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<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />
Das Wichtige im Überblick<br />
Mietrecht<br />
Formularmietverträge: Verpflichtung zur Abgeltung<br />
von Renovierungskosten nach „starren“ Fristen<br />
unwirksam (BGH)<br />
Haftungs- und Versicherungsrecht<br />
Versicherungsvertragsrecht: Bundestag hat den<br />
Entwurf eines Reformgesetzes beschlossen<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Scheidungsrecht: Eine nach kirchlichem Recht<br />
unscheidbare Ehe kann unter Umständen doch<br />
geschieden werden (BGH)<br />
Arbeitsrecht<br />
AGG: Bundestag hat Nachbesserung beschlossen<br />
Kündigungsrecht: Zusammenlegung mehrerer<br />
Niederlassungen rechtfertigt nicht in jedem Fall<br />
standortübergreifende Sozialauswahl (BAG)<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Getrennte Buchführung: Bundesregierung will<br />
Pflicht bei öffentlichen Dienstleistungen ausweiten<br />
Bankrecht<br />
Darlehen: Unternehmen benötigen bei Aufnahme<br />
und Weitergabe in großem Umfang eine Erlaubnis<br />
nach dem KWG (BGH)<br />
Aus dem Inhalt:<br />
27/06<br />
Wettbewerbsrecht und gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Öffentliche Auftragsvergabe: Beschränkung des Primärrechtsschutzes<br />
auf Aufträge oberhalb bestimmter<br />
Schwellenwerte ist zulässig (BVerfG)<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Insolvenz: Gläubiger können einen Anspruch auf<br />
Zusendung eines Gutachtens haben (OLG Celle)<br />
Berufsrecht<br />
Statistik: <strong>Anwalt</strong>sdichte in Deutschland nimmt zu<br />
Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />
Sanierungshilfe: Kein Anspruch des Landes Berlin<br />
gegen den Bund (BVerfG)<br />
Strafrecht und OWi<br />
Parkverstöße: Durchsuchung einer <strong>Anwalt</strong>skanzlei<br />
aus diesem Anlass ist unverhältnismäßig<br />
Steuerrecht<br />
Abgeordnetenpauschale: BFH hat Zweifel an der<br />
Verfassungsmäßigkeit der Steuerfreiheit (BFH)<br />
Arbeitgeber-Rabatte: Arbeitnehmer können<br />
zwischen zwei Bewertungsmethoden bei der<br />
Besteuerung wählen (BFH)
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 27/06 Inhalt<br />
Mietrecht<br />
Formularmietverträge: Verpflichtung zur Abgeltung<br />
von Renovierungskosten nach „starren“ Fristen ist<br />
unwirksam<br />
BGH 18.10.2006, VIII ZR 52/06 4<br />
Haftungs- und Versicherungsrecht<br />
Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur<br />
Reform des Versicherungsvertragsrechts beschlossen<br />
4<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Unterhaltsansprüche aus langjähriger Ehe haben<br />
nicht automatisch Vorrang vor allen anderen<br />
Ansprüchen<br />
OLG Oldenburg 26.9.2006, 12 UF 74/06 5<br />
Eine nach kirchlichem Recht unscheidbare Ehe<br />
kann unter Umständen doch geschieden werden<br />
BGH 11.10.2006, XII ZR 79/04 5<br />
Arbeitsrecht<br />
Bundestag hat Nachbesserung des Allgemeinen<br />
Gleichbehandlungsgesetzes beschlossen 6<br />
Haushaltsbefristung nach dem TzBfG setzt besondere<br />
Zweckbestimmung voraus<br />
BAG 18.10.2006, 7 AZR 419/05 6<br />
Zusammenlegung mehrerer Niederlassungen rechtfertigt<br />
nicht in jedem Fall eine standortübergreifende<br />
Sozialauswahl<br />
BAG 18.10.2006, 2 AZR 676/05 7<br />
Sozialrecht<br />
Regierungskoalition will Renteneintrittsalter schrittweise<br />
auf 67 Jahre anheben 7<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Hauptversammlung kann dem Vorstand keine<br />
bestimmte Produktpalette vorschreiben<br />
OLG Stuttgart 22.7.2006, 8 W 271 u. 272/06 8<br />
AG-Vorstand darf Großaktionäre nicht durch Versenden<br />
eines Kaufangebots beim Erwerb von<br />
Aktien unterstützen<br />
OLG Celle 19.7.2006, 9 U 15/06 9<br />
Bundesregierung will Pflicht zur getrennten<br />
Buchführung bei öffentlichen Dienstleistungen ausweiten<br />
9<br />
Bankrecht<br />
Unternehmen benötigen bei Darlehensaufnahme<br />
und -weitergabe in großem Umfang eine Erlaubnis<br />
nach dem KWG<br />
BGH 11.7.2006, VI ZR 340/04 10<br />
Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Beschränkung des Primärrechtsschutzes gegen die<br />
öffentliche Auftragsvergabe auf Aufträge oberhalb<br />
bestimmter Schwellenwerte ist verfassungsgemäß<br />
BVerfG 13.10.2006, 1 BvR 1160/03 10<br />
Autowerkstätten dürfen nicht mit 150 Euro Barvergütung<br />
bei Kasko-Abwicklung eines Schadens werben<br />
OLG Hamm 21.9.2006, 4 U 86/06 11<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Insolvenzgläubiger können einen Anspruch auf<br />
Zusendung eines Gutachtens haben<br />
OLG Celle 31.8.2006, 4 W 151/06 11<br />
Berufsrecht<br />
BRAK-Statistik: <strong>Anwalt</strong>sdichte in Deutschland nimmt<br />
weiter zu 12
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 27/06 Inhalt<br />
Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />
Subventionierte Buslinien müssen nicht öffentlich<br />
ausgeschrieben werden<br />
BVerwG 19.10.2006, 3 C 33.05 12<br />
Das Land Berlin hat gegen den Bund keinen<br />
Anspruch auf Sanierungshilfe<br />
BVerfG 19.10.2006, 2 BvF 3/03 13<br />
Strafrecht und OWi<br />
Arbeitgeber können sich bei Vorlage einer E 101-<br />
Bescheinigung nicht wegen des Nichtabführens von<br />
Sozialversicherungsbeiträgen strafbar machen<br />
BGH 24.10.2006, 1 StR 44/06 13<br />
Die Durchsuchung einer <strong>Anwalt</strong>skanzlei wegen<br />
Parkverstößen ist unverhältnismäßig<br />
BVerfG 7.9.2006, 2 BvR 1141/05 14<br />
Steuerrecht<br />
Spenden an den eigenen Verein sind nicht immer<br />
steuerlich absetzbar<br />
BFH 2.8.2006, XI R 6 /03 14<br />
BFH hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der<br />
Steuerfreiheit der Abgeordnetenpauschale – BMF<br />
soll Stellung nehmen<br />
BFH 21.9.2006, VI R 81/04 15<br />
Besteuerung von Arbeitgeber-Rabatten: Arbeitnehmer<br />
können zwischen zwei Bewertungsmethoden<br />
wählen<br />
BFH 5.9.2006, VI R 41/02 15<br />
Verlag<br />
Impressum<br />
Verlag Dr. Otto Schmidt KG in Kooperation mit dem <strong>Anwalt</strong>-<strong>Suchservice</strong><br />
Gustav-Heinemann-Ufer 58<br />
50968 Köln<br />
Geschäftsführender Gesellschafter: Dr. h.c. Karl-Peter Winters<br />
Amtsgericht Köln, HRA 5237<br />
USt-Ident-Nr. DE 123047975<br />
Zitierweise<br />
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />
ISSN 1613-8090<br />
Schriftleitung und Verlagsredaktion:<br />
Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />
Redaktion <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong>, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln-Marienburg<br />
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Mietrecht<br />
Formularmietverträge: Verpflichtung zur<br />
Abgeltung von Renovierungskosten nach<br />
„starren“ Fristen ist unwirksam<br />
BGH 18.10.2006, VIII ZR 52/06<br />
Abgeltungsklauseln in einem formularmäßigen Mietvertrag,<br />
wonach ausziehende Mieter sich nach starren Fristen und Prozentsätzen<br />
an den Kosten künftig fällig werdender Schönheitsreparaturen<br />
beteiligen müssen, sind unwirksam. Sie stellen<br />
genauso wie die Verpflichtung zur Durchführung von Schönheitsreparaturen<br />
nach einem „starren“ Fristenplan eine unangemessene<br />
Benachteiligung des Mieters dar, da sie keine Berücksichtigung<br />
des tatsächlichen Erhaltungszustands der Wohnung<br />
zulassen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger war von November 2001 bis November 2003 Mieter<br />
einer Wohnung der Beklagten.<br />
Der Formularmietvertrag verpflichtete den Mieter, regelmäßig<br />
innerhalb bestimmter Fristen Schönheitsreparaturen auszuführen.<br />
Bei einem Auszug vor Ablauf der vorgesehenen Fristen sollte<br />
der Mieter seine Pflicht zur Durchführung der Schönheitsreparaturen<br />
durch anteilige Zahlung der Kosten - gestaffelt nach der<br />
Mietzeit -erfüllen (Abgeltungsklausel). Nach einer Nutzungsdauer<br />
von mehr als zwei Jahren sollte der Mieter etwa 66 Prozent<br />
der Kosten für die Renovierung von Küche und Bad und rund<br />
40 Prozent der Kosten für die Renovierung der übrigen Räume<br />
übernehmen.<br />
Gestützt auf diese Abgeltungsklausel verrechnete die Beklagte<br />
die Kaution des Klägers mit den zeitanteiligen Renovierungskosten.<br />
Mit seiner auf Rückzahlung der Kaution gerichteten Klage<br />
machte der Kläger die Unwirksamkeit der Abgeltungsklausel<br />
geltend. Die Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung<br />
der Kaution. Der Beklagten steht gegenüber dem Kautionsguthaben<br />
des Klägers keine Aufrechnungsforderung zu, weil die<br />
in dem Formularmietvertrag enthaltene Abgeltungsklausel den<br />
Kläger unangemessen benachteiligt und deshalb gemäß § 307<br />
BGB unwirksam ist.<br />
Nach dem Grundsatzurteil des BGH vom 23.6.2004 (Az.: VIII<br />
ZR 361/03) sind Klauseln in einem Formularmietvertrag, die<br />
dem Mieter Schönheitsreparaturen nach einem „starren“ Fristenplan<br />
auferlegen, unwirksam. Denn sie können dem Mieter<br />
Renovierungspflichten auferlegen, obwohl nach dem konkreten<br />
Erhaltungszustand der Wohnung noch gar keine Renovierung<br />
erforderlich ist.<br />
Für Abgeltungsklauseln mit „starren“ Fristen und Prozentsätzen<br />
muss dasselbe gelten, da sie ebenfalls keine Berücksichtigung<br />
des tatsächlichen Erhaltungszustands der Wohnung erlauben.<br />
Ist die Wohnung überdurchschnittlich gut erhalten, so führt eine<br />
„starre“ Abgeltungsregelung dazu, dass der Mieter mit höheren<br />
zeitanteiligen Renovierungskosten belastet wird, als es dem tatsächlichen<br />
Zustand der Wohnung entspricht. Dies würde den<br />
Mieter unangemessen benachteiligen.<br />
Linkhinweise:<br />
Der Volltext dieser Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />
des BGH veröffentlicht. Hier finden Sie auch den Volltext<br />
des BGH-Urteils vom 23.6.2004 zu starren Fristenplänen<br />
bei Schönheitsreparaturen (PDF-Datei).<br />
Haftungs- und<br />
Versicherungsrecht<br />
Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf<br />
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts<br />
beschlossen<br />
Das Bundeskabinett hat am 11.10.2006 einen Gesetzentwurf<br />
zur Reform des Versicherungsvertragsrechts beschlossen. Hiernach<br />
müssen Versicherungen ihre Kunden vor Vertragsabschluss<br />
umfassend beraten und die Gespräche dokumentieren. Außerdem<br />
sieht der Gesetzentwurf umfangreiche Änderungen bei der<br />
Beteiligung der Versicherten an stillen Reserven des Versicherers<br />
und bei der Berechnung des Rückkaufwerts von Lebensversicherungen<br />
vor. Das Gesetz soll zum 1.1.2008 in Kraft treten.<br />
