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4 Bildung und Qualifizierung - Arbeitskammer des Saarlandes

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4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

4 <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen:<br />

Bevölkerungsschw<strong>und</strong> <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sbeteiligung<br />

erfordern neue Strukturen<br />

Von den aktuellen Bemühungen um eine Verbesserung der Situation im<br />

Vorschulbereich einmal abgesehen, bleibt das allgemeinbildende Schulsystem<br />

eine „tragende“ Säule <strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>ssystems: In keinem anderen<br />

Sektor ist die Verweildauer (mit regulär 9 bis 13 Jahren) länger <strong>und</strong> die<br />

Bandbreite der vermittelten Fähigkeiten <strong>und</strong> Kenntnisse breiter – über die<br />

Kulturtechniken in der Gr<strong>und</strong>schule bis hin zu Leistungskursen in der gymnasialen<br />

Oberstufe. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> behalten die inhaltlichen, personellen,<br />

strukturellen <strong>und</strong> organisatorischen Fragen <strong>des</strong> allgemeinbildenden<br />

Schulsystems einen hohen Stellenwert. Ebenso ändern sich die jeweils<br />

neu zu definierenden Herausforderungen im Laufe der Zeit immer wieder;<br />

sofern Schule tatsächlich zeitgemäße Antworten auf gesellschaftliche Entwicklungen<br />

geben will bzw. soll.<br />

Aktuell bedeutsame bildungspolitische Fragen lauten dabei im Saarland:<br />

Wie reagieren auf die demografischen Veränderungen, die schon länger<br />

bekannte Problematik der ungleichen <strong>Bildung</strong>sbeteiligung – <strong>und</strong> wie spürbare<br />

Verbesserungen in den unterrichtlichen Rahmenbedingungen erreichen?<br />

Zusammenhang „<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Zukunftsfähigkeit“ stärker beachten<br />

Nicht alleine die <strong>Arbeitskammer</strong> sieht die mäßigen bis schlechten Plätze<br />

<strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong> im B<strong>und</strong>esvergleich von Klassenfrequenzen, Versorgung mit<br />

Lehrkräften <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sausgaben schon länger mit Skepsis. Unter anderen<br />

hat sich auch das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW Köln) dazu mehrfach<br />

kritisch geäußert – etwa im Rahmen <strong>des</strong> „<strong>Bildung</strong>smonitors 005“. Zusätzliche<br />

Brisanz erhält diese Frage nach den unterrichtlichen Rahmenbedingungen<br />

an unseren allgemeinbildenden Schulen im Saarland durch eine<br />

im April veröffentlichte Studie „Fit für die Zukunft?“ (Zukunftsfähigkeit<br />

der einzelnen B<strong>und</strong>esländer). Mag man auch im Blick auf verschiedene methodische<br />

<strong>und</strong> andere Aspekte dieser <strong>und</strong> ähnlicher Studien gelegentlich<br />

ins ‚Grübeln’ kommen, so dürften zumin<strong>des</strong>t (einmal abgesehen von der<br />

bekannten problematischen Einschätzung zum Thema „Finanzen“) einige<br />

Aussagen im Zusammenhang mit dem Thema „<strong>Bildung</strong>“ durchaus alarmierend<br />

wirken:<br />

11<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

� Das b<strong>und</strong>esweite Ranking zum Bereich „Demografie“ sieht das Saarland<br />

als Schlusslicht; wobei nicht zuletzt auch die zu niedrige Quote<br />

der „Hochqualifizierten“ bedenklich ins Gewicht fällt (das Saarland liegt<br />

dort eindeutig hinter allen „Altländern“ <strong>und</strong> auch hinter Sachsen). Alarmierend<br />

muss auch die Aussage wirken, dass die Altersklasse der bis<br />

unter 0-Jährigen zum Zeitpunkt 0 0 in unserem B<strong>und</strong>esland auf einen<br />

Anteil von 15,8 Prozent sinken wird (vorletzter Rang hinter Berlin bei<br />

den ‚Westländern’). Im Jahr 00 belief sich diese Quote immerhin noch<br />

auf 19,5 Prozent. Zugleich bewegt sich das Saarland in der Altersklasse<br />

„60 Jahre <strong>und</strong> älter“ bis zum Jahr 0 0 (Quote = 1,6 Prozent) hin zur<br />

bedenklichsten Position im Reigen der ‚Altländer’ (weit unproblematischer<br />

erscheint hier z.B. der dann gegebene Wert in Hamburg mit 5,1<br />

Prozent).<br />

� Insgesamt erreicht das Saarland in der erwähnten Studie hinsichtlich der<br />

„Gesamtbewertung Zukunftsfähigkeit“ nur den vorletzten Platz (Rang<br />

15) im B<strong>und</strong>esvergleich. Dies muss nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

zu einer deutlichen Intensivierung der <strong>Bildung</strong>sanstrengungen in unserem<br />

Lande führen: Wenn schon die Altersgruppe „0 bis 0 Jahre“ in<br />

einem derart starken Ausmaß schrumpft, müssen zumin<strong>des</strong>t die „Übrigbleibenden“<br />

bestmöglich qualifiziert werden, um überhaupt Entwicklungspotenzial<br />

im Land halten zu können.<br />

� Dazu bedürfen nahezu alle <strong>Bildung</strong>s-Indikatoren deutlicher Verbesserungen.<br />

Denn richtig ‚spitzenmäßig’ im <strong>Bildung</strong>ssektor steht das Saarland<br />

derzeit lediglich in der Sparte „Betreuungsverhältnis im Hochschulbereich“<br />

da (ohne Humanmedizin gerechnet): Hier erreichen wir sowohl<br />

bei der Fachhochschule ( , ) wie auch bei der Universität (14,7) jeweils<br />

die b<strong>und</strong>esweit zweitbeste Platzierung (Angaben = Studierende je Lehrkraft).<br />

1 Bedauerlicherweise scheint sich jedoch auch hier wiederum das<br />

Sprichwort zu bestätigen „wo viel Licht ist, ist starker Schatten“, da die<br />

Zufriedenheit der Studierenden mit der Ausstattung einiger Bereiche<br />

von HTW <strong>und</strong> UNI im b<strong>und</strong>esweiten Vergleich überwiegend mäßig bis<br />

mangelhaft ausfällt (siehe dazu Meldung der ‚Saarbrücker Zeitung’ vom<br />

09.05. 007). Auch die hohe Abbrecher-Quote ist nicht akzeptabel.<br />

Zahlenwerte zur „Betreuungsintensität“: Im Saarland nach wie vor<br />

ungünstig<br />

In den zurückliegenden Jahren hat die <strong>Arbeitskammer</strong> schon mehrfach auf<br />

die überwiegend problematischen Rahmenbedingungen für den Unterricht<br />

in fast allen Schulstufen <strong>und</strong> Schulformen hingewiesen; die aktuellen Bef<strong>und</strong>e<br />

(Basis: KMK-Dokumentation Nr. 181, 5/ 007) lauten stichwortartig:<br />

1


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

� Klassenfrequenzen – hier kam das Saarland im Jahr 005 lediglich im<br />

Gr<strong>und</strong>schulbereich mit 0,7 Kindern/Klasse in das vordere Drittel <strong>des</strong><br />

Länderrankings. Die Zahlenwerte für das Schuljahr 005/06 zeigen allerdings<br />

eine Zunahme der durchschnittlichen Klassenfrequenz um 1,1<br />

mehr als im Vorjahr. Wie schon 004 nur den vorletzten Rang erreichte<br />

die Erweiterte Realschule ( , Schüler/innen je Klasse). Ähnlich problematisch<br />

stellte sich die Situation in den Klassenstufen 5 bis 10 der<br />

Gymnasien ( 8, ; Rang 1 ) <strong>und</strong> bei den Gesamtschulen dar ( 8,1; letzter<br />

Platz). Beide Schulformen landeten so, teils versehen mit der „roten<br />

Laterne“, am Ende <strong>des</strong> b<strong>und</strong>esweiten Rankings.<br />

� Schüler-Lehrer-Relation – als Indikator für die Intensität der schulischen<br />

Betreuung <strong>des</strong>/der einzelnen Schüler/in sah die Gr<strong>und</strong>schulen (18,9<br />

Schüler/innen je Lehrer/in) mit Rang 8 im Mittelfeld <strong>und</strong> die Erweiterte<br />

Realschule (16,4) auf dem letzten Platz. Etwas besser als bei den Klassenfrequenzen<br />

gestaltete sich die Situation an den Gymnasien (19, ) mit<br />

Rangplatz 1 . Nur minimal besser als beim Messwert „Schüler je Klasse“<br />

war die Versorgung mit Lehrkräften an den Gesamtschulen: 16,1 <strong>und</strong><br />

damit vorletzter Rang.<br />

� Erteilte Unterrichtst<strong>und</strong>en je Schüler/in – auch dies ein Messwert zur<br />

Einschätzung der „Zuwendung“, die dem einzelnen Kind/Jugendlichen<br />

in der Schule zuteil wird. Hier finden sich eine noch akzeptable Positionierung<br />

der Gr<strong>und</strong>schule (Rang 9) <strong>und</strong> bei den übrigen Schulformen<br />

ähnliche Rangplätze wie bei der oben skizzierten Schüler-Lehrer-Relation<br />

(Rang 11 von 15 für die Gesamtschule; Platz 15 von 16 erreicht das<br />

Gymnasium <strong>und</strong> nur die Schlussposition bleibt für die Erweiterte Realschule).<br />

Nach jahrelanger – bereits unter der Vorgängerregierung einsetzender –<br />

Stagnation in diesem bildungspolitischen Handlungsfeld muss somit auch<br />

im diesjährigen Bericht eine überwiegend negative Bilanz gezogen werden:<br />

Kinder <strong>und</strong> Jugendliche im Saarland finden hinsichtlich der Betreuungsintensität<br />

in der Schule schlechtere Rahmenbedingungen vor, als ihre Alterskolleg/innen<br />

in den meisten anderen B<strong>und</strong>esländern.<br />

� Vor dem Hintergr<strong>und</strong> der schwachen Zahlen im Bereich der unterrichtlichen<br />

Rahmenbedingungen ist zudem auf ein problematisches Ergebnis<br />

saarländischer <strong>Bildung</strong>spolitik hinzuweisen, das damit durchaus<br />

zusammenhängen könnte: Im Rahmen der Berichterstattung „<strong>Bildung</strong><br />

in Deutschland“ sind u.a. die bei uns gegebenen überdurchschnittlich<br />

hohen Wiederholungsraten in den Schulstufen „Primarbereich“ <strong>und</strong><br />

„Sek<strong>und</strong>arbereich II – allgemeine <strong>Bildung</strong>“ augenfällig.<br />

1<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

Während sich das Saarland dieses ‚Phänomen’ im Sek<strong>und</strong>arbereich II mit<br />

Berlin <strong>und</strong> Bremen teilt, nähert sich die ungünstige Situation im Gr<strong>und</strong>schulbereich<br />

einem negativen „Alleinstellungsmerkmal“: Lediglich drei<br />

B<strong>und</strong>esländer (Bremen, Sachsen-Anhalt, Saarland) überschreiten hier die<br />

Quote von Prozent Klassenwiederholungen – <strong>und</strong> nur das Saarland hält<br />

laut <strong>Bildung</strong>sbericht mit der Marke von r<strong>und</strong> ,5 Prozentpunkten den „Rekord“<br />

(dagegen z.B. Berlin <strong>und</strong> Thüringen unter der 1-Prozent-Marke). Der<br />

Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass das Saarland – in etwa gleichauf<br />

mit Berlin <strong>und</strong> Bremen – im Sektor „Sek<strong>und</strong>arbereich I“ mit einer Wiederholerquote<br />

von etwa ,6 Prozent Rangplatz 9 im Ländervergleich einnimmt;<br />

deutlich besser positionieren sich hier z.B. Baden-Württemberg, Hamburg<br />

sowie Niedersachsen; schlechter fallen die Quoten unter anderem in Hessen,<br />

Mecklenburg-Vorpommern <strong>und</strong> Sachsen-Anhalt aus.<br />

Beurteilungskriterium Schulabschlüsse: Weniger verfehlte Hauptschulabschlüsse,<br />

Rückgang beim mittleren Abschluss, Zuwachs beim Abitur<br />

Die Anzahl der nach dem Verlassen der allgemein bildenden Schule verfehlten<br />

oder erreichten Schulabschlüsse lässt nicht zuletzt Rückschlüsse auf die<br />

aktuell gegebene Qualität <strong>des</strong> Schulsystems zu. Zunächst geht es dabei um<br />

den Erwerb oder das Verfehlen <strong>des</strong> heute als Min<strong>des</strong>tqualifikation betrachteten<br />

Hauptschulabschlusses: Dieser wird als Voraussetzung zum Eintritt in<br />

die berufliche Erstausbildung gesehen.<br />

Von Bedeutung sind hier nicht nur die im Saarland gegebenen Quoten,<br />

sondern zugleich auch der b<strong>und</strong>esweite Vergleich (siehe Tabelle „Schulentlassene<br />

mit/ohne Abschluss“). Demnach ergibt sich zum Schuljahresende<br />

004/05 folgen<strong>des</strong> Bild:<br />

� Verfehlter Hauptschulabschluss: Im Saarland ist in diesem Teilbereich<br />

mit einer prozentualen Quote von 8,4 gegenüber dem Vorjahresergebnis<br />

erneut eine leichte Verbesserung eingetreten ( 00 /04 = 8,9 % der<br />

Absolvent/innen ohne HSA). Zudem kann dabei positiv bewertet werden,<br />

dass der Rückgang dieser Quote nunmehr seit einer Reihe von Jahren<br />

anhält. Dies gilt umso mehr, als dieser Anteil in unserem B<strong>und</strong>esland<br />

über viele Jahre hinweg jeweils die 10-Prozent-Marke überschritten hat.<br />

Absolut betrachtet, bleiben die 004/05 gezählten 9 9 Schulabgänger<br />

ohne Hauptschulabschluss noch immer eine bedenkliche Zahl. Mit der<br />

aktuellen Quote von 8,4 Prozent nimmt das Saarland im B<strong>und</strong>esvergleich<br />

eine mittlere Position ein (Rang 7). Wesentlich ungünstiger stellt<br />

sich diese Zahl bei den „Schlusslichtern“ Hamburg (11,5 Prozent) <strong>und</strong><br />

Sachsen-Anhalt dar (11,8). Besser positionieren sich die Spitzenreiter Baden-Württemberg<br />

(6,7 <strong>und</strong> Rang 1) sowie Nordrhein-Westfalen (6,9).<br />

14


Tabelle 1<br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

Schulentlassene im Schuljahr 2004/2005 mit/ohne Abschluss 1<br />

15<br />

Land Insgesamt Ohne HS-Abschluss Mit HS-Abschluss Mit RS-Abschluss Mit FH-Reife Mit AH-Reife<br />

abs. vH<br />

abs. vH<br />

abs. vH abs. vH abs. vH<br />

Baden-Württemberg 1 5.045 8.419 6,7 40.406 , 49.5 0 9,6 86 0, 6.404 1,1<br />

Bayern 1 8.045 10.878 7,9 45.9 0 , 54.571 9,5 48 0,0 6.618 19,<br />

Berlin 7.848 .576 9,4 8.189 1,6 1 . 60 5, 0 0,0 1 .7 ,6<br />

Brandenburg 5. 5 . 97 9,6 6. 44 17,7 15. 4 4 ,4 49 0,1 10. 01 9,<br />

Bremen 7.891 690 8,7 1.64 0,8 .174 40, 1 1 1,6 . 54 8,6<br />

Hamburg 15. 88 1.771 11,5 .616 ,5 4.597 9,9 7 1,8 5.1 ,<br />

Hessen 64.65 5. 80 8, 16.650 5,8 5.8 9,9 1.14 1,8 15.758 4,4<br />

Mecklenburg-Vorpommern .807 .548 10,7 4. 17,8 11.008 46, 71 1,1 5.748 4,1<br />

Niedersachsen 9 .100 8. 45 9,1 18.69 0, 4 .181 46,9 1.757 1,9 0.1 4 1,8<br />

Nordrhein-Westfalen 1 .8 4 14.741 6,9 47.914 ,4 88.8 41,5 6.884 , 55.46 5,9<br />

