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Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins - Deutscher ...

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Berlin, April 2011<br />

<strong>Stellungnahme</strong> Nr. 18/2011<br />

abrufbar unter www.anwaltverein.de<br />

<strong>Stellungnahme</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Anwaltvereins</strong><br />

durch den Verfassungsrechtsausschuss<br />

zur Verfassungsbeschwerde <strong>des</strong> Rechtsanwalts S.<br />

1 BvR 3171/10<br />

Verfassungsrechtsausschuss:<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Mayen, Bonn (Vorsitzender)<br />

Rechtsanwältin und Notarin Mechtild Düsing, Münster<br />

Rechtsanwalt Roland Gerold, München<br />

Rechtsanwalt Dr. Rainard Menke, Stuttgart<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Frank Rottmann, Leipzig<br />

Rechtsanwältin Dr. Birgit Spießhofer, Berlin<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schröer, Frankfurt am Main<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Christian Winterhoff, Hamburg<br />

Rechtsanwältin Dr. Antje Wittmann, Münster (Berichterstatterin)<br />

zuständiger DAV-Geschäftsführer:<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin


Verteiler:<br />

• Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

• An die Mitglieder <strong>des</strong> Rechtsausschusses <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Bun<strong>des</strong>tages<br />

• Bun<strong>des</strong>ministerium der Justiz<br />

• An die Justizministerien und Justizverwaltungen der Bun<strong>des</strong>länder der<br />

Bun<strong>des</strong>republik Deutschland<br />

• Bun<strong>des</strong>rechtsanwaltskammer<br />

• An die Mitglieder <strong>des</strong> Vorstan<strong>des</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Anwaltvereins</strong> e.V.<br />

• An die Vorsitzenden der Lan<strong>des</strong>verbände <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Anwaltvereins</strong> e.V.<br />

• An die Vorsitzenden der Gesetzgebungsausschüsse <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong><br />

<strong>Anwaltvereins</strong> e.V.<br />

• Forum Junge Anwaltschaft<br />

• Redaktion NJW<br />

2


3<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechts-<br />

anwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca. 68.000 Mitgliedern vertritt die Interessen<br />

der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene.<br />

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Vergütung von Pflichtverteidigern nach dem RVG und<br />

bezieht sich damit auf eine Thematik, mit der sich das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht bereits mehrfach<br />

befasst hat. Zu Fragen der Zumutbarkeit der Vergütungshöhe und zum Anspruch auf Zahlung<br />

einer über den Regelgebühren liegenden Pauschgebühr liegen zahlreiche Entscheidungen<br />

<strong>des</strong> Gerichts vor; der zweite Senat hat sich aber auch bereits mit der im vorliegenden Verfahren<br />

aufgeworfenen Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen der Pflichtverteidiger<br />

einen Vorschuss auf die zu erwartende Pauschgebühr fordern kann.<br />

A. Sachverhalt<br />

I. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt und seit 1997 selbständig als Einzelanwalt tätig.<br />

Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Die Ehefrau <strong>des</strong> Beschwerdeführers, die eine kaufmännische<br />

Ausbildung absolviert hat, ist in der Kanzlei <strong>des</strong> Beschwerdeführers als Hilfskraft<br />

beschäftigt.<br />

II. Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss<br />

<strong>des</strong> OLG Dresden vom 28.10.2010, mit dem das Gericht seinen Antrag auf Zahlung<br />

eines Vorschusses auf eine zu erwartende Pauschvergütung gemäß § 51 Abs. 1 Satz<br />

5 RVG zurückgewiesen hat.<br />

Diesem Verfahren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:<br />

Der Beschwerdeführer beantragte am 30.04.2010 seine Beiordnung zu einem Strafverfahren,<br />

in dem die Anklageschrift dem Angeklagten am 16.04.2010 zugestellt worden war<br />

(Az. AG Dresden: 231 Ls 112 Js 16664/07). Mit Beschluss vom 11.05.2010 wurde der<br />

Beschwerdeführer dem Angeklagten als Pflichtverteidiger beigeordnet. Am 27.05.2010<br />

nahm der Beschwerdeführer Akteneinsicht in die Ermittlungsakte, die aus 65 Leitzordnern<br />

bestand und in acht Umzugskartons transportiert wurde. Aus der Ermittlungsakte fertigte


4<br />

er 25.142 Kopien. Die Anklageschrift umfasst 28 Seiten; das Verfahren richtet sich gegen<br />

drei Mitangeklagte. Der Beschwerdeführer führte neben dem Aktenstudium auch Besprechungen<br />

mit seinem Mandanten durch.<br />

Mit Schreiben vom 30.08.2010 beantragte der Beschwerdeführer die Bewilligung eines<br />

Vorschusses auf die zu erwartende Pauschvergütung für das erstinstanzliche Verfahren in<br />

Höhe von 16.000,00 € netto gemäß § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG. Zur Begründung führte er<br />

aus, die Pflichtverteidigergebühren reichten in dem Verfahren nicht aus, um seine Tätigkeit<br />

ausreichend zu vergüten. Die Grundgebühr betrage gemäß Nr. 4100 VV RVG 132,00 €<br />

und die Verfahrensgebühr gemäß Nr. 4112 VV RVG 124,00 €. Im Rahmen der Akteneinsicht<br />

seien aus der Ermittlungsakte 25.142 Seiten abgelichtet worden. Da die Kostenbeamten<br />

erfahrungsgemäß die Auffassung verträten, dass nicht alle Seiten der Ermittlungsakte<br />

für die Verteidigung relevant sind, werde ein pauschaler Abzug von 500 Seiten vorgenommen,<br />

so dass von einem Aktenbestand von 24.642 Seiten auszugehen sei. Bereits<br />

aus diesem Aktenumfang ergebe sich, dass es sich um ein umfangreiches Verfahren im<br />

Sinne <strong>des</strong> Gesetzes handele. Bei einer durchschnittlichen Lesegeschwindigkeit von einer<br />