Der Gesetzentwurf beinhaltet die folgenden Kernpunkte:<br />
Beteiligung an stillen Reserven<br />
Die Versicherten sollen künftig einen Anspruch auf Überschussbeteiligung<br />
haben. Dazu gehören dann erstmals auch die so genannten<br />
stillen Reserven. Damit haben die Versicherten Anspruch auf<br />
Beteiligung an den Gewinnen, die nicht realisiert wurden, soweit<br />
sie durch ihre Beiträge erwirtschaftet worden sind.<br />
Außerdem sollen die Versicherten, die ihre Lebensversicherung<br />
wenige Jahre nach dem Vertragsschluss kündigen, einen höheren<br />
Rückkaufwert als bisher üblich erhalten. Derzeit verrechnen die<br />
Versicherungen die gezahlten Prämien häufig in den ersten beiden<br />
Vertragsjahren mit den Abschlusskosten des Vertrags. Künftig<br />
soll die Verrechnung auf die ersten fünf Jahre gestreckt werden.<br />
Mit diesen Vorgaben wird den Entscheidungen des BVerfG<br />
vom 26.7.2005 (Az.: BvR 80/95) zur Überschussbeteiligung<br />
bei Lebensversicherungen und der Entscheidung des BGH vom<br />
12.10.2005 zur Berechnung von Mindestrückkaufwerten (Az.:<br />
IV ZR 162/03) Rechnung getragen, worin die Gerichte eine<br />
Überschussbeteiligung der Versicherten beziehungsweise eine<br />
Änderung der Berechnung von Rückkaufwerten eingemahnt<br />
hatten.<br />
Beratung und Information der Verbraucher<br />
Versicherungen müssen ihren Kunden künftig vor der Unterzeichnung<br />
des Vertrags alle relevanten Unterlagen aushändigen.<br />
Außerdem müssen die Kunden über Vertragsdetails wie Staffelungen<br />
und Laufzeiten vorab informiert werden. Die Beratung<br />
muss dokumentiert werden. Verletzen die Versicherungen diese<br />
Beratungs- und Dokumentationspflichten, machen sie sich schadensersatzpflichtig.<br />
Außerdem muss der Kunde vor der Vertragsunterzeichnung nur<br />
noch diejenigen Umstände angeben, nach denen der Versicherer<br />
schriftlich gefragt hat. Damit liegt das Risiko einer Fehleinschätzung,<br />
ob ein Umstand für das versicherte Risiko erheblich ist,<br />
nicht mehr beim Kunden.<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4
Direktanspruch in der Pflichtversicherung<br />
Bei allen Pflichtversicherungen wird der Geschädigte künftig<br />
einen Direktanspruch gegen den Versicherer erhalten. Die Regelung<br />
des für die Kraftfahrzeugversicherung geltenden Pflichtversicherungsgesetzes<br />
wird in das VVG übernommen und gilt künftig<br />
für alle Pflichtversicherungen.<br />
Allgemeines Widerrufsrecht<br />
Künftig können alle Versicherungsverträge unabhängig vom Vertriebsweg<br />
und ohne Angabe von Gründen widerrufen werden. Bisher<br />
galt das nur bei Fernabsatzverträgen. Außerdem können nach<br />
dem neuen Recht alle Versicherungsnehmer ihre Vertragserklärung<br />
widerrufen, also nicht nur Verbraucher, sondern zum Beispiel<br />
auch Handwerker und Freiberufler. Die Widerrufsfrist beträgt zwei<br />
Wochen, bei der Lebensversicherung 30 Tage. Die Frist beginnt<br />
erst zu laufen, wenn dem Versicherungsnehmer sämtliche Vertragsbedingungen<br />
und Informationen übermittelt worden sind.<br />
Versicherungsschutz auch bei grob fahrlässigem Verhalten<br />
Die Versicherung kann den Versicherungsschutz selbst bei grob<br />
fahrlässigem Verhalten des Kunden nicht mehr komplett versagen.<br />
Vielmehr können die Versicherungen die Leistungen nur noch<br />
nach der Schwere des Verschuldens kürzen. Einfach fahrlässige<br />
Verstöße bleiben für den Versicherungsnehmer folgenlos.<br />
Die so genannte Unteilbarkeit der Prämie wird abgeschafft<br />
Der Versicherungsvertrag kann im Laufe des Versicherungsjahres<br />
von der Versicherung gekündigt oder durch Rücktritt beendet<br />
werden. Nach geltendem Recht muss der Versicherte trotz Kündigung<br />
die volle Jahresprämie zahlen. Ab dem 1.1.2008 muss<br />
der Versicherungsnehmer die Prämie nur bis zum Zeitpunkt der<br />
Kündigung zahlen.<br />
Wegfall der Klagefrist<br />
Nach derzeit geltendem Recht muss der Versicherungsnehmer seinen<br />
Anspruch auf die Versicherungsleistung binnen sechs Monaten<br />
geltend machen, nachdem der Versicherer die Leistung schriftlich<br />
abgelehnt hat (§ 12 Abs.3 VVG). Diese Regelung entfällt.<br />
Linkhinweis:<br />
- Für den auf der Homepage des BMJ veröffentlichten Gesetzentwurf<br />
klicken Sie bitte hier.<br />
- Für die auf der Homepage des BVerfG veröffentlichte Entscheidung<br />
des BVerfG vom 26.7.2005 klicken Sie bitte hier.<br />
- Für die auf der Homepage des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />
des BGH vom 12.10.2005 klicken Sie bitte hier.<br />
Familien- und Erbrecht<br />
Unterhaltsansprüche aus langjähriger Ehe<br />
haben nicht automatisch Vorrang vor allen<br />
anderen Ansprüchen<br />
OLG Oldenburg 26.9.2006, 12 UF 74/06<br />
Auch nach einer langjähriger Ehe hat der Unterhaltsanspruch<br />
des geschiedenen Ehegatten nicht zwangsläufig Vorrang vor<br />
allen anderen Ansprüchen. Dies gilt insbesondere dann, wenn<br />
ein Ehegatte wieder heiratet und aus dieser Ehe Kinder hervorgehen.<br />
§ 1582 BGB, wonach ausnahmslos alle Ansprüche auf<br />
Scheidungsunterhalt nach langjähriger Ehe Vorrang vor anderen<br />
Ansprüchen haben, ist verfassungskonform dahingehend auszulegen,<br />
dass der Begriff einer „langen Ehedauer“ nicht im Sinn<br />
einer absoluten Zeitgrenze zu interpretieren ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Parteien waren 23 Jahre miteinander verheiratet. Ihre Ehe<br />
war kinderlos geblieben. Nach der Scheidung verpflichtete sich<br />
der Kläger zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt in Höhe<br />
von 600 Euro im Monat. Mit seiner neuen Ehefrau hat er ein<br />
Kind und berief sich auf den Wegfall seiner Unterhaltspflicht<br />
gegenüber der Beklagten, die schon seit längerem wieder eine<br />
Vollzeittätigkeit ausübt. Seine Abänderungsklage hatte vor dem<br />
OLG zum Teil Erfolg. Das OLG ließ allerdings die Revision zu.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger muss nur noch 200 Euro pro Monat an die Beklagte<br />
zahlen. Zwar haben gemäß § 1582 BGB ausnahmslos alle<br />
Ansprüche auf Scheidungsunterhalt nach langjähriger Ehe Vorrang<br />
vor anderen Ansprüchen. Die Vorschrift berücksichtigt<br />
aber nicht hinreichend den Stellenwert nachfolgender Ansprüche.<br />
Insofern muss insbesondere dem Unterhaltsanspruch eines<br />
kinderbetreuenden Elternteils Rechnung getragen werden. Dieser<br />
Anspruch ist in jeder Hinsicht privilegiert. Daher kommt im<br />
Streitfall dem Anspruch der Beklagten der geringste Stellenwert<br />
zu, weil die Ehe kinderlos geblieben ist und sie einer Vollzeittätigkeit<br />
nachgeht. Der Unterhaltsanspruch dient damit lediglich<br />
der Aufstockung ihres Einkommens.<br />
Die Sache ist nicht dem BVerfG vorzulegen, weil § 1582 BGB<br />
verfassungskonform ausgelegt werden kann. Der verfassungsrechtlich<br />
gebotene Gleichrang der Ansprüche ist bereits dann<br />
gegeben, wenn der Begriff einer langen Ehedauer nicht im Sinn<br />
einer absoluten Zeitgrenze interpretiert wird, sondern zugleich<br />
die durch die Ehe entstandenen wirtschaftlichen Abhängigkeiten<br />
und Verflechtungen in die Beurteilung einbezogen werden.<br />
So kann nicht von einer langen Ehedauer ausgegangen werden,<br />
wenn die Ehe – wie im Streitfall – kinderlos geblieben ist und<br />
der Unterhaltsberechtigte eine seinem beruflichen Werdegang<br />
entsprechende Vollzeittätigkeit ausübt.<br />
Auf Grund des Gleichrangs der Ansprüche ist der Unterhaltsbedarf<br />
der neuen Ehegattin des Klägers bei der Berechnung des<br />
Anspruchs der geschiedenen Ehefrau zu berücksichtigen. Dies<br />
führt zwar nicht zu einem vollständigen Wegfall, aber zu einer<br />
deutlichen Reduzierung seiner Zahlungspflichten.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des OLG Oldenburg<br />
veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sir bitte hier.<br />
Eine nach kirchlichem Recht unscheidbare<br />
Ehe kann unter Umständen doch geschieden<br />
werden<br />
BGH 11.10.2006, XII ZR 79/04<br />
Kann eine Ehe nach ausländischem kirchlichen Recht nicht<br />
geschieden werden, liegt möglicherweise ein Verstoß gegen Art.<br />
6 Abs.1 BGB und den deutschen ordre public vor. Denn es kann<br />
für einen Ehegatten unzumutbar sein, gegen seinen Willen an<br />
einer unheilbar zerrütteten Ehe lebenslang festzuhalten. Eine solche<br />
Ehe kann daher unter Umständen doch geschieden werden.<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin ist syrische Staatsangehörige und beantragte<br />
die Scheidung von ihrem Ehemann, der ebenfalls Syrer ist. Die<br />
Parteien leben in Deutschland und haben hier einen Asylantrag<br />
gestellt. Der Ehemann gehört einer katholischen, die Ehefrau<br />
der syrisch-orthodoxen Kirche an. Sie waren 1993 in Syrien von<br />
einem Priester der chaldäischen Kirche getraut worden.<br />
Die Vorinstanzen haben die Scheidung abgelehnt, weil die Ehe<br />
der Parteien nicht geschieden werden dürfe. Die Scheidung richte<br />
sich nach syrischem Recht. Insoweit sei das Ostkirchenrecht<br />
maßgeblich, das den 1990 von Papst Johannes Paul II. promulgierten<br />
Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium (CCEO) beinhalte.<br />
Danach könne die Ehe nicht geschieden werden. Dies sei<br />
auch mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar, weil Art. 6<br />
Abs.1 GG vor allem die bestehende Ehe schütze.<br />
Auf die Revision der Antragstellerin hob der BGH das Urteil der<br />
Vorinstanz auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und<br />
Entscheidung an das OLG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Das OLG durfte die Scheidung der Parteien nicht ohne weiteres<br />
ablehnen. Es steht bis dato nicht einmal hinreichend sicher fest,<br />
ob die Ehe der Parteien überhaupt wirksam geschlossen worden<br />
ist. Da das OLG die Religionszugehörigkeit des Ehemannes nicht<br />
eindeutig festgestellt hat, richtet sich die Scheidung entweder nach<br />
dem CCEO oder nach dem Codex Iuris Canonici (CIC). Fehlt es<br />
danach an einer der Wirksamkeitsvoraussetzungen nach kanonischem<br />
Recht (etwa, weil die Ehe - wie hier - vor dem Priester einer<br />
Kirche geschlossen wurde, der keine der Parteien angehört), muss<br />
der Scheidungsantrag abgewiesen werden, weil eine in Wirklichkeit<br />
nicht bestehende Ehe nicht geschieden werden kann.<br />
Ist die Ehe wirksam geschlossen worden, muss das OLG prüfen,<br />
ob die Antragstellerin nach Art. 12 der Genfer Flüchtlingskonvention<br />
Flüchtlingsstatus hatte. Dann wäre sie im Scheidungsverfahren<br />
wie eine Deutsche zu behandeln mit der Folge, dass<br />