Rheinland-Pfalz 46.69 .487 7,5 14.119 0, 17.7 6 8,0 516 1,1 10.8 4 ,<br />

Saarland 11.148 939 8,4 3.842 34,5 3.684 33,0 83 0,7 2.600 23,3<br />

Sachsen 5 . 7 4.8 0 9,1 6.9 1 ,0 7.561 51,8 0 0,0 1 .91 6,1<br />

Sachsen-Anhalt .684 .845 11,8 .947 9,0 17.017 5 ,1 57 1,8 8. 0 5,4<br />

Schleswig-Holstein 1.70 .098 9,8 11. 8 5,8 10. 90 ,5 96 1, 6.581 0,8<br />

Thüringen 9.105 . 08 7,9 5.0 7 17, 1 .061 44,9 0 0,0 8.709 9,9<br />

B<strong>und</strong>: 958.485 78.152 8,2 237.712 24,8 398.749 41,6 12.407 1,3 231.465 24,1<br />

1) Quelle: Statistisches B<strong>und</strong>esamt: „<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Kultur“, Fachserie 11, Reihe 1, „Allgemein bildende Schulen 005/06“, Wiesbaden, 11.10.06 (Korrektur: 07.0 .07)<br />

Abkürzungen:<br />

HS-Abschluss = Hauptschulabschluss<br />

RS-Abschluss = Realschul-Abschluss<br />

FH-Reife = Fachhochschul-Reife<br />

AH-Reife = Allgemeine Hochschulreife <strong>Arbeitskammer</strong><br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

Von Interesse dürfte dabei zudem sein, aus welchen Schulformen die 9 9<br />

Absolvent/innen kamen, die im Jahr 005 ohne Hauptschulabschluss geblieben<br />

sind: 46 (49 %) kamen aus einer der Förderschulen, 45 ( 7 %) aus<br />

den Erweiterten Realschulen, 109 (1 %) aus den Gesamtschulen; schwächer<br />

‚beteiligt’ waren die Gymnasien mit 1 (1 %) sowie die Freien Waldorfschulen<br />

(6 = 0,5 %).<br />

� Hauptschulabschluss: Im zugr<strong>und</strong>eliegenden Zeitraum erreichten r<strong>und</strong><br />

.840 der insgesamt 11.150 saarländischen Entlassschüler/innen den<br />

Hauptschulabschluss; prozentual bedeutet dies eine Quote von 4,5 – sie<br />

fällt demnach annähernd identisch zum Vorjahreswert aus. Ein höherer<br />

Anteil in diesem Teilbereich ist damit nur noch in Schleswig-Holstein<br />

( 5,8 Prozent) zu finden. Auf der anderen Seite der Skala liegen hier<br />

Sachsen (1 ,0 %) <strong>und</strong> Sachsen-Anhalt (9,0); aber auch einige der „Alt-<br />

Länder“ sind weit vom Saar-Wert entfernt (etwa Hessen mit 5,8 %).<br />

An dieser Stelle gilt es, eine differenzierte Betrachtung anzustellen: Im Blick<br />

auf die Quote „verfehlter Hauptschulabschluss“ ist es selbstverständlich für<br />

die beteiligten Schüler/innen – <strong>und</strong> zudem aus bildungspolitischer Perspektive<br />

– besser, den Hauptschulabschluss erreicht zu haben (was die dort ausgewiesene<br />

Quote natürlich erhöht), als diesen zu verfehlen. Andererseits gilt<br />

unter Hinweis auf die gestiegenen <strong>und</strong> noch weiter ansteigenden Forderungen<br />

gegenüber den anschließend zu erwerbenden beruflichen Qualifikationen:<br />

Ein zu hoher Anteil an Entlassschüler/innen mit Hauptschulabschluss<br />

verringert die prozentualen Werte in den Teilbereichen „mittlerer <strong>Bildung</strong>sabschluss“<br />

<strong>und</strong> „allgemeine Hochschulreife“. Gerade diese Abschlüsse – mit<br />

den sich anschließend ergebenden Perspektiven – werden jedoch in einer<br />

von Wettbewerb geprägten Welt immer wichtiger (Schlagworte/Slogans:<br />

Potenziale in den Köpfen mobilisieren). Demnach benötigt das Saarland als<br />

Wirtschaftsstandort weniger eine hohe Quote beim „Hauptschulabschluss“,<br />

sondern eher eine noch größere Anzahl ‚höherwertiger’ Schulabschlüsse.<br />

� Mittlerer <strong>Bildung</strong>sabschluss: Hier dokumentiert die Tabelle einen<br />

Prozentwert von ,0 – das bedeutet einen Punkt weniger als im Vorjahresergebnis.<br />

Das Saarland gelangt so lediglich auf Rangplatz 14 im<br />

Ländervergleich; nur noch ‚unterboten’ von Schleswig-Holstein ( ,5 %)<br />

<strong>und</strong> Hamburg ( 9,9 %). Dabei kann letztgenanntes B<strong>und</strong>esland allerdings<br />

zugleich eine deutlich höhere Abi-Quote nachweisen (dort b<strong>und</strong>esweit<br />

Rang ). Wesentlich bessere Quoten beim Kriterium ‚mittlerer <strong>Bildung</strong>sabschluss’<br />

schaffen dagegen etwa Sachsen-Anhalt (Platz 1 mit 5 ,1 %),<br />

Sachsen (51,8 %) – <strong>und</strong>, als Beispiel aus dem Reigen der alten „West-Länder“,<br />

Nordrhein-Westfalen (41,5 %). Demnach ergibt sich für das saarländische<br />

Schulsystem in dieser Sparte ein erheblicher Aufholbedarf; dies<br />

umso mehr, als die aktuelle Quote unter der <strong>des</strong> Vorjahreswertes liegt!<br />

16


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

� Allgemeine Hochschulreife: Mit einer „Abi-Quote“ von , % <strong>und</strong> damit<br />

Rangplatz 11 im Ländervergleich präsentiert sich das Saarland im<br />

B<strong>und</strong>esvergleich hier etwas vorteilhafter als beim mittleren <strong>Bildung</strong>sabschluss.<br />

Gegenüber dem Vorjahr bedeutet dieser Wert einen Zuwachs<br />

um 1,4 Prozentpunkte; das Saarland liegt nunmehr in etwa gleichauf<br />

mit seinem Nachbarland Rheinland-Pfalz ( , %) – beide allerdings in<br />

der schwächeren Hälfte der Rangskala. Wesentlich besser präsentieren<br />

sich Berlin ( ,6 %; Rang 1), Hamburg ( , %) <strong>und</strong> Thüringen ( 9,9 %).<br />

„Traditionell“ die geringsten Abiturienten-Quoten produzieren nach<br />

wie vor Baden-Württemberg ( 1,1 %) <strong>und</strong> Bayern (dieses belegt mit<br />

19, % den letzten Rangplatz).<br />

<strong>Bildung</strong>sbeteiligung <strong>und</strong> erwarteter Schülerrückgang machen<br />

Umstrukturierung unumgänglich<br />

Nicht nur im Hinblick auf die unterrichtlichen Rahmenbedingungen <strong>und</strong><br />

die erreichten Schulabschlüsse besteht nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

bildungspolitischer Handlungsbedarf: Auch vor dem Hintergr<strong>und</strong> sozialer<br />

Barrieren beim Zugang zu <strong>Bildung</strong>sangeboten sowie der rückläufigen Schülerzahlen<br />

kann die Devise nicht lauten „Weiter so!“.<br />

� Die von der <strong>Arbeitskammer</strong> 00 veröffentlichte Studie „<strong>Bildung</strong>sbeteiligung<br />

im Saarland“ konnte die bei uns bestehende Chancenungleichheit<br />

unter anderem anhand der Fragestellung „Prognosewahrscheinlichkeit<br />

zum Besuch der gymnasialen Oberstufe“ unmissverständlich belegen.<br />

Wie die etwa zeitgleich erschienene PISA-Studie zur Problemstellung<br />

„soziale Herkunft <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>schancen“ dokumentierte, existiert diese<br />

Herausforderung nicht nur im Saarland, sondern in unterschiedlicher<br />

Ausprägung in allen B<strong>und</strong>esländern.<br />

� Sehr verkürzt lassen sich die Ergebnisse der <strong>Arbeitskammer</strong>-Studie im<br />

Blick auf die <strong>Bildung</strong>schancen saarländischer Kinder/Jugendlicher so zusammenfassen:<br />

Lautet Dein familiärer Hintergr<strong>und</strong> „Oberschicht“, liegt<br />

Deine Heimatgemeinde im mittel verdichteten Raum <strong>und</strong> sind Deine<br />

Eltern mehr als dreißig Jahre älter, dann wirst Du mit an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlichkeit später die gymnasiale Oberstufe mit der Abschlusserwartung<br />

„Abitur“ besuchen. Wohnst Du jedoch im verdichteten<br />

Raum, sind Deine Eltern noch recht jung <strong>und</strong> zählen zur „Unterschicht“<br />

(Neudeutsch: Prekariat), dann nähert sich die Prognose der ‚Botschaft‘:<br />

„Gymnasiale Oberstufe? Vergiss es!“ (siehe dazu auch das Kapitel 4. .4<br />

im Schwerpunktthema).<br />

17<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

Die zweite, sich schon länger abzeichnende <strong>und</strong> nunmehr stärker wirksam<br />

werdende Problemstellung ist der infolge demografischer Entwicklung<br />

eingetretene, sich weiter zuspitzende Rückgang der Schülerschaft: Was im<br />

Gr<strong>und</strong>schulbereich schon deutlich sichtbar ist, kommt in den nächsten Jahren<br />

auf die weiterführenden Schulen zu.<br />

Mit dieser nunmehr unausweichlichen Entwicklung hat sich die <strong>Arbeitskammer</strong><br />

ausführlich im Bericht an die Lan<strong>des</strong>regierung 005 beschäftigt.<br />

Ausgehend von der (zurückhaltend formulierten) Annahme eines Schülerrückganges<br />

um 15 Prozent bis 010 bzw. 5 Prozent bis 0 0 wurde dort<br />

eine Liste „potenziell gefährdeter Schulstandorte“ im Bereich der Klassenstufen<br />

5 bis 10 veröffentlicht.<br />

� Diese Auflistung enthielt für den Zeitpunkt 010 r<strong>und</strong> zwei Dutzend<br />

Schulen, die bei Beibehaltung der Vorgaben im Schulordnungsgesetz<br />

(Dreizügigkeit zur Gewährleistung <strong>des</strong> regulären Schulbetriebes) von<br />

Schließung bedroht sind; ergänzt durch weitere zwölf Standorte, die bis<br />

0 0 ein ähnliches Schicksal ereilen könnte.<br />

� Die besondere Problematik war <strong>und</strong> ist darin zu sehen, dass somit bis<br />

zum Jahr 0 0 zusammen 19 Gemeinden (von insgesamt 5 ) im Saarland<br />

ihr singuläres weiterführen<strong>des</strong> Schulangebot verlieren könnten.<br />

� Entgegen dann schnell aufkommenden Unterstellungen, die <strong>Arbeitskammer</strong><br />

ziele (gerade nach den sich langsam glättenden Wogen der<br />

Erregung über die Schulstrukturmaßnahmen im Gr<strong>und</strong>schulbereich)<br />

auf eine erneute Verunsicherung von Elternschaft <strong>und</strong> Lehrerkollegien<br />

ab, bestand der wahre Anspruch dieser „Liste“ darin, die in absehbarer<br />

Zeit unausweichlich werdende Diskussion um eine veränderte Struktur<br />

im Sektor der weiterführenden Schulen frühzeitig anzustoßen. Zielsetzungen<br />

waren dabei unter anderem: Rechtzeitige Einleitung tragfähiger<br />

<strong>und</strong> nachhaltiger Planungen; Vermeidung sich anhäufenden<br />

Problempotenzials, das dann irgendwann einer „irgendwie“ gearteten<br />

Lösung zugeführt wird. Die entsprechenden Empfehlungen der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

zielten insbesondere auf strukturelle Veränderungen der Schullandschaft<br />

sowie auf neue Differenzierungsformen an den Erweiterten<br />

Realschulen. 4<br />

Erklärte damals schon beim ersten Aufkeimen dieser Diskussion die Spitze<br />

<strong>des</strong> betroffenen Fachressorts (<strong>Bildung</strong>sminister Schreier <strong>und</strong> Staatssekretärin<br />

Dr. Reichrath), die von der <strong>Arbeitskammer</strong> angesprochene Problematik<br />

werde mittels der „<strong>Bildung</strong> kleinerer Klassen“ abgewendet <strong>und</strong> bedürfe<br />

ansonsten keiner bildungspolitischen Würdigung, so sprechen zwischenzeitlich<br />

einige Anzeichen dafür, dass man auch seitens der Lan<strong>des</strong>regierung<br />

18


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

nunmehr erkannt hat: Der Lösungsansatz kann so simpel nicht sein – nicht<br />

zuletzt auch aus finanziellen Erwägungen heraus. Erste Anzeichen, die für<br />

diese Annahme sprechen, sind unter anderem erkennbar in der Einrichtung<br />

berufsorientierter Oberstufen (Verbesserung <strong>des</strong> speziellen <strong>Bildung</strong>sangebotes;<br />

Stabilisierung der Nachfrage) <strong>und</strong> der Erprobung veränderter Differenzierungsansätze<br />

(im Rahmen geplanter Schulversuche zur Erweiterung<br />

der Schulautonomie).<br />

Saar-Schulsystem mit erkennbaren Schwächen – <strong>und</strong> zu wenig genutzten<br />

Stärken<br />

Einmal von den oben skizzierten Schwachstellen im saarländischen Schulsystem<br />

abgesehen (unterrichtliche Rahmenbedingungen, zu wenig ‚höherwertige‘<br />

Abschlüsse...) stellt sich die Ausgangssituation für erfolgreich zu<br />

implementierende Reformen im Saarland nicht ungünstig dar, ja in einzelnen<br />

substanziellen Fragen sogar besser als in einigen anderen B<strong>und</strong>esländern.<br />

� Dazu zählt in erster Linie die derzeit gegebene Schulstruktur. Im Gefolge<br />

<strong>des</strong> Schulkompromisses im Landtag <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong> <strong>und</strong> der daraus resultierenden<br />

Gründung der Erweiterten Realschule existiert im Saarland<br />

heute keine spezielle Problematik der sonst oft noch eigenständigen<br />

Schulform Hauptschule. Dies dokumentiert zum Beispiel auch der 006<br />

erschienene <strong>Bildung</strong>sbericht zur Thematik „Übergänge im Schulwesen“:<br />

Dabei kann das Saarland, hier gefolgt von Rheinland-Pfalz, als einziges<br />

der „alten West-Länder“ einen überwiegenden Anteil von Schüler/innen<br />

aufzeigen, die nach der Gr<strong>und</strong>schule eine „Schule mit mehreren<br />

<strong>Bildung</strong>sgängen“ (bei uns die ERS) besuchen. Ebenso bleibt die Übergangsquote<br />

in die Gesamtschule beachtlich. Von allen „West-Ländern“<br />

unterscheidet sich das Saarland mittels der verschwindend geringen<br />

Übergänge in eine Hauptschule (als eigenständige Schulform). Diese<br />

Werte liegen in den meisten der ‚alten’ Flächenländer noch bei oder<br />

über 5 % (Spitzendwerte hier in Bayern, Baden-Württemberg <strong>und</strong><br />

Schleswig-Holstein). 5<br />

Allerdings zeigt die intensivere Auseinandersetzung mit den derzeitigen<br />

(strukturellen) Gegebenheiten im Saar-Schulsystem, dass ein Teil dieser<br />

in anderen B<strong>und</strong>esländern offen zutage tretenden Problematik „Hauptschule“<br />

zu den Problemfeldern innerhalb der Erweiterten Realschule zu<br />

zählen ist: Dort werden die Schüler/innen nach Klassenstufe sieben in zwei<br />

„Zweigen“ weitergehend getrennt voneinander unterrichtet („hauptschulabschlussbezogen“<br />

sowie „auf den mittleren <strong>Bildung</strong>sabschluss bezogen“).<br />

Damit kommt es auch hier – zwar in deutlich abgeschwächter Form – zu unterschiedlichen<br />

Selbsteinschätzungen, Fragen der Leistungsmotivation, zu<br />

19<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

Misserfolgs-Orientierungen, zu Abgrenzungen innerhalb der Schülerschaft<br />

<strong>und</strong> zum Fernbleiben vom Unterricht.<br />

Bemerkenswert bleibt dabei auch zehn Jahre nach Einrichtung dieser neuen<br />

Schulform, dass sich die Verteilung der Schüler/innen auf (hier verkürzt<br />

formuliert) „Hauptschulzweig“ <strong>und</strong> „Realschulzweig“ von Standort zu<br />