Seite pro Minute und einem Aktenumfang von 24.642 Seiten sei von einer Bearbeitungszeit<br />

von 410 Stunden auszugehen, die der Beschwerdeführer im Zeitraum seit der gewährten<br />

Akteneinsicht bewältigt habe. Hinzu kämen die Arbeiten zur Durchsicht der Anklageschrift<br />

und persönliche Besprechungen mit dem Angeklagten. Das Verfahren sei angesichts<br />

der sich aus der Anklageschrift ergebenden Vorwürfe und unter Berücksichtigung<br />

der Tatsache, dass drei Mitangeklagte nebst Verteidigern beteiligt sind, die eine unterschiedliche<br />

Verteidigungsstrategie verfolgten, auch als besonders schwierig zu bezeichnen.<br />

Der Gesetzgeber habe unter Nr. 4108 VV RVG für den Pflichtverteidiger ein Nettohonorar<br />

in Höhe von 184,00 € vorgesehen. Unter Berücksichtigung der Nr. 4110 VV RVG ergebe<br />

sich, dass dieses Honorar dem Pflichtverteidiger für eine Tätigkeit von bis zu 5 Stunden<br />

zugemutet werde. Bei einer Tätigkeit von fünf Stunden ergebe sich somit ein Stundensatz<br />

in Höhe von 36,80 € netto. Unter Berücksichtigung <strong>des</strong> Zuschlags unter Nr. 4110 VV RVG<br />

ergebe sich bei einer bis zu sechs Stunden andauernden Hauptverhandlung ein Stundensatz<br />

von 46,00 € netto, der bei einer bis zu achtstündigen Hauptverhandlung auf 34,50 €<br />

netto sinke. Der Durchschnittswert <strong>des</strong> Stundensatzes betrage 40,25 €. Da der Gesetzgeber<br />

insoweit selbst die Auffassung vertrete, dass die Verteidigung unterhalb eines derar-


5<br />

tigen Stundensatzes dem beigeordneten Verteidiger nicht zugemutet werden könne, werde<br />

zur Begründung der Pauschvergütung auf einen Stundensatz in Höhe von 40,00 € netto<br />

abgestellt.<br />

Der Beschwerdeführer versicherte anwaltlich, dass er unter Berücksichtigung seiner betriebswirtschaftlichen<br />

Auswertungen für die Jahre 2006 bis 2009 und der erwirtschafteten<br />

Honorarumsätze und ausgehend von einer Tätigkeit von 50 Stunden pro Woche und 48<br />

Wochen pro Jahr einen Stundensatz erziele, der oberhalb dieses Wertes liegt (61,00 € pro<br />

Stunde). Der Zeitaufwand für das Aktenstudium sei nur durch Mehrarbeit bis in die Nachtstunden<br />

und an den Wochenenden zu bewerkstelligen gewesen. Allein unter Berücksichtigung<br />

der Lese- und Bearbeitungszeit <strong>des</strong> Aktenbestan<strong>des</strong> (410 Stunden) ergebe sich ein<br />

anzusetzen<strong>des</strong> Honorar in Höhe von 16.400,00 € netto. Im Rahmen <strong>des</strong> Vorschusses sei<br />

ein Abschlag zulässig, so dass unter nochmaliger Abwägung sämtlicher Umstände eine<br />

Pauschvergütung in Höhe von 16.000,00 € angemessen sei.<br />

Nachdem die Bezirksrevisorin beim Oberlan<strong>des</strong>gericht zu dem Antrag Stellung genommen<br />

und allenfalls einen Vorschuss in Höhe von 396,00 € anerkannt hatte, wies der Beschwerdeführer<br />

in einem weiteren Schriftsatz darauf hin, dass diese Vergütung bei Berücksichtigung<br />

<strong>des</strong> dargelegten Arbeitsumfangs (min<strong>des</strong>tens 410 Stunden) einen Stundensatz<br />

von 0,96 € ergebe. Der Festsetzung einer Pauschvergütung stehe im Übrigen<br />

nicht entgegen, dass die Pflichtverteidigergebühren noch nicht festgesetzt seien. Die<br />

Pauschvergütung werde nicht zusätzlich zu den Pflichtverteidigergebühren, sondern an<br />

deren Stelle bewilligt.<br />

Mit Beschluss vom 28.10.2010, gegen den sich die Verfassungsbeschwerde richtet, wies<br />

das OLG Dresden den Antrag <strong>des</strong> Beschwerdeführers als unbegründet zurück. Zur Begründung<br />

führte das Gericht aus, der Aktenumfang sei zwar mit weit über 24.000 Blatt als<br />

außerordentlich umfangreich zu bewerten, jedoch sei eine besondere Schwierigkeit der<br />

Sache nicht ausreichend vorgetragen. Zwar sei eine Pauschgebühr grundsätzlich bereits<br />

wegen <strong>des</strong> besonderen Umfangs <strong>des</strong> Verfahrens möglich. Bisher sei aber außer der Zustellung<br />

der Anklage und der Beiordnung <strong>des</strong> Verteidigers „nichts<br />

verfahrensfördern<strong>des</strong>“ geschehen. Insbesondere seien Hauptverhandlungstermine nicht<br />

bestimmt. Es gebe keinerlei Hinweise darauf, wie viele Hauptverhandlungstermine zur<br />

Urteilsfindung notwendig sein werden. Insoweit gehe der Antrag, soweit er mit Gebühren


6<br />

dig sein werden. Insoweit gehe der Antrag, soweit er mit Gebühren nach Nr. 4108 VV<br />

RVG argumentiere, fehl. Der Umfang einer etwaigen Pauschvergütung für die erste Instanz<br />

lasse sich „zur Zeit“ nicht abschätzen. Das Gericht verkenne nicht, dass die Grundgebühr<br />

nach Nr. 4100 VV RVG – welche zweifelsohne dem Grunde nach entstanden sei –<br />

den Aufwand <strong>des</strong> Verteidigers honorieren soll, der einmalig mit der Übernahme <strong>des</strong> Mandats<br />

entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen<br />

Informationen. Nachdem das Verfahren jedoch bisher nicht weiter habe gefördert<br />

werden können, habe der Beschwerdeführer, der nach eigenem Vortrag regelmäßig<br />