deutsches Recht anzuwenden ist.<br />
Ist die Ehe wirksam geschlossen worden, ist außerdem zu prüfen,<br />
ob die Anwendung des kanonischen Rechts mit Art. 6 Abs.1<br />
GG und dem deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) vereinbar<br />
ist. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass Art. 6 Abs.1 GG<br />
nach neuem Rechtsverständnis auch die Möglichkeit schützt,<br />
durch eine Scheidung die Freiheit zur Eheschließung wiederzuerlangen.<br />
Die Unscheidbarkeit der Ehe kann außerdem gegen<br />
den deutschen ordre public verstoßen. Denn es kann unzumutbar<br />
sein, einen Ehegatten gegen seinen Willen an einer unheilbar<br />
zerrütteten Ehe lebenslang festzuhalten.<br />
Arbeitsrecht<br />
Bundestag hat Nachbesserung des Allgemeinen<br />
Gleichbehandlungsgesetzes<br />
beschlossen<br />
Der Bundestag hat am 19.10.2006 eine Änderung des am<br />
18.8.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes<br />
(AGG) beschlossen. Die geplanten Nachbesserungen<br />
sind im Entwurf des „Zweiten Gesetzes zur Änderung des<br />
Betriebsrentengesetzes“ (Drs. 16/1936, 16/1307) enthalten. Sie<br />
dienen der Bereinigung von Redaktionsversehen und betreffen<br />
insbesondere die Sonderregelung über die Rechtfertigung einer<br />
unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters (§ 10 AGG).<br />
Die geplanten Änderungen im Überblick:<br />
1. § 10 AGG - Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen<br />
des Alters<br />
In § 10 AGG, wonach unter bestimmten Voraussetzungen eine<br />
unterschiedliche Behandlung wegen des Alters gerechtfertigt ist,<br />
sollen die Nummern 6 und 7 ersatzlos gestrichen werden. Nummer<br />
6 betrifft die Berücksichtigung des Alters bei der Sozialauswahl<br />
und Nummer 7 die Vereinbarung einer Unkündbarkeit<br />
von Beschäftigten bestimmten Alters. Diese Regelungen sollen<br />
gestrichen werden, weil das AGG gemäß § 2 Abs.4 AGG auf<br />
Kündigungen keine Anwendung finden soll.<br />
2. § 11 Abs.1 S.6 ArbGG – Prozessvertretung durch Antidiskriminierungsverbände<br />
Auch § 11 Abs.1 S.6 ArbGG, wonach Antidiskriminierungsverbände<br />
zur Prozessvertretung des im Sinn von § 7 Abs.1 AGG<br />
benachteiligten Arbeitnehmers berechtigt sind, soll gestrichen<br />
werden. Die Vorschrift soll hierdurch an § 23 Abs.2 AGG angeglichen<br />
werden, wonach Antidiskriminierungsverbände nur als<br />
Beistände vor Gericht auftreten können. Gleiches soll für die<br />
entsprechende Regelung im Sozialgerichtsgesetz (§ 73 Abs.6<br />
S.5 SGG) gelten.<br />
3. Allgemeines Zivilrecht: Streichung der „Weltanschauung“<br />
in § 20 Abs.1,2 AGG<br />
In § 20 Abs.1,2 AGG, der für den Bereich des allgemeinen Zivilrechts<br />
unter bestimmten Voraussetzungen eine unterschiedliche<br />
Behandlung erlaubt, soll das Diskriminierungsmerkmal „Weltanschauung“<br />
gestrichen werden, da dieses vom Benachteiligungsverbot<br />
in § 19 AGG nicht erfasst wird.<br />
Linkhinweise:<br />
- Auf den Webseiten des Bundestags sind der Gesetzentwurf<br />
der Bundesregierung (Drs. 16/1936) und die entsprechende<br />
Beschlussempfehlung (Drs. 16/3007) veröffentlicht. Für den<br />
Gesetzentwurf der Bundesregierung klicken Sie bitte hier<br />
(PDF-Datei). Die Beschlussempfehlung finden Sie hier (PDF-<br />
Datei).<br />
- Umfangreiche Informationen zum AGG, zu den aktuellen Änderungen<br />
und zu den Gesetzesmaterialien finden Sie zudem<br />
beim AuS-Portal – dem Internetportal für Arbeitsrecht<br />
und Sozialrecht.<br />
Haushaltsbefristung nach dem TzBfG setzt<br />
besondere Zweckbestimmung voraus<br />
BAG 18.10.2006, 7 AZR 419/05<br />
Nach § 14 Abs.1 S.2 Nr.7 TzBfG kann ein Arbeitsverhältnis<br />
befristet werden, wenn der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln<br />
vergütet wird und diese Mittel haushaltsrechtlich für eine befristete<br />
Beschäftigung bestimmt sind. Dieser Befristungsgrund setzt<br />
eine zweckgebundene Zuweisung der Haushaltsmittel für die<br />
Erledigung von zeitlich begrenzten Tätigkeiten voraus. Außerdem<br />
muss der Arbeitnehmer entsprechend dieser Zweckbestimmung<br />
beschäftigt werden.<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin war bei dem beklagten Land auf Grund mehrerer<br />
befristeter Arbeitsverhältnisse seit dem 15.1.2001 als Angestellte<br />
in der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin beschäftigt.<br />
Die Klägerin wurde aus Haushaltsmitteln des Landes bezahlt.<br />
Grundlage hierfür war die haushaltsrechtliche Festlegung von<br />
Mittel für befristete Arbeitsverträge zur Bewältigung von Nachfragespitzen<br />
im Direktleihverkehr und für Vertretungsfälle in der<br />
Deutschen Zentralbibliothek für Medizin.<br />
Der letzte befristete Arbeitsvertrag der Klägerin lief am<br />
30.4.2004 aus. Mit ihrer Klage machte die Klägerin geltend, dass<br />
es an einem Sachgrund für die Befristung fehle und sie deshalb<br />
unbefristet weiterbeschäftigt werden müsse. Ihre hierauf gerichtete<br />
Klage hatte in allen Instanzen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf<br />
unbefristete Weiterbeschäftigung. Die vereinbarte Befristung des<br />
Arbeitsverhältnisses war mangels Rechtfertigung durch einen<br />
sachlichen Grund im Sinn von § 14 Abs.1 TzBfG unwirksam.<br />
Als Sachgrund für die Befristung kommt vorliegend nur eine so<br />
genannte Haushaltsbefristung nach § 14 Abs.1 S.2 Nr.7 TzBfG<br />
in Betracht. Hiernach kann ein Arbeitsverhältnis befristet werden,<br />
wenn der Arbeitnehmer aus Haushaltsmitteln vergütet wird,<br />
die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt<br />
sind, und er entsprechend beschäftigt wird. Dieser Befristungsgrund<br />
setzt eine zweckgebundene Zuweisung der Haushaltsmittel<br />
für die Erledigung von zeitlich begrenzten Tätigkeiten und<br />
eine Beschäftigung entsprechend dieser Zweckbestimmung voraus.<br />
Im Streitfall ist die Klägerin zwar aus Haushaltsmitteln vergütet<br />
worden, die haushaltsrechtlich auch gerade für befristete<br />
Beschäftigungen bei der Deutschen Zentralbibliothek für Medizin<br />
vorgesehen waren. Die Haushaltsmittel sollten aber nur<br />
für Dienstverträge zur Bewältigung von Nachfragespitzen im<br />
Direktleihverkehr und für Vertretungsfälle ausgegeben werden.<br />
Die Klägerin ist nicht entsprechend dieser haushaltsrechtlichen<br />
Zweckbestimmung beschäftigt worden.<br />
Zusammenlegung mehrerer Niederlassungen<br />
rechtfertigt nicht in jedem Fall eine<br />
standortübergreifende Sozialauswahl<br />
BAG 18.10.2006, 2 AZR 676/05<br />
Sollen mehrere Niederlassungen zusammengelegt werden, so<br />
sind nur dann die Arbeitnehmer aller betroffenen Standorte in die<br />
Sozialauswahl einzubeziehen, wenn sie miteinander vergleichbar<br />
sind. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber sie einseitig von<br />
der einen Niederlassung in die andere versetzen kann. Insoweit<br />
reicht es nicht aus, dass er erst anlässlich der Zusammenlegung<br />
Änderungskündigungen mit dem Ziel der Weiterbeschäftigung<br />
in der anderen Niederlassung ausspricht.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die 45 Jahre alte, ledige Klägerin war bei der Beklagten als Leiterin<br />
der Niederlassung A. beschäftigt. Die Beklagte entschied,<br />
ihre 125 Kilometer von A. entfernte Niederlassung in B. aufzugeben,<br />
und bot den in B. beschäftigten Arbeitnehmern im Wege<br />
der Änderungskündigung die Weiterbeschäftigung in der Niederlassung<br />
A. an. Dieses Angebot nahmen vier Arbeitnehmer<br />
an, darunter auch der 38-jährige Leiter der Niederlassung B., der<br />
verheiratet ist und ein Kind hat.<br />
Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der<br />
Klägerin betriebsbedingt zum 31.12.2004 und begründete die<br />
Kündigung damit, dass die Position des Niederlassungsleiters<br />
nunmehr doppelt besetzt und die Klägerin sozial weniger schutzbedürftig<br />
sei als der ehemalige Leiter der Niederlassung B.<br />
Mit ihrer hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage machte<br />
die Klägerin geltend, dass die Arbeitnehmer der Niederlassung<br />
A. nicht in eine Sozialauswahl mit den Arbeitnehmern aus<br />
der Niederlassung B. einzubeziehen seien. Beide Standorte seien<br />
schon auf Grund ihrer räumlichen Entfernung als eigenständige<br />
Betriebe anzusehen. ArbG und LAG gaben der Klage statt. Auf<br />
die Revision der Beklagten hob das BAG die Vorentscheidungen<br />
auf und wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung<br />
an das LAG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob die<br />
Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin rechtmäßig<br />
ist.<br />
Sollen Arbeitsplätze abgebaut werden, so sind nur die Arbeitnehmer<br />
in die Sozialauswahl einzubeziehen, die miteinander vergleichbar<br />
sind. Die Vergleichbarkeit beurteilt sich zwar in erster<br />
Linie nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen. Sie ist aber auch<br />
zwischen solchen Arbeitnehmern nicht gegeben, die der Arbeitgeber<br />
nicht einseitig auf den anderen Arbeitsplatz versetzen kann.<br />
Der Arbeitgeber kann eine Vergleichbarkeit nicht dadurch herbeiführen,<br />
dass er erst anlässlich der Zusammenlegung mehrerer<br />
Niederlassungen den Arbeitnehmern der einen Niederlassung<br />
im Wege der Änderungskündigung Arbeitsplätze in der anderen<br />
Niederlassung anbietet.<br />
Nach diesen Grundsätzen durfte die Beklagte die Klägerin nur<br />
dann in die Sozialauswahl einbeziehen, wenn sie den Niederlassungsleiter<br />
B. einseitig nach A. versetzen konnte. Das LAG wird<br />
deshalb im zweiten Rechtszug klären müssen, wie der Arbeitsvertrag<br />
mit dem ehemaligen Niederlassungsleiter in B. im Hinblick<br />
auf eine Versetzbarkeit nach A. auszulegen ist.<br />
Sozialrecht<br />
Regierungskoalition will Renteneintrittsalter<br />
schrittweise auf 67 Jahre anheben<br />
Die Regierungskoalition hat sich am 24.10.2006 darauf verständigt,<br />
das Renteneintrittsalter bis zum Jahr 2029 schrittweise<br />
auf 67 Jahre anzuheben. Eine Ausnahme ist für Versicherte mit<br />
45 Pflichtbeitragsjahren vorgesehen, die weiterhin mit 65 Jahren<br />
abschlagsfrei in Rente gehen können. Alle anderen müssen<br />
bei einem vorzeitigen Rentenbeginn zwischen dem 63. und 67.<br />
Lebensjahr Abschläge in Kauf nehmen.<br />
Die wichtigsten Punkte der geplanten Neuregelung im Überblick:<br />
-Regelaltersgrenze:<br />
Die Regelaltersgrenze soll ab dem Jahr 2012 bis zum Jahr 2029<br />
schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben werden. Die neue<br />