Standort sehr unterschiedlich darstellen kann. Dazu als stellvertreten<strong>des</strong><br />

Beispiel: Basierend auf einer Summierung der jeweiligen Schülerzahlen in<br />

den beiden abschlussbezogenen <strong>Bildung</strong>sgängen (Klassenstufen 7, 8, 9) befanden<br />

sich zum Schuljahr 00 /04 im Landkreis Neunkirchen 54 Prozent der<br />

Schülerschaft im „Hauptschulzweig“ <strong>und</strong> 46 Prozent im „Realschulzweig“.<br />

Im Landkreis Merzig-Wadern dreht sich die Gewichtung um (49 Prozent<br />

HSA, 51 Prozent RSA).<br />

� Noch gravierender fallen diese Unterschiede von Schulstandort zu Schulstandort<br />

aus. So etwa unterscheiden sich die Schulstandorte „Friedrichsthal“<br />

<strong>und</strong> „Kleinblittersdorf“ (beide Stadtverband Saarbrücken im<br />

Schuljahr 006/07) erheblich voneinander. Während Friedrichsthal 71<br />

Prozent seiner Siebtklässler im ‚hauptschulabschlussbezogenen <strong>Bildung</strong>sgang’<br />

führt, sind es in Kleinblittersdorf nur 8 Prozent. Entsprechend<br />

die Ergänzung auf die 100-Prozent-Marke durch die Werte für den ‚auf<br />

den mittleren <strong>Bildung</strong>sabschluss bezogenen <strong>Bildung</strong>sgang’: Lediglich 9<br />

Prozent in Friedrichsthal, 6 Prozent demgegenüber in Kleinblittersdorf.<br />

Die Zahlenwerte für die übrigen Klassenstufen signalisieren den gleichen<br />

Trend: An der Erweiterten Realschule in Friedrichtstahl werden<br />

prozentual deutlich mehr Kinder auf den Hauptschulabschluss vorbereitet<br />

(in Klasse 9 = 58 Prozent); während in Kleinblittersdorf tendenziell<br />

eine erheblich höhere Quote in Richtung „mittlerer <strong>Bildung</strong>sabschluss“<br />

unterrichtet wird (65 Prozent).<br />

Die Frage nach den möglichen Ursachen für diese Unterschiede kann an dieser<br />

Stelle nicht hinreichend beantwortet werden; dazu wären umfassendere<br />

Datenerhebungen <strong>und</strong> Untersuchungen erforderlich.<br />

� Zunächst einmal darf angesichts der b<strong>und</strong>esweit hinteren Rangplätze<br />

bei Klassenfrequenzen <strong>und</strong> Schüler-Lehrer-Relation von einer eher<br />

knapp bemessenen Personalkapazität an den Erweiterten Realschulen<br />

ausgegangen werden; dies könnte die intensivere Förderung einer größeren<br />

Anzahl von Schüler/innen einschränken bzw. ganz verhindern:<br />

Dementsprechend gelangen dann mehr Kinder/Jugendliche in den<br />

„hauptschulabschlussbezogenen“ <strong>Bildung</strong>sgang. Möglicherweise (oder<br />

auch zudem) kommen die gegebenen Differenzierungsmöglichkeiten<br />

bzw. die damit zusammenhängende Leistungsbeurteilung von Schule<br />

zu Schule unterschiedlich zur Anwendung (offensiv/defensiv/restriktiv).<br />

0


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

� Sicher nicht zu Unrecht darf zudem vermutet werden, dass die jeweilige<br />

lokale bzw. regionale Konkurrenzsituation zu umliegenden anderen<br />

Schulformen/Standorten ebenso eine Rolle spielt wie die jeweilige „Ursprungsschulform“,<br />

aus der die Erweiterte Realschule hervorgegangen<br />

ist (ehemaliger Hauptschul- oder Realschulstandort)<br />

Für eine intensivere Analyse dieser <strong>und</strong> anderer Fragen spricht auch ein<br />

erster Überblick zur Relation „Schüler/innen zu Bevölkerung“ im Bereich<br />

der weiterführenden Schulformen. Hier wird anhand der speziellen Frage<br />

nach den zu erwartenden Abschlüssen (mittlerer <strong>Bildung</strong>sabschluss)<br />

deutlich, dass sich die einzelnen regionalen Einheiten – Stadtverband <strong>und</strong><br />

Landkreise – deutlich voneinander unterscheiden. So bietet die Übersicht<br />

„Gymnasial- & Gesamtschulbesuch; ergänzt durch ‚Orientierung mittlerer<br />

Abschluss’“ einen ersten Einblick in diese Fragestellung; auch wenn hier<br />

diverse methodische Fragen noch zu präzisieren wären („Schüleraustausch“<br />

zwischen Stadtverband/Landkreisen bzw. bei diesen untereinander; Besuch<br />

einer Schule im Nachbarland Rheinland-Pfalz).<br />

Empfehlungen der <strong>Arbeitskammer</strong>: offensive, expandierende<br />

<strong>Bildung</strong>spolitik mit nachhaltigen Schritten in ihrer Umsetzung<br />

Nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong> besteht im Saarland nach wie vor ein<br />

immenser bildungspolitischer Handlungsbedarf, der insbesondere durch die<br />

Konsequenzen aus der demographischen Entwicklung zusätzliche Dringlichkeit<br />

erhält. Entsprechende Initiativen müssen vor allem darauf gerichtet<br />

sein, die persönlichen (<strong>Bildung</strong>s-)Chancen der Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen<br />

zu verbessern – <strong>und</strong> zugleich muss der Beitrag von <strong>Bildung</strong>/<strong>Qualifizierung</strong><br />

im Blick auf die Themen „langfristige Sicherung <strong>des</strong> Wirtschaftsstandortes<br />

Saar“ sowie „politische Eigenständigkeit als B<strong>und</strong>esland“ weit stärker in<br />

den Mittelpunkt der Betrachtung rücken.<br />

Im Zentrum dieser im Interesse der Zukunftsfähigkeit <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> dringend<br />

angeratenen bildungspolitischen Offensive müssen – basierend auf langjährigen<br />

Erfahrungen <strong>und</strong> aktuellen Bef<strong>und</strong>en – aus Sicht der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

stehen:<br />

� Die Weiterentwicklung <strong>des</strong> derzeit bestehenden Schulsystems auch im<br />

Saarland hin zu einer „Schule für alle“ – also einer in sich integriert <strong>und</strong><br />

differenziert arbeitenden Organisationsform – bis min<strong>des</strong>tens zum Ende<br />

der Klassenstufe 10; mit sich anschließender oder standortübergreifend<br />

eingerichteter Oberstufe (in Abhängigkeit von den jeweiligen Schülerzahlen<br />

<strong>und</strong> den regionalen Gegebenheiten);<br />

1<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

„Gymnasial- & Gesamtschulbesuch & Orientierung mittlerer Abschluss<br />

an Erweiterten Realschulen“ in Relation zur Bevölkerungszahl;<br />

Sek<strong>und</strong>arstufe 1<br />

(Datenmaterial: Schuljahr 05/06; Bevölkerung: Stand Dezember 005) 1<br />

STADTVERBAND SAARBRÜCKEN<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

6. 10 (= GYM) 41.940 1 : 54 6<br />

9. 00 (+ ERSn = .994) 1 : 7 6<br />

1 .9 0 (+ IGSn = .6 ) 1 : 6 5 a<br />

LANDKREIS SAARLOUIS<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

4.900 (= GYM) 10. 40 1 : 4<br />

7.6 0 (+ ERSn = .7 0) 1 : 8 1<br />

9.170 (+ IGSn = 1.546) 1 : a<br />

LANDKREIS MERZIG-WADERN<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

. 0 (= GYM) 106. 80 1 : 48<br />

.190 (+ ERSn = 975) 1 : a<br />

4.600 (+ IGSn = 1.415) 1 : b<br />

LANDKREIS ST. WENDEL<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

1.790 (= GYM) 94.090 1 : 5 5<br />

.750 (+ ERSn = 96 ) 1 : 4 5<br />

4. 10 (+ IGSn = 1.458) 1 : 1<br />

LANDKREIS NEUNKIRCHEN<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

.860 (= GYM) 14 .640 1 : 50 4<br />

4. 60 (+ ERSn = 1.505) 1 : b<br />

5.450 (+ IGSn = 1.090) 1 : 6 5 b<br />

SAARPFALZ-KREIS<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

.680 (= GYM) 154.000 1 : 4 1<br />

5.1 0 (+ ERSn = 1.451) 1 : 0<br />

6.440 (+ IGSn = 1. 11) 1 : 4 4<br />

SAARLAND<br />

Schüler/innen Bevölkerungszahl Relation Rang<br />

1.760 (= GYM) 1.050. 90 1 : 48 -<br />

. 70 (+ ERSn = 10.607) 1 : -<br />

4 .810 (+ IGSn = 10.44 ) 1 : 4 -<br />

1 Summe der Schüler/innen an ERSn in den Klassenstufen 7, 8, 9, 10; jeweils mit „abschlussbezogener<br />

Orientierung mittlerer <strong>Bildung</strong>sabschluss“<br />

* Zahlen bis auf 10er-Stellen auf-/abger<strong>und</strong>et<br />

Erläuterung: Ausgehend von den Schülerzahlen an den Gymnasien (GYM) wird zuerst die so<br />

gegebene Relation zur Bevölkerungszahl ermittelt <strong>und</strong> der damit erreichte Rangplatz (jeweils<br />

erste Zeile der Zahlenangaben). Dann werden in Zeile zwei die Erweiterten Realschulen (ERSn)<br />

hinzuaddiert; wobei sich so die Relation <strong>und</strong> eventuell auch der Rangplatz ändert. In Zeile drei<br />

kommen die Schüler/innen aus den Integrierten Gesamtschulen (IGSn) dazu <strong>und</strong> so eine erneut<br />

veränderte Relation „Schülerschaft/Bevölkerungszahl“ sowie die „endgültige“ Platzierung im regionalen<br />

Vergleich. Dabei fällt auf, dass insbesondere in den weniger dicht besiedelten Landkreisen<br />

die ERSn <strong>und</strong> die IGSn entscheidend zu einer Verbesserung der <strong>Bildung</strong>sversorgung beitragen<br />

(vgl. etwa LK St. Wendel, der mit einem isolierten Gymnasialangebot lediglich Rang 5 erreichen<br />

könnte, mit ERSn <strong>und</strong> vor allem IGSn als ‚Gesamtpaket‘ aber Rang 1 belegt!).


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

� Dieses hat mit entsprechender Personalisierung als dezidierte (also nicht<br />

„nebenher“) Aufgabenstellung die Verbesserung der <strong>Bildung</strong>schancen<br />

von Kindern/Jugendlichen aus sozial schwächeren Bevölkerungsschichten,<br />

aus unvollständigen Elterhäusern sowie aus Familien mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong>. Auch gilt die weitestgehend mögliche Integration/Inklusion<br />

von Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf<br />

als Aufgabe der Regelschule;<br />

� Den schrittweise zu realisierenden Ausbau hin zur „echten“ Ganztagsschule<br />

(mit Vor-/Nachmittagsunterricht; Mittagsfreizeit…); gleichzeitig<br />

sind auch – wie in vielen europäischen Nachbarländern schon praktiziert<br />

– die „Unterstützungssysteme“ von Schule auszubauen (Schulsozialarbeit,<br />

Schulpsychologischer Dienst, Ges<strong>und</strong>heitsdienst…);<br />

� Im Rahmen dieser „Ausbauoffensive“ für die allgemeinbildenden Schulen<br />

sind die zeitlich „vorgelagerten“ oder „nachrangigen“ <strong>Bildung</strong>sbereiche<br />

(Vorschulische Erziehung, berufliche <strong>Qualifizierung</strong>) mit in die<br />

inhaltlich-konzeptionellen Überlegungen einzubeziehen.<br />

Schließlich sollte die geographische Lage <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong>, verb<strong>und</strong>en mit<br />

dem Gedanken <strong>des</strong> weiteren (in Würdigung <strong>des</strong> europäischen ‚Vordenkers’<br />

Jean Monnet: kulturellen) Zusammenwachsens Europas die ihr gebührende<br />

Berücksichtigung beim „Umbau <strong>des</strong> Saar-Schulsystems“ erhalten.<br />

� In diesem Zusammenhang bedarf die Einrichtung <strong>des</strong> Deutsch-Luxemburgischen<br />

Schengen-Lyzeums in Perl besonderer Erwähnung, da sich hier<br />

in unmittelbarer Nähe zum Ort <strong>des</strong> Grenzen öffnenden „Schengener<br />

Abkommens“ vom Schuljahr 007/08 an neue grenzüberschreitende <strong>Bildung</strong>sangebote<br />

für Schüler/innen im ‚Länderdreieck’ eröffnen. Zugleich<br />

wird damit beispielhaft dokumentiert, wie über die Erweiterung von <strong>Bildung</strong>schancen<br />

vordem infolge Schülerrückganges weniger nachgefragte<br />

Schulstandorte in ihrer Existenz gesichert werden können. Dies bestätigt<br />

auch die große Nachfrage nach diesem neuen Schulangebot. Abgesehen<br />

von dieser bildungspolitischen Würdigung darf die <strong>Arbeitskammer</strong><br />

hier auch ihrer Freude darüber Ausdruck geben, dass damit eine ihrer<br />

früheren Empfehlungen an die Lan<strong>des</strong>regierung in einem ersten großen<br />

Schritt realisiert werden konnte (Anregung aus dem <strong>Arbeitskammer</strong>-<br />

Bericht 000 „Saar-Lor-Lux aus Arbeitnehmersicht“: Gemeinsame Schule<br />

für Schüler/innen aus Frankreich, Luxemburg <strong>und</strong> Saarland). 6<br />

Zur Realisierung der oben skizzierten bildungspolitischen Gr<strong>und</strong>sätze müssen<br />

darauf orientierte, nachhaltig wirksame Maßnahmen eingeleitet <strong>und</strong><br />

durchgehalten werden, denen tatsächlich das Testat „bildungspolitische<br />

Initiative“ zu verleihen ist. Dazu zählen unter anderem:<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

� Im Primarbereich: Eine Evaluierung der im Gr<strong>und</strong>schulsektor realisierten<br />

Strukturmaßnahmen; in erster Linie hinsichtlich der zu ihrer ‚Legitimation‘<br />

angekündigten <strong>und</strong> bisher eingeführten Qualitätsverbesserungen.<br />

Hier darf man zunächst weitgehend der Einschätzung <strong>des</strong> saarländischen<br />

<strong>Bildung</strong>sministers Jürgen Schreier zustimmen: „Eine möglichst frühe <strong>und</strong><br />

gezielte Förderung aller Kinder in der Gr<strong>und</strong>schule ist die beste Voraussetzung<br />

für eine gelingende Schullaufbahn“. 7<br />

Derzeit sind für alle Schüler/innen in den beiden ersten Klassen täglich eine<br />

Förderst<strong>und</strong>e sowie für die beiden folgenden Klassenstufen wöchentlich<br />

zwei St<strong>und</strong>en vorgesehen. Die dazu nunmehr vorliegenden ‚Handreichungen‘<br />

führen zum zugr<strong>und</strong>eliegenden Förderkonzept aus, dass „der<br />

ausgeweitete Förderunterricht ... allen Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern zugute<br />

kommen“ soll, „also sowohl den leistungsschwächeren als auch den leistungsstärkeren<br />

Kindern.“ Bei den langsamer lernenden Kindern orientiert<br />

er sich laut Konzept „nicht einseitig an ihren Schwächen, sondern ausdrücklich<br />

auch an ihren Stärken“. Zur praktischen Gestaltung dieses konzeptionellen<br />

Ansatzes liegt die Priorität auf innerer Differenzierung im Klassenverband;<br />

alternativ dazu erscheint „in vielen Fällen“ auch eine äußere Differenzierung<br />

sinnvoll (d.h. temporäre klassen- oder klassenstufenübergreifende<br />

Lerngruppen). Als eine f<strong>und</strong>amentale Vorraussetzung gilt dabei „die<br />

Intensivierung der kollegialen Zusammenarbeit aller Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer“.<br />

Eine durchaus interessante konzeptionelle Komponente liegt somit im Ansatz,<br />

den Förderunterricht im Rahmen von Teamarbeit zu gestalten <strong>und</strong><br />

zu praktizieren. Zugleich offenbart sich hier jedoch auch die „Achillesferse“<br />

<strong>des</strong> gesamten Konzeptes – denn wie die Lehrerteams ihre Arbeit im<br />

