Aichholzer N., Friedhuber, J.(2003) - Ludwig Boltzmann Institut für ...

Ludwig Boltzmann Institut für Medizin- und Gesundheitssoziologie
Geschlechtsunterschiede im
Rauchverhalten bei
Adoleszenten
Sekundäranalysen zum EC-Projekt
„Gender differences in smoking in young people“ für
14- bis16-jährige Mädchen in Österreich
Endbericht
November 2003

Geschlechtsunterschiede im
Rauchverhalten bei
Adoleszenten
Sekundäranalysen zum EC-Projekt
„Gender differences in smoking in young people“ für
14- bis16-jährige Mädchen in Österreich
endbericht
Mit Finanzierung des Fondes Gesundes Österreich und
der Österreichischen Krebshilfe
November 2003

3
s t a b
des Ludwig Boltzmann Instituts
für Medizin- und Gesundheitssoziologie (LBIMGS)
Projektleitung
Mag. Dr. Wolfgang Dür
Koordination und wissenschaftliche Mitarbeit
Nina Aichholzer
Mag. Christina Dietscher
Julia Friedhuber
Finanzmanagement
Ernst Steininger
Mag. Peter Nowak
Sekretariat
Gabriele Bocek
Ernst Steininger
Zitation
Dür, W.; Aichholzer N., Friedhuber, J.:
Geschlechtsunterschiede im Rauchverhalten bei Adoleszenten. Sekundäranalysen zum EC-Projekt
Gender differences in smoking in young people für 14- bis 16-jährige Mädchen. Forschungsbericht
des Ludwig Boltzmann Institutes für Medizin- und Gesundheitssoziologie

Inhaltsverzeichnis
0. Zusammenfassung der wichtigsten Argumente und die Konsequenzen
für Tabakprävention 2
1. Einleitung, Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse und
Konsequenzen 4
2. RAUCHEN BEI JUGENDLICHEN UND DAS THEOREM DES
GRUPPENDRUCKS 13
3. PROBLEME DER ADOLESZENZ 19
4. RAUCHEN ALS KARRIERE 24
4.1 Stufe eins: Wirkungen Beobachten 29
4.2 Stufe zwei: Erstes Probieren 33
4.3 Stufe drei: Wiederholtes Probieren in subkulturellen Kontexten 42
4.4 Stufe vier: Problemrauchen 47
4.5 Stufe fünf: Genussrauchen und Rauchen als Lebensstil 60
4.6 Stufe sechs: Gewahrwerden der Sucht 66
5. GESCHLECHTSUNTERSCHIEDE 71
6. METHODISCHE VORGANGSWEISEN 74
6.1 Daten und Kodierung 74
6.1.1 Rekrutierung 74
6.1.2 Durchführung der Fokusgruppen 75
6.1.3 Sample 75
6.1.4 Weiteres Verfahren mit den Interviews 75
6.1.5 Kodierung und Analyse 75
6.2 Interpretationsverfahren 76
6.2.1 Datenbeschäftigung und weitere Themenkodierung 76
6.2.2 Dimensionalisierung des Textes 76
6.2.3 Ankerbeispiele bestimmen 77
6.2.4 Interpretation und Thesenbildung 77
7. LITERATUR 78
0.
1

0. ZUSAMMENFASSUNG DER WICHTIGSTEN ARGUMENTE
UND DIE KONSEQUENZEN FÜR TABAKPRÄVENTION
Die zentrale Frage der Tabakprävention muss lauten: warum beginnen Jugendliche mit dem
Rauchen?
Wir konnten in der vorliegender Studie keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der geläufigen
Thesen finden, dass (a) der Gruppendruck innerhalb der Peergroups oder (b) der Wunsch
abzunehmen, um dem zeitgenössischen Schlankheitsideal zu entsprechen, einen
wesentlichen Einfluss auf die Aufnahme des Zigarettenkonsums haben. Beides erscheint
eher als eine legitimatorische Begründungsfigur, mit der Jugendliche ihr
Rauchverhalten für sich und andere entschuldigen.
Im Hintergrund spielt sicher die mediale Inszenierung der Zigarette durch Product Placement
in Film und Fernsehen eine wesentliche Rolle, da dies schon den Kleinsten die Möglichkeit
eröffnet, die Wirkungen der Zigarette zu beobachten. Jugendliche beobachten nicht die
Person des Rauchers, sondern die Wirkungen, die die Zigarette bei ihm auslöst. Den
Wirkungen der Zigarette gilt ihr Interesse, nicht den Raucher/innen, zu denen zu
gehören auch nicht primäres Ziel ist.
Die Beobachtbarkeit der Wirkungen des Rauchens ist darüber hinaus überall dort gegeben,
wo die Jugendlichen ältere Raucher/innen sehen können. Das gilt vor allem für die Schule,
aber auch an allen sozialen Orten, an denen geraucht werden kann (Restaurants,
Gasthäuser, Discos). Ein Verbot des Rauchens an diesen Orten und in diesen
Situationen ist daher nicht nur im Sinne des Nichtraucherschutzes notwendig,
sondern auch aus Sicht der Raucherprävention.
Da alle Raucher/innen zunächst als Problemraucher/innen anfangen und da die Probleme
vorwiegend aus dem Schulkontext stammen, wird man langfristig Veränderungen in den
Schulen fordern müssen, die dazu angetan sind, die Frustration von Schüler/innen zu
reduzieren und ihre Zufriedenheit mit sich und ihrer Schulperformance zu steigern.
Kurzfristige Erfolge sind jedoch eher von Maßnahmen zu erhoffen, die den
Jugendlichen den Umgang mit Frustrationen und Schulproblemen erleichtern helfen.
Ein anderer sehr wesentlicher Problembereich ist das Geschlechterverhältnis und die
Schwierigkeiten, Beziehungen, auch sexuelle, zum anderen Geschlecht aufzubauen. Auch
in Hinsicht auf das Geschlechterverhältnis benötigen die Jugendlichen offenbar mehr
Hilfe, als sie haben.
2

Allgemein gilt, dass das Rauchen von Zigaretten in bestimmten sozialen Situationen die
Erfahrung vermitteln kann, dass Jugendliche sich ein bisschen erwachsen fühlen können
und von anderen als ein bisschen erwachsen angenommen werden. Weniger als ein
Mangel an Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein ist das Rauchen sicherlich eine
Folge des Mangels an Signalen der Erwachsenen, die zeigen würden, dass sie die
Jugendlichen als vollwertige, vertrauenswürdige, respektable Personen zu nehmen
bereit sind.
Wenn das Rauchen bereits zu einem Lebensstil geronnen ist, sind Interventionen, die den
Einstieg ins Rauchen verhindern wollen, zu spät. Interventionen, die appellativ Einsicht in die
Gefahren und ein Umdenken erreichen wollen, stoßen auf taube Ohren. Angebote zum
Ausstieg verhallen ungehört. Verbote werden als Zumutung empfunden.
Viele Jugendliche sind schon nach kurzer Raucherkarriere bereit, mit dem Rauchen
wieder aufzuhören, benötigen dazu aber Hilfe.
3

1. EINLEITUNG, ZUSAMMENFASSUNG DER WICHTIGSTEN
ERGEBNISSE UND KONSEQUENZEN
Warum rauchen Raucher und Raucherinnen? Auf diese Frage gibt es heute nach 40 Jahren
sozialmedizinischer, psychologischer, soziologischer, anthropologischer, historischer und
anderer Forschung viele Antworten. Die gültigste von allen, die in präventiver Hinsicht
allerdings wenig weiter hilft, ist sicher diese: weil sie süchtig sind. Das Nachlassen der
psychoaktiven Wirkung des Nikotins erzeugt einen als unangenehm empfundenen
Mangelzustand und das Bedürfnis, diesen durch Zufuhr von Nikotin zu beheben. Die
Behebung des Mangelzustands wird als angenehm erlebt. Dieses Erleben wird von
Rauchern und Raucherinnen natürlich auf weit poetischere Weise interpretiert, um nicht zu
sagen verklärt: als Entspannung, Hochgenuss, kreative Schübe auslösend, Wohlbefinden
stimulierend, beruhigend, erhebend, stimmungsaufhellend, fokussierend, die Konzentration
fördernd oder so ähnlich.
Das erklärt zumindest, warum Raucher ihr einmal begonnenes Tun fortsetzen, obwohl sie
praktisch alle an den unangenehmen physischen „Nebenwirkungen“ – eigentlich
Hauptwirkungen - leiden, um die Schädlichkeit des Rauchens bescheid wissen und darum,
dass die Mehrheit der Nichtraucher/innen mit Zigarettenrauch – ausgeatmet oder als
Nebenstromrauch – ein Problem hat.
Die zentrale Frage der Präventionsforschung ist daher: warum haben Raucher und
Raucherinnen zu rauchen begonnen? Welche Motive, Erfahrungen, Erwartungen und
sozialen Rahmenbedingungen stehen am Anfang einer Raucherkarriere? Aus mehreren
Untersuchungen ist bekannt, dass etwa 80% der Raucher/innen im Jugendalter beginnen,
mit einer Tendenz zu einem immer jüngeren Einstiegsalter (Reid, McNeill et al. 1995), das
derzeit im Durchschnitt bei etwa 14 Jahren liegt (Dür et al. 2002). Es ist auch bekannt, dass
die Abhängigkeit im Erwachsenenalter desto gravierender ist, je früher der Einstieg
stattgefunden hat (Breslau, Peterson 1996; Taioli, Wynder 1991; Thomas, Walker et al.
1998). Die entscheidende präventionsleitende Frage ist daher genauer die, warum
Jugendliche mit dem Rauchen beginnen.
In der wissenschaftlichen Literatur wurden verschiedene Erklärungsmodelle für das Rauchen
von Jugendlichen entwickelt, die alle mittlerweile auch mehr oder weniger dominant im
Denken von Eltern, Lehrer/innen, Ärzt/inn/en und Expert/inn/en der Gesundheitsförderung
und der Suchtvorbeugung präsent sind. Diese „mentalen Modelle“, um einen Begriff von
Peter Senge zu verwenden, bestimmen letztlich, wie das Problem des jugendlichen
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Rauchens definiert, geschärft und zugespitzt wird und wie man glaubt, ihm durch
Maßnahmen begegnen zu können. Diese Erklärungsansätze lassen sich auf sechs
paradigmatische Positionen zusammenfassen.
(1) Mangelnde Selbstsicherheit: im Zusammenhang mit der pubertären Identitätsentwicklung
wird der Mangel an Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit als Kausalfaktor oder zumindest
als wesentliche psychische Rahmenbedingung gesehen. Es wird unterstellt, dass das
Rauchen ein Gefühl von Erwachsenheit und Sicherheit vermitteln kann, das den
Jugendlichen fehlt. Präventive Interventionen zielen demnach auf die Stärkung des
Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls der Adoleszenten, was etwa in den Kampagnen
„Kinder stark machen, stark statt süchtig“ oder „Ich brauch´s nicht, ich rauch nicht“ versucht
wurde.
(2) Mediale Verführung, Werbung: eine zweite Erklärung geht von der Vorstellung aus, dass
Jugendliche den vielfältigen Verführungen der Werbung psychologisch nicht gewachsen sind
und den präsentierten Bildern erliegen, die einen Zusammenhang zwischen dem Rauchen
und dem guten, angenehmen Leben herstellen. Die Inszenierung des Rauchens als cool,
gutaussehend, begehrlich, weltmännisch, erfolgreich, entspannt u.s.w. macht die Zigarette
zu einem Instrument der Selbstinszenierung. Interventionen versuchen, Werbung durch
Verbote hintan zu halten oder ihre Wirkung durch Reflexion oder Gegenwerbung zu
brechen.
Eine Umsetzung dieser Logik kann man, beispielsweise, in Kampagnen wie „Be smart, don´t
start“ sehen, auch wenn diese noch zusätzlich auf dem Gruppendruck-Paradigma aufgebaut
ist. Auch Versuche, in Schulen den „coolsten Nichtraucher“ zu küren, operieren in dieser
Logik, indem sie dem positiven Bild des Rauchers ein positives Bild des Nichtrauchers
entgegensetzen wollen. Und natürlich ist die EU-Initiative, auf Zigarettenpackungen die
tödlichen Wirkungen der Zigarette in großen Buchstaben aufzudrucken, diesem Paradigma
geschuldet.
(3) Vorbildwirkung Erwachsene: ähnlich wie im Argument der Werbung wird auch hier
unterstellt, dass Jugendliche ein Verhaltensmodell kopieren, das ihnen aus bestimmten
Gründen zusagt. In einer Gesellschaft, in der 30% der Erwachsenen rauchen, ist es nicht
verwunderlich, dass auch 30% der Jugendlichen rauchen, da sie ja angehalten sind,
erwachsen zu werden. Es ist ebenso wenig erstaunlich wie die Tatsache, dass 90% der
Jugendlichen einen Führerschein machen, bei bestimmten Gelegenheiten Alkohol trinken,
Fußballspiele besuchen, eine Familie gründen wollen und eben insgesamt mehr oder
weniger genau Aspekte eines Erwachsenenlebens kopieren.
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Interventionen müssen versuchen, die rauchenden Erwachsenen von den Jugendlichen zu
isolieren oder umgekehrt, um zu verhindern, dass das Rauchverhalten der Erwachsenen von
den Jugendlichen als quasi normaler Bestandteil des Alltags beobachtet und interpretiert
werden kann.
(4) Gruppendruck: die am häufigsten gebrauchte Denkfigur ist wahrscheinlich das Theorem
des Gruppendrucks. Rauchen wird als Teil einer Gruppenkultur interpretiert und dient
gemeinsam mit anderen Merkmalen wie gleiche Kleidung, Geheim/Privatsprache, spezielle
Handzeichen oder Pfiffe etc. dazu, die Identität der Gruppe und ihre Unterschiedenheit von
anderen herzustellen. Wer daher dazugehören will, muss diese Identifikationsmerkmale
mitmachen und also, wenn gefordert, auch rauchen. Hinzutreten kann ein Moment der
Rebellion, das Rauchen absichtlich gegen die elterlichen Verbote zum Sinnbild der
Unabhängigkeit stilisiert. Das Rauchen in der Gruppe kann aber auch nur legitimatorische
Funktion haben, indem die rauchenden Mitglieder einer Gruppe versuchen, durch den
„Rauchzwang“ Mittäterschaft herzustellen und damit eine Art Abschwächung des eigenen
abweichenden Verhaltens zu erreichen. In der Gruppe ist es ja kein abweichendes Verhalten
mehr.
Gegen Gruppendruck werden vor allem solche Interventionen gesetzt, die das einzelne
Gruppenmitglied dazu befähigen sollen, dem Druck der Gruppe standzuhalten, bzw., „nein“
zu sagen („Feel free to say no“). Es geht hier um mehr und teilweise anderes als nur darum
selbstbewusst zu sein, nämlich darum, sich in einer Gruppe gegen implizite Normen
durchsetzen zu können und damit sozial gesehen auch einigermaßen mächtig zu sein.
Dieses Konzept ist soziologisch betrachtet sehr voraussetzungsreich und überschätzt in
beträchtlichem Maße die Strukturiertheit von gewöhnlichen Peergroups in unserer heutigen
Zeit, die sich im Regelfall als eher unverbindliche, fast regellose und insgesamt eher liberal
gestimmte Personengruppen darstellen. Da dieses Erklärungsmodell unserer Beobachtung
nach sehr populär ist, wird es in Kapitel 2 ausführlich behandelt.
(5) Problembewältigung: da Nikotin eine psychoaktive Substanz ist, die gleichzeitig
beruhigend, entspannend und stimmungsaufhellend, anregend wirkt, wird sie - nicht nur von
Jugendlichen – bei Problemen und in schwierigen, stressigen Situationen zur
Problembewältigung eingesetzt. Diese Erklärung ist nicht jugendspezifisch, es versteht sich
aber von selbst, dass das Jugendalter mit seinen mannigfachen Herausforderungen und
Schwierigkeiten für ausreichend viele Stresssituationen sorgt, die zur Aufnahme des
Nikotinkonsums animieren.
Interventionen und Maßnahmen, die diesem Kausalfaktor entgegenwirken wollen, müssen
versuchen, entweder die Probleme im Lebensbereich von Jugendlichen zu reduzieren oder
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deren Problemlösekompetenz zu erhöhen. In der Gesundheitsförderung wird in allgemeiner
Weise das Konzept des Empowerments dafür vorgeschlagen.
(6) Schönheitsideal Schlankheit: ein vergleichsweise junges Erklärungsmodell befasst sich
mit dem Rauchen von jungen Mädchen und gibt deren Wunsch, dem gängigen knabenhaften
Schönheitsideal entsprechen zu wollen, als hauptsächlichen Kausalgrund an. Die Zigarette
betäubt Hungergefühle und kann damit den Mädchen helfen weniger zu essen, um das
Gewicht zu halten oder abzunehmen. Mögliche Maßnahmen versuchen mit verschiedenen
Ansätzen, die Mädchen mit ihrem fraulich werdenden Körper zu versöhnen und ihre
Abhängigkeit von künstlichen und unerreichbaren Schönheitsidealen aufzubrechen.
Welche Rolle spielen diese Erklärungsansätze in der GAT-Studie?
Wir konnten in der vorliegender Studie keine Anhaltspunkte für die Richtigkeit der Modelle
(4) „Gruppendruck“ und (6) „Schlankheit“ finden. Das Theorem des Gruppendrucks erscheint
uns nach eingehender Befassung mit den einschlägigen Passagen in unseren
Fokusgruppen-Transkripten als eine Strategie der nachträglichen Legitimierung oder auch
der Entschuldigung des Rauchens durch die Jugendlichen selber. Sie begründen und
entschuldigen ihr Verhalten mit dem Verweis auf Gruppenzwänge, denen sie erlegen seien
und für die sie nichts könnten, weil das Rauchen bei ihnen ein schlechtes Gewissen auslöst
und weil sie wissen, dass es eigentlich und im Grunde sozial unerwünscht ist. Besonders
deutlich wird dies darin, dass sie überwiegend mit einem schlechten Gewissen ihren Eltern,
teilweise auch Lehrer/innen gegenüber rauchen und von diesen nicht erwischt werden
wollen. Insofern als dies eine Veränderung in den Motiven und Einstellungen zum Rauchen
im Vergleich zu früheren Jugendgenerationen bedeutet, kann also von einem Erfolg der
bisherigen Präventionspolitik gesprochen werden.
Der Zusammenhang von Rauchen und Schlankheit bzw. Diät ist in unseren Fokusgruppen
aus eigenem Reden der Mädchen nicht hervorgegangen. Auf Nachfragen ist dieser
Zusammenhang ebenfalls nicht bestätigt worden. Im Gegenteil wurde sogar die Zigarette
nach dem Essen als eine besonders schmackhafte und genießbare dargestellt.
Das Modell (2) „Mediale Verführung“ ist sicherlich von großer Bedeutung, allerdings weniger
durch die direkte Werbung als durch geschicktes Product Placement in TV-Filmen. Expressis
verbis wurde von Mädchen die TV-Serie „Sex in the City“ genannt und darauf hingewiesen,
dass die Zigarette und das Rauchen darin eine nicht unwesentliche Rolle spielen. Aber auch
in allgemeiner Form wurden Filme und Fernsehen als Medien beschrieben, in denen man
erfahren könne, welche Wirkung das Rauchen auf die rauchenden Erwachsenen habe,
wodurch erst das Interesse am Rauchen geweckt werde. Die mediale Verführung ist daher
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ein ernst zu nehmender Faktor, dem mit geeigneten Maßnahmen entgegengewirkt werden
muss. Insbesondere ist dabei die allgemeine Medienerziehung gefordert, die Distanz zu
gezeigten Medienbildern erzeugen kann. Zugleich ist aber der Vorgang einer
Raucherkarriere zu komplex, als dass er durch die Verbannung oder reflexive Brechung der
Werbung allein gestoppt werden könnte.
Das Modell (1) „Mangelnde Selbstsicherheit“ ist als Thema in Fokusgruppen nur sehr schwer
behandelbar. Es würde entweder ein anderes, eher psychotherapeutisches oder
gruppendynamisches Setting voraussetzen oder aber ein sehr hohes Reflexionswissen der
Teilnehmer/innen über ihre tiefer liegenden Beweggründe. Es war daher nicht zu erwarten,
dass die interviewten Jugendlichen von sich aus sagen würden: ja, wir rauchen, weil wir ein
schwaches Ich und ein noch nicht voll zur Entfaltung gebrachtes Selbstbewusstsein haben.
Schon eher konnte man annehmen, dass sie Meinungen darüber haben werden, inwieweit
andere aus Mangel an Selbstsicherheit rauchen. Diesbezüglich hat sich aber eher so etwas
wie eine Raucher-Solidarität gezeigt, nämlich die Haltung, über andere Raucher/innen nichts
wirklich Abwertendes zu sagen.
Wohl aber waren etliche Jugendliche in unseren Fokusgruppen bereit, für sich selbst und
andere gelten zu lassen, dass sie auch deshalb rauchen, weil sie dadurch ein Stückchen
Erwachsenheit erfahren. Wie immer man das psychodiagnostisch deuten mag, als Mangel
oder nicht, es zeigt jedenfalls, dass das Rauchen von Zigaretten, da es in bestimmten, sehr
genau strukturierten sozialen Situationen erfolgt, Erfahrungen vermitteln kann, die die
Jugendlichen ansonsten entbehren müssen, nämlich sich ein bisschen erwachsen fühlen zu
können und von anderen Signale zu empfangen, dass sie von diesen als ein bisschen
erwachsen angenommen werden. Weniger als ein Mangel an Selbstsicherheit und
Selbstbewusstsein ist das Rauchen daher sicherlich eine Folge des Mangels an Signalen der
Erwachsenen, die zeigen würden, dass sie die Jugendlichen als vollwertige,
vertrauenswürdige, respektable Personen zu nehmen bereit sind.
Das Modell, das unseren Ergebnissen zufolge indessen den wesentlichsten
Erklärungsbeitrag liefern kann, ist das Modell (5) „Problembewältigung“. Es ist in allen
Raucherkarrieren das zentrale Erfahrungsmoment, an dem sich zwar nicht das primäre
Interesse an der Zigarette, aber die Fähigkeit, ihre psychoaktiven Wirkungen zu empfinden,
entwickelt.
Das von uns in Anlehnung an Howard Becker (1966) entwickelte Karrieremodell sieht sechs
Stufen vor, über die der Jugendliche sich vom absolut unbeleckten Anfänger zum geübten
Raucher entwickelt, was durchaus als Lernprozess zu verstehen ist. Es wird damit eine
Differenzierung des sozialen Prozesses des Rauchereinstiegs präsentiert und somit die
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Frage, warum Jugendliche mit dem Rauchen beginnen, in sechs Detailfragen aufgelöst. Für
jede Stufe des Karrieremodells kann dann – und soll auch – gefragt werden, welche
spezifischen Maßnahmen diesen konkreten Detailschritt zum „Meisterraucher“ verhindern
können.
Stufe 1: Wirkungen beobachten
Die Jugendlichen sehen an rauchenden Erwachsenen – im heute sogenannten „real life“
ebenso wie in Werbung, Film und Fernsehen – wie die Zigarette auf Raucher und
Raucherinnen wirkt. Sie sehen es an der Mimik des Rauchers und seinen
Verhaltensänderungen, die dem Konsum einer Zigarette folgen. Diese Wirkungen sind nicht
unbedingt jene, die die Raucher selber beschreiben und tatsächlich erleben, sondern auch
Stilisierungen der Medien. Es wichtig zu sehen, dass die Jugendlichen an dieser Wirkung
interessiert sind und nicht an der Person des Rauchers. Die Erwachsenen werden daher
nicht durch ihre Persönlichkeit zum Vorbild, weil die Jugendlichen etwa so sein wollen wie
dieser oder jener. Umgekehrt heißt das: jeder und jede, ob aus Sicht von Jugendlichen cool
oder uncool, sympathisch oder unsympathisch kann zum Vorbild für Zigarettenkonsum
werden.
Als Präventionsmaßnahme folgt daraus: die Beobachtbarkeit des Rauchens durch
Erwachsene oder ältere Jugendliche zu reduzieren, wenn nicht zu verhindern. Das spricht
grundsätzlich für die Einschränkung der sozialen Orte und Situationen, in denen geraucht
werden kann, bzw., für die Ausdehnung und Vermehrung jener Orte und Situationen, in
denen nicht geraucht werden kann. Neben dem Argument des Nichtraucherschutzes kommt
für solche Maßnahmen also auch noch das Argument der Beobachtbarkeit des Rauchens
zum Tragen.
Das deckt sich auch mit der Vorstellung, dass nicht der Raucher bekämpft werden soll,
sondern das Rauchen. In anderen Worten: primäres Ziel der Tabakpolitik sollte nicht sein,
zumeist bereits süchtige Raucher von der Zigarette loszubringen, womöglich gegen ihren
Willen, sondern die sozialen Orte und Situationen, an und in denen sie rauchen können, zu
reduzieren und der Sichtbarkeit zu entziehen.
Stufe 2: Erstes Probieren
Für das erste Probieren schaffen die Jugendlichen eine besondere Situation: mit dem besten
Freund, der besten Freundin, einem Bruder oder einer Schwester wird heimlich an einem
versteckten Ort, wo sie nicht entdeckt werden können, die erste Zigarette angezündet.
Schon aufgrund der Hochgestimmtheit in dieser besonderen Situation empfinden sie
keinerlei psychoaktive Wirkung, sondern im Gegenteil Ekel, Schmerzen und unangenehme
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körperliche Nebenwirkungen, mit denen sie nicht gerechnet hatten. Interventionen, die
darauf abzielen, sogar das Probieren zu unterbinden, werden von vielen Expert/innen für
wenig zielführend, vielleicht sogar kontraproduktiv gehalten. Es wird gesagt, dass der
Jugendliche wissen soll, wovon er Abstand nimmt, um nicht das Gefühl zu haben, er lehne
als Blinder Farbe ab.
Stufe 3: Wiederholtes Probieren
Für viele war die erste dann auch die letzte Zigarette, denn probieren tun es ja fast alle
einmal. Andere jedoch wollen herausfinden, warum es nicht geklappt hat. Sie suchen dazu
die Nähe von Rauchern und Raucherinnen und verstärken ihre Eindrücke, die sie vom
Rauchen haben, ganz im Sinne eines Lernprozesses. Da sie zunächst Zigaretten schnorren,
veröffentlichen sie damit auch ein Stück weit ihr Interesse an Zigaretten. Auch wenn sie noch
immer nicht wirklich die günstigen Effekte des Nikotins erleben können, wird ihnen dadurch
schon teilweise das Raucher-Etikett von anderen umgehängt, was den weiteren Einstieg
erleichtert. Es ist daher eine Intervention möglich und sinnvoll, die darauf abzielt, die
Gelegenheiten zu reduzieren, in denen die Jugendlichen mit Raucher/innen auf Tuchfühlung
gehen können. Wie aus der CAS-Studie (Currie et al. 2001) bekannt, ist der Ort, an dem die
Jugendlichen mit 13, 14 Jahren hauptsächlich Kontakt zu Raucherinnen knüpfen können, die
Schule. Die rauchfreie Schule erhält also hier ein erstes gewichtiges Argument.
Aber das selbe auch für andere Orte: Bahnhöfe, Restaurants, Discos. Neben dem Argument
des Nichtraucherschutzes sollte auch wegen der Beobachtbarkeit von Raucher/innen in
Alltagssituationen der Zigarettenkonsum an diesen Orten eingeschränkt werden.
Aus diesem Argument – Beobachtbarkeit von Raucher/innen – folgt aber auch, dass die
Darstellung von Raucher/innen in Filmen und Fernsehen ein Problem darstellt.
Stufe 4: Problemrauchen
Solange die Jugendlichen aus Spaß und mit einer gewissen Hochgestimmtheit zu rauchen
probieren, ist die Wirkung für sie nicht erkennbar. Das Nikotin vermag gute Laune nicht noch
zu steigern. Erst im Kontext von depressiven Stimmungen, Niedergeschlagenheit und
negativen Gefühlen entfaltet das Nikotin seine beruhigende, aufhellende, stimulierende
Wirkung. Es sind daher Probleme, durch welche die Jugendlichen im engeren Sinn des
Wortes „auf den Geschmack“ kommen. Jeder Raucher ist am Beginn ein Problemraucher.
Die wesentlichsten Probleme, die von den Jugendlichen genannt werden, sind auch hier
wieder mit der Schule gegeben. Sie verlassen die Schule mit negativen Stimmungen und
benutzen Zigaretten zur Erholung und Aufheiterung.
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Man wird von daher Veränderungen in den Schulen fordern müssen, die dazu angetan sind,
die Frustration von Schüler/innen zu reduzieren und ihre Zufriedenheit mit sich und ihrer
Schulperformance zu steigern. Natürlich haben aber solche Maßnahmen nur mittel- bis
langfristige Wirkungen, da Schulentwicklung ein hochkomplexer und langwieriger Prozess
ist. Kurzfristige Erfolge sind eher von Maßnahmen zu erhoffen, die den Jugendlichen den
Umgang mit Frustrationen und Schulproblemen erleichtern helfen. Entsprechende Konzepte
liegen in unterschiedlichster Form vor und müssten konsequent eingesetzt werden. Neben
dem Angebot und der Vermittlung von Entspannungstechniken gelten vor allem Systeme der
sozialen und fachlichen Unterstützung als günstig, wie sie etwa durch Buddies realisiert
werden, aber auch durch Hilfe von Lehrer/innen in Ganztagsschulen.
Ein anderer sehr wesentlicher Problemkreis ist für Jugendliche mit den Beziehungen zum
anderen Geschlecht gegeben. Nach den Problemen mit der Schule ist dies der am
zweithäufigsten genannte Bereich, in dem sie unangenehme, deprimierende, die Stimmung
herabsetzende oder sogar auch demütigende Erfahrungen machen. Angesichts der
allgemeinen Geschlechterproblematik in der heutigen Gesellschaft ist das alles andere als
erstaunlich. Dennoch müssen auch Maßnahmen entwickelt werden, die den Jugendlichen
helfen, das Geschlechterverhältnis zu entspannen und mit Frustrationen besser umzugehen.
Stufe 5: Genussrauchen
Erst mit einiger Übung lernen die Jugendlichen, die Effekte des Nikotins von
Problemsituationen abzukoppeln und sie auch in entspannter, hochgestimmter Gemütslage
zu empfinden. Sie verbinden dann diese Wirkungen mit bestimmten Situationen und
Verhaltensweisen, die sich zu Lebensstilen verdichten. Die beliebtesten, am besten
schmeckenden Zigaretten rauchen die Jugendlichen dann nach dem Essen, nach dem Sex
und vor dem Schlafengehen. Auffällig ist, dass die Jugendlichen in diesen Situationen
entweder allein sind, in trauter Zweisamkeit oder allenfalls in einer kleinen Gruppe. Das
Rauchen in größeren Gruppen, ob privat auf Partys oder in Discos oder in anderen
Etablissements, zählt überraschenderweise nicht zu den „Genusssituationen“. Der Grund ist
der, dass auch begeisterte Raucher/innen die völlig verpestete Luft nicht mehr goutieren
können. Der Genuss besteht zu einem gewissen Teil in dem Ritual, das man täglich oder
mehrmals täglich aufsuchen kann und mit dem man neben der Ruhe und Sicherheit, die
davon ausgeht, auch eine gewisse Erwachsenheit verbinden kann. Die jugendlichen
Raucher/innen sind jetzt mit sich und ihrem Lebensstil sehr zufrieden.
Zu diesem Zeitpunkt sind Interventionen, die den Einstieg ins Rauchen verhindern wollen,
bereits zu spät. Interventionen, die appellativ Einsicht in die Gefahren und ein Umdenken
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erreichen wollen, stoßen auf taube Ohren. Angebote zum Ausstieg verhallen ungehört.
Verbote werden als Zumutung empfunden.
Stufe 6: Gewahrwerden der Sucht
Nicht alle, aber viele Jugendliche nehmen schon nach kurzer Zeit wahr, dass sie es ohne
Zigaretten nicht oder nur schwer aushalten. Sie leiden an Entzugserscheinungen.
Hauptmerkmal ist für sie, dass sie ständig an Zigaretten denken müssen und immer mehr
Zigaretten alleine und beiläufig rauchen.
Viele von diesen Jugendlichen sind bereit mit dem Rauchen wieder aufzuhören, benötigen
dazu aber Hilfe. Über die Formen der „Quit smoking“-Angebote – Angebote zum Ausstieg
aus der Raucherkarriere – herrscht keine Einhelligkeit. Während die einen medizinische
Vorgangsweisen präferieren, also Nikotinsubstitution anbieten wollen, legen andere den
Schwerpunkt auf psychosoziale Interventionen und Hilfestellungen. Aus dieser
Untersuchung kann diesbezüglich keine Empfehlung abgegeben werden.
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2. RAUCHEN BEI JUGENDLICHEN UND DAS THEOREM DES
GRUPPENDRUCKS
In der wissenschaftlichen Literatur gibt es eine Reihe verschiedener Erklärungen dafür,
weshalb Jugendliche trotz aller Aufklärung über die negativen Gesundheitsfolgen mit dem
Rauchen beginnen. Eine der ältesten Begründungen hierfür ist das Theorem des
Gruppendrucks, das davon ausgeht, dass Jugendliche in ihren Peer groups einem so
starken Konformitätsdruck ausgesetzt sind, dass sie letztlich nur die Wahl hätten
mitzumachen, auch wenn es ums Rauchen geht, oder ausgeschlossen und geächtet zu
werden. Dieses Theorem hat eine große Breitenwirkung erfahren und ist heute auch in den
pädagogischen Wissensbeständen von Eltern und Lehrer/innen fest verankert. D'Arcy
Lyness (2001) definiert das Theorem, wie folgt: „When people your own age try to influence
how you act, it's called peer pressure”. Dies setzt also das Beisein einer
Gleichaltrigengruppe voraus und einen aktiven Versuch dieser Gruppe oder einzelner
Mitglieder, das Handeln anderer zu beeinflussen.
Diese Theorie gerät mittlerweile sehr stark ins Kreuzfeuer der Kritik. Viele Forschungen der
letzten Zeit schwächen diese Theorie ab oder widerlegen sie mit verschiedensten
Argumenten.
So schreibt z.B. Denscombe-Martyn (2001), dass Resultate zeigen, dass Gruppendruck für
das Ausmaß, in dem Jugendliche individuelle Autonomie und Selbstbestimmung leben
können, keinen nennenswerten Erklärungsbeitrag leistet. Sie werden nur fälschlicherweise
als Opfer dargestellt. "Results show that the concept of peer pressure did not take account of
student´s individual autonomy and self-determination, wrongly portrayed them as victims,
and did not effectively account for the flexibility and multiplicity of peer groups. Findings
suggest that peer group pressure concepts need to be reconsidered because of peer group
relationship heterogeneity, individualism, and self-identity."
Weiters und mit explizitem Bezug zum Rauchen meint auch Leventhal-Amy (1998), dass die
Beziehung zwischen Gruppendruck und Rauchverhalten nicht signifikant ist. "The
relationship between peer pressure and behavior was examined across grade and stage of
involvement in drinking and smoking. ... For smoking, initiators did not show a significant
relationship between pressure and smoking."
Auch die Resultate von Newman (1984) zeigen, dass auf den Jugendlichen mehr Druck
bezüglich seines Images lastet als durch direkten Gruppendruck. Die Peer group bezieht ihre
Bedeutung also vor allem daraus, dass sie bestimmte Erscheinungsbilder akzeptabel,
andere inakzeptabel macht. "Results show that peer pressure was perceived in terms of
13

