Fall 2 Fall 1<br />
Fall 1: B „holt“ Gedanken <strong>und</strong> Gefühle von A<br />
oder B beobachtet Gedanken von A<br />
Fall 2: B überträgt Gedanken <strong>und</strong> Gefühle zu A<br />
oder B macht Gedanken in A<br />
2<br />
1<br />
Legende:<br />
Verbindung ist ein<br />
Zauberphänomen<br />
oder: Kommunikation<br />
Eine Verbindung<br />
herstellen =<br />
„Legilimentik“<br />
Eine ungewollte Verbindung<br />
abwehren =<br />
„Okklumentik“<br />
Abschließung der Person heißt: sich keine fremden Gedanken einpflanzen<br />
lassen <strong>und</strong> <strong>die</strong> eigenen Gedanken <strong>und</strong> Gefühle nicht nehmen lassen.<br />
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Legilimentik<br />
• Sobald <strong>Harry</strong> gelernt hat, sich abzuschließen, muss<br />
er wieder neu lernen, eine Verbindung herzustellen.<br />
• Dazu werden zwei Techniken eingeführt.<br />
– Die Zauber-Technik Legilimentik (sehr gut beherrscht<br />
vom bösen Grafen Voldemort) ist <strong>die</strong> Kunst, bei anderen<br />
unbemerkt in <strong>die</strong> Gedanken- <strong>und</strong> Gefühlswelt<br />
einzudringen (man darf an Psychotherapie denken)<br />
– Die Liebe (sehr mangelhaft beherrscht von <strong>Harry</strong>)<br />
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Techniken zur Herstellung von Verbindungen<br />
= persönliche Kommunikation<br />
2 Formen, Gedanken zu lesen bzw. beim anderen zu erzeugen<br />
Fall 1<br />
Gedanken<br />
lesen<br />
Fall 2<br />
Gedanken<br />
einpflanzen<br />
Magie Liebe<br />
Inquisition, Folter<br />
Spionage<br />
Erziehung<br />
Manipulation<br />
Verständnis, sich in<br />
den anderen versetzen<br />
sich öffnen, seine<br />
Innenwelt zeigen<br />
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Was hat <strong>Harry</strong> <strong>Potter</strong> mit <strong>Aids</strong> zu tun?<br />
Wie wird <strong>Harry</strong> mit AIDS umgehen?<br />
• Die Notwendigkeit einer selbstreferenziellen, unangeleiteten, vorbildlosen<br />
Persönlichkeitskonstruktion ist auf Liebeserfahrungen angewiesen.<br />
• Die Vermittlung sogenannter personal <strong>und</strong> social skills (Zaubertechniken,<br />
wie wir sie in Schulen <strong>und</strong> <strong>Aids</strong>-<strong>Prävention</strong>skursen lehren) birgt wie jede<br />
Erziehung <strong>die</strong> Gefahr der Manipulation in sich <strong>und</strong> verhindert dann<br />
Liebeserfahrungen: <strong>die</strong> Jugendlichen werden <strong>für</strong> einander Erzieher.<br />
• Jugendliche können nur eigene Wege aus der Malaise finden – <strong>Aids</strong>-<br />
<strong>Prävention</strong> kann bestenfalls – <strong>und</strong> soll - Reflexionsräume zur Verfügung<br />
stellen, wie das in einigen vorbildhaften Projekten auch geschieht.<br />
• Sofern er Rat brauchen wird, wird <strong>Harry</strong> ihn wahrscheinlich bei Hermine<br />
holen. Der wird er auch erzählen, wie es gelaufen ist, <strong>und</strong> sie wird ihm<br />
auseinandersetzen, was er alles falsch gemacht hat.*<br />
* Aber das wird auf eine gute Art geschehen, weil sie sich heimlich, ohne es noch selbst zu ahnen, lieben.<br />
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<strong>Harry</strong> <strong>und</strong><br />
Hermine<br />
im dritten<br />
Schuljahr in<br />
Hogwarts<br />
(7. Schul-<br />
stufe)<br />
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