50 Stunden pro Woche arbeite, ausreichend Zeit, auch andere Mandate zu übernehmen<br />

und zu führen. Daher sei es ihm zumutbar, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten.<br />

Mit weiterem Verfahrensfortgang sei zudem der tatsächliche Aufwand <strong>des</strong><br />

Pflichtverteidigers, welcher die gesetzlich entstandenen Gebühren bisher nicht in Rechnung<br />

gestellt habe, besser zu überblicken.<br />

III. Der Beschwerdeführer meint, der Beschluss <strong>des</strong> OLG Dresden vom 28.10.2010 verletze<br />

seine Grundrechte, insbesondere aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1,<br />

Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.<br />

Zur Begründung der Verfassungsbeschwerde verweist er auf bisherige Rechtsprechung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts, nach der die Heranziehung Privater zur Erfüllung öffentlicher<br />

Aufgaben im Rahmen der Pflichtverteidigung nur gegen Gewährung einer angemessenen<br />

Vergütung zulässig ist und Art. 12 Abs. 1 GG es für besonders umfangreiche<br />

oder besonders schwierige Verfahren gebietet, über eine Regelung wie § 51 RVG der Inanspruchnahme<br />

<strong>des</strong> Pflichtverteidigers Rechnung zu tragen und eine Vergütung zu gewähren,<br />

die ein angemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität<br />

sicherstellt.<br />

Zur Darlegung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung verweist der Beschwerdeführer<br />

in der Begründung auf den Rückgang seines Betriebsergebnisses im Jahr 2010 und<br />

widerspricht der Auffassung <strong>des</strong> OLG Dresden, die Leistungen im Rahmen der Pflichtverteidigung<br />

hätten neben der sonstigen beruflichen Tätigkeit erbracht werden können. Ihm<br />

habe nur etwas mehr als die Hälfte seiner wöchentlichen Arbeitszeit für die Aufrechterhaltung<br />

<strong>des</strong> Kanzleibetriebs zur Verfügung gestanden.


7<br />

Der Beschwerdeführer nimmt in der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht nur<br />

auf die Arbeitsbelastung Bezug, die mit dem Strafverfahren verbunden war, zu dem der<br />

angefochtene Beschluss <strong>des</strong> OLG Dresden ergangen ist. Er macht vielmehr geltend, dieses<br />

Verfahren habe ihn gemeinsam mit einem weiteren Verfahren derart in Anspruch genommen,<br />

dass es zu erheblichen finanzielle Einbußen in seinem Kanzleibetrieb gekommen<br />

sei. Der vom Beschwerdeführer im Einzelnen dargelegte Rückgang im Betriebsergebnis<br />

(im Zeitraum Januar bis August 2010 erwirtschaftete er lediglich 56 Prozent <strong>des</strong><br />

durchschnittlichen Betriebsgewinns <strong>des</strong> Vergleichszeitraum der vorangegangenen fünf<br />

Jahre) ist nach seiner Auffassung ausschließlich auf seine Inanspruchnahme als Pflichtverteidiger<br />

zurückzuführen. Die mit der Inanspruchnahme als Pflichtverteidiger verbundenen<br />

finanziellen Einbußen hätten ihn veranlasst, bei seiner Bank ein Liquiditätsdarlehen<br />

zur Vorfinanzierung der Pauschvergütung zu beantragen, das jedoch nicht gewährt wurde.<br />

In der Folgezeit habe er fällige Steuerzahlungen nicht leisten können, so dass das Finanzamt<br />

schließlich im Oktober 2010 Ansprüche aus der beantragten Pauschvergütung<br />

gegen den Freistaat Sachsen gepfändet habe. Im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde<br />

standen nach dem Vortrag <strong>des</strong> Beschwerdeführers Steuerschulden in<br />

Höhe von 9.890,73 € aus. Vor diesem Hintergrund macht er geltend, der ablehnende Beschluss<br />

<strong>des</strong> OLG Dresden führe in absehbarer Zeit zu einem existenzbedrohenden Zustand.<br />

Er müsse damit rechnen, dass die Rechtsanwaltskammer ihm wegen Vermögensverfalls<br />

die Zulassung entzieht.<br />

IV. Die weitere Pflichtverteidigung, auf die der Beschwerdeführer zur Begründung seiner<br />

Grundrechtsverletzung mit abstellt, betrifft ein Verfahren vor dem Landgericht Cottbus, in<br />

dem er die Verteidigung eines von acht Angeklagten auf der Grundlage eines Beiordnungsbeschlusses<br />

vom 08.04.2009 übernommen hatte (Az. 22 KLS 42/09). Nachdem er<br />

zunächst ein Haftprüfungsverfahren betrieben hatte, war ihm in diesem Verfahren mit<br />

Verfügung vom 07.12.2009 eine Anklageschrift mit einem Umfang von 124 Seiten zugestellt<br />

worden. Zu dem Verfahren hat der Beschwerdeführer am 22.06.2010 die Bewilligung<br />

einer Pauschvergütung in Höhe von 5.000,00 € für das vorbereitende Verfahren und einen<br />

Vorschuss auf die zu erwartende Pauschvergütung für das erstinstanzliche Verfahren in<br />

Höhe von 8.000,00 € beantragt. Über den Antrag ist bislang nicht entschieden. Zur Begründung<br />

verwies der Beschwerdeführer auch in diesem Verfahren auf den Umfang der<br />

Ermittlungsakte (7.732 Seiten im vorbereitenden Verfahren und 13.000 Seiten im erstinstanzlichen<br />