Regelaltersgrenze von 67 Jahren soll erstmals für Geburtstags-<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7
jahrgänge ab 1964 gelten. Eine vorzeitige Inanspruchnahme der<br />
Rente soll frühestens mit 63 Jahren möglich sein, ist dann aber<br />
mit einem Rentenabschlag verbunden.<br />
- Sonderregelung bei 45 Pflichtbeitragsjahren:<br />
Wer 45 Pflichtbeitragsjahre aufweisen kann, soll weiterhin mit<br />
65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können.<br />
- Sonderregelung bei verminderter Erwerbsfähigkeit:<br />
Das Referenzalter für die Inanspruchnahme einer Rente wegen<br />
verminderter Erwerbsfähigkeit oder einer Hinterbliebenenrente<br />
soll auf 65 Jahre angehoben werden. 63-jährige Versicherte mit<br />
35 Beitragsjahren sollen allerdings bis zum Jahr 2023 weiter abschlagsfrei<br />
eine Erwerbsminderungsrente beziehen können. Ab<br />
dem Jahr 2024 soll dies nur noch für 63-jährige erwerbsgeminderte<br />
Versicherte mit 40 Beitragsjahren gelten.<br />
- Kinderberücksichtigungszeiten:<br />
Um kindererziehende Elternteile nicht zu benachteiligen, sollen<br />
bei der Berechnung der Pflichtbeitragsjahre auch Kinderberücksichtigungszeiten<br />
bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes angerechnet<br />
werden.<br />
- Übertragung auf die Beamtenversorgung:<br />
Die beabsichtigten Änderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
sollen unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit<br />
der beiden Systeme wirkungsgleich in das Versorgungsrecht der<br />
Beamten übertragen werden.<br />
- Förderung der Beschäftigung älterer Arbeitnehmer:<br />
Gleichzeitig sollen Maßnahmen ergriffen werden, um die Beschäftigungsquote<br />
Älterer zu erhöhen. Dies soll unter anderem<br />
durch die „Initiative 50plus“ und durch die Einführung eines<br />
speziellen Kombilohns für ältere Langzeitarbeitslose geschehen.<br />
Außerdem soll die Möglichkeit, ältere Arbeitslose befristet zu<br />
beschäftigen, europarechtskonform erweitert werden.<br />
- Förderung der privaten Altersvorsorge:<br />
Betriebs- und Riesterrente sollen systematisch weiterentwickelt<br />
und gestützt werden, etwa durch die Sicherung bei Insolvenz,<br />
durch die Möglichkeit der Mitnahme sowie durch familienfreundliche<br />
und wohnraumbezogene Regelungen.<br />
Mit dieser Initiative reagiert die Regierungskoalition auf die<br />
Probleme in der Rentenversicherung auf Grund der steigenden<br />
Lebenserwartung und sinkender Geburtszahlen. Ziel ist es, dass<br />
der Beitragssatz 22 Prozent bis zum Jahr 2030 nicht übersteigen<br />
und gleichzeitig das Rentenniveau 43 Prozent bis zum Jahr 2023<br />
nicht unterschreiten soll. Der Gesetzentwurf soll am 29.11.2006<br />
im Kabinett verabschiedet werden. Im Frühjahr 2007 soll das<br />
Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sein.<br />
Linkhinweise:<br />
- Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />
(BMAS) hat auf seinen Webseiten ausführliche Informationen<br />
über die geplante Anhebung des Renteneintrittsalters<br />
veröffentlicht.<br />
- Für die ebenfalls beim BMAS veröffentlichte Vereinbarung<br />
zur Umsetzung der Maßnahmen in der Alterssicherung im<br />
Volltext klicken Sie bitte hier (PDF-Datei).<br />
Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Hauptversammlung kann dem Vorstand keine<br />
bestimmte Produktpalette vorschreiben<br />
OLG Stuttgart 22.7.2006, 8 W 271 u. 272/06<br />
Die Hauptversammlung einer AG kann zwar Änderungen des<br />
in der Satzung bestimmten Unternehmensgegenstands beschließen.<br />
Dabei darf sie aber nicht in das originäre Recht des Vorstands<br />
eingreifen, die Geschäfte des Unternehmens zu leiten. Die<br />
Hauptversammlung kann dem Vorstand daher nicht vorschreiben,<br />
wie er die Geschäfte führt und welche Produkte er innerhalb<br />
des in der Satzung durch den Unternehmensgegenstand vorgegebenen<br />
Rahmens entwickelt und vertreibt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller ist Aktionär der Antragsgegnerin. Er hält so<br />
viele Anteile, dass er gemäß § 122 Abs.2 AktG verlangen kann,<br />
dass bestimmte Gegenstände zur Beschlussfassung einer Hauptversammlung<br />
bekannt gemacht werden.<br />
Im Hinblick auf eine für den 12.4.2006 einberufene Hauptversammlung<br />
forderte der Antragsteller den Vorstand auf, bestimmte<br />
Gegenstände zur Beschlussfassung in der Hauptversammlung<br />
bekannt zu machen. Dabei ging es ihm im Wesentlichen darum,<br />
dem Vorstand durch eine Satzungsänderung die Fortsetzung der<br />
Geschäftstätigkeit mit Autos der Marken „MAYBACH” und<br />
„smart” unmöglich zu machen.<br />
Nachdem der Vorstand über den Antrag nicht innerhalb der ihm<br />
gesetzten Frist entschieden hatte, rief der Antragsteller gemäß<br />
§ 122 Abs.3 AktG das AG (Registergericht) an. Dieses wies<br />
das Antragsbegehren zurück. Der Antragsteller legte hiergegen<br />
sofortige Beschwerde ein, erklärte „das Verfahren“ allerdings<br />
für erledigt und nahm den Ermächtigungsantrag zurück, nachdem<br />
sich abgezeichnet hatte, dass das LG nicht bis zur Hauptversammlung<br />
am 12.4.2006 hierüber würde entscheiden können.<br />
Das LG erlegte dem Antragsteller die der Antragsgegnerin im<br />
Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten<br />
auf. Die hiergegen gerichtete weitere Beschwerde des Antragstellers<br />
hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das LG hat dem Antragsteller zu Recht gemäß § 13a Abs.1 S.1<br />
FGG die außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin auferlegt.<br />
Diese Kostenentscheidung entspricht der Billigkeit, da spätestens<br />
mit der Entscheidung des AG offensichtlich war, dass für<br />
den Antrag keine Erfolgsaussicht bestand.<br />
Ein nach § 122 Abs.2 AktG legitimierter Aktionär wie der<br />
Antragsteller ist zwar berechtigt, durch Anträge in der Hauptversammlung<br />
Beschlüsse über Änderungen des in der Satzung<br />
festgelegten Unternehmensgegenstands herbeizuführen. Denn es<br />
gehört zu den originären Rechten der Hauptversammlung, über<br />
Satzungsänderungen zu beschließen.<br />
Durch eine solche Satzungsänderung darf aber nicht in das originäre<br />
Recht des Vorstands eingegriffen werden, die Geschäfte des<br />
Unternehmens zu leiten. Daher kann die Hauptversammlung dem<br />
Vorstand nicht vorschreiben, wie er die Geschäfte führt und welche<br />
Produkte er innerhalb des in der Satzung durch den Unternehmensgegenstand<br />
vorgegebenen Rahmens entwickelt und vertreibt.<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8
Nach diesen Grundsätzen konnte der Antragsteller keine<br />
Beschlussfassung über die von ihm begehrte Satzungsänderung<br />
beanspruchen. Denn diese betraf nicht nur eine Veränderung des<br />
Unternehmensgegenstand im Sinn einer allgemein gehaltenen<br />
Rahmenvorgabe, sondern die Untersagung der Geschäftstätigkeit<br />
mit zwei konkreten Produkten. Ob bestimmte Produkte aus<br />
der Angebotspalette herausgenommen werden, liegt aber in der<br />
alleinigen Entscheidungskompetenz des Vorstands.<br />
AG-Vorstand darf Großaktionäre nicht<br />
durch Versenden eines Kaufangebots beim<br />
Erwerb von Aktien unterstützen<br />
OLG Celle 19.7.2006, 9 U 15/06<br />
Der Vorstand einer AG verletzt seine Neutralitätspflicht, wenn<br />
er einen Großaktionär durch Aussenden eines im Namen der AG<br />
formulierten Kaufangebots beim Erwerb nicht börsennotierter<br />
Namensaktien unterstützt. Diese Pflichtverletzung führt allerdings<br />
nicht dazu, dass auch andere Aktionäre im Interesse der<br />
Gleichbehandlung einen Anspruch auf eine solche Unterstützung<br />
haben. Der Vorstand kann nicht verpflichtet werden, ein<br />
rechtswidriges Verhalten fortzusetzen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger gehört zu den Minderheitsaktionären der Beklagten.<br />
Im Mai 2005 erhielt er ein auch an andere Aktionäre gerichtetes<br />
Schreiben der Beklagten, in dem zugunsten der Großaktionärsfamilie<br />
A., die den Alleinvorstand der Beklagten stellt, ein Kaufangebot<br />
für die Namensaktien der Gesellschaft unterbreitet wurde.<br />
Zuvor hatte sich bereits ein anderer Großaktionär (B.) mit einem<br />
Kaufangebot unmittelbar an die Minderheitsaktionäre gewandt.<br />
Der Kläger verlangte von der Beklagten, dass sie auch ihn durch<br />
das Versenden eines solchen Schreibens beim Erwerb von Aktien<br />
unterstütze. Ein entsprechender Anspruch ergebe sich aus dem<br />
Grundsatz der Gleichbehandlung aller Aktionäre gemäß § 53a<br />
AktG. Die Beklagte machte dagegen geltend, dass das Schreiben<br />
vom Mai 2005 nach Auffassung des Klägers rechtswidrig gewesen<br />
sei und dieser keine Gleichbehandlung im Unrecht verlangen<br />
könne.<br />
Das LG gab der Klage statt. Auf die hiergegen gerichtete Berufung<br />
der Beklagten hob das OLG diese Entscheidung auf und wies die<br />
Klage ab. Das OLG ließ allerdings die Revision zum BGH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Aussendung<br />
eines Schreibens an Aktionäre, um diesen ein Kaufangebot<br />
des Klägers zu unterbreiten. Der Vorstand der Beklagten<br />
hat pflichtwidrig gehandelt, als er die Großaktionärsfamilie A. in<br />
dieser Weise unterstützt hat, und der Kläger kann nicht verlangen,<br />
dass die Beklagte ihr rechtswidriges Verhalten im Interesse<br />
der Gleichbehandlung der Aktionäre fortsetzt.<br />
Die Namen der Aktionäre sind nur dem Vorstand der Beklagten<br />
bekannt und sollen nur diesem bekannt bleiben. Hierdurch wird<br />
der Handel mit nicht börsennotierten Namensaktien der Beklagten<br />
erheblich erschwert. Die Beklagte hat gegen ihre Neutralitätspflicht<br />
verstoßen, indem sie mit dem Schreiben vom Mai<br />
2005 das hierin liegende Marktdefizit zugunsten der Großaktionärsfamilie<br />
A. überwunden hat. Denn sie hat sich hierdurch<br />
angesichts der Bemühungen des Großaktionärs B. auf die Seite<br />
der Aktionärsgruppe A. geschlagen.<br />
Im Ergebnis hat die Aktionärsgruppe A. zwar den Informationsvorsprung,<br />
den sie über den von ihr gestellten Vorstand besitzt,<br />
für eigene wirtschaftliche Zwecke ausgenutzt. Dies kann aber<br />
nicht zu einem Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf<br />
eine ähnliche Unterstützungshandlung führen, da sich die Verwaltung<br />
neutral verhalten muss, wenn sie die Vermittlung des<br />
Kaufs von Namensaktien zugunsten der Aktionäre betreibt und<br />
damit Interessen der Gesellschaft fördern will.<br />
Der Volltext in der ZR-Report-Datenbank:<br />
Den Volltext der Entscheidung finden Sie in der ZR-Report-<br />
Datenbank. Hier sind weitere wichtige Entscheidungen zur<br />
