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Armutsbericht 2008 - bei der Arbeitnehmerkammer Bremen

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98 Vier Geschichten vom Überleben in <strong>der</strong> Warteschleife<br />

Diesmal scheint alles glatt zu laufen, <strong>der</strong><br />

Betrieb will ihn sogar übernehmen – da verpatzt<br />

er selbst die Sache. ›Drei Monate vor<br />

<strong>der</strong> Prüfung bin ich einfach nicht mehr hingegangen.‹<br />

Der Grund dafür ist mal wie<strong>der</strong><br />

eine private Katastrophe. Blauäugig hat Björn<br />

den Handyvertrag seiner damaligen Freundin<br />

unterschrieben und sammelt innerhalb kurzer<br />

Zeit einen Berg Schulden. ›Da habe ich den<br />

Kopf einfach in den Sand gesteckt.‹ Er verliert<br />

seine eigene Wohnung und kommt mit Drogen<br />

in Berührung. Einen vorübergehenden Ausweg<br />

bietet die Bundeswehr, zu <strong>der</strong> er sich<br />

gleich zwei Jahre verpflichtet. Aber nach drei<br />

Wochen kommt die Krankenkasse und pocht<br />

auf den mit 14 Jahren unterschriebenen<br />

Pflegevertrag, weil <strong>der</strong> alkoholkranke Vater<br />

die Mutter nicht mehr pflegen kann. Björn sitzt<br />

wie<strong>der</strong> zu Hause fest und lässt sich das<br />

erste Mal in seinem Leben richtig hängen.<br />

Das Blatt wendet sich, als eine neue Freundin<br />

ihn unterstützt, eine Drogentherapie zu<br />

machen. Und in <strong>der</strong> Diakonie Freistatt, die ihn<br />

wie<strong>der</strong> aufnimmt, darf er endlich das machen,<br />

was er am liebsten tut: kochen. ›Ich habe<br />

teilweise den ganzen Laden geschmissen.<br />

Einmal habe ich für Ministerpräsident Wulff<br />

gekocht: ein malaysisches Reisgericht. Hat<br />

ihm geschmeckt.‹ Und als Björn dann in einem<br />

<strong>der</strong> besten Hotels auf Juist ein Praktikum in<br />

<strong>der</strong> Küche macht, zieht er das große Los:<br />

›Der Koch auf Juist hat mich in den höchsten<br />

Tönen gelobt, in meinen Praktikumsbeurteilungen<br />

habe ich fast nur Einsen. Die haben alle<br />

zu mir gesagt: Koch, das ist dein Beruf!‹ Doch<br />

Liebe geht nicht immer durch den Magen<br />

und Freundinnen, die einem helfen von den<br />

Drogen wegzukommen, haben manchmal auch<br />

Angst, allein gelassen zu werden. Und so entscheidet<br />

sich Björn am Bremer Hauptbahnhof<br />

für die Liebe und gegen die Traumlehrstelle.<br />

Das nächste verlockende Angebot lässt<br />

zum Glück nicht lange auf sich warten. Nachdem<br />

er wie<strong>der</strong>um im Praktikum überzeugt hat,<br />

bietet ein Lokal im Bremer Umland Björn einen<br />

Ausbildungsplatz an. Perfekt, jetzt kann er <strong>bei</strong>des<br />

haben, den Job und die Freundin. Denkste,<br />

wie Christian wird auch Björn irgendwann<br />

von seinem Ruf eingeholt. ›Meine Chefin hat<br />

gesagt, dass sie einiges über mich gehört hat<br />

und ich den Ausbildungsvertrag vergessen<br />

kann. Die Leute sagen sich: Wenn <strong>der</strong> einmal<br />

so ist, wird <strong>der</strong> sein Leben lang so sein und<br />

geben einem keine Chance.‹ Dann macht sich<br />

auch noch die Freundin aus dem Staub und<br />

Björn auf den Weg nach <strong>Bremen</strong>, um seinen<br />

Ruf endlich hinter sich zu lassen.<br />

›Ich will meine Ausbildung zum Koch auf<br />

jeden Fall noch machen‹, sagt er auf dem<br />

Rückweg von <strong>der</strong> Waterfront zu NAHlos. ›Ich<br />

werde alles dafür tun, aber euphorisch bin<br />

ich im Moment nicht.‹ Außerdem ärgert er sich<br />

noch ein bisschen, dass ihm letzten Freitag<br />

<strong>der</strong> Flammkuchen nicht richtig gelungen ist.<br />

›Ich bin es nicht gewohnt, nach Rezept<br />

zu kochen, ich mache das lieber nach Gefühl‹,<br />

sagt er. Als nächstes Gericht wird er mal<br />

einen malaysischen Reistopf vorschlagen.

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