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<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />
Das Wichtige im Überblick<br />
Vertragsrecht<br />
Prepaid-Handys: Kein automatischer Verfall von<br />
Kartenguthaben (LG München)<br />
Flüssiggas-Lieferverträge: Ungenaue Preisanpassungsklauseln<br />
sind unwirksam (OLG Köln)<br />
Mietrecht<br />
Vertragsverlängerung: Keine Optionsausübung per<br />
Telefax (OLG Köln)<br />
Bau- und Nachbarrecht<br />
Windenergieanlagen: Unzulässigkeit bei Eiswurfgefahr<br />
(OVG Rheinland-Pfalz)<br />
Arbeitsrecht<br />
Ein-Euro-Jobs: Rechtswidrigkeit begründet keinen<br />
Anspruch auf reguläre Beschäftigung (ArbG Weiden)<br />
Sozialrecht<br />
GmbH-Alleingesellschafter: Regelmäßig keine<br />
sozialversicherungspflichtige Anstellungsmöglichkeit<br />
bei eigener GmbH (BSG)<br />
Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe: Zahlungspflicht<br />
auch bei fehlender Beschäftigungsmöglichkeit<br />
(OVG Rheinland-Pfalz)<br />
ALG II: Keine Anrechnung von Existenzgründungszuschüssen<br />
(SG Dortmund)<br />
Aus dem Inhalt:<br />
07/06<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Insider-Informationen: Ausnahmsweise zulässige<br />
Weitergabe (EuGH)<br />
Gewinnabführungsvertrag: Zulässiger „Nullausgleich“<br />
für außenstehenden Aktionär (BGH)<br />
Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Softwarelizenzen: Gebrauchthandel kann Urheberrechtsverstoß<br />
begründen (LG München)<br />
Steuerrecht<br />
Kindergeld: Anspruch für Ausländer bei Vorliegen<br />
eines Abschiebungshindernisses (FG Niedersachsen)<br />
Eigenheimzulage: Rückschenkung des Kaufpreises<br />
unter Angehörigen deutet auf Gestaltungsmissbrauch<br />
hin (BFH)
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 07/06 Inhalt<br />
Vertragsrecht<br />
Die Guthaben von Prepaid-Mobilfunk-Kunden<br />
dürfen nicht ohne weiteres verfallen<br />
LG München I 26.1.2006, 12 O 16098/05 4<br />
Ungenaue Preisanpassungsklauseln in langfristigen<br />
Flüssiggas-Lieferverträgen sind unwirksam<br />
OLG Köln 13.1.2006, 6 U 148/05 4<br />
Mietrecht<br />
Mietverlängerungsoptionen für langfristige Mietverträge<br />
können nicht per Fax ausgeübt werden<br />
OLG Köln 29.11.2005, 22 U 105/05 5<br />
Bau- und Nachbarschaftsrecht<br />
Windenergieanlagen können bei Eiswurfgefahr<br />
unzulässig sein<br />
OVG Rheinland-Pfalz 19.1.2006, 1 A 10845/05.OVG 5<br />
Haftungs- und Versicherungsrecht<br />
Zur Haftung eines Unternehmens für das Inverkehrbringen<br />
fehlerhafter Produkte<br />
EuGH 9.2.2006, C-127/04 5<br />
Bundesjustizministerium hat Einzelheiten der<br />
geplanten Reform des Versicherungsvertragsrechts<br />
veröffentlicht 6<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Bundesrat will Durchsetzung des Haushalts- und<br />
Taschengeldanspruchs von nicht berufstätigen Ehegatten<br />
verbessern 7<br />
Arbeitsrecht<br />
Rechtswidrige Ein-Euro-Jobs führen nicht zur<br />
Begründung eines Arbeitsverhältnisses<br />
ArbG Weiden 29.9.2005, 2 Ca 480/05 7<br />
Die zum 1.1.2004 in Kraft getretene Neuregelung<br />
der Klagefrist gemäß § 4 KSchG gilt auch für Ende<br />
2003 ausgesprochene Kündigungen<br />
BAG 9.2.2006, 6 AZR 283/05 8<br />
In kaufmännischen Bereichen stellt die bloße Fortführung<br />
der Arbeit mit eigenem Personal keinen<br />
(Teil-)Betriebsübergang dar<br />
BAG 27.10.2005, 8 AZR 45/05 8<br />
Sozialrecht<br />
Arbeitslosengeld II für unter 25-Jährige soll ab dem<br />
1.4.2006 gekürzt werden 9<br />
GmbH-Alleingesellschafter können regelmäßig nicht<br />
sozialversicherungspflichtig bei der GmbH beschäftigt<br />
sein<br />
BSG 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R 9<br />
Arbeitgeber müssen auch bei fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
für Schwerbehinderte die Ausgleichsabgabe<br />
zahlen<br />
OVG Rheinland-Pfalz 3.2.2006, 7 A 11284/05.OVG 9<br />
Bundeskabinett hat Gesetzentwurf zur Vermeidung<br />
von Rentenkürzungen beschlossen 10<br />
Existenzgründungszuschuss darf nicht auf das<br />
Arbeitslosengeld II angerechnet werden<br />
SG Detmold S 8 AS 8/05 10<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Insider-Informationen dürfen unter engen Voraussetzungen<br />
an Dritte weitergegeben werden<br />
EuGH 22.11.2005, C-384/02 10<br />
Ein in einem Gewinnabführungsvertrag festgelegter<br />
„Nullausgleich“ für außenstehende Aktionäre kann<br />
zulässig sein<br />
BGH 13.2.2006, II ZR 392/03 11<br />
Bei Immobilienfonds-Anlage kann eine allgemeine<br />
Aufklärung über Haftungsrisiken ausreichen<br />
OLG München 11.1.2006, 7 U 3183/05 11
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 07/06 Inhalt<br />
Verschmelzung der T-Online AG mit der Deutschen<br />
Telekom AG kann im Handelsregister eingetragen<br />
werden<br />
OLG Frankfurt a.M. 8.2.2006, 12 W 185/05 12<br />
Zum Ausschluss von steuersäumigen Unternehmen<br />
von öffentlichen Vergabeverfahren<br />
EuGH 9.2.2006, C-226/04 u.a. 13<br />
Zum Auskunftsanspruch eines ehemaligen GmbH-<br />
Geschäftsführers<br />
OLG München 21.12.2005, 31 Wx 080/05 13<br />
Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Verlage dürfen für günstige Zeitschriftenabonnements<br />
mit kurzer Laufzeit werben<br />
BGH 7.2.2006, KZR 33/04 14<br />
Unternehmer dürfen anwaltliche Gebührenforderungen<br />
ankaufen und eintreiben<br />
OLG Köln 3.2.2006, 6 U 190/05 14<br />
Der Handel mit „gebrauchten“ Softwarelizenzen<br />
kann gegen das Urheberrecht verstoßen<br />
LG München I 19.1.2006, 7 O 23237/05 14<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen sind zum<br />
1.7.2005 wirksam erhöht worden<br />
BGH 24.1.2006, VII ZB 93/05 15<br />
Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />
Berlin muss den Zeugen Jehovas die Rechte einer<br />
Körperschaft öffentlichen Rechts verleihen<br />
BVerwG 1.2.2006, 7 B 80.05 15<br />
Für Personalfragen verantwortliche GmbH-Gesellschafter<br />
müssen die Abschiebungskosten von illegal<br />
beschäftigten Ausländern tragen<br />
VG Koblenz 12.12.2005, 3 K 507/05.KO 16<br />
Steuerrecht<br />
Die beschränkte Abziehbarkeit von Beiträgen zu<br />
den gesetzlichen Rentenversicherungen ist verfassungsgemäß<br />
BFH 1.2.2006, X B 166/05 16<br />
DStV: Steuerpflichtige sollten gegen Bescheide<br />
über die Besteuerung von Spekulationsgewinnen<br />
ab 1999 Einspruch einlegen 17<br />
Ausländer können bereits bei Vorliegen eines<br />
Abschiebungshindernisses Kindergeld beanspruchen<br />
Niedersächsisches FG 23.1.2006, 16 K 12/04 17<br />
Bundesrat hat sich gegen die Einbeziehung öffentlicher<br />
Spielbanken in die Umsatzsteuer ausgesprochen<br />
und will Besteuerung von Glücksspielen neu<br />
regeln 18<br />
Soldaten können bei Dienst auf einem Schiff Verpflegungsmehraufwendungen<br />
geltend machen<br />
BFH 16.11.2005, VI R 12/04 18<br />
Anerkennung eines häuslichen Arbeitszimmers zur<br />
Weiterbildung setzt arbeitsvertragliche Weiterbildungspflicht<br />
voraus<br />
FG Köln 3.11.2005, 10 K 1129/02 19<br />
Zum Bewertungswahlrecht bei der formwechselnden<br />
Umwandlung einer Personengesellschaft in<br />
eine Kapitalgesellschaft<br />
BFH 19.10.2005, I R 38/04 19<br />
Grundstückskauf unter Angehörigen: Bei Rückschenkung<br />
des Kaufpreises kann ein Gestaltungsmissbrauch<br />
zur Erlangung der Eigenheimzulage<br />
vorliegen<br />
BFH 27.10.2005, IX R 76/03 19<br />
Renovierungskosten für ein künftiges Arbeitszimmer<br />
unterliegen der Abzugsbeschränkung<br />
BFH 9.11.2005, VI R 19/04 20
Vertragsrecht<br />
Die Guthaben von Prepaid-Mobilfunk-<br />
Kunden dürfen nicht ohne weiteres verfallen<br />
LG München I 26.1.2006, 12 O 16098/05<br />
Mobilfunknetzbetreiber, die Prepaid-Mobilfunkdienstleistungen<br />
anbieten, dürfen in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
nicht regeln, dass ein bereits eingezahltes Guthaben verfällt,<br />
wenn es nicht genutzt oder der Vertrag vorzeitig beendigt wird.<br />
Solche Klauseln benachteiligen die Kunden der Mobilfunknetzbetreiber<br />
unangemessen und sind damit nichtig.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der beklagte Mobilfunknetzbetreiber regelt in seinen Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen für die Nutzung von Prepaid-Mobilfunkdienstleistungen,<br />
dass ein Guthaben, dessen Übertragung<br />
auf das Guthabenkonto mehr als 365 Tage zurückliegt, verfällt,<br />
wenn es nicht durch eine weitere Aufladung, die binnen eines<br />
Monats nach Ablauf der 365 Tage erfolgen muss, wieder nutzbar<br />
gemacht wird. Eine weitere Klausel regelt, dass nach der Beendigung<br />
des Vertrags ein etwaiges Restguthaben auf dem Guthabenkonto<br />
verfällt. Der Guthabenverfall soll nicht eintreten, wenn<br />
der Netzbetreiber den Vertrag aus nicht vom Kunden zu vertretenden<br />
Gründen kündigt oder wenn der Kunde den Vertrag aus<br />
vom Netzbetreiber zu vertretenen Gründen kündigt.<br />
Die Klägerin ist eine Verbraucherzentrale. Sie hielt die Klauseln<br />
in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten für<br />
unzulässig, weil sie die Verbraucher unangemessen benachteiligten.<br />
Demgegenüber trug die Beklagte vor, dass ihr durch die Aufrechterhaltung<br />
von Verträgen inaktiver Kunden wegen der Verwaltung<br />
der Guthaben erhebliche Kosten entstehen würden. Die<br />
Guthaben müssten registriert und auf Verlangen bis zum Ablauf<br />
der Verjährung ausbezahlt werden. Dieser Aufwand sei unzumutbar.<br />
Die auf Unterlassung gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der<br />
Beklagten benachteiligen die Verbraucher unangemessen. Die<br />
Kunden der Beklagten haben mit der Einzahlung des Guthabens<br />
eine Vorleistung erbracht, wobei es nach den Klauseln möglich<br />
ist, dass auch größere Guthaben über 100 Euro verfallen. Diese<br />
Vorgehensweise kann die Beklagte nicht mit einem hohen Verwaltungsaufwand<br />
rechtfertigen. Die Verwaltung der Guthaben<br />
ist ein rein buchhalterischer Vorgang und der Verwaltungsaufwand<br />
hierfür nicht unzumutbar hoch.<br />
Die Beklagte darf in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen<br />
auch nicht bestimmen, dass die Guthaben der Kunden bei einer<br />
Beendigung des Vertrags verfallen. Dies erschwert die Kündigung<br />
des Vertrags unnötig, wenn noch ein erhebliches Guthaben<br />
vorhanden ist. Auch dies stellt eine unangemessene Benachteiligung<br />
der Verbraucher dar.<br />
Ungenaue Preisanpassungsklauseln in<br />
langfristigen Flüssiggas-Lieferverträgen<br />
sind unwirksam<br />
OLG Köln 13.1.2006, 6 U 148/05<br />
Flüssiggas-Anbieter dürfen in ihren langfristigen Lieferverträgen<br />
keine Preisanpassungsklauseln verwenden, die Grund und<br />
Umfang einer Preiserhöhung nicht hinreichend konkret festlegen.<br />
Diesbezüglich ungenaue Klauseln sind wegen unangemessener<br />
Kundenbenachteiligung unwirksam. Auch ein dem Kunden<br />
eingeräumtes Kündigungsrecht stellt nicht ohne weiteres<br />
einen angemessenen Ausgleich für eine als solche benachteiligende<br />
Anpassungsklausel dar.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte ist ein Unternehmen auf dem Markt der Flüssiggas-Anbieter.<br />
Sie verwendet in ihren langjährigen Lieferverträgen<br />
zwei Preisanpassungsklauseln. Nach der ersten Klausel ist<br />
die Beklagte zur Preisanpassung berechtigt, „wenn Änderungen<br />
des Einstandspreises und/oder der Kosten eintreten“; nach<br />
der zweiten Klausel hat sie das Recht, „den Gaspreis zu ändern,<br />
wenn eine Preisänderung durch die Vorlieferanten...erfolgt“.<br />
Der Kläger ist der Bund für Energieverbraucher. Er vertrat<br />
die Auffassung, dass die Klauseln wegen einer unangemessen<br />
Benachteiligung der Kunden unwirksam seien. Diese Benachteiligung<br />
werde auch nicht durch das den Kunden im Fall einer<br />
Preiserhöhung eingeräumte Kündigungsrecht ausgeglichen. Die<br />
Unterlassungsklage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Preisanpassungsklauseln der Beklagten benachteiligen ihre<br />
Kunden unangemessen.<br />
Die erste Klausel räumt der Beklagten unzulässigerweise das<br />
Recht ein, die Preisänderung an die Entwicklung dem Kunden<br />
weder bekannter noch zugänglicher Betriebskosten zu koppeln.<br />
Bei den „Einstandspreisen“ und den nicht näher erläuterten<br />
„Kosten“ handelt es sich um rein betriebsinterne Berechnungsgrößen,<br />
die der Kunde weder kennt noch in Erfahrung bringen<br />
kann. Außerdem fehlt es an der erforderlichen Gewichtung der<br />
einzelnen Kostenelemente im Hinblick auf deren Bedeutung für<br />
die Kalkulation des Gaspreises. Die „kundenfeindlichste“ Auslegung<br />
der ersten Klausel lässt eine Preiserhöhung selbst dann zu,<br />
wenn trotz Anstiegs einzelner Kostenfaktoren die Gesamtkosten<br />
im Ergebnis unverändert geblieben sind.<br />
Nach der zweiten Preisanpassungsklausel kann die Beklagte<br />
„den Gaspreis ändern, wenn eine Preisänderung durch die Vorlieferanten...erfolgt“.<br />
Hiernach kann sie sogar unberechtigte und<br />
nach oben unbegrenzte Preiserhöhungen ihrer Vorlieferanten an<br />
die Kunden weitergeben.<br />
Das den Kunden im Fall der Preiserhöhung eingeräumte Kündigungsrecht,<br />
stellt vorliegend keinen angemessen Ausgleich der<br />
Benachteiligung dar, weil es ungünstig und unklar ausgestaltet<br />
ist.<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4
Mietrecht<br />
Mietverlängerungsoptionen für langfristige<br />
Mietverträge können nicht per Fax ausgeübt<br />
werden<br />
OLG Köln 29.11.2005, 22 U 105/05<br />
Die Verlängerungsoption für einen Mietvertrag bedarf der Schriftform,<br />
wenn der Vertrag für längere Zeit als ein Jahr geschlossen<br />
wurde. Die Übermittlung dieser Option per Fax genügt dem<br />
Schriftformerfordernis nicht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin verlangte von den beklagten Rechtsanwälten die<br />
Zahlung von Schadensersatz wegen einer fehlerhaften anwaltlichen<br />
Beratung.<br />
Die Klägerin hatte 1997 von ihrer Vermieterin Räume für den<br />
Betrieb einer Tanzschule angemietet. Der Mietvertrag sah eine<br />
Laufzeit bis zum 31.12.2002 vor und enthielt eine Verlängerungsoption<br />
zu Gunsten der Klägerin, die sie bis zum 31.3.2002<br />
ausüben musste. Die Beklagten, die für die Klägerin anwaltlich<br />
tätig waren, übersandten der Vermieterin innerhalb der Optionsfrist<br />
ein Fax, in dem sie auftragsgemäß für die Klägerin die Ausübung<br />
der Option erklärten.<br />
Die Vermieterin lehnte die Verlängerung des Mietvertrags ab,<br />
weil die Option nicht schriftlich ausgeübt worden sei. Das von<br />
den Anwälten der Beklagten übersandte Fax genüge nicht der<br />