Verfahren) und den mit dem Lesen dieser Akte verbundenen Zeitaufwand (129<br />

bzw. 216 Stunden). Die Arbeit sei nur durch Mehrarbeit bis in die Nachtstunden sowie an


8<br />

den Wochenenden zu bewerkstelligen gewesen. Die besondere Schwierigkeit begründete<br />

der Beschwerdeführer in diesem Verfahren damit, dass er den Beschuldigen viermal in der<br />

JVA Cottbus aufsuchen und diverse Besprechungen mit ihm und der Ehefrau führen<br />

musste, zahlreiche Besprechungen mit den Verteidigern der Mitangeklagten erforderlich<br />

waren und er mit dem Angeklagten entweder selbst in russischer Sprache kommunizieren<br />

oder sich eines Dolmetschers bedienen musste. Auch in diesem Verfahren erachtete der<br />

Beschwerdeführer unter Verweis auf Nr. 4110 VV RVG einen Stundensatz von 40,00 €<br />

netto für angemessen und beantragte unter Zugrundelegung eines Zeitaufwands von 129<br />

bzw. 216 Stunden eine Pauschgebühr in Höhe von 5.000,00 € netto für das vorbereitende<br />

Verfahren und einen Vorschuss auf die Pauschgebühr in Höhe von 8.000 € netto für das<br />

erstinstanzliche Verfahren.<br />

B. Verfassungsrechtliche Würdigung<br />

Der Verfassungsrechtsausschuss <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Anwaltvereins</strong> hält die Verfassungsbeschwerde<br />

für begründet. Der angefochtene Beschluss <strong>des</strong> OLG Dresden vom 28.10.2010 verletzt<br />

den Beschwerdeführer in seiner Berufsausübungsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG.<br />

Die Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschrift <strong>des</strong> § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG ist in<br />

erster Linie Sache der Fachgerichte. Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht prüft nur, ob die fachgerichtliche<br />

Entscheidung Auslegungsfehler enthält, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung<br />

von der Bedeutung <strong>des</strong> betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines<br />

Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die Auslegung der Norm die Tragweite <strong>des</strong><br />

Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen<br />

Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (BVerfG, NJW 1997, 2510, 2511).<br />

Der Beschluss <strong>des</strong> OLG Dresden vom 28.10.2010 beruht auf einer Auslegung <strong>des</strong> § 51 Abs. 1<br />

Satz 5 RVG, die das Grundrecht der Berufsausübungsfreiheit <strong>des</strong> Beschwerdeführers nicht hinreichend<br />

berücksichtigt und führt im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der<br />

grundrechtlichen Freiheit. Die der Entscheidung zugrundeliegende Auffassung, ein Anspruch auf<br />

Gewährung eines Vorschusses auf eine Pauschgebühr <strong>des</strong> Pflichtverteidigers bestehe nicht,<br />

wenn bis zur Antragstellung lediglich die Anklageschrift zugestellt wurde und eine erste Akten-


9<br />

einsicht und Besprechung mit dem Mandanten stattgefunden hat, weil es in diesem Fall zumutbar<br />

sei, die Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten, verkennt den Schutzbereich <strong>des</strong> Art. 12<br />

Abs. 1 GG und gewährleistet keine verfassungskonforme Vergütung <strong>des</strong> Pflichtverteidigers.<br />

I. Die Maßstäbe für eine verfassungskonforme Vergütung von Pflichtverteidigern sind in der<br />

Rechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts weitgehend geklärt.<br />

1. Die Bestellung zum Pflichtverteidiger stellt eine besondere Form der Indienstnahme<br />

privater zu öffentlichen Zwecken dar. Dabei verlangt das Grundrecht auf freie Berufsausübung,<br />

dass bei der Bemessung <strong>des</strong> Vergütungsanspruchs die Grenze der<br />

Zumutbarkeit gewahrt wird. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass es eine übermäßige,<br />

nicht durch Gründe <strong>des</strong> Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkungen der<br />

Berufsausübung darstellen würde, wenn der Staat für Aufgaben, deren ordentliche<br />

Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch<br />

nehmen würde, ohne den Belasteten eine angemessene Entschädigung für ihre Inanspruchnahme<br />

zu gewähren (BVerfG, NJW 1980, 2179, 2180). Folgerichtig hat der<br />

Gesetzgeber die Pflichtverteidigung nicht als vergütungsfrei zu erbringende Ehrenpflicht<br />

<strong>des</strong> Anwaltsstan<strong>des</strong> ausgestaltet, sondern dem Pflichtverteidiger einen Honoraranspruch<br />

eingeräumt. Zwar liegt der gesetzlich vorgesehene Vergütungsanspruch<br />

<strong>des</strong> Pflichtverteidigers erheblich unter den als angemessen geltenden Rahmengebühren<br />

<strong>des</strong> Wahlverteidigers, diese Begrenzung ist aber im Sinne eines durch<br />

Gemeinwohlgründe gerechtfertigten Interessenausgleichs, der auch das Interesse<br />

an einer Einschränkung <strong>des</strong> Kostenrisikos berücksichtigt, gerechtfertigt, sofern die<br />

Grenze der Zumutbarkeit gewahrt ist (BVerfG, NJW 1985, 727, 728/729).<br />

2. Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hat mehrfach darauf hingewiesen, dass in Strafsachen<br />

besonderen Umfangs, die die Arbeitskraft <strong>des</strong> Pflichtverteidigers für längere<br />

Zeit ausschließlich oder fast ausschließlich in Anspruch nehmen, ohne dass er sich<br />

dieser Belastung entziehen könnte, die Höhe <strong>des</strong> Entgelts für ihn existenzielle Bedeutung<br />

gewinnt. In diesen Fällen gebiete es das Grundrecht auf freie Berufsausübung,<br />

eine Regelung zu schaffen, die es – wie § 51 RVG – ermöglicht, der tatsächlichen<br />

