Terminkalender 2012 Spiegelbilder der Seele – Terminkalender 2012
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Musik zum<br />
Sterben<br />
Von Dieter Wienand<br />
Wenn Musik einen direkten Zugang zur <strong>Seele</strong> hat,<br />
wenn <strong>der</strong> Hör-Sinn <strong>der</strong> erste ist, <strong>der</strong> mir im Mutterleib<br />
geschenkt wird und <strong>der</strong> letzte ist, <strong>der</strong> mich verlässt - auch<br />
lange nachdem ich den letzten Odem ausgehaucht habe?<br />
Wenn mir einzelne Musikstücke, seien es Opernarien,<br />
Instrumentalsoli, Balladen, Kin<strong>der</strong>lie<strong>der</strong>, das Lieblingslied<br />
meines Lebens o<strong>der</strong> die Erinnerung an die singende<br />
Stimme meiner Mutter so unter die Haut gehen, dass sie<br />
mein Herz öffnen können? Wenn mein eigenes Singen,<br />
das meines Chores, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gesang meiner Liebsten<br />
mir die Ängste vertreiben und Zutrauen schenken können?<br />
Warum kümmere ich mich dann nicht jetzt darum,<br />
dass sie mich auch in leid-vollen und schweren Zeiten<br />
begleiten und Trost sein können?<br />
Seit etlicher Zeit nun sammele ich - inspiriert von<br />
Joachim Ernst Berendt - mit meinem Aufnahmegerät<br />
Musik, Klänge, Gespräche, Geräusche und Sounds mit<br />
einem beson<strong>der</strong>em Ziel: für meine ganz persönliche<br />
„Musik zu meinem Sterben“.<br />
Wie möchte ich meinen letzten Übergang gestalten,<br />
wenn mir denn die Gelegenheit dazu bleibt? Möchte<br />
ich Menschen um mich haben, die singen und tönen,<br />
o<strong>der</strong> möchte ich nur Stille und Sein für mich? Von wem<br />
möchte ich mich verabschieden, möchte ich versuchen,<br />
zu vergeben und Vergebung geschenkt zu bekommen?<br />
Werde ich mich grämen, kann ich loslassen, werde ich<br />
mich reuen, kann ich mich aussöhnen? Natürlich werde<br />
ich das alles erst in genau diesem Moment wissen,<br />
aber die gedankliche und existenzielle Vorbereitung<br />
auf meinen Sterbeprozess hin führt mich unmittelbar<br />
in die wertvolle Begrenztheit meiner Gegenwart, in<br />
eine heilsame Präsenz und in eine sehr aufmerksame<br />
Achtsamkeit mir und dem Leben gegenüber.<br />
Natürlich kann ich <strong>der</strong> Einstellung sein: Es wird sich<br />
dann schon alles ergeben, was soll ich mich heute darum<br />
sorgen? „Bislang sind noch alle gestorben!“- heißt es<br />
dann. Ich frage zurück: „Und wie?“ O<strong>der</strong>: „Was soll ich<br />
mein Leben jetzt mit Gedanken an so etwas Schweres<br />
wie den Tod belasten? Lasst uns nicht den Tod herbeireden!“<br />
Geburt wie Tod werden heutzutage vielerorts und<br />
immer mehr ins Abseits <strong>der</strong> Krankenhäuser verlagert,<br />
über das Sterben zu sprechen ziemt sich nicht, Hilflosigkeit<br />
und Ohnmacht bei Angehörigen sind die Folge.<br />
Wenn es an <strong>der</strong> Zeit ist zu sterben, haben viele,<br />
auch Todkranke und zum Tode Verurteilte, das Gefühl,<br />
In vielen spirituellen Traditionen gilt es als weise, sich<br />
sein Leben lang auf den Tod vorzubereiten.<br />
überhaupt nicht auf den Tod vorbereitet zu sein. Viele<br />
quält ein Gefühl des Versagens, die „wahre Arbeit“ auf<br />
ein „Später“ aufgeschoben zu haben.Und dann finde<br />
ich mich in einer Situation wie<strong>der</strong>, Herzenswünsche<br />
liegengelassen, den eigenen Weg wohl geahnt zu haben,<br />
aber ihm nicht gefolgt zu sein. Oft findet sich auch ein<br />
Bedauern, das spirituelle Wachstum vernachlässigt zu<br />
haben und eine Bestürzung darüber, wie wenig echte<br />
Freude ins Leben hineingelassen wurde. Dabei kann die<br />
Vorbereitung auf den Tod einer <strong>der</strong> tiefsten Heilungsakte<br />
sein, die im Leben möglich sind.<br />
Ich referiere in diesen Gedanken das für mich bahnbrechende<br />
Buch des amerikanischen buddhistischen<br />
Lehrers Stephen Levine: „Noch ein Jahr zu leben.“ Er<br />
geht persönlich das Experiment ein, zu Silvester eines<br />
beliebigen Jahres wirklich ernst zu machen und sich<br />
zu sagen: „Ab heute habe ich nur noch ein Jahr“, und<br />
dabei achtsam und bewusst wahrzunehmen, was mit<br />
ihm geschieht. Natürlich ist die Versuchsanordnung<br />
eine gestellte, natürlich bin ich in einer an<strong>der</strong>en Lage<br />
als jede/r, <strong>der</strong>/dem von ärztlicher Seite eine ultimative<br />
Diagnose gestellt wird, aber, wenn ich zu mir wirklich<br />
ehrlich bin: wie lebe ich denn die Alternative? Ich weiß<br />
gewiss, dass ich sterben werde, ich weiß zwar nicht,<br />
wann, aber lebe ich heute so, dass morgen mein letzter<br />
Tag sein kann?<br />
Wenn ich nicht jetzt anfange, von mir aus heftig an<br />
den eingefahrenen Grundfesten meiner schein-sicheren<br />
Gewohnheiten zu rütteln, werde ich womöglich<br />
bedauernd spät erst feststellen, mein Leben nur halb<br />
gelebt zu haben.<br />
In vielen spirituellen Traditionen gilt es als weise, sich<br />
sein Leben lang auf den Tod vorzubereiten.<br />
KGSBerlin 11/2011<br />
Foto: © Alaska-Tom - Fotolia.com