Zivilrechtsprechung des BGH und der OLG veröffentlicht. Der<br />
Abruf ist kostenpflichtig.<br />
Bundesregierung will Pflicht zur getrennten<br />
Buchführung bei öffentlichen Dienstleistungen<br />
ausweiten<br />
Die Bundesregierung hat am 16.10.2006 einen Gesetzentwurf<br />
vorgelegt, mit dem die Pflicht zur Führung getrennter Bücher<br />
auf alle Unternehmen ausgeweitet werden soll, die Ausgleichszahlungen<br />
für öffentliche Dienstleistungen erhalten und darüber<br />
hinaus Tätigkeiten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse<br />
ausüben. Dies soll allerdings nicht für kleinere und mittlere<br />
Unternehmen mit einem Jahresnettoumsatz von bis zu 40 Millionen<br />
Euro gelten. Mit dem Gesetzentwurf soll die geänderte<br />
Transparenzrichtlinie (Richtlinie 2005/81/EG) in das deutsche<br />
Recht umgesetzt werden.<br />
Nach der bisherigen Rechtslage waren nur solche Unternehmer<br />
zur Führung getrennter Bücher verpflichtet, die für die Erfüllung<br />
von Gemeinwohlverpflichtungen staatliche Beihilfen erhielten.<br />
Nachdem der EuGH mit Urteil vom 24.7.2003 (C-280/00)<br />
festgestellt hatte, dass staatliche Ausgleichszahlungen für die<br />
Erfüllung von Gemeinwohlverpflichtungen nicht in jedem Fall<br />
Beihilfen darstellen, ist die Transparenzrichtlinie dahingehend<br />
geändert worden, dass die Pflicht zur Führung getrennter Bücher<br />
künftig für alle Ausgleichszahlungen gelten soll, unabhängig<br />
davon, ob es sich hierbei um Beihilfen handelt.<br />
Die Transparenzrichtlinie dient dazu, den Wettbewerb von<br />
Unternehmen zu kontrollieren, die einerseits Gemeinwohlverpflichtungen<br />
erfüllen und hierfür Ausgleichszahlungen erhalten,<br />
andererseits aber auch auf anderen Geschäftsfeldern mit weiteren<br />
Unternehmen konkurrieren. Die Richtlinie schreibt für diese<br />
Unternehmen die Führung getrennter Bücher vor, um ermitteln<br />
zu können, welche Kosten und Erlöse den jeweiligen Geschäftsbereichen<br />
zuzurechnen sind und ob Über- oder Quersubventionierungen<br />
vorliegen.<br />
Linkhinweise:<br />
- Für den auf den Webseiten des Bundestags veröffentlichten<br />
Volltext des Gesetzentwurfs klicken Sie bitte hier (PDF-Datei).<br />
- Das auf den Webseiten des EuGH veröffentlichte Urteil des<br />
EuGH vom 24.7.2003 (C-280/00) finden Sie hier.<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9
Bankrecht<br />
Unternehmen benötigen bei Darlehensaufnahme<br />
und -weitergabe in großem Umfang<br />
eine Erlaubnis nach dem KWG<br />
BGH 11.7.2006, VI ZR 340/04<br />
Unternehmen, die von ihren Kunden und Mitarbeitern in großem<br />
Umfang Darlehen (hier: in Höhe von rund zwei Millionen Euro)<br />
aufnehmen und diese an Schwestergesellschaften weiterleiten,<br />
benötigen für diese „bankmäßige“ Tätigkeit eine Erlaubnis nach<br />
§ 32 Abs.1 S.2 KWG. Betreibt ein Unternehmen Bankgeschäfte<br />
ohne diese Erlaubnis, machen sich dessen vertretungsberichtigte<br />
Organe gemäß §§ 54 KWG, 14 Abs.1 Nr.1 StGB strafbar und<br />
haften einem Darlehensgeber gegebenenfalls auf Rückzahlung<br />
der Darlehenssumme. § 32 Abs.1 S.2 KWG stellt insofern ein<br />
Schutzgesetz im Sinn des § 823 Abs.2 BGB dar.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beklagte ist der Geschäftsführer der J.K. GmbH. Diese nahm<br />
von 150 Kunden und Mitarbeitern der Gesellschaft Darlehen zu<br />
einem Zinssatz von acht bis neun Prozent auf. Die Darlehen in<br />
Höhe von insgesamt zwei Millionen Euro leitete die J.K. GmbH<br />
an ihre Schwestergesellschaften weiter. Durch diese Finanzierung<br />
erzielten die Schwesterunternehmen Zinsvorteile von zwei<br />
bis drei Prozent im Vergleich zu einem bankmäßig aufgenommenen<br />
Kontokorrentkredit.<br />
Die Klägerin hatte der J.K. GmbH ebenfalls ein Darlehen in Höhe<br />
von rund 5.000 Euro auf die Dauer von einem Jahr gewährt. Als<br />
die J.K. GmbH in finanzielle Schwierigkeiten geriet, nahm die<br />
Klägerin den beklagten Geschäftsführer auf Zahlung von Schadensersatz<br />
in Höhe der Darlehensforderung nebst Zinsen in<br />
Anspruch. Die hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen den Beklagten gemäß § 823 Abs.2 BGB<br />
in Verbindung mit §§ 32, 54 KWG einen Anspruch auf Zahlung<br />
von Schadensersatz in Höhe der Darlehensforderung nebst Zinsen.<br />
Die J.K. GmbH ist als Kreditinstitut im Sinn von §1 Abs.1<br />
S.1 KWG anzusehen, weil sie in einem Unfang Bankgeschäfte<br />
betrieben hat, die einen in kaufmännischer Weise eingerichteten<br />
Geschäftsbetrieb erfordern. Sie hat von 150 Personen mehr als<br />
zwei Millionen Euro als Darlehen aufgenommen. Dies spricht<br />
für einen erheblichen Verwaltungsaufwand, der nur im Rahmen<br />
eines kaufmännischen Geschäftsbetriebs zu bewältigen ist.<br />
Die J.K. GmbH unterlag somit dem Erlaubnisvorbehalt des §<br />
32 Abs.1 S.2 KWG. Hiernach benötigen Unternehmen, die in<br />
Deutschland in größerem Umfang Finanzdienstleistungen erbringen<br />
wollen, eine schriftliche Erlaubnis. Bei dieser Vorschrift<br />
handelt es sich um ein Schutzgesetz im Sinn von § 823 Abs.2<br />
BGB, da die Kontrolle der an den Finanzmärkten tätigen Anbieter<br />
die Sicherheit von Geldanlagen und damit auch den Schutz<br />
eines jeden Anlegers bezweckt. Erbringt ein Unternehmen ohne<br />
diese Erlaubnis Finanzdienstleistungen, machen sich dessen vertretungsberichtigte<br />
Organe gemäß §§ 54 KWG, 14 Abs.1 Nr.1<br />
StGB strafbar.<br />
Im Streitfall haftet der Beklagte daher als Geschäftsführer der J.<br />
K. GmbH gemäß § 823 Abs.2 BGB in Verbindung mit §§ 32, 54<br />
KWG, 14 Abs.1 Nr.1 StGB auf Ersatz der verlorenen Einlagen<br />
der Klägerin in Höhe der streitbefangenen Darlehensforderung.<br />
Denn der Beklagte war als Alleingeschäftsführer dafür verantwortlich,<br />
dass die von ihm vertretene J. K. GmbH gemäß § 32<br />
KWG die Bankgeschäfte betrieben und Gelder in Form von Darlehen<br />
insbesondere von der Klägerin aufgenommen hat.<br />
Linkhinweis:<br />
- Die Entscheidung ist auf der Homepage des BGH veröffentlicht.<br />
- Für den Volltext klicken Sie bitte hier.<br />
Wettbewerbsrecht<br />
und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Beschränkung des Primärrechtsschutzes<br />
gegen die öffentliche Auftragsvergabe auf<br />
Aufträge oberhalb bestimmter Schwellenwerte<br />
ist verfassungsgemäß<br />
BVerfG 13.10.2006, 1 BvR 1160/03<br />
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber<br />
den Primärrechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen<br />
vom Erreichen bestimmter Schwellenwerte abhängig gemacht<br />
macht. Er hat damit zulässigerweise berücksichtigt, dass Vergaben<br />
unterhalb der Schwellenwerte ein Massenphänomen darstellen<br />
und ein effektiver Primärrechtsschutz gegen solche Vergaben<br />
die Verwaltungsarbeit erheblich beeinträchtigen würde.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beschwerdeführerin hatte sich an einer öffentlichen Ausschreibung<br />
für Verkehrssicherungsmaßnahmen auf einer Autobahn<br />
beteiligt. Die Auftragssumme lag unter fünf Millionen<br />
Euro.<br />
Nachdem ein anderes Unternehmen den Zuschlag erhalten hatte,<br />
verlangte die Beschwerdeführerin von der Vergabekammer<br />
die Nachprüfung der Vergabe. Die Kammer wies den Antrag als<br />
unzulässig zurück. Das OLG bestätigte diese Entscheidung. Der<br />
Nachprüfungsantrag sei unzulässig, weil das Nachprüfungsverfahren<br />
gemäß §§ 97 ff. GWB erst ab einer bestimmten Auftragssumme<br />
Anwendung finde. Dieser Schwellenwert werde vorliegend<br />
nicht erreicht.<br />
Mit ihrer hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerde machte<br />
die Beschwerdeführerin geltend, dass es gegen den allgemeinen<br />
Justizgewährungsanspruch aus Art. 20 Abs.3 GG und den<br />
Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 GG verstoße, wenn<br />
erst bei Überschreiten bestimmter Schwellenwerte Primärrechtsschutz<br />
gegen die Vergabeentscheidungen gewährt werde. Die<br />
Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der<br />
Gesetzgeber den Rechtsschutz gegen Vergabeentscheidungen<br />
unterhalb der Schwellenwerte anders gestaltet hat als den gegen<br />
Vergabeentscheidungen, die die Schwellenwerte übersteigen.<br />
Er hat zulässigerweise berücksichtigt, dass es sich bei Vergaben<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10
unterhalb der Schwellenwerte um ein Massenphänomen handelt<br />
und ein effektiver Primärrechtsschutz gegen solche Vergaben zu<br />
erheblichen Verzögerungen bei der Ausführung der Maßnahme<br />
sowie Beeinträchtigungen der Verwaltungsarbeit führen würde.<br />
Der Gesetzgeber durfte vor diesem Hintergrund das öffentliche<br />
Interesse an einer raschen Vergabeentscheidung für gewichtiger<br />
halten als das Interesse des unterlegenen Bieters an einer Überprüfung<br />
der Vergabeentscheidung vor Abschluss des Vergabeverfahrens.<br />
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es erfolglosen<br />
Bietern auch bei Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte möglich<br />
ist, nach der Auftragsvergabe deren Rechtswidrigkeit geltend<br />
zu machen und Schadensersatz zu verlangen. Sie haben<br />
lediglich keine effektive Möglichkeit, die Auftragsvergabe zu<br />
verhindern.<br />
Der Hintergrund:<br />
Das Nachprüfungsverfahren zur Durchsetzung des Rechts auf<br />
Einhaltung bestimmter Bestimmungen des Vergaberechts ist im<br />
vierten Teil des GWB (§§ 97 ff. GWB) geregelt und gilt nur für<br />
Aufträge, deren Betrag den jeweils maßgeblichen Schwellenwert<br />
(bei Bauaufträgen fünf Millionen Euro) erreicht oder übersteigt.<br />
Für das Nachprüfungsverfahren sind die Vergabekammern des<br />
Bundes oder der Länder zuständig. Gegen deren Entscheidung<br />
kann eine sofortige Beschwerde eingelegt werden, über die die<br />
Vergabesenate der OLG entscheiden.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext des Beschlusses ist auf der Homepage des<br />
BVerfG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Autowerkstätten dürfen nicht mit 150 Euro<br />
Barvergütung bei Kasko-Abwicklung eines<br />
Schadens werben<br />
OLG Hamm 21.9.2006, 4 U 86/06<br />
Autowerkstätten dürfen ihren Kunden nicht die Zahlung von 150<br />
Euro anbieten, wenn sie ihr Auto bei ihnen reparieren lassen und<br />
den Schaden dann über ihre Kaskoversicherung abwickeln. Das<br />
Angebot einer Barvergütung in Höhe von 150 Euro stellt eine<br />
Teilnahme der Autowerkstätten an einem Betrug zu Lasten der<br />
eintrittsverpflichteten Versicherungen durch ihre Kunden dar.<br />