Inanspruchnahme <strong>des</strong> Pflichtverteidigers Rechnung zu tragen und ihn entsprechend<br />

zu vergüten, um ein angemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck


10<br />

und Eingriffsintensität sicherzustellen (BVerfG, NJW 1985, 727, 729; BVerfG,<br />

NStZ-RR 2007, 359, 360; zuletzt BVerfG – 2 BvR 1173/08, juris Rn. 9).<br />

3. Dies gilt – wie durch das Kriterium der Zumutbarkeit in § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG zum<br />

Ausdruck gebracht wird – auch für den Anspruch <strong>des</strong> Pflichtverteidigers auf Zahlung<br />

eines Vorschusses auf seine zu erwartende Pauschvergütung. Speziell zum diesem<br />

Anspruch <strong>des</strong> Pflichtverteidigers hat das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht bereits festgehalten,<br />

dass neben der Frage, ob das Verfahren von langer Dauer sowie von einem<br />

solchen Umfang und solcher Schwierigkeit sein wird, dass die höhere Pauschgebühr<br />

nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG mit Sicherheit zu erwarten ist, geprüft werden<br />

dürfe, ob wegen <strong>des</strong> Anspruchs auf Vorschuss auf die gesetzlichen Gebühren nach<br />

§ 47 Abs. 1 RVG ein Zuwarten bis zur Festsetzung der Pauschgebühr zumutbar<br />

wäre (BVerfG, NJW 2005, 3699).<br />

II. Im Einzelnen ergibt sich anhand der dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe für<br />

den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses<br />

auf seine Pauschvergütung Folgen<strong>des</strong>:<br />

1. Der Anspruch nach § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG setzt zunächst voraus, dass überhaupt<br />

ein Anspruch auf Zahlung einer Pauschgebühr besteht. Nach der Rechtsprechung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts muss dieser Anspruch „sicher zu erwarten<br />

sein“ (BVerfG, NJW 2005, 3699). Der Anspruch auf Pauschvergütung richtet sich<br />

nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG. Die Maßstäbe dieser Prüfung sind verfassungsgerichtlich<br />

ebenfalls geklärt. Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht hat die Auffassung <strong>des</strong><br />

OLG Frankfurt a. M. gebilligt, wonach der Anspruch auf Bewilligung einer Pauschgebühr<br />

nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG neben einem besonders schwierigen oder besonders<br />

umfangreichen Verfahren zusätzlich die Unzumutbarkeit der gesetzlichen<br />

Gebühren voraussetzt. Das Kriterium der „Unzumutbarkeit“ der gesetzlichen Gebühren<br />

solle den praktischen Anwendungsbereich der Vorschrift einschränken und<br />

den Ausnahmecharakter der Regelung zum Ausdruck bringen (BVerfG, NStZ-RR<br />

2007, 359, 360).<br />

Ob der Beschwerdeführer einen Anspruch auf die von ihm geltend gemachte<br />

Pauschgebühr in Höhe von 16.000 € für das erstinstanzliche Verfahren hat, hat das


11<br />

OLG Dresden nicht abschließend geprüft. Es hat den Antrag vielmehr mit der Begründung<br />

abgelehnt, dem Beschwerdeführer sei es zuzumuten, die Festsetzung der<br />

Pauschgebühr abzuwarten. Das OLG hat sich dabei offenbar nur mit dem Aspekt<br />

der Zumutbarkeit i.S.d. § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG (nicht Satz 1!) befasst. Dass überhaupt<br />

eine Pauschvergütung angemessen (bzw. mit Sicherheit zu erwarten) wäre,<br />

hat das Gericht aber auch nicht weiter in Zweifel gezogen, da es jedenfalls darauf<br />

hinweist, dass bereits der besondere Umfang eines Verfahrens eine Pauschgebühr<br />

rechtfertigen kann und der Beschwerdeführer „nur“ darauf verwiesen wird, die spätere,<br />

reguläre Festsetzung der Pauschgebühr abzuwarten.<br />

2. Unterstellt, ein Anspruch auf Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG besteht<br />

(wofür im Falle <strong>des</strong> Beschwerdeführers der anhand <strong>des</strong> Aktenumfangs und der bereits<br />

aufgewendeten Bearbeitungszeit dargelegte besondere Umfang <strong>des</strong> Verfahrens<br />

spricht, der über die gesetzlichen Gebühren in Höhe von 256,00 € gem. Nr. 4100,<br />

4112 VV RVG nicht angemessen abgegolten wäre), erweist sich die Prüfung <strong>des</strong><br />

Zumutbarkeitskriteriums gem. § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG durch das OLG Dresden als<br />

verfassungsrechtlich fehlerhaft. Das Gericht hat die Tragweite der Berufsfreiheit<br />

nicht hinreichend berücksichtigt und im Ergebnis eine Entscheidung getroffen, die zu<br />

einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />

führt.<br />

Das OLG Dresden legt das Merkmal der „Zumutbarkeit“ im Rahmen <strong>des</strong> § 51 Abs. 1<br />

Satz 5 RVG dahingehend aus, dass die Festsetzung der Pauschgebühr abgewartet<br />

werden kann, wenn bis zur Beantragung <strong>des</strong> Vorschusses (bzw. bis zur Entscheidung<br />

darüber) „außer der Zustellung der Anklage und der Beiordnung <strong>des</strong> Verteidigers<br />

nichts verfahrensfördern<strong>des</strong> geschehen konnte“ und daher für den Pflichtverteidiger<br />

„ausreichend Zeit [bestand], auch andere Mandate zu übernehmen und zu<br />

führen“. Dieses Verständnis trägt dem Bedeutungsgehalt <strong>des</strong> Grundrechts der Berufsausübungsfreiheit<br />

und den verfassungsrechtlichen Grenzen der kostenrechtlichen<br />

Zumutbarkeit nicht hinreichend Rechnung.<br />

a) Mit der Rechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts ist davon auszugehen,<br />

dass über das Kriterium der Zumutbarkeit sichergestellt werden soll, dass<br />

dem Pflichtverteidiger kein „Sonderopfer“ im Sinne einer unverhältnismäßigen<br />