Detail organisieren, „liegt in der Verantwortung der Schulen selbst“. 8 Da<br />

die Richtlinien einen großen Gestaltungsspielraum lassen, besteht neben<br />

der begrüßenswerten „Eigenverantwortung“ auch die Gefahr <strong>des</strong> „laissezfaire“.<br />

Nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong> liegt die Verantwortung für die<br />

„Methodenwahl“ nunmehr bei der einzelnen Schule; die übergeordnete<br />

Frage nach der „Qualitätssicherung“ jedoch nach wie vor beim <strong>Bildung</strong>sministerium.<br />

� Die jeweilige standortspezifische Handhabung der Förderempfehlungen<br />

sollte mit zu den „Evaluationsaufgaben“ der Schulinspektoren/innen<br />

zählen. Bislang ‚melden’ sich die einzelnen Schulen freiwillig zur Inspektion;<br />

was die auch sonst hinreichend bekannte Gefahr der „turk<br />

exercices“ mit einschließt. Auf mittlere Sicht sollten hier also besser<br />

unangekündigte „Blindproben“ erfolgen; dies vermittelt einen objektiveren<br />

<strong>und</strong> ungeschönten Einblick in die Praxis. Auch die Frage der<br />

Rückmeldung entsprechender Erkenntnisse an die Elternschaft sollte<br />

4


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

nochmals überprüft werden – derzeit existiert zwar eine Information<br />

an die Elternvertretung „vor Ort“, allerdings fehlt diese gegenwärtig<br />

noch „zusammenfassend“ auf Lan<strong>des</strong>ebene.<br />

� Im Sek<strong>und</strong>arbereich I <strong>und</strong> II: Die saarländische <strong>Bildung</strong>spolitik benötigt<br />

zur verbesserten Analyse der Situation in einzelnen Schulformen sowie<br />

zur Sicherung <strong>des</strong> regionalen <strong>Bildung</strong>sangebotes eine erneute Intensivierung<br />

der Schulentwicklungsplanung. Gelegentlich entsteht gegenwärtig<br />

der Eindruck, dass bestimmte Fragen in diesem Handlungsfeld<br />

statistisch nicht erfasst <strong>und</strong> interpretiert werden – oder aber, dass möglicherweise<br />

zwar spezifische Daten zu schulentwicklungsplanerischen<br />

Detailfragen vorliegen könnten, diese allerdings nur in den Schubladen<br />

<strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>sministers. Angesichts der immensen Herausforderungen<br />

braucht das Saarland aber eine öffentlich geführte Debatte über seine<br />

Schulstrukturen <strong>und</strong> derzeitigen <strong>Qualifizierung</strong>smöglichkeiten. Dazu<br />

müssen zunächst insbesondere Land, Gemeinden <strong>und</strong> Gebietskörperschaften<br />

an einen Tisch, ergänzt durch die Elternvertretungen.<br />

� Nach zehnjährigem Bestehen sind im Bereich der Erweiterten Realschule<br />

Veränderungen notwendig. Vor dem Hintergr<strong>und</strong> weiterhin rückläufiger<br />

Schülerzahlen muss nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong> ein modifiziertes<br />

Differenzierungsmodell praktiziert werden: Die nach Klassenstufe<br />

sechs einsetzende <strong>und</strong> pädagogisch nur schwer begründbare getrennte<br />

Unterrichtung (fachübergreifende Differenzierung) der Schülerschaft<br />

in zwei abschlussbezogenen Zweigen wird an etlichen Standorten<br />

dieser Schulform zusätzlich durch die organisatorischen Schwierigkeiten<br />

<strong>und</strong> finanziellen Mehraufwendungen in Frage gestellt, die mit einer<br />

kleiner werdender Schülerschaft aufkommen. Deshalb sollte Differenzierung<br />

künftig auf wenige Kernfächer begrenzt <strong>und</strong> dort nach dem<br />

Muster der fachleistungsspezifischen Differenzierung erfolgen.<br />

� Zum Ausbau der regional gegebenen <strong>Qualifizierung</strong>smöglichkeiten<br />

sowie zur „Aufwertung“ der Erweiterten Realschule ist – ähnlich wie<br />

an den Gesamtschulen – die Einrichtung von Oberstufen notwendig<br />

<strong>und</strong> sinnvoll. Der erste wichtige Schritt wurde dazu zwischenzeitlich in<br />

Neunkirchen getan, wo ab 008 eine gymnasiale Oberstufe eingerichtet<br />

wird – mit den Schwerpunkten „Wirtschaft“ sowie „Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

Soziales“. In diesem Zusammenhang sollte vor dem Hintergr<strong>und</strong> lan<strong>des</strong>weiter<br />

Bemühungen in dieser Richtung darüber nachgedacht werden,<br />

ob eine „thematische Schwerpunktsetzung“ unabdingbar ist – <strong>und</strong> wie<br />

diese am jeweiligen Schulstandort gestaltet werden könnte.<br />

� <strong>Bildung</strong>spolitische Zielvorgaben („Ausschöpfung der vorhandenen Begabungsreserven“,<br />

„<strong>Bildung</strong>sexpansion“), Argumente der Schulentwick-<br />

5<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

lungsplanung sowie die anhaltend starke Nachfrage nach Gesamtschulplätzen<br />

im Saarland machen einen weiteren Ausbau dieser Schulform<br />

erforderlich. Dabei erscheint – neben der bereits beschlossenen Einrichtung<br />

einer dritten Gesamtschule in Saarbrücken – die Gründung einer<br />

weiteren Gesamtschule (bzw. Umwandlung einer Erweiterten Realschule)<br />

in den Landkreisen <strong>und</strong> im Stadtverband Saarbrücken zunächst als<br />

quantitativ „untere Zielmarke“.<br />

� Die Auswahl dafür geeigneter Standorte macht eine Intensivierung der<br />

Schulentwicklungsplanung notwendig (siehe oben). Es muss besonders<br />

darauf geachtet werden, dass neu zu gründende bzw. ‚umgewidmete’<br />

Schulstandorte nicht in unmittelbare Konkurrenz zu bereits in der Nachbarschaft<br />

bestehenden (identischen) Schulen bzw. Schulformen führen<br />

(unter diesen Gesichtspunkten bietet sich z.B. im Landkreis Neunkirchen<br />

die Gemeinde Eppelborn als zusätzlicher Gesamtschulstandort an).<br />

� Diese neu einzurichtenden Schulstandorte wie auch das veränderte<br />

Differenzierungsmodell an den Erweiterten Realschulen machten eine<br />

entsprechende Weiterbildung der Lehrer/innen erforderlich.<br />

� Zur nachhaltigen Verbesserung der <strong>Bildung</strong>schancen besteht auch im<br />

Saarland ein unübersehbarer Bedarf an „echten“ Ganztagsschulplätzen<br />

(mit Aufteilung <strong>des</strong> regulären Unterrichts auf den Vor- <strong>und</strong> Nachmittag).<br />

Diesem Bedarf ist durch die sukzessive Umgestaltung <strong>des</strong> derzeit bestehenden<br />

bunten Flickenteppichs „freiwillige Ganztagsschule“ (mit z.T.<br />

stark unterschiedlicher Gestaltung <strong>des</strong> Nachmittagsbereiches) Rechnung<br />

zu tragen. Auch in diesem Bereich ist eine vorausschauende Schulentwicklungsplanung<br />

gefordert.<br />

� Für eine zeitlich spätere Realisierung der bislang für 010 geplanten<br />

Neugestaltung der gymnasialen Oberstufe haben sich – neben der Gewerkschaft<br />

Erziehung <strong>und</strong> Wissenschaft – auch die Vertreter/innen der<br />

Elternschaft eingesetzt. Von dieser Seite kam zugleich das Signal, man<br />

erwarte ein deutliches Entgegenkommen in noch anstehenden Detailfragen,<br />

falls eine Verschiebung der Oberstufenreform nicht in Betracht<br />

komme.<br />

Dieses Entgegenkommen besteht nun offensichtlich in einer Kürzung der<br />

Lehrpläne – womöglich ergänzt durch eine temporäre, gezielte Förderung<br />

der betreffenden Schüler/innen. Auch nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

sprechen die nach wie vor nicht überzeugenden Vorgänge anlässlich der<br />

Gr<strong>und</strong>schulstrukturmaßnahmen dafür (etwa die anfangs nicht vorhandenen<br />

<strong>und</strong> dann hastig erhobenen Daten zum Schulraum), dass nunmehr<br />

im Falle der Oberstufenreform „Genauigkeit vor Schnelligkeit“ gehen sollte<br />

6


4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

– einmal abgesehen davon, dass hier erneute Zweifel an der „Planungsgründlichkeit“<br />

zur damaligen G8-Initiative aufkommen müssen. In diesem<br />

Zusammenhang sind auch die bislang angestellten Überlegungen zum gemeinsamen<br />

Abi-Jahrgang 009 (letzter „G 9“ <strong>und</strong> erster „G 8“) von Interesse,<br />

die baldmöglichst einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht<br />

werden müssen (vor allem im Blick auf die sich anschließenden <strong>Qualifizierung</strong>smöglichkeiten).<br />

� Eine in jüngerer Zeit stärker aufkommende <strong>und</strong> sich tendenziell womöglich<br />

noch weiter verschärfende Frage für die Schulen ergibt sich als<br />

Konsequenz aus der angestiegenen Zahl der Fälle „verarmter“ Kinder<br />

<strong>und</strong> Jugendlicher. Mit der größer gewordenen Anzahl von Kindern in<br />

Familien bzw. bei Alleinerziehenden in „prekären“ Lebensverhältnissen<br />

sind eine steigende Zahl von Schüler/innen von bestimmten schulischen<br />

Veranstaltungen praktisch ausgeschlossen (bis vor kurzem sogar vom<br />

Mittagessen in der Schule) – falls nicht alternative Finanzierungsmöglichkeiten<br />

gef<strong>und</strong>en werden. Diese sollten so ausgerichtet sein, dass die<br />

Zuwendungen direkt an die Schule fließen, die sie unmittelbar an die<br />

betroffenen Schüler/innen weiterleiten kann (z.B. auch bei der Beantragung<br />

von ‚Lernmittelfreiheit’).<br />

� Vor diesem Hintergr<strong>und</strong>, selbstverständlich aber auch als gr<strong>und</strong>sätzliches<br />

Angebot zur Beratung, Hilfe <strong>und</strong> Konfliktbewältigung, müssen<br />

die jetzt existierenden Einrichtungen der Schulsozialarbeit in ihrer Existenz<br />

gesichert werden. Für die weitere Zukunft sollte diese bewährte<br />

– <strong>und</strong> gerade in jüngerer Vergangenheit mit einem größeren Stellenwert<br />

versehene – Zusammenarbeit von Jugendhilfe <strong>und</strong> Schule weiter<br />

ausgebaut werden.<br />

1 Vgl.: HypoVereinsbank-Studie „Fit für die Zukunft? Die B<strong>und</strong>esländer im Vergleich“; April 007<br />

(heruntergeladen aus dem Internet). Siehe insbesondere die Seiten 6, 5, 9.<br />

Vgl.: Konsortium <strong>Bildung</strong>sberichterstattung (Hrsg.): „<strong>Bildung</strong> in Deutschland“; Bielefeld 006,<br />

S. 54 f.<br />

Die dazu erhältlichen Zahlen erscheinen jeweils mit einer Verzögerung von etwa einem Jahr<br />

gegenüber den jeweils veröffentlichten aktuellen Lan<strong>des</strong>zahlen.<br />

4 Vgl.: Bericht der <strong>Arbeitskammer</strong> an die Regierung <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong> 005; S. 1 ff.<br />

5 Vgl.: „<strong>Bildung</strong> in Deutschland“, S. 48 f.<br />

6 Vgl.: Bericht der <strong>Arbeitskammer</strong> an die Regierung <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong> 000; S. 44 ff. (die Empfehlung<br />

war mit dem Wunsch nach Einbeziehung <strong>des</strong> französischen Staates bzw. der Region<br />

Lothringen zwar weitergehend; davon abgesehen darf die jetzt realisierte Lösung durchaus als<br />

richtung- <strong>und</strong> zukunftweisender Schritt gesehen werden – weitergehende können ja durchaus<br />

noch später erfolgen). Mit insgesamt 0 Schüler/innen <strong>und</strong> ohne durchgängige Zweizügigkeit<br />

(!) zählte die Erweiterte Realschule Perl als „Ursprungsschule“ zu den massiv gefährdeten<br />

Schulstandorten im Saarland. Am 6. März 007 hat der Kreistag <strong>des</strong> Landkreises Merzig-<br />

Wadern (Schulträger auf Saar-Seite) den Start der neuen Schule mit fünf (!) Parallelklassen<br />

beschlossen – somit konnten alle dort angemeldeten Schüler/innen aufgenommen werden.<br />

7 Vorwort zu „Fördern in der Gr<strong>und</strong>schule – Handreichungen für die Praxis“. Zu ergänzen wäre<br />

ein Hinweis auf die vorhergehende <strong>und</strong> die Schulzeit weiter begleitende Haltung <strong>des</strong> Elternhauses<br />

zu <strong>Bildung</strong>sfragen – <strong>und</strong> damit auch zum Einfluss der vorschulischen Erziehung.<br />

7<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.1 Allgemeinbildende Schulen<br />

8 Dies bedeutet nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong> bildungspolitisch: Es kann derzeit noch<br />

keine Zwischenbilanz gezogen werden, da die Handreichungen erst wenige Monate alt sind.<br />

Demnach besteht Ende <strong>des</strong> Schuljahres 006/07 erstmals die Gelegenheit, eine erste – vorläufige<br />

– Bestandsaufnahme zu formulieren. Voraussichtlich erst zum Schuljahresende 007/08<br />

liegen wohl hinreichende Erfahrungen aus der Praxis vor, um ein erstes Fazit dahingehend zu<br />

ziehen, ob <strong>und</strong> in welcher Weise die neuen Förderrichtlinien umgesetzt werden – <strong>und</strong> inwieweit<br />

sie positiv wirken konnten. Ersten Eindrücken nach ist es bisher noch überwiegend an<br />

der Tagesordnung, die tägliche ‚Förderst<strong>und</strong>e’ in den ersten beiden Schuljahren einfach als<br />

zusätzliche Unterrichtsst<strong>und</strong>e zu betrachten – also ohne spezielle Binnendifferenzierung (was<br />

bei den gegebenen Klassengrößen häufig auch schwierig sein dürfte) oder die Zusammenstellung<br />

spezieller Lerngruppen. Zudem kommt die in den Handreichungen nicht hinreichend<br />

beachtete, in der Praxis jedoch häufiger vorkommende Situation, dass Klassen infolge <strong>des</strong><br />

kurzfristigen Ausfalls von Lehrkräften (Krankheit) einfach aufgeteilt <strong>und</strong> den Parallelklassen<br />

zugeordnet werden (<strong>und</strong> dies auch während der Förderst<strong>und</strong>en, so dass dort im ungünstigsten<br />

Fall mehr als 5 Schüler/innen sitzen). Ein regulärer Unterricht oder gar Förderung sind dann<br />

selbstverständlich nicht möglich.<br />

8


4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche:<br />

Schulische Integration erfolgreich –<br />

berufliche problematisch<br />

Im Vorjahresbericht hat die <strong>Arbeitskammer</strong> das Thema „20 Jahre integrativer<br />

Unterricht im Saarland“ ausführlicher behandelt – <strong>und</strong> damit ihre kontinuierliche<br />

Berichterstattung dazu fortgesetzt. Im Rahmen dieser wurde<br />

auf die konzeptionellen Gr<strong>und</strong>lagen, die in den Förderschwerpunkten<br />

gegebenen Schülerzahlen sowie auf die erkennbar schwankende „Wertschätzung“<br />

gegenüber der Integration seitens der <strong>Bildung</strong>sverwaltung hingewiesen.<br />

Gleichzeitig mussten auch kritische Hinweise auf die nach <strong>und</strong><br />

nach erfolgende Reduzierung <strong>des</strong> Einsatzes von Sonderpädagog/innen in<br />

den einzelnen Integrationsmaßnahmen gegeben werden.<br />

„Wie alles angefangen hat <strong>und</strong> weitergehen soll“: Ausgangssituation, Beweggründe,<br />

pädagogische Überlegungen <strong>und</strong> die ersten Schritte in die<br />

Praxis waren Gegenstand der Erinnerung im Rahmen einer Veranstaltung<br />

„ 0 Jahre gemeinsamer Unterricht“ im November 006. Auf Einladung von<br />

<strong>Arbeitskammer</strong>, Gewerkschaft Erziehung <strong>und</strong> Wissenschaft sowie <strong>des</strong> Vereines<br />