meeting certain desirable image characteristics rather than in terms of direct pressure to
smoke. Smoking was one of many ways to create the image." Von Bedeutung ist dabei, dass
die Ausbildung von Gruppennormen bezüglich Kleidung etc. ein rekursiver Prozess ist, in
dem Vorschlag und Akzeptanz durch Gruppenmitglieder einander gegenseitig bedingen. Die
Vorstellung einer eindirektionalen Beeinflussung der einfachen Mitglieder durch einen Leader
ist von daher obsolet.
In ganz ähnlicher Weise und noch eindeutiger in ihren Formulierungen sind schon
Eiser&Van-der-Pligt (1985), wenn sie sagen, dass aufgrund ihrer Untersuchungen die
Vorstellung von Beeinflussungsprozessen in Gruppen rekonzeptualisiert werden muss in
Richtung der Rolle der sozialen Identität. "Results show that smokers (anyone who had
smoked at all within the previous week) held less negative attitudes about smoking, were
more likely to have a father who smoked, and anticipated less parental disapproval of their
smoking. When asked to name their 5 best friends among their classmates, smokers were
more likely to name other smokers than were non-smokers. On the basis of these results, it
is argued that the notion of "peer group influence" should be reconceptualized in terms of
intergroup processes and social identity concerns within the peer group." Es ist dann
bedeutsamer zu fragen, nach welchen Gesichtspunkten Jugendliche sich ihre Peer group
auswählen bzw. wie innerhalb einer Peer group soziale Identitäten entwickelt werden.
Ebenso wie in diesen Zitaten sind auch unsere eigenen Ergebnisse aus den Fokusgruppen
mit dem Gruppendrucktheorem nicht kompatibel.
Das ist einerseits angesichts der internationalen Literatur nicht überraschend, andererseits
aber schon, da in einigen Aussagen der von uns interviewten Jugendlichen der Terminus
des Gruppenzwangs tatsächlich gebraucht wird.
„M3: Ja, genau. Seitdem rauche ich halt. Es ist auch wegen dem Gruppenzwang,
so ein Scheiß." (Wienerberg W 68/82)
"M2: Dieses Geschehen ist clubartig, irgendwie, dieser Gruppenzwang zum
Rauchen. Der raucht, das ist cool, na, muss man es auch ausprobieren. Das
ist meistens fangen sie wegen dem an, die meisten." (Matadora 135/138)
Doch was steckt hier dahinter? Gesprochen wird von Gruppenzwang, von einem clubartigen
Geschehen. Genauer betrachtet, setzt das Mädchen den Gruppenzwang mit einem
clubartigen Geschehen gleich. Ein Club impliziert einerseits einen Zwang, bestimmte Werte
und Normen, zum Beispiel Kleider- und Verhaltensregeln, einzuhalten, andererseits aber
auch die Freiwilligkeit der Mitgliedschaft. Die Ambivalenz der Zugehörigkeit zu einem Club
besteht darin, dass man einerseits gebunden ist - was durchaus als Zwang erlebt werden
14

kann - andererseits sich aber dem Club und seinem Zwang freiwillig und gerne unterwirft.
Die Jugendlichen entscheiden sich letztlich selber dazu, dabei zu sein. Sie bringen eine
gewisse Bereitschaft mit, die Regeln und eben das Rauchen zu akzeptieren.
Gleichzeitig macht die rede vom Gruppendruck oder Clubzwang nur Sinn, wenn ein
Zuwiderhandeln negativ sanktioniert werden würde. Solche negativen Folgen des nein
Sagens konnten wir allerdings keine finden.
Ein Bursch beschreibt das sehr schön:
"B2: Nein, es wäre nicht so gewesen, dass ich nicht hätte nein sagen können, aber
es war auch nicht so das innere Bedürfnis zum Nein sagen da. Es war einfach
so ein gegebener Zustand. Ich habe eine bekommen, ich habe eine
genommen. Ich hab auch nicht, hab auch nicht, wenn ich keine bekommen
habe, habe ich auch nicht danach gefragt, es war einfach so." (Simon M
185/209)
Die Gruppe scheint dadurch wirksam zu sein, dass sie Gelegenheiten schafft zu rauchen.
Der Griff zur Zigarette kann dann nahezu automatisch und unbewusst erfolgen, es bedarf
jedoch keines Drucks. Im Beispiel hätte der Junge nur „ein inneres Bedürfnis“ gebraucht,
nein zu sagen. Er hätte die angebotenen Zigaretten genauso gut ablehnen können, ohne
dass dies zu Sanktionen geführt hätte.
In gewisser Weise unterstützt er damit eine ganz andere Interpretation, die wir hier anbieten
wollen, nämlich dass das Gruppendrucktheorem von den Jugendlichen mittlerweile als
Legitimation ihrer Entscheidung zu rauchen missbraucht wird. Denn sie wissen sehr genau,
dass es sich dabei um ein unerwünschtes „Fehlverhalten“ handelt, insbesondere wenn sie
die gesetzliche Altersgrenze noch nicht erreicht haben. Und sie hören von Eltern und
Lehrern und Medien immer wieder, dass sie Opfer einer verzwickten Peer Group Situation
seien.
Auch die folgende Gesprächssequenz unterstützt diese These. Die Jugendlichen sagten,
dass sie rauchen, wenn sie Lust dazu haben. Darauf will die Interviewerin dies genauer
verstehen:
"I: Wer Lust kriegt, der nimmt halt sein Packerl raus und dann rauchen auch alle
anderen?
M2: Ja.
M3: Oder es fragt meistens eigentlich immer jemand. Es nimmt eine die
[Zigaretten] raus und dann fangen alle an, kannst Du mir eine Zigarette geben
oder hast Du noch eine Zigarette und dann rauchen eh eigentlich alle."
(Trummelhof 1187/1217)
Auch hier ist ein Druck von Rauchern gegenüber Nicht-Rauchern, das Rauchen
aufzunehmen, nicht auszumachen. Eher scheint sich das Rauchen wie ein Lauffeuer
innerhalb der Gruppe zu verbreiten, leicht wie über verdorrtes Steppengras. Die
15

Jugendlichen scheinen wirklich ein Bedürfnis danach mitzubringen. Wenn eine Person zu
rauchen beginnt, wenn jemand initiiert, greift es um sich, bis alle rauchen. Fast ist einem um
den Start-Raucher leid, der seine Zigaretten verteilen muss.
Dieses Mitrauchen kann unterschiedlichst begründet werden. Sichtbar wird aber immer die
Eigeninitiative und kein wirklicher Druck oder Zwang von der Gruppe ausgehend.
"B1: Das ist halt, mit den Freunden habe ich mehr Spaß, da will ich einfach
rauchen, zu Hause nicht, aber dafür bei meinen Freunden, weil jeden Freitag
ist das bei mir so." (Wienerberg M 531/533)
Mehr als von Gruppendruck kann hier vom Spaßfaktor Rauchen gesprochen werden, der
offenbar nur in der Gruppe so richtig zum Tragen kommt. Niemand von den Freunden drängt
ihm eine auf oder zwingt ihn zu rauchen. "Da will ICH einfach rauchen" spiegelt wieder, dass
der Junge aus freier Entscheidung handelt. Diese Entscheidung ist allerdings weniger eine
zum Rauchen, als eine für die Atmosphäre und die Stimmung in der Peer group, den
„Spaßfaktor“ eben. Es scheint so zu sein, dass die Peer group bestimmte Erlebnisqualitäten
anbieten und vermitteln können muss, wenn der einzelne Jugendliche sich dafür entscheiden
soll, gerade bei dieser und keiner anderen Gruppe mitzumachen. Es sind ja die meisten
Schulklassen und Wohngebiete in verschiedene Peer groups (Gruppen von Gleichaltrigen)
eingeteilt, so dass für den einzelnen Jugendlichen eine gewisse Art von Wahl gegeben ist.
Vielleicht ist darin auch eine Folge des Rückgangs der Geburtenrate zu sehen, dass in den
geburtenschwachen Jahrgängen seit den 70ern die einzelne Peer group eher um Mitglieder
werben muss und es sich nicht mehr in gewohntem Maße leisten kann, potenzielle Mitglieder
durch Ausübung von Zwängen jedweder Art zu vergraulen. Viel mehr müssen die
Freundeskreise heute mehr denn je für einander Unterhaltung bieten.
Das Moment des Wählens kommt in folgendem Zitat sehr klar zum Ausdruck.
"B1: 3 Wochen lang in Deutschland nichts geraucht, nicht einmal einen Zug, nicht
einmal in der Hand gehabt eine Zigarette, auch durchgedreht, aber dann nach
der dritten Woche ist es eh gegangen. San ma hergekommen wieder, hab i
mir gedacht, okay, jetzt habe ich es eh schon gepackt, komm zurück, 2 Tage
im Park, Ü. nimm an Zug, ach nimm einen Zug, habe ich mir gedacht, okay,
durch einen Zug wird wieder nichts. Dann habe ich mir gedacht, oje, es wird
wieder wie am Anfang, dann bin ich eine Woche nie in Park gegangen, also
irgendwo anders, anderer Freundeskreis, die haben auch alle nicht geraucht.
Dann war der Freundeskreis nichts Richtiges für mich, habe ich mir gedacht,
ich gehe wieder zurück und dann ist wieder dazu gekommen. Und das war
es." (Wienerberg M 199/219)
Es wird deutlich, dass der Bursche aus Unterschichtverhältnissen den Freundeskreis wählt
und damit die Form von sozialem Umgang und Freizeitgestaltung, die er für sich braucht und
haben will, und nicht die Zigarette. Das Rauchen nimmt er in Kauf, um in die Gruppe
16

eingebettet sein zu können, die ihm behagt. Die interessante Frage indessen bleibt, warum
er dieser Gruppe nicht angehören kann ohne zu rauchen, obwohl die anderen das von ihm
im Grunde nicht fordern. Das führt zu der Frage, der wir im Kapitel 4 nachgehen werden, wie
Rauchen bei Jugendlichen zu einem Lebensstil wird.
Wie wenig Rauchen eine soziale Erwartung in Peer groups darstellt, die mit Zwang und
Sanktion gegenüber Non-Konformisten durchgesetzt werden müsste, zeigt sich am besten
darin, dass die Jugendlichen beiderlei Geschlechts in Bezug auf ihren Liebespartner bwz.
auf ihre Liebespartnerin („Freund“ oder „Freundin“) am liebsten eine Nichtraucherin bzw.
einen Nicht-Raucher hätten. Gerade in der Phase der Pubertät wäre es nur allzu
verständlich, wenn die Jugendlichen deshalb unter Druck stehen würden, weil Rauchen cool
wirkt und die sexuelle Attraktivität steigern könnte. Es wäre eine ergänzende These zum
Gruppendrucktheorem, dass die Jugendlichen also deshalb rauchen, um beim anderen
Geschlecht besser „landen“ zu können. Doch auch in Bezug auf das andere Geschlecht hat
Rauchen eine nicht unbedingt positive Wirkung.
"I: Ist es für Dich wichtig, dass Dein Freund raucht?
M1: Nein, nein wichtig, nein, das ist mir wurscht, es wäre mir egal.
I: Und was bewirkt es, dass er raucht?
M1: Für mich?
I: Ja, bei Dir.
M1: Ich weiß nicht, das ist mir eigentlich egal ob er raucht oder ob er nicht raucht.
Ich suche mir ja nicht meine Freunde nach dem Rauchen aus." (Trummelhof
1351/1367)
Ob der Partner oder die Partnerin raucht oder nicht, ist also kein Kriterium bei der
Partnerwahl. Es ist den jungen Mädchen vollkommen egal, ob ihr Freund raucht oder nicht.
Eher noch wünschen sich die Jugendlichen Nichtraucher/innen als Partner oder Freund oder
Freundin.
"I: Ist das für die anderen auch so, dass es wurscht ist, ob die Mädchen rauchen
oder nicht?
B1: Ja, schon.
B2: Das ist völlig wurscht.
B3: Obwohl es schon angenehmer ist, Nichtraucherinnen." (Mattheus 1582/1597)
Auch die Burschen sind sich in dieser Beziehung einig: es ist wirklich egal. Es wäre sogar
angenehmer, eine Nichtraucherin als Freundin zu haben. Wobei es hier einen
Schichtunterschied gibt. Oberschicht-Burschen können es den Mädchen zwar nicht übel
nehmen, wenn sie rauchen, da sie es ja selbst auch tun, aber attraktiver und seriöser sind in
jedem Fall die Nichtraucherinnen. In der Unterschicht wird das Thema durchaus klarer
behandelt: Mädchen wie Burschen versuchen es zumindest, ihrem Freund bzw. ihrer
Freundin das Rauchen zu verbieten.
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"B5: Nein, ich weiß nicht, es wirkt irgendwie fast bei Mädchen, finde ich, seriöser
wenn sie nicht rauchen.
I: Seriöser?
B1: Für mich sind Frauen, die nicht rauchen, glaube ich, irgendwie attraktiver als
Frauen, die rauchen.
B5: Ja, sicher, weil wir können einem Mädchen nicht übel nehmen, wenn es
raucht, weil wir rauchen ja selber. Das ist eigentlich eine Frage, die unnötig ist.
Weil ein Raucher wird nicht Raucher hassen." (Mattheus 1604/1631)
"B1: Meiner Freundin verbiete ich es oft." (WUK 824/824)
"M2: Ja, also mein Freund darf nicht rauchen." (Matadora 1102/1105)
"M3: Ich such halt einen Feschen, einen Nicht-Raucher." (Matadora 1114/1114)
Quer durch die Bank und ohne geschlechts- oder schichtspezifische Unterschiede werden
als PartnerInnen eher NichtraucherInnen bevorzugt. Von niemandem wird ein Raucher bzw.
eine Raucherin als Freund oder Freundin bevorzugt.
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3. PROBLEME DER ADOLESZENZ
In der internationalen HBSC-Studie der WHO (vgl. Dür et al. 1997, 2002; Currie et al. 2001,
2003) ist für alle modernen Gesellschaften Europas und Nordamerikas ein enormer Anstieg
des Rauchens bei Jugendlichen festgestellt worden. In Österreich, beispielsweise, waren
1986 weniger als 10% der 15-Jährigen beiderlei Geschlechts täglich Raucher/innen (die
täglich zur Zigarette greifen). Im Jahr 2002 waren es bereits 23%. Während die Werte von
1986 in der Öffentlichkeit für einen Medienskandal sorgten, da das Rauchen dieser
Altersgruppe ja sogar noch per Gesetz verboten ist, und den damaligen Unterrichtsminister
Dr. Erhard Busek zu sofortigem Handeln veranlassten, wurden die jüngsten Daten
vergleichsweise gelassen zur Kenntnis genommen.
Eine tiefgehende öffentliche Diskussion zur Frage, womit dieser Anstieg bei Jugendlichen
denn zusammenhängen könnte, ist ausgeblieben. Um ein solches Verständnis zu erzeugen,
muss man den Blick auf die grundlegenden Schwierigkeiten der Jugendphase richten und
verstehen, welche grundlegenden Veränderungen damit in den vergangenen Jahrzehnte
verbunden waren.
Jugend als Sozialisationsproblem
Als Jugendalter gilt die Phase des Übergangs von der Kindheit zum Erwachsenenalter, die
mit Einsetzen der Geschlechtsreifung beginnt und mit der Stabilisierung einer Erwachsenen-
Identität endet. Die Begriffe Pubertät (wörtlich: Mannbarkeit) und Adoleszenz (wörtlich:
Heranwachsen) bezeichnen diese Phase für beide Geschlechter, obwohl sie für junge
Frauen und Männer durchaus unterschiedlich verläuft. Der Prozess der
Persönlichkeitsentwicklung wird als Sozialisation bezeichnet. Im Zuge des
Sozialisationsprozesses erfolgt die Entwicklung einer eigenen Identität, die Ablösung vom
Elternhaus, die zunehmende Integration in neue soziale Kontexte und die Übernahme neuer
sozialer Rollen und die Entwicklung von sexuellen Beziehungen (vgl. Mertens 2002).
Diese Entwicklung ist mit enormen Lern- und Anpassungsleistungen verbunden, die häufig
auch zu Überforderungen führen und daher Widerstand auslösen können.
Entwicklungspsychologisch gilt die Jugend daher auch als "psychosoziales Moratorium"
(Erikson 1966): eine Zeit des Ausprobierens und Experimentierens, zu der die Anpassung an
Normen ebenso gehört wie die Abwehr von Autorität und Tradition, das Vergnügen an
ungebändigten Leidenschaften ebenso wie die Angst davor. Die Lebensphase Jugend stellt
daher einen besonders turbulenten, belastenden, andererseits aber auch sehr anregenden
19