Dies verstößt gegen § 4 Nr.11 UWG und ist damit wettbewerbswidrig.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte betreibt eine Autoreparaturwerkstatt. In einer<br />
Anzeige warb sie für eine Schadensabwicklung bei Hagelschäden.<br />
Hierin bot sie den betroffenen Autofahrern bei einer<br />
Hagelschadenreparatur ab 1.000 Euro, die die Kunden über ihre<br />
Kaskoversicherung abwickeln, neben einem kostenlosen Leihfahrzeug,<br />
Tagesterminen und einer Fahrzeugreinigung auch eine<br />
Barzahlung in Höhe von 150 Euro an.<br />
Der Kläger, eine Wettbewerbsvereinigung, hielt diese Werbung<br />
für wettbewerbswidrig. Sie verstoße gegen §§ 3, 4 Nr.11 UWG<br />
in Verbindung mit § 263 StGB, weil dem Kunden ein Vorteil verschafft<br />
werde, der zu Lasten der Versicherung gehe. Der Kläger<br />
verlangte daher von der Beklagten Unterlassung. Seine hierauf<br />
gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte muss die beanstandete Werbung unterlassen. Die<br />
Werbung verstößt gegen §§ 3, 4 Nr.11 UWG in Verbindung mit<br />
§ 263 StGB. Nach § 4 Nr.11 UWG handelt unlauter, wer einer<br />
gesetzlichen Vorschrift zuwider handelt, die auch dazu bestimmt<br />
ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu<br />
regeln. Eine solche Marktverhaltensregelung stellt auch § 263<br />
StGB dar. Ein Wettbewerber begeht somit auch einen Wettbewerbsverstoß,<br />
wenn er in betrügerischer Weise auf den Wettbewerb<br />
einwirkt.<br />
Das Angebot einer Barvergütung in Höhe von 150 Euro stellt<br />
eine Teilnahme der Beklagten an einem Betrug zu Lasten der<br />
eintrittsverpflichteten Versicherungen durch ihre Kunden dar.<br />
Denn die Versicherung muss bei der Beschädigung eines Fahrzeugs<br />
die für die Wiederherstellung erforderlichen Kosten - also<br />
regelmäßig den Reparaturaufwand in einer Werkstatt - ersetzen.<br />
Wird dem Geschädigten aber vorab ein Betrag in Höhe von 150<br />
Euro ausbezahlt, ist der Reparaturaufwand um diesen Betrag<br />
geringer. Teilt der Kunde seiner Versicherung nun den Schaden<br />
nicht aber die Barvergütung mit, erliegt sie dem Irrtum, dass der<br />
Kunde den vollen Betrag bezahlen muss. Die Versicherung legt<br />
ihrer Regulierung somit einen überhöhten Preis zugrunde. Die<br />
Beklagte ermöglicht ihren Kunden damit einen Betrug zu Lasten<br />
ihrer Versicherung.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext des Urteils ist erhältlich unter www.nrwe.de<br />
- Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW.<br />
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Zwangsvollstreckung und<br />
Insolvenz<br />
Insolvenzgläubiger können einen Anspruch<br />
auf Zusendung eines Gutachtens haben<br />
OLG Celle 31.8.2006, 4 W 151/06<br />
Insolvenzgerichte dürfen den Antrag von Gläubigern, ihnen die<br />
Kopie eines im Insolvenzeröffnungsverfahren erstellten Gutachtens<br />
zuzusenden, nicht kategorisch mit dem Hinweis darauf<br />
zurückweisen, dass die Akten gemäß § 299 Abs.2 ZPO nur auf<br />
der Geschäftsstelle des Gerichts eingesehen werden könnten.<br />
Dies kann für Gläubiger, die ihren Sitz weit entfernt vom Insolvenzgericht<br />
haben, eine Rechtsversagung bedeuten, weil ein<br />
wirtschaftlich denkender Gläubiger nicht bereit sein wird, erhebliche<br />
Fahrt- und Personalkosten aufzuwenden, um Akteneinsicht<br />
zu nehmen. Aus diesem Grund müssen Insolvenzgerichte eingehend<br />
Kosten und Nutzen der Kopie und Versendung einer Akte<br />
überprüfen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin ist eine Gläubigerin der X.GmbH, deren<br />
Geschäftsführer einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
über das Vermögen der Gesellschaft gestellt hat. Im<br />
Rahmen des Insolvenzeröffnungsverfahrens hat das Insolvenzgericht<br />
ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, um<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11
zu klären, ob die X.GmbH noch über eine die Verfahrenskosten<br />
deckende Masse verfügt. Der Sachverständige kam zu dem<br />
Schluss, dass nicht ausreichend Masse vorhanden sei. Daraufhin<br />
lehnte das Insolvenzgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
mangels Masse ab.<br />
Die Antragstellerin beantragte beim Insolvenzgericht, ihr eine<br />
Kopie des Sachverständigengutachtens zu übersenden. Dies<br />
lehnte das Gericht mit der Begründung ab, dass die Antragstellerin<br />
gemäß § 299 Abs.2 ZPO lediglich das Recht auf Akteneinsicht<br />
in der Geschäftsstelle des Gerichts habe. Ein Recht auf<br />
Fertigung von Abschriften und Auszügen stehe nur den Parteien,<br />
das heiße im eröffneten Insolvenzverfahren den Insolvenzgläubigern<br />
zu. Der hiergegen gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />
hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Insolvenzgericht durfte den Antrag der Antragstellerin nicht<br />
ohne weiteres unter Berufung auf § 299 Abs.2 ZPO ablehnen.<br />
Die Auffassung des Gerichts, Akteneinsicht könne im Fall des §<br />
299 Abs.2 InsO ausschließlich auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts<br />
gewährt werden, ist nicht haltbar. Das Gericht hätte<br />
seine Entscheidung vielmehr unter Berücksichtigung der Interessen<br />
der Antragstellerin abwägen müssen.<br />
Gerade in Insolvenzsachen kann der grundsätzlich bestehende<br />
Anspruch des Gläubigers dadurch unterlaufen werden, dass dessen<br />
Sitz sehr weit vom Gericht entfernt liegt. Versagt das Gericht<br />
einem solchen Gläubiger die Zusendung der Akten, würde dies<br />
letztlich auf eine Rechtsversagung hinauslaufen, weil ein wirtschaftlich<br />
denkender Gläubiger nicht bereit sein wird, erhebliche<br />
Fahrt und Personalkosten aufzuwenden, um Akteneinsicht<br />
zu nehmen. Aus diesem Grund muss das Insolvenzgericht eingehend<br />
Kosten und Nutzen der Kopie und Versendung einer Akte<br />
überprüfen.<br />
Berufsrecht<br />
BRAK-Statistik: <strong>Anwalt</strong>sdichte in Deutschland<br />
nimmt weiter zu<br />
Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) hat am 19.10.2005<br />
Zahlen zur aktuellen <strong>Anwalt</strong>sdichte in Deutschland veröffentlicht.<br />
Danach ist die <strong>Anwalt</strong>sdichte im Jahr 2005 im Vergleich<br />
zum Vorjahr um 4,7 Prozent gestiegen. Im bundesweiten Durchschnitt<br />
kommt auf 622 Einwohner ein Rechtsanwalt. Spitzenreiter<br />
ist die Stadt Frankfurt am Main mit 97 Einwohnern pro<br />
Rechtsanwalt kommt. Die geringste <strong>Anwalt</strong>sdichte weisen weiterhin<br />
die neuen Bundesländer auf.<br />
Die <strong>Anwalt</strong>sdichte in den einzelnen Bundesländern<br />
Die höchste <strong>Anwalt</strong>sdichte weist Hamburg auf (234 Einwohner<br />
pro Rechtsanwalt), gefolgt von Berlin (332), Hessen (387)<br />
und Bremen (417). Nordrhein-Westfalen liegt mit 564 Einwohnern<br />
pro Rechtsanwalt im Mittelfeld, während Sachsen-Anhalt<br />
mit 1.431 Einwohnern pro <strong>Anwalt</strong> die geringste <strong>Anwalt</strong>sdichte<br />
aufweist. Auch in den anderen neuen Bundesländern liegt die<br />
<strong>Anwalt</strong>sdichte jeweils über 1.000 Einwohner pro <strong>Anwalt</strong>.<br />
Die <strong>Anwalt</strong>sdichte in den einzelnen Stadtstaaten und Ballungszentren<br />
Spitzenreiter Frankfurt am Main mit 97 Einwohnern pro Rechts-<br />
anwalt wird gefolgt von Düsseldorf (117), München (124), Stuttgart<br />
(233), Hamburg (234) und Hannover (287). Unter einer<br />
<strong>Anwalt</strong>sdichte von 400 liegen die Städte Berlin (332), Nürnberg<br />
(385) und Bremen (363). Leipzig hat eine <strong>Anwalt</strong>sdichte von<br />
411, Essen eine <strong>Anwalt</strong>sdichte von 413, Dresden von 446, Köln<br />
von 472 und Dortmund von 541.<br />
Insgesamt weist Deutschland mit durchschnittlich 622 Einwohnern<br />
pro Rechtsanwalt eine vergleichsweise hohe <strong>Anwalt</strong>sdichte<br />
auf. So entfällt beispielsweise in Frankreich nur ein <strong>Anwalt</strong> auf<br />
fast 1.500 Einwohner.<br />
Verwaltungs- und<br />
Verfassungsrecht<br />
Subventionierte Buslinien müssen nicht<br />
öffentlich ausgeschrieben werden<br />
BVerwG 19.10.2006, 3 C 33.05<br />
Die Vergabe von Buslinien im öffentlichen Nahverkehr, die nur<br />
mit öffentlichen Zuschüssen betrieben werden können, muss<br />
nicht nach Europarecht ausgeschrieben werden. Der deutsche<br />
Gesetzgeber hat insoweit wirksam von einer im Gemeinschaftsrecht<br />
vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit Gebrauch gemacht.<br />
Für eine wirksame Linienverkehrsgenehmigung kommt es auch<br />
nicht darauf an, ob die Subventionierung der Buslinien nach dem<br />
EU-Recht zulässig ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin betreibt ein privates Busunternehmen. Der beklagte<br />
Landkreis war über Jahrzehnte Inhaber der Genehmigung zum<br />
Betrieb von drei öffentlich bezuschussten Buslinien, hatte die<br />
Betriebsführung allerdings der Klägerin übertragen.<br />
1997 gründete der Landkreis eine GmbH, deren alleiniger Gesellschafter<br />
er ist. Er übertrug der GmbH die Linienverkehrsgenehmigungen<br />
und lehnte einen entsprechenden Antrag der Klägerin ab.<br />
Dies begründete er damit, dass der GmbH als langjährigen Linienbetreiberin<br />
das so genannte Altunternehmerprivileg zustehe.<br />
Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage machte die Klägerin geltend,<br />
dass sie auf Grund ihrer langjährigen Betriebsführerschaft<br />
gegenüber der erst 1997 gegründeten GmbH bei der Auftragsvergabe<br />
hätte bevorzugt werden müssen. Außerdem hätte der Landkreis<br />
die Vergabe der Linienverkehrsgenehmigungen nach Europarecht<br />
öffentlich ausschreiben müssen. VG und OVG wiesen die<br />
Klage ab. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin hatte<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Landkreis hat den Antrag der Klägerin auf Übertragung<br />
der Linienverkehrsgenehmigungen zu Unrecht abgelehnt. Dies<br />
ergibt sich allerdings nicht schon daraus, dass er die Vergabe der<br />
Buslinien nicht öffentlich ausgeschrieben hat. Hierzu war er entgegen<br />
der Auffassung der Klägerin nicht europarechtlich verpflichtet.<br />
Der deutsche Gesetzgeber hat insoweit wirksam von<br />
einer im Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Ausnahmemöglichkeit<br />
Gebrauch gemacht.<br />
Die Wirksamkeit der Auftragsvergabe hängt auch nicht davon<br />
ab, ob die Subventionierung der Buslinien mit den EU-Vorschriften<br />
über die Zulässigkeit von Beihilfen vereinbar ist. Diese<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 12
Prüfung ist gegebenenfalls in dem dafür vorgesehenen speziellen<br />
Verfahren zu klären.<br />