Beeinträchtigung seiner Berufsausübungsfreiheit zugemutet wird. Als Gründe


12<br />

für die Unzumutbarkeit <strong>des</strong> Zuwartens bis zur Festsetzung der Pauschgebühr<br />

nennt § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG „insbesondere“ die lange Dauer <strong>des</strong> Verfahrens<br />

und die Höhe der zu erwartenden Pauschgebühr. Diese Aufzählung verweist<br />

beispielhaft auf Kriterien, die die Unzumutbarkeit begründen können. Nach der<br />

Rechtsprechung <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts ist ein Normverständnis nicht<br />

zu beanstanden, nach dem selbst bei Vorliegen dieser im Gesetz beispielhaft<br />

genannten Kriterien das weitere Zuwarten bis zur endgültigen Festsetzung der<br />

Pauschgebühr zumutbar sein kann (vgl. BVerfG, NJW 2005, 3699; dort hat das<br />

Gericht eine Auslegung gebilligt, nach der die Unzumutbarkeit trotz langer Verfahrensdauer<br />

und Anspruchs auf Pauschgebühr verneint wurde, weil der<br />

Pflichtverteidiger nach § 47 Abs. 1 RVG einen Anspruch auf Vorschuss auf<br />

seine gesetzliche Vergütung hatte).<br />

Das Zumutbarkeitskriterium in § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG knüpft – anders als das<br />

Zumutbarkeitskriterium in § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG – an ein Zeitmoment an.<br />

Während es bei § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG darum geht, ein unzulässiges Sonderopfer<br />

im Sinne eines unverhältnismäßigen Eingriffs in die Berufsfreiheit<br />

dadurch abzuwenden, dass dem Pflichtverteidiger eine höhere als die gesetzlich<br />

vorgesehene Vergütung gewährt wird, soll § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG die<br />

unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Berufsfreiheit dadurch abwehren,<br />

dass ein Vorschuss auf die höhere Vergütung vor Abschluss <strong>des</strong> Verfahrens<br />

gewährt wird. Bei § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG geht es darum, eine unangemessene<br />

Belastung <strong>des</strong> Pflichtverteidigers über eine Erhöhung der Vergütung<br />

auszuschließen, während § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG darauf zielt, ein unangemessenes<br />

Zuwarten auf die endgültige Festsetzung dieser erhöhten Pauschgebühr<br />

auszuschließen. § 51 Abs. 1 Satz 1 RVG regelt das „Ob“ der erhöhten<br />

Pauschvergütung, § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG – daran anknüpfend – das „Wann“.<br />

Dieser Gesetzessystematik liegt offenbar die Wertung zugrunde, dass nicht<br />

nur die in Nr. 4100 ff. VV RVG in der rechten Spalte normierte pauschale Reduzierung<br />

der Pflichtverteidigergebühren eine unangemessene Beeinträchtigung<br />

der Berufsfreiheit mit sich bringen kann, sondern auch das lange Zuwarten<br />

auf die Festsetzung einer Pauschgebühr. Der Belastung <strong>des</strong> Grundrechtsträgers<br />

wird in Fällen, in denen die Zahlung einer erhöhten Pauschgebühr geboten<br />

erscheint, um seinen Aufwand angemessen zu honorieren und ihm kein


13<br />

„Sonderopfer“ abzuverlangen, nicht in allen Fällen allein dadurch abgeholfen,<br />

dass die Pauschgebühr „irgendwann“ festgesetzt wird. Vielmehr berücksichtigt<br />

der Gesetzgeber, dass die freie Ausübung <strong>des</strong> Berufes <strong>des</strong> Rechtsanwalts im<br />

Sinne einer freien Entfaltung der Persönlichkeit zum Zwecke der materiellen<br />

Sicherung der Lebensgestaltung (BVerfGE 63, 266, 268) in erster Linie der<br />

Existenzsicherung dient, die in bestimmten Fällen nicht nur eine bestimmte<br />

Vergütungshöhe, sondern auch eine zeitnahe Entlohnung für erbrachte Leistungen<br />

voraussetzt. Die Gewährung einer (hohen) Pauschgebühr beseitigt eine<br />

Grundrechtsbeeinträchtigung – wie das Beispiel <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />

zeigt – nicht, wenn sie erst nach langer Zeit erfolgt. Indem § 51 Abs. 1 RVG<br />

dem Pflichtverteidiger sowohl einen Anspruch auf (erhöhte) Pauschvergütung,<br />

als auch einen Anspruch auf Vorschuss auf die Pauschvergütung einräumt und<br />

beide Ansprüche jeweils von einer (eigenen, nicht inhaltsgleichen) Zumutbarkeitsprüfung<br />

abhängig macht, hat der Gesetzgeber hinreichend Sorge getragen,<br />

um einer Verletzung der Berufsausübungsfreiheit <strong>des</strong> Pflichtverteidigers<br />

vorzubeugen.<br />

b) Die Regelung kann aber diese verfassungsrechtlich begründete Schutzfunktion<br />

nur wirksam zur Geltung bringen, wenn die verfassungsrechtlichen Wertungen<br />

bei ihrer Anwendung zutreffend berücksichtigt werden. Dies hat das OLG<br />

Dresden versäumt. Das Gericht stellt bei seiner Prüfung der Zumutbarkeit ausschließlich<br />

darauf ab, dass das Strafverfahren im Zeitpunkt der Beantragung<br />

<strong>des</strong> Vorschusses das Verfahren – abgesehen von der Übernahme der Verteidigung,<br />

der Kontaktaufnahme zum Mandanten und der Informationsbeschaffung<br />

– noch nicht weiter „gefördert“ werden konnte und noch keine Verhandlungstermine<br />

bestimmt waren. Diese Kriterien sind nicht geeignet, die Unzumutbarkeit<br />

im Rahmen <strong>des</strong> § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG zu verneinen. Das Gericht<br />

verkennt grundlegend die Regelungssystematik <strong>des</strong> § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG.<br />