und ertragreichen Abschnitt im menschlichen Lebenslauf dar (vgl. Hurrelmann & Rosewitz &
Wolf).
Da die Hauptaufgabe der Pubertät darin liegt, eine Erwachsenenidentität aufzubauen und die
für ein Leben als Erwachsener notwendigen Qualifikationen und Kompetenzen zu erwerben,
kommt Erwachsenen eine wesentliche Vorbildfunktion zu. Gerade diesbezüglich jedoch sind
die Verhältnisse unter postmodernen Bedingungen problematisch geworden. Der
Unterschied liegt in den normativen Vorstellungen vom erwachsenen Staatsbürger und in der
Vielfalt der möglichen Karrieren und Lebensmodelle. Im Gegensatz zu heute wusste die
Gesellschaft des 19. und frühen 20. Jahrhunderts noch relativ genau, was ein guter,
angepasster Bürger ist und worauf hin sich Jugendliche infolgedessen zu entwerfen haben.
Ebenso waren die Lebens- und Karrieremöglichkeiten für die meisten Menschen sehr viel
enger definiert, so dass die individuellen Entscheidungsmöglichkeiten für Jugendliche sehr
begrenzt waren und ein zwar enger, dafür aber einfacher und klarer Orientierungsrahmen
gegeben war.
Demgegenüber ist heute eine für individuelle Entwicklungsentscheidungen weit geöffnete,
man könnte auch sagen: nahezu anomische Situation entstanden, in der es mehr denn je
vom Selbstbewusstsein und der Kreativität der Jugendlichen selbst abhängt, was sie aus
ihren Möglichkeiten machen. Gleichzeitig sind brauchbare Vorbilder rar geworden bzw. in
ihrer Wirkkraft eingeschränkt, da sie keinen ganzen Lebensentwurf mehr repräsentieren
können. Damit hat sich das Hauptproblem der Pubertät dahingehend verändert, dass die
Jugendlichen heute Entwicklungsaufgaben zu bearbeiten haben, deren Lösungen noch nicht
feststehen bzw. vorgegeben sind. Für ihr eigenes Erwachsenensein existieren noch keine
fertigen Entwürfe.
Dieser Situation trägt die moderne Sozialisationsforschung im Konzept des Modell-Lernens
von Bandura (1976) Rechnung, das den sozialen Prozess der Sozialisation vor allem als
Vorgang des Lernens aufseiten des Jugendlichen beschreibt. Wesentlich in dieser
Sichtweise ist, dass die Kinder bzw. Jugendliche die Erwachsenen nicht einfach kopieren
oder nachahmen, sondern einem internen kognitiven Verarbeitungsprozess unterziehen, in
dem eine hohe Flexibilität aufgebaut wird. Sie steuern damit in gewisser Weise den Vorgang
der Sozialisation selbst, allerdings innerhalb von sozialen Beziehungen und in
Auseinandersetzung mit diesen.
Diese Problematik wird in dem Kult-Serien-Roman „Harry Potter und ...“ in adäquater Weise
beschrieben und ist wahrscheinlich auch der tiefere Grund für dessen Erfolg. Insbesondere
in Band 4 muss Harry Potter im Rahmen des sogenannten trimagischen Turniers drei
Aufgaben lösen, die allesamt für ihn auch tödlich enden könnten, wobei die zweite Aufgabe
darin besteht herauszufinden, worin die Aufgabe eigentlich besteht. Eine perfekte Metapher
für die Schwierigkeit der Pubertät am Beginn des 21. Jahrhunderts.
20

Eine ältere soziologische Beschreibung dieses Umstands hatte einen Kulturwandel
festgestellt, in dessen Folge in der modernen Gesellschaft Initiationsrituale abgebaut worden
sind (vgl. Geulen 1982). Auch dies meinte nichts anderes, als dass der Jugendliche beim
Erwachsenwerden heute weitgehend auf sich selbst gestellt ist. Dafür konnte man in dieser
Betrachtungsweise zusätzlich erkennen, dass heute versteckte Initiationen in Schule
(Matura) und Militär angeboten werden, die aber nicht mehr zur erwünschten Ablösung vom
Elternhaus führen und familiäre Abhängigkeiten nicht vollständig auflösen, sondern diese auf
den Staat übertragen. Dieser wird als (scheinbar) gute Mutter oder fürsorgepflichtiger Vater
erlebt (Hurrelmann 1989). Und tatsächlich hat der Staat und seine Regierungen diese Rolle
lange Zeit ja auch gespielt bzw. einen solchen Eindruck vermittelt.
In Zeiten des von wirtschaftlichen Wandlungen ausgelösten Umbruchs unserer
Gesellschaften und der neuen politischen Herausforderungen kann der Staat die früheren
Sicherheiten jedoch nicht mehr in alter Form garantieren. Mehr denn je müssen die Risiken
und Unsicherheiten der Zukunft heute von den Individuen selbst ertragen und bearbeitet
werden (vgl. Beck 1986).
Geschlechtsspezifische Momente der Adoleszenz
Im Zentrum der Jugendphase stehen die großen körperlichen Wandlungen, die mit der
Sexualreifung einhergehen und die seelische Dynamik zur Ausgestaltung der eigenen
Weiblichkeit bzw. Männlichkeit auslösen. Diese Umgestaltung des Körpers verunsichert das
Selbstbild, macht übersensibel und erzeugt Gefühle der Entfremdung bei Mädchen und
Buben, allerdings auf unterschiedliche Weise.
Bei Mädchen setzt die Pubertät rund zwei Jahre früher ein und beginnt mit der Entwicklung
eines fraulichen Körpers. Die Fruchtbarkeit mit Einstellen des ersten Eisprungs bildet den
Endpunkt dieser Entwicklung. Die männliche Pubertät beginnt mit der potentiellen
Fortpflanzung, der ersten Ejakulation. Die Mannwerdung steht daher erlebensmäßig mit der
eigenen Sexualität im engen Zusammenhang und kann daher leichter mit positiven Gefühlen
und Erwartungen verbunden werden.
Die Akzeptanz des eigenen Körpers hängt sehr stark von den Reaktionen der Umwelt auf
diesen ab. Der Wunsch der jungen Frauen ist es, betrachtet und bewundert zu werden
(Peter Blos 1978). Es besteht daher für Mädchen eine Schwierigkeit dahingehend, ein von
männlichen Wertschätzungen unabhängiges positives Verhältnis zu ihrem eigenen Körper zu
erlangen. So ist der Wert der Körperlichkeit von Mädchen und jungen Frauen oft abhängig
von männlichen Wertschätzungen und damit anfällig für Verunsicherungen und Verletzungen
21

(Flaake 1997). Das Selbstwertgefühl kann also bei den in der Pubertät steckenden jungen
Mädchen leicht beeinträchtigt werden.
Mehr als das für Knaben gilt, dient den jungen Frauen der Körper und dessen pubertäre
Veränderung als Basis der Identitätsentwicklung. Grundlegend für das zu entwickelnde Bild
von Weiblichkeit ist daher, wie die jungen Frauen die Veränderungen ihres Körpers erleben
und ob sie ihn als mangelhaft oder als liebenswert, als Quelle von Schmerz oder von Lust
erfahren. Die individuelle Annahme des Körpers vollzieht sich innerhalb von
gesellschaftlichen und kulturellen Normen und Standardisierungen, die heute den weiblichen
Körper tendenziell abwerten und sehr eng geführte Schönheitsideale mit wenig
Abweichungsspielraum vorgeben. Da die Attraktivität für die Ausbildung einer weiblichen
Identität einen hohen Stellenwert hat und Abweichungen zu Beeinträchtigungen des
Selbstwertgefühls führen können, wird die weibliche Pubertät in der heutigen Gesellschaft
zunehmend schwieriger.
Ein Nebenprodukt der Pubertät, die Gewichtszunahme (Richards & Larson 1993), steht dem
gängigen Schlankheitsideal unserer Gesellschaft entgegen. Insbesondere durch die
Propagierung eines schlanken, knabenhaften Körperideals wird die pubertätsbedingte
Gewichtszunahme zum Problem. Rauchen kann daher auch als ein Instrument der
Gewichtskontrolle eingesetzt werden.
Ein weiterer Unterschied in der weiblichen und männlichen Pubertät besteht darin, dass
junge Frauen ihre Identitätsentwicklung tendenziell stärker an der Umgestaltung der
familiären Beziehungen orientieren, während Knaben tendenziell stärker zu Autonomie und
Ablösung neigen. Da gesellschaftlich heute noch immer eine gewisse Höherbewertung von
individueller Autonomie und Unabhängigkeit gegenüber sozialer Kompetenz und
Beziehungsfähigkeit gegeben ist, bedingt auch dies eine Erschwerung der weiblichen
gegenüber der männlichen Pubertät.
Beide Schwierigkeiten der weiblichen Pubertät spiegeln sich in der von Mädchen gegenüber
Burschen deutlich schlechter bewerteten Gesundheit und Lebenszufriedenheit sowie in
ungünstigen bis schädlichen Ernährungsgewohnheiten wider (Dür et al. 2002). Durch die
stärkere Orientierung an den vorhandenen Beziehungen sind die familiären Bindungen für
die weibliche Identitätsentwicklung wichtiger als für junge Männer, die stärker am öffentlichen
Raum orientiert sind. Daraus folgt, dass die Reifung zu selbstverantwortlichen Beziehungen
bei den Mädchen stärker ausgebildet ist als bei den Jungen, während die Gestaltung eines
produktiven Narzissmus sich bei den Mädchen weniger entwickeln kann. Mädchen neigen
daher häufiger zu Selbstabwertung und Beschäftigung mit sich selbst, während die Burschen
die innere Betrachtung von sich selbst tendenziell zu vermeiden trachten.
Dies vorausgesetzt, wird heute für die normative Forderung nach „starken Power-Frauen“
verschiedentlich ein ambivalenter Befund gegeben. Die modernen Mädchen sind in ihrer
22

medialen (Re-)Präsentation starke Mädchen: sie sind clever, frech, selbstsicher, mutig,
haben Power, setzen sich durch, wissen, was sie wollen. Phrasen wie diese, denn um solche
handelt es sich, sollen einerseits ermutigend und für die Mädchen unterstützend sein, gehen
andererseits aber an den konkreten Lebensrealitäten der Mädchen vorbei. Sie werden leicht
zu "Etiketten" mit normativem Charakter, die ein gutes Maß an Anpassung an vorgegebene
Manierismen fordern (Pichler 2000). Diese neuen Mädchenbilder vermitteln insofern eine
ambivalente Botschaft: indem sie Stärke einklagen, konstatieren sie Mangel. Dies führt zu
zusätzlichem Druck und Stress bei den jungen Frauen.
23

4. RAUCHEN ALS KARRIERE
Im folgenden wird der Einstieg in das Zigaretten Rauchen von Jugendlichen als Lernprozess
rekonstruiert, der sich innerhalb und unter dem Einfluss bestimmter sozialer Systeme
vollzieht und daher, wie in der alten, modellhaften Studie von Howard Becker (1963, 1981),
als Karriere begriffen werden kann. Karriere soll dabei bedeuten, dass der Jugendliche im
Zuge dieses Lernprozesses nicht einfach etwas Neues erlernt, sondern dabei gleichzeitig
seinen sozialen Status verändert: er mutiert vom Kind zum jungen Erwachsenen, als der er
in seinen Kreisen dann Anerkennung findet, und er tut das durch Ausbildung einer Identität
und eines gesamten Lebensstils, der ihn mit vielen anderen verbindet. Tatsächlich ist es
dieser Lebensstil, der für die Jugendlichen selbst und ihre soziale Umwelt zum
Erkennungsmerkmal dafür wird, dass die Statuspassage gelungen ist. In einigen
Unterschicht-Familien, deren Jugendliche an unseren Fokusgruppen teilgenommen haben,
scheint es sogar so zu sein, dass die Eltern das Kind durch Aufforderung zum Rauchen in
diese Art Initiation hineindrängen.
Wenn es auch sicher nicht die einzige Art von Karriere zum Erwachsenen ist, so ist es doch
eine, die im Verlauf der vergangenen 20 Jahre zunehmend wichtiger geworden ist. Die steil
ansteigenden Raucherprävalenzen unter den Jugendlichen belegen dies (vgl. Dür et al.
2002).
Mit der These der Raucherkarriere wird zunächst zu dem von Eltern und Lehrer/innen
ebenso häufig benutzten wie von wissenschaftlichen Experten widerlegten Paradigma des
Gruppendrucks (peer pressure) eine alternative Erklärung für die Aufnahme des Rauchens
bei Jugendlichen angeboten. Das Theorem des Gruppendrucks hat seit einigen Jahrzehnten
als Motiv für den Rauchereinstieg gedient. Es operiert mit dem Bild eines form- und
verführbaren, schwachen, inkompetenten und nicht wirklich selbstbewussten Jugendlichen,
der der Welt und ihren Einflüssen nahezu hilflos ausgeliefert ist, ein Bild, dem wir heute nach
mehreren Jugendrevolten, nach der von J. Habermas so benannten Radikalliberalisierung
der modernen Gesellschaften und nach der sukzessiven Verbesserung der pädagogischen
Arbeit an unseren Schulen so nicht mehr zustimmen können. Den sozialen Wandel im
Selbstverständnis der Jugendlichen kann man am besten am Wandel der filmischen
Vorbilder ablesen: das Paradigma des „alten“ Jugendlichen verkörpert am idealsten James
Dean in dem schon vom Titel her vielsagenden Film „Denn sie wissen nicht, was sie tun“,
während das Bild des „neuen“ Jugendlichen vielleicht am besten von Harry Potter und
Hermine Granger verkörpert wird. Dazwischen etwa liegen die revoltierenden und
fehlgeleiteten Jugendlichen aus Filmen wie „Der Wilde“, „If“ oder „Clockwork Orange“.
24

Im soziologischen Kern des Theorems wird unterstellt, dass jugendliche Peer groups eine
klare, hierarchische Struktur aufweisen, in der von Rädelsführern (opinion leader) Normen
oder Verhaltensweisen durch Druck auf die Mitglieder durchgesetzt werden können. Das
Machtinstrument ist Gewalt oder Ausschluss aus der Gruppe und soziale Ächtung. Um dem
zu entgehen, würden Jugendliche sich eben unterwerfen, was ihnen gleichzeitig einen
höheren Rang in der Gruppe eintrüge. Es ist eingangs im Kapitel 1 gezeigt worden, dass
dieses Theorem heute von vielen Wissenschaftler/innen in Frage gestellt und einer Revision
unterzogen wird.
Im Karrieremodell werden dagegen aktive – nicht reaktive – Jugendliche unterstellt und
lerntheoretische und funktionale Gesichtspunkte miteinander verbunden: das Rauchen wird
als Lernhilfe auf dem Weg zum Erwachsenen begriffen, eine Lernhilfe, die von Jugendlichen
nicht gegen ihren Willen und unter Zwang benutzt wird, sondern freiwillig, wenn auch unter
dem Gebot einer Situation, in der sie dringend Hilfen benötigen und häufig nicht viele andere
Wahlmöglichkeiten sehen.
Auch einem zweiten weit verbreiteten Erklärungsschema wird damit eine Absage erteilt,
nämlich der Vorstellung, dass Jugendliche als Ausdruck einer Protesthaltung zu rauchen
beginnen. In dieser These wird unterstellt, dass gerade das Verbot des Rauchens für unter
16-Jährige und die negative Haltung der Eltern bzw. der Erwachsenenwelt insgesamt die
Zigarette für Personen erst attraktiv mache, die diesen Umwelten gegenüber ein Signal des
Protests und der Ablehnung von deren Normen und Werten aussenden möchten.
Demgegenüber behauptet das Karrieremodell gerade das Gegenteil, dass nämlich Rauchen
eine Art Anpassung an vorgestellte Ideale des Erwachsenseins darstellt und die
Jugendlichen näher an die Erwachsenenwelt heranrückt, aus der sie ja weitgehend
ausgeschlossen sind. Rauchende Erwachsene fungieren daher, ob sie es wissen und wollen
oder nicht, als Vorbilder. Und Rauchen ist bei Jugendlichen insofern eine Antwort auf das
Problem, dass sie in der modernen Gesellschaft in einen weitgehend eigenen Jugendbereich
abgedrängt sind, aber gleichzeitig mit der Entwicklungsaufgabe konfrontiert, diesem zu
entwachsen.
Insgesamt können wir auch keine negative Gesamthaltung unserer Gesellschaft und Kultur
gegenüber der Zigarette wahrnehmen, wenn auch die kritischen Äußerungen darüber im
Zunehmen und die Toleranz von Nicht-Raucher/innen im Abnehmen begriffen ist. Noch
prangen Zigarettenwerbungen auf den Dressen von Fußballmannschaften und Formel 1-
Piloten und deren Rennautos, die beide die Programme des ORF zu besten Einschaltzeiten
25

evölkern. Noch wird in sogenannten Kult-Sendungen wie „Sex and the City“ hemmungslos
geraucht. Noch sind die Raucherzonen in Gasthäusern und Restaurants größer als die
eigentlichen Normalbereiche der Nicht-Raucher. Noch sind die Tabaktrafiken des Landes
nicht an entlegenen Orten versteckt, sondern an den zentralen, strategisch bedeutsamen
Plätzen unserer Städte, und noch werden darin nicht nur Zigaretten, sondern auch die
publizierte Öffentlichkeit gehandelt, sozusagen ein Abbild des offiziellen Österreich.
Darüber hinaus finden wir viele Beispiele dafür, dass Jugendliche ihr Rauchen mit einem
schlechten Gewissen verbinden und es im Geheimen tun, vor allem deshalb, weil sie nicht
wollen, dass Vater, Mutter und ihre Lehrer/innen davon erfahren. Wer bliebe dann aber noch
als Adressat des Protestes übrig? Dieses Theorem muss aus heutiger Sicht daher ebenfalls
revidiert, wenn nicht ad acta gelegt werden. Es stammt ursprünglich aus der Frühzeit der
Etablierung der Zigarette in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts, nach dem ersten
Weltkrieg, als sie zunächst das Image des Verruchten, des Abseitigen und
Lebensfeindlichen, des antibürgerlichen Außenseitertums hatte, als in Filmen vor allem
Gangster, Abenteurer und die Femmes fatales geraucht haben (vgl. Hengartner 1996).
Dieses Bild hat sich bis heute gründlich verändert. Die Zigarette ist heute vollständig
normalisiert und differenziert nicht mehr nach Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen, da letztlich
in allen Schichten und Populationen, wie immer diese definiert werden, Raucher/innen und
Nicht-Raucher/innen zu finden sind.
Mit der Zigarette ist aber ein neues Differenzierungsschema verbunden worden, welches
nicht Personen und deren Habitus, sondern vielmehr Situationen unterscheidet, und zwar in
solche, in denen geraucht wird, und solche, in denen nicht geraucht wird. Damit ist
tendenziell ist die alte Unterscheidung von Raucher vs. Nicht-Raucher obsolet und jenen
gesundfördernden Maßnahmen, die auf Raucher/innen als konkrete Personen abzielen,
verfehlen einen wesentlichen Punkt. Man ist nicht Raucher, sondern man raucht.
Die typische „Situation für Rauchen“ scheint eine zu sein, in der vom Handelnden
Selbstkontrolle, Entspannung und Beruhigung hergestellt werden muss, eine Gemütslage
insgesamt, die man kurz als cool bezeichnen kann. Dieser Terminus wird in unseren
Fokusgruppen auch tatsächlich verwendet, allerdings seltener und gleichbedeutend mit
Begriffen wie „chillig“ oder „chill-out“, was darauf hindeutet, dass es sich weder um einen tief
in der Persönlichkeit verankerten Charakterzug noch um eine grundlegende Lebenshaltung
oder Weltanschauung handelt, sondern um die Tätigkeit des Herstellens einer momentanen
Gemütslage. Das Image der Zigarette ist heute insofern viel direkter mit den Wirkungen
verbunden, die von ihren psychoaktiven Substanzen tatsächlich ausgehen, und weniger mit
26

ästhetischen Bedeutungen der sozialen, an der Person haftenden Zuordnung. Der Raucher
unterscheidet sich heute nicht mehr prinzipiell vom Nichtraucher, so wie das in der ersten
Hälfte des letzten Jahrhunderts noch war, als die rauchende Frau eine Femme fatale und die
gutbürgerliche Hausfrau unbedingt eine Nichtraucherin, der rauchende Mann ein
Außenseiter oder Arbeiter, der gutbürgerliche Vater jedoch unbedingt ein Nichtraucher war.
In den Filmen der siebziger Jahre verflücht sich diese Differenz allmählich, indem nun jede
und jeder rauchen darf, und zwar immer und überall, wie das Michel Piccoli und Romy
Schneider in ihren Filmen beispielhaft vorgeführt haben. Geblieben ist, dass das Rauchen
für jeden möglich ist, geändert sich seither jedoch radikal, dass Rauchen nicht mehr in jeder
erdenklichen Situation möglich und erwünscht ist. Rauchen ist daher auf bestimmte
Situationen beschränkt, die dadurch gekennzeichnet sind, dass der Raucher oder die
Raucherin eine Art Auszeit nimmt und sich ihren inneren psychischen Zuständen zuwendet.
Hier tut die Zigarette ihre Wirkung.
Diese Wirkungen zu erkennen ist die eigentliche Schwierigkeit und der eigentliche
Lernprozess des Rauchers, ganz ähnlich wie das von Howard Becker für Marihuana-
Raucher in den 60er Jahren festgestellt worden ist.
Der wesentliche Vorteil des Karrieremodells liegt darin, dass dieser Perspektivenwechsel
auch neue Blicke auf die Möglichkeiten der Prävention ermöglicht. Durch die Rekonstruktion
des Einstiegs in das Rauchen als sozialen Prozess werden Interventionsmöglichkeiten
sichtbar, die nicht allein am Individuum ansetzen und dieses zu mehr Einsicht, zu besseren
Entscheidungen, zu mehr Rückgrat und persönlicher Stärke oder zu anderen Motiven
bekehren sollen, sondern die an den sozialen Rahmenbedingungen des Prozesses und
seinen Eckpunkten ansetzen. Es wird dann nicht so sehr und nicht ausschließlich darum
gehen, die individuellen Fähigkeiten zu fördern, die man braucht, um nein zu sagen („Ich
brauch´s nicht“; „Be smart – don´t start“) und sich gegen die Versuchungen der Drogenwelt
zu wappnen („Stark statt süchtig“), sondern darum, das Grunddilemma der Jugendlichen zu
bearbeiten, das darin besteht, in einer Gesellschaft erwachsen werden zu müssen, die dafür
jedoch keine klaren sozialen Positionen vorgesehen hat. Am deutlichsten wird dieses
Dilemma an der Schwierigkeit von Schule sichtbar. Dort sollen sich Jugendliche in einem
System, in dem sie sich die meiste Zeit des Tages aufhalten und das nach allen
systemischen Merkmalen für unmündige, fürsorgeabhängige Kinder konstruiert wurde, wie
Erwachsene benehmen.
Um noch einmal Harry Potter zu bemühen: im vierten Band muss J.K. Rowling´s Romanheld
am trimagischen Turnier teilnehmen, was ihm einen außerordentlichen Triumph oder aber
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den Tod durch seinen Widersacher Voldemort bescheren kann. Es geht um alles oder nichts.
Die zweite der drei zu lösenden Aufgaben scheint uns typisch für die allgemeine
Lebenssituation von Jugendlichen in der heutigen Zeit zu sein. Sie besteht darin
herauszufinden, worin sie besteht. Zu wissen, worin die Aufgabe besteht, ist auch schon ihre
Lösung. Doch wie beginnen, wenn man keinen Anhaltspunkt hat? In ähnlich vertrackter
Weise besteht die Aufgabe des Erwachsenwerdens für Jugendliche darin herauszufinden,
was Erwachsensein überhaupt ist. Um das zu erfahren und herauszufinden, haben sie
jedoch kaum geeignete Erfahrungsräume. Denn um zu erfahren, wie es ist, erwachsen zu
sein, muss man wie ein Erwachsener behandelt werden. Wenn das ausbleibt, schaffen sich
die Jugendlichen eben andere Sphären, in denen alles jedoch immer nur den Anschein von
dem hat, was es zu sein vorgibt.
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4.1 Stufe eins: Wirkungen Beobachten
Junge Menschen – Mädchen und Knaben – wachsen in einer Gesellschaft auf, in der
vielerorts und in den meisten sozialen Kontexten geraucht wird. Junge Menschen
beobachten Raucher und Raucherinnen. Sie beobachten diese allerdings nicht
hinsichtlich der Wirkung, die diese als schöne, coole, gefällige, lässige oder
sympathische Personen auf sie haben, sondern in Bezug auf die Wirkungen, die das
Rauchen auf die Raucher/innen selbst ausübt. Jugendliche beobachten die Wirkungen
des Zigaretten Rauchens.
Junge Menschen – Mädchen und Knaben – wachsen in einer Gesellschaft auf, in der
vielerorts und in den meisten sozialen Kontexten geraucht wird. Die jungen Erwachsenen
beobachten in ihrer Umwelt Personen, die rauchen. Das können Eltern, Lehrer, Geschwister,
Freunde und Peers sein, aber auch die medialen, sozusagen virtuellen Stellvertreter der
Erwachsenen in Fernseh- und Kinofilmen. Durch die Beobachtung der anderen und auch
durch Beobachtung der Situationen, in denen die Raucher zur Zigarette greifen, nehmen sie
die Zigarette in ihrer Funktionalität wahr und verinnerlichen so die positive Wirkung der
Zigarette.
Die jungen Erwachsenen haben also in ihrer Umwelt jede Menge Vorbilder für das Rauchen.
Ob bewusst oder unbewusst: Eltern, Lehrer, Verwandte und Bekannte, ältere Peers, aber
auch manche Stars und Prominente, die in Medien und Werbung sichtbar sind, werden zu
Vorbildern für die Jugendlichen.
„B1: Sonst gibt es ja keinen Grund anzufangen. Jeder sieht die Erwachsenen, wie
sie rauchen im Wirtshaus oder zu Hause, in einer netten Runde, natürlich,
unbewusst ist das einfach.
I: Du glaubst, so von den Vorbildern. So, das Erwachsensein ist mit Zigarette
verbunden?
B1: Ja, extrem.
I: Ja?
B1: Ja, glaube ich voll.
B2: Das ist Neugierde, da willst Du nicht cool sein, aber es interessiert Dich.“
(Simon M 462/496)
„B2: Ja, weil wenn man dann irgendwo durch die Stadt geht und sieht dort eine
Tschik und der raucht und der ist relaxed und so und da denkst Du Dir, shit,
ich will jetzt auch eine.“ Mattheus (1332/1351)
Warum wird dieses Verhalten der rauchenden Erwachsenen zum Vorbild? Zunächst muss
man sehen, dass Jugendliche die Aufgabe haben, selbst Erwachsene zu werden und von
daher sich selbstverständlich am Vorbild von Erwachsenen orientieren müssen.
29