Schriftform. Die Vermieterin verkaufte das Objekt. Daraufhin<br />
verlangte der neue Vermieter von der Klägerin einen höheren<br />
Mietzins. Die Klägerin verlangte von den Beklagten den Ersatz<br />
der Differenz zwischen alter und neuer Miete für das Jahr 2003.<br />
Die hierauf gerichtete Klage hatte vor dem OLG Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung<br />
von Schadensersatz für die Differenz zwischen alter und<br />
neuer Miete für das Jahr 2003. Der Mietvertrag, dessen Verlängerung<br />
mit der Ausübung der Option erreicht werden sollte, war<br />
für längere Zeit als ein Jahr geschlossen worden und bedurfte<br />
deshalb gemäß § 550 BGB der Schriftform. In einem solchen<br />
Fall müssen grundsätzlich alle Änderungen, Ergänzungen oder<br />
sonstige Nebenabreden ebenfalls der Schriftform genügen. Die<br />
Schriftform war auch nicht gemäß § 127 Abs.2 BGB entbehrlich.<br />
Hiernach genügt die Übermittlung per Fax dann der Schriftform,<br />
wenn die Parteien dies zuvor bestimmt haben. Dies gilt allerdings<br />
nicht ,wenn sich das Schriftformerfordernis - wie hier - aus<br />
dem Gesetz ergibt.<br />
Die Nichteinhaltung der Schriftform stellt eine schuldhafte<br />
anwaltliche Pflichtverletzung dar, weil dem <strong>Anwalt</strong> die diesbezügliche<br />
Rechtslage bekannt sein muss.<br />
Bau- und<br />
Nachbarschaftsrecht<br />
Windenergieanlagen können bei Eiswurfgefahr<br />
unzulässig sein<br />
OVG Rheinland-Pfalz 19.1.2006, 1 A 10845/05.OVG<br />
Windenergieanlagen, bei denen die Gefahr von Eiswurf besteht,<br />
dürfen ohne ausreichende technische Schutzvorkehrungen nicht<br />
auf dem Nachbargrundstück einer Weihnachtsbaumkultur errichtet<br />
werden. Die Möglichkeit des Eiswurfs führt zu einer nicht<br />
hinnehmbaren Gefahr für die Personen, die sich bei der Arbeit<br />
in der Weihnachtsbaumkultur in der Nähe der Windenergieanlagen<br />
aufhalten.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin betreibt eine Weihnachtsbaumkultur. Die Beklagte<br />
beabsichtigte, auf den ummittelbar angrenzenden Grundstücken<br />
Windenergieanlagen mit einer Nabenhöhe von jeweils 61,40<br />
Meter und 85 Meter sowie einem Rotorradius von 38,50 Meter<br />
zu errichten. Die Klägerin focht die hierfür erteilte Baugenehmigung<br />
mit dem Hinweis darauf an, dass die Anlage über keine<br />
ausreichenden Vorkehrungen zum Schutz vor Eiswurf verfüge.<br />
Die gegen die Baugenehmigung gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Baugenehmigung verstößt gegen das Gebot der Rücksichtnahme,<br />
weil sie keine ausreichenden Schutzvorkehrungen gegen<br />
Eiswurf vorsieht. Nach der Einschätzung des Sachverständigen<br />
ist auf Grund des Standorts und der Größe der Anlage mit Eiswurf<br />
in einer Wurfweite von mehreren hundert Metern zu rechnen.<br />
Dies führt zu einer erheblichen Gefährdung der Personen,<br />
die sich bei der Arbeit in der Weihnachtsbaumkultur in der Nähe<br />
der Windenergieanlagen aufhalten.<br />
Haftungs- und<br />
Versicherungsrecht<br />
Zur Haftung eines Unternehmens für das<br />
Inverkehrbringen fehlerhafter Produkte<br />
EuGH 9.2.2006, C-127/04<br />
Die Haftung eines Unternehmens für das Inverkehrbringen fehlerhafter<br />
Produkte verjährt nach Art. 11 der Richtlinie 85/374/EWG<br />
grundsätzlich innerhalb von zehn Jahren nach dem Inverkehrbringen<br />
des Produkts. Dabei wird das Inverkehrbringen nicht unbedingt<br />
durch die Übergabe des Produkts vom Hersteller an seine<br />
(Vertriebs-) Tochtergesellschaft bewirkt. Ein Inverkehrbringen<br />
kann daher auch erst dann vorliegen, wenn die Tochtergesellschaft<br />
das Produkt auf den Markt bringt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der minderjährige Kläger wurde 1992 in einer Arztpraxis in England<br />
geimpft. Im Anschluss an diese Impfung erlitt er eine schwere<br />
Schädigung. Acht Jahre später verlangte er von dem beklagten<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5
Unternehmen X. die Zahlung von Schadensersatz, weil die Schädigung<br />
durch einen von X. hergestellten fehlerhaften Impfstoff<br />
verursacht worden sei. X. ist eine 100-prozentige Tochter der französischen<br />
Gesellschaft Y.<br />
Im Jahr 2002 erhob der Kläger auch noch Klage gegen Y. und trug<br />
vor, dass er erst in diesem Jahr erfahren habe, dass Y. die Herstellerin<br />
des Impfstoffes sei. Y. machte geltend, dass der Anspruch<br />
des Klägers verjährt sei. Nach Art. 11 der Richtlinie 85/374/EWG<br />
über die Haftung für fehlerhafte Produkte verjähre die Haftung für<br />
fehlerhafte Produkte innerhalb von zehn Jahren.<br />
Das mit der Sache befasste englische Gericht legte dem EuGH die<br />
Frage zur Vorabentscheidung vor, ob ein Produkt zu dem Zeitpunkt<br />
in den Verkehr gebracht ist, zu dem es vom herstellenden Unternehmen<br />
an die Tochtergesellschaft übergeben wird, oder aber zum<br />
Zeitpunkt seiner Übergabe durch diese an den Dritten. Außerdem<br />
sollte der EuGH klären, ob das herstellende Unternehmen (Y.)<br />
durch das ursprünglich verklagte Unternehmen (X.) als Beklagter<br />
ersetzt werden kann. Der EuGH entschied, dass ein Inverkehrbringen<br />
nicht unbedingt durch die Übergabe des Produkts vom Hersteller<br />
an seine (Vertriebs-) Tochtergesellschaft bewirkt wird.<br />
Die Gründe:<br />
Die Ansprüche des Klägers sind unter Umständen noch nicht verjährt.<br />
Grundsätzlich wird ein Produkt in den Verkehr gebracht, (und<br />
damit beginnt der Lauf der Verjährungsfrist) wenn es den beim<br />
Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat<br />
und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in<br />
ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird.<br />
Bei der Beurteilung des Prozesses der „Herstellung“ ist aber auch<br />
eine enge Konzernverflechtung zu berücksichtigen. Ist eines der<br />
Glieder der Vertriebskette eng mit dem Hersteller verbunden, wie<br />
etwa eine 100-prozentige Tochtergesellschaft des Herstellers, so<br />
ist zu prüfen, ob diese Verbindung zur Folge hat, dass die Tochtergesellschaft<br />
in den Prozess der Herstellung des betreffenden Produkts<br />
einbezogen ist.<br />
Es ist Sache der nationalen Gerichte, anhand der Umstände des<br />
jeweiligen Einzelfalls festzustellen, ob die Verbindungen zwischen<br />
dem Hersteller und einer anderen Einrichtung so eng sind, dass der<br />
Begriff des Herstellers auch diese andere Einrichtung umfasst und<br />
die Übergabe des Produkts durch die eine Einrichtung an die andere<br />
nicht sein Inverkehrbringen bewirkt. Die nationalen Gerichte<br />
müssen dabei berücksichtigen, dass es nicht darauf ankommt, ob<br />
unterschiedliche juristische Personen vorliegen oder die Tochtergesellschaft<br />
die Produkte der Muttergesellschaft abkaufen muss.<br />
Ebenso wenig kommt es darauf an, welche Einrichtung als Eigentümerin<br />
der Produkte anzusehen ist.<br />
Ob das herstellende Unternehmen (Y.) durch das ursprünglich verklagte<br />
Unternehmen (X.) als Beklagter ersetzt werden kann, richtet<br />
sich nach dem nationalen Recht.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
Bundesjustizministerium hat Einzelheiten<br />
der geplanten Reform des Versicherungsvertragsrechts<br />
veröffentlicht<br />
Das Bundesjustizministerium hat am 9.2.2006 die Eckpunkte der<br />
umfangreichen Reform des Versicherungsvertragsrechts vorgestellt.<br />
Kernpunkt der Reform ist die Modernisierung des Rechts<br />
der Lebensversicherungen. Künftig soll der Anspruch auf Überschussbeteiligung<br />
als Regelfall im Gesetz verankert werden. Der<br />
Versicherungsnehmer soll erstmals einen gesetzlichen Anspruch<br />
auf Beteiligung an den stillen Reserven erhalten. Außerdem soll<br />
die Berechnung der Rückkaufswerte von Lebensversicherungen<br />
klarer geregelt werden.<br />
Die Einzelheiten der geplanten VVG-Reform im Überblick:<br />
1. Modernisierung der Lebensversicherung<br />
- Anspruch auf Überschussbeteiligung: Der Anspruch auf<br />
Überschussbeteiligung wird im Versicherungsvertragsgesetz<br />
(VVG) als Regelfall verankert. Erstmals erhält der Versicherungsnehmer<br />
einen Anspruch auf Beteiligung an den stillen<br />
Reserven. Dabei ist vorgehen, dass die Versicherungsunternehmen<br />
grundsätzlich die Hälfte aller stillen Reserven in die<br />
Überschussbeteiligung einbeziehen müssen. Die andere Hälfte<br />
verbleibt im Unternehmen. Die Überschüsse müssen den Versicherungsnehmern<br />
spätestens zwei Jahre nach der Ermittlung<br />
der Überschüsse gutgeschrieben werden.<br />
- Berechnung des Rückkaufswerts: Der Rückkaufswert der<br />
Lebensversicherung ist künftig nach dem Deckungskapital der<br />
Versicherung und nicht mehr nach dem Zeitwert der Versicherung<br />
zu berechnen. Das gilt auch, wenn der Vertrag vorzeitig<br />
beendet wird. Das Deckungskapital ist das Kapital, das vorhanden<br />
sein muss, um die Ansprüche des Versicherungsnehmers<br />
zu erfüllen. Der so berechnete Rückkaufswert wird im<br />
Regelfall höher sein als der nach dem Zeitwert berechnete.<br />
- Höherer Rückkaufswert bei frühzeitiger Vertragsbeendigung:<br />
Die Abschlusskosten der Lebensversicherung werden<br />
künftig auf die ersten fünf Vertragsjahre verteilt. Der Rückkaufswert<br />
fällt damit in den ersten Jahren höher aus als nach<br />
der bisherigen Praxis.<br />
2. Mehr Verbraucherschutz bei allen Versicherungsverträgen<br />
- Verbesserte Beratung und Information: Die Versicherer<br />
müssen die Versicherungsnehmer vor Abschluss eines Vertrages<br />
künftig besser beraten und informieren. Das Beratungsgespräch<br />
ist grundsätzlich zu dokumentieren. Die Versicherer<br />
müssen außerdem vor Vertragsschluss über die Vertragsbestimmungen<br />
und die allgemeinen Versicherungsbedingungen<br />
informieren und dürfen die Vertragsunterlagen nicht mehr erst<br />
zusammen mit dem Versicherungsschein zuschicken.<br />
- Vorvertragliche Anzeigepflichten: Der Versicherungsnehmer<br />
muss künftig vor Vertragsschluss grundsätzlich nur solche<br />
Umstände anzeigen, nach denen der Versicherer konkret und<br />
in Textform gefragt hat. Das Risiko einer Fehleinschätzung,<br />
ob ein Umstand für das versicherte Risiko erheblich ist, liegt<br />
damit nicht mehr beim Versicherungsnehmer, sondern beim<br />
Versicherer. Außerdem muss der Versicherer seine Rechte aus<br />
der Verletzung der Anzeigepflicht innerhalb von fünf Jahren<br />
geltend machen.<br />
- Direktanspruch in der Pflichtversicherung: Der Geschädigte<br />
soll künftig bei allen Pflichtversicherungen einen Direktanspruch<br />
gegen den Versicherer erhalten und damit seine<br />
Ersatzansprüche leichter realisieren können.<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6
- Allgemeines Widerrufsrecht: Alle Versicherungsverträge<br />
- und nicht mehr nur solche im Fernabsatzverkehr - sollen<br />
innerhalb von zwei Wochen (bei der Lebensversicherung: 30<br />
Tage) nach Übermittlung der Vertragsbedingungen und Informationen<br />
widerrufen werden können. Das Widerrufsrecht soll<br />
dabei nicht auf Verbraucher begrenzt sein, sondern beispielsweise<br />
auch für Handwerker oder Freiberufler gelten.<br />
- Aufgabe des Alles-oder-Nichts-Prinzips: Bei einer Verletzung<br />
von Anzeige- oder Obliegenheitsverletzungen sollen<br />
sich die Folgen für den Versicherungsnehmer künftig danach<br />
bemessen, wie stark sein Verschulden wiegt. Bei grob fahrlässigen<br />
Verstößen können die Leistungen beispielsweise<br />
nicht mehr komplett gestrichen, sondern nur entsprechend der<br />
Schwere der Schuld gekürzt werden.<br />
- Abschaffung des Prinzips der „Unteilbarkeit der Prämie“<br />
und Wegfall der Klagefrist: Wird der Versicherungsvertrag<br />
im Laufe des Versicherungsjahres gekündigt oder durch<br />
Rücktritt beendet, muss der Versicherungsnehmer die Prämie<br />
im Gegensatz zum geltenden Recht nicht für das ganze Jahr,<br />
sondern nur bis zu diesem Zeitpunkt zahlen. Außerdem soll<br />
die Klagefrist für die Geltendmachung von Ansprüchen auf<br />
die Versicherungsleistung abgeschafft werden.<br />
Die Reform soll zum 1.1.2008 in Kraft treten und für alle dann<br />
laufenden Verträge gelten. Das BMJ rechnet im August 2006 mit<br />
einem Kabinettsbeschluss, so dass der Bundestag seine Beratungen<br />
im Oktober 2006 aufnehmen kann.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der vorgestellten Eckpunkte der VVG-Reform ist<br />
auf den Webseiten des BMJ veröffentlicht. Um direkt zu den<br />
Eckpunkten zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Bundesrat will Durchsetzung des Haushalts-<br />
und Taschengeldanspruchs von nicht<br />
berufstätigen Ehegatten verbessern<br />
Der Bundesrat hat am 10.2.2006 einen Gesetzentwurf zur Änderung<br />
der Wirtschafts- und Taschengeldregelung gemäß §§ 1360,<br />
1360a BGB beschlossen. Schon nach jetzigem Recht haben<br />
Hausfrauen oder Hausmänner gegen ihren berufstätigen Ehepartner<br />
einen Anspruch auf ein angemessenes Haushalts- und<br />
Taschengeld. Der Gesetzentwurf zielt darauf ab, die bestehende<br />
Regelung zu präzisieren und dem nicht berufstätigen Ehegatten<br />
einen Auskunftsanspruch einzuräumen, um die Durchsetzung<br />
seiner Ansprüche zu erleichtern.<br />
Im Einzelnen sieht der Gesetzentwurf vor, dass der Anspruch des<br />
haushaltsführenden nicht berufstätigen Ehegatten auf ein angemessenes<br />
Wirtschafts- und Taschengeld ausdrücklich im Gesetz<br />
verankert wird. Daneben soll dem nicht berufstätigen Ehegatten<br />
ein entsprechender Auskunftsanspruch gegenüber dem erwerbstätigen<br />
Ehegatten über dessen Einkommen eingeräumt werden.<br />
Der Gesetzentwurf (Drucksache 43/06) wird nunmehr der Bundesregierung<br />
zugeleitet, die ihn innerhalb von sechs Wochen an<br />
den Bundestag weiterleiten muss.<br />
Arbeitsrecht<br />
Rechtswidrige Ein-Euro-Jobs führen nicht<br />
zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses<br />
ArbG Weiden 29.9.2005, 2 Ca 480/05<br />
Tritt ein Arbeitslosengeld-II-Empfänger einen so genannten Ein-<br />
Euro-Job an, so wird hierdurch kein Arbeitsverhältnis begründet.<br />
Das gilt selbst dann, wenn die Heranziehung zu den Arbeiten<br />
rechtswidrig war. Das Fehlen der gesetzlichen Voraussetzungen<br />
für die Zuweisung eines Ein-Euro-Jobs ersetzt nicht das zur<br />
Begründung eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Angebot des<br />
Maßnahmenträgers zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger bezieht Arbeitslosengeld II. Nach einer entsprechenden<br />
Aufforderung der ARGE trat er bei der Beklagten einen so<br />