Es geht nämlich bei der Vorschussregelung nicht darum, dem Verteidiger für<br />

zukünftige Leistungen (z.B. künftige aufwendige Schriftsätze oder Verhandlungen)<br />

„vorab“ eine Vergütung zu gewähren, sondern der Vorschuss wird für<br />

eine bereits erbrachte Leistung gezahlt (Gerold/Schmidt, RVG, § 51 Rn. 73).<br />

Die Bezeichnung als „Vorschuss“ erklärt sich allein daraus, dass die Zahlung<br />

vor Abschluss <strong>des</strong> Strafverfahrens und damit vor der endgültigen Gebührenfestsetzung<br />

erfolgt, keinesfalls aber vor der Erbringung der abgegoltenen


14<br />

Leistung durch den Verteidiger. Es geht hier, wie bereits dargelegt, darum, die<br />

Belastung auszugleichen, die für den Pflichtverteidiger mit einem langen Zuwarten<br />

auf seine bereits „verdiente“ Pauschvergütung verbunden sein kann.<br />

Der Vorschuss kann daher auch mehrfach gewährt werden, wenn die Voraussetzungen<br />

zu einem späteren Zeitpunkt erneut vorliegen (Gerold/Schmidt,<br />

RVG, § 51 Rn. 70). Insoweit zutreffend hat auch der Beschwerdeführer zur<br />

Begründung seines Antrags ausschließlich auf den Arbeitsaufwand abgestellt,<br />

der für ihn bis zur Antragstellung mit der Übernahme <strong>des</strong> Mandats verbunden<br />

war (410 Std. Lese- und Bearbeitungszeit für den bis dahin vorliegenden Aktenbestand).<br />

Insoweit missversteht das OLG Dresden die Argumentation <strong>des</strong><br />

Beschwerdeführers, der allein zur Ermittlung eines angemessenen Stundensatzes<br />

bei der Berechnung der Höhe der Pauschgebühr nach § 51 Abs. 1 Satz<br />

1 RVG auf die Wertungen der Nr. 4108, 4110, 4111 VV RVG abstellt. Der Beschwerdeführer<br />

begehrt mit diesem Vorbringen keine vorgezogene Vergütung<br />

für seine spätere Teilnahme an der Hauptverhandlung, sondern verweist lediglich<br />

auf die Tatsache, dass der Gesetzgeber in den Nr. 4108, 4110, 4111 VV<br />

RVG für die Tätigkeit eines Pflichtverteidigers einen mittleren Stundensatz von<br />

etwa 40,00 € als angemessen erachtet hat. Deshalb ist auch, anders als das<br />

OLG Dresden ausführt, für die Entscheidung über den Vorschuss nach § 51<br />

Abs. 1 Satz 5 RVG völlig unerheblich, ob sich der Aufwand für spätere Verfahrenshandlungen<br />

(insbesondere die Dauer der Hauptverhandlung) später „besser<br />

überblicken“ lässt.<br />

Entscheidend für die Prüfung der Zumutbarkeit im Rahmen <strong>des</strong> § 51 Abs. 1<br />

Satz 5 RVG ist nach alledem nicht, welche Verdienstmöglichkeiten der Pflichtverteidiger<br />

hat, nachdem er die Leistungen, für die ihm eine Pauschvergütung<br />

zusteht, erbracht hat; sondern es geht darum, den Nachteil auszugleichen, der<br />

durch die umfangreiche Befassung mit der Pflichtverteidigung bereits eingetreten<br />

ist, weil er während dieser Zeit keine (oder nur unbedeutende) sonstige<br />

Umsätze erzielen konnte. Zur Vermeidung einer unzumutbaren „Sonderopfers“<br />

kann es geboten sein, eine zeitnahe Vergütung zu gewähren, da das<br />

Zuwarten bei ausstehenden hohen Beträgen eine existenzielle Gefährdung mit<br />

sich bringen kann.


15<br />

In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die anwaltliche Tätigkeit<br />

einen dauerhaften Kanzleibetrieb voraussetzt. Die Berufsausübung ist nur<br />

möglich, wenn der Anwalt konstant die dafür erforderliche Infrastruktur vorhält.<br />

Das wiederum verursacht laufende Kosten, wobei die durchschnittliche Kostenquote,<br />

wie der Verfassungsrechtsausschuss <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> <strong>Anwaltvereins</strong><br />

in einer <strong>Stellungnahme</strong> zum Verfahren 1 BvR 1342/07 näher erläutert hat, etwa<br />

55 Prozent beträgt. Hat eine Pflichtverteidigung zur Folge, dass der<br />

Rechtsanwalt über einen längeren Zeitraum keine wesentlichen sonstigen<br />

Mandate bearbeiten kann, kann er in dieser Zeit weder die zur Deckung der<br />

Kostenquote, noch die zu seiner eigenen Existenzsicherung erforderlichen<br />

Einnahmen erzielen. Dass zu einem späteren Zeitpunkt wieder die Möglichkeit<br />

besteht, sonstige Mandate zu bearbeiten und hierüber Einnahmen zu erzielen,<br />

vermag den Verdienstausfall während der Pflichtverteidigung nicht zu kompensieren.<br />

Jedenfalls dann, wenn es – wie im Fall <strong>des</strong> Beschwerdeführers – um<br />

eine relativ hohe Pauschvergütung geht, die Arbeitskraft über einen längeren<br />

Zeitraum erheblich eingeschränkt war und die Einnahmesituation aufgrund <strong>des</strong><br />

Kanzleizuschnitts ausschließlich von der Tätigkeit <strong>des</strong> Antragstellers abhängt<br />