Rauchen gehört wahrscheinlich zu den Verhaltensweisen von Erwachsenen – neben
Alkoholkonsum und/oder Sexualität -, die aus Sicht von Jugendlichen am rätselhaftesten und
geheimnisvollsten erscheinen, da sie aus ihrer Kindheit über keine vergleichbaren
Erfahrungen verfügen. Es ist daher durchaus verständlich, dass Jugendliche sich dafür
interessieren, was denn hinter der Zigarette steckt. Auf diese Weise entsteht durch
Neugierde ein Motiv.
„M2: Man will einfach wissen, wie es schmeckt und warum wollen das alle
Erwachsenen, und dann probiert man es halt aus.“ (Simon W 1117/1120)
Bei den Erwachsenen im Allgemeinen, welche Raucher/innen beobachten Jugendliche denn
im Speziellen? Die ersten RaucherInnen denen die Jugendlichen begegnen, sind die
eigenen Familienmitglieder, häufig sogar die Eltern. Gerade in der Familie scheint die
Zigarette mit vielen positiven sozialen Situationen in Verbindung zu stehen, wenn sie zum
Alltag des Familienlebens gehört.
„I: Rauchen Deine Eltern auch?
M1: Ja. Deswegen habe ich eigentlich auch begonnen zu rauchen. Meine ganze
Familie raucht.“ (Wienerberg W 148/151)
„B1: Mein Vater hat geraucht und mein Opa hat geraucht und ich war eigentlich viel
in der Familienseite bei meinem Vater. Da haben alle geraucht, mein Onkel,
mein Vater, mein Opa und wir waren alle immer ziemlich stark beisammen.“
(Simon M 43/48)
Besonderes Vorbild für junge Männer sind natürlich die Männer, für die Mädchen die Frauen
in der eigenen Familie. Das Rauchen bekommt für sie einen Sinn, wenn sie Tag für Tag den
Raucher/innen in der eigenen Familie gegenüberstehen. Ganz klar und eindeutig wird hier
von einem Unterschicht-Mädchen formuliert, dass sie zu Rauchen begonnen hat, da
eigentlich die ganze Familie raucht.
Neben der Familie gibt es auch noch andere Erwachsene, die von den jungen Erwachsenen
in dieser Hinsicht wahrgenommen werden.
“M3: Kennst Du Sex in the City, schon oder?
I: Die Serie?
M3: Die rauchen sich alle 5 Minuten eine an.“ (Trummelhof 761/804)
In Fernsehen kommt dem Rauchen ein zentraler Stellenwert zu. Den jungen Frauen und
Männern fällt sehr wohl auf, dass, in welchen Situationen und mit welchen Wirkungen im
Fernsehen geraucht wird. Sogar die Zigarettenmarken sind bekannt. Es ist bekannt, dass die
Zigarettenindustrie die Werbeverbote, die mittlerweile in allen hochentwickelten Ländern
30

Gesetz sind, durch Product Placement in der TV- und Filmbranche zu kompensieren
trachtet. Ein entsprechendes Gegenkonzept ist auf Seiten der Prävention noch nicht
entwickelt worden. Es scheint uns aber notwendig, diese Dinge sehr bewusst anzusprechen,
etwa im Rahmen einer allgemeinen medienkritischen Debatte im Schulunterricht.
Durch das Vorleben der Eltern, Freunde, Geschwister oder sonstigen Personen aus der
Umwelt oder den Medien bekommen die jungen Erwachsenen immer vor Augen geführt, wie
die Zigarette wirkt. Ob in einer Fernsehserie die Hauptdarstellerinnen Zigaretten rauchen,
wenn sie in verzwickten, aussichtslosen oder tristen Situationen sind, oder ob die Eltern
einen entspannteren, positiveren Zustand erreichen, wenn sie eine Zigarette rauchen, das
alles prägt sich bei den jungen Erwachsenen ein.
Wenn es einen zusammenfassenden Begriff für die vielfältigen Wirkungen geben kann, dann
ist es wohl der Begriff „cool“. Er ist so schillernd und vieldeutig, dass sich eine umfangreiche
Analyse im Zusammenhang dieser Arbeit verbietet. Eines ist aber wesentlich festzuhalten
und darin mag ein Unterschied zu einem früheren Gebrauch des Wortes liegen: cool
beschreibt heute tendenziell keine Eigenschaft, die Personen als psychologische Einheit
zugeschrieben werden könnte, so dass also eine ganze Person insgesamt cool oder uncool
wäre, als cooler oder uncooler Typ beschrieben werden könnte. Eine solche fast
essentialistisch klassifizierende Bedeutung hat cool eigentlich nur in Bezug auf Dinge oder
Verhaltensweisen. Diese können insgesamt und tiefgründig cool oder uncool sein. So kann
ein Auto cool sein, eine Hose, eine Sonnenbrille, ein Musikstück oder ein Film, aber ebenso
eine bestimmte Handlung wie beispielsweise bei rot über die Straße gehen. Man sieht daran,
dass die konkreten Zuschreibungen sehr stark vom jeweiligen subkulturellen Kontext
abhängen. Es ist aber, wenn etwas cool ist, immer ein ästhetisches Urteil des Beobachters,
das mit einem bestimmten emotionalen Zustand bei diesem verbunden ist, den man
vielleicht am ehesten als Gelassenheit umschreiben kann.
In vielen jugendlichen Subkulturen gilt rauchen als cool, sicher sehr viel mehr, als das auf
erwachsene Subkulturen zutrifft. In diesem Begriff sind alle Wirkungen zusammengefasst,
die die Jugendlichen an Raucher/innen beobachtet haben. Raucher/innen wirken auf die
Jugendlichen gelassen. Sie lösen bei ihnen ein Gefühl von Gelassenheit aus. Raucher/innen
zu beobachten ist cool. „Es ist schon cool“.
„B3: Bei mir war es, nach der Schule, glaube ich, auch mit einem Freund. Bei uns
sind sie draußen gestanden, also irgendwelche Typen und wir haben uns halt
gedacht, naja, es ist schon cool.“ (Mattheus 74/78)
31

Auch die folgenden Zitate zeigen, dass es den jungen Mädchen und Buben nicht darum
geht, wie derjenige aussieht, der eine Zigarette raucht, sondern darum, wie sich die Wirkung
in ihm niederschlägt.
„M1: Ich meine jetzt nicht so ein ganz genaues Bild von einem Menschen, der eine
Zigarette raucht, sondern eben irgendwie so eine Zigarette ist etwas
Entspannendes, Gemütliches, Leute sitzen gemütlich zusammen.“ (Simon W
1313/1318)
32

4.2 Stufe zwei: Erstes Probieren
Jugendliche probieren Zigaretten, um die von ihnen beobachteten Wirkungen bei sich
selbst zu erzeugen. Das erste Probieren erfolgt zumeist gemeinsam mit (sehr) guten
Freunden bzw. Freundinnen in einer heimlichen Situation. Die erwarteten Wirkungen
treten zunächst jedoch nicht ein.
Die Jugendphase gilt als die Zeit des Ausprobierens und Experimentierens, was sich auch
auf das Rauchen beziehen lässt. Es wird daher üblicherweise davon ausgegangen, dass die
Präventionsarbeit gegenüber Jugendlichen nicht prinzipiell zum Ziel haben kann, dieses
Probieren und kennen Lernen zu unterbinden. Einige Kontakte mit der Zigarette haben die
Jugendlichen insofern „frei“, auch um überhaupt zu wissen, wogegen genau sie sich
entscheiden sollen. Umso wichtiger ist es, verstehen zu lernen, was in dieser Probierphase
denn eigentlich passiert.
Sie konnten bei den Erwachsenen und älteren Jugendlichen beobachten, wie die Zigarette
auf diese wirkt und welche veränderten Verhaltensweisen und Gesichtsmimiken davon
ausgelöst wurden. Nun scheint es, dass sie diese Wirkungen auch am eigenen Leib
empfinden wollen.
Probieren in der vertrauten Freundesgruppe
Wie geht das Probieren der ersten Zigarette(n) bei den 14-16-jährigen
Raucheneinsteiger/innen vonstatten? In welchem Rahmen passiert es? Wer ist dabei?
Welche Eindrücke empfangen sie und was lernen sie daraus?
Zunächst ist auffällig, dass das Probieren bei Madchen und Knaben gleichermaßen mit sehr
ausgewählten Personen in einem eher intimen Rahmen stattfindet.
„M2: Ich habe das erste Mal in der dritten Klasse Volksschule, glaube ich, eine
Zigarette probiert, aber das wirklich nur ausprobieren. Das war mit meiner
besten Freundin und mit meiner Schwester.“ (Simon W 70/74)
„M2: Es waren 2 Freundinnen von mir, die waren 17 damals und ich war, glaube
ich, 13. Das waren meine besten Freundinnen.“ (Lido 78/80)
„B1: Also ich weiß gar nicht was meine erste Zigarette war. Ich glaube, das war an
einem Lager, das waren glaube ich, der Clemens, der da auch hier sitzt und
ich.“ (Mattheus 18/22)
33

„B6: Bei mir war es, nach der Schule, glaube ich, auch mit einem Freund. Bei uns
sind sie draußen gestanden, also irgendwelche Typen und wir haben uns halt
gedacht, naja, es ist schon cool.“ (Mattheus 74/78)
„B3: Ich war mit einem Freund bei ihm im Keller, das ist so ein Spielkeller. Er hat
eben Zigaretten gehabt und hat gesagt, ich zeige Dir einen Trick, hat mir eine
angezündet und hat eben auch mit dem gleichen Schmäh, mit die Mami
kommt und daraufhin haben wir alle auch sehr gehustet.“ (Mattheus 147/154)
„I: Und wie war das für die anderen, war noch jemand ganz alleine, hat das noch
jemand von Euch alleine probiert? Ihr wart alle mit Freunden.
B2: Ja.
I: Und waren die älter oder gleich alt?
B2: Gleich alt.
B3: Mein Bruder war älter.
B4: Bei mir war es ein bisschen älter, ein halbes Jahr älter, aber nicht wirklich.“
(Mattheus 234/255)
„B2: Meine erste war auch mit 11. Angefangen hat es so, ich war bei mir im Park,
und da hat mein Bruder der fangt immer an, herst komm, nimm einen Zug,
nimm einen Zug. Ich so, na Oida, das schmeckt ja ur-grindig und so, hat er
mich er mich öfters angehaucht, ja, dann habe ich öfters Lungenzüge probiert,
dann bin ich mit meinen Schulkollegen nach der Schule immer normal nach
Hause gegangen. Da haben wir uns öfters anzunden, auch probiert und dann
haben wir geraucht. So ist es bei mir gewesen, ganze Geschichte.“
(Wienerberg M 54/63)
Ein gewisser Geschlechterunterschied könnte hier darin liegen, dass Mädchen die Situation
häufig noch ein wenig intimer gestalten als die Knaben, indem sie es vorzugsweise mit der
besten Freundin in einer häufig völlig abgeschlossenen Situation ausprobieren, während
Knaben einen weiter definierten Kreis von Freunden und auch eine Art Halböffentlichkeit
akzeptieren.
Aber auch vertrauensvolle Familienangehörige - zumeist ältere Geschwister - sind manchmal
beim Raucheneinstieg dabei. In jedem Fall aber muss Vertrauen zu den - meist
gleichgeschlechtlichen und meist gleichaltrigen - Anwesenden bestehen. Es ist eine kleine
verschworene Gemeinschaft, die etwas Verbotenes tut und dabei, wie noch gezeigt werden
wird, ein schlechtes Gewissen hat.
„M4: Auf jeden Fall, die Sandra, eine Freundin von mir eine gute, die hat schon
länger geraucht und irgendwie haben wir es immer probiert, aber es hat uns
nicht geschmeckt. Dann irgendwann im Sommer haben wir selber auch
angefangen dann mit ihr, aber nicht zu mehreren, nur mit der Sandra
eigentlich.“ (Trummelhof 57/62)
Neben der Intimität ist für die ersten Rauchversuche kennzeichnend, dass sie mit einer
gewissen Hochstimmung eingegangen werden. Es ist etwas Aufregendes und Spannendes,
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weil verbotenes. Es ist auch aus der Literatur bekannt, dass kleine Rechtsverletzungen von
Jugendlichen und jungen Leuten vorzugsweise in vertrauten und vertrauenswürdigen
Kreisen begangen und dann nicht als Rechtsübertretung empfunden werden, sondern als
spannend, als Abenteuer und Spaß.
Heimlich Rauchen
Da die Jugendlichen wissen, dass sie es nicht tun sollten, tun sie es im Geheimen. Sie
schotten sich für die ersten Probierversuche mit ihren Freunden ab und vollziehen das
Rauchen an Orten und zu Zeiten, an denen sie sich sicher sein können, von niemandem
gesehen zu werden, der für sie relevant ist - Eltern oder anderen Verwandte, Nachbarn,
Lehrer/innen. Die meisten Eltern der von uns interviewten Jugendlichen wissen nicht, dass
diese rauchen. Davon sind die Jugendlichen selber jedenfalls überzeugt.
„M3: Und unsere Eltern wissen es auch nicht.“ (Simon W. 385/386)
„M1: Weil ich hab doch, ich rauche nicht richtig auf offener Straße, außer halt am
Abend, wo man weiß, dass jetzt wirklich keiner da sein kann, aber ich habe
am Nachmittag doch recht Angst vor irgendwelchen Leuten“. (Simon W.
314/329)
„M2: Ja, weil wir sind immer dort, wo wir in der Nähe wohnen und dann tue ich
immer nur, ich weiß nicht, nur im Kaffeehaus und nicht auf der Straße.
M3: Es könnte meine Mutter kommen oder mein Vater.
M1: Ja, das stimmt.
I: Also, Ihr raucht dann immer so in Lokalitäten, wo es am ehesten
überschaubar ist.
M1: Ja.
M4: Im Park.
M5: Oder so auf der Straße schon auch, wo ich weiß dass mich keiner sieht-
M2: Zum Beispiel im Ersten.“ (Trummelhof 1015/1034)
Ähnlich groß ist die Angst vor nachträglicher Entdeckung wegen der unangenehmen
Gerüche. Auch diesbezüglich machen sich die Jugendlichen Sorgen und treffen
Vorkehrungen.
„M4: und wir haben uns auch irrsinnige Sorgen gemacht, dass das die Oma riecht
oder so, mit dem Zuckerl im Mund.“ (Simon W 148/151)
„M5: Bei mir, also wenn ich in der Badewanne bin oder so, dann rauche ich schon
eine und so, weil ich mir denk, sie merken es eh nicht.“ (Simon W 623/626)
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„M3: Ja, nach der Schule. Also, nicht gleich nach der Schule, weil ich doch relativ
Panik habe vor irgendwelchen Lehrern, die doch da sein könnten.
M1: Die sagen immer, gehts auf die andere Straßenseite, wenn Ihr schon rauchen
müssts.
M3: Ja, oder halt nachher dann, also, wenn man ein bisschen weggegangen ist.
Weil ich hab doch, ich rauche nicht richtig auf offener Straße, außer halt am
Abend, wo man weiß, dass jetzt wirklich keiner da sein kann, aber ich habe
am Nachmittag doch recht Angst vor irgendwelchen Leuten.
I: Also, Du machst es noch, kann man sagen, eher heimlich, das Rauchen?
M3: Im Moment ja, ich glaube, das nächste Jahr, wenn wir raus dürfen in der
Pause.
M2: Ja, wenn du 16 bist.
M3: Ja, eben, genau.“ (Simon W 307/329)
„I: Und so überhaupt, weil die rauchen zum Beispiel total offen und Du machst es
doch eher heimlich, auch bei den Lehrern und so? Gibt es da einen Grund
dafür?
M3: Ja, ich will einfach nicht, dass es die Lehrer wissen, ich weiß nicht, ich glaube
vielleicht, hab ich irgendwie Angst, dass sie dann meine Eltern anrufen, oder
es ist mir einfach teilweise unangenehm, also vor bestimmten Leuten den
Lehrern, ich weiß nicht.“ (Simon W 483/493)
Schlechtes Gewissen
Die Jugendlichen haben insgesamt in hohem Maße Angst vor Entdeckung. Das zeigt
zweierlei: einmal, dass sie wissen, dass sie nicht rauchen sollen, dass es von den
Erwachsenen nicht nur nicht gern gesehen, sondern verboten ist und dass sie im Falle der
Entdeckung mit mehr oder weniger unangenehmen Folgen zu rechnen haben. Rauchen ist
bei Jugendlichen kein sozial akzeptiertes Verhalten mehr und die Jugendlichen wissen das.
Zum andern aber zeigt die Entdeckungsangst, dass die Jugendlichen die Zigarette
mitnichten als Symbol ihrer Revolte und ihrer Unzufriedenheit den Erwachsenen
entgegenstrecken. Auch innerhalb des geheimen Zirkels behandeln sie die Zigarette nicht
als Kokarde einer verschwörerischen Gemeinschaft, die in der Verschwiegenheit dunkler
Gassen, finsterer Keller oder Parkanlagen ihrem Freiheitsdrang huldigt. Das Verbot ist nicht
der Grund, weshalb sie es tun. Das Verbot nötigt zwar zumindest anfangs zur
Geheimhaltung und vermittelt zusätzlich einen gewissen Kick, als Motiv spielt es jedoch
keine Rolle.
Es ist vielmehr so, dass die Jugendlichen selbst noch in der entlegensten, vor Entdeckung
bestens gesicherten Ecke zumeist mit einem schlechten Gewissen rauchen. Das schlechte
Gewissen lässt sich nicht aussperren, allenfalls ein bisschen betäuben oder klein reden. Hier
scheint wieder ein gewisser Geschlechtsunterschied gegeben zu sein: während die Mädchen
fast ausnahmslos über heftige Gewissensbisse bei den ersten Versuchen berichten,
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scheinen die Burschen in der – zumeist auch größeren und weniger eng befreundeten –
Gemeinschaft mit solchen Nöten ganz gut fertig zu werden. Gründe dafür könnten in den
Unterschieden zwischen der weiblichen und der männlichen Pubertät liegen, wie sie in
Kapitel 3 besprochen worden sind. Da Mädchen an der positiven Umgestaltung der
familiären Beziehungen entsprechend der veränderten Lebenslage des Mädchens
fundamental interessiert sind, geraten sie leichter mit eigenen Verhaltensweisen in Konflikt,
die diesem Ziel zuwider laufen.
„M4: Ich habe eigentlich meiner Mutti versprochen, dass ich nie zu rauchen
beginnen werde. Irgendwie habe ich, jedes Mal wenn ich rauche ein
schlechtes Gewissen.“ (Trummelhof 951/958)
„M5: Vor allem meine Mutter, meine Eltern sind voll Nichtraucher und die totalen
Anti-Raucher. Ich habe es ihnen auch versprochen, so wie bei ihr.
M6: Ich habe es auch versprochen.
M2: Ich auch.
M1: Da hat man halt schon ein schlechtes Gewissen.“ (Trummelhof 992/998)
„M4: Ich war auch dabei, wie meine Mutter meinen Bruder erwischt hat. Mein
Bruder ist älter als ich. Wie sie ihn das erste Mal rauchen gesehen hat, und
ich hab es erlebt, wie deprimiert sie war und ich habe ihr da auch
versprochen, dass ich das nie machen werde. Ich habe auch immer Angst,
wenn sie mich sieht, dass sie auch so reagieren würde. Deshalb will ich nicht,
dass sie mich sieht, ich weiß nicht.“ (Trummelhof 1007/1017)
Den jungen Mädchen geht es hauptsächlich darum, das Rauchen vor den Eltern zu
verbergen. Sie wissen, dass die Eltern es nicht begrüßen, wenn ihre "Kinder" rauchen. Die
Eltern könnten enttäuscht, deprimiert oder auf die Jugendlichen sauer sein. Darum wird die
Heimlichkeit und Intimität gewahrt.
Auch die Burschen verheimlichen es vor allem vor den Eltern, allerdings scheinen sie
zumindest, wenn sie aus Unterschicht-Familien stammen, mit härteren Sanktionen rechnen
zu müssen, falls sie erwischt werden. Obwohl es auch Eltern gibt, die ihren Kindern das
Rauchen nahezu aufdrängen – siehe Kapitel 5 -, ist das Rauchen von Jugendlichen
mittlerweile doch auch in der Unterschicht mehr oder weniger verpönt. Immerhin müssen die
Burschen aus den nachfolgenden Beispielen im Falle der Entdeckung einigermaßen mit
„Ärger“ rechnen.
„B1: Mein Vater ist LKW-Fahrer und ist mit dem LKW gefahren und ich bin mit ihm
gefahren. Er raucht und ich sitze neben ihm und er fährt nach (…), ich will
auch rauchen, aber ich kann nicht, weil ich kann nicht vor ihm rauchen, das ist
er nicht von mir gewöhnt. Da habe ich einfach Gusto. Ich habe auch genug
Geld einstecken, da kann ich welche kaufen bei der Tankstelle. Wenn er
schlafen geht, kann ich rauchen, aber ich habe gesagt nein, ich verzichte
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lieber, falls er das riecht, dann kriege ich noch mehr Ärger, deshalb habe ich
es nicht gemacht.“ (Wienerberg M 373/384)
„B6: Schon, er würde erst einmal nicht reagieren, wenn er jetzt erfahren würde in
diesem Alter, da würde er nicht so gut reagieren, das kann ich .... Es wäre
etwas anderes wenn ich 18 bin. Er würde schon auch reagieren, aber ich bin
18, ich bin volljährig nach dem neuen Gesetz.“ (WUK 1157/1161)
„B3: Ja, die wissen noch immer nichts, auch mein Bruder und meine Schwester.
Mein Bruder hat mich bei der Kreuzung erwischt. Ich wollte mir eine
anzünden, auf der Straße, ganz schwarz von der Arbeit ....Wie geht's... Der
schreit und schreit, ich sag´s meinen Eltern... sag nichts. Wenn Du nichts
sagst, sage ich meinen Eltern auch nichts.“ ( WUK 1118/1123)
Zigaretten kaufen
Um die ersten wirklich gewollten und bewusst veranstalteten Rauchversuche geheim halten
zu können, müssen die Jugendlichen Vorkehrungen treffen. Sie stellen Überlegungen an, wo
und mit wem es stattfinden soll, legen den Zeitpunkt und die Situation fest und müssen
überlegen, wie sie zu dem wichtigsten Requisit der verbotenen Szene kommen können –
Zigaretten.
Das ist im Prinzip gar nicht so einfach, wenn man keine rauchenden Eltern hat oder wenn
diese ihre eigenen Zigaretten abzählen und verstecken. Auch ältere Geschwister sind nicht
notwendigerweise eine Lösung, da sie, wie obiges Beispiel zeigt, oft noch biestiger sein
können als Eltern. Man kann auch nicht einfach in eine Tabaktrafik gehen, freundlich grüßen
und Zigaretten verlangen, da die Trafikanten ja angehalten sind, an Jugendliche unter 16
Jahren keine Tabakwaren zu verkaufen. Außerdem ist in kleineren Städten und Dörfern die
soziale Kontrolle zu fürchten, da man sich einer Trafik, die zumeist zentral gelegen sind und
kleine Kommunkationszentren darstellen, unerkannt noch nicht einmal nähern kann. Und
was schon gar nicht geht, ist, einfach bei Leuten Zigaretten zu schnorren, denn das würde
das Geheimnis lüften, noch bevor es überhaupt eines wäre.
Hier kommt nun den Jugendlichen in Österreich (und ebenso in Deutschland und in Belgien)
der Staat unseligerweise mit einem deus ex machina zu Hilfe, indem er erlaubt, dass
Zigaretten über Automaten verkauft werden dürfen, was in vielen anderen EU-Staaten aus
genau den Gründen, die hier diskutiert werden, bereits verboten ist. Wissenschaftliche
Studien belegen eindrucksvoll, dass der Zugang zur Droge Nikotin über Automaten einen
entscheidenden Einfluss auf die Raucherprävalenz bei Jugendlichen hat (vgl. u.a. Dür et al.
2001, Currie et al. 2001).
38