genannten Ein-Euro-Job an. Die Beklagte setzte den Kläger zum<br />
Ausästen von Bäumen und Sträuchern, zum Ausbessern von<br />
Straßenschäden, zu Mäh- und Aufräumarbeiten sowie zu Hilfstätigkeiten<br />
im Rahmen einer Schulsanierung ein.<br />
Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Feststellung, dass er<br />
Arbeitnehmer der Beklagten sei, und verlangte die Zahlung der<br />
tariflichen Arbeitsvergütung. Er begründete seine Klage damit,<br />
dass die von ihm verrichteten Arbeiten nicht die gesetzlichen<br />
Voraussetzungen für einen Ein-Euro-Job erfüllten, weil es sich<br />
hierbei nicht um „zusätzliche Tätigkeiten“ im Sinn von § 16<br />
Abs.3 SGB II handele, sondern um solche, die normalerweise<br />
von regulär beschäftigten Gemeindearbeitern ausgeübt würden.<br />
Der Kläger machte außerdem geltend, dass er mit der Beklagten<br />
zwar keinen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen habe, diese<br />
ihm aber durch die Zuweisung der Arbeiten eines regulären<br />
Gemeindearbeiters konkludent ein Angebot zum Abschluss eines<br />
Arbeitsvertrags unterbereitet habe, das er durch die Erledigung<br />
der Arbeiten angenommen habe. Zumindest seien die Grundsätze<br />
des faktischen Arbeitsverhältnisses analog anzuwenden. Seine<br />
Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Zwischen den Parteien ist kein Arbeitsverhältnis begründet worden.<br />
Ein-Euro-Jobs begründen nach der gesetzlichen Fiktion in §<br />
16 Abs.3 S.2 2. Hs. SGB II kein Arbeitsverhältnis. Etwas anderes<br />
ergibt sich im Streitfall auch nicht daraus, dass die vom Kläger<br />
verrichteten Arbeiten möglicherweise nicht die gesetzlichen Voraussetzungen<br />
einer Arbeitsgelegenheit im Sinn von § 16 Abs.3<br />
SGB II erfüllt haben. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre<br />
zwischen den Parteien nicht automatisch ein Arbeitsverhältnis<br />
zustande gekommen, sondern müsste eine hierauf gerichtete<br />
Willenseinigung der Parteien vorliegen.<br />
Die Parteien haben sich weder ausdrücklich noch konkludent<br />
auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses geeinigt. Es fehlt<br />
schon an einem entsprechenden Angebot der Beklagten. Es gibt<br />
keine Anhaltspunkte dafür, dass sie dem Kläger bewusst reguläre<br />
Arbeiten und nicht Arbeiten für Ein-Euro-Jobber zugewiesen<br />
hat. Die Beklagte war lediglich als Maßnahmenträger in die<br />
Erfüllung öffentlicher Aufgaben eingebunden. Der Kläger konnte<br />
deshalb die Bereitschaft der Beklagten, ihn zu beschäftigen,<br />
nur als eine Beschäftigung im Rahmen der Eingliederungsmaßnahme<br />
verstehen.<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7
Die Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses finden hier<br />
keine Anwendung, weil sie lediglich Arbeitsleistungen auf<br />
Grund eines unwirksamen Arbeitsvertrags betreffen, während<br />
der Kläger die Feststellung des Bestehens eines Arbeitsvertrags<br />
begehrt. Im Übrigen setzt auch die Anwendung der Grundsätze<br />
des faktischen Arbeitsverhältnisses den übereinstimmenden Willen<br />
der Parteien voraus, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, an<br />
dem es hier fehlt.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
LAG Nürnberg veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Die zum 1.1.2004 in Kraft getretene Neuregelung<br />
der Klagefrist gemäß § 4 KSchG gilt<br />
auch für Ende 2003 ausgesprochene Kündigungen<br />
BAG 9.2.2006, 6 AZR 283/05<br />
Die mit § 4 KSchG n.F. eingeführte einheitliche Klagefrist von<br />
drei Wochen für alle gegen die Wirksamkeit einer Kündigung<br />
gerichteten Klagen gilt auch für Ende 2003 ausgesprochene<br />
Kündigungen, gegen die erst im Jahr 2004 gerichtlich vorgegangen<br />
wird. In diesen Fällen begann die Klagefrist mit Inkrafttreten<br />
der Neuregelung zum 1.1.2004 und lief drei Wochen später (am<br />
21.1.2004) ab.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger sollte zum 1.1.2004 seine Arbeitsstelle bei der<br />
Beklagten antreten. Im Arbeitsvertrag war eine sechsmonatige<br />
Probezeit und die Möglichkeit der Kündigung des Arbeitsverhältnisses<br />
während der Probezeit mit einer Frist von einem<br />
Monat zum Monatsende vereinbart. Am 28.11.2003 und damit<br />
noch vor dem Arbeitsantritt des Klägers kündigte die Beklagte<br />
das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2003.<br />
Mit seiner am 13.2.2004 erhobenen Klage machte der Kläger<br />
die Unwirksamkeit der Kündigung geltend. Die Kündigung sei<br />
treuwidrig. Außerdem fehle es an einer ordnungsgemäßen Beteiligung<br />
des Betriebsrats. Daneben habe die Beklagte das Arbeitsverhältnis<br />
erst zum 29.2.2004 kündigen können, weil die Kündigungsfrist<br />
frühestens am 1.1.2004 begonnen habe. Die Klage<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis mit dem<br />
Kläger zum 31.12.2003 beendet. Dabei kann offen bleiben, ob<br />
die Kündigung treuwidrig war oder der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß<br />
beteiligt worden ist. Die Kündigung gilt ungeachtet<br />
solcher etwaigen Kündigungsmängel gemäß § 7 KSchG als<br />
wirksam, weil der Kläger die dreiwöchige Klagefrist des § 4<br />
KSchG n.F. versäumt hat.<br />
Nach der zum 1.1.2004 in Kraft getretenen Neuregelung der Klagefrist<br />
in § 4 KSchG n.F. müssen nicht nur Klagen, mit denen die<br />
Sozialwidrigkeit einer Kündigung geltend gemacht wird, sondern<br />
grundsätzlich alle gegen die Wirksamkeit einer Kündigung gerichteten<br />
Klagen innerhalb einer Frist von drei Wochen ab Zugang der<br />
Kündigung erhoben werden. § 4 KSchG n.F. findet auch auf im<br />
Jahr 2003 ausgesprochene Kündigungen Anwendung, gegen die<br />
erst im Jahr 2004 gerichtlich vorgegangen wird.<br />
Die Klagefrist begann in diesen Fällen mit dem Inkrafttreten<br />
der Neuregelung am 1.1.2004 und endete am 21.1.2004. Da der<br />
Kläger erst am 13.2.2004 Klage erhoben hat, hat er die Drei-<br />
Wochen-Frist für die gerichtliche Geltendmachung der Unwirksamkeit<br />
der Kündigung versäumt.<br />
Die Kündigung ist auch nicht wegen Nichteinhaltung der Kündigungsfrist<br />
unwirksam. Dieser Einwand kann zwar außerhalb<br />
der Klagefrist des § 4 KSchG n.F. geltend gemacht werden. Die<br />
Beklagte hat die Kündigungsfrist aber eingehalten. Liegt - wie<br />
hier - eine Kündigung vor Dienstantritt vor, so ist regelmäßig<br />
nicht anzunehmen, dass die Parteien eine tatsächliche Mindestbeschäftigung<br />
gewollt haben. Daher beginnt die Kündigungsfrist<br />
grundsätzlich mit Zugang des Kündigungsschreibens und<br />
nicht erst mit dem vertraglich vereinbarten Beginn der Beschäftigung.<br />
In kaufmännischen Bereichen stellt die bloße<br />
Fortführung der Arbeit mit eigenem Personal<br />
keinen (Teil-)Betriebsübergang dar<br />
BAG 27.10.2005, 8 AZR 45/05<br />
In Betrieben oder Betriebsteilen, in denen es - wie etwa im kaufmännischen<br />
Bereich - im Wesentlichen auf die menschliche<br />
Arbeitskraft ankommt, führt die Fortsetzung der Tätigkeit in<br />
denselben Räumen nur dann zu einem (Teil-)Betriebsübergang,<br />
wenn der Erwerber den wesentlichen Teil des Personals übernommen<br />
hat. Setzt er die Arbeiten dagegen mit seinem eigenen<br />
Personal fort, so liegt kein Betriebsübergang, sondern eine bloße<br />
Funktionsnachfolge vor.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin war bei der Beklagten zu 1) als kaufmännische<br />
Angestellte/Sekretärin beschäftigt. Die Beklagte zu 1) erledigte<br />
als Holdinggesellschaft sämtliche Verwaltungsaufgaben der I.<br />
GmbH. Nachdem die I. GmbH von der Beklagten zu 2) übernommen<br />
worden war, vereinbarten die Beklagten zunächst eine<br />
Fortsetzung der Zusammenarbeit. Einige Monate später kündigte<br />
die Beklagte zu 2) den Dienstleistungsvertrag mit der Beklagten<br />
zu 1), übernahm deren Betriebsräume und setzte hier zur Erledigung<br />
der Verwaltungsaufgaben ihr eigenes Personal ein.<br />
Daraufhin kündigte die Beklagte zu 1) das Arbeitsverhältnis mit<br />
der Klägerin „wegen Wegfalls ihres Arbeitsplatzes“. Mit ihrer<br />
hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend, dass<br />
die Kündigung nach § 613a Abs.4 S.1 BGB unwirksam sei, weil<br />
die Beklagte zu 2) den Betrieb übernommen habe. Das ArbG gab<br />
der Klage statt; das LAG wies sie ab. Die hiergegen gerichtete<br />
Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kündigung der Beklagten zu 1) hat das Arbeitsverhältnis mit<br />
der Klägerin wirksam beendet. § 613a Abs.4 S.1 BGB, wonach<br />
die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen eines (Teil-<br />
)Betriebsübergangs unzulässig ist, steht dem nicht entgegen, da<br />
die Fortführung der Verwaltungsarbeiten durch die Beklagte zu<br />
2) nicht zu einem (Teil-)Betriebsübergang geführt hat.<br />
In Betrieben, in denen es - wie hier - im Wesentlichen auf die<br />
menschliche Arbeitskraft ankommt, kann zwar eine Gesamtheit<br />
von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft<br />
verbunden ist, eine eigene wirtschaftliche Einheit und damit<br />
einen Betriebsteil darstellen. Ein solcher Betriebsteil geht aber<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8
nur dann auf den Erwerber über, wenn dieser nicht nur die Tätigkeit<br />
in den bisherigen Betriebsräumen fortführt, sondern auch<br />
einen wesentlichen Teil des Personals übernimmt. Dagegen stellt<br />
die bloße Wahrnehmung der gleichen Funktion mit eigenem Personal<br />
keinen Betriebsübergang dar.<br />
Nach diesen Grundsätzen liegt im Streitfall kein Teilbetriebsübergang<br />
vor. Die Beklagte zu 2) hat lediglich die bisher von den<br />
Mitarbeitern der Beklagten zu 1) erledigten Verwaltungsaufgaben<br />
mit eigenem Personal fortgeführt. Diese bloße Übernahme<br />
von Aufgaben ohne Übernahme einer teilbetrieblichen Organisation<br />
reicht als Funktionsnachfolge für einen Teilbetriebsübergang<br />
nicht aus.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BAG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Sozialrecht<br />
Arbeitslosengeld II für unter 25-Jährige soll<br />
ab dem 1.4.2006 gekürzt werden<br />
Unverheiratete, unter 25-Jährige Langzeitarbeitslose sollen nach<br />
den Plänen des Bundesarbeitsministeriums ab dem 1.4.2006<br />
grundsätzlich in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern einbezogen<br />
werden. Dies hat zur Folge, dass sie regelmäßig keine Übernahme<br />
der Miet- und Heizkosten für eine eigene Wohnung mehr<br />
beanspruchen können und das Einkommen der Eltern angerechnet<br />
wird. Außerdem sollen sie künftig wie die unter 18-Jährigen,<br />
die noch bei ihren Eltern wohnen, nur noch 80 Prozent der<br />
Regelleistung und damit nur noch 276 (Ost: 265) Euro anstatt<br />
345 (Ost: 331) Euro erhalten.<br />
Seit Einführung der Hartz-Gesetze sind nach Einschätzung der<br />
Bundesregierung viele anspruchsberechtigte Jugendliche aus<br />
ihrem Elternhaus ausgezogen, weil sie neben der Regelleistung<br />
die Übernahme der Miet- und Heizkosten für eine eigene Wohnung<br />
beanspruchen konnten. Diese Fehlentwicklung soll mit der<br />
geplanten Neuregelung behoben werden. Danach sollen unter<br />
25-Jährige nur noch dann eine eigene Wohnung erhalten, wenn<br />
sie aus zwingenden Gründen - etwa wegen einer weit entfernten<br />
Ausbildungsstätte - zuhause ausziehen müssen.<br />
GmbH-Alleingesellschafter können regelmäßig<br />
nicht sozialversicherungspflichtig<br />
bei der GmbH beschäftigt sein<br />
BSG 25.1.2006, B 12 KR 30/04 R<br />
Alleingesellschafter einer GmbH können auf Grund ihrer Weisungsfreiheit<br />
grundsätzlich nicht bei dieser GmbH abhängig beschäftigt<br />
und damit sozialversicherungspflichtig sein. Etwas anderes gilt nur,<br />
wenn sie ihre Gesellschafterrechte mittels eines Treuhandvertrags<br />
auf einen Dritten übertragen haben. Ein solcher Treuhandvertrag ist<br />
allerdings nur wirksam, wenn er notariell beurkundet ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine GmbH. Ursprünglich hielt die Beigeladene<br />
zu 1) 25 Prozent und ihr Ehemann 75 Prozent der Gesellschafteranteile.<br />
1993 trat dieser seinen Geschäftanteil an die Beigeladene<br />
zu 1) ab, blieb aber wie bisher Geschäftsführer der Klägerin.<br />
Bereits zuvor hatten die Eheleute eine Vereinbarung geschlossen,<br />
wonach die Beigeladene zu 1) auch als spätere Alleingesellschafterin<br />
an die Weisungen ihres Ehemannes gebunden sein<br />
sollte.<br />
Die Beigeladene zu 1) war auf Grund eines Arbeitsvertrags für<br />
die Klägerin tätig. Dabei war seit 1993 eine Wochenarbeitszeit<br />
von 37,5 Stunden und seit Anfang 1994 eine Arbeitszeit von 15<br />
Stunden in der Woche vereinbart. Für sie wurden Sozialversicherungsbeiträge<br />
abgeführt. Die beklagte Deutsche Rentenversicherung<br />
stellte nach einer Betriebsprüfung fest, dass die Beigeladene<br />
zu 1) seit Erwerb aller Gesellschafteranteile nicht mehr<br />
sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei.<br />
Das SG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Auf die Berufung<br />
der Beklagten hob das LSG diese Entscheidung auf und<br />
wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Beigeladene zu<br />
1) seit Erwerb aller Gesellschafteranteile nicht mehr sozialversicherungspflichtig<br />
war. Seit diesem Zeitpunkt war die Beigeladene<br />
zu 1) mangels Weisungsgebundenheit nicht mehr abhängig<br />
beschäftigt.<br />
Alleingesellschafter einer GmbH können nur ausnahmsweise<br />
bei der GmbH abhängig und damit sozialversicherungspflichtig<br />
beschäftigt sein, wenn sie auf Grund einer treuhänderischen<br />
Bindung in der Ausübung ihrer Gesellschafterrechte vollständig<br />
eingeschränkt sind. Im Streitfall hat die Beigeladenen zu 1) ihre<br />
Gesellschafterrechte zwar durch Abschluss eines Treuhandvertrags<br />
größtenteils auf ihren Ehemann übertragen. Der Treuhandvertrag<br />
ist aber nichtig, weil er nicht notariell beurkundet worden<br />
ist.<br />
Arbeitgeber müssen auch bei fehlenden<br />
Beschäftigungsmöglichkeiten für Schwerbehinderte<br />
die Ausgleichsabgabe zahlen<br />
OVG Rheinland-Pfalz 3.2.2006, 7 A 11284/05.OVG<br />
Arbeitgeber, die nicht die gesetzlich vorgeschriebene Zahl<br />
schwerbehinderter Menschen beschäftigen, sind auch dann<br />
gemäß § 77 Abs.1 SGB IX zur Zahlung der Schwerbehindertenausgleichsabgabe<br />
verpflichtet, wenn sie Schwerbehinderte nicht<br />
einsetzen können. Das folgt aus dem Zweck der Ausgleichsabgabe,<br />
einen Belastungsausgleich zwischen Arbeitgebern zu bewirken,<br />
die Schwerbehinderte eingestellt haben, und solchen, die<br />