(Einzelanwalt), ist es unzumutbar, den Pflichtverteidiger auf den Abschluss <strong>des</strong><br />

gesamten Strafverfahrens und die Festsetzung seiner Pauschvergütung zu<br />

verweisen, weil er das aufgrund der Pflichtverteidigung einmal eingetretene<br />

„Einnahmedefizit“ vermeintlich in späteren Zeiträumen, während derer das<br />

Strafverfahren nicht „gefördert“ wird, wieder ausgleichen kann. Ein derartiger<br />

nachträglicher Ausgleich kommt jedenfalls bei hohen ausstehenden Beträgen<br />

hinsichtlich der laufenden Kosten <strong>des</strong> Kanzleibetriebs und der laufenden Lebenshaltungskosten<br />

<strong>des</strong> Rechtsanwalts und seiner Familie nicht in Betracht.<br />

c) Der Beschwerdeführer hat seine konkrete, existentielle Betroffenheit in der<br />

Verfassungsbeschwerde in einer Weise dargelegt, die eine verfassungsrechtliche<br />

Überprüfung erlaubt; insbesondere hat er erläutert, wie sich der Jahresgewinn<br />

im Vergleichszeitraum entwickelt hat, in welchem Zeitumfang er verhindert<br />

war, andere Mandate zu bearbeiten, in welcher Höhe Verbindlichkeiten<br />

aufgelaufen sind und von welchem Gläubiger Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet<br />

wurden (detaillierte Angaben hat der 2. Senat im Nichtannahmebeschluss<br />

v. 06.10.2008 - 2 BvR 1173/08, juris Rn. 13 verlangt). Die Folgen der<br />

eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen sind gerade für die Berufsausübung


16<br />

<strong>des</strong> Rechtsanwalts von existentieller Bedeutung, weil im Falle eines Vermö-<br />

gensverfalls der Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft droht und<br />

er damit von der weiteren Berufsausübung ausgeschlossen wird (§ 14 Abs. 2<br />

Nr. 7 BRAO).<br />

d) Anders als im Verfahren 2 BvR 896/05 (BVerfG, NJW 2005, 3699) ist das weitere<br />

Zuwarten auf die endgültige Festsetzung der Pauschvergütung dem Beschwerdeführer<br />

auch nicht <strong>des</strong>halb zuzumuten, weil er einen Vorschuss auf<br />

seine gesetzliche Vergütung gem. § 47 Abs. 1 RVG geltend machen könnte.<br />

Die gesetzliche Vergütung für die im erstinstanzlichen Verfahren bislang durch<br />

den Beschwerdeführer erbrachten Leistungen beträgt gem. Nr. 4100, 4112 VV<br />

RVG 256,00 €. Dieser Betrag wäre, wenn er als Vorschuss ausgezahlt würde,<br />

offensichtlich unzureichend, um die Belastung auszugleichen, die für den Beschwerdeführer<br />

mit dem Zuwarten auf die endgültige Festsetzung der (wesentlich<br />

höheren) Pauschgebühr nach Abschluss eines langen Verfahrens verbunden<br />

ist. Er wäre daher auch ungeeignet, die existentielle Betroffenheit <strong>des</strong><br />

Beschwerdeführers abzuwenden<br />

e) Die Grundrechtsverletzung <strong>des</strong> Beschwerdeführers kann schließlich nicht mit<br />

dem Argument verneint werden, er berufe sich in seiner Verfassungsbeschwerde<br />

auch auf Belastungen, die aus einer weiteren Pflichtverteidigung<br />

herrühren. Der Beschwerdeführer verweist zur Begründung seiner existentiellen<br />

Betroffenheit auf die Ablehnung seines Antrags auf Vorschuss durch das<br />

OLG Dresden im angefochtenen Beschluss, aber auch auf eine weitere ausstehende<br />

Pauschvergütung und einen Vorschuss, die er in einem gesonderten<br />

Verfahren beim OLG Brandenburg beantragt hat und über die noch nicht entschieden<br />

wurde. Würde man nun aber argumentieren, der Beschwerdeführer<br />

könne die in dem dortigen Verfahren zu erwartende Pauschvergütung/den dortigen<br />

Vorschuss abwarten, so dass im Verfahren beim OLG Dresden ein weiteren<br />

Zuwarten auf die endgültige Festsetzung der Pauschvergütung zumutbar<br />

ist, verstieße dies wiederum gegen die oben dargelegte Wertung <strong>des</strong> § 51 Abs.<br />

1 Satz 5 RVG und den oben beschriebenen verfassungsrechtlichen Gehalt<br />

dieser Norm. Zur Abwendung einer unangemessenen Inanspruchnahme <strong>des</strong><br />

Pflichtverteidigers begründet § 51 Abs. 1 Satz 5 RVG für jede Pflichtverteidigung<br />

einen Anspruch auf Vorschusszahlung im Hinblick auf die dort jeweils zu


17<br />

erwartende Pauschvergütung. Mit dem Anspruch soll gerade der Nachteil<br />

ausgeglichen werden, den der Pflichtverteidiger in jedem einzelnen Fall dadurch<br />

erleiden kann, dass seine Arbeitskraft in erheblichem Umfang gebunden<br />

wird, die endgültige Festsetzung der Vergütung sich aber erheblich verzögert.<br />

Treffen mehrere Pflichtverteidigungen – wie im Fall <strong>des</strong> Beschwerdeführers –<br />

zusammen, verschärft dies die Belastung ggf. noch; diese kumulative Betroffenheit<br />

darf aber nicht dazu führen, dass der Grundrechtsträger sich in jedem<br />

einzelnen Fall auf den jeweils im anderen Verfahren zu erlangenden Ausgleich<br />

verweisen lassen muss.<br />

III. Angesichts <strong>des</strong> festgestellten Verstoßes gegen die Berufsfreiheit <strong>des</strong> Beschwerdeführers<br />

kann dahinstehen, ob der angefochtene Beschluss <strong>des</strong> OLG Dresden weitere Grundrechte<br />

oder grundrechtsgleiche Rechte verletzt.

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