Armutsbericht 2008 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
Armutsbericht 2008 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
Armutsbericht 2008 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
60<br />
Die Pädagogik <strong>der</strong> Hartz-Gesetze<br />
rung anhand von drei Kennzahlen zu messen‹:<br />
a) die Aktivierungsquote, die alle mit Maßnahmen<br />
versorgten Jugendlichen ins Verhältnis<br />
zur Gesamtzahl <strong>der</strong> Hilfesuchenden setzt und<br />
die <strong>bei</strong> Jugendlichen 52 Prozent betragen soll,<br />
b) die Abgangsrate in Erwerbstätigkeit und<br />
c) die Sanktionsquote. 47 Sanktionsquote als<br />
Indikator für den Erfolg <strong>der</strong> Gesamtaktivierung<br />
ist nicht nur zynisch, son<strong>der</strong>n lässt auch<br />
unschwer erkennen, aus welcher Richtung <strong>der</strong><br />
pädagogische Wind weht.<br />
3.4 Jugendliche und Heranwachsende<br />
im Geltungsbereich des SGB II<br />
zwischen Selektion und Verfolgungsbetreuung<br />
Auf fünf Aspekte einer Kritik <strong>der</strong> Pädagogik<br />
<strong>der</strong> Hartz-Gesetze möchte ich im Folgenden<br />
etwas näher eingehen.<br />
1. Der erste Punkt betrifft die work-first-Orientierung<br />
<strong>der</strong> Hartz-Gesetze, die nur ein Ziel<br />
kennt, die Integration des Kunden in den<br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarkt, an jedem Ort, zu jedem Preis<br />
und unter (fast) allen Bedingungen. Das Handlungsdiktat<br />
<strong>der</strong> BA in Bezug auf Jugendliche<br />
und Heranwachsende, diese umgehend in<br />
Ar<strong>bei</strong>t, Ausbildung o<strong>der</strong> eine Ar<strong>bei</strong>tsgelegenheit<br />
zu vermitteln, missachtet die Erfahrung<br />
<strong>der</strong> Jugendberufshilfe, dass viele <strong>der</strong> von<br />
ihnen unterstützten Jugendlichen noch gar<br />
nicht an dem biografischen Punkt sind, an<br />
denen sie den Anfor<strong>der</strong>ungen von Ar<strong>bei</strong>t o<strong>der</strong><br />
Ausbildung gewachsen sind, weil sie zum<br />
Teil ganz an<strong>der</strong>e Entwicklungsaufgaben und<br />
Belastungen zu bewältigen haben. In <strong>der</strong><br />
Logik <strong>der</strong> Hartz-Gesetze geraten diese aber<br />
nur als ›Hürden‹ auf dem Weg zum Ar<strong>bei</strong>tsmarkt<br />
in den Blick. ›Eine solche work-first-Orientierung<br />
kann unter Umständen den Blick auf<br />
an<strong>der</strong>e notwendige Unterstützungen verstellen.<br />
Insbeson<strong>der</strong>e für junge Menschen mit<br />
spezifischem För<strong>der</strong>bedarf besteht die Gefahr<br />
<strong>der</strong> Einengung und Reduzierung von Entwicklungsräumen.‹<br />
48 Diese Annahme wird gestützt<br />
durch Befunde des Instituts für Ar<strong>bei</strong>tsmarktund<br />
Berufsforschung (IAB) 49 , das zu dem<br />
Ergebnis kommt, dass viele <strong>der</strong> jungen<br />
Erwachsenen im Rechtskreis des SGB II im<br />
Sinne <strong>der</strong> Ar<strong>bei</strong>tsmarktintegration aufgrund<br />
ihrer multiplen Hilfebedürftigkeit noch gar<br />
nicht aktiviert werden können. Das Risiko <strong>der</strong><br />
hier beschriebenen ›work-first‹-Orientierung<br />
für sozialpädagogische Hilfen liegt da<strong>bei</strong> auf<br />
<strong>der</strong> Hand: Steht ausschließlich die Vermittlung<br />
in Ausbildung, Ar<strong>bei</strong>t und Ar<strong>bei</strong>tsgelegenheiten<br />
beziehungsweise ausschließlich die Verbesserung<br />
berufsrelevanter Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
im Mittelpunkt <strong>der</strong> Bemühungen, kann<br />
dies unter Umständen den Blick auf an<strong>der</strong>e<br />
notwendige Unterstützungen verstellen. Die<br />
Konzentration auf eine einzige Dimension<br />
gesellschaftlicher Teilhabe – nämlich <strong>der</strong><br />
Ar<strong>bei</strong>tsmarktintegration – führt in ihrer Konsequenz<br />
dazu, dass Soziale Ar<strong>bei</strong>t und Jugendberufshilfe<br />
gesellschaftliche Inklusion gar nicht<br />
erst hinreichend beför<strong>der</strong>n kann. Vielmehr<br />
besteht die Gefahr, dass eine gesellschaftliche<br />
Inklusion gerade <strong>der</strong>jenigen Jugendlichen<br />
und jungen Erwachsenen, die zur Erlangung<br />
gleichberechtigter Teilhabe auf professionelle<br />
sozialpädagogische Unterstützung jenseits<br />
einer reinen Ar<strong>bei</strong>tsmarktorientierung angewiesen<br />
sind, gänzlich vernachlässigt wird. 50<br />
An<strong>der</strong>s formuliert: Insbeson<strong>der</strong>e für junge<br />
Menschen mit spezifischem För<strong>der</strong>bedarf ist<br />
vor dem Hintergrund einer rein erwerbsar<strong>bei</strong>tszentrierten<br />
Jugendberufshilfe eine Einengung<br />
und Reduzierung von Entwicklungsräumen<br />
zu befürchten. 51<br />
47 Vgl. Projektgruppe Jugendliche (o.J.): a.a.O., S. 9.<br />
48 Rietzke, T. (2006): a.a.O., S, 197.<br />
49 Vgl. Popp, S./Schels, B./Wenzel, U. (2006): Viele können noch<br />
gar nicht aktiviert werden, IAB-Kurzbericht 26/20.12.2006.<br />
50 Vgl. Möhring-Hesse, M. (2006): Wie die Faust aufs Auge –<br />
Jugendsozialar<strong>bei</strong>t im aktivierenden Sozialstaat; in: Jugend,<br />
Beruf, Gesellschaft, Heft 1/2006, S. 12 f.<br />
51 Vgl. Wende, L. (2005): 4 Thesen zu Möglichkeiten und Risiken<br />
<strong>der</strong> Integration benachteiligter junger Menschen im Kontext <strong>der</strong><br />
Hartz-Gesetzgebung, S. 39; in: Jugend, Beruf, Gesellschaft.<br />
Dokumentation <strong>der</strong> Jahrestagung: Jugendsozialar<strong>bei</strong>t im<br />
Spannungsverhältnis aktueller Ar<strong>bei</strong>tsmarktpolitik vom 13.–14.<br />
Oktober 2004 in Magdeburg.