keine Schwerbehinderten beschäftigen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin, ein Zeitarbeitsunternehmen, beschäftigt überwiegend<br />
Schweißer als Leiharbeitnehmer. Da die Klägerin nicht<br />
genügend schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt hatte, zog<br />
sie das beklagte Integrationsamt zur Zahlung einer Schwerbehindertenausgleichsabgabe<br />
in Höhe von 12.200 Euro heran. Mit<br />
ihrer hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend,<br />
dass Schwerbehinderte für den Beruf des Schweißers weder ver-<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9
fügbar noch einsetzbar seien. Die gegen den Zahlungsbescheid<br />
Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Beklagte hat die Klägerin zu Recht zur Zahlung einer<br />
Schwerbehindertenausgleichsabgabe herangezogen. Nach §<br />
77 Abs.1 SGB IX müssen Arbeitgeber, die - wie die Klägerin<br />
- die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht<br />
beschäftigen, eine Ausgleichsabgabe zahlen. Dies gilt unabhängig<br />
davon, ob der Arbeitgeber tatsächlich in der Lage ist,<br />
Schwerbehinderte zu beschäftigen.<br />
Die Pflicht zur Zahlung der Ausgleichsabgabe soll nicht nur<br />
einen Anreiz zur Einstellung schwerbehinderter Menschen<br />
schaffen. Sie bezweckt auch einen Belastungsausgleich zwischen<br />
den Arbeitgebern, die Schwerbehinderte eingestellt haben,<br />
und solchen, die keine Schwerbehinderten beschäftigen. Diese<br />
Ausgleichsfunktion würde unterlaufen, wenn es für die Zahlungspflicht<br />
auf die besonderen Umstände der jeweiligen Branche<br />
ankäme.<br />
Bundeskabinett hat Gesetzentwurf zur Vermeidung<br />
von Rentenkürzungen beschlossen<br />
Das Bundeskabinett hat am 8.2.2006 einen Gesetzentwurf über<br />
die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab dem 1.7.2006<br />
beschlossen. Damit sollen Rentner vor einer Rentenkürzung<br />
geschützt werden. Der Gesetzentwurf bedarf noch der Zustimmung<br />
des Bundesrats.<br />
Hintergrund der Gesetzesinitiative ist, dass sich die jährliche<br />
Anpassung der Renten nach der Lohnentwicklung richtet. Da<br />
bereits absehbar ist, dass die Lohnentwicklung keinen Raum für<br />
Rentensteigerungen bieten wird, soll mit dem aktuellen Gesetzentwurf<br />
die Weitergeltung der aktuellen Rentenwerte ab dem<br />
1.7.2006 sichergestellt werden.<br />
Der Gesetzentwurf ist Teil eines Maßnahmenpakets zur Sicherung<br />
der Renten. Zu den weiteren geplanten Maßnahmen gehören:<br />
- die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge auf 19,9 Prozent<br />
ab dem 1.1.2007 bei gleichzeitigem Stopp der bisherigen<br />
Dynamik von Bundeszuschüssen an die Rentenversicherung,<br />
- das Nachholen nicht vorgenommener Rentenkürzungen durch<br />
(frühestens ab dem Jahr 2010 einsetzende) geringere Rentensteigerungen,<br />
- die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters<br />
von 65 auf 67 Jahre ab dem Jahr 2012.<br />
Linkhinweis:<br />
Für den auf der Homepage des Bundesarbeitsministeriums<br />
(BMAS) veröffentlichten Volltext des Gesetzentwurfs zur Weitergeltung<br />
der aktuellen Rentenwerte ab 1.7.2006 klicken Sie<br />
bitte hier (PDF-Datei).<br />
Existenzgründungszuschuss darf nicht auf<br />
das Arbeitslosengeld II angerechnet werden<br />
SG Detmold S 8 AS 8/05<br />
Erhält der Ehemann einen Existenzgründungszuschuss, so darf<br />
dieser Betrag nicht auf den Arbeitslosengeld-II-Anspruch der<br />
Ehefrau angerechnet werden. Mit dem Existenzgründungszu-<br />
schuss soll die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit gefördert<br />
werden. Dieser Zweck würde bei einer Anrechnung unterlaufen,<br />
da der Betrag dann - anstatt für die selbstständige Tätigkeit - für<br />
den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft verwendet werden<br />
müsste.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Ehemann der Klägerin erhält von der Bundesagentur für<br />
Arbeit einen Existenzgründungszuschuss in Höhe von 600 Euro<br />
monatlich. Diesen Betrag berücksichtigte die Beklagte als Einkommen<br />
der Bedarfsgemeinschaft beim Arbeitslosengeld-II-<br />
Anspruch der Klägerin. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor<br />
dem SG Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte durfte den Existenzgründungszuschuss nicht auf<br />
den Arbeitslosengeld-II-Anspruch der Klägerin anrechnen. Zwar<br />
sind grundsätzlich alle Einnahmen der Bedarfsgemeinschaft in<br />
Geld oder Geldeswert anspruchsmindernd zu berücksichtigen.<br />
Eine Ausnahme gilt nach § 11 Abs.3 Nr.1 a SGB II aber für<br />
zweckbestimmte Einnahmen, die einem anderen Zweck dienen<br />
als das Arbeitslosengeld II und die Lage des Empfängers nicht<br />
so günstig beeinflussen, dass daneben Leistungen auf Arbeitslosengeld<br />
II nicht gerechtfertigt wären.<br />
Der Existenzgründungszuschuss stellt eine zweckbestimmte<br />
Leistung im Sinn von § 11 Abs.3 Nr.1 a SGB II dar. Hierdurch<br />
soll die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit gefördert und<br />
eine soziale Absicherung ermöglicht werden. Diese Förderziele<br />
würden unterlaufen, wenn der Existenzgründer den Zuschuss für<br />
den Lebensunterhalt der Bedarfsgemeinschaft verwenden müsste.<br />
Darüber hinaus spricht auch die Höhe der Leistung gegen eine<br />
Zweckidentität, da der Leistungsempfänger mit 600 Euro im<br />
Monat nicht gleichzeitig die Kosten der Sozialversicherung und<br />
des Lebensunterhalts der Bedarfsgemeinschaft decken kann.<br />
Empfängern eines Existenzgründungszuschusses ist zwar kein<br />
bestimmter Verwendungszweck gesetzlich vorgeschrieben.<br />
Angesichts der mit einer selbständigen Tätigkeit und der notwendigen<br />
sozialen Absicherung verbundenen Kosten steht das<br />
Geld aber nur theoretisch für andere Zwecke zur Verfügung.<br />
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Nichtanrechung des<br />
Zuschusses dazu führen kann, dass Bedarfsgemeinschaften mit<br />
einem Selbständigen finanziell etwas besser dastehen als die<br />
Masse der Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Dies ist auf Grund<br />
des mit der Selbständigkeit verbundenen besonderen Arbeitseinsatzes<br />
und Risikos gerechtfertigt.<br />
Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Insider-Informationen dürfen unter engen<br />
Voraussetzungen an Dritte weitergegeben<br />
werden<br />
EuGH 22.11.2005, C-384/02<br />
Grundsätzlich dürfen Personen, die als Mitglieder eines Verwaltungsorgans<br />
oder auf Grund ihres Berufs oder ihrer Aufgaben<br />
über Insider-Informationen verfügen, diese nicht durch<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10
Erwerb oder Veräußerung von Wertpapieren ausnutzen oder an<br />
Dritte weitergeben. Ein Verstoß gegen das Verbot der Weitergabe<br />
von Insider-Informationen an Dritte kommt allerdings nicht in<br />
Betracht, wenn ein enger Zusammenhang zwischen der Weitergabe<br />
der Information und der Ausübung der Arbeit, des Berufs oder<br />
der Erfüllung der Aufgaben der betreffenden Person besteht und<br />
die Weitergabe für die Ausübung dieser Arbeit unerlässlich ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
G. ist Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat einer dänischen<br />
Gesellschaft. Außerdem ist er Mitglied eines Verbindungsausschusses<br />
für konzerninterne Zusammenarbeit. Nach einer außerordentlichen<br />
Sitzung des Verwaltungsrats gab G. an B., den Vorsitzenden<br />
der Gewerkschaft der Arbeitnehmer des Finanzsektors,<br />
Insider-Informationen weiter. Auf Grund von diesen Informationen<br />
kaufte B. die Aktien einer bestimmten Firma und erzielte mit<br />
dem Verkauf erhebliche Gewinne.<br />
G. und B. wurde wegen dieses Sachverhalts von den dänischen<br />
Behörden strafrechtlich verfolgt. Das mit der Sache befasste<br />
dänische Gerichte legte dem EuGH die Frage vor, ob das Verhalten<br />
von G. gegen Art. 3a der Richtlinie 89/592 verstoße. Der<br />
EuGH entschied, dass die Weitergabe von Insider-Informationen<br />
nicht unbedingt gegen die Richtlinie 89/592 verstößt.<br />
Die Gründe:<br />
Gemäß Art. 2 der Richtlinie 89/592 dürfen Personen, die als Mitglieder<br />
eines Verwaltungsorgans oder auf Grund ihres Berufs oder ihrer<br />
Aufgaben über Insider-Informationen verfügen, diese nicht durch<br />
Erwerb oder Veräußerung von Wertpapieren ausnutzen. Außerdem<br />
dürfen die betreffenden Personen ihre Informationen nicht an Dritte<br />
weitergeben. Dieses Verbot gilt jedoch nicht generell.<br />
Nach Art. 3a der Richtlinie 89/592 gilt das Verbot der Weitergabe<br />
von Insider-Informationen nicht für deren Weitergabe durch eine<br />
Person im Rahmen ihrer Arbeit. Ein Verstoß gegen die Richtlinie<br />
89/592 kommt daher nicht in Betracht, wenn ein enger Zusammenhang<br />
zwischen der Weitergabe der Information und der Ausübung<br />
der Arbeit, des Berufs oder der Erfüllung der Aufgaben<br />
der betreffenden Person besteht und die Weitergabe für die Ausübung<br />
dieser Aufgaben unerlässlich ist.<br />
Diese Voraussetzungen müssen die nationalen Gerichte überprüfen<br />
und dabei den Umstand berücksichtigen, dass die Ausnahme<br />
vom Verbot der Weitergabe von Insider-Informationen eng<br />
auszulegen ist. Die Gerichte müssen bei der Auslegung ferner<br />
berücksichtigen, dass jede zusätzliche Weitergabe die Gefahr<br />
vergrößern kann, dass diese Informationen mit einem rechtswidrigen<br />
Ziel ausgenutzt werden können. Außerdem hängt die<br />
Zulässigkeit der Weitergabe der Insider-Informationen von deren<br />
Sensibilität im betreffenden Bereich ab.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des EuGH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
Ein in einem Gewinnabführungsvertrag<br />
festgelegter „Nullausgleich“ für außenstehende<br />
Aktionäre kann zulässig sein<br />
BGH 13.2.2006, II ZR 392/03<br />
Aktionäre können den einem Gewinnabführungsvertrag zustimmenden<br />
Hauptversammlungsbeschluss nicht anfechten, wenn<br />
der Vertrag den Ausgleich für außenstehende Aktionäre auf null<br />
Euro ansetzt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ertragsprognose<br />
für das Unternehmen zum Stichtag des Hauptversammlungsbeschlusses<br />
ergibt, dass ein positiver Ertrag nicht zu erwarten ist.<br />
Dies muss ein gerichtlich bestellter Vertragsprüfer bestätigen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist Aktionärin der S.Aktiengesellschaft, einer seit<br />
längerer Zeit defizitären Straßenbahnen-Gesellschaft. Diese<br />
schloss mit ihrer Mehrheitsaktionärin einen Gewinnabführungsvertrag,<br />
der einen Ausgleich von null Euro für außenstehende<br />
Aktionäre vorsah. Der Gewinnabführungsvertrag wurde aus<br />
steuerlichen Gründen geschlossen, wobei ein gerichtlich bestellter<br />
Vertragsprüfer feststellte, dass ein positiver Ertrag nicht zu<br />
erwarten sei. Die Hauptversammlung der Beklagten stimmte<br />
dem Vertrag zu.<br />
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass der im Gewinnabführungsvertrag<br />
vereinbarte „Nullausgleich“ für die außenstehenden<br />
Aktionäre unzulässig sei. Ihre gegen den - dem Vertrag zustimmenden<br />
- Hauptversammlungsbeschluss gerichtete Anfechtungsklage<br />
hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin kann den Beschluss der Hauptversammlung nicht<br />
mit einer Anfechtungsklage angreifen.<br />
Grundsätzlich muss ein Gewinnabführungsvertrag, durch<br />
den sich eine Aktiengesellschaft zur Abführung ihres ganzen<br />
Gewinns an ein anderes Unternehmen verpflichtet gemäß § 304<br />
Abs.1 S.1 in Verbindung mit Abs.2 S.1 AktG einen angemessenen<br />
Ausgleich für die außenstehenden Aktionäre beinhalten.<br />
Etwas anderes gilt allerdings, wenn die Ertragsprognose zum<br />
Stichtag des Hauptversammlungsbeschlusses ergibt, dass ein<br />
positiver Ertrag ohnehin nicht zu erwarten gewesen wäre. In<br />
einem solchen Fall kann auch ein „Nullausgleich“ angemessen<br />
sein. Voraussetzung dafür ist, dass - wie im Streitfall geschehen<br />
- ein gerichtlich bestellter Vertragsprüfer bestätigt, dass ein positiver<br />
Ertrag nicht zu erwarten ist.<br />
Die Festsetzung des „Nullausgleich“ unterliegt dann, wie jede<br />
andere Ausgleichsregelung auch, dem geordneten Verfahren<br />
gemäß §§ 293a ff. AktG. Dieser Fall ist nicht mit dem durch<br />
§ 304 Abs.1 S.1 in Verbindung mit Abs.2 S.1 AktG sanktionierten<br />
Fall, dass der Vertrag „überhaupt keinen Ausgleich vorsieht“<br />
gleichzusetzen. Fragen der Angemessenheit eines Nullausgleichs<br />
berühren die Wirksamkeit des Unternehmensvertrags<br />
daher nicht und können gemäß § 304 Abs.3 S.2, 3 AktG auch<br />
nicht im Wege der Anfechtung des dem Vertrag zustimmenden<br />
Hauptversammlungsbeschlusses, sondern nur in dem dafür vorgesehenen<br />
Spruchverfahren geltend gemacht werden.<br />
Bei Immobilienfonds-Anlage kann eine allgemeine<br />
Aufklärung über Haftungsrisiken<br />
ausreichen<br />
OLG München 11.1.2006, 7 U 3183/05<br />
Ist eine Kapitalanlage in Form eines geschlossenen Immobilienfonds<br />
zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung nur mit einem<br />
erwartungsgemäß geringen Verlustrisiko behaftet, so sind nur<br />
geringe Anforderungen an die Risikoaufklärung durch den Anlagevermittler<br />
zu stellen. Dementsprechend kann eine allgemeine<br />
Aufklärung über Haftungsrisiken und die Möglichkeit einer<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11
Nachschusspflicht dann ausreichend sein, wenn die Verwirklichung<br />
des Risikos nach damaliger Einschätzung allgemein als<br />
unwahrscheinlich einzustufen war.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger verlangte vom Beklagten die Zahlung von Schadensersatz<br />
wegen einer fehlerhaften Anlageberatung. Der Kläger war<br />
im Dezember 1991 an den Beklagten herangetreten, weil er sich<br />
für eine vom Beklagten vermittelte Anlage interessierte. Bei dieser<br />
Anlage handelte es sich um einen in der Form einer GbR<br />
organisierten geschlossenen Immobiliefonds. Dessen Zweck war<br />
die Bebauung und Bewirtschaftung eines Grundstücks in Berlin.<br />
Der Kläger unterzeichnete die Beitrittserklärung und zahlte seine<br />
Einlage. In der Folgezeit blieben die Umsätze der GbR wegen<br />
Mietausfällen aus.<br />
Der Kläger trug vor, vom Beklagten nicht hinreichend über die<br />
Risiken der Anlage informiert worden zu sein. Er habe die Anlage<br />
vielmehr als risikolos dargestellt. Auch habe ihn der Beklagte<br />
nicht darauf hingewiesen, dass ihn im Fall von Mietausfällen<br />