„miteinander leben lernen (mll)“ konnten dort Eltern, Schüler/innen<br />

<strong>und</strong> Lehrer/innen frühere <strong>und</strong> aktuelle, positive <strong>und</strong> negative Erfahrungen<br />

mit integrativem Unterricht bzw. dem administrativen Umgang damit austauschen.<br />

Gesetzlich verankerte Rechte behinderter Menschen in Gesellschaft <strong>und</strong><br />

Schule stärker beachten<br />

Neben seiner Kritik an der zu frühen Selektion nach der Gr<strong>und</strong>schule sowie<br />

der damit verb<strong>und</strong>enen Benachteiligung für Kinder aus einkommensschwachen<br />

Familien <strong>und</strong> Migrantenfamilien sah sich der Beauftragte der<br />

Vereinten Nationen für Menschenrechtsfragen im Jahr 006 veranlasst,<br />

auch auf die Vielzahl der Spezialschulen für behinderte Kinder/Jugendliche<br />

in Deutschland hinzuweisen. Diese in Deutschland anstelle der möglichen<br />

(<strong>und</strong> in den meisten anderen Ländern auch praktizierten) Integration in<br />

Regelschulen überwiegend vorzufindende Unterrichtung von Kindern/Jugendlichen<br />

mit Behinderungen müsse, so Vernor Muñoz, unter Menschenrechtsgesichtspunkten<br />

kritisch hinterfragt werden. 1<br />

Für diese Auffassung spricht nicht nur aus Sicht der <strong>Arbeitskammer</strong> einiges<br />

– <strong>und</strong> durchaus Bedeutsames: Chancengleichheit hinsichtlich der individuellen<br />

Integration in Gesellschaft <strong>und</strong> Schule zählt zu den Gr<strong>und</strong>rechten unserer<br />

demokratischen Verfassung <strong>und</strong> ist Bestandteil der weltweiten „Charta<br />

der Menschenrechte“.<br />

9<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

Nicht zuletzt Artikel <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>gesetzes („Alle Menschen sind vor dem<br />

Gesetz gleich“) enthält ein Gr<strong>und</strong>recht, das die Schaffung <strong>und</strong>/oder Handhabung<br />

ungleicher gesetzlicher Regelungen oder Verwaltungsvorschriften<br />

nur in ganz besonderen Fällen legitimiert („Wenn besondere Verhältnisse<br />

sie erfordern <strong>und</strong> das Gewicht der für die Abweichung sprechenden Gründe<br />

der Intensität der getroffenen Ausnahmeregelungen entspricht“).<br />

Auf diese Einschätzung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtes <strong>und</strong> die in jüngerer<br />

Zeit gestärkten Rechte behinderter Menschen (<strong>und</strong> damit auch von Kindern<br />

<strong>und</strong> Jugendlichen) konnte der frühere <strong>Bildung</strong>sminister <strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong>, Prof.<br />

Dr. Diether Breitenbach, im Verlauf der o.g. Veranstaltung hinweisen. Seiner<br />

Einschätzung nach bedeuten diese Rechtsprechung <strong>und</strong> -interpretation<br />

„gr<strong>und</strong>sätzlich, dass der Staat verpflichtet ist, auch behinderten Menschen<br />

in Schule <strong>und</strong> Gesellschaft die gleichen Zugangschancen zu geben, wie allen<br />

anderen Menschen. Behinderte haben ein Gr<strong>und</strong>recht auf Integration. Nur<br />

wenn ‚besondere Verhältnisse dies erfordern‘, kann bzw. muss der Staat<br />

Sonderregelungen treffen, die allerdings eine hinlängliche Kompensation<br />

der Rechtsbeschränkung gewährleisten müssen.“<br />

� In diesem Zusammenhang existiert im Blick auf die Frage, ob behinderte<br />

Schüler/innen nach Artikel Gr<strong>und</strong>gesetz einen Anspruch auf Beschulung<br />

in der allgemeinbildenden Schule haben, eine umfangreich<br />

gewordene Rechtsprechung. So kommt ein Rechtsgutachten abschließend<br />

zu dem Ergebnis, „dass sich in Deutschland ein rechtspolitischer<br />

Paradigmenwechsel zugunsten <strong>des</strong> Rechtsanspruchs von Schülern mit<br />

Behinderungen auf Aufnahme in die allgemeine Schule vollzogen hat.“<br />

Hingewiesen wird allerdings auch auf die noch bestehenden Vorbehalte<br />

hinsichtlich der organisatorischen, personellen <strong>und</strong> sächlichen Integrationsmöglichkeiten<br />

sowie eventuelle Zusatzkosten.<br />

� Insgesamt ist zu erwarten, dass die wissenschaftliche Forschung in diesem<br />

Bereich einen noch höheren Stellenwert gewinnt, da eine Auflage <strong>des</strong><br />

B<strong>und</strong>esverfassungsgerichtes existiert, wonach „die Entscheidung über<br />

die ‚Beschulung in Sonderschulen gegen den Willen der Betroffenen‘<br />

von ‚Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen <strong>und</strong> prognostischen<br />

Einschätzungen‘ abhängig zu machen“ ist.<br />

Zu diesen Wertungen <strong>und</strong>/oder wissenschaftlichen Erkenntnissen, die eine<br />

vom gr<strong>und</strong>gesetzlich garantierten Gleichheitsanspruch (integrative Unterrichtung<br />

behinderter Kinder gemeinsam mit anderen Schüler/innen in<br />

Regelschulen) abweichende Bestimmung rechtfertigen, könnte folgende<br />

– dann allerdings auch Nachprüfungen standhaltende – Annahme zählen:<br />

Sondereinrichtungen bieten für diese Gruppe von Kindern/Jugendlichen<br />

die adäquateren <strong>Bildung</strong>smöglichkeiten <strong>und</strong> bieten somit auch bessere<br />

0


4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

Integrationschancen der schulisch so Betreuten in die sich anschließende<br />

Berufswelt <strong>und</strong> damit auch in die Gesellschaft.<br />

Dazu der frühere <strong>Bildung</strong>sminister: „Gäbe es diese Vorteile, wären sie in der<br />

Tat ein hinreichender Gr<strong>und</strong> für eine Abweichung vom allgemeinen Gleichheitssatz<br />

<strong>und</strong> für eine getrennte Unterrichtung von Behinderten in Sonderschulen.<br />

Allerdings lässt die mehr als 0-jährige, umfangreiche Forschung<br />

über Vor- <strong>und</strong> Nachteile der gemeinsamen oder getrennten Unterrichtung<br />

von Behinderten <strong>und</strong> Nichtbehinderten keine derartigen Vorteile erkennen,<br />

sondern liefert vielmehr starke Gründe für eine integrative Erziehung.“<br />

� Neben bereits früher veröffentlichten Studien mit ähnlichen Aussagen,<br />

liefern gerade in dieser Hinsicht recht aktuelle Erkenntnisse neue Argumente<br />

für den gemeinsamen Unterricht. So etwa geht Prof. Dr. Hans<br />

Wocken in einer jüngeren Untersuchung der Frage nach, inwieweit das<br />

heute häufiger vorfindbare Selbstverständnis von Sonder- oder Förderschulen<br />

(Stichwort: „Optimale Förderung“) mit den in der Realität vorfindbaren,<br />

wissenschaftlich nachprüfbaren Gegebenheiten übereinstimmen:<br />

– So etwa müsste die höhere Quote von Schüler/innen in den Förderschulen<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> Brandenburg ( ,9 Prozent) bei gleichzeitig weniger<br />

Migrantenkindern unter wissenschaftlich-statistischen Aspekten gegenüber<br />

der Situation in Hamburg ( ,7 Prozent) zu unterschiedlichen<br />

Ergebnissen hinsichtlich Rechtschreibleistungen <strong>und</strong> Intelligenz führen<br />

(beide Kriterien wurden dabei auch mit den dazu vorliegenden<br />

Bef<strong>und</strong>en aus Regelschulen verglichen). Entgegen dieser Annahme<br />

erzielten die Brandenburger Förderschüler/innen jedoch keine signifikant<br />

abweichenden Ergebnisse im Vergleich mit ihren Alterskollegen<br />

in Hamburg.<br />

– Die Frage nach Chancengleichheit in Abhängigkeit von der sozialen<br />

Herkunft der Kinder bringt bei Einbeziehung unterschiedlicher Aspekte<br />

(u.a. Anzahl der Bücher im Elternhaus, Dauer <strong>des</strong> täglichen<br />

Fernsehkonsums…) klare Zusammenhänge zutage: Entgegen der in<br />

den Länderverfassungen <strong>und</strong>/oder Schulgesetzen der B<strong>und</strong>esländer<br />

enthaltenen Zielsetzung, wonach für alle Kinder unabhängig von der<br />

sozialen Herkunft der Zugang zu allen Schulformen gleichermaßen<br />

offen stehen soll, zeigen sich gravierende Unterschiede: So zählen<br />

Familien von Förderschülern überproportional oft zu den einkommensschwächeren<br />

bis armen Bevölkerungsschichten; die Kinder mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> sowie generell das männliche Geschlecht sind<br />

überrepräsentiert (letzteres gemäß dem Slogan „brave Mädchen gehen<br />

zum Gymnasium, böse Jungs in die Sonderschule“).<br />

1<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

Eine unzulässige Fehlinterpretation der Zusammenfassung dieser Ergebnisse<br />

(etwa: Förderschule ist die Schule der Armen, der Kinderreichen, der<br />

Arbeitslosen) ist darin zu sehen, dass der Eindruck entstand, als hätten Gesellschaft<br />

oder Staat die Förderschulen eigens als „Ghetto“ für die oben<br />

skizzierten Bevölkerungsgruppen zur Beschulung ihrer Kinder eingerichtet.<br />

Von daher muss auch an dieser Stelle noch einmal nachdrücklich darauf<br />

hingewiesen werden, dass es bei der Auflistung <strong>und</strong> Bewertung wissenschaftlich<br />

gewonnener Ergebnisse nicht um die Diskriminierung oder Geringschätzung<br />

der Schulform „Förderschule“, der dort betreuten Kinder,<br />

deren Eltern oder der dort unterrichtenden Lehrer/innen gehen kann.<br />

Davon unabhänig bleibt bei Würdigung der wissenschaftlich gewonnenen<br />

Ergebnisse die Einschätzung, dass integrative Unterrichtung in der Regelschule<br />

für die Mehrzahl der Kinder die bessere Alternative darstellt.<br />

Sektor Allgemeinbildung: Zahlenmäßiger Aufwärtstrend hält an; bekannte<br />

Problemstellungen bleiben<br />

Im Blick auf die Integrationspraxis sind im Vergleich zum Vorjahr keine<br />

gravierenden Veränderungen eingetreten; die erkennbaren Schwankungen<br />

liegen im zu erwartenden Bereich. Dies gilt einerseits für die weitere zahlenmäßige<br />

Aufwärtsentwicklung der Integrationsmaßnahmen, deren Verteilung<br />

auf die einzelnen Schulformen <strong>und</strong> die einzelnen Förderschwerpunkte<br />

(siehe dazu Tabelle „Integrationsmaßnahmen im Saarland 199 bis<br />

006“).<br />

� Im Schuljahr 006/07 besuchen demnach 1.4 9 Schüler/innen mit unterschiedlichem<br />

sonderpädagogischen Förderbedarf Integrationsmaßnahmen<br />

in den Regelschulen (je nach „Zählweise“ können die derzeit<br />

8 Kinder in integrativen Sprachfördermaßnahmen in Abzug gebracht<br />

werden, dann bleiben 1. 57). Prozentual hat sich somit eine Zunahme<br />

von r<strong>und</strong> 4 Punkten gegenüber dem Vorjahresergebnis eingestellt.<br />

� Regional betrachtet, ist eine breit gestreute Entwicklung mit folgenden<br />

‚Extremwerten‘ feststellbar: Während beim Landkreis Saarlouis in diesem<br />

Jahr Stagnation herrscht ( 10 Integrationsmaßnahmen), kann in St.<br />

Wendel ein Zuwachs festgestellt werden (14 Maßnahmen). Im Hinblick<br />

auf die beteiligten Schulformen führt die Gr<strong>und</strong>schule (695 Nennungen)<br />

noch immer die Liste an, gefolgt von der Erweiterten Realschule ( 98),<br />

der Gesamtschule ( 1) <strong>und</strong> dem Gymnasium (dort ist mit mittlerweile<br />

Schüler/innen eine Zunahme um r<strong>und</strong> 16 Prozent eingetreten). Auch<br />

an den Berufsbildungszentren ist eine Steigerung von 5 auf 1 Maßnahmen<br />

feststellbar.


Tabelle 1 Integrationsmaßnahmen im Saarland 1993 bis 2006 1<br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

nach Regionen nach Schulformen<br />

Jahr SB MZG NK SLS SP WND Summe GS HS (E)RS GYM IGS BBZ SO<br />

199 157 60 8 174 (+11 ) 47 40 416/387 5 7 1 0*) 4 59 1<br />

1994 17 55 46 17 (+11 ) 45 4 433/395 76 1 8*) 0 87 1 9<br />

1995 10 84 55 194 (+11 ) 56 46 545/509 70 106 1 8*) 1 1 4<br />

1996 40 109 71 115 (+11 ) 6 50 648/607 10 117 160*) 151 5<br />

1997 86 150 79 1 6 (+11 ) 69 65 785/743 9 111 194*) 4 177<br />

1998 77 175 88 118 (+11 ) 77 64 799/767 8 8 1 5*) 7 186<br />

1999 04 160 144 1 0 (+11 ) 76 69 883/850 40 54 11*) 8 04 1<br />

000 7 17 159 144 (+11 ) 9 78 973/935 484 1 58*) 9 00 0 1<br />

001 80 155 147 154 (+11 ) 10 87 1026/983 494 8 87*) 14 0 0<br />

00 4 6 170 164 187 (+11 ) 11 110 1170/1119 551 7 5*) 16 70 0 1<br />

00 455 176 184 197 (+11 ) 14 1 1287/1226 599 7 47*) 19 1 0<br />

004 457 166 155 11 (+174) 141 1 6 1330/1261 6 8 5 50*) 0 1 4 0<br />

005 451 165 146 11 (+119) 159 1 0 1381/1310 671 - 58*) 19 8 5 0<br />

006 486 171 15 10 (+11 ) 166 14 1439/1357 695 - 89*) 1 1 0<br />

1 In den für 001 aufgelisteten 10 6 Integrationsmaßnahmen ist ein Anteil von 4 Schüler/innen in integrativen Sprachförderungen (Gr<strong>und</strong>schulen) enthalten. Diese in den Vorjahresangaben nicht berücksichtigten<br />

Fälle subtrahiert, bleibt eine Zahl von 98 Schüler/innen in Integrationsmaßnahmen. Nur dieser Wert ist mit den Vorjahresergebnissen vergleichbar. Die Zahl der Schüler/innen in den erwähnten<br />

Sprachförderklassen belief sich 199 auf 9 (1994= 8; 1995= 6; 1996=41; 1997=4 ; 1998= ; 1999= ; 000= 8; 001=4 ; 00 :=51; 00 =61; 004=69; 005=71; <strong>und</strong> 006=8 ). Zur zahlenmäßigen Ermittlung<br />

der Integrationsmaßnahmen im engeren Sinne sind davon wiederum jeweils die unter der Rubrik „SO“ geführten Zahlen zu subtrahieren, da es sich hier um eine nicht näher bestimmbare Kooperation<br />

zwischen Sonder- <strong>und</strong> Regelschule handelt.<br />

Zahlen in Klammern bei Angaben zu SLS: 74, 119 bzw.11 Schüler/innen in Sonderpädagogischen Förderzentren Lebach (Sehen+Hören).<br />

1993: Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 8 „Realschule“<br />

1994: Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 5 „Realschule“<br />

1995: Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 5 „Realschule“<br />

1996: 56 Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 4 „Realschule“<br />

1997: 58 Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, „Realschule“, 4 Nennungen i.d. Schulf. „Erweiterte Realschule“<br />

1998: 41 Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 1 „Regelschule“, 9 „Erweiterte Realschule“<br />

1999: Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 1 „Realschule“, 188 Nennungen „Erweiterte Realschule“<br />

2000: 10 Nennungen „Sek<strong>und</strong>arschule“, 1 „Realschule, 47 „Erweiterte Realschule“.<br />

2001: 1 Nennung „Sek<strong>und</strong>arschule, 0 „Realschule“, 87 „Erweiterte Realschule“.<br />