Die Klägerin hat dennoch einen Anspruch auf Erteilung der Linienverkehrsgenehmigungen.<br />
Denn der Landkreis konnte sich hinsichtlich<br />
der Auftragsvergabe an die von ihm gegründete GmbH<br />
nicht auf das so genannte Altunternehmerprivileg berufen. Da<br />
der Landkreis den Betrieb der Linien jahrelang der Klägerin<br />
übertragen hat, gibt es keinen Grund für einen Besitzstandsschutz<br />
der GmbH.<br />
Das Land Berlin hat gegen den Bund keinen<br />
Anspruch auf Sanierungshilfe<br />
BVerfG 19.10.2006, 2 BvF 3/03<br />
Ergänzungszuweisungen des Bundes an ein Land gemäß Art.<br />
107 Abs.2 S.3 GG kommen nur bei einer extremen Haushaltsnotlage<br />
in Betracht. Das Land muss in diesem Fall in seiner Existenz<br />
gefährdet sein und alle ihm verfügbaren Möglichkeiten der<br />
Abhilfe ausgeschöpft haben, so dass eine Bundeshilfe als einziger<br />
Ausweg verbleibt. Diese Voraussetzungen sind beim Land<br />
Berlin nicht erfüllt. Insbesondere auf der Ausgabenseite des Landes<br />
bestehen noch erhebliche Einsparpotentiale.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Das Land Berlin hat sich im Wege des abstrakten Normenkontrollantrags<br />
gegen § 11 Abs.6 des Finanzausgleichsgesetzes<br />
(FAG) und Art. 5 § 11 des Solidarfortführungsgesetzes (SFG)<br />
gewandt. Hiernach standen für die Jahre 1999 bis 2004 lediglich<br />
Bremen und dem Saarland Bundesergänzungszuweisungen<br />
zu und sind von 2005 an keine Sanierungshilfen an Länder in<br />
Haushaltsnotlagen mehr vorgesehen.<br />
Der Berliner Senat machte geltend, dass sich das Land Berlin<br />
spätestens seit dem Jahr 2002 in einer extremen Haushaltsnotlage<br />
befinde und daher gemäß Art. 107 Abs.2 S.3 GG einen<br />
Anspruch auf Sanierungshilfen habe. Die Zins-Steuer-Relation<br />
liege im Jahr 2002 mit 20,8 Prozent annähernd doppelt so hoch<br />
wie der Länderdurchschnitt. Außerdem habe die Kreditfinanzierungsquote<br />
Berlins 2001 mit 15,1 Prozent ungefähr das Doppelte<br />
des Landesdurchschnitts ausgemacht und sei 2003 auf 20,2%<br />
gestiegen.<br />
Der Normenkontrollantrag hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Berlin hat gegen den Bund keinen Anspruch auf Bundesergänzungszuweisungen<br />
gemäß Art. 107 Abs.2 S.3 GG. Diese Sanierungshilfen<br />
unterliegen einem strengen Ultima-Ratio-Prinzip.<br />
Sie sind nur dann verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn die<br />
Haushaltsnotlage eines Landes im Vergleich zu den übrigen Ländern<br />
als extrem zu bewerten ist und ein solches Ausmaß erreicht<br />
haben, dass ohne fremde Hilfe die Existenz des Landes gefährdet<br />
ist. Hierfür muss das Land alle ihm verfügbaren Möglichkeiten<br />
der Abhilfe ausgeschöpft haben.<br />
Ob eine extreme Haushaltsnotlage vorliegt, beurteilt sich nach<br />
den Kreditfinanzierungsquoten der jeweiligen Haushalte, der<br />
Zins-Steuer-Quote und einer Primärsaldenbetrachtung, bei der<br />
die Erlöse aus der Veräußerung von Vermögen den Kernausgaben<br />
des Landes gegenübergestellt werden. In Berlin lag die Kreditfinanzierungsquote<br />
in den vergangenen Jahren zwar deutlich über<br />
dem Doppelten des Länderdurchschnitts. Die Zins-Steuer-Quoten<br />
waren jedoch im Vergleich zu Bremen und zum Saarland nicht<br />
extrem hoch. Auch die Primärsalden Berlins weisen keine extreme<br />
Abweichung von denen in den anderen Bundesländern auf.<br />
Außerdem hat Berlin seine Sparpotentiale noch nicht hinreichend<br />
ausgeschöpft. Das gilt insbesondere für die Ausgabenseite, da<br />
Berlin in den Bereichen Hochschulen, Wissenschaft, Kultur, Sport<br />
und Erholung sowie dem Wohnungswesen erheblich höhere Ausgaben<br />
zu verzeichnen hat als beispielsweise Hamburg. Daneben<br />
könnte Berlin auch die Einnahmeseite deutlich verbessern, zum<br />
Beispiel durch die Veräußerung des landeseigenen Wohnungsbestands.<br />
Schon hierdurch könnten zusätzliche Einnahmen in Höhe<br />
von rund fünf Milliarden Euro erzielt werden.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BVerfG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
Strafrecht und OWi<br />
Arbeitgeber können sich bei Vorlage einer<br />
E 101-Bescheinigung nicht wegen des<br />
Nichtabführens von Sozialversicherungsbeiträgen<br />
strafbar machen<br />
BGH 24.10.2006, 1 StR 44/06<br />
Arbeitgeber machen sich nicht wegen des Nichtabführens von<br />
Sozialversicherungsbeiträgen strafbar, wenn sie eine so genannte<br />
E 101-Bescheinigung vorweisen können. Hiernach unterfallen<br />
Beschäftigte den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen<br />
des Herkunftsstaats, wenn der Sozialversicherungsträger dieses<br />
Herkunftsstaats die Entsendung bestätigt. Die E 101-Bescheinigung<br />
entfaltet eine absolute Bindungswirkung, so dass deutsches<br />
Sozialversicherungsrecht unanwendbar ist. Dies gilt selbst dann,<br />
wenn die Bescheinigung durch Manipulation oder Täuschung<br />
erschlichen wurde.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Angeklagten hatten in Deutschland ein Bauunternehmen<br />
betrieben und hierfür portugiesische Arbeitnehmer beschäftigt.<br />
Diese wurden allerdings zum Schein bei portugiesischen Bauunternehmen<br />
angestellt, die ebenfalls pro forma in die Bauaufträge<br />
des Unternehmens der Angeklagten eintraten. Durch diese<br />
angeblichen Arbeitsverhältnisse erweckten die Angeklagten den<br />
Anschein einer Entsendung und führten keine Sozialversicherungsbeiträge<br />
an den deutschen Sozialversicherungsträger ab.<br />
Die Angeklagten waren allerdings im Besitz einer so genannten<br />
E 101-Bescheinigung. Hiernach unterfallen Beschäftigte den<br />
sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen des Herkunftsstaats,<br />
wenn der Sozialversicherungsträger dieses Herkunftsstaats<br />
die Entsendung bestätigt. Eine solche Bestätigung hatte<br />
der betreffende portugiesische Sozialversicherungsträger für die<br />
Beschäftigten der Angeklagten ausgestellt.<br />
Das LG verurteilte die Angeklagten wegen Nichtabführens von<br />
Sozialversicherungsbeiträgen in elf Fällen zu einer Freiheitsstrafe.<br />
Auf die Revision der Angeklagten hob der BGH das Urteil<br />
des LG auf und sprach die Angeklagten frei.<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 13
Die Gründe:<br />
Die Angeklagten haben sich nicht wegen des Nichtabführens<br />
von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a StGB strafbar<br />
gemacht. Eine Verurteilung der Angeklagten ist ausgeschlossen,<br />
weil sie die so genannte E 101-Bescheinigung vorlegen konnten.<br />
Diese Bescheinigung hat zur Folge, dass die deutschen Sozialversicherungsvorschriften<br />
nicht zur Anwendung kommen.<br />
Die verbindliche Wirkung der Bescheinigung folgt nach der<br />
Rechtsprechung des EuGH aus dem Zweck der Verordnungen<br />
Nr. 1408/71 und 574/72, die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die<br />
Dienstleistungsfreiheit zu fördern und jeden Arbeitnehmer nur<br />
an ein einziges System der sozialen Sicherheit anzuschließen.<br />
Die Bindungswirkung einer E 101-Bescheinigung entfällt damit<br />
auch nicht in Fällen, in denen die Bescheinigung durch Manipulation<br />
oder Täuschung erschlichen wurde.<br />
Die Durchsuchung einer <strong>Anwalt</strong>skanzlei<br />
wegen Parkverstößen ist unverhältnismäßig<br />
BVerfG 7.9.2006, 2 BvR 1141/05<br />
Die Durchsuchung einer <strong>Anwalt</strong>skanzlei wegen wiederholter<br />
Parkverstöße des <strong>Anwalt</strong>s ist unverhältnismäßig und willkürlich.<br />
Es ist evident sachfremd, die Kanzleiräume eines Rechtsanwalts<br />
wegen einiger Verkehrsordnungswidrigkeiten, für die Geldbußen<br />
(hier: in Höhe von je 15 Euro) festgesetzt wurden, zu durchsuchen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt. Er hatte seinen Wagen<br />
wiederholt vor dem Justizgebäude in A. auf einem Sonderfahrstreifen<br />
geparkt und dafür einige Bußgeldbescheide in Höhe<br />
von je 15 Euro kassiert. Hiergegen erhob der Beschwerdeführer<br />
jeweils Einspruch und behauptete, dass er den Sonderfahrstreifen<br />
nur zum Be- und Entladen seiner Aktenpakete genutzt habe.<br />
Um aufzuklären, ob der Beschwerdeführer bei den letzten beiden<br />
Parkverstößen gerichtliche Termine wahrgenommen hat,<br />
erließ das Amtsgericht einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss<br />
für die Kanzleiräume des Beschwerdeführers.<br />
Auf dessen Grundlage beschlagnahmte die Polizei das Deckblatt<br />
des anwaltlichen Terminkalenders des betreffenden Jahres sowie<br />
die Kalendereinträge für die bezeichneten Tage. Die gegen den<br />
Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde<br />
hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Durchsuchung der Kanzleiräume verletzt den Beschwerdeführer<br />
in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs.1 und Abs.2 GG<br />
(Unverletzlichkeit der Wohnung). Es ist evident sachfremd, die<br />
Kanzleiräume eines Rechtsanwalts wegen einiger Verkehrsordnungswidrigkeiten,<br />
für die Geldbußen von je 15 Euro festgesetzt<br />
wurden, zu durchsuchen. Dies stellt sich als willkürlich und<br />
unverhältnismäßig dar.<br />
Außerdem berührt dieses Vorgehen die Grundrechte der Mandanten<br />
des Beschwerdeführers. Denn es besteht die Gefahr, dass<br />
ihre Daten zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen. Der<br />
Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen <strong>Anwalt</strong> und Mandant<br />
liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen<br />
und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine<br />
besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der<br />
Maßnahme.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des BVerfG veröffentlicht.<br />
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Steuerrecht<br />
Spenden an den eigenen Verein sind nicht<br />
immer steuerlich absetzbar<br />
BFH 2.8.2006, XI R 6 /03<br />
Vereinsmitglieder (hier: ein Golfclub), die ihrem Verein einen<br />
Geldbetrag zuwenden, damit dieser in vereinseigene Projekte<br />
investieren kann, können die Zahlungen nicht als Spende gemäß<br />
§ 10b EStG steuermindernd geltend machen. Einer solchen Zahlung<br />
fehlt die Spendenmotivation, weil damit die Finanzierung<br />
eines der eigenen privaten Lebensgestaltung dienenden Vereins<br />
gewährleistet werden soll.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger war im Streitjahr 1991 in einen Golfclub eingetreten.<br />
Er zahlte einen Aufnahmebeitrag von 1.500 DM und einen Jahresbeitrag<br />
von ebenfalls 1.500 DM. Außerdem wandte er dem<br />
Club einen Betrag von 15.000 DM zu, für den er eine Spendenquittung<br />