eine Nachschusspflicht treffe. Die Schadensersatzklage hatte<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung<br />
von Schadensersatz. Wie sich aus der Beweisaufnahme ergibt, hat<br />
der Beklagte den Kläger hinreichend über die Risiken der Anlage<br />
in dem geschlossenen Immobileinfonds aufgeklärt. Der Beklagte<br />
hat dem Kläger mitgeteilt, dass der Erfolg der Anlage davon<br />
abhängt, dass genügend Mieter gefunden werden, die die kalkulierte<br />
Miete bezahlen. Außerdem teilte er dem Kläger mit, dass er<br />
im Fall von Mietausfällen zum Nachschuss verpflichtet sei.<br />
Eine weiter gehende Aufklärungspflicht traf den Beklagten nicht.<br />
Maßgeblich für die Beurteilung des Risikos - und somit für den<br />
Umfang der Aufklärungspflicht - ist der Zeitpunkt der Anlageentscheidung.<br />
Je geringer das Risiko zu diesem Zeitpunkt zu bewerten<br />
war, desto geringere Anforderungen sind an die Risikoaufklärung<br />
zu stellen. Eine allgemeine Aufklärung über Haftungsrisiken<br />
und die Möglichkeit einer Nachschusspflicht bei einer Beteiligung<br />
an einer GbR kann daher ausreichen, wenn die Verwirklichung des<br />
Risikos nach damaliger Einschätzung unwahrscheinlich war.<br />
Im Streitfall war zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung 1991<br />
davon auszugehen, dass mit der Anlage eine hohe Rendite zu erzielen<br />
sein würde. Denn die Entscheidung des Bundestags für Berlin<br />
als Bundeshauptstadt ließ nach den damaligen Einschätzungen der<br />
Entwicklung des Immobilienmarkts eine gute Rendite mit hohen<br />
Abschreibungsmöglichkeiten erwarten. Dass sich die wirtschaftliche<br />
Entwicklung insbesondere die Entwicklung des Immobilienmarkts<br />
in Berlin in den Folgejahren anders darstellte, war nicht<br />
abzusehen. Der Beklagte hat seine Aufklärungspflicht daher dadurch<br />
erfüllt, dass er den Kläger über das Haftungsrisiko und die Möglichkeit<br />
einer Nachschusspflicht allgemein informiert hat.<br />
Verschmelzung der T-Online AG mit der<br />
Deutschen Telekom AG kann im Handelsregister<br />
eingetragen werden<br />
OLG Frankfurt a.M. 8.2.2006, 12 W 185/05<br />
Die Verschmelzung der T-Online AG mit der Deutschen Telekom<br />
AG kann trotz der gegen den Verschmelzungsbeschluss gerichteten<br />
Anfechtungsklagen im Handelsregister eingetragen werden.<br />
Das Interesse der T-Online AG an der sofortigen Verschmelzung<br />
überwiegt das Interesse der Anleger an der Aufrechterhaltung<br />
der Registersperre bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die<br />
Klagen. Die Deutsche Telekom AG könnte sich andernfalls über<br />
Jahre hinweg nicht so am Markt ausrichten, wie es die Unternehmensleitung<br />
für erforderlich hält.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die T-Online AG (Antragstellerin) ließ auf der Hauptversammlung<br />
vom 28.4.2005 über ihre Verschmelzung mit der Deutschen<br />
Telekom AG abstimmen. Eine Mehrheit von 99,46 Prozent<br />
der abgegebenen Stimmen sprach sich für die Verschmelzung<br />
aus. Die Antragsgegner sind Aktionäre der Antragstellerin, die<br />
gegen den Verschmelzungsvertrag gestimmt haben. Sie erklärten<br />
jeweils ihren Widerspruch und reichten gegen den Verschmelzungsbeschluss<br />
Anfechtungsklagen ein.<br />
Die Antragstellerin leitete daraufhin das Freigabeverfahren zur<br />
Überwindung der Registersperre ein. Sie machte gelten, dass die<br />
Anfechtungsklagen offensichtlich unbegründet seien. Außerdem<br />
überwiege ihr Interesse an dem alsbaldigen Wirksamwerden der<br />
Verschmelzung. Das LG lehnte den Antrag ab, weil einige der<br />
Klagen nicht offensichtlich unbegründet seien und die gebotene<br />
Interessensabwägung kein die Aufhebung der Registersperre<br />
rechtfertigendes Vollzugsinteresse ergebe.<br />
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin<br />
hatte Erfolg. Das OLG ließ allerdings die Rechtsbeschwerde<br />
zum BGH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Verschmelzung kann eingetragen werden. Werden - wie<br />
hier - gegen einen Verschmelzungsbeschluss Anfechtungsklagen<br />
erhoben, so ist die Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister<br />
nur möglich, wenn gerichtlich festgestellt worden ist, dass<br />
die Erhebung der Klagen der Eintragung nicht entgegensteht.<br />
Diese Feststellung setzt gemäß § 16 Abs. 3 UmwG voraus, dass<br />
die erhobenen Anfechtungsklagen unzulässig oder offensichtlich<br />
unbegründet sind oder das Interesse an dem alsbaldigen Wirksamwerden<br />
der Verschmelzung vorrangig erscheint.<br />
Im Streitfall sind zwar einige der gegen den Verschmelzungsbeschluss<br />
erhobenen Rügen nicht offensichtlich unbegründet. Das<br />
Interesse der Antragstellerin an der sofortigen Verschmelzung<br />
überwiegt das Interesse der Antragsgegner an der Aufrechterhaltung<br />
der Registersperre. Es wird voraussichtlich mindestens<br />
fünf Jahre dauern, bis über die Anfechtungsklagen rechtskräftig<br />
entschieden ist. Die Deutsche Telekom AG könnte sich bei einer<br />
weiteren Registersperre daher über Jahre hinweg nicht so strukturieren<br />
und am Markt ausrichten, wie es die Unternehmensleitung<br />
für erforderlich hält.<br />
Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Deutsche Telekom AG<br />
bei einer Verzögerung der Verschmelzung angesichts der schnellen<br />
Entwicklungen im IT-Bereich gegenüber ihren Konkurrenzunternehmen<br />
ins Hintertreffen geraten könnte. Dies könnte sich<br />
sowohl auf das internationale Ansehen des Unternehmens als<br />
auch auf seinen Aktienkurs auswirken.<br />
Diese wirtschaftlichen Nachteile überwiegen auch deshalb<br />
gegenüber den Interessen der Antragsgegner an einer Aufrechterhaltung<br />
der Registersperre, weil eine Mehrheit von 99,46 Prozent<br />
der Verschmelzung zugestimmt hat. Es ist mit dem aktienrechtlichen<br />
Mehrheitsprinzip regelmäßig nicht vereinbar, dass<br />
eine kleine Minderheit der Aktionäre die Kompetenzordnung im<br />
Unternehmen auf Jahre hinaus auf den Kopf stellt. Die Antragsgegner<br />
sind zudem hinreichend abgesichert, da ihnen bei Erfolg<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 12
der Klagen gemäß § 16 Abs.3 S.6 UmwG ein Schadensersatzanspruch<br />
zusteht.<br />
Linkhinweis:<br />
Für den auf den Webseiten des OLG Frankfurt a.M. veröffentlichten<br />
Volltext des Beschlusses (mitsamt der Pressemitteilung)<br />
klicken Sie bitte hier (PDF-Datei).<br />
Zum Ausschluss von steuersäumigen<br />
Unternehmen von öffentlichen Vergabeverfahren<br />
EuGH 9.2.2006, C-226/04 u.a.<br />
Nach der Richtlinie 92/50/EWG vom 1.6.1992 über die Koordinierung<br />
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge<br />
können Unternehmen vom Vergabeverfahren ausgeschlossen<br />
werden, wenn sie ihre Verpflichtungen zur Zahlung<br />
der Sozialbeiträge oder Steuern und Abgaben nicht erfüllt haben.<br />
Insoweit müssen die Mitgliedstaaten in ihren Vergaberichtlinien<br />
die Frist festlegen, innerhalb deren die Unternehmen ihren Verpflichtungen<br />
nachgekommen sein müssen. Der Fristbeginn kann<br />
der Zeitpunkt der Einreichung der Teilnahmeanträge sein oder<br />
ein Zeitpunkt, der der Vergabe des Auftrags vorausgeht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerinnen sind Unternehmen, die sich um einen vom italienischen<br />
Verteidigungsministerium öffentlich ausgeschriebenen<br />
Dienstleistungsauftrag beworben hatten. Der öffentliche Auftraggeber<br />
schloss die Klägerinnen vom Verfahren aus, weil sie<br />
ihre Verpflichtungen hinsichtlich der Zahlung von Sozialbeiträgen<br />
und Steuern nicht erfüllt hätten.<br />
Die Klägerinnen fochten die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers<br />
an und trugen vor, dass sie ihre Sozialversicherungsschulden<br />
bereinigt hätten. Ein Unternehmen trug zudem vor,<br />
dass ihm eine Steueramnestie und eine Steuerentlastung zugute<br />
gekommen sei.<br />
Das mit der Sache befasste italienische Gericht legte dem EuGH<br />
verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vor. Insbesondere<br />
wollte das Gericht wissen, zu welchem Zeitpunkt ein Unternehmen<br />
seine Verpflichtungen hinsichtlich der Sozialbeiträge und<br />
Steuern erfüllt haben muss, um zu einem öffentlichen Vergabeverfahren<br />
zugelassen zu werden. Der EuGH entschied, dass die<br />
Bestimmung dieses Zeitpunkts vom jeweiligen nationalen Recht<br />
abhängt.<br />
Die Gründe:<br />
Die Richtlinie 92/50/EWG vom 1.6.1992 über die Koordinierung<br />
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge<br />
enthält sieben abschließende Gründe für einen Ausschluss<br />
von Bewerbern von der Teilnahme am Vergabeverfahren. Ein<br />
Ausschlussgrund ist, dass das betreffende Unternehmen seine<br />
Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialbeiträge oder Steuern und<br />
Abgaben nicht erfüllt hat. Die Richtlinie enthält allerdings keine<br />
Definition der Tatbestandsvoraussetzung „mangelnde Erfüllung<br />
ihrer Verpflichtung“. Daher ist es Sache der Mitgliedstaaten, Inhalt<br />
und Umfang der steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften<br />
sowie die Bedingungen ihrer Erfüllung festzulegen.<br />
Die Mitgliedstaaten müssen in ihren Vergaberichtlinien insbesondere<br />
die Frist festlegen, innerhalb derer die Unternehmen ihren<br />
Verpflichtungen nachgekommen sein müssen. Der Fristbeginn<br />
kann der Zeitpunkt der Einreichung der Teilnahmeanträge sein<br />
oder ein Zeitpunkt, der der Vergabe des Auftrags vorausgeht. Die<br />
Mitgliedstaaten müssen diese Frist allerdings unter Berücksichtigung<br />
der Grundsätze der Transparenz und der Gleichbehandlung<br />
mit absoluter Gewissheit bestimmen und öffentlich bekannt<br />
geben. Ein Bewerber hat seine Verpflichtungen jedenfalls dann<br />
erfüllt, wenn er seinen Verpflichtungen innerhalb der nationalen<br />
Fristen nachgekommen ist.<br />
Das mit der Sache befasste italienische Gericht muss daher prüfen,<br />
ob die Klägerinnen ihren Verpflichtungen innerhalb der nach italienischem<br />
Recht maßgebenden Regelungen nachgekommen sind.<br />
Zum Auskunftsanspruch eines ehemaligen<br />
GmbH-Geschäftsführers<br />
OLG München 21.12.2005, 31 Wx 080/05<br />
Ehemalige GmbH-Geschäftsführer können gegen die Gesellschaft<br />
gemäß § 51a Abs.1 GmbHG einen Anspruch auf Auskunft<br />
und Einsicht in die Gesellschaftsunterlagen haben. Dies kommt<br />
selbst dann in Betracht, wenn sich das Auskunftsbegehren auf<br />
einen Zeitraum bezieht, in dem der Betreffende noch aktiver<br />
Geschäftsführer der GmbH war.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller war bis zum 31.12.2004 Geschäftsführer der<br />
Antragsgegnerin, einer GmbH. Zwischen dem Antragsteller und<br />
den Mitgesellschaftern kam es zum Streit, in dessen Folge der<br />
Antragsteller aus der Gesellschaft ausschied.<br />
Der Antragsteller beantragte, die Antragsgegnerin zu verpflichten,<br />
dass sie ihn zum Jahresabschluss 2004 Auskunft über Buchhaltungskosten<br />
und die einzelnen Buchungen geben solle. Außerdem<br />
beantragte er Einsicht in die Buchungsunterlagen, die dem<br />
Jahresabschluss 2004 zugrunde gelegt worden sind. Demgegenüber<br />
vertrat die Antragsgegnerin die Ansicht, dass das Begehren<br />
des Antragstellers rechtsmissbräuchlich sei. Er sei 2004 noch<br />
Geschäftsführer der Antragsgegnerin gewesen. Er habe daher hinreichend<br />
Gelegenheit gehabt, sich über die Buchungsvorgänge zu<br />
informieren. Sein Begehren stelle somit eine reine Schikane dar.<br />
Das Auskunftsbegehren des Antragstellers hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Antragsgegnerin muss dem Antragsteller gemäß § 51a Abs.1<br />
GmbHG Auskunft über die betreffenden Buchungsvorgänge<br />
erteilen. Das Auskunftsbegehren des Antragstellers ist nicht<br />
rechtsmissbräuchlich.<br />
Der Antragsteller verlangt zwar Einsicht im Hinblick auf Vorgänge,<br />
die in seine Zeit als Geschäftsführer der Antragsgegnerin<br />
fallen und über die er sich innerhalb dieser Zeit hätte einen Einblick<br />
verschaffen können. Das Begehren des Antragstellers stellt<br />
sich aber dennoch nicht als schikanös oder wegen eines fehlenden<br />
Informationsinteresses als unzulässig dar. Denn auch wenn<br />
er als Geschäftsführer im Jahr 2004 grundsätzlich Zugang zu den<br />
einzelnen Buchungspositionen hatte, ergibt erst die Zusammenschau<br />
aller Buchungspositionen zum Abschluss des Geschäftsjahres<br />
einen tragfähigen Überblick über die Vermögensentwicklung<br />
der Gesellschaft.<br />
Eine Gesamtbeurteilung aller Buchungspositionen konnte somit<br />
frühestens zu Beginn des Jahres 2005 erfolgen. Dieser Zeitpunkt<br />
liegt aber nach der Beendigung der Funktion des Antragstellers<br />
als Geschäftsführer.<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 13
Wettbewerbsrecht<br />
und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Verlage dürfen für günstige Zeitschriftenabonnements<br />
mit kurzer Laufzeit werben<br />
BGH 7.2.2006, KZR 33/04<br />
Verlage dürfen für Zeitschriftenabonnements mit kurzer Laufzeit<br />
werben und den neuen Abonnenten einen erheblichen Preisvorteil<br />
und kostenlose Sachgeschenke bieten. Die Förderung des<br />
wirtschaftlich wichtigen Abonnentenvertriebs kann den Verlegern<br />
weder wegen einer Rücksichtnahmepflicht noch aus kartell-<br />
oder lauterkeitsrechtlichen Gründen untersagt werden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte ist das Verlagshaus Gruner + Jahr. Um neue Abonnenten<br />
für die von ihm verlegte Zeitschrift „stern“ zu akquirieren,<br />
startete er unter der Überschrift „13 x stern testen, über 40 Prozent<br />
sparen“ eine Werbeaktion. Ein Probeabonnement für dreizehn<br />
Hefte sollte 19 Euro kosten und damit rund 1,46 Euro pro Heft.<br />
Außerdem stellte der Beklagte den neuen Abonnenten jeweils eine<br />
attraktive Zugabe, wie zum Beispiel eine Designer-Isolierkanne<br />
oder eine Armbanduhr in Aussicht. Die Zeitschrift „stern“ wird<br />
im Einzelverkauf zu einem gebundenen Preis von 2,50 Euro, im<br />
Abonnement zum Preis von 2,30 Euro pro Heft verkauft.<br />
Die Kläger sind ein Zeitschriftenhändler und dessen Verband.<br />
Sie vertraten die Auffassung, dass die Werbeaktion gegen die<br />
Wettbewerbsregeln verstoße, die der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />
für den Vertrieb von abonnierbaren Publikumszeitschriften<br />
aufgestellt habe. Hiernach sind Probeabonnements<br />
zulässig, wenn sie zeitlich auf maximal drei Monate begrenzt<br />
sind und nicht mehr als 35 Prozent unter dem kumulierten Einzelheftpreis<br />
liegen. Außerdem sollen Werbegeschenke in einem<br />