2002: 1 Nennung „Sek<strong>und</strong>arschule“, 1 „Realschule“, „Erweiterte Realschule“<br />

2003: 1 Nennung „Sek<strong>und</strong>arschule“, 1 „Realschule“, 45 „Erweiterte Realschule“<br />

2004: 1 Nennung „Realschule, 49 „Erweiterte Realschule“<br />

ab 2005: „Realschule“ <strong>und</strong> „Hauptschule“ ausgelaufen<br />

Abkürzungen:<br />

SB = Stadtverband Saarbrücken<br />

MZG = Kreis Merzig-Wadern<br />

NK = Kreis Neunkirchen<br />

SLS = Kreis Saarlouis<br />

SP = Saarpfalz Kreis<br />

WND = Kreis St. Wendel<br />

GS = Gr<strong>und</strong>schule<br />

HS = Hauptschule<br />

(E)RS = (Erweiterte) Realschule<br />

GYM = Gymnasium<br />

IGS = Gesamtschule<br />

BBZ = Berufsbildungszentrum<br />

SO = Kooperation Sonderschule/Regelschule<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

� Bei der Aufschlüsselung der Maßnahmen nach Förderschwerpunkten<br />

liegt „Lernen“ vorne (7 Integrationsmaßnahmen), den zweiten Rang<br />

nimmt „Sprache“ ( 06; r<strong>und</strong> 15 % mehr als im Vorjahr) <strong>und</strong> den dritten<br />

„Emotionale/soziale Entwicklung“ (14 ; plus 1,4 %) ein. Dann folgen<br />

„Körperliche/motorische Entwicklung“ sowie „Hören“ mit 11 bzw. 100<br />

Fällen. Weniger stark repräsentiert sind die Schwerpunkte „Sehen“ mit<br />

40 (plus 8 %) <strong>und</strong> „Geistige Entwicklung“ mit 4 (minus 11 %).<br />

Von Interesse ist schließlich auch das zahlenmäßige Verhältnis der Kinder/<br />

Jugendlichen in Integrationsmaßnahen an Regelschulen (1.4 9) zur Anzahl<br />

der in Sondereinrichtungen betreuten ( .895); was 5. 4 Schüler/innen mit<br />

sonderpädagogischem Förderbedarf im Saarland bedeutet. Demnach lauten<br />

die jeweiligen Anteile: 7 Prozent in Integrationsmaßnahmen, 7 Prozent<br />

in Sondereinrichtungen; d.h. die schon längere erkennbare Steigerung<br />

der Quote „integrative Unterrichtung“ hat sich erneut leicht fortgesetzt.<br />

Dieser positiven Entwicklung gegenüber stehen die schon lange bekannten<br />

Problemstellungen. Diese wurden in den Vorjahresberichten bereits mehrfach<br />

beschrieben; es genügt <strong>des</strong>halb, sie an dieser Stelle noch einmal stichwortartig<br />

aufzulisten:<br />

� unbefriedigende personelle Ausstattung der Integrationsmaßnahmen<br />

mit sonderpädagogischer Förderung; hier sind die anfangs höheren Zeitanteile<br />

im Laufe der Jahre spürbar zurückgegangen;<br />

� die seitens der <strong>Bildung</strong>sadministration zur Verfügung gestellten Informationen<br />

für die Elternschaft lassen nach wie vor einen Trend hin zur<br />

„sonderschulischen Betreuung“ erkennen; die Hinweise auf Möglichkeiten<br />

<strong>des</strong> integrativen Unterrichts treten dagegen zurück;<br />

� Eltern mit dem Wunsch auf integrative Unterrichtung ihres Kin<strong>des</strong> in der<br />

Regelschule müssen sich noch immer einem „Antragsverfahren“ unterziehen,<br />

wogegen die Einschulung in eine Sondereinrichtung ohne dieses<br />

erfolgt – es liegt demnach eine administrativ verursachte Ungleichbehandlung<br />

der Alternativen vor;<br />

� die Befürworter/innen der Integration haben von daher nach wie vor<br />

den Eindruck, dass der gemeinsame Unterricht seitens der <strong>Bildung</strong>sadministration<br />

zwar „akzeptiert“ wird, dass aber andererseits die Beschulung<br />

in Sonderschulen als Weg zur Betreuung behinderter Kinder/Jugendlicher<br />

eher favorisiert wird.<br />

4


4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

5<br />

Integrationsmaßnahmen nach Förderschwerpunkten 1<br />

Behinderungen/Jahr 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006<br />

Geistige Entwicklung 8 (1) 4 (1) 8 ( ) 7 (1) 7 7 7 4<br />

Körperliche<br />

Entwicklung<br />

9 88 97 10 114 1 1 115 11<br />

Lernen 490 546 560 651 70 709 7 8 7<br />

Hören 67 64 66 88 88 94 96 100<br />

Sehen 11 14 19 6 8 7 40<br />

Sprache 68 96 10 1 1 15 161 180 06<br />

Emotionale/soziale<br />

Entwicklung<br />

94 10 111 107 115 1 1 117 14<br />

Summe: 850 935 983 1.119 1.226 1.261 1.310 1.357<br />

1 Ohne Berücksichtigung von Schüler/innen in integrativen Sprachförderklassen.<br />

Die in Klammern aufgeführten Zahlen geben den Anteil der in Kooperation Sonderschule/Regelschule laufenden<br />

Maßnahmen an. Diese Kinder besuchen eine Sonderschule, die in einem nicht näher definierten Ausmaß<br />

mit einer Regelschule kooperiert.<br />

Berufliche <strong>Qualifizierung</strong> <strong>und</strong> Integration in den Arbeitsmarkt fördern<br />

Auf eine Verbesserung der derzeit vorzufindenden Situation ist nach Auffassung<br />

der <strong>Arbeitskammer</strong> auch im Blick auf das Handlungsfeld „Übergang<br />

Schule/Beschäftigung“ hinzuwirken. Denn nach dem insgesamt erfolgreich<br />

verlaufenen Reformschritt „gemeinsame Unterrichtung in Regelschulen“<br />

steht die Integration behinderter Jugendlicher im Sektor der sich anschließenden<br />

beruflichen <strong>Qualifizierung</strong> <strong>und</strong> auf dem Arbeitsmarkt noch weitgehend<br />

aus.<br />

Wie die Übersicht „Integrationsmaßnahmen“ dokumentiert, setzen derzeit<br />

lediglich 10 Jugendliche mit Behinderungen ihre Schullaufbahn nach der<br />

allgemeinbildenden Phase an einem Berufsbildungszentrum fort. Dies ist<br />

in Relation zu den gleichzeitig aus den allgemeinbildenden Schulen Entlassenen<br />

noch immer ein verschwindend geringer Anteil.<br />

Problematisch auch die Situation im Hinblick auf die sich anschließenden<br />

Beschäftigungsmöglichkeiten. Ohne hier präzise Zahlen anführen zu können,<br />

wechselt die Mehrheit der Schüler/innen mit sonderpädagogischem<br />

Förderbedarf nach Abschluss ihrer – an Regel- bzw. Sonderschule absolvierten<br />

– Allgemeinbildung in eine Werkstatt für behinderte Menschen<br />

(WfbM).<br />

In den im Saarland eingerichteten WfbM arbeiten derzeit r<strong>und</strong> .100 Menschen;<br />

im dortigen Berufsbildungsbereich werden Jugendliche über zwei<br />

Jahre hinweg qualifiziert.<br />

� An dieser Stelle soll die Legitimation dieser Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

in unserem B<strong>und</strong>esland keineswegs in Abrede gestellt werden<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

– zumal die WfbM angesichts fehlender Alternativen eine Notwendigkeit<br />

darstellen. Andererseits ist aber auch die Frage zulässig, warum so<br />

wenig behinderte Jugendliche den Weg in den regulären Arbeitsmarkt<br />

finden bzw. von diesem aufgenommen werden.<br />

Andere B<strong>und</strong>esländer machen es dem Saarland vor<br />

Anlass zu unvoreingenommenen Überlegungen müssen hier die in einigen<br />

anderen B<strong>und</strong>esländern zwischenzeitlich speziell geschaffenen Angebote<br />

geben, die Jugendliche mit Behinderung beim Übergang auf den allgemeinen<br />

Arbeitsmarkt unterstützen. Dies wurde deutlich im Rahmen einer<br />

Gesprächsr<strong>und</strong>e über integrative berufliche <strong>Qualifizierung</strong>, zu der <strong>Arbeitskammer</strong>,<br />

Gewerkschaft Erziehung <strong>und</strong> Wissenschaft sowie der Verein „miteinander<br />

leben lernen (mll)“ im April 007 eingeladen hatten.<br />

Fachleute aus Erlangen, Frankfurt, Hamburg <strong>und</strong> Heidelberg stellten dort<br />

Möglichkeiten vor, wie auch Jugendliche mit schwerwiegender Behinderung<br />

ihren Platz in Betrieben/Einrichtungen <strong>des</strong> allgemeinen Arbeitsmarktes<br />

finden können. Die gesetzliche Gr<strong>und</strong>lage dafür ist im Sozialgesetzbuch IX<br />

geschaffen worden.<br />

Einig waren sich die Teilnehmer/innen der Gesprächsr<strong>und</strong>e darin, dass zur<br />

erfolgversprechenden beruflichen Integration folgende Bereiche als wichtige<br />

Handlungsfelder eingerichtet bzw. mit größerem Nachdruck funktionsfähig<br />

gemacht werden müssen:<br />

1. Die Vorbereitung auf die berufliche Integration muss in der Schule beginnen;<br />

. Die jungen Menschen müssen insgesamt intensiv auf ihre berufliche Tätigkeit<br />

vorbereitet/qualifiziert werden.<br />

. Die erforderliche Unterstützung muss nach individuellem Bedarf im Rahmen<br />

von „Job-Coaching“ erfolgen.<br />

Zum erstgenannten Punkt konnte Eleonore Frölich vom „Staatlichen Institut<br />

für Lehrerfortbildung <strong>und</strong> Didaktik“(Heidelberg) Modelle vorstellen, welche<br />

die Schulen in Baden-Württemberg beim Übergang der Schüler/innen<br />

in den Beruf praktizieren. Im Gegensatz zur Mehrzahl der saarländischen<br />

sehen eine Vielzahl der dortigen Sonderschulen ihre Aufgabe darin, möglichst<br />

viele ihrer Schulabgänger/innen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu<br />

vermitteln.<br />

6


4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

Dies gelingt, weil sie ihren Schwerpunkt in den letzten drei Schuljahren auf<br />

eine intensive Berufswegeplanung legen. Schule ist dann auch nicht mehr<br />

der alleinige Ort, an dem sich die Schüler/innen aufhalten: Sie absolvieren<br />

mehrere Praktika in Betrieben; teilweise bzw. temporär sind auch gesamte<br />

Klassen in Berufsbildungszentren ausgelagert, um praktisches Arbeiten zu<br />

ermöglichen.<br />

Zum zweiten Handlungsfeld bietet z.B. „ACCES“ in Erlangen als Einrichtung<br />

der „Integrationsbegleitung (Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben<br />

gGmbH)“ regional mit sieben WfbM ein betriebliches Arbeitstraining<br />

für Menschen mit Lernschwierigkeiten <strong>und</strong>/oder Mehrfachbehinderungen<br />

an. In gleichzeitiger Kooperation mit der Arbeitsagentur zählen diese <strong>Qualifizierung</strong>smaßnahmen<br />

zu den berufsvorbereitenden Initiativen – unter<br />

Beachtung der Reihenfolge: „Erst platzieren, dann qualifizieren“. 4<br />

Über die Inanspruchnahme dieser Hilfen arbeiten Menschen mit Behinderungen<br />

beispielsweise als Verkaufshilfen im Café, Bäckerei-Produktionshelfer,<br />

IT-Assistent in der Medizintechnik, Lagerhelfer, Laborhilfe, Küchenhilfe<br />

in verschiedenen Produktions- <strong>und</strong> Dienstleistungsbereichen (vom Naturkostbetrieb,<br />

der Metallverarbeitung, dem Elektrohandel <strong>und</strong> dem Bauhof<br />

bis zu Einzelhandel <strong>und</strong> Verwaltung).<br />

� Mit bislang mehr als 80 Absolvent/innen der Schrittfolge „erst platzieren<br />

– dann qualifizieren“ konnten über 50 Arbeitsverhältnisse in Betrieben<br />

begründet <strong>und</strong> fortgesetzt werden.<br />

Das Resümee der praktischen Erfahrungen von ACCES lautet nach Überzeugung<br />

von Andrea Seeger also: „Menschen mit Behinderung können<br />

effiziente <strong>und</strong> wertschöpfende Arbeitskräfte auf dem freien Arbeitsmarkt<br />

sein.“<br />

Schließlich teilte Jörg Bungart von der „B<strong>und</strong>esarbeitsgemeinschaft unterstützende<br />

Beschäftigung“ (Hamburg) die Einschätzung der übrigen Fachleute,<br />

dass es ihrem Eindruck nach gemeinsam unterrichteten Jugendlichen<br />

mit sonderpädagogischem Förderbedarf leichter fällt, sich auf reguläre<br />

Beschäftigungsverhältnisse mit ihren Problemen <strong>und</strong> Herausforderungen<br />

einzustellen. Vor allem die in integrativer Beschulung mit nichtbehinderten<br />

Mitschüler/innen erworbenen sozialen Schlüsselkompetenzen (zu denen<br />

auch das „Aushalten“ gelegentlicher Kritik am Verhalten der eigenen<br />

Person gehört) trage zu diesem Startvorteil bei den Bemühungen um Eingliederung<br />

in den freien Arbeitsmarkt bei.<br />

7<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

Empfehlungen der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

Nach 0 Jahren insgesamt erfolgreich verlaufenem integrativen Unterricht<br />

sollte die Lan<strong>des</strong>regierung diesem Reformschritt mehr Beachtung schenken<br />

<strong>und</strong> seine weitere Entwicklung stärker fördern; der bislang entstandene<br />

Eindruck, allenfalls ein gewisses Maß von „Duldung“ aufzubringen,<br />

erscheint den hier auch aus gesellschaftlicher Sicht gegebenen Chancen<br />

nicht angemessen.<br />

Deshalb müssen im Bereich <strong>des</strong> allgemeinbildenden Schulwesens die Rahmenbedingungen<br />

spürbar verbessert werden:<br />

� Im Sinne der Qualitätssicherung/-verbesserung der Integration sind die<br />

personellen Ressourcen für die Integrationsmaßnahmen aufzustocken;<br />

eine immer wieder weiter reduzierte Förderung behinderter Kinder/Jugendlicher<br />

in Regelschulen mittels sonderpädagogischer Förderung lässt<br />

eine schleichende innere Erosion der Integrationspraxis befürchten. Wichtig<br />

ist auf mittlere Sicht zudem, dass die bisher in diesem pädagogischen<br />

Handlungsfeld gewonnenen Kompetenzen weitergegeben werden.<br />

Dazu sind entsprechende Maßnahmen unter anderem im Rahmen der<br />

Lehreraus- <strong>und</strong> –weiterbildung überfällig. Darüber hinaus erscheint es<br />

erforderlich, auch die wissenschaftliche – insbesondere die sonderpädagogische<br />

– Forschung in geeigneter Weise wieder zu beleben. Da der<br />

frühere Sonderforschungsbereich Sonderpädagogik an der Universität<br />

<strong>des</strong> Saarlan<strong>des</strong> nicht mehr in dieser Form existiert, stellt sich die Frage,<br />

wie diese Fortschreibung der wissenschaftlichen Betreuung gewährleistet<br />

werden könnte (gibt es dazu „Importmöglichkeiten“ für das Saarland?).<br />

� Um ein positives öffentliches Klima „pro integrativer Unterricht“ im<br />

Saarland zu erhalten bzw. neu zu schaffen, muss diesem als Alternative<br />

zur Sonderschulbetreuung in Informationsschriften der Lan<strong>des</strong>regierung<br />

zumin<strong>des</strong>t der gleiche Raum zur Verfügung stehen; dies signalisiert<br />

interessierten Eltern zumin<strong>des</strong>t eine gleichwertige Behandlung beider<br />