erhielt. Diese Zuwendung wird von jedem Neuzugang<br />
erwartet und zur Finanzierung von Projekten verwendet, für die<br />
die Mitgliedsbeiträge nicht ausreichen.<br />
Das Finanzamt vertrat die Auffassung, dass die Zuwendung nicht<br />
gemäß § 10b EStG als Spende absetzbar sei. Die gegen den entsprechenden<br />
Bescheid gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger kann die Spende an den Golfclub nicht gemäß § 10b<br />
EStG steuermindernd geltend machen. Zwar kann auch ein Mitglied<br />
seinem Verein eine Spende zuwenden. Deren steuerliche<br />
Anerkennung setzt aber voraus, dass sie freiwillig und unentgeltlich<br />
geleistet wird. Ein Steuerabzug ist daher bereits dann ausgeschlossen,<br />
wenn die Zuwendung unmittelbar mit einem gewährten<br />
Vorteil zusammenhängt.<br />
Im Streitfall ist die vom Kläger geleistete Zahlung nicht als<br />
Spende im Sinn von § 10b Abs.1 EStG einzustufen. Denn der<br />
Kläger hat die Zahlung geleistet, weil sie anlässlich seiner Aufnahme<br />
in den Club von ihm erwartet wurde. Die so eingenommenen<br />
Gelder wurden vom Club zur Finanzierung von clubeigenen<br />
Projekte verwendet. Damit fehlte der Zahlung des Klägers<br />
die Spendenmotivation im Sinn einer selbstlosen Förderung der<br />
maßgeblichen steuerbegünstigten Zwecke. Denn diese „Spende“<br />
diente letztlich nur dem Zweck, die zwangsläufig anfallende<br />
Finanzierung eines auch der eigenen privaten Lebensgestaltung<br />
dienenden Vereins sicherzustellen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Das Urteil ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.<br />
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27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 14
BFH hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit<br />
der Steuerfreiheit der Abgeordnetenpauschale<br />
– BMF soll Stellung nehmen<br />
BFH 21.9.2006, VI R 81/04<br />
Der VI. Senat des BFH hat verfassungsrechtliche Bedenken<br />
gegen die Steuerfreiheit der Kostenpauschale für Bundestagsabgeordnete<br />
und deshalb das Bundesfinanzministerium (BMF) zum<br />
Verfahrensbeitritt aufgefordert. Das BMF soll zu einer Reihe von<br />
Fragen Stellung nehmen, insbesondere dazu, ob und gegebenenfalls<br />
auf Grund welcher Erfahrungswerte der Gesetzgeber von<br />
einem jährlichen Erwerbsaufwand eines Abgeordneten in Höhe der<br />
steuerfreien Kostenpauschale von derzeit 43.764 Euro ausgehe.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger des Ausgangsverfahrens machen geltend, dass sie als<br />
„normale“ Steuerzahler gegenüber Abgeordneten bei der Besteuerung<br />
ihrer Einkommen benachteiligt würden. Es bestünden gewichtige<br />
verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Steuerfreiheit der<br />
Abgeordnetenpauschale gemäß §§ 3 Nr.12 EStG, 12 AbgG.<br />
Der VI. Senat des BFH teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken<br />
und hat deshalb das BMF gemäß § 122 Abs.2 S.3 FGO zum<br />
Verfahrensbeitritt aufgefordert. Er stützt sich dabei vor allem<br />
auf eine Entscheidung des BVerfG vom 11.11.1998 (Az.: 2 BvL<br />
10/95). Danach sei eine steuerfreie Aufwandspauschale lediglich<br />
dann mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs.1 GG vereinbar,<br />
wenn gewährleistet sei, dass die Steuerfreiheit nur Bezüge zum<br />
Ausgleich von einkommensteuerlich absetzbarem, wirklich entstandenem<br />
und auch sachlich angemessenem Erwerbsaufwand<br />
erfasse. Dies sei bei der steuerfreien Kostenpauschale für Abgeordnete<br />
fraglich.<br />
Der BFH hat das BMF gebeten, im Hinblick auf diese verfassungsrechtlichen<br />
Vorgaben zu einer Reihe von Fragen Stellung<br />
zu nehmen.<br />
Die wichtigsten Fragen an das BMF im Überblick:<br />
- 1. Ob und gegebenenfalls auf Grund welcher Erfahrungswerte<br />
geht der Gesetzgeber von einem jährlichen Erwerbsaufwand<br />
eines Abgeordneten in Höhe der steuerfreien Kostenpauschale<br />
von derzeit 43.764 Euro aus?<br />
- 2. Das AbgG sieht auf Nachweis weitere Kostenerstattungen<br />
vor, zum Beispiel Flug- und Fahrtkostenerstattungen. Welche<br />
Arten von Kosten sollen durch die steuerfreie Kostenpauschale<br />
abgedeckt werden?<br />
- 3. Aus welchem Grund wird die steuerfreie Kostenpauschale<br />
für Abgeordnete im Gegensatz zu anderen Kostenpauschalen<br />
den allgemeinen Lebenshaltungskosten angepasst, während<br />
zum Beispiel die Grundpauschale für Arbeitnehmer sogar von<br />
ehemals 1.044 Euro auf 920 Euro abgesenkt wurde?<br />
- 4. Warum werden mit der Kostenpauschale auch Kosten für<br />
Repräsentation und Einladungen abgegolten, obwohl solche<br />
Aufwendungen für andere Steuerpflichtige nur beschränkt<br />
abziehbar sind?<br />
- 5. Aus welchem Grund ist eine Privilegierung von Abgeordneten<br />
bei der einkommensteuerlichen Behandlung des Verpflegungsmehraufwands<br />
im Rahmen doppelter Haushaltsführung<br />
und Auswärtstätigkeit gerechtfertigt?<br />
- 6. Warum sind bei Abgeordneten private Vorteile aus ihrem<br />
Recht zur kostenlosen Nutzung aller Verkehrsmittel der Deutschen<br />
Bahn steuerfrei, während Steuerpflichtige, die nicht<br />
Abgeordnete sind, solche Vorteile versteuern müssen?<br />
- 7. Aus welchem Grund wird die Pauschale auch in Fällen der<br />
Beurlaubung oder Arbeitsunfähigkeit in ungekürzter Höhe<br />
gewährt, obgleich bei diesen Gelegenheiten typischerweise<br />
kein Erwerbsaufwand anfällt?<br />
- 8. Muss es Steuerpflichtigen möglich sein, einen gleichheitswidrigen<br />
Begünstigungsausschluss überprüfen zu lassen und<br />
kann dabei von Bedeutung sein, dass die gleichheitswidrig<br />
begünstigte Gruppe als Gesetzgeber diese Begünstigung selbst<br />
für sich geschaffen hat?<br />
Linkhinweise:<br />
- Für den auf den Webseiten des BFH veröffentlichten Volltext<br />
dieses Beschlusses klicken Sie bitte hier.<br />
- Die auf den Webseiten des BVerfG veröffentlichte Entscheidung<br />
des BVerfG vom 11.11.1998 (Az.: 2 BvL 10/95) finden<br />
Sie hier.<br />
Besteuerung von Arbeitgeber-Rabatten:<br />
Arbeitnehmer können zwischen zwei<br />
Bewertungsmethoden wählen<br />
BFH 5.9.2006, VI R 41/02<br />
Bei der verbilligten Überlassung eigener Produkte des Arbeitgebers<br />
(hier: Jahreswagen) können die Arbeitnehmer zwischen<br />
zwei Bewertungsmethoden wählen. Der geldwerte Vorteil richtet<br />
sich entweder gemäß § 8 Abs.2 EStG nach dem günstigsten<br />
Preis am Markt oder gemäß § 8 Abs.3 EStG nach dem nicht um<br />
marktübliche Nachlässe gekürzten Angebotspreis, von dem ein<br />
Bewertungsabschlag in Höhe von vier Prozent und ein Rabattfreibetrag<br />
von bis zu 1.080 Euro abzuziehen ist.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger war im Streitjahr 1996 bei einem Automobilhersteller<br />
beschäftigt. Er erwarb von seinem Arbeitgeber einen fabrikneuen<br />
PKW, dessen Listenpreis 45.853 DM betrug, zum Preis<br />
von 34.707 DM.<br />
Der Arbeitgeber ging von einem durchschnittlichen Händlerrabatt<br />
von 9,54 Prozent auf den Listenpreis des PKW aus und nahm an,<br />
Endpreis im Sinn von § 8 Abs.3 S.1 EStG sei der um die Hälfte<br />
eines durchschnittlichen Händlerrabatts, also um 4,77 Prozent<br />
geminderte Listenpreis. Diesen Betrag kürzte er um einen Bewertungsabschlag<br />
von vier Prozent und gemäß § 8 Abs.3 S.2 EStG<br />
um einen noch verbliebenen anteiligen Rabattfreibetrag. Den nach<br />
dieser Berechnung ermittelten geldwerten Vorteil in Höhe von<br />
5.049 DM unterwarf der Arbeitgeber dem Lohnsteuerabzug.<br />
Das Finanzamt folgte dieser Berechnung und setzte bei der Einkommensteuerveranlagung<br />
des Klägers entsprechend Arbeitslohn<br />
an. Mit seiner hiergegen gerichteten Klage rügte der Kläger<br />
die Halbierung des durchschnittlichen Händlerrabatts auf 4,77<br />
Prozent. Ausgangspunkte der Berechnung müsse vielmehr der<br />
um 9,54 Prozent gekürzte Listenpreis sein, von dem dann der<br />
Bewertungsabschlag von vier Prozent und der Rabattfreibetrag<br />
abzuziehen seien.<br />
Das FG gab der Klage statt. Auf die Revision des Finanzamts<br />
hob der BFH diese Entscheidung auf und wies die Sache zur<br />
erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Das FG hat den in der verbilligten Überlassung des Jahreswagens<br />
an den Kläger liegenden geldwerten Vorteil nicht zutreffend<br />
27/2006 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 15
ermittelt. Denn der Kläger kann nicht gleichzeitig die Berücksichtigung<br />
des vollen marktüblichen Händlerrabatts und den<br />
Abzug des Bewertungsabschlags und die Berücksichtigung des<br />
Rabattfreibetrags verlangen, sondern muss zwischen den beiden<br />
gesetzlich vorgesehenen Bewertungsmethoden wählen.<br />
Während sich die Besteuerung von Einnahmen, die nicht in Geld<br />
bestehen, nach § 8 Abs.2 EStG nach dem günstigsten Preis am<br />
Markt und damit nach dem um übliche Preisnachlässe geminderten<br />
Endpreis richtet, enthält § 8 Abs.3 EStG eine Sonderregelung<br />
für die verbilligte Überlassung eigener Produkte des Arbeitgebers<br />
an den Arbeitnehmer. Berechnungsgrundlage ist danach der<br />
Preis, zu dem die betreffende Ware im allgemeinen Geschäftsverkehr<br />
– ohne Preisnachlässe - angeboten wird. Von diesem<br />
Betrag sind ein Bewertungsabschlag in Höhe von vier Prozent<br />
des Angebotspreises und ein Rabattfreibetrag von bis zu 1.080<br />
Euro abzuziehen.<br />
Die mit dem Bewertungsabschlag und Rabattfreibetrag gemäß<br />
§ 8 Abs.3 EStG beabsichtigte Begünstigung kann verfehlt werden,<br />
wenn der Angebotspreis und der günstigste Preis am Markt<br />
stark voneinander abweichen. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer<br />
die Wahl, die Höhe des geldwerten Vorteils entweder nach<br />
der Regelung des § 8 Abs.2 EStG oder der des § 8 Abs.3 EStG<br />
bewerten zu lassen.<br />
Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war<br />
die Sache zurückzuverweisen. Es fehlen Feststellungen dazu,<br />
ob der geldwerte Vorteil unter Berücksichtigung des üblichen<br />
Händlerrabatts in Höhe von 9,54 Prozent (§ 8 Abs.2 EStG) oder<br />
unter Abzug des Bewertungsabschlags und Rabattfreibetrags (§<br />
8 Abs.3 EStG) zu ermitteln ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass<br />
im ersten Fall auf den Marktpreis am Ort der Verschaffung des<br />
Produkts abzustellen ist, im zweiten Fall aber die Verhältnisse<br />
des Abgabeorts maßgebend sind, an welchem der Arbeitgeber<br />
oder der nächstansässige Abnehmer die betreffenden Produkte<br />
allgemein anbietet.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
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