angemessenen Verhältnis zum Erprobungsaufwand stehen.<br />
Die auf Unterlassung gerichtete Klage hatte vor dem BGH keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Beklagte muss die beanstandete Werbeaktion nicht unterlassen.<br />
Trotz der Bindung an die Einzelverkaufspreise ist es Zeitschriftenverlegern<br />
nicht verwehrt, die Vertriebsschiene des Abonnements<br />
gegenüber der Vertriebsschiene des Einzelverkaufs zu fördern. Dies<br />
gilt insbesondere deswegen, weil der Abonnentenvertrieb für die<br />
Verleger ein äußerst wichtiger wirtschaftlicher Zweig ist, der aus<br />
kaufmännischer Sicht dem Einzelverkauf eindeutig vorzuziehen<br />
ist. Die Förderung des Abonnentenvertriebs kann den Verlegern<br />
daher weder wegen einer Rücksichtnahmepflicht noch aus kartell-<br />
oder lauterkeitsrechtlichen Gründen untersagt werden. Im Übrigen<br />
haben die Kläger auch nicht dargetan, dass die Probeabonnements<br />
zu einem deutlichen Rückgang im Einzelverkauf geführt haben.<br />
Die Kläger können sich auch nicht auf eine Verletzung der Wettbewerbsregeln<br />
des Zeitschriftenverlegerverbandes berufen. Diese<br />
Regeln stellen lediglich eine Empfehlung dar. Aus ihnen können<br />
jedoch weder vertragliche noch gesetzliche Pflichten hergeleitet<br />
werden. Auch ihre Anerkennung durch das Bundeskartellamt verleiht<br />
ihnen keine amtliche Qualität, sondern schließt nur ein kartellrechtliches<br />
Verfahren gegen den Verband aus.<br />
Unternehmer dürfen anwaltliche Gebührenforderungen<br />
ankaufen und eintreiben<br />
OLG Köln 3.2.2006, 6 U 190/05<br />
Der Betrieb einer „Verrechnungsstelle für <strong>Anwalt</strong>shonorare“,<br />
die anwaltliche Gebührenforderungen ankauft und eintreibt, verstößt<br />
nicht gegen die BRAO. Auf die Vorschriften der BRAO<br />
lässt sich kein wettbewerbsrechtlicher Unterlassungsanspruch<br />
stützen, weil sie nicht dazu bestimmt sind, im Interesse der<br />
Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Die BRAO hat<br />
vielmehr lediglich eine interne Ordnungsfunktion.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist die Rechtsanwaltskammer Köln. Sie verlangte<br />
von der beklagten AG, Ankauf und Einzug anwaltlicher Gebührenforderungen<br />
zu unterlassen.<br />
Die Beklagte betreibt nach dem Vorbild von privatärztlichen<br />
Verrechnungsstellen eine „Verrechnungsstelle für <strong>Anwalt</strong>shonorare“.<br />
Hierzu kauft sie die Honorarforderungen von Rechtsanwälten<br />
an, gleicht sie gegenüber den Anwälten aus und zieht die<br />
Forderungen von den Mandanten ein. Die Beklagte kauft allerdings<br />
nur solche Forderungen an, bezüglich derer die Mandanten<br />
den <strong>Anwalt</strong> von der Verschwiegenheitspflicht entbunden und<br />
schriftlich ihre Einwilligung in das Abrechnungsverfahren erteilt<br />
haben.<br />
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte gegen die<br />
BRAO und insofern insbesondere gegen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
und gegen die gesetzlichen Voraussetzungen<br />
der Abtretung anwaltlicher Gebührenforderungen verstoßen<br />
habe. Ihre Klage hatte keinen Erfolg. Das OLG ließ allerdings<br />
die Revision zum BGH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin kann von der Beklagten nicht die Unterlassung von<br />
Ankauf und Einzug anwaltlicher Gebührenforderungen verlangen.<br />
Ein auf die BRAO gestützter Unterlassungsanspruch würde<br />
einen Marktbezug voraussetzen. Dazu müssten die Vorschriften<br />
der BRAO dazu bestimmt sein, im Interesse der Marktteilnehmer<br />
das Marktverhalten zu regeln. Der BRAO kommt diese Funktion<br />
nicht zu. Sie soll vielmehr intern das Verhältnis von <strong>Anwalt</strong> zu<br />
Mandant ordnen und sichern sowie die Funktionsfähigkeit der<br />
Rechtspflege aufrechterhalten.<br />
Der Handel mit „gebrauchten“ Softwarelizenzen<br />
kann gegen das Urheberrecht verstoßen<br />
LG München I 19.1.2006, 7 O 23237/05<br />
Handel und Weiterverkauf von „gebrauchten“ Softwarelizenzen<br />
kann gegen das Urheberrecht verstoßen. Dies gilt jedenfalls<br />
dann, wenn die Lizenzrechte losgelöst von einem Datenträger<br />
verkauft werden und der Urheber der Software in seinen Lizenzbestimmungen<br />
geregelt hat, dass an der überlassenen Software<br />
nur einfache, nicht weiter abtretbare Nutzungsrechte bestehen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin vertreibt Software. Die Beklagte bietet „gebrauchte“<br />
Lizenzen an Software - auch die der Klägerin - an, die von<br />
anderen Nutzern nicht mehr benötigt werden. Sie verkauft die<br />
Software allerdings nicht auf Datenträgern, sondern fordert ihre<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 14
Kunden auf, sich die betreffende Software selbst zu kopieren<br />
oder von der Homepage der Klägerin herunterzuladen.<br />
Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass die Beklagte gegen das<br />
Urheberrecht verstoße. Sie habe in ihren Lizenzbestimmungen<br />
geregelt, dass an der überlassenen Software nur einfache, nicht<br />
weiter abtretbare Nutzungsrechte bestünden. Der Erwerber der<br />
Rechte könne diese daher nicht an Dritte weiterübertragen. Die<br />
Unterlassungsklage hatte Erfolg. Das Urteil ist allerdings noch<br />
nicht rechtskräftig.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte hat das ausschließliche Nutzungsrecht der Klägerin<br />
verletzt. Die Klägerin hat in ihren Lizenzbestimmungen geregelt,<br />
dass an der überlassenen Software nur einfache, nicht weiter<br />
abtretbare Nutzungsrechte bestehen. Wegen dieser dinglichen<br />
Einschränkungen konnte die Beklagte ihren Kunden keine zur<br />
Vervielfältigung berechtigenden Lizenzen verschaffen.<br />
Die Beklagte kann den Handel mit den „gebrauchten“ Lizenzen<br />
auch nicht auf den so genannten Erschöpfungsgrundsatz nach §§<br />
69c Nr.3, 17 Abs.2 UrhG stützen. Hiernach sind die Nutzungsgebühren<br />
für den Rechteinhaber eines urheberrechtlich geschützten<br />
Werks mit der Veräußerung der Vervielfältigungsstücke abgegolten.<br />
Vorliegend hat die Beklagte aber lediglich den Download<br />
der „gebrauchten“ Lizenzen angeboten. Sie verarbeitete demnach<br />
nicht von der Klägerin vervielfältigte Software, sondern<br />
forderte ihre Kunden zur Herstellung neuer, nicht von Klägerin<br />
autorisierter Software auf.<br />
Der Hintergrund:<br />
Das Urteil des LG wird in Fachkreisen zu Diskussionen führen.<br />
Denn der BGH hat mit Urteil vom 6.7.2000 (Az.: I ZR 244/97)<br />
entschieden, dass der Weiterverkauf von „entbundelter“ Software<br />
- Software, die laut Herstellerkennzeichnung nur zum gemeinsamen<br />
Vertrieb mit bestimmter neuer Hardware vorgesehen ist<br />
- grundsätzlich nicht zu beanstanden ist. Nach Auffassung des<br />
BGH liefert das Urheberrecht keine Handhabe zur Durchsetzung<br />
einer Vertriebseinschränkung.<br />
Zwangsvollstreckung und<br />
Insolvenz<br />
Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen<br />
sind zum 1.7.2005 wirksam erhöht worden<br />
BGH 24.1.2006, VII ZB 93/05<br />
Die Erhöhung der Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen zum<br />
1.7.2005 durch die entsprechende Bekanntmachung des Bundesjustizministeriums<br />
ist wirksam. Nach § 850c Abs.2a ZPO n.F.<br />
werden die Pfändungsfreigrenzen alle zwei Jahre entsprechend<br />
der Entwicklung des steuerlichen Grundfreibetrags erhöht.<br />
Dabei kommt es entgegen dem Wortlaut von § 850c Abs.2a ZPO<br />
nicht auf den „jeweiligen Vorjahreszeitraum“ an, sondern auf<br />
den Zeitraum, der seit dem letzten vorgesehenen Anpassungszeitpunkt<br />
verstrichen ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der BGH hatte im Fall einer Gläubigern, die gegen ihren Schuldner<br />
einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erwirkt hatte,<br />
darüber zu entscheiden, ob die Pfändungsfreigrenzen für Arbeitseinkommen<br />
zum 1.7.2005 wirksam erhöht worden sind.<br />
Grundlage der Erhöhung war § 850c Abs.2a ZPO n.F., wonach<br />
die Pfändungsfreigrenzen jeweils zum 1.7. eines jeden zweiten<br />
Jahres, erstmalig zum 1.7.2003, entsprechend der sich im<br />
Vergleich zum jeweiligen Vorjahreszeitraum ergebenden Entwicklung<br />
des Grundfreibetrags gemäß § 32a Abs.1 Nr.1 EStG<br />
angehoben werden. Die Anhebung muss vom Bundesjustizministerium<br />
bekannt gemacht werden.<br />
Der Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs.1 Nr.1 EStG war lediglich<br />
zum 1.1.2004, nicht aber zum 1.1.2005 erhöht worden. Das Bundesjustizministerium<br />
gab im Hinblick auf die Entwicklung des<br />
Grundfreibetrags im Gesamtzeitraum vom 1.1.2003 bis zum<br />
1.1. 2005 die entsprechende Erhöhung der Pfändungsfreibeträge<br />
zum 1.7.2005 bekannt.<br />
Die Gläubigerin hielt die Erhöhung des Pfändungsfreibetrags<br />
für unwirksam, da der Grundfreibetrag im Vorjahreszeitraum,<br />
nämlich vom 1.1.2004 bis zum 1.1.2005, nicht gestiegen sei.<br />
Mit dieser Auffassung hatte sie in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Pfändungsfreigrenzen für die Pfändung von Arbeitseinkommen<br />
sind zum 1.7.2005 wirksam erhöht worden. Dem steht nicht<br />
entgegen, dass § 850c Abs.2a ZPO n.F. für die Erhöhung auf<br />
den „Vorjahreszeitraum“ abstellt und im Zeitraum vom 1.1.2004<br />
bis zum 1.1.2005 der Grundfreibetrag gemäß § 32a Abs.1 Nr.1<br />
EStG nicht gestiegen ist.<br />
Der Begriff „Vorjahreszeitraum“ ist ersichtlich nur versehentlich<br />
in den Gesetzentwurf der endgültigen Gesetzesfassung aufgenommen<br />
worden. Er geht auf den ursprünglichen Gesetzentwurf<br />
zurück, der eine jährliche Anpassung des Pfändungsfreibetrags<br />
an den jeweiligen steuerlichen Grundfreibetrag vorsah. Im Laufe<br />
des Gesetzgebungsverfahrens wurde dieser Entwurf dahingehend<br />
geändert, dass die Anpassung aus Vereinfachungsgründen<br />
nur alle zwei Jahre erfolgen soll.<br />
Vor diesem Hintergrund ist nicht davon auszugehen, dass der von<br />
der ersten Entwurfsfassung übernommene Begriff des „Vorjahreszeitraums“<br />
mit der ursprünglichen Bedeutung aufrechterhalten<br />
werden sollte. Der Gesetzgeber wollte vielmehr, dass der Zeitraum<br />
erfasst wird, der seit dem letzten vorgesehenen Anpassungszeitpunkt<br />
verstrichen ist. Dies war im Streitfall der Zeitraum vom<br />
1.1.2003 bis zum 1.1. 2005, so dass die Pfändungsfreigrenzen<br />
zu Recht entsprechend der zum 1.1.2004 wirksam gewordenen<br />
Erhöhung des Grundfreibetrags angehoben worden sind.<br />
Verwaltungs- und<br />
Verfassungsrecht<br />
Berlin muss den Zeugen Jehovas die Rechte<br />
einer Körperschaft öffentlichen Rechts<br />
verleihen<br />
BVerwG 1.2.2006, 7 B 80.05<br />
Das Land Berlin muss der Religionsgemeinschaft der Zeugen<br />
Jehovas die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts<br />
verleihen. Es bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür,<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 15
dass sich die Religionsgemeinschaft nicht rechtstreu verhält, insbesondere<br />
die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte oder<br />
die fundamentalen Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts<br />
verletzt oder gefährdet.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas.<br />
Sie begehrte vom beklagten Land, ihr die Rechte einer Körperschaft<br />
des öffentlichen Rechts zu verleihen. Dies lehnte der<br />
Beklagte mit dem Hinweis darauf ab, dass die Klägerin keine<br />
Gewähr dafür biete, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung hinreichend<br />
achte.<br />
Im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzung hat das BVerfG<br />
mit Urteil 19.12.2000 entschieden, dass der Klägerin die Rechte<br />
einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen sind,<br />
wenn sie nach ihrem gegenwärtigen und zu erwartenden Verhalten<br />
die Gewähr dafür bietet, die fundamentalen Verfassungsprinzipien,<br />
die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie<br />
die Grundprinzipien des Religions- und Staatskirchenrechts des<br />
Grundgesetzes nicht zu beeinträchtigen oder zu gefährden.<br />
Zur Klärung dieser Frage war der Rechtsstreit an das OVG zurückverwiesen<br />
worden. Das OVG entschied, dass der Klägerin die<br />
begehrten Rechte zu verleihen seien. Außerdem ließ es die Revision<br />
zum BVerwG nicht zu. Die hiergegen gerichtete Beschwerde<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Entscheidung des OVG, der Klägerin die Rechte einer Körperschaft<br />
des öffentlichen Rechts zu verleihen, ist nicht zu beanstanden.<br />
Es bestehen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass<br />
sich die Klägerin nicht rechtstreu verhält. Es ist zudem nicht<br />
ersichtlich, dass sie die staatlichem Schutz anvertrauten Grundrechte<br />
oder die fundamentalen Grundprinzipien des Religions-<br />
und Staatskirchenrechts verletzt oder gefährdet.<br />
Für Personalfragen verantwortliche GmbH-<br />
Gesellschafter müssen die Abschiebungskosten<br />
von illegal beschäftigten Ausländern<br />
tragen<br />
VG Koblenz 12.12.2005, 3 K 507/05.KO<br />
Arbeitgeber müssen gemäß § 66 Abs.4 AufenthaltsG die Kosten<br />
der Abschiebung von bei ihnen illegal beschäftigten Ausländern<br />
tragen. Arbeitgeber ist beispielsweise der Mehrheitsgesellschafter<br />
einer GmbH, der einen beherrschenden Einfluss auf die<br />
Führung des Unternehmens ausübt und die maßgeblichen Entscheidungen<br />
im Hinblick auf die Beschäftigung der Arbeitnehmer<br />
trifft.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist der Mehrheitsgesellschafter einer GmbH, die ein<br />
Café betreibt. In dem Café war ein Marokkaner beschäftigt, der<br />
über keine Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis verfügte. Nachdem<br />
sich der Marokkaner selbst den Behörden gestellt hatte,<br />
wurde er nach Marokko abgeschoben. Die hierfür entstandenen<br />
Kosten in Höhe von rund 550 Euro verlangte die Behörde<br />
vom Kläger. Dieser trug vor, nicht Arbeitgeber des Marokkaners<br />
gewesen zu sein. Daher hafte er auch nicht für dessen Abschiebungskosten.<br />
Seine gegen den entsprechenden Bescheid gerichtete Klage hatte<br />
keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger muss gemäß § 66 Abs.4 AufenthaltsG für die<br />
Abschiebungskosten aufkommen. Er ist als Arbeitgeber des<br />
illegal beschäftigten Marokkaners anzusehen. Wie sich aus der<br />
Beweisaufnahme ergibt, übte der Kläger einen beherrschenden<br />
Einfluss auf die Führung des Cafés aus und traf die maßgeblichen<br />
Entscheidungen im Hinblick auf die Beschäftigung der<br />
Arbeitnehmer.<br />
Steuerrecht<br />
Die beschränkte Abziehbarkeit von Beiträgen<br />
zu den gesetzlichen Rentenversicherungen<br />
ist verfassungsgemäß<br />
BFH 1.2.2006, X B 166/05<br />
Die im zeitlichen Anwendungsbereich des AltEinkG ab dem<br />
1.1.2005 geleisteten Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen<br />
stellen Sonderausgaben dar und sind somit gemäß §<br />
10 Abs.3 EStG nur beschränkt abziehbar. Gegen diese gesetzliche<br />
Regelung bestehen bei summarischer Prüfung keine durchgreifenden<br />
verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der im Jahr 1973 geborene Antragsteller ist Arbeitnehmer. Er<br />
beantragte, die von ihm im Streitjahr 2005 geleisteten Beiträge<br />
zur Rentenversicherung als Werbungskosten zu behandeln und<br />
deshalb einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte einzutragen.<br />
Zur Begründung trug er vor, dass er auf Grund der im Rahmen<br />
des AltEinkG vom 5.7.2004 getroffenen Regelungen bei einem<br />
unterstellten Renteneintritt im Jahre 2038 seine zukünftigen<br />
Renteneinnahmen zu 98 Prozent werde versteuern müssen.<br />
Das Finanzamt lehnte den Antrag ab. Der Gesetzgeber habe<br />
im AltEinkG die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung<br />
gemäß § 10 Abs.1 Nr.2a EStG dem Sonderausgabenabzug<br />
zugewiesen. Hiernach seien solche Aufwendungen im Streitjahr<br />
lediglich mit 60 Prozent zu berücksichtigen. Der abziehbare Teil<br />
solcher Vorsorgeaufwendungen steige erst in der Folgezeit jährlich<br />
an und erreiche im Jahr 2025 100 Prozent. Zudem werde<br />
auch die nachgelagerte Rentenbesteuerung stufenweise umgesetzt.<br />
Im Jahr 2005 gelte ein Besteuerungsanteil von 50 Prozent.<br />
Dieser erhöhe sich für Rentner, deren Rente zu einem späteren<br />
Zeitpunkt beginne. Erst bei Rentenbeginn im Jahr 2040 betrage<br />
der Besteuerungsanteil 100 Prozent. Dieses System setze<br />
die Vorgaben im Urteil des BVerfG vom 6.3.2002 (Az.: 2 BvL<br />
17/99) verfassungskonform um.<br />
Der Antragsteller begehrte vor dem FG, den Freibetrag im Weg<br />
der Aussetzung der Vollziehung vorweg auf die Lohnsteuerkarte<br />
einzutragen. Sein Antrag hatte in keiner Instanz Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger kann nicht verlangen, dass der Freibetrag auf seiner<br />
Lohnsteuerkarte eingetragen wird. Der Gesetzgeber hat die Beiträge<br />
zur gesetzlichen Rentenversicherung den in § 10 Abs.1 Nr.2 EStG<br />
genannten Altersvorsorgeaufwendungen und damit dem beschränkten<br />
Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs.3 S.5 EStG zugewiesen.<br />
Die beschränkte Abziehbarkeit der Rentenbeitragszahlungen<br />
ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die bis zum Jahr<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 16
2024 beschränkte Abziehbarkeit der Versorgungsaufwendungen<br />
ist integraler Bestandteil der Übergangsregelung, die das<br />
BVerfG als verfassungsrechtlich unbedenklich akzeptiert hat.<br />
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum<br />
zugestanden.<br />
Die grundsätzlich verfassungskonforme nachgelagerte Besteuerung<br />
kann aber dann bedenklich sein, wenn der nachgelagerte<br />
steuerliche Zugriff gegen das Verbot einer Doppelbesteuerung<br />
von Lebenseinkünften verstößt. Die Versagung des vollen<br />
Abzugs der Vorsorgeaufwendungen in den Jahren 2005 bis 2024<br />
ist somit nicht isoliert betrachtet verfassungsrechtlich problematisch,<br />
sondern nur in der Gesamtschau mit der späteren Rentenbesteuerung.<br />
Auf das Problem der Doppelbesteuerung kommt<br />
es im Streitfall jedoch nicht an, weil eine etwaige Überbesteuerung<br />
erst mit der Besteuerung der Rentenzuflüsse stattfinden<br />
kann. Diese Problematik wird künftig von den Finanzgerichten<br />
zu überprüfen sein.<br />
Der Hintergrund:<br />
Mit Urteil vom 6.3.2002 (Az.: 2 BvL 17/99) hat das BVerfG entschieden,<br />
dass die unterschiedliche Besteuerung von Renten und<br />
Pensionen verfassungswidrig ist. Die vollumfängliche Besteuerung<br />
der Versorgungsbezüge einerseits und die bloße Besteuerung<br />
des Ertragsanteils der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
andererseits führe zu einer unterschiedlichen Behandlung<br />
von Rentnern und Pensionären, soweit die Zahlungen der Rentenversicherung<br />
auf dem Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Rentenversicherung<br />
und auf staatlichen Transferzahlungen beruhten und<br />
damit nicht auf versteuertem Einkommen des Versicherungsnehmers.<br />
Dies verstoße gegen Art. 3 Abs.1 GG.<br />
Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum Jahresbeginn<br />
2005 eine Neuregelung zu schaffen. Der Gesetzgeber hat<br />
in § 10 Abs.1 Nr.2a, Abs.2 Nr.2a EStG in der Fassung des Alt-<br />
EinkG angeordnet, dass zu den als Sonderausgaben abzugsfähigen<br />
Vorsorgeaufwendungen Beiträge zu den gesetzlichen Rentenversicherungen<br />
gehören. Er hat diesen beschränkten Abzug<br />
damit begründet, dass bei einem unbeschränkten Abzug untragbare<br />
Haushaltsrisiken entstehen würden.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
- Das maßgebende Urteil des BVerfG vom 6.3.2002 ist auf der<br />
Homepage des BVerfG veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
DStV: Steuerpflichtige sollten gegen<br />
Bescheide über die Besteuerung von Spekulationsgewinnen<br />
ab 1999 Einspruch einlegen<br />
Gegen das Urteil des BFH vom 29.11.2005 (Az.: IX R 49/04),<br />
wonach die Besteuerung privater Wertpapiergeschäfte für Veranlagungszeiträume<br />
ab 1999 verfassungsgemäß ist, ist Verfassungsbeschwerde<br />
eingelegt worden (Az.: 2 BvR 294/06). Dies<br />
teilte der Deutsche Steuerberaterverband (DStV) am 14.2.2006<br />
mit. Der DStV empfiehlt allen Betroffenen gegen Einkommensteuerbescheide<br />
für 1999 und später Einspruch einzulegen und<br />
das Verfahren damit bis zur Entscheidung des BVerfG offen zu<br />
halten.<br />
Der Hintergrund:<br />
Das BVerfG hat am 9.3.2004 (Az.: 2 BvL 17/02) die Besteuerung<br />
von privaten Spekulationsgewinnen für die Veranlagungszeiträume<br />
1997 und 1998 wegen struktureller Vollzugshindernisse für<br />
verfassungswidrig erklärt. Für Veranlagungszeiträume ab 1999<br />
hat der BFH am 29.11.2005 (Az.: IX R 49/04) entschieden, dass<br />
auf Grund des so genannten Kontenabrufsverfahrens nicht mehr<br />
von strukturellen Vollzugshindernissen bei der gleichmäßigen<br />
Durchsetzung der Spekulationssteuer auszugehen sei. Da nunmehr<br />
gegen diese Entscheidung Verfassungsbeschwerde eingelegt<br />
worden ist, ist unklar, ob sie Bestand haben wird.<br />
Linkhinweise:<br />
- Für das auf den Webseiten des BFH veröffentlichte Urteil<br />
vom 29.11.2005 (Az.: IX R 49/04) klicken Sie bitte hier.<br />
- Den Volltext der auf den Webseiten des BVerfG veröffentlichten<br />
Entscheidung des BVerfG vom 9.3.2004 (Az.: 2 BvL<br />
17/02) finden Sie hier.<br />
Ausländer können bereits bei Vorliegen<br />
eines Abschiebungshindernisses Kindergeld<br />
beanspruchen<br />
Niedersächsisches FG 23.1.2006, 16 K 12/04<br />
Entgegen dem Wortlaut von § 62 Abs.2 EStG haben in Deutschland<br />
lebende Ausländer nicht nur dann einen Anspruch auf Kindergeld,<br />
wenn sie im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder<br />
Aufenthaltserlaubnis sind. Die Vorschrift muss vielmehr dahingehend<br />
verfassungskonform ausgelegt werden, dass Ausländer<br />
schon dann Kindergeld erhalten können, wenn ein Abschiebungshindernis<br />
nach §§ 51, 53 oder 54 AuslG vorliegt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger stammt aus Angola und lebt seit 1998 zusammen<br />
mit seinen drei minderjährigen Kindern in Deutschland. Eines<br />
der Kinder leidet an Asthma, Malaria und immer wieder auftretenden<br />
Infekten und bedarf ständiger ärztlicher Hilfe. Da das<br />
Kind bei nicht ausreichender medizinischer Versorgung in akute<br />
Lebensgefahr geraten würde, sah das Bundesamt für die Anerkennung<br />
ausländischer Flüchtlinge gemäß § 53 Abs.6 S.1 AuslG<br />
von einer Abschiebung des Kindes ab.<br />
Für den Kläger bestand zunächst ein humanitäres Abschiebungshindernis<br />
nach § 53 Abs.4 AuslG in Verbindung mit Art. 8<br />
EMRK, weil ihm eine Trennung von seinen Kindern nicht zugemutet<br />
werden konnte. Später erhielt er ebenso wie seine Kinder<br />
eine Aufenthaltsbefugnis.<br />
Einen im September 2001 gestellten Kindergeld-Antrag des Klägers<br />
lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Regelung des § 62<br />
Abs.2 EStG ab. Im Oktober 2003 stellte der Kläger erneut einen<br />
Kindergeld-Antrag, den die Beklagte wiederum ablehnte. Mit<br />
seiner hiergegen gerichteten Klage verlangte der Kläger unter<br />
anderem für den Zeitraum von Oktober 2001 bis Dezember 2003<br />
die Zahlung von Kindergeld. Das FG gab der Klage statt, ließ<br />
allerdings die Revision zum BFH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat für den streitigen Zeitraum einen Anspruch auf<br />
Kindergeld. Nach § 62 Abs.2 EStG haben zwar nur Ausländer,<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 17
die im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis<br />
sind, einen Anspruch auf Kindergeld. Diese Vorschrift<br />
ist aber dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass auch<br />
solche Ausländer Kindergeld beanspruchen können, die nach<br />
den §§ 51, 53 oder 54 AuslG auf unbestimmte Zeit nicht abgeschoben<br />
werden können.<br />
Das BVerfG hat mit Beschluss vom 6.7.2004 (Az.: 1 BvL 4/97)<br />
entschieden, dass § 1 Abs.3 S.1 BKKG gegen Art. 3 Abs.1 GG<br />
verstößt, weil danach ausländische Eltern, die nicht über eine<br />
Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis verfügen,<br />
ohne sachliche Rechtfertigung vom Kindergeld-Anspruch ausgeschlossen<br />
werden. Der Gesetzgeber müsse im Hinblick auf das<br />
Kindergeld alle ausländischen Eltern, die sich legal in Deutschland<br />
aufhalten, gleich behandeln. Das gelte jedenfalls für Ausländer,<br />
bei denen ein Abschiebungshindernis gemäß §§ 51, 53<br />
oder 54 AuslG vorliege.<br />
Diese Erwägungen des BVerfG treffen auch auf die Nachfolgerregelung<br />
zu § 1 Abs.3 S.1 BKKG in § 62 Abs.2 EStG zu, da<br />
die Vorschriften wortgleich sind. Der Gesetzgeber hat die vom<br />
BVerfG gesetzte Frist bis zum 1.1.2006, um eine verfassungsgemäße<br />
Neuregelung zu schaffen, ungenutzt verstreichen lassen.<br />
Nach dem Beschluss des BVerfG gilt nach Ablauf dieser<br />
Frist das bis zum 31.12.1993 geltende Recht, wonach für den<br />
Anspruch auf Kindergeld bereits das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses<br />
nach den §§ 51, 53 und 54 AuslG ausreicht.<br />
Linkhinweise:<br />
Für den auf der Website des Niedersächsischen FG veröffentlichten<br />
Volltext der Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />
Den auf den Webseiten des BVerfG veröffentlichten Volltext des<br />
Beschlusses vom 6.7.2004 (Az.: 1 BvL 4/97) finden Sie hier.<br />
Bundesrat hat sich gegen die Einbeziehung<br />
öffentlicher Spielbanken in die Umsatzsteuer<br />
ausgesprochen und will Besteuerung<br />
von Glücksspielen neu regeln<br />
Der Bundesrat hat sich am 10.2.2006 in seiner Stellungnahme zum<br />
Gesetzentwurf zur Eindämmung missbräuchlicher Gestaltungsmöglichkeiten<br />
gegen die geplante Umsatzbesteuerung der öffentlichen<br />
Spielbanken ausgesprochen. Grund für die Ablehnung sind<br />
die hiermit verbundenen Einnahmeausfälle der Länder, da die Einführung<br />
der Umsatzbesteuerung nach Einschätzung des Bundesrats<br />
eine Absenkung der Spielbankabgabe zur Folge haben wird.<br />
Der Bundesrat fordert einen angemessenen finanziellen Ausgleich<br />
für diese Einnahmeverluste. Daneben will er die außerdem<br />
in dem Gesetzentwurf vorgesehene Umkehr der Umsatzsteuerschuldnerschaft<br />
im Bereich der Gebäudereinigungen streichen.<br />
Das Verbot von so genannten Drohverlustrückstellungen in der<br />
Steuerbilanz soll demnach erhalten bleiben.<br />
Ebenfalls am 10.2.2006 hat der Bundesrat den Entwurf eines<br />
Gesetzes über die Besteuerung des Spieleinsatzes (Spieleinsatzsteuergesetz)<br />
beschlossen. Dieses Gesetz soll den steuerlichen Teil<br />
des Rennwett- und Lotteriegesetzes ersetzen und im Bereich der<br />
Besteuerung von Glücks- und Gerechtigkeitsspielen mit Gewinnmöglichkeit<br />
für mehr Steuergerechtigkeit sorgen.<br />
Der Gesetzentwurf sieht insbesondere vor, dass ausländische<br />
Anbieter nicht mehr - wie bisher - mit einer höheren Steuer belastet<br />
und auch die Spiele an Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit<br />
sowie unerlaubte Glücksspiele der Spieleinsatzsteuer unterworfen<br />
werden. Für Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit soll ein besonderer<br />
Steuersatz von zehn Prozent der Bemessungsgrundlage eingeführt<br />
werden.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Stellungnahme des Bundesrats zur geplanten<br />
Umsatzbesteuerung der öffentlichen Spielbanken sowie des<br />
Entwurfs des Spieleinsatzsteuergesetzes sind auf den Webseiten<br />
des Bundesrats veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext der Stellungnahme klicken Sie bitte hier.<br />
- Den Volltext des Gesetzentwurfs finden Sie hier (PDF-Datei).<br />
Soldaten können bei Dienst auf einem<br />
Schiff Verpflegungsmehraufwendungen geltend<br />
machen<br />
BFH 16.11.2005, VI R 12/04<br />
Soldaten der Bundesmarine können für die ersten drei Monate<br />
eines jeden vorübergehenden Einsatzes an Bord eines Schiffes<br />
Verpflegungsmehraufwendungen wegen Auswärtstätigkeit geltend<br />
machen. Der Tätigkeitsmittelpunkt eines Marinesoldaten<br />
liegt jedenfalls dann in seinem Stützpunkt an Land, wenn er dem<br />
Stützpunkt dauerhaft zugeordnet ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger diente im Streitjahr 2000 als Soldat bei der Bundesmarine.<br />
Er wurde an 129 Tagen auf einem Schnellboot auf<br />
verschiedenen europäischen Stützpunkten eingesetzt. Für diese<br />
Einsätze machte der Kläger insgesamt rund 9.700 DM an Verpflegungsmehraufwendungen<br />
geltend. Das Finanzamt verweigerte<br />
den Werbungskostenabzug mit dem Hinweis darauf, dass<br />
beim Kläger im Vorjahr bereits Verpflegungsmehraufwendungen<br />
für drei Monate im Zusammenhang mit einer doppelten Haushaltsführung<br />
berücksichtigt worden seien.<br />
Die gegen den entsprechenden Einkommensteuerbescheid gerichtete<br />
Klage hatte vor dem FG keinen Erfolg. Auf die Revision des<br />
Klägers hob der BFH dieses Urteil auf und wies die Sache zur<br />