Betreuungsmöglichkeiten durch die <strong>Bildung</strong>sverwaltung.<br />

� Nach 0 Jahren erfolgreicher Integrationspraxis sollte nicht länger so getan<br />

werden, als befinde diese sich noch im „Experimentierstadium“. Deshalb<br />

ist den Eltern im Hinblick auf ihr behindertes Kind Wahlfreiheit zwischen<br />

integrativem Unterricht bzw. der Betreuung in einer Sondereinrichtung<br />

einzuräumen; bisher kann Integration nur auf Antrag stattfinden.<br />

� Die Förderschule „Lernen“ kann nach <strong>und</strong> nach zugunsten integrativer<br />

Unterrichtung eingestellt <strong>und</strong> die dort tätigen Lehrkräfte können ihr<br />

pädagogisches Engagement in den Regelschulen fortsetzen; der finan-<br />

8


4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

ziell aufwendige Weg der Doppelgleisigkeit (Integration parallel zur<br />

Separation) könnte so verlassen werden.<br />

Im Blick auf die sich anschließenden <strong>Qualifizierung</strong>s- <strong>und</strong> Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

steht das Saarland noch immer am Anfang, während andere<br />

B<strong>und</strong>esländer hier zum Teil beachtenswerte Erfolge <strong>und</strong> Initiativen vorweisen<br />

können.<br />

� Als Alternative zu den Werkstätten für behinderte Menschen – zugleich<br />

aber in Kooperation mit diesen – müssen die Bemühungen intensiviert<br />

werden, Menschen mit Beeinträchtigungen auf den freien Arbeitsmarkt<br />

vorzubereiten <strong>und</strong> dann dort unterzubringen. Die in anderen B<strong>und</strong>esländern<br />

bereits praktizierten Ansätze (etwa intensivere Vorbereitung in<br />

der Schule, Betriebspraktika, <strong>Qualifizierung</strong> im Betrieb, Arbeitsassistenz<br />

…) sollten Vorbild sein für im Saarland zeitnah einzuleitende Maßnahmen.<br />

� Der vorliegende Entwurf zur Fortschreibung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>behindertenplanes<br />

wird in den Aussagen zum Handlungsfeld „Schule“ vom aktuellen<br />

Stand abgekoppelt, indem man – entgegen dem als übergeordnet<br />

betonten Prinzip der ‚Teilhabe’ – den bislang erkennbaren integrationsorientierten<br />

Ansatz verlässt. Im . Bericht (Teil 1, S. 51 ff) ist dieser noch<br />

vorhanden. Im Entwurf zum 4. Plan wird dagegen der Beschulung in<br />

Sondereinrichtungen Vorrang eingeräumt. Dies entspricht ganz eindeutig<br />

nicht der seit zwei Jahrzehnten in der saarländischen Schulgesetzgebung<br />

fixierten Orientierung – denn der Gesetzgeber hat damals im<br />

Schulordnungsgesetz der Unterrichtung von Kindern mit Behinderung<br />

in der Regelschule Priorität eingeräumt (zu dieser Thematik existiert<br />

auch eine umfassende Stellungnahme <strong>des</strong> Vereines „miteinander leben<br />

lernen / mll“).<br />

� In den letzten zwei Jahren wurde diese Position durch die UN-Kinderrechtskonvention<br />

<strong>und</strong> das Übereinkommen der Vereinten Nationen<br />

über die Rechte von Menschen mit Behinderungen ausgebaut. In der<br />

UNO-Konvention (von der B<strong>und</strong>esregierung am 0. März 007 ratifiziert)<br />

werden in Art. 4 die Vertragsstaaten verpflichtet, ein integratives<br />

(inklusives) <strong>Bildung</strong>ssystem einzuführen <strong>und</strong> sicherzustellen, dass<br />

Menschen mit Behinderung nicht auf Gr<strong>und</strong> ihrer Behinderungen vom<br />

allgemeinen <strong>Bildung</strong>ssystem ausgeschlossen werden.<br />

� Gerade in jüngerer Vergangenheit hat sich die Organisation der sonderpädagogischen<br />

Förderung in Integrationsmaßnahmen gr<strong>und</strong>legend<br />

verändert: Zum Schuljahr 1998/99 wurden im Saarland die Sonderpädagogischen<br />

Förderzentren neu eingerichtet; nicht zuletzt im Hinblick auf<br />

9<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

den Aspekt „Qualitätsentwicklung“. Dies sollte anlässlich der Fortschreibung<br />

<strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>behindertenplanes als Ausgangspunkt gelten. Von daher<br />

wären die hier gemachten Erfahrungen kurz darzustellen <strong>und</strong> die<br />

im . Lan<strong>des</strong>behindertenplan formulierten Ziele auf ihre Realisierung<br />

hin zu überprüfen. Damit könnte zugleich gewährleistet werden, dass<br />

sich die geplante Fortschreibung <strong>des</strong> Planes tatsächlich an dem Begriff<br />

„Planen“ orientiert – <strong>und</strong> nicht zur bloßen Beschreibung der gegebenen<br />

Situation mutiert (oder gar, wie oben skizziert, die Regression auf einen<br />

überw<strong>und</strong>en geglaubten, unbefriedigenden Zustand vollzieht).<br />

� Auch im Blick auf die entsprechenden Ausführungen zu den Berufsschulen<br />

sieht sich die <strong>Arbeitskammer</strong> gehalten, eine von der Einschätzung<br />

<strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>sministeriums abweichende Position einzunehmen: Geht<br />

doch dieses davon aus, dass in den saarländischen Berufsschulen dem<br />

Qualifikationsbedarf von Schüler/innen mit Behinderung hinreichend<br />

Rechnung getragen wird – <strong>und</strong> von daher kein weiterer Handlungsbedarf<br />

existiert. Davon abweichend sieht die <strong>Arbeitskammer</strong> derzeit<br />

folgende Defizite: Der Übergang von der allgemeinbildenden in die<br />

berufsbildende Phase wird nicht entsprechend vorbereitet <strong>und</strong> begleitet;<br />

die sonderpädagogische Unterstützung in der Berufsschule ist unzureichend.<br />

Zudem kann eine Zielsetzung <strong>des</strong> Berufsvorbereitungsjahrs<br />

(Erwerb <strong>des</strong> Hauptschulabschlusses) von Schüler/innen mit zusätzlichem<br />

Förderbedarf kaum erreicht werden, da die Klassen zu groß sind (in<br />

diesen Fällen müsste demnach eine deutliche Verringerung der Klassengröße<br />

erfolgen). Zudem verfügen die Lehrwerkmeister in der Fachpraxis<br />

über keinerlei sonderpädagogische Zusatzqualifikation. Schließlich werden<br />

Praktika nicht intensiv genug begleitet – <strong>und</strong> es fehlt an Sozialpädagoginnen<br />

<strong>und</strong> Sonderpädagogen für diese Zielgruppe.<br />

Fazit: Bei der Fortschreibung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>behindertenplanes hat sich die<br />

konzeptionell-inhaltliche Ausrichtung der Aussagen zur allgemeinen <strong>und</strong><br />

beruflichen <strong>Bildung</strong> an den Vorgaben <strong>und</strong> Intention <strong>des</strong> Schulordnungsgesetzes<br />

zu orientieren. Es sind zudem konkrete praktische Verbesserungen<br />

anzustreben. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> ist die Entscheidung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>beirates<br />

für die Belange von Menschen mit Behinderungen nachvollziehbar,<br />

der Fortschreibung <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong>behindertenplanes in den Ausführungen zum<br />

Kapitel „Schule“ in der aktuell vorliegenden Fassung seine Zustimmung zu<br />

verweigern.<br />

1 Vgl. u.a.: Frankfurter R<strong>und</strong>schau vom . Februar 006; „Senor Munoz redet Tacheles“<br />

Vortragsmanuskript von Prof. Dr. Breitenbach „Integration – Auftrag für Gesellschaft <strong>und</strong><br />

Schule“, anlässlich <strong>des</strong> <strong>Arbeitskammer</strong>-Forums „ 0 Jahre gemeinsamer Unterricht im Saarland“<br />

am 0 .11. 006 im AK-<strong>Bildung</strong>szentrum Kirkel; S.<br />

40


4.2 Behinderte Kinder/Jugendliche<br />

Hans Wocken: „Fördert Förderschule?“, erschienen in Irene Demmer-Dieckmann, Annette Textor<br />

(Hrsg.): „Integrationsforschung <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>spolitik im Dialog“; Bad Heilbrunn 007, S. 5<br />

ff..<br />

4 Mit Unterstützung durch Fachdienstpersonal laufen 4-tägige betriebliche Praktika, die neben<br />

der fachlichen <strong>Qualifizierung</strong> auch auf die Erweiterung von Schlüsselqualifikationen <strong>und</strong> auf<br />

soziale Integration abzielen. Entscheidenden Einfluss auf das Gelingen der Eingliederung in<br />

den allgemeinen Arbeitsmarkt hat zudem die Zusammenarbeit mit Familie <strong>und</strong> Bezugspersonen.<br />

Projekttage begleiten diese Bemühungen; sie dienen der Erk<strong>und</strong>ung von Betrieben,<br />

der Vorbereitung auf die Rolle als Praktikant/in, dem Erkennen der Unterschiede zwischen<br />

(bisheriger) Werkstatt(tätigkeit) <strong>und</strong> dem allgemeinen Arbeitsmarkt bis hin zum Kennenlernen<br />

möglicher Freizeitaktivitäten. Somit führt nach den bisherigen Erfahrungen von ACCES der<br />

erfolgreiche Weg zur beruflichen Integration über<br />

- Betriebspraktika: dort lernen Betriebe eine Person mit ihren Fähigkeiten/Besonderheiten<br />

konkreter kennen;<br />

- Job-Coaching: Unterstützung bei der <strong>Qualifizierung</strong> der Arbeitskräfte mit Behinderungen<br />

im Betrieb, Entwicklung von Hilfsmitteln, intensive Einarbeitungs-Begleitung; aber auch Gestaltung<br />

von Veränderungen im Betrieb, Überwindung von Widerständen <strong>und</strong> Förderung der<br />

Kommunikation mit Kolleg/innen;<br />

- Schaffung neuer Stellenprofile: die überwiegende Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen<br />

wird auf Stellen beschäftigt, die betrieblich sinnvolle Tätigkeiten neu bündeln.<br />

41<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong>:<br />

Bislang eher ungenutztes <strong>Bildung</strong>spotenzial<br />

Im Jahr 2000 löste die PISA-Studie mit ihren alarmierenden Ergebnissen zu<br />

den <strong>Bildung</strong>serfolgen <strong>des</strong> deutschen Schulsystems zunächst einen nationalen<br />

Schock <strong>und</strong> anschließend zahlreiche bildungspolitische Diskussionen<br />

sowie Reformbemühungen aus. Vor allem waren die mathematischen sowie<br />

die Lesekompetenzen der 15-Jährigen im internationalen Vergleich<br />

alarmierend. Aus der 2003 folgenden PISA-Untersuchung ging erneut der<br />

besonders eklatante Zusammenhang zwischen sozialer Zugehörigkeit <strong>und</strong><br />

<strong>Bildung</strong>serfolg hervor. Im Klartext: Kinder <strong>und</strong> Jugendliche aus bildungsfernen<br />

Schichten <strong>und</strong> besonders Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

sind im deutschen <strong>Bildung</strong>ssystem extrem benachteiligt.<br />

Zudem wurde ein extrem ausgeprägter Zusammenhang „Soziale Herkunft<br />

<strong>und</strong> Schulerfolg“ deutlich. In der jüngst veröffentlichten PISA-Spezialstudie<br />

der OECD wird dieses düstere Bild sogar noch mehr als bestätigt: Danach<br />

haben 40 Prozent der jungen Migranten der zweiten Generation nicht einmal<br />

mathematische Gr<strong>und</strong>kenntnisse. Mit ihren Leistungen hinken Migrantenkinder<br />

deutschstämmigen gut drei Jahre hinterher. Ähnlich katastrophal<br />

die Ergebnisse bei den Lesefähigkeiten. Damit bildet Deutschland das<br />

Schlusslicht der 17 untersuchten Industriestaaten bei den Leistungen der im<br />

Land geborenen Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong>.<br />

Migration: Chance für die Gesellschaft, aber auch besondere<br />

bildungspolitische Herausforderung<br />

Ein Ergebnis <strong>des</strong> durch die PISA-Studien angezeigten Handlungsbedarfes ist<br />

der im Herbst letzten Jahres erstmals vorgelegte <strong>und</strong> künftig alle zwei Jahre<br />

fortzuschreibende <strong>Bildung</strong>sbericht, in dem auch der Zusammenhang zwischen<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Migration untersucht wird. Mit dem Mikrozensus 005<br />

wurden erstmals auch differenzierte Daten zum Migrationshintergr<strong>und</strong> erhoben<br />

<strong>und</strong> diesem Bericht zugr<strong>und</strong>e gelegt. 1<br />

� Demnach entspricht der Anteil der Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

an der deutschen Gesamtbevölkerung mit 18,6 Prozent fast einem Fünftel.<br />

Gemessen an dem Status „Ausländer“ als bisherige Messgröße ist<br />

diese Zahl mehr als doppelt so hoch. Innerhalb dieser Bevölkerungsgruppe<br />

gibt es teilweise deutliche Unterschiede hinsichtlich Zeitpunkt<br />

<strong>und</strong> Alter der Einwanderung, Herkunftsland, Rechtsstatus <strong>und</strong> sozialer<br />

Lage.<br />

4


4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

In der Studie wird das Entwicklungspotenzial der Verschiedenartigkeit<br />

der zugewanderten Bevölkerung für die deutsche Gesellschaft betont:<br />

„Zugleich stellen sie aber seit langem das <strong>Bildung</strong>swesen auf allen seinen<br />

Stufen vor erhebliche Herausforderungen, die lange Zeit unterschätzt <strong>und</strong><br />

deren Chancen nicht erkannt worden sind – z.B. Mehrsprachigkeit <strong>und</strong> kulturelle<br />

Heterogenität als Ressource für die zunehmenden internationalen<br />

Austauschbeziehungen“.<br />

Viele Ergebnisse dürften für diejenigen, die sich schon länger mit der <strong>Bildung</strong>ssituation<br />

von Migrant/innen beschäftigen, allerdings kaum überraschen:<br />

� Für das <strong>Bildung</strong>ssystem von Bedeutung ist die Altersgruppe unter 5 Jahren:<br />

Mehr als ein Viertel ( 7, Prozent) – also etwa 6 Millionen – haben<br />

einen Migrationshintergr<strong>und</strong>; während nur jeder zehnte einen ausländischen<br />

Pass besitzt.<br />

„Aufgr<strong>und</strong> der systematischen Untererfassung der Migrationspopulation<br />

durch die herkömmliche Messmethode sind in der <strong>Bildung</strong>spolitik sowohl<br />

die Größe als auch die Qualität der Probleme unterschätzt worden.“ Mit<br />

dieser Feststellung entlässt die Studie die <strong>Bildung</strong>spolitik zumin<strong>des</strong>t teilweise<br />

aus ihrer Verantwortung.<br />

� Ein Drittel dieser jungen Bevölkerung (cirka 1,9 Millionen) ist selbst zugewandert.<br />

Von den Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

ist allerdings nur jeder siebte im Ausland geboren,<br />

die deutliche Mehrheit (87 Prozent) ist in Deutschland geboren. Diese<br />

Bevölkerung mit Migrationshintergr<strong>und</strong> verteilt sich unterschiedlich auf<br />

die B<strong>und</strong>esländer: Weit überdurchschnittlich viele leben in Hamburg<br />

<strong>und</strong> Bremen (je über 40 Prozent), Berlin, Hessen, Nordrhein-Westfalen,<br />

Baden-Württemberg (je um 5 Prozent) gefolgt vom Saarland mit knapp<br />

0 Prozent <strong>und</strong> damit immer noch überdurchschnittlich ( 7, Prozent).<br />

� Obwohl die frühe Schulwahl korrigierbar ist, geschieht dies vorwiegend<br />

nur in eine Richtung. In den alten B<strong>und</strong>esländern kommt auf 4 Abwärtswechsel<br />

nur 1 Aufwärtswechsel (z.B. Realschule aufs Gymnasium). Hierbei<br />

haben es besonders Schüler aus unteren sozialen Schichten <strong>und</strong> mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> deutlich schwerer, auf höhere Schulen zu kommen<br />

<strong>und</strong> sich auch dort zu halten. Bei ihnen ist der Anteil der Absteiger<br />

doppelt so hoch. Auch besteht für diese Kinder ein erhöhtes Risiko <strong>des</strong><br />

Sonderschulbesuchs, der infolge der anderen Art der Förderung eine<br />

Rückkehr ins Regelschulsystem unmöglich macht.<br />

4<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

� Fast jeder zweite Schüler türkischer Herkunft ist an einer Hauptschule,<br />

nur jeder achte am Gymnasium. Aus den sonstigen Anwerbestaaten ist<br />

durchschnittlich jeder dritte an der Hauptschule <strong>und</strong> jeder vierte am<br />

Gymnasium.<br />

� Verspätete Einschulung <strong>und</strong> Klassenwiederholungen – <strong>und</strong> somit eine<br />

verzögerte Schullaufbahn – ereignen sich bei Kindern mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

doppelt so häufig wie bei Kindern ohne, <strong>und</strong> umgekehrt<br />

werden sie nur halb so oft früher eingeschult. Dies bedeutet Leistungsnachteil<br />

gegenüber dem regulären Durchlauf <strong>und</strong> ist außerdem mit zusätzlichen<br />

Kosten verb<strong>und</strong>en.<br />

� Ohne Hauptschulabschluss verlassen doppelt so viele ausländische Schülerinnen<br />

<strong>und</strong> Schüler die Schule wie deutsche. Von den ausländischen<br />

Jungen erreichen 0 Prozent keinen Hauptschulabschluss.<br />

� Die Erfolgswahrscheinlichkeit, eine Ausbildung zu beginnen, liegt bei<br />

deutschen Jugendlichen bei 40 Prozent, mit Migrationshintergr<strong>und</strong> nur<br />

bei 9 Prozent. Mit mittlerem <strong>Bildung</strong>sabschluss <strong>und</strong> Fachoberschulreife<br />

liegt die Wahrscheinlichkeit bei 47 zu 4 Prozent <strong>und</strong> bei guten oder<br />

sehr guten Mathematiknoten steigt der Unterschied der Chancen auf 64<br />

zu 41 Prozent.<br />

� Aufgr<strong>und</strong> der Selektion in den vorangehenden <strong>Bildung</strong>sstufen sind folglich<br />

die Studienberechtigten mit Migrationshintergr<strong>und</strong> mit 15 Prozent<br />

aller Berechtigten stark unterrepräsentiert.<br />

� Die hohe Konzentration von Schülern mit Migrationshintergr<strong>und</strong> in<br />

den Hauptschulen <strong>und</strong> auch in vielen teil- oder voll integrierten Schulformen<br />

(dort oft in den „unteren“ Kursniveaus bzw. <strong>Bildung</strong>sgängen)<br />

beeinträchtigt die Lernergebnisse. Der hohe Migrantenanteil ist dabei<br />

nicht die alleinige Ursache, sondern geht einher mit soziökonomisch bedingten<br />

Faktoren wie niedriger sozialen Status, Lernschwierigkeiten <strong>und</strong><br />

Verhaltensauffälligkeiten, die sich so in Schulen von „sozialen Brennpunkten“<br />

häufen. Hier muss die <strong>Bildung</strong>spolitik mit intensiverer Förderung<br />

<strong>und</strong> entsprechenden pädagogischen Konzepten gegensteuern.<br />

� Weitere Auswertungen aus PISA werden im <strong>Bildung</strong>sbericht aufgeführt:<br />

Während Schüler/innen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> in der Sek<strong>und</strong>arstufe I<br />

in etwa genauso leistungsgerecht beurteilt werden wie die ohne, ist<br />

die Beurteilung in der Gr<strong>und</strong>schule als benachteiligend zu bezeichnen.<br />

So „ist die Chance für Gymnasialempfehlung für Kinder, deren Eltern<br />

in Deutschland geboren wurden, 1,66-mal höher als für Kinder, deren<br />

beide Eltern nicht aus Deutschland stammen.“ Aus den IGLU-Studien<br />

44


4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

geht hervor, dass durch die ganze Gr<strong>und</strong>schulzeit hindurch Schüler mit<br />

Migrationshintergr<strong>und</strong> bei der selben Leistung etwas schlechter benotet<br />

werden als die anderen Mitschüler, daher die verminderten Chancen auf<br />

die Gymnasialempfehlung. Wenn sich nicht viele zugewanderte Eltern<br />

aufgr<strong>und</strong> ihres großen <strong>Bildung</strong>sinteresses für ihre Kinder, die nachweislich<br />

eine hohe Lernmotivation aufweisen, über die Schulempfehlung<br />

hinwegsetzten <strong>und</strong> ihre Kinder trotzdem auf höher qualifizierenden<br />

Schulen anmelden, wäre der Anteil junger Migranten an diesen Schulen<br />

noch geringer als er jetzt schon ist. Zudem gibt es Hinweise, dass das<br />

Problem der hohen Übergangsquoten von Migranten auf Sonder- <strong>und</strong><br />

Förderschulen von dem Erhaltungsinteresse dieser Schulen beeinflusst<br />

wird.<br />

� Sprachförderung in den Kindertagesstätten ist ein wichtiger Beitrag zur<br />

Integrationsförderung, von denen vor allem die Kinder mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

profitieren. Diagnostische Instrumente zur Sprachstandsfeststellung<br />

sind jedoch vielfach mangelhaft <strong>und</strong> die pädagogischen<br />

Fachkräfte nicht hinreichend qualifiziert.<br />

� An den Schulen mit Ganztagesangeboten nehmen in der 9. Jahrgangsstufe<br />

0,7 Prozent der Jugendlichen mit Migrationhintergr<strong>und</strong> teil. Hier<br />

wählen sie vorwiegend fachbezogene Förderangebote <strong>und</strong> Hausaufgabenbetreuung.<br />

Der Bericht betont die Bedeutung von koordinierter Sprachförderung im<br />

gesamten <strong>Bildung</strong>sverlauf mit individueller Förderplanung in den verschiedenen<br />

Unterrichtsfächern. Hierfür sind Begleit- <strong>und</strong> Unterstützungssysteme<br />

für Schulen <strong>und</strong> beteiligte Institutionen mit qualifiziertem pädagogischem<br />

Personal zu etablieren.<br />

Resümierend heißt es weiter: „Integration durch <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Integration<br />

ins <strong>Bildung</strong>swesen hängen für Kinder <strong>und</strong> Jugendliche eng zusammen. Ziel<br />

der Integration durch <strong>Bildung</strong> ist es, dass es Kindern von Zugewanderten<br />

im Laufe der Zeit gelingt, ähnliche Kompetenzen <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sabschlüsse<br />

zu erreichen wie die übrige Gleichaltrigenbevölkerung. Trotz formaler<br />

Gleichstellung der Mehrzahl der Migrantinnen <strong>und</strong> Migranten mit Deutschen<br />

beim Zugang zu <strong>Bildung</strong>seinrichtungen besteht in der Realität jedoch<br />

ein beträchtliches Gefälle zwischen Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen deutscher<br />

<strong>und</strong> nichtdeutscher Herkunft im Zugang zu höheren <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>sgängen.“<br />

45<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

Der UN-Sonderbericht zu <strong>Bildung</strong> in Deutschland – Eine „andere<br />

Wirklichkeit“?<br />

Die internationale Negativ-Beurteilung über das deutsche <strong>Bildung</strong>ssystem<br />

fand ihre Fortsetzung in einem UN-Sonderbericht. Wie einst PISA, so sorgte<br />

der UN-Sonderinspektor <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>sexperte Vernor Muñoz im Frühjahr<br />

006 mit seiner im UNO-Auftrag durchgeführten Inspektion <strong>des</strong> deutschen<br />

<strong>Bildung</strong>ssystems sowie Anfang 006 mit seinem dazu vorgelegten Bericht<br />

für erhebliche bildungspolitische Unruhe. Bereits vor seiner Veröffentlichung<br />

forderten die deutschen Kultusminister Korrekturen an nach ihrer<br />

Meinung „sachlichen Fehlern“ <strong>und</strong> „problematischen Aussagen“.<br />

Laut B<strong>und</strong>esbildungsministerin Annette Schavan nehme der UN-Inspektor<br />

in einigen Kritikpunkten „nicht die Differenzierung <strong>des</strong> deutschen Schulsystems<br />

wahr“ . Der saarländische <strong>Bildung</strong>sminister Jürgen Schreier kommentierte<br />

den Bericht folgendermaßen: „Die Einschätzung, das deutsche<br />

<strong>Bildung</strong>ssystem verletze das Recht auf <strong>Bildung</strong>, ist subjektiv <strong>und</strong> sie ist<br />

falsch“. Daher wollten die Kultusminister in einer gemeinsamen Stellungnahme<br />

Muñoz zu Korrekturen seines Berichts bewegen.<br />

Doch auch nach Muñoz’ Stellungnahme vor dem UN-Menschenrechtsrat<br />

in Genf wiesen sie die Kritikpunkte zurück. Stellvertretend für die Kultusministerkonferenz<br />

wehrte deren Vorsitzender, Jürgen Zöllner, diese Kritik<br />

zunächst ab. Die vorgetragenen Kritikpunkte seien ja seit Jahren schon bekannt<br />

<strong>und</strong> somit nichts Neues, das deutsche <strong>Bildung</strong>ssystem „benachteilige<br />

nicht absichtlich“ <strong>und</strong> mittlerweile seien ja auch Reformen eingeleitet<br />

worden, die allerdings ihre Zeit brauchten bis entsprechende Auswirkungen<br />

sichtbar würden. Man nehme die Kritik auf, die kritisierten Schulformen<br />

seien jedoch sek<strong>und</strong>är, vielmehr gehe es vor allem um pädagogische Anstrengungen<br />

für das einzelne Kind.<br />

Auch der saarländische Kultusminister Jürgen Schreier empörte sich darüber,<br />

„dass Herr Muñoz so tut, als würden hierzulande Menschenrechte verletzt.<br />

Das deutsche <strong>Bildung</strong>ssystem ist kein Fall für amnesty international“. 4<br />

So stellt sich für den „außenstehenden“, neutralen <strong>und</strong> gleichwohl sachk<strong>und</strong>igen<br />

Beobachter gelegentlich die Frage, ob die <strong>Bildung</strong>sminister angesichts<br />

der Ergebnisse <strong>des</strong> von ihnen sowie dem B<strong>und</strong>esbildungsministerium<br />

in Auftrag gegebenen <strong>Bildung</strong>sberichts, der die Kritikpunkte <strong>des</strong> Un-Berichterstatters<br />

Muñoz untermauert, in einer anderen Wirklichkeit, ja möglicherweise<br />

in einer „Parallelwelt“ leben.<br />

46


4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

UN-Bericht: <strong>Bildung</strong>ssystem diskriminiert sozial benachteiligte Schüler,<br />

Migrantenkinder <strong>und</strong> Kinder mit Behinderungen<br />

In seiner Stellungnahme am 1.0 .07 vor dem UN-Menschenrechtsrat in<br />

Genf verwies Vernor Muñoz noch einmal auf die Ergebnisse der PISA-Studie:<br />

Von allen Industrienationen sei in Deutschland der stärkste Zusammenhang<br />

zwischen dem sozialen Hintergr<strong>und</strong> <strong>und</strong> den Leistungen der Schüler festzustellen.<br />

Die wichtigsten Ergebnisse <strong>des</strong> Berichts sind folgende:<br />

� Deutschland verfügt über ein „flächendecken<strong>des</strong> öffentliches <strong>Bildung</strong>swesen<br />

<strong>und</strong> gehöre zu den wenigen Ländern, die die Schulpflicht auf<br />

18 Jahre heraufgesetzt haben. Auch die Einschulungsquote ist in allen<br />

Bereichen hoch. Hauptsächlich wegen der Vielschichtigkeit der Struktur<br />

<strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>ssystems gibt es jedoch einige Defizite, die zumeist mit<br />

den Schwierigkeiten zusammenhängen, denen sich Kinder bestimmter<br />

Randgruppen gegenübersehen, wie beispielsweise Kinder aus unteren<br />

sozialen Schichten, Kinder mit Migrationshintergr<strong>und</strong> oder Kinder, die<br />

mit Behinderungen leben; dadurch hat das <strong>Bildung</strong>ssystem eine ausgrenzende<br />

Wirkung.“<br />

� Der Einstufungsprozess für die Schüler der unteren Sek<strong>und</strong>arstufe (der<br />

im Alter von 10 Jahren stattfindet) sieht eine persönliche Beurteilung<br />

durch Lehrer vor, die für die Durchführung solcher Beurteilungen nicht<br />

immer ausreichend geschult sind.<br />

� Die zuständigen <strong>Bildung</strong>sbehörden räumten möglicherweise der Sprachkompetenz<br />

der Schüler eine übermäßige <strong>und</strong> vorrangige Bedeutung<br />

ein. Dadurch entstehe ein diskriminatorischer Effekt für Schüler ausländischer<br />

Herkunft, deren Muttersprache nicht deutsch ist.<br />

� Die frühe Einstufung in eine weiterführende Schulform hat Auswirkungen<br />

für weniger begünstigte Kinder <strong>und</strong> Jugendliche, also für Schüler<br />

mit Migrationshintergr<strong>und</strong> oder mit Behinderungen. Sie seien an der<br />

Hauptschule überrepräsentiert <strong>und</strong> am Gymnasium unterrepräsentiert.<br />

� Dass die meisten behinderten Kinder eine Sonderschule <strong>und</strong> nicht die<br />

Regelschule besuchten, stellt nicht die propagierte Integrationspolitik,<br />

sondern eine Politik der Absonderung dar.<br />

� Kinder mit einem Flüchtlingshintergr<strong>und</strong> werden nicht vom Pflichtschulsystem<br />

erfasst. Selbst nach Umsetzung einer positiven Reform in diesem<br />

Bereich durch mehrere Länder gebe es noch immer drei Länder (Baden-<br />

Württemberg, Hessen <strong>und</strong> Saarland), die Kinder mit einem unsicheren<br />

rechtlichen Status hiervon ausschließen. 5<br />

47<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

� Ungefähr 0 Prozent der Hauptschüler erreichen keinen Schulabschluss<br />

<strong>und</strong> circa die Hälfte der Schüler mit Migrationshintergr<strong>und</strong> bekommt<br />

nach Schulabschluss keinen Arbeitsplatz.<br />

� Beim schlechten Schulerfolg handelt es sich nicht um ein ethnisches,<br />

sondern um ein soziales Problem, da diese Bevölkerungsgruppen mehrheitlich<br />

den eher benachteiligten Schichten angehören.<br />

� Als Fazit lässt sich ziehen: „Die Bemühungen um Verbesserung der <strong>Bildung</strong>squalität<br />

können nicht zum Erfolg führen, wenn sie nicht zuerst gerechte<br />

<strong>und</strong> gleiche Voraussetzungen für den Lernprozess gewährleisten,<br />

die verb<strong>und</strong>en sind mit der Möglichkeit <strong>des</strong> dauerhaften Zugangs, aber<br />

auch mit der Befriedigung gr<strong>und</strong>legender sozio-edukativer Bedürfnisse.<br />

Solange <strong>Bildung</strong> nicht als ein Menschenrecht betrachtet wird, das jedem<br />

Kind garantiert werden muss, wird es schwierig sein, den spezifischen<br />

Bedürfnissen deutscher Schüler Rechnung zu tragen, deren Eltern oder<br />

Großeltern aus anderen Ländern nach Deutschland kamen.“<br />

� Muñoz forderte die deutsche Politik auf, die Aufteilung in Haupt-, Realschulen<br />

<strong>und</strong> Gymnasien zu überdenken, um Ungleichheit <strong>und</strong> Chancenungerechtigkeit<br />

zu beseitigen, wobei dieses „System nicht zwangsläufig<br />

abgeschafft“ werden müsse: „Ich glaube, dass das gegliederte<br />

System <strong>und</strong> die Art der Schüler soziale Ungleichheit betont“.<br />

� Der UN-Berichterstatter schlug ferner vor, eine kostenlose <strong>und</strong> für jedermann<br />

zugängliche Vorschulerziehung zum Teil <strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>ssystems<br />

zu machen. Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache <strong>und</strong> besonders<br />

behinderte Kinder müssten besser gefördert werden.<br />

Das „dreigliedrige Schulsystem“ – womöglich Wurzel allen Übels,<br />

zumin<strong>des</strong>t aber „Teil <strong>des</strong> Problems“<br />

Wenn nun Herr Muñoz den „Finger der internationalen Öffentlichkeit“<br />

auf die „W<strong>und</strong>en“ <strong>des</strong> deutschen Schulsystems legt, so mag dies besonders<br />

schmerzen. Doch muss dieses System auf dem Prüfstand stehen. Der OECD-<br />

Experte <strong>und</strong> PISA-Koordinator Andreas Schleicher macht das dreigliedrige<br />

Schulsystem für diese schlechten Ergebnisse mit verantwortlich. Durch die<