„B1: Also, eben nachdem ich mit diesem Freund in Kärnten war und wir dort
unsere erste geraucht haben oder unsere ersten zwei oder so, sind wir
einmal, wie wir wieder in Wien waren natürlich, zum Automaten gegangen und
haben uns gemeinsam eines [ein Packerl] gekauft, so ganz schnell: ist
niemand da? habens ganz schnell eingesteckt und sind dann weggerannt“.
(Simon M 403/417)
Es ist ein Indikator für das Anfangsstadium des Raucherdaseins, dass das Rauchen in einer
breiten Öffentlichkeit vermieden wird und nur in einer eingeschränkten Öffentlichkeit
geraucht wird. Mit dem Kauf von Zigaretten muss nun nicht nur die Tat, sondern auch das
Corpus delicti geheim gehalten werden.
„B2: Das haben wir bei mir aufbewahrt, in so einer grünen Schachtel, so versteckt,
bei mir, urgeheim gehalten noch. Einmal in der Woche ist dann der Richard,
also mein Freund, zu mir gekommen, dann sind wir immer bei mir auf die
Terrasse gegangen und haben so cool eine geraucht.“ (Simon M 403/417)
Schmerzen und Ekel
Bei den meisten jungen Erwachsenen ist der Beginn des Rauchens keinesfalls so positiv wie
erhofft oder erwartet. Die ersehnte Coolness, Entspannung oder ähnliche Wirkungen bleiben
aus, stattdessen ist ihnen das Rauchen noch ein Graus und sie müssen Techniken erlernen,
etwa den Lungenzug, um erst noch auf den Geschmack zu kommen. In der Regel ist der
Beginn des Rauchens daher mit einem unerwartet grauslichen Geschmack verbunden und
die Jugendlichen benötigen Hilfsmittel, damit umzugehen: sie konsumieren
wohlschmeckende Genussmittel wie Kaugummi dazu, um den schlechten Geschmack zu
übertünchen. Es dauert einige Zeit, bis man sich an den Geschmack gewöhnt hat. Diese Zeit
sind aber die meisten bereit, der Zigarette einzuräumen.
„M3: Also der erste Zug ist wirklich grauslich, ich weiß nicht, das ist so ein
komischer Geschmack, das kann ich gar nicht beschreiben. Die meisten
husten. Es ist ein komisches Gefühl muss ich sagen eigentlich, aber nach
einiger Zeit, gewöhnst Dich dann dran.“ (Matadora 66/70)
„M1: Es war ein grauslicher Geschmack, dann habe ich einen Kaugummi
gegessen, dann war´s wieder weg.“ (Lido 141/145)
Zumeist sind die schlechten Erfahrungen mit den ersten Zigaretten nicht nur
geschmacklicher Natur. Viele Jugendliche durchleben richtige körperliche Schmerzen am
Beginn ihrer Raucherkarriere. Rauchen führt zu Übelkeit, Kopfweh, Magenschmerzen und
Schmerzen in der Lunge. Diese Wirkungen zeigen, dass die Jugendlichen noch nicht richtig
rauchen können. Sie kennen weder die Wirkung noch die Grenzen des Genusses.
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„M3: Ich habe einfach einen irrsinnig festen Zug genommen und das hat mir richtig
weh getan in der Lunge und deswegen fand ich es irrsinnig grauslich.“ (Simon
W 1032/1035)
„M3: In den ersten zwei Monaten, wo ich dann richtig geraucht habe, da habe ich
dann wirklich schon manchmal Magenkrämpfe gehabt, da war mir manchmal
schon wirklich schlecht bevor ich heimgegangen bin, weil ich eben zu viel
geraucht habe, auch für den Anfang.“ (Lido 277/281)
„I: Und was bewirkt so eine Zigarette bei Euch. Wenn Ihr jetzt so zusammensitzt
und alle eine raucht?
M2: Kopfweh.
M1: Nein, Entspannung.
M3: Aber wenn man weggeht und ein bisschen etwas trinkt am Abend-
M6: -und zu viel raucht, dann ist einem schlecht.
M3: -und dann wird einem schlecht, --- urschwindlig.
M7: Mir wird auch ur-schlecht.
M2: Ja, wirklich.
M3: Und Ur-Kopfweh.“ (Trummelhof 1266/1278)
Im Regelfall schmeckt die Zigarette am Anfang zwar ganz und gar nicht gut und sie löst auch
nicht die erwarteten Wirkungen aus, sie erzeugt aber auch nicht immer Übelkeit und Ekel.
Bei manchen stellt sich von Beginn an die Faszination ein, die schon Jean Paul Sartre dem
Rauchen abgewinnen konnte, indem er es als Inbegriff einer existentialistischen Erfahrung
rühmte, die darin bestehe, dass man sein Sein mit Nichts fülle und dadurch der Wahrheit des
Sein in einer nihilistischen Zeit näher komme.
„I: Hast Du es dann gleich von der ersten Zigarette an gut gefunden?
M2: Ja.
I: So vom Geschmack her?
M2: Ja, ich fand das ist ein irrsinnig, ich fand, ja gut, es ist nicht gerade wie eine
Süßigkeit, das kann man nicht sagen, so kann man es nicht vergleichen, aber
ähm ich finde es schmeckt schon gut. Ich mein, es ist einfach so ein man hat
nichts im Mund und man hat irgendwie trotzdem was. Also, es ist irgendwie
komisch zu beschreiben, aber beim Essen ist es halt so, da bist Du dann halt
voll oder es kann sein irgendwie, dass Du dann zu viel gegessen hast oder so
und bei einer Zigarette ist das halt nicht, weil Du halt, ich finde, das hat
irgendwie auch was, Du hast nichts im Mund und trotzdem spürst Du es aber.
I: Mhmm. Was spürst Du?
M4: Den Rauch.
M2: Ja, den Rauch und am Anfang eben auch das Nikotin.“ (Simon W 1043/1069)
Es ist bekannt, dass ein großer Teil der Jugendlichen das Rauchen nach den ernüchternden
Erfahrungen des Anfangs wieder aufgibt. Immerhin haben 75% der 15-jährigen Mädchen
und Burschen in Österreich das Rauchen schon einmal probiert, und zwar im Sinne dieser
hier diskutierten Stufe der Raucherkarriere, in der es nicht um das einmalige Nehmen eines
Zuges bei einer angebotenen Zigarette irgendwann einmal im Lauf der schulischen
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Entwicklung geht, sondern um das Rauchen ganzer Zigaretten ein oder wiederholte Male.
Von diesen 75% haben sich aber „nur“ 29% zu täglichen, 12% zu wöchentlichen und 19% zu
gelegentlichen Raucher/innen entwickelt. Das lässt sich der HBSC-Studie der WHO
entnehmen (vgl. Dür et al. 2002). Anders gesagt: von den Jugendlichen, die diese zweite
Stufe der Raucherkarriere erreichen, steigen 40% wieder erfolgreich aus und beenden ihr
Raucherdasein. Nach allem, was die Jugendlichen von den ersten Raucherfahrungen
berichteten, ist deren Entscheidung nur allzu leicht nachvollziehbar. Schwieriger zu
verstehen sind die anderen, die weitermachen.
Die interessante Frage ist daher, warum es die Jugendlichen weiter probieren, wenn es nicht
schmeckt und die erwartete Wirkung nicht eintritt. Wie schaffen sie es schließlich, die
Zigarette als Genussmittel zu erfahren?
41

4.3 Stufe drei: Wiederholtes Probieren in subkulturellen Kontexten
Die Jugendlichen erkennen, dass die erwartete Wirkung nur dann einsetzt, wenn man
„richtig raucht“, dass man also rauchen erlernen muss. Sie suchen die Nähe von
Rauchern und Raucherinnen. Damit veröffentlichen sie zugleich ihr Rauchinteresse
und ihr Rauchverhalten.
Jene Jugendlichen, die nicht schon nach der ersten Zigarette zu der Erkenntnis gelangt sind,
dass Rauchen nichts für sie ist, probieren es nun weitere Male. Es stellt sich die Frage,
warum sie das tun: warum greifen die jungen Erwachsenen immer wieder zur Zigarette,
obwohl die erhofften Wirkungen ausbleiben und gänzlich unerwartete oder jedenfalls
unerwünschte Wirkungen wie Schmerz und Ekel einsetzen? Es scheint dies eine sehr
sensible und wichtige Übergangsphase zu sein, die möglicherweise völlig neue Optionen für
präventive Interventionen eröffnen kann.
Wie genau und unter welchen sozialen Rahmenbedingungen vollzieht sich der Übergang
vom jugendlichen „Probier-Raucher“ zum „Wirkungs-Raucher“, zu einem Raucher, der die
Wirkungen der psychoaktiven Substanzen wahrnehmen und abrufen kann? Anders gefragt:
wie lernen junge Erwachsene die Zigarette schmerzfrei zu benutzen und mit bestimmten
Gefühlen oder Stimmungen zu verbinden?
Thesenhaft kann formuliert werden, dass Jugendliche den Anschluss an rauchende
Subkulturen suchen, um das Rauchen zu erlernen. Im Zuge dessen heben sie die Diskretion
um ihr unerlaubtes Rauchen auf, indem sie sich rauchend in der Öffentlichkeit bzw. vor
anderen bekannten und unbekannten Personen präsentieren. Der Anschluss an die Raucher
und Raucherinnen ist relativ einfach, da Raucher in der Umwelt der jungen Erwachsenen als
Freunde, Bekannte, Eltern und Peers allgegenwärtig sind. Der konkrete soziale Anschluss
erfolgt zunächst durch Schnorren.
Schnorren von Zigaretten als Form des Anschlusses an Raucher
Am Beginn der Raucherkarrieren besteht ein Hauptproblem darin, wie der Bedarf an
Zigaretten gedeckt werden kann. Immerhin ist der Kauf von Zigaretten für viele altersbedingt
noch nicht erlaubt oder aber es ist mit sozialen Unannehmlichkeiten verbunden, die zunächst
nicht in Kauf genommen werden. Darüber hinaus spielt die finanzielle Seite eine bedeutende
Rolle. Die Lösung des Problems ist zunächst das Schnorren von Zigaretten. So antwortet ein
Mittelschichtmädchen auf die Frage, wie sie ihre Zigaretten beschafft:
42

M1: Ja, wenn ich losrenn in der Pause, jeden Mensch, den ich kenne, der raucht
fragen, hast Du eine Zigarette für mich?“ (Simon W 644/646)
Dass dieses Mädchen vor allem Bekannte anspricht, ist eher als Ausnahme zu betrachten.
Denn tendenziell werden Fremde bevorzugt, um die eigenen Freunde zu „schonen“, selbst
dann, wenn die Jugendlichen aus wohlhabenderen Schichten stammen.
„I: Wo und bei wem schnorrt Ihr dann?
M4: In Notsituationen bei allen.
M2: Ja, das stimmt.
M4: Ich schnorre eher mehr so von fremden Leuten, eben Jugendliche
hauptsächlich eigentlich. Also nicht Leute mit Kindern, schnorr ich ungern an.
M1: Ja, Leute mit Kinder schnorre ich auch nicht gern an.
M4: Oder Ältere.
M1: Und irgendwelche Prolos? Schnorrt man schon viel an, oder, die geben auch
viel.“ (Simon W 776/810)
„I: Aber zum Beispiel, wenn Du sagst, Du hast nie Zigaretten oder selten. Wie
kommst Du dann zu deinen Zigaretten?
(Gelächter)
M1: ‚Entschuldigung, haben Sie vielleicht noch eine Zigarette?’
M2: Also einfach Leute anschnorren.
I: Ja? Wie machst Du das zum Beispiel?
M2: Das ist eigentlich einfach, oder?!
M3: Also, bei Freunden, möglichst wenig. Ich mein, tue ich natürlich auch, aber ich
versuche möglichst wenig von den Freunden anzuschnorren, eher bei
Fremden.
M2: Ja.” (Simon W 688/704)
Bei jungen Männern wird diese soziale Grenze auf sehr viel deutlichere Weise kommuniziert.
„B1: (der X) hat auch immer Zigaretten, aber meistens immer verschiedene.
Meistens gibt er mir eine, schimpft zwar, du Arschloch, und gibt mir dann doch
eine.“ (Simon M 1093/1096)
Freunde, die dennoch regelmäßig schnorren, sind „Oberschnorrer“ (Simon M 1072f). Im
Gegenzug bezeichnen sich die sogenannten „Herschnorrer“, also jene, die Zigaretten zur
Verfügung stellen, als „Schnorrervater“ (Wienerberg M 1144f), „Schnorrerpapst“ (Wienerberg
M 1144f) oder „Schnorrergott“ (Wienerberg M 1186f).
Schnorren ist aber nicht nur ein Weg, um den Zigarettenbedarf zu decken, sondern ebenso
sehr ein soziales Spiel, das den Jugendlichen untereinander, aber auch gegenüber Fremden
und neuen Bekanntschaften interessante und teils überraschende Handlungsmöglichkeiten
eröffnet, und zwar in Situationen, in die sie ohne Schnorrverhalten vielleicht gar nicht so
leicht geraten würden.
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„M4: Weil oft lernt man durchs Schnorren auch ur-lustige Leute kennen, mit denen
man einfach irgendwie ins Gespräch kommt.
I: Kommt das öfter vor, dass Ihr danach dann mit denen in Kontakt kommt?
M1: Nein, nein, nicht dass wir mit ihnen in Kontakt treten, aber einfach, dass wir an
einem Abend mit denen reden.
M4: Ja.
M2: Ja, genau eher so für einen Abend, das ist aber eh nicht so auf der Straße,
sondern halt dann eher, wenn man zum Beispiel im Burggarten ist oder so
etwas, da sind halt dann halt überall die kleinen Gruppen und Du gehst halt
hin und fragst halt, ob Du eine Zigarette haben kannst und setzt Dich vielleicht
dazu oder irgend so etwas.“ (Simon W 847/865)
Im Sinne der Bedarfsdeckung ergeben sich für die Jugendlichen dann auch Fragen nach der
Vorratshaltung bzw. nach dem Übertauchen von „Durststrecken“. Darin drückt sich aus,
dass die Jugendlichen in dieser Phase bereits eine konkrete Rauchintention ausgebildet
haben und das Rauchen nicht mehr von der zufälligen Verfügbarkeit von Zigaretten
abhängig machen. Sie sind also nicht mehr die neugierigen „Erstprobierer“ und auch nicht
gelegenheits- bzw. versuchungsbedingte Raucher/innen, sondern behandeln Rauchen
bereits als voraussehbaren Bestandteil ihres Freizeitverhaltens.
„M1: Wenn man weiß, man geht lange irgendwo nach Hause, entweder schauen,
dass man irgendwo ein Packerl das Geld für ein Packerl zusammenkriegt oder
vielleicht auf Vorrat schnorren.
M2: Ja, genau, einfach so 5 Stück oder so auf einmal halt irgendwie von den
verschiedensten Leuten, weil da halt gerade mehr sind und dann wenn Du
weißt, am Heimweg sind so wenige Raucher oder so.
M1: Ja und immer: auf welchen Weg glaubst du gibt's mehr Leute zum
anschnorren.“ (Simon W 776/810)
Einüben des Rauchens im Freundeskreis
Die ersten Raucherfahrungen sind für eine gewisse Zeit mehr oder weniger ohne große
Probleme durch Schnorren möglich. Will man jedoch die Rauchenexperimente auf
zuverlässige Beine stellen, muss der Nachschub an Zigaretten gewährleistet sein. Das
weitere Experimentieren findet nun in einer intimen Situation mit Freunden statt. So ist das
Zusammensein mit einer Freundin im nachstehenden Beispiel Bedingung für das Anzünden
einer Zigarette.
„M2: Also bei mir war es eben nicht so, weil ich immer eben mit einer Freundin
zusammen die Packung gekauft habe. Ich war am Anfang meistens zu zweit
mit irgendeiner guter Freundin von mir. Und es ist erst dann irgendwie dazu
gekommen.“ (Simon W 1257/1262)
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Im folgenden Beispiel suchen die Jugendlichen immer wieder eine bestimmte Situation mit
neuen, spendablen Freunden auf, von denen sie annehmen können, dass sie mit Zigaretten
versorgt werden.
„M4: Dann haben wir neue Leute kennen gelernt. Die haben uns immer wieder eine
Zigarette angeboten und so ist es halt irgendwie zur Angewohnheit
geworden.“ (Trummelhof 23/26)
Durch Wiederholungen ergibt sich mit der Zeit ein ritualisierter Umgang im Kreis ebenfalls
rauchender Freunde, die sich als Gruppe abschließen. Als Beispiel dafür kann eine Gruppe
von Burschen aus unteren Schichten dienen.
„B1: Wenn wir uns treffen, kommen wir immer mit der Zigarette. Wir treffen uns
meistens im Keppler-Park, so um eine bestimmte Uhrzeit, so meistens
zwischen 2 und 4 Uhr und jeder hat auch meistens ein eigenes Packerl und
hat schon die Zigarette im Mund. Dann gehen wir meistens fort.“ (Wienerberg
M 544/553)
Es hat bei dieser Gruppe den Anschein, als sei das Treffen speziell zum Zwecke des
Rauchens verabredet worden. Wie in Erfüllung der Verabredung erscheinen die Mitglieder
bereits mit der Zigarette im Mund. So informell die Verabredung auch sein mag, ist sie doch
fast wie ein Geschäftstermin geplant, indem Ort, Uhrzeit und weitere Vorgangsweisen
vorgegeben sind. Die Gruppe trifft sich also nicht zufällig und nicht an einem beliebigen Ort,
sondern in einem öffentlichen Park, der verschiedenste Möglichkeiten zum Rückzug bietet.
Zugleich kann man daher logisch rekonstruieren, dass die Mitglieder der Gruppe vordefiniert
sind, andernfalls wäre eine Verabredung ja nicht möglich. Man kann in dieser klaren
Definition auch eine Form der Abschottung sehen, um nicht von unerwünschten Teilnehmern
gestört und nicht von ungewollten Beobachtern gesehen zu werden. Es zeigt sich darin die
subkulturelle Ausprägung des Rauchrituals.
Die gewählte Uhrzeit des Treffens ist als Freizeit definiert, was ihnen genug Zeit lässt, zuerst
ihren Verpflichtungen (ob Schule oder Arbeit) nachzukommen. Die vorgeführte Rauchszene
ist frei von den Zwängen des Alltags und bietet die Möglichkeit zum Experiment, das in
ritualisierter Weise als Teil des Tagesablaufs wiederholt wird.
Das Erscheinen der Zigarette im Mund lässt sich zumindest dahingehend deuten, dass das
Rauchen nicht als ein quasi zufälliges Verhalten irgendwann im Verlauf des Zusammenseins
auftritt, sondern der heimliche Zweck des Treffens ist. Wie eine Erkennungsmarke oder ein
bestimmtes Werkzeug scheinen die Burschen die Zigarette im Mund zu tragen.
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In einem anderen Beispiel findet das Ritual mit nur leichten Abweichungen statt. Es sind in
diesem Fall Mädchen aus Oberschichtfamilien, die sich auf ganz ähnliche Weise mit ihren
Freundinnen in einem Park treffen.
„M1: Es fragt meistens eigentlich immer jemand. Es nimmt eine die (Zigaretten
Anm.) raus und dann fangen alle an, kannst Du mir eine Zigarette geben oder
hast Du noch eine Zigarette und dann rauchen eh eigentlich alle.“
(Trummelhof 1187/1217)
Regelmäßiger Kauf von Zigaretten
Je höher die jungen Erwachsenen die Raucher-Karriereleiter hinauf klettern, desto
unabwendbarer ist es aufgrund des erhöhten Bedarfs, sich mit eigenen Zigarettenpackungen
auszustatten. Dieser Punkt ist erreicht, sobald die Jugendlichen mehr rauchen wollen, als
ihnen Zigaretten angeboten werden. Einerseits empfinden sie das Gefühl sich für erhaltene
Gaben revanchieren zu müssen und empfinden weiteres Schnorren als unangebracht,
andererseits werden ihnen mit der Zeit auch Zigaretten verweigert. Mit dem regelmäßigen
Kauf von Zigaretten bereitet der Jugendliche seine Identität als Raucher oder Raucherin vor.
So erleben sie diesen Schritt als den eigentlichen Anfang ihrer Karriere.
„M1: Dann irgendwann einmal war es, dann habe ich mir schon Packerln gekauft
und so war es dann. So hat das angefangen, so richtig zum Rauchen.“ (Simon
M 176/179)
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4.4 Stufe vier: Problemrauchen
Erst im Kontext von Problemen und bei depressiver Gemütslage oder aufgestauten
Aggressionen lernen die Jugendlichen die Wirkung der psychoaktiven Substanzen zu
erkennen.
Wie genau und unter welchen sozialen Rahmenbedingungen vollzieht sich der Übergang
vom jugendlichen „Probier-Raucher“ zum „Wirkungs-Raucher“, zu einem Raucher, der die
Wirkungen der psychoaktiven Substanzen wahrnehmen und abrufen kann? Anders gefragt:
wie lernen junge Erwachsene die Zigarette schmerzfrei zu benutzen und mit bestimmten
Gefühlen oder Stimmungen zu verbinden?
Eine erste Antwort lautet: das wiederholte Probieren findet irgendwann unter anderen
sozialen Bedingungen statt wie das Ausprobieren der ersten Zigaretten. Während das
Ausprobieren zumeist in eigens für die Zigarette herbeigeführten, heimlichen, subkulturellen
Situationen stattfinden, in welche die Jugendlichen eher hochgestimmt hineingehen, werden
die weiteren Rauchversuche in eher alltäglichen Situationen unternommen, etwa nach der
Schule, in denen die Jugendlichen auch mit flacheren oder sogar gedrückten Gemütslagen
rauchen. Der Unterschied liegt vor allem in der Stimmungslage: es scheint so zu sein, dass
die Wirkungen der psychoaktiven Substanzen in der Zigarette leichter empfindbar und
wahrnehmbar sind, wenn man aufgrund akuter, vorlaufender Ereignisse negativ erregt,
aufgewühlt, gestresst, beunruhigt, deprimiert oder sonst wie stimmungsmäßig beeinträchtigt
ist. Unter Normalbedingungen kann die Zigarette ihre Wirkungen zunächst nur schwer
entfalten, da die Zigarette ein bereits vorhandenes Hochgefühl nicht mehr wesentlich
steigern kann. Unter der Bedingung einer Problemsituation jedoch ist das wahrnehmen der
Wirkung leichter. Erst in diesen Situationen lernen die Jugendlichen allmählich zu empfinden,
welche Wirkungen die Zigarette haben kann.
Probleme bleiben in der Pubertät nicht aus. Die Pubertät mit ihren Veränderungen verläuft
für die jungen Mädchen und Burschen in den seltensten Fällen gänzlich ohne alle Probleme,
wobei die Probleme für die beiden Geschlechter teilweise durchaus unterschiedlich sind.
Bei den Mädchen geht es mehr darum, mit sich selbst klar zu kommen, die Veränderungen
des Körpers, das Angebot einer weiblichen Identität und das Auftauchen der in
gesellschaftlicher Hinsicht schwierigen Frauenrolle zu bearbeiten. Mädchen sind daher eher
mit sich selbst beschäftigt und machen sich über sich selbst am meisten Sorgen. Bei den
Burschen hingegen ist es das vorrangige Ziel, mit ihrer sozialen Umwelt zurechtzukommen,
47

die ihnen vor allem als „ihr“ Problem erscheint. Das Hauptproblem der Mädchen in der
Pubertät liegt daher eher darin, wie sie von der Umwelt wahrgenommen werden und wie sie
mit Peinlichkeiten umgehen sollen, die im Angesicht anderer – vor allem gegenüber den
Burschen - entstehen. Die Jungen hingegen stellen weniger sich selbst in Frage, sondern
müssen sich mehr mit ihrer sozialen Umwelt auseinandersetzen, von der sie ihre persönliche
Autonomie gefährdet sehen.
Die Zigarette bietet beiden Geschlechtern in gleicher Weise eine Form von Tröstung an.
Umgang mit negativen Gefühlen
Die Jugendlichen sind in der schwierigen Phase der Pubertät mit vielen negativen Gefühlen
belastet. Sie sind aufgewühlt und aggressiv, niedergeschlagen und depressiv oder kommen
mit ihren Herausforderungen nicht zurecht. Die Zigarette erhält in diesen Situationen ihre
Funktion als „Psychologe“, wie das von einem Mädchen beschrieben wird:
„M2: Ja, man kann auch die Probleme oder den Stress mit anderen Sachen lösen,
aber wenn Du jetzt müde bist und du willst voll nicht Fußball oder Volleyball
spielen, dann nimmst Du Dir eine Zigarette.
M1: Oder mit einem anderen reden darüber. Denkst Dir, nein, habe heut keine
Lust, nehme ich mir halt eine Zigarette. Zigarette ist irgendwie, wie ein
Psychologe.“ (Wienerberg W (470/476)
Dabei geht es bei den negativen Gefühlen um durchaus ernste und sehr belastende
Zustände. Beispielhaft seien einige Aussagen wiedergegeben, die das zum Ausdruck
bringen.
„M1: Und wenn es mir wirklich ur-scheiße geht und ich ur-deprimiert bin, dann
rauche ich halt auch selber und setze mich irgendwo hin, höre Musik und
rauche eine.“ (Trummelhof 1288/1292)
„B2: Wenn man depressiv ist.
B5: traurig ist oder so einen Scheiß oder bei Liebeskummer
B2: ... und so. Ja, es beruhigt einen wirklich, weil man kommt von den ärgsten
Gedanken davon. Es beruhigt einen und man denkt dann an etwas ganz
anderes. Was auch schön ist.“ (Wienerberg M 614/638)
„M1: Oder wenn man ziemlich aufgeregt ist ...zur Beruhigung eine Zigarette. Ich
meine, es hilft vielleicht nicht wirklich, vielleicht bildet man sich das nur ein,
aber –
M4: Es ist angenehmer“. (Trummelhof 635/640)
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„M1: Es beruhigt mich immer wieder, wenn ich eine Zigarette rauche.“ (Lido
470/472)
„M4: Einfach dass man wieder die Fassung bekommt und wieder wieder hinkommt
ist“. (Lido 616/619)
Aber nicht nur depressive Zustände sind eine notwendige Ausgangsbedingung, um die
psychoaktive Wirkung der Zigarette kennen zu lernen. Es genügt häufig auch schon eine
flache Stimmungslage, wie sie im Zustand der Langeweile und Fadesse gegeben ist. Über
Langeweile finden vielleicht eher Oberschicht-Jugendliche Zugang zum Rauchen, dennoch
geben wir auch ein Beispiel von einem Mädchen aus Unterschichtverhältnissen, das bereits
im Arbeitsleben steht. Beide klagen letztlich über Unterforderung.
„M1: Ja, wenn Dir fad ist, dann rauchst Du Dir einfach eine Zigarette an. Und da
sitzt Du da in der Pause und denkst Dir, super, was mache ich jetzt, will ich
eine rauchen, dann wären 10 Minuten ur-schnell um. Wenn Du keine rauchst,
sitzt Du da und schaust und die Zeit vergeht nicht. Das ist ur-anstrengend.“
(Matadora 306/311)
„M1: Ich glaube, wir rauchen vor allem aus Langeweile, weil wir rauchen wenn uns
fad ist.
Lachende Zustimmung: das stimmt.
M1: Wir essen auch aus Langeweile!
(Lachen)
M1: Gott, ist uns fad.“ (Simon W 842/845)
Die Jugendlichen lernen die Zigarette in solchen Kontexten als „Problemlöser“ kennen. Am
Beginn sind sie dabei bereit, die negativen Wirkungen des Rauchens noch in Kauf zu
nehmen, später empfinden sie diese nur mehr bei zu extensivem Genuss. Sobald sie den
Hauch einer positiven, quasi problemlösenden Wirkung erfahren haben, verstärkt das ihr
Verlangen nach einer Zigarette in allen Situationen, in denen ihre Stimmungslage gefährdet
ist nach unten zu kippen. Damit ist ein sich selbst verstärkender Zirkel etabliert, der aus den
Lebensverhältnissen der Jugendlichen nur ausreichend mit Problemen versorgt werden
muss, um sich stetig zu steigern. Verkürzt gesagt: je mehr Probleme, desto mehr Zigaretten;
je mehr Zigaretten, desto besser erkennen sie deren günstige Wirkung.
Die Zigarette bewirkt, dass der stimmungsmäßig gefährdete inneren Frieden wieder
hergestellt wird.
„I: Was bewirkt die Zigarette?
M1: Inneren Frieden“ (Trummelhof 622/624)
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In anderen Formulierungen wird diese Wirkung weniger hochtrabend als Abgrenzung
gegenüber der Welt, Konzentration auf sich selbst und Wiederherstellung der Denkfähigkeit
beschrieben. Die Zigarette macht Probleme unwichtig, wodurch man sich wieder sich selbst
und seinen Gedanken zuwenden kann. Interessant ist auch, dass man sich auf diese
Wirkung verlassen kann, obwohl man gar nicht zu wissen muss, dass sie von der Zigarette
herrührt.
„I: Und was bewirkt dann die Zigarette bei dir?
M6: Ich weiß nicht, da ist mir dann alles egal und das ist irgendwie so, da kann
man nachdenken und - ich weiß nicht was es bewirkt.“ (Trummelhof
1296/1301)
Man braucht also nicht zu wissen, wie die Wirkung entsteht, Hauptsache sie setzt ein. Damit
ist im weiteren ein relevantes Problem verbunden: indem die Jugendlichen die Wirkungskette
ausblenden, schreiben sie das Erringen der inneren Ruhe, der Konzentration auf sich selbst
und die Herstellung einer gelassenen Grundhaltung eben auch nicht den psychoaktiven
Substanzen zu. Das erschwert im Weiteren natürlich einen sozusagen vollbewussten
Umgang mit der Zigarette und eine reflektierte Entscheidung für oder gegen sie. Auch ist es
aus Sicht der Prävention schwierig, den Punkt genau zu benennen, an dem wirkungsloses
Proberauchen in Wirkungsrauchen umschlägt.
Umgang mit dem anderen Geschlecht
Eine der wichtigsten Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz ist die Fähigkeit, zum anderen
Geschlecht eine tragfähige soziale Beziehung aufzubauen. Da dies mit Schwierigkeiten und
Peinlichkeiten verbunden ist, die bei den Jugendlichen Unbehagen auslösen, hat die
Zigarette auch in diesem Kontext eine wichtige Funktion. Häufig bietet sie schon beim
Kennen lernen einen unpeinlichen Einstieg, indem sie einen Kommunikationsanlass eröffnet.
„M2: Ich habe den Dominik durch sie kennen gelernt, wegen dem Motorrad. Dann
habe ich ihn später gefragt, um eine Zigarette, ja, es ist eigentlich immer nur
eine Zigarette, er fragt mich, ich frage ihn, naja.
I: Also, dass Du ihn kennen gelernt hast, ist über Zigaretten gegangen?
M2: Durch Zigaretten. Wenn es die Zigaretten nicht gäbe, dann wäre es (?)
M1: Zigaretten sind irgendwie nützlich.“ (Wienerberg W 906/916)
„M1: Na zum Beispiel, Du bist in einen ur-verschossen und Du traust Dich ihn nicht
anzusprechen, dann fragst Du ihn einfach, ob er eine Zigarette hätte. Wenn er
sagt, nein, ich bin Nichtraucher, ja schön und gut, dann quatscht halt ein
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isschen mit ihm. .. ja, danke, wie heißt Du und bla, bla, bla und dann traust
Du Dich eher mehr zu sprechen.“ (Wienerberg W 921/926)
„I: Was macht Ihr denn, wenn Ihr einen Mann ansprechen wollt, der Euch gut
gefällt? Ihr seht einen, ihr kennt ihn vielleicht auch schon, er gefällt Euch?
M1: Du schnorrst ihn um an tschick.“ (Matadora 1014/1018)
„M1: Ja, man fragt zum Beispiel nach einem Feuerzeug oder sie kommen her und
fragen nach einer Zigarette. Irgendwie fragt dann meistens einer von den, also
entweder wir oder die Burschen, ob wir nicht ins Segafredo oder so was."
(Trummelhof 1133/1152)
„M1: Ich bin so mit Freundinnen so zusammen gestanden und es kommt ein Junge,
der tanzt so ur-peinlich, der kommt so her, hast Du eine Zigarette.
M1: Und ich habe ihm eine Zigarette gegeben, dann so, danke... (lachen).
I: Also, der wollte nur die Zigarette von Dir und dann war er wieder weg?
M1: Ja, eigentlich schon, aber es sollte, glaube ich, eine Anmache werden.
M5: Oder manche kommen mit dem Feuer her oder so.
M6: Feuer suchen wir aber auch andauernd, überall.“ (Trummelhof 363/414)
Auch der weitere Kommunikationsverlauf wird von Zigaretten begleitet und erleichtert. So
etwa kann die Zigarette sogar helfen, das Tanzen vor Peinlichkeit zu bewahren, und
ermöglicht dem Mädchen in folgendem Beispiel mitzumachen.
„M1: Es ist irgendwie angenehm etwas in der Hand zu haben. Wenn man das
gewöhnt ist, dann will man so etwas in der Hand haben.
M2: Vor allem beim Tanzen. Wenn man so rumsteht. Ja, man weiß nicht, was man
mit den Händen machen soll. Dann hat man die Zigarette und dann geht es
besser.
M3: Ja.
M4: Ich rauche nicht wegen dem Tanzen, nur- (lachen.)“ (Trummelhof 276/283)
Es muss offen bleiben, inwieweit die psychoaktive Wirkung der Zigarette tatsächlich
verantwortlich dafür ist, dass das Mädchen auf der Tanzfläche eine nach eigener
Empfindung unpeinliche Figur machen kann, oder inwieweit die Zigarette hier als Accessoire
eingesetzt wird und allein schon durch die ästhetische Wirkung das Selbstbewusstsein des
Mädchens stärkt. Wenn man sich indessen fragt, ob die Zigarette durch einen anderen
beliebigen Gegenstand ersetzbar wäre, der die gleiche Wirkung erzeugen könnte, drängt
sich doch die Vermutung auf, dass die psychoaktive Wirkung in dieser Szene nicht
wegzudenken ist. Man könnte den angefangenen Schlusssatz des Zitates folgendermaßen
ergänzen: Ich rauche nicht wegen dem Tanzen, nur – wenn ich rauche, fühle ich mich dabei
leichter und wohler.
Auch für die Burschen spielt die Zigarette eine wichtige Rolle beim Aufbau von Beziehungen
zu Mädchen. Entweder die Burschen landen nicht (gleich) bei ihrer Herzdame oder werden
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von eben dieser nach Beginn einer Beziehung wieder abserviert, alles Verhalten von
Mädchen, das Zweifel am Zustandekommen und Aufrechterhalten einer Beziehung zulässt,
kann ein triftiger Grund für die Burschen sein, zur Zigarette zu greifen. Jede kleinere oder
größere Frustration im Umgang mit Mädchen wird durch Rauchen bearbeitet, jeder Hauch
von Misserfolg im Verhältnis zu den Erwartungen an die eigene Attraktivität für das andere
Geschlecht erzeugt Stimmungen, die so unangenehm sind, dass sie mit einer Zigarette
vertrieben werden müssen. Denn, wie das von vielen Burschen auf verschiedene Varianten
gesagt worden ist, diese erzeugt eine männliche Art von Tröstung – ein Trost ohne vorher
Verletztheit eingestehen und zeigen zu müssen.
„B1: Zigarette braucht man auch, finde ich, deswegen, weil wenn jetzt das
Mädchen sagt, ich brauch die net, wos wüst von mia, dann ist man, glaube
ich, irgendwie enttäuscht und dann hat man gleich die Zigarette als Tröstung.“
(Wienerberg M 877/880)
„B3: auf jeden Fall, wenn man jetzt ein Mädchen anspricht und man hat eine
Zigarette und sie sagt, kein Interesse, sagt man okay, geht man, halt dann ist
man irgendwie enttäuscht und dann hat man gleich eine Zigarette als
Tröstung.“ (Wienerberg M 884/888)
Mädchen, insbesondere aus Unterschichtfamilien, bringen die Zigarette ganz explizit und in
viel stärkerem Ausmaß als Burschen mit ihren unerfüllten Wünschen das andere Geschlecht
betreffend in Verbindung, und zwar umso mehr, je enttäuschender sie ihr reales Leben
empfinden. Die Zigarette löst in diesen Fällen kein Problem, aber sie kann helfen, die
unangenehmen Gefühle zu überspielen, die von alltäglichen Frustrationen ausgehen. Auch
hier lernen die Mädchen also die Wirkung der Zigarette dann am ehesten und am besten zu
erfahren bzw. zu unterschieden, wenn der Frust gerade wieder einmal am größten ist.
Sehr eindrucksvoll wird das von einer Mädchengruppe im Interview ausgeführt. Auf die
Frage, was passieren müsste, wie sich ihr Leben ändern müsste, damit sie mit dem Rauchen
wieder aufhören könnten, setzen sie ihrem realen Leben die Traumwelt aus dem Buch „Der
Herr der Ringe“ entgegen, in der die positive Geisterwelt der Elben für Lebenszufriedenheit
sorgt. Einem Elben würden sie folgen.
„I: Kannst Du Dir irgendwas vorstellen, was es Dir erleichtern würde aufzuhören?
Gibt es irgendetwas, kannst Du irgend etwas phantasieren, was es Dir leichter
machen würde aufzuhören?
M2: Wenn ich einen Elben sehen würde.
M3: Der Legolas.
I: Wenn Du den sehen würdest, wieso würde Dir der helfen? Was könnte der
machen? Welche Zauberkräfte hätte der, um Dir helfen zu können?
M: Gar keine, das ist einfach nur seine Ausstrahlung und seine spitzen Ohren....
M3: Stell Dir vor, der raucht jetzt auch.
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M: Würde ich auch rauchen.
M3. Wenn er Dir jetzt sagen würde, Du darfst nicht rauchen.
M: Na, wenn er zu mir sagen würde, ich darf nicht (....) ich würde nicht rauchen.“
Auf die Nachfrage, ob der Elbe ein positives Vorbild sei – als Sozialwissenschaftler/innen
würde man dann empfehlen, dass Erwachsene dieses Vorbild doch einfach kopieren sollten
-, gibt das Mädchen jedoch eine Antwort, die zeigt, dass der Elbe weniger ein Vorbild,
sondern ein Objekt der Begierde ist, wie etwa auch ein Computer, der in einer gedachten
Hierarchie der am meisten begehrten Dinge vielleicht sogar noch vor dem Elben rangiert.
„I: Ist er einer, der typischerweise nicht raucht und der irgendwas ist, den findest
Du toll und der wäre ein Vorbild?
M: Ja, nach dem Computer.
I: Und was assoziierst Du mit dem? Was bedeutet der für Dich der Elbe?
M: Ich will einen Elben sehen.
M2: Mit spitzen Ohren.
M: Das ist meine Welt.“
Zugleich geben die Mädchen zu erkennen, wie sehr ihre Welt aus Wünschen und Begierden
besteht, die unerfüllt sind: weder Elben noch Computer stehen ihnen zur Verfügung. Der
Wunsch nach einem Elben jedoch, das „ist meine Welt“. Diese mit dem Personalpronomen
geadelte Welt ist eine eigene und sehr verschieden von der realen Welt, in der die Mädchen
leben. Was aber begründet in dieser eigenen Welt dieses starke Sehnen? Was ist denn an
einem Elben so faszinierend?
„I: Wie schaut denn der aus, der ist doch blond oder? So ein ganz blonder,
blasser, so ein ganz zarter ....?
M: Mich faszinieren alle...
M2: Mich faszinieren auch, was weiß ich, solche Orte, solche Menschen, solche
Zwerge und so und verschiedene Völker mit verschiedenen Waffen. Die sind
so verschieden, eh auch wie bei uns, ja, aber daß es halt viel interessanter
und aufregender war. Und so Elben...
I: Was haben diese Elben? Was ist so faszinierend?
M2: Ich weiß nicht.
M3: Die Ohren.
M2: Die sind stolz, die sind edel, die sind so mutig und so. Ich mag so stolze,
edle Männer, das gibt es ja da gar nimmer. Da gibt es nur die Anabolika-
Fritzis und die Schamis und die Weicheier.....
M: Und die (....)
M2: Die a.
I: Die gibt es hier oder überhaupt in Wien?
M2: Überhaupt.
I: In Wien gibt es keine Elben-Männer?
M2: Generell gibt es keine Männer mehr, die sind alle Transen...ich weiß nicht.“
Es ist offenkundig, dass es also auch um Männer geht, allerdings nicht um die, denen die
Mädchen im realen Leben begegnen und von denen sie offensichtlich keine sehr hohe
Meinung haben. Die Männer-Typen, die sie aufzählen und von denen sie behaupten, dass
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sie Wien bevölkern, jedenfalls soweit die Mädchen es überblicken können, haben bei allen
Unterschieden etwas gemeinsam, und das ist, dass sie mit den Sprecherinnen nichts zu tun
haben wollen oder können. Die "Anabolika-Fritzis" deshalb nicht, weil sie mit sich selbst und
ihren Hanteln beschäftigt sind, die "Schamis" und die "Weicheier" nicht, weil sie sich nicht
getrauen oder das Zeug dazu nicht haben, und die "Transen", weil sie an Frauen generell
nicht interessiert sind. Das Sehnen gilt also einem „stolzen, edlen und mutigen“ Mann und
die Enttäuschung der Tatsache, dass sie keinen haben und auch ihre Aussichten für die
Zukunft diesbezüglich als eher schlecht bewerten. Man darf das sicher nicht zu einfach
interpretieren: es geht nicht simpel um Sex, sondern darum, von einem Mann mit sehr
traditionellen, idealisierten Eigenschaften gesehen, anerkannt und als attraktiv befunden
worden zu sein.
Das entspricht durchaus einem klassischen weiblichen Rollenklischee, das die Identität einer
Frau von der Anerkennung durch einen Mann abhängig macht. Eine moderne oder eigentlich
postmoderne, vom Feminismus angetriebene Sichtweise würde dem widersprechen und
darauf hinweisen, dass frau ebenso gut eine unabhängige, autonome Persönlichkeit
entwickeln kann und soll wie ein Mann. Dieser Gegensatz – den wir hier nicht weiter
diskutieren können – wird überaus deutlich sichtbar in der Gegenüberstellung von
Elbenmann und Computer. Während der eine für das klassisch-romantische Motiv steht,
verkörpert der Computer die neue Zeit.
Gerade der Computer kann als das perfekte Instrument zur Herstellung und zugleich
Versinnbildlichung der Autonomie des spätmodernen Individuums angesehen werden, indem
er Kommunikation ohne menschlichen Partner ermöglicht, indem er durch den Graben
zwischen realer und virtueller Welt die denkbar größte Distanz zwischen mögliche
Partner/innen legt, indem man und frau mit ihm auch ganz allein am Arbeitsplatz arbeiten
können und indem er damit die tendenzielle Herauslösung aus sozialen Verbänden und
Organisationen erlaubt, ohne deren Benefits zu verlieren. So wie vielleicht für frühere
Generationen das Auto Eigenständigkeit und Unabhängigkeit symbolisiert hat, indem es für
eine potenzielle Mobilität stand, die das jederzeitige Fortfahren als Möglichkeit setzte und
daher das Bleiben als wohlwollende Entscheidung eines freien Bürgers auffassen ließ, so
stehen heute Computer und Internet für die Autonomie und Unabhängigkeit der
Entscheidung, an gegebenen Real Life-Kommunikationen teilzunehmen, weil man dazu
eben nicht gezwungen ist, da man ja auch jederzeit im Internet oder auch nur in virtuellen
Spiel-Welten verschwinden könnte. So man einen Computer hat, kann man/frau sich auch
darüber hinwegtrösten, dass sie aus bestimmten Kommunikationen im Zusammenhang mit
Paarbildung und Sexualität ausgeschlossen sind.
Vom Zeitgeist und von der modernen feministischen Erziehung werden Mädchen und junge
Frauen heute sehr stark in diese Richtung der Gewinnung von Autonomie gedrängt. Wenn
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die Mädchen daher die Traumwelt der Elben hinter sich lassen, dann nicht etwa zugunsten
der Annahme ihrer so und nicht anders gearteten realen Welt mit den so und nicht anders
gearteten Möglichkeiten in Bezug auf Sexualität, sondern zugunsten einer von Computern
repräsentierten Wunschvorstellung: sie wechseln von einer Traumwelt in eine andere. Real,
dort wo sie tatsächlich atmen, haben sie nur Zigaretten und rauchen diese.
„M3: Wenn ich denke was zum Beispiel, und wenn ... jetzt irgendetwas sagt, wenn
ich zu ihr irgendwie (sage, du kriegst einen) total fortgeschrittenen und
saugeilen neuen Computer und dafür musst Du aufhören zu rauchen. Ich bin
mir sicher, daß sie dann aufhören würde.
I: Wie siehst Du das?
M: Sicher.
M3: Ja, das ist so.
I: Würde Dir ein Anreiz helfen, irgend so eine Karotte, die man Dir vor die Nase
hält und sagt, die kriegst Du, wenn Du nur aufhörst zu rauchen.
M: Ja, wahrscheinlich. Die muss ja wirklich wirklich was sein, was ich mir wirklich
wirklich wünsch .
I: Und das wäre zum Beispiel ein ganz toller, super Computer.
M3: Ein Job
M2: Da würde ich nicht aufhören zum Rauchen.
I: Ein Job wäre es Dir nicht wert, oder ein Computer?
M2: Nein, weil Du arbeitest dann nicht den ganzen Tag, in der Mittagspause
kannst schon eine bofeln gehen, das ist kein Grund....“ .(Matadora 872/977)
Zumal die Aufnahme von Geschlechtsbeziehungen als eine Hauptaufgabe der Pubertät
angesehen wird, sind Peinlichkeiten gegenüber dem anderen Geschlecht eine
schwerwiegende Belastung für die Mädchen. Sie neigen dazu, sich selbst in Frage zu
stellen, und haben mit der Übernahme der Frauenrolle Schwierigkeiten. Die Zigarette
kompensiert diese Probleme und versöhnt sie mit sich selbst.
Zum Vergleich wieder die Burschen. Auch bei ihnen bildet das andere Geschlecht den
Erfahrungshintergrund, die Kulisse der Enttäuschungen und Kränkungen, in deren Licht die
Zigarette und ihr aufsteigender Rauch zum psychologischen Allheilmittel werden kann.
„B1: Da gib ich ihm voll recht, weil dieses Problem habe ich auch. Wenn ich zum
Beispiel mit meiner Freundin streite und so etwas, Freundinnen, sie macht
Schluss, dann sage ich, ich muss schnellstmöglich zur nächsten Trafik, Tschik
kaufen und gleich eine anrauchen, damit ich sie vergesse, so schnell wie
möglich. In Wirklichkeit bringt sie [die Zigarette] schon etwas, aber was soll ich
sagen, es bringt sicher schon etwas, aber...
B2: Ja, das stimmt.
B1: ... sonst eigentlich nichts mehr.
B2: Es bringt Dich von den schlechtesten Gedanken weg.“ (Wienerberg M
328/638)
Aber nicht nur als großer Tröster bei allen Arten von Liebeskummer ist die Zigarette für die
Jugendlichen von Bedeutung. Sie bringt einen auch sozusagen wieder ins Spiel, indem sie
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hilft, Peinlichkeiten und Kommunikationslöcher zu überbrücken und die Unsicherheiten in
Bezug auf den eigenen Körper zu überspielen.
Wenn man beim Tanzen, zum Beispiel, so herumsteht und ein unangenehmes Gefühl hat,
weil man ganz sicher von den anderen beobachtet wird und nicht weiß, was man mit den
Händen tun soll, ist die Zigarette wirklich etwas zum Anhalten. Hat man erst eine in der
Hand, ist die Unsicherheit verflogen, denn sie ermöglicht Körperhaltungen und Konzentration
auf sich selber.
„M1: Man macht so eine Bewegung, man hat ein Packerl, das kann man rausholen
aus der Tasche, man kann es wieder reingeben....“ (Lido 777/779)
Beim Anbandeln mit dem anderen Geschlecht stellt die Zigarette sowohl bei Burschen als
auch bei Mädchen ein wichtiges Hilfsmittel dar. Von beiden Geschlechtern wird die Zigarette
als sehr nützlich empfunden, weil man um Zigaretten oder Feuer bitten kann als Vorwand,
jemanden vom anderen Geschlecht anzusprechen. Es gilt als eine anerkannte und durchaus
akzeptierte Methode des In-Kontakt-Tretens, vor allem bei den Unterschicht-Mädchen. Die
Mädchen der Oberschicht stehen dieser Taktik des Anbandelns etwas kritischer gegenüber:
für sie ist das Schnorren einer Zigarette nicht wirklich ein guter Beginn um das andere
Geschlecht anzusprechen.
„I: Ist das auch so eine Methode, was weiß ich, Jungs anzureden oder so.
M4: Nein.
M2: Nein, überhaupt nicht, nein.
M1: Das ist nicht so nett, irgendwie.
M2: Ich finde, das ist nicht wirklich ein sehr guter erster Satz.
I: Hast Du eine Zigarette für mich?
M2: Ja, ist nicht so.“ (Simon W (867/878)
Schulprobleme
Neben dem Stress mit dem anderen Geschlecht ist unserem Eindruck nach für die jungen
Mädchen und Burschen der wahrscheinlich noch bedeutendere Stressgenerator sicher die
Schule. Sie bildet für viele eine Problemkulisse, in der sie sich täglich für mehrere Stunden
aufhalten müssen und in der Frustrationen leicht, Erfolgserlebnisse im Regelfall jedoch
schwer zu erringen sind.
Leistungsdruck, Versagensängste, ohnehin pubertätsbedingte Konzentrationsstörungen,
Probleme mit Lehrern oder Lehrerinnen und Schwierigkeiten mit Mitschülern erzeugen ein
Bedürfnis nach Unterstützung, die sie häufig nicht ausreichend erhalten, Entspannung,
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Beruhigung und Stimmungsaufhellung. Es ist dieser Kontext vor allem, in dem die
Jugendlichen, wenn ihre Stimmung am Boden ist, zur Zigarette greifen und beginnen, die
psychoaktiven, beruhigenden und aufhellenden Wirkungen des Nikotins zu erkennen und zu
schätzen.
Es ist im Grunde nicht überraschend, dass die Schule europaweit jener Ort ist, an dem die
Jugendlichen am häufigsten rauchen (vgl. Currie et al. 2001). Man kann tatsächlich fast
davon sprechen, dass sie das Rauchen in der Schule erlernen, denn sie liefert den zähen,
schweren Teig, in dem die Droge erst wie Backpulver aufgehen kann, um alles ein wenig
leichter zu machen.
Die Zitate aus den Fokusgruppen sprechen für sich und benötigen keine ausführlichen
Interpretationen. Wir stellen eine Auswahl zur Verfügung:
„I: Wann ist es so besonders wichtig, würdet Ihr sagen, für Euch, dass Ihr eine
raucht?
M1: Nach der Schule, weil da ist alles stressig.
M2: Vor der Schule und nach der Schule.
M3: Ja, muss sein. Vor der Schule, dass wir da irgendwo eine rauchen, dass Du
einmal überhaupt die Lehrer derpackst, weil die-
M1: Wirklich, die sind so stressig.
M2: Die stressen so die Lehren, die fucken Dich nur an, wirklich. Entschuldigung,
dass ich das sage.
M1: Und nach der Schule, weil so viel Stress und viele Hausübungen,
Freiarbeiten, alles mögliche. Ich denke mir, scheiß drauf, nehme mir eine
Zigarette und dann geht es schon.“ (Wienerberg W 455/469)
„M2: Ja, schon wenn Du aggressiv drauf bist und in der Schule Stress hast und aus
der Schule kommst, isst Du etwas und nachher rauchst Du eine, dann geht es
Dir schon viel besser.“ (Wienerberg W 381/394)
„B1: Es hat seine Vorteile. Nach der Schule immer, wenn ich heiß bin wegen
meinem Klassenvorstand, der Fr. S. rauche ich immer eine. Fühle mich dann
immer so beruhigt und so. Weil ich hab gehört Soldaten, wenn sie seelischen,
dann haben, dann haben meistens wenn Soldaten im Krieg sind einen
seelischen Zusammenbruch und rauchen eine und das beruhigt die. So, und
immer wenn ich so richtig wütend bin und Lust hab zum Raufen, dann rauche
ich eine, dann fühle ich mich immer gleich beruhigt.“ (Wienerberg M 604/612)
„B2: Ich weiß nicht, das war irgendeine Situation, wo sich das ergeben hat. Das
war eine Nachprüfung, die habe ich nicht geschafft, eine Nachprüfung dann
habe ich, glaube ich, wieder angefangen.
I: So quasi, durch das, was Dich belastet hat, etwas Negatives-?
B2: Ja, genau, ja, ja. Dann habe ich wieder geraucht.“ ( Simon M 737/747)
„I: Also, wie ist das nach der Schule, da stehen alle zusammen und was macht
Ihr da?
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B3: Ja, da hat man eine stressige Mathematik-Stunde oder irgendwas hinter sich
und dort holt man halt die Tschik raus und raucht.“ (Mattheus 309/315)
„I: Was würdet Ihr sagen, was ist so eine typische Situation, wo an gerne raucht?
B1: Nach der Schule, wenn alle draußen stehen mit der Tschik“ (Mattheus
290/295)
„R2: Ja, ich weiß nicht. Wenn man in der Schule sitzt und einem ist langweilig,
dann fängt man an mit den Stiften zu spielen oder auf den Tisch zu klopfen,
aber nach der Schule geht es dann. Wenn man nicht beschäftigt ist, dann
denkt man so, ja.“ (Mattheus 625/631)
„I: in welchen Situationen brauchst Du es, dass Du eine rauchst zum Beispiel?
R1: Ich weiß nicht, nach einer Schulstunde, nach der Schule, vor dem
Schlafengehen. (lachen beide) Ich weiß es nicht.“ (Simon M 286/292)
„M3: Die Leute sind so schrecklich an dieser Schule, genauso wie die Lehrer. Es ist
schrecklich in der Schule.“ (Trummelhof 972/983)
„I: Also, wenn Ihr Euch jetzt einmal so erinnert an eine Situation, wo Ihr irrsinnig
gerne eine geraucht hättet und wo es irgendwie nicht gegangen ist.
M1: Nach der Schule, nach der Lateinlehrerin.
M3: Bei mir auch, das ist ein Weib, diese Frau ist einfach so-
M5: Wir haben die Gleiche.
I: Okay, erzähl einmal.
M5: Das ist die schlimmste Lehrerin, die es überhaupt gibt.
M2: Die ganze Stunde lang zuhören, da denkt man sich, oh Gott, eine Zigarette,
das wäre jetzt, achmmm, da würde man am liebsten schnell aus der Schule
raus und einfach nur eine anzünden.
M3: Das ist die ärgste Lehrerin, die es gibt. Die ist so schlimm.
M5: Die ist schrecklich, dieses Weib.“ (Trummelhof (761/783)
„M2: Wir haben eine tepperte Biologielehrerin, die nervt so. Die redet und redet und
Du schläfst dabei fast ein. Da sitzt Du so da-
M3: Oder sie schreit nachher, die Lehrer schreien immer so laut.
M2: Das geht da rein und da raus.“ (Wienerberg W (812/817)
„M1: Oder wenn man ziemlich aufgeregt ist ...zur Beruhigung eine Zigarette. Ich
meine, es hilft vielleicht nicht wirklich, vielleicht bildet man sich das nur ein,
aber –
M4: Es ist angenehmer.“ (Trummelhof 635/640)
Welche Wirkungen löst die Zigarette bei den Jugendlichen nun aus?
„M2: Man wird irgendwie ruhig danach. Ich weiß nicht. Man will dann, man ist dann
ein bisschen vielleicht überdreht oder so was und ja, Schularbeit und ich weiß
nicht was, dann hat man eben die Zigarette und man raucht eine Zigarette ja
nicht wirklich so, also, so irrsinnig schnell oder so. Ich meine, es ist schon
schnell für eine Zigarette, aber man genießt sie halt dann irrsinnig. Das ist halt
so ein langsames und man beruhigt sich langsam wieder und es ist ein
irgendwie angenehmes Gefühl.“ (Simon W 981/996)
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„M1: Es beruhigt mich immer wieder, wenn ich eine Zigarette rauche.“ (Lido
470/472)
„M1: Ja, schon wenn Du aggressiv drauf bist und in der Schule Stress hast und aus
der Schule kommst, isst Du etwas und nachher rauchst Du eine, dann geht es
Dir schon viel besser.
M3: Ich rauche zuerst eine und dann esse ich was.“ (Wienerberg W 381/394)
Es ist vielen Jugendlichen bewusst, dass sie auch andere Hilfsmittel zur Reduktion von
Stress anwenden könnten. Sport wäre eine Möglichkeit, reden mit Freunden, Lehrer/innen,
Eltern oder gar Psychologen. Doch bedeutet das Rauchen einer Zigarette die
unkomplizierteste, am wenigsten anstrengendste und wirkungsvollste Variante. Die positive
Wirkung der Zigarette geht sogar so weit, dass sie bei den Mädchen richtige Glücks- und
Zufriedenheitsgefühle verursacht.
„M2: Genau. Also, wenn Du eine Zigarette anzündest, dann bist Du sozusagen
glücklich, dass Du endlich eine hast. Und dann eben auch irrsinnig zufrieden,
sage ich jetzt einmal.“ (Simon W 901/904)
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4.5 Stufe fünf: Genussrauchen und Rauchen als Lebensstil
Die Jugendlichen lernen, die Wirkungen der Zigarette auch ohne psychische
Belastungen zu empfinden. Sie rauchen nun auch ohne Probleme zu haben und
verbinden das Rauchen mit einem bestimmten Lebensgefühl.
In dieser Phase lernen die Jugendlichen allmählich, die Wirkung der Zigarette auch dann zu
empfinden, wenn sie gerade keine negative Stimmung haben und nicht erschöpft, gestresst
oder niedergeschlagen sind. Das ist der entscheidende Schritt vom „Problemraucher“ zum
„Genussraucher“, von der „Problemraucherin“ zur „Genussraucherin“.
Mit anderen Worten: sie lernen die Zigarette als Stimulans zu benutzen, das unter beliebigen
äußeren Bedingungen eine gewisse angenehme Gefühlslage hervorrufen kann. Die
Zigarette wird so zum Kristallisationspunkt eines bestimmten Lebensstils, mehr noch: einer
bestimmten Lebensauffassung und Welthaltung, in der „coole“ Gelassenheit im Umgang mit
allen erdenklichen Herausforderungen des Lebens, ja mit dem Leben überhaupt einen hohen
Wert darstellt.
Dieser Wert ist sicherlich nicht jugendspezifisch. Er entstammt nicht einer jugendlichen
Gegenwelt, in der eine Umwertung aller Werte der Erwachsenen stattgefunden hätte. Er
entstammt vielmehr der Erwachsenenwelt selbst und ist tief verwurzelt in den
Lebensbedingungen der modernen, bürgerlichen, auf Individualität setzenden Gesellschaft.
Insofern hängt das Rauchen der Jugendlichen tatsächlich mit der Entwicklung einer
Erwachsenen-Identität zusammen.
Im nachfolgenden Zitat stellt ein Mädchen diese Beziehung zwischen angenehmen, ruhigen
Gemütslagen, der Zigarette und dem Gefühl, nun schon ein wenig älter zu sein, expressis
verbis her.
„M2: Ja, ich hab mir schon, das war meistens mit einer anderen, sehr guten
Freundin von mir. Und das war immer wenn wir, wir waren recht oft bei ihr
zuhause und ihre Mutter war nicht da, - und - dann haben wir uns also einfach
schon so aus Gewohnheit haben wir uns halt dann einfach eine Packung
gekauft, uns ans Fenster gesetzt und angefangen zu reden und das war für
mich dann immer, es war immer irrsinnig toll, also, es war nicht unbedingt die
Zigarette, die so toll geschmeckt hat oder so, - also es hat mir schon
geschmeckt, aber einfach dieses Gefühl, vielleicht doch ein bisschen älter zu
sein und dann am Fenster zu sitzen und einfach über alles zu reden. Das war
so, wie wenn man halt, keine Ahnung, halt daneben was ißt, irgendwie so
etwas wie ein Kaffeekranzerl oder so etwas, wir hatten es halt mit Zigaretten.“
(Simon W 104/129)
Was ist die Wirkung der Zigarette in solchen Situationen? Sie schafft eine angenehme,
vielleicht gemütliche Stimmung, in der man gerne über verschiedene Dinge redet oder auch
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nur plaudert. Die Zigarette wird so zu einem Ingrediens des angenehmen Lebens. Die
Jugendlichen beherrschen diese Form der Herstellung von Sozialität, Gemeinschaft,
Gemütlichkeit und Redseligkeit und sicher ist das nicht nur für Jugendliche eine notwendige
und sehr sinnvolle Fähigkeit. Die Zigarette hilft ihnen dabei und ist insofern in ein
Gesamtkonzept des einfach genussreichen Lebens und der notwendigen Psychohygiene
eingebaut. Sie schafft einen Zugang zum genussreichen Leben, zur Zufriedenheit mit sich
selbst, ja, zum eigenen Selbst, denn tatsächlich spürt man unter dem Eindruck eines
Lungenzugs vor allem den eigenen Körper, sich selbst. Oder noch einmal anders: sie ist wie
ein Schlüssel zu einem Raum, in dem man/frau sich selbst auf angenehme, liebenswerte
Weise begegnet, nicht gestresst, gedemütigt, in Verlegenheit gebracht, genervt, überfordert,
gescholten, angeschnauzt oder sonst wie abgewertet. Die Rauchschwaden des
ausgehauchten blauen Dunstes werden quasi meditativ umgedeutet zum Sinnbild für den
ruhigen, schönen, ziel- und zeitlosen Strom des eigenen Lebens. Wie im autogenen Training
werden Gedanken zu bloßen Assoziationen, deren lose Aneinanderreihung nur ihr Vergehen
befördert und keinerlei Reflexion und Innehalten notwendig macht.
„M1: Es ist, auch wenn man im Kaffeehaus sitzt, ist es irgendwie gemütlicher wenn
man irgendwie eine Zigarette raucht.
M3: Ja, das ist cool zum Kaffee.
M5: Ja, oder einfach wenn Du dann so sitzt und nur redest.
M4: Ja, auch so zu Hause. (lachen)“ (Trummelhof 600/612)
„I: Erzählt mir einfach noch so, wie Ihr gemeinsam den Abend verbringt?
M3: Wir reden über Sachen.
M2: ....wenn wir zusammen sind.
M3: Zum Beispiel, die (Name)....
M2: Ja, genau.
M3: Also wir reden über Leute, die wir hassen oder Leute-
M1: Die alles raustratschen.
M2: Die uns mächtig am Arsch gehen. Über die Tschickschnorrer....
M3: Oder wir reden einfach ganz über uns selber.
M2: Oder wir reden über Geld oder so etwas.
I: Und dann quatscht Ihr und raucht?
M2: Ja.“ (Wienerberg W 855/872)
Dass es sich dabei wirklich um Genießen handelt, lässt sich daraus ablesen, dass die
Mädchen nun auch sehr gut zu unterscheiden wissen, wann eine Zigarette passend ist und
wann nicht, wann sie ihnen ein besseres Gefühl beschert und wann sie nur
Unannehmlichkeiten mit sich bringt. Sie haben die besonderen Situationen herausgefunden,
in denen ihnen die Zigarette am besten schmeckt und der Genuss am höchsten ist. Auf die
entsprechende rage in den Fokusgruppen erhielten wir immer wieder die selben Antworten:
nach der Schule, nach dem Essen, nach dem Sex, vor dem schlafen Gehen.
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„I: Wenn Ihr zurückdenkt, was ist denn so die beste Zigarette am Tag oder Im
Leben überhaupt?
M2: Nach dem Mittagessen.
M1: Nein, nach dem Sex.
M3: Stimmt, nach dem Sex.
M2: Nein, da schlafe ich ein.
M1: Nach dem Sex.
M4: Eine rauchen, dann was trinken und dann schlafen gehen.“ (Lido 589/599)
„I: wenn Du nach der Schule zum Beispiel eine rauchst, wie ist das für Dich?
M3: Freude!!! Wie gesagt, man kann es überhaupt nicht beschreiben. Man freut
sich schon in der Schule irgendwie so drauf, ja, eine Stunde noch, zwei
M1: Erst zwei und dann eine noch.
M3: Aber wie ist das wirklich? Ich weiß nicht, man freut sich einfach drauf und es
schmeckt dann, aber ich finde es auf leeren Magen nicht so besonders toll.
Das heißt, wenn ich noch nichts gegessen habe.
M1: Aber es kann einem urschlecht werden, wenn man echt viel raucht.
M2: Ja, wenn man zu Mittag nichts gegessen hat. Ja, das stimmt.“ (Simon W
945/961)
„M1: Gestern habe ich die letzte geraucht nach dem Essen, Das tue ich immer, weil
dann ist die Zigarette viel angenehmer und ich weiß nicht, da hat sie einen
anderen Geschmack.
M2: Geschmeidiger.
M1: Geschmeidiger und das war gestern am Abend, um 10 Uhr so.
I: Habt Ihr die gemeinsam geraucht?
M1: Ja, ich und die Nadine. Sie war nämlich bei mir und die Nadine hat bei mir
geschlafen. Da haben wir noch zwei Semmeln gemacht und nachher haben
wir noch eine geraucht, so circa um 10 Uhr. Die Zigarette ist nach dem Essen
viel geschmeidiger und hat einen besseren Geschmack.
M2: Ja, da ist nicht der Magen so leer.
M1: Die ist immer nach dem Essen viel angenehmer.
M2: Ja, da hast wenigstens was im Magen, da spürst auch irgendwie mehr von der
Zigarette als wenn Du nichts isst.
M1: Aber in der Früh ist es irgendwie blöd, weil irgendwie wird mir dann auch
schlecht, weil ich nichts im Magen habe, aber irgendwie brauche ich
irgendwas zum-„ (Wienerberg W 99/125)
„M3: Und es ist, was auch irrsinnig angenehm ist für mich, kurz vor dem
Einschlafen.
M2: Ja.
M3: Mhmm.
I: Wieso, was heißt angenehm?
M4: Ich weiß es nicht, es ist irgend so wie ein Anfang und ein Ende. Wenn Du
dann am Ende schon im Bett liegst oder so was und vielleicht schon müde bist
oder keine Ahnung, und dann rauchst Du noch eine und dann schläfst Du ein,
das ist irgendwie, ich weiß nicht, dass Du noch eine hattest, so zu Abschluss,
noch eine letzte“. (Simon W 962/977)
Es ist diese „Ingeborg Bachmann-Situation“, vor der man die Jugendlichen und ihre
Mitbewohner ganz besonders warnen sollte. Es ist nicht selten, dass Brände entstehen, weil
jemand mit einer brennenden Zigarette eingeschlafen ist.
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Am beliebtesten ist bei den jungen Frauen wie auch bei Erwachsenen die sogenannte
„Zigarette danach“. Gerade diese Verbindung von Sex und Rauchen weist die Jugendlichen
als Genussraucher/innen aus und zeigt, wie sehr die Jugendlichen die Wirkungen der
Zigarette mit Genuss, Befriedigung, Zufriedenheit, ja, Glücksgefühlen verbunden haben.
„M1: Vielleicht gehen wir nicht schlafen, aber trotzdem, nach dem Sex ist immer die
beste Zigarette.“ (Lido 643/644)
„M2: Ja, genau. Das ist ganz einfach auch die Zeit, wo ich mich zu ihm kuscheln
kann und wo ich in Ruhe sitzen kann und noch mit ihm kurz quatschen kann
und ja eine Ruhephase bevor man sich wieder anstrengen muss.
I: Und was redet Ihr da so gemeinsam?
M4: Über alles. Über alles. Ich rede mit meinem Freund offen und ehrlich über
alles und über jeden.“ (Lido 665/673)
„M1: Für mich ist das [nach dem Sex] die beste Zigarette, sogar für meinen Freund.
Das ist das einzige Mal, wo er sagt, rauchen wir eine, sonst muss ich ihn
immer fragen, sagt er, nein, jetzt rauchst nicht schon wieder eine und wir
haben erst vor 2 Stunden eine geraucht. Er raucht nur maximal 5 bis 6
Zigaretten am Tag, außer wir gehen fort, dann macht er 3 bis 4 Züge und
dann gibt er sie weiter die Zigarette. Aber das ist das einzige Mal, wo selbst er
sagt, herst Schatzl hast Du eine Zigarette für mich oder rauchen wir eine, oder
jetzt setz Dich einmal ruhig hin, jetzt stress nicht, hupf nicht gleich auf,
sondern setz Dich hin, rauchen wir eine und dann fahren wir.“ (Lido 650/661)
„I: Und ist das dann angenehm, diese Zigarette nach dem Sex?
M1: Ja, da kann man ur-gut einschlafen. Da ist man matt.
M2: Da bin ich sowieso so erledigt.
M4: Nach der Zigarette trink ma noch etwas, gegen den Geschmack und dann
gemma schlafen und kuscheln und so.“ (Lido 630/636)
„I: Das genießt Ihr dann so gemeinsam.
M4: Ja, genau. Das ist ganz einfach auch die Zeit, wo ich mich zu ihm kuscheln
kann und wo ich in Ruhe sitzen kann und noch mit ihm kurz quatschen kann
und ja eine Ruhephase bevor man sich wieder anstrengen muss.“ (Lido
663/668)
Welche Rolle spielt die Zigarette bei den Burschen? Ganz ähnlich, aber vielleicht mit
„Männer-spezifischen“ Nuancen stellt sich der Genuss auch bei den Burschen ein. Es sind
letztlich ähnliche Situationen, in denen der Genuss am meisten zelebriert wird: nach der
Schule, nach dem Essen, vor dem Schlafen. Was die Burschen nicht erwähnen: nach dem
Sex.
Will man Geschlechtsunterschiede entdecken, dann liegt einer am ehesten darin, dass die
Burschen in größeren Gruppen bzw. Freundeskreisen rauchen und das Rauchen insofern
stärker als Gruppen-Verhalten zelebrieren, als das bei den Mädchen beobachtbar ist, die
intimere Situationen mit ein, zwei besten Freundinnen bevorzugen.
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„B2: Naja, nach der Arbeit schaue ich mir keinen Film an. Wenn ich jetzt nach
Hause komme, tu ich mich ausruhen, dann werden eh meine Freunde
anrufen, ob ich Zeit habe. Dann gehe ich meistens mit meinen Freunden
etwas trinken und rauchen.“ (WUK 657/661)
„B1: Oiso, bei mir ist es so, am meisten rauche ich am Freitag, also wenn ich so mit
Freunden unterwegs bin, wie zum Beispiel heute, sonst rauche ich selten also.
Weil am Freitag gehe ich mit Freunden fort, da geh ich halt, da habe ich Gusto
drauf, da will ich rauchen einfach. Ich weiß auch nicht warum es so ist, aber
da hat man einfach Gusto drauf.“ (Wienerberg M 363/371)
„B2: Das ist halt, mit den Freunden habe ich mehr Spaß, da will ich einfach
rauchen, zu Hause nicht, aber dafür bei meinen Freunden, weil jeden Freitag
ist das bei mir so.“ (Wienerberg M 531/533)
Mit Freunden hat man mehr Spaß beim Rauchen – auch diese Passage zeigt wieder, dass
das Rauchen in der Gruppe nicht als Phänomen des Gruppendrucks und auch nicht als
mimikry-haftes Nachahmungsverhalten interpretierbar ist, das nur eine soziale Funktion hat,
aber außer der Geste keine Spuren im Bewusstsein zurücklässt. Tatsächlich ist das
Rauchen im Freundeskreis (oder in der Männergruppe) für die Burschen die insgesamt
betrachtet schönste und genussreichste Form des Rauchens, schöner, wenn man nach den
Nennungen und Thematisierungen in den Fokusgruppen gehen darf, als die „Zigarette
danach“.
Viel eher, als dass die Zigarette diese Jungmänner-Runden erst konstituierte und für sie als
soziale Klammer fungieren würde, kann man wohl interpretieren, dass sie ein Moment
verstärken hilft, das in diesen Runden latent schon da ist. Mit Bezug auf die
entwicklungspsychologische Grundcharakterisierung der männlichen Pubertät als Streben
nach Autonomie und Freiheit, getränkt mit einem Schuss Egomanie und Selbstherrlichkeit,
ist es vielleicht möglich, die Zigarette bei Burschen als Instrument der narzisstischen
Selbstfeier im Kreise Gleichgesinnter zu begreifen. Auch wieder im Gegensatz zu den
Mädchen scheint es in diesen Zusammenkünften nicht so sehr darum zu gehen, durch
Formen privater Kommunikation über Gott und die Welt eine Beziehung herzustellen, eigene
individuelle Weltsichten darzustellen, jene anderer zur Kenntnis zu nehmen, zu überprüfen,
zu kalibrieren, sondern im gemeinsamen „Spaß“, eine Erfahrung mit sich selbst zu machen.
Der Spaß besteht eigentlich vor allem darin, so zu sein und sein zu dürfen, wie man ist oder
besser: wie man gerne ist, weil man sich so gefällt. Ein Spaß ist das deshalb, weil alle
sozialen Anforderungen abgewehrt sind und keine Verpflichtung zu selbstreflexiver Distanz
und Selbstkontrolle gegeben ist.
Für eine solche, den Rückbezug auf das eigene Ich betonende Interpretation spricht auch
die zweite von den Burschen am häufigsten genannte und umschriebene Situation des
höchsten Rauchgenusses: das Essen. Es ist auch nur von Burschen der Bezug zur
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Ausscheidung hergestellt worden, wodurch die Zigarette eine Rolle in einem Körper-Kreislauf
erhält, den das Bewusstsein in hohem Maße als genussvoll erleben kann.
Man wird darin aber auch die Welthaltungen und Lebenseinstellungen einer auf
Konsumismus und das leibliche Wohl gepolten Generation erkennen dürfen, die sich der
Leichtigkeit des Seins in einer reichen, protektiven Gesellschaft hingeben.
„B1: Bei mir, ja, entweder in einem Lokal, auch wenn ich essen gehe oder im
Kaffeehaus oder so wie hier oder daheim im Bett, das ist der gemütlichste Ort
zum Rauchen.“ (Wienerberg M 356/359)
„I: Was ist denn so die beste Zigarette? Wenn Ihr so denkt an Situationen oder in
Eurem Leben, was ist die Zigarette, die Euch so richtig taugt?
B1: Nach einem ausgiebigen Essen.
B3: Nach einem Essen oder in der Früh.
B2: Nach einem richtig saftigen Essen.
B5: Nach einem guten Essen.
B6: Nach einem richtigen Steak oder so etwas.“ (Mattheus 1378/1387)
„B2: Ja, nicht immer. Eher so wie er gesagt hat, nach einem normalen
Mittagessen, ist es so wie ein Draufschlag auf die Art, wenn man schon satt ist
und dann leiwand sitzt und eine raucht, ist das noch besser.“ (WUK 563/566)
„B3: Da [nach dem Essen] habe ich mich zurückgelehnt, so nach hinten und habe
eine geraucht, so ganz genüsslich, ganz relaxed, hingelegt und fertig. Das ist
das beste wenn Du eine rauchst und Du hast einen vollen Magen, Du hast ein
Platzerl gesehen, kannst Dich jetzt hinsetzen ganz gemütlich und eine
rauchen.
B4: Ja, das stimmt. Wenn man gerade etwas gegessen hat, und man muß dann
später sein Geschäft machen und man raucht dabei wird das schneller
verdaut, das hilft.“ (Wienerberg M 338/356)
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4.6 Stufe sechs: Gewahrwerden der Sucht
Vielen Jugendlichen fällt schon nach kurzem Raucherdasein auf, dass sie von der
Zigarette abhängig geworden sind. Sie empfinden erste Entzugserscheinungen, wenn
sie keine Zigaretten verfügbar haben. Einige beginnen jetzt mit häufig vergeblichen
Versuchen aufzuhören.
In dieser letzten Phase der Raucherkarriere vollziehen die Jugendlichen den abschließenden
Schritt in der Identitätsentwicklung zum Raucher oder zur Raucherin, indem sie sich nun
bewusst machen, akzeptieren oder reuevoll eingestehen, dass sie nun Raucher/innen sind.
Dieser Vorgang ist mit der Einsicht verbunden und wird von dieser sogar ausgelöst, dass sie
von der Zigarette schon nicht mehr lassen können, jedenfalls nicht mehr leicht. Sie
empfinden sich als abhängig bzw. süchtig. Unseren eigenen Untersuchungen zufolge wollen
etwa zwei Drittel der 15-jährigen Raucher/innen wieder mit dem Rauchen aufhören (vgl. Dür
et al. 2002).
Der Unterschied, der plötzlich relevant wird und an dem die Jugendlichen diese neue
Entwicklung festmachen, ist der, dass sie nun auch alleine rauchen, einsam und nur für sich,
ohne Freund/innen und ohne Gruppenkontakte, einfach weil es sein muss. So sehr das
Rauchen in anderen Phasen und unter anderen Umständen als „kommunikativ“, Gruppen
zusammen haltend und Leute verbindend erscheinen mag, die andere Seite der Medaille ist
eben die, dass es unter anderen Bedingungen zugleich auch sehr einsam macht. Nicht etwa
deshalb, weil Nicht-Raucher/innen einen sozial ausschließen würden, sondern einzig
deshalb, weil die Zigarette die Egozentrik einfordert, gegebenenfalls seltsame, wenn es um
das Eigentum anderer geht, manchmal auch problematische Verhaltensweisen an den Tag
zu legen. Die Frage der Toleranz oder Intoleranz insbesondere von Nicht-Raucher/innen
gegenüber Raucher/innen sollte von diesen auch einmal unter diesem Gesichtspunkt
gesehen werden.
So nehmen die Jugendlichen jetzt auch einiges auf sich, um zu Zigaretten zu kommen,
verlassen etwa mitten in der Nacht das Haus oder die Wohnung und suchen den nächsten
Automaten auf oder radeln einsam kilometerweit, sogar in fremden Ländern, um ihre Sucht
zu bedienen. Sie sprechen jetzt von „Notsituationen“, in denen man Zigaretten auch heimlich
zum Beispiel der eigenen Mutter entwendet.
Angetrieben sind sie vom brennenden Wunsch, „jetzt unbedingt“ und „irrsinnig gerne“
rauchen zu müssen. In anderer Form sind diese Erfahrungen und Verhaltensweisen von
illegalen Drogenabhängigen bekannt.
„I: Ab wann habt Ihr eigentlich gemerkt, so quasi, dass Ihr Zigaretten haben
wollt?
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M1: Gar nicht, ich weiß es nicht.
M4: Ich auch nicht, mir ist es nur dann immer aufgefallen, dass ich immer öfter
gesagt habe, waaa, jetzt hätte ich gerne eine Zigarette.
M2: Na, ich hab eigentlich, ich war eigentlich, glaube ich, bis vor 2 Monaten noch
davon überzeugt, dass ich eigentlich eh keine brauche, oder vielleicht nicht 2
Monate, also eine sehr, sehr lange Zeit war ich immer davon überzeugt, dass
ich es nicht brauche und hab dann aber doch irgendwie im Urlaub dann in
Notsituationen welche von meiner Mutter genommen oder so, und dann
irgendwie in der Nacht um 12.00 auf den Balkon und schnell eine rauchen.
Dass also man dann einfach merkt, man will unbedingt eine. Also nicht
einfach, weil, keine Ahnung, weil jetzt irgendeine Freundin grad eine anbietet
und weil das jetzt irgendwie toll ist, sondern weil Du wirklich alleine zum
Beispiel zu Hause bist und Dir denkst, jetzt hätte ich einfach irrsinnig gerne
eine.
M4: Ja, ich habe es am viel alleine rauchen gemerkt.
M2: Ja, genau. Einfach, dass man auch alleine sich dann eben auch wirklich
selber immer Packerl kauft und dann noch selber alleine zu Hause raucht oder
am Schulweg oder irgend so was, also nicht nur in Gruppen.
M1: Dass man dran denkt einfach, so prinzipiell immer dran denkt.
M3: Oder wenn man im Sommer extra wegfährt mit dem Fahrrad, um sich Tschik
zu kaufen, ganz alleine.
M4: Ja, mir fällt es auch auf, da ich meiner Mutter fast jeden Tag mindestens 3
Tschik klaue.“ (Simon W 727/766)
Der imperative Wunsch nach einer Zigarette ist besonders in der Schule störend und
behindert dort wohl sogar die Aufmerksamkeit und den Schulerfolg. Da die unmittelbare
Bedürfnisbefriedigung während des Unterrichts bzw. außerhalb der Pausen, für jüngere
Nikotinsüchtige sogar prinzipiell nicht möglich ist, setzen die Jugendlichen seltsame
Ersatzhandlungen, um die Zeit zu überbrücken.
„B1: Vielleicht ist es auch einfach das Gefühl, wenn man irgend etwas da hat im
Mund und da zieht man dran. Weil oft ist es so, manchmal in der Schule,
wenn Du Dir denkst, jetzt würde ich ur-gerne eine Zigarette rauchen. Dann
nimmst Du einen Stift und dann irgendwie machst Du den Zug halt so nach,
das ist irgendwie, das befriedigt auch schon ein bisschen.“ (Mattheus
394/406)
Entzugserscheinungen
Wird die Sehnsucht nach Zigaretten stärker, machen sich auch bereits bei den Jugendlichen
Entzugserscheinungen bemerkbar. Sie registrieren jetzt eine Veränderung ihrer psychischen
Befindlichkeit und eine wachsende Aggressivität. Die Nervosität steigt an und mit ihr
Verhaltensweisen wie Nägelbeißen. Es geht so weit, dass sie sich sogar selber als teilweise
67

unzurechnungsfähig beschreiben, da sie in der „Notsituation“ dann „immer einen Blödsinn“
machen.
Aufhören
„M4: Ich glaube schon, ja. Also, die Zigarette muss ich haben. Wenn ich die
Zigarette nicht haben kann, dann bin ich ungmiatlich.“.(Lido (675/686)
„M1: Wenn ich keine Zigarette hab bin ich schlecht aufgelegt.“ (Lido 730/731)
„M1: Ich glaube, ich beiße durch das Rauchen nur noch mehr Nägel, weil wenn ich
eine Tschik will oder so auch aufgeregt war
M2: Ja, das mache ich auch.
I: Dass Du nervös wirst, wenn Du eine Zigarette willst?
M2: Ja, man wird, also ich werde zumindest nervös.
M1: Ja, aber
M2: Da kriegt man so einen richtigen, da würde man dann wahrscheinlich ziemlich
viel für eine Zigarette tun.
M1: Aber ich find, ich kann schon, ich mein, ich kann nicht einen Tag nicht
rauchen, aber es ist nicht schlimm, wenn ich am Abend -
M4: Ja, aber Du sehnst Dich den ganzen Tag danach.“ (Simon W 668/686)
„M3: Da sitze ich auf Nadeln, wirklich, wenn ich keine Zigarette habe, dann beiße
ich mir alle Nägel runter, ich weiß nicht, ich habe keine Ahnung, ich mach da
immer irgendeinen Blödsinn.“ (Lido 738/748)
Viele Jugendliche wollen in diesem Stadium ihre Raucherkarriere beenden, was ihnen
jedoch zumeist große Schwierigkeiten bereitet.
„B1: Also eigentlich alle, die meisten von uns wollen eigentlich aufhören.
I: Ja, warum?
B1: Weil es ungesund ist, ganz einfach. Ich weiß nicht, die meisten wollen schon
aufhören.
I: Und warum hören sie nicht auf?
B1: Weil sie nicht können.“ (Simon M 1283/1320)
„I: Und was war der Grund, warum Du Dir gedacht hast, Du hörst auf?
M3: Wegen Geld. Ich höre jetzt eh auch auf. Ein Packerl rauche ich noch und dann
höre ich auf danach. Also, weniger rauchen und dann.
I: Langsam reduzieren und dann ganz aufhören?
M3: Ja.“ (Matadora 548/569)
Wie schwierig das Aufhören ist, zeigt die Tatsache, dass die Zigarette auch in
Liebesbeziehungen zwischen den Partnern stehen kann. Deutlich wird der tiefe Grund dafür
hörbar: das Rauchen wird von den Jugendlichen nicht mehr nur als eine interessante,
68

spannende, neugierig machende, vielleicht modische, vielleicht coole Facette möglichen
Verhaltens dargestellt, das man spielerisch ausprobiert, dem aber keine weiteren Gedanken
gewidmet werden müssen, es ist nicht mehr nur ein arbiträres, soziale Abläufe begleitendes
Accessoire, sondern es ist tief in die Identität und das Selbstverständnis der Jugendlichen
eingearbeitet. Das mit dem Rauchen Aufhören wird im nachfolgenden Zitat von zwei jungen
Frauen tatsächlich als Persönlichkeitsveränderung dargestellt bzw. mit einer solchen gleich
gesetzt, die von keinem anderen als von ihnen selber eingefordert werden dürfe. Niemand
anderer hat das Recht, ihnen diesbezüglich Vorschreibungen zu machen. Der Geliebte muss
sie akzeptieren, wie sie sind, mit all ihren so und nicht anders gearteten
Persönlichkeitsmerkmalen, mit all ihren Stärken und Schwächen, und eben auch mit all
ihren Zigaretten. Eher würden sie die Beziehung wohl beenden und dem Liebhaber den
Laufpass geben, falls er es nicht schaffen sollte, mit dem „Pech“ zu leben, sich in eine
Raucher/in verliebt zu haben.
„I: Würdest Du dann ihm zuliebe aufhören, wenn er sagen würde, ich hab Dich
so lieb, aber noch lieber wäre es mir, wenn Du nicht rauchen würdest, oder
muss er das einfach akzeptieren?
M2: Der muss es akzeptieren. Also, bevor ich nicht sag, ich will aufhören, darf
mich niemand drauf ansprechen.
M3: Ich meine, du kannst auch einen Kompromiss schließen und sagen, ja, okay,
ich rauche weniger. Ich würde mich auch nicht ändern, wenn jetzt irgendwer
zu mir zu sagt, ja, mich stört das an Dir. Würde ich sagen, Dein Pech. Ich
ändere mich nur wegen mir, aber nicht wegen jemandem anderen.“ (Matadora
1117/1128)
Dennoch spüren die Jugendlichen auch, dass sie bessere Ausstiegs-Chancen hätten, wenn
sie entsprechende soziale Unterstützung hätten, sei es von Partnern und Partnerinnen, sei
es von Freunden und Freundinnen. Sie gehen, zum Beispiel, Wetten ein, dass sie mit dem
Rauchen dann und dann aufhören würden, um den Druck auf sich selbst zu erhöhen.
„B2: Außerdem nach dem Bundesheer kriege ich 3.000,-- Schilling, wenn ich
aufhöre, weil ich gewettet habe mit einem Freund, aber-
B1: Das schaffst Du ja eh nicht.“ (Mattheus 1162/1167)
Trotzdem wird in der Reaktion des Wettpartners deutlich, dass dieser nicht glaubt, sein Geld
zu verlieren, weil die Erfahrung, dass die Aufhörversuche scheitern, weit verbreitet ist. Von
den Freunden erhält der aufhörwillige Raucher daher wenig bis gar keine Unterstützung in
Form eines Vertrauensvorschusses, der motivierend und stärkend wirken könnte. Anstatt
sich gegenseitig zu unterstützen, wird eigentlich immer nur eine schlechte, negative,
pessimistische Stimmung erzeugt.
69

So werden zwar immer wieder Versuche unternommen, sich von der Zigarette zu trennen,
diese bleiben aber meist erfolglos.
„B2: Ich habe schon zweimal aufgehört zu rauchen und zweimal wieder
angefangen.“ (Simon M 693/694)
„M1: Ich habe probiert einmal nicht zu rauchen, ich habe geschaut 5 Zigaretten am
Tag, aber das ist ur-anstrengend.“ (Matadora 301/302)
Man muss hier sehen, dass das Aufhören des einen für den anderen, der nicht aufzuhören
imstande ist, ein Problem bedeuten kann, weshalb er die Versuche seines Freundes
bewusst oder unbewusst zu torpedieren versucht. Daraus folgt für die Präventionsarbeit
gegenüber süchtigen Raucher/innen, dass die Angebote zum Ausstieg nicht nur individuell,
sondern der ganzen Gruppe angeboten werden sollten. Das auch deshalb, weil die
Nachhaltigkeit des Ausstiegs eher gesichert ist, wenn der Ex-Raucher in seinem
Freundeskreis nicht ständig mit Rauchversuchungen konfrontiert ist.
70

5. GESCHLECHTSUNTERSCHIEDE
Eine zentrale Fragestellung der GAT1- und der GAT2-Studie lag in der Untersuchung von
geschlechtsspezifischen Unterschieden. Da der Zuwachs an Raucher/innen bei den
Mädchen deutlich höher war als bei den Burschen (vgl. Grafik 1), musste gefragt werden, ob
dahinter möglicherweise völlig andere soziale Problemlagen und Mechanismen stecken.
Grafik 1: Entwicklung des Anteils täglicher Raucher/innen unter den 15-Jährigen in
Österreich Quelle: WHO-HBSC-Survey 1986, 1990,1994, 1998, 2002
30
25
20
15
10
5
0
1986 1990 1994 1998 2002
71
Knaben
Mädchen
Für diese Vermutung konnten jedoch keine besonderen Belege gefunden werden. Das
Karriere-Modell mit seinen Entwicklungsstufen und die Grundlogik, mit der es von
Jugendlichen durchlaufen wird, ist im Wesentlichen für beide Geschlechter identisch.
Selbstverständlich aber haben die konkreten Ausprägungen und Ausgestaltungen dieser
Entwicklung jeweils geschlechtsspezifische Nuancierungen, die in der Präventionsarbeit
Beachtung finden sollten.
Schon die erste Phase des Beobachtens von Wirkungen an anderen ist insofern
geschlechtsspezifisch, als Mädchen natürlich eher Frauen beobachten und sich an deren
Rauchverhalten orientieren, während Burschen sich eher an Männern orientieren. Das soll
nicht ausschließen, dass es nicht doch auch möglich wäre, dass Frauen für junge Männer
und Männer für junge Frauen zum Vorbild werden können, der Regelfall ist aber wohl
geschlechtsisomorph.
In der Phase des ersten und wiederholten Probierens kann man bei aller gebotenen
interpretatorischen Vorsicht konstatieren, dass Mädchen dazu tendieren, den sozialen
Rahmen dieses Aktes noch ein wenig intimer und noch wenig geheimer und versteckten zu
gestalten. Sie teilen dieses Experiment häufig wirklich nur mit der engsten Freundin und sie

tun es in einem vor Entdeckung wirklich geschützten Rahmen. Sie scheinen auch etwas
mehr und drückender unter dem schlechten Gewissen zu leiden, das das Rauchen
insgesamt bei ihnen auslöst, obwohl sie es natürlich trotzdem tun.
Die Burschen unterscheiden sich insofern, als sie die ersten Versuche häufiger in kleineren
Gruppen stattfinden lassen, in die auch nicht allzu enge Freunde einbezogen sein können,
und dass sie es mit dem Schutz vor Entdeckung nicht ganz so genau nehmen. Sie scheinen
manchmal zu glauben, dass man eine brennende Zigarette ohne weiteres auch in der hohlen
Hand hinter dem Rücken verbergen kann und rauchen, beispielsweise, auch auf der Straße
oder im Umkreis der Bus-Haltestelle und empfinden sich dabei durchaus vor Entdeckung
sicher.
In der Phase des Problemrauchens sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede noch am
deutlichsten auszumachen. Zwar unterliegen beide Geschlechter argen
Stimmungsschwankungen, aber sie werden in der Tendenz unterschiedlich ausgelöst. Für
Mädchen ist Schulerfolg sehr wichtig, mehr als für die Burschen, die mit weniger guten Noten
offenbar besser leben können. Schulversagen, etwas nicht zu wissen, etwas falsch zu
machen, gerügt zu werden, die Aufgabe „Schule“ nicht gut zu lösen u.s.w., Erfahrungen
dieser Art sind für Mädchen und für ihr Verhältnis zu den Lehrer/innen von großer Bedeutung
und lösen die deprimierte, niedergedrückte Stimmung aus, die einen wesentlichen
Problemhintergrund des jugendlichen Rauchens ausmacht. Auch bei den Burschen spielt die
Schule als Frustrationsbehörde eine wichtige Rolle, aber in der Tendenz eher dadurch, dass
die Burschen sich von den Lehrer/innen nicht ernst oder für voll genommen fühlen und in
ihrem erwachenden Selbstbewusstsein gekränkt werden. Auch diese Unterschiede sind
cum grano salis zu lesen, denn natürlich sind auch Burschen über schlechte Noten
enttäuscht und Mädchen durch Demütigungen kränkbar.
Die Verarbeitung solcher negativer Gefühle erfolgt bei den Mädchen häufig eher auf eine
depressive, nach innen gerichtete Weise, während die Burschen offen über ihre Wut und ihre
Aggressionen berichten, die von Lehrer/innen ausgelöst wurden. Mädchen berichten daher
eher über die innere Unruhe und das innere Chaos, das durch Zigaretten dann in „inneren
Frieden“ (Trummelhof 622) verwandelt werden muss.
Schließlich kann man auch in der Form, wie sich sexuelle Wünsche und Frustrationen
einstellen und behandelt werden, geschlechtsspezifische Nuancen entdecken.
Liebeskummer ist eben nicht ganz derselbe Liebeskummer, wenn er von Mädchen oder von
Burschen erlebt wird. Auffällig in den von uns durchgeführten Fokusgruppen war, dass
Mädchen nie über das Verlassen-werden gesprochen haben, sondern ausschließlich über
die Qualen des unerfüllten Schwärmens und der Sehnsüchte, während die Burschen, wenn
Liebe und Sexualität ein Problem darstellen, nur über die Situation des Verlassen-werdens
72

sprechen. Das deckt sich zumindest insoweit mit vergleichbaren Situationen bei
Erwachsenen, als auch die meisten Scheidungen von Frauen begehrt und eingereicht
werden. Gleichwohl, ob so oder so, beide Geschlechter leiden am Lieben und verarbeiten
ihren Kummer mit Nikotin.
Auch in der Stufe des Genussrauchens finden sich gewisse Nuancierungen, die für die
Präventionsarbeit von Bedeutung sein können. Bei den Mädchen steht das Zusammensein
und die gemeinsame Zeit, das „Kaffeekranzerl“, wie es einmal genannt wurde, das
„Plauschando“ und das miteinander Reden im Vordergrund. Die Burschen zelebrieren ein
bisschen stärker das Moment der Beruhigung und der Entspannung – nach dem Sex, nach
dem Essen - und genießen die für sie typische Rauchsituation als „chillig“ und „cool“. Sie
rauchen zwar auch gerne in der Runde guter Freunde, aber auch dabei steht ein gewisses
„On the road-Feeling“ von Freiheit und Gelassenheit im Vordergrund.
In der 6. Stufe des Gewahrwerdens der Sucht haben wir keine Unterschiede feststellen
können. Mädchen wie Burschen klagen gleichermaßen über Entzugserscheinungen, wenn
sie keine Zigaretten haben, und versuchen den Ausstieg.
Noch einmal soll darauf hingewiesen werden, dass diese Unterschiede nur als
Nuancierungen am allgemeinen Modell zu verstehen sind und nicht dazu dienen sollen,
männliche und weibliche Klischee-Vorstellungen in die Präventionsarbeit zu importieren.
73

6. METHODISCHE VORGANGSWEISEN
6.1 Daten und Kodierung
Dieses Projekt schließt an die Analysen der internationalen EU-Studie "Gender Differences
in Smoking in Young people" 1 an, die 2001 – 2002 in 5 EU-Staaten unter der Koordination
des Flemish Institute for Health Promotion in Brüssel durchgeführt worden ist. Die
Durchführung von Fokusgruppen, die Erstkodierung des Textes und die Grobanalyse hat im
Kontext dieses Projektes stattgefunden (Lambert 2003; Dür et al. 2002).
6.1.1 Rekrutierung
Es wurden 9 homogene Fokusgruppen zu je 2 bis 8 Personen im Alter von 15 und 16 Jahren
durchgeführt, 4 mit Burschen und 5 mit Mädchen. Von den Burschengruppen waren je 2 aus
eher unteren bzw. höheren Sozialschichten, bei den Mädchen waren es 3 Gruppen aus der
Unter- und 2 Gruppen aus der Oberschicht. Indikatoren der Schichtzugehörigkeit sind
Bildung und Einkommen der Eltern.
Oberschicht-Mädchen
(2 Gruppen zu 4 und 6 TN)
Oberschicht-Burschen
(2 Gruppen zu 2 und 7 TN)
74
Unterschicht-Mädchen
(3 Gruppen zu je 3 TN)
Unterschicht-Burschen
(2 Gruppen zu 6 und 8 TN)
Rekrutiert wurden die Probanden aus schulexternen Institutionen (zB Lido und Matadora)
und privat mittels Schneeball-System. Hauptsächlich wurden Unterschicht-Gruppen aus
Vereinen und Institutionen gewonnen und Oberschicht-Gruppen mittels privater Kontakte
und Rekrutierung in "einschlägigen" Szenelokalen.
Als förderlich für die Interviews beurteilten wir, dass die Jugendlichen in den Gruppen sich
kannten und sie zumeist auch Freundschaft verband, was zu einem sehr guten
Gesprächsklima und schon anfänglicher Offenheit verhalf.
1 by the Flemish Institute for Health Promotion, Bussels, Belgium; mitwirkende Länder außer
Österreich und Belgien waren noch Schweden, Schottland und Portugal;

6.1.2 Durchführung der Fokusgruppen
Die Fokusgruppen wurden im Besprechungszimmer des Ludwig Boltzmann-Instituts für
Medizin- und Gesundheitssoziologie und in Räumlichkeiten, die uns von den diversen
Institutionen zur Verfügung gestellt wurden, durchgeführt.
Die Probanden waren freiwillig und ohne entgeltliche Gegenleistung (lediglich die
Unterschicht-Gruppen bekamen Mc Donalds Gutscheine als Dankeschön) zur Teilnahme
bereit. Sie wurden am Beginn des Interviews über die Modalitäten – Freiwilligkeit der
Teilnahme, Anonymität, Verwendung eines Aufnahmegerätes und Dauer – informiert. In
einigen Gruppen war auch ein Nichtraucher bzw. eine Nichtraucherin anwesend.
Die Interviews folgten einem qualitativen Leitfaden und dauerten zwischen 50 und 90
Minuten. Sie wurden auf Tonband aufgezeichnet. Weiters wurde am Ende des Interviews ein
Fragebogen zur Erhebung des sozioökonomischen Status (Schichtzugehörigkeit) und der
soziometrischen Daten ausgeteilt.
6.1.3 Sample
Es wurden 19 Mädchen (45 %) und 23 Burschen (55 %). Das Durchschnittsalter betrug 15,8
Jahre. Es wurden nur solche Jugendliche ausgewählt, die mindestens wöchentlich Rauchen.
Das Sample setzt sich jedoch überwiegend aus Täglich-Raucher/innen zusammen.
6.1.4 Weiteres Verfahren mit den Interviews
Die Tonbandaufzeichnungen der Interviews wurden von einem Büro transkribiert und von
Mitarbeiter/innen des Ludwig Boltzmann-Instituts auf textliche Richtigkeit überprüft. Die Texte
wurden in das Textprogramm MS-Winmax 98 - ein Computerprogamm zur Auswertung
qualitativer Interviews - konvertiert.
6.1.5 Kodierung und Analyse
Im Winmax-Programm wurden die Interviews nach der Inhaltsanalyse von Mayring kodiert:
• So wurden zuerst die überflüssigen Satzteile, also diejenigen Satzteile, die nicht
unmittelbar und bewusst zum Sinn des Satzes beitragen, gestrichen.
75

• Im zweiten Schritt wurde der Sinn des Satzes entsprechend der Forschungsfrage
interpretiert. Die Teile die in keinem Zusammenhang mit der Forschungsfrage stehen,
wurden weggelassen.
• Der verbleibende Satzteil wird im nächsten Schritt interpretatorisch verkürzt, wobei auch
dieser Schritt von der Forschungsfrage ausgehend ausgeführt wurde.
• Zuletzt wird dieser Satzinhalt in eine Kategorie gefasst. Solche Kategorien wurden auf
mehreren Ebenen verfasst.
6.2 Interpretationsverfahren
6.2.1 Datenbeschäftigung und weitere Themenkodierung
Am Beginn wurde der internationale Bericht auf Gleichheit und Differenzen, sowie auf
(andere) Auffälligkeiten hin durchleuchtet. Die Berichte wurden in wichtigen Punkten
länderspezifisch zusammengefasst und miteinander verglichen.
6.2.2 Dimensionalisierung des Textes
Im nächsten Schritt wurden aufgrund erster Hypothesen einige inhaltliche Dimensionen
herausgefiltert, die dem weiteren (Be-)Arbeiten dienen sollten. Markante Themen bei den
jungen Erwachsenen waren
• Gruppenbildung/-druck
• Kicks (Wirkungen der Zigarette)
• Langeweile
• Theorie des Rolemodels und die Rational Choice-Theorie
Zitate zu diesen Themenbereichen wurden durch eine weitreichende Auswahl von
Kodierungen aus dem Kodebaum und anschließender Inhaltsanalyse (nach Mayring)
herausgearbeitet.
Eine tragende Rolle für das Rauchen der jungen Mädchen schien uns die Langeweile zu
spielen. Weiters war sehr auffallend, dass die jungen Erwachsenen hauptsächlich in
Gruppen und nur selten alleine rauchen und dass sie dies wegen verschiedensten
Wirkungen - nicht immer nur positiven - tun, die ihnen wohl in ihrer schwierigen Zeit der
Pubertät in der heutigen Gesellschaft Erleichterung verschaffen. Auch wollten wir die
gängigen Theorien des Rolemodels und des Rational Choice überprüfen.
76

6.2.3 Ankerbeispiele bestimmen
Die thematischen Stränge die sich ergeben haben, wurden hermeneutisch interpretiert, d.h.
es wurden Ankerbeispiele identifiziert und diese dann genauer analysiert - teilw. inhalts- und
teilw. sequenzanalytisch.
6.2.4 Interpretation und Thesenbildung
Aufgrund dieser Analyse der Ankerbeispiele wurden verschiedenste Thesen gebildet, die als
Grundlage für die weitere Arbeit dienten. Nachdem die Thesen gebildet worden sind, wurden
weitere Textbeispiele, die über Kodeworte gefunden werden konnten, zugeordnet. Mit Hilfe
dieser Textbeispiele wurde die These verfeinert und gegebenenfalls differenziert.
Aufgrund dieser Interpretationsarbeit an diesen neuen thematischen Strängen konnten diese
insgesamt in eine neue Struktur überführt werden. Diese Schleife von Thesenbildung am
einzelnen thematischen Strang und Zusammenführung der Stränge in einem Gesamtkonzept
wurde einige Male durchlaufen und führte über mehrere Stufen der Theoriebildung
schließlich zu den vorgeführten Ergebnissen.
77

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