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Entgegen der Auffassung des FG kann der Kläger gemäß § 9<br />
Abs.5 in Verbindung mit § 4 Abs.5 S.1 Nr.5 S.2 und 4 EStG<br />
für die ersten drei Monate eines jeden vorübergehenden Einsatzes<br />
an Bord des Schnellboots Verpflegungsmehraufwendungen<br />
wegen Auswärtstätigkeit geltend machen. Der Kläger war auf<br />
dem Schnellboot vorübergehend von seiner Wohnung und dem<br />
Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit<br />
entfernt beruflich tätig.<br />
Der Tätigkeitsmittelpunkt eines Marinesoldaten liegt jedenfalls dann<br />
in seinem Stützpunkt an Land, wenn der Soldat - wie im Streitfall<br />
der Kläger - dem Stützpunkt dauerhaft zugeordnet ist. Das Schiff<br />
stellt keine regelmäßige Arbeitsstätte dar, weil hierunter nur ortsfeste<br />
betriebliche Einrichtungen des Arbeitgebers zu verstehen sind.<br />
Das FG muss nun weitere Feststellungen zur Höhe der vom Kläger<br />
begehrten Verpflegungsmehraufwendungen treffen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 18
Anerkennung eines häuslichen Arbeitszimmers<br />
zur Weiterbildung setzt arbeitsvertragliche<br />
Weiterbildungspflicht voraus<br />
FG Köln 3.11.2005, 10 K 1129/02<br />
Arbeitnehmer können die Aufwendungen für ein häusliches<br />
Arbeitszimmer, das sie zu Weiterbildungszwecken nutzen, nur<br />
dann bis zur Höhe der Abzugsbeschränkung als Werbungskosten<br />
abziehen, wenn sie arbeitsvertraglich zur Weiterbildung verpflichtet<br />
sind. Außerdem muss sich aus dem Arbeitsvertrag oder<br />
einer Bescheinigung des Arbeitgebers ergeben, dass dem Arbeitnehmer<br />
die Fortbildung innerhalb der Dienstzeit am Arbeitsplatz<br />
untersagt ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger erzielte im Streitjahr 2000 Einnahmen aus seiner nichtselbständigen<br />
Tätigkeit bei einer Versicherung. In seiner Einkommensteuererklärung<br />
machte er Werbungskosten für ein häusliches<br />
Arbeitszimmer geltend. Dabei bezog er sich auf eine Bestätigung<br />
seines Arbeitgebers, wonach diesem bekannt sei, dass sich der<br />
Kläger privat mit Computer-Netzwerken und mit Programmierung<br />
beschäftige. Der Arbeitgeber begrüße diese Weiterbildung<br />
sehr, könne ihm „aber an seinem betrieblichen Arbeitsplatz keine<br />
entsprechende Umgebung zur Verfügung stellen“.<br />
Das Finanzamt versagte den Werbungskostenabzug für das häusliche<br />
Arbeitszimmer. Die gegen den entsprechenden Steuerbescheid<br />
gerichtete Klage hatte vor dem FG keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Finanzamt hat zu Recht keine Werbungskosten für das häusliche<br />
Arbeitszimmer berücksichtigt. Grundsätzlich gilt für Arbeitszimmer-Aufwendungen<br />
gemäß § 4 Abs.5 S.1 Nr.6b S.1,2 EStG<br />
ein Abzugsverbot, es sei denn, dem Steuerpflichtigen steht für die<br />
berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung.<br />
Der Begriff der beruflichen Tätigkeit ist eng auszulegen. Denn<br />
die bisherige Entwicklung hat gezeigt, dass einfache Arbeitnehmer<br />
Werbungskosten für ein häusliches Arbeitszimmer kaum<br />
noch absetzen können, während Angestellte mit Bürotätigkeiten<br />
vermehrt Gefälligkeitsbescheinigungen ihrer Arbeitgeber über<br />
die Notwendigkeit des häuslichen Arbeitszimmers zu Weiterbildungszwecken<br />
vorlegen.<br />
Um einen solchen Missbrauch zu vermeiden, ist ein häusliches<br />
Arbeitszimmer zu Weiterbildungszwecken nur dann steuerlich<br />
anzuerkennen, wenn die berufliche Verpflichtung zur Weiterbildung<br />
auf der Hand liegt oder sich unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag<br />
ergibt. Außerdem muss der Arbeitnehmer durch Vorlage<br />
des Arbeitsvertrags oder einer entsprechenden Arbeitgeberbescheinigung<br />
nachweisen, dass ihm die Fortbildung innerhalb der<br />
Dienstzeit am Arbeitsplatz untersagt ist.<br />
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Der Kläger<br />
ist weder arbeitsvertraglich zur Weiterbildung verpflichtet,<br />
noch hat er eine Bescheinigung seines Arbeitgebers vorgelegt,<br />
aus der sich ergibt, dass er sich nicht während der Arbeitszeit an<br />
seinem betrieblichen Arbeitsplatz weiterbilden darf.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext des Urteils ist erhältlich unter www.nrwe.de<br />
- Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Zum Bewertungswahlrecht bei der formwechselnden<br />
Umwandlung einer Personengesellschaft<br />
in eine Kapitalgesellschaft<br />
BFH 19.10.2005, I R 38/04<br />
Wird eine Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft<br />
umgewandelt, darf die Kapitalgesellschaft das übergegangene<br />
Betriebsvermögen mit seinem Buchwert oder mit einem höheren<br />
Wert ansetzen. Die Einräumung eines solchen Bewertungswahlrechts<br />
trägt dem Umstand Rechnung, dass bei der formwechselnden<br />
Umwandlung steuerrechtlich ein tauschähnlicher entgeltlicher<br />
Rechtsträgerwechsel stattfindet.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine GmbH i.L. mit einem abweichendem Wirtschaftsjahr<br />
vom 1.7. bis zum 30.6. Sie war mit Vertrag vom Februar<br />
1996 rückwirkend zum 1.7.1995 mittels einer formwechselnden<br />
Umwandlung aus einer KG hervorgegangen. Die Klägerin<br />
hatte bei der Erstellung der Eröffnungsbilanz zum Umwandlungsstichtag<br />
den von der KG übernommenen Auftragsbestand<br />
mit dem Teilwert bilanziert und zum 30.6.1996 abgeschrieben.<br />
Das Finanzamt vertrat demgegenüber die Auffassung, dass der<br />
abgeschriebene Betrag dem Gewinn zuzurechnen sei. Die gegen<br />
den entsprechenden Bescheid gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin durfte den von der KG übernommenen Auftragsbestand<br />
mit dem Teilwert bilanzieren und zum 30.6.1996 abschreiben.<br />
Gemäß § 25 S.1 UmwStG 1995 in Verbindung mit § 20<br />
Abs.2 S.1 UmwStG 1995 darf eine Kapitalgesellschaft eingebrachtes<br />
Betriebsvermögen mit seinem Buchwert oder mit einem<br />
höheren Wert ansetzen.<br />
Die Einräumung des Bewertungswahlrechts trägt dem Umstand<br />
Rechnung, dass bei der formwechselnden Umwandlung steuerrechtlich<br />
ein tauschähnlicher entgeltlicher Rechtsträgerwechsel<br />
stattfindet. Aus diesem Grund muss auf den Übertragungsstichtag<br />
zwar eine steuerrechtliche, nicht aber eine handelsrechtliche<br />
Übertragungsbilanz erstellt werden. Infolgedessen geht die<br />
amtliche Begründung des Regierungsentwurfs zu § 25 UmwStG<br />
1995 davon aus, dass beim Formwechsel einer Personengesellschaft<br />
in eine Kapitalgesellschaft im Ergebnis steuerlich die<br />
Übertragung des Betriebsvermögens zum Buchwert, Zwischenwert<br />
oder Teilwert möglich sein soll. Eine andere Beurteilung<br />
wäre widersinnig, weil das steuerlich eröffnete Wahlrecht in § 20<br />
Abs.2 UmwStG 1995 andernfalls faktisch bedeutungslos wäre.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
Grundstückskauf unter Angehörigen: Bei<br />
Rückschenkung des Kaufpreises kann ein<br />
Gestaltungsmissbrauch zur Erlangung der<br />
Eigenheimzulage vorliegen<br />
BFH 27.10.2005, IX R 76/03<br />
Kommt es bei einem Grundstückskauf unter Angehörigen zu<br />
einer Rückschenkung des Kaufpreises, so kann ein steuerlicher<br />
Gestaltungsmissbrauch zur Erlangung der Eigenheimzulage vor-<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 19
liegen. Dies ist der Fall, wenn die spätere Rückschenkung des<br />
Geldbetrags bereits bei Zahlung des Kaufpreises vereinbart und<br />
damit von vornherein Gegenstand eines Gesamtplans war. Wichtiges<br />
Indiz hierfür ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen<br />
der Kaufpreiszahlung und der Rückschenkung.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Eltern waren Eigentümer eines Hofes samt Wohnhaus. Im<br />
Februar 1996 übertrugen die Eltern den Hof im Wege der vorweggenommenen<br />
Erbfolge auf den Kläger, weil dieser Investitionen<br />
im Umfang von 500.000 DM tätigen wollte. Gleichzeitig<br />
verkauften sie ihm das Wohnhaus für 100.000 DM.<br />
Der Kläger nahm im Dezember 1996 zur Finanzierung des Kaufpreises<br />
ein Bankdarlehen mit einer Laufzeit von 34 Jahren auf<br />
und zahlte das Geld an seine Eltern aus. Diese legten den Betrag<br />
zunächst auf einem Festgeldkonto an, lösten dieses aber im Oktober<br />
1997 auf und schenkten dem Kläger das Geld zuzüglich der<br />
entstandenen Guthabenzinsen. Der Kläger löste mit dem Geld<br />
das Darlehen ab.<br />
Der Kläger beantragte ab dem Jahr 1996 Eigenheimzulage und<br />
bezifferte die Anschaffungskosten für das Wohnhaus auf 100.000<br />
DM. Das Finanzamt teilte dagegen den Kaufpreis anhand der<br />
Verkehrswerte des gesamten landwirtschaftlichen Betriebs und<br />
des Wohnhauses auf und ging von einer Bemessungsgrundlage<br />
für die Eigenheimzulage in Höhe von nur 17.750 DM aus.<br />
Die gegen die entsprechende Festsetzung der Eigenheimzulage<br />
gerichtete Klage wies das FG ab, weil auf Grund der zeitnahen<br />
und von vornherein beabsichtigten Rückschenkung des Kaufpreises<br />
eine missbräuchliche steuerliche Gestaltung zur Erlangung<br />
der Eigenheimzulage vorliege. Mit der Revision gegen<br />
dieses Urteil bestritt der Kläger, dass von vornherein eine Rückschenkung<br />
des Kaufpreises beabsichtigt gewesen sei. Die Revision<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das FG ist zu Recht von einem steuerlichen Gestaltungsmissbrauch<br />
im Sinn von § 42 AO 1977 ausgegangen.<br />
Ein steuerrechtlich erheblicher Aufwand kann nicht anerkannt<br />
werden, wenn er nach dem Gesamtplan des Steuerpflichtigen<br />
durch gegenläufige Rechtsakte wieder rückgängig gemacht wird.<br />
Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da davon auszugehen ist,<br />
dass die spätere Rückschenkung des Kaufpreises bereits bei Vereinbarung<br />
und Zahlung des Kaufpreises vereinbart und damit<br />
von vornherein Gegenstand eines Gesamtplans war, dem Kläger<br />
das Wohnhaus unentgeltlich zu überlassen und trotzdem die<br />
Festsetzung einer Eigenheimzulage zu ermöglichen.<br />
Wichtiges Indiz für einen solchen Gesamtplan ist ein enger zeitlicher<br />
Zusammenhang zwischen der Kaufpreiszahlung und der<br />
Rückschenkung des Kaufpreises. Im Streitfall liegt ein enger<br />
zeitlicher Zusammenhang vor, da die Rückschenkung bereits<br />
zehn Monate nach der Kaufpreiszahlung erfolgte. Der Kläger hat<br />
auch keine Umstände vorgetragen, die dieses Indiz erschüttern<br />
könnten. Insbesondere hat er trotz Aufforderung des FG nicht<br />
dargelegt, warum seine Eltern sich erst im Oktober 1997 entschlossen<br />
haben sollen, ihm das Geld zurückzuzahlen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
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Renovierungskosten für ein künftiges<br />
Arbeitszimmer unterliegen der Abzugsbeschränkung<br />
BFH 9.11.2005, VI R 19/04<br />
Kann der Steuerpflichtige die Aufwendungen für sein häusliches<br />
Arbeitszimmer nur bis zur Höhe von 1.250 Euro im Jahr<br />
absetzen, so gilt dies auch für die Renovierungskosten für ein<br />
künftiges Arbeitszimmer. Dieses künftige Arbeitszimmer wird<br />
dadurch, dass es sich im Zeitpunkt der Renovierungsaufwendungen<br />
noch außerhalb der häuslichen Sphäre des Steuerpflichtigen<br />
befindet, nicht zu einem außerhäuslichen Arbeitszimmer, für das<br />
die Abzugsbeschränkung nicht gilt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin erzielte Einnahmen aus einer nichtselbständigen<br />
Tätigkeit als Lehrerin. Sie zog im April des Streitjahres 1998 um.<br />
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr machte sie<br />
neben den laufenden Aufwendungen für die nacheinander genutzten<br />
Arbeitszimmer in ihrer alten und in ihrer neuen Wohnung in<br />
Höhe von insgesamt rund 4.000 DM auch die auf das Arbeitszimmer<br />
in der neuen Wohnung entfallenden Renovierungskosten in<br />
Höhe von rund 1.700 DM als Werbungskosten geltend.<br />
Das Finanzamt berücksichtigte für die Arbeitszimmer lediglich<br />
einen Abzugsbetrag in Höhe von 2.400 DM. Dies begründete es<br />
damit, dass das häusliche Arbeitszimmer der Klägerin nicht den<br />
Mittelpunkt ihrer beruflichen Tätigkeit bilde und daher gemäß §<br />
4 Abs.5 S.1 Nr.6b S.3 EStG nur ein Höchstbetrag von 2.400 DM<br />
im Jahr als Werbungskosten berücksichtigt werden könne.<br />
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend,<br />
dass die Aufwendungen für die Renovierung ihres neuen<br />
Arbeitszimmers nicht unter die Abzugsbeschränkung für häusliche<br />
Arbeitszimmer falle, da sie die Wohnung im Zeitpunkt der<br />
Verausgabung der Aufwendungen noch gar nicht bewohnt habe.<br />
Die Klage hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Finanzamt hat die Aufwendungen der Klägerin für ihre<br />
Arbeitszimmer zu Recht nur bis zur Höhe der Abzugsbeschränkung<br />
gemäß § 4 Abs.5 S.1 Nr.6b S.3 EStG in Höhe von 2.400<br />
DM (jetzt: 1.250 Euro) berücksichtigt.<br />
Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind nicht<br />
generell als Werbungskosten absetzbar. Sie können gemäß § 4<br />
Abs.5 S.1 Nr.6b S.2,3 EStG lediglich dann bis zu einem Höchstbetrag<br />
von 2.400 DM abgezogen werden, wenn dem Steuerpflichtigen<br />
für seine berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz<br />
zur Verfügung steht. Die Abzugsbeschränkung entfällt,<br />
wenn das häusliche Arbeitszimmer den Mittelpunkt der beruflichen<br />
Tätigkeit des Steuerpflichtigen bildet (§ 4 Abs.5 S.1 Nr.6b<br />
S.3 2.Hs. EStG).<br />
Im Streitfall benötigt die Klägerin zwar ein häusliches Arbeitszimmer,<br />
weil ihr in der Schule kein Büro zur Verfügung steht.<br />
Mittelpunkt ihrer Tätigkeit ist aber nicht das häusliche Arbeitszimmer,<br />
sondern die Schule. Daher kann die Klägerin die Aufwendungen<br />
für ein häusliches Arbeitszimmer nur bis zur Höhe<br />
der Abzugsbeschränkung als Werbungskosten geltend machen.<br />
Die Klägerin kann den auf 2.400 DM im Jahr begrenzten Abzugsrahmen<br />
nicht dadurch erhöhen, dass sie im laufenden Veranlagungszeitraum<br />
Renovierungskosten für ein neues Arbeitszimmer<br />
aufwendet. Das folgt aus dem Sinn und Zweck von § 4 Abs.5 S.1<br />
Nr.6b EStG, einen unbeschränkten Abzug nur im Fall des Betä-<br />
07/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 20
tigungsmittelpunktes unbeschränkt zuzulassen. Außerdem findet<br />
im Streitfall die Nutzung des neuen Arbeitszimmers ungeachtet<br />
der äußeren Umstände der Renovierung in einem häuslichen<br />
Rahmen statt, so dass keine Renovierungskosten für ein außerhäusliches<br />
Arbeitszimmer angefallen sind.<br />
Linkhinweis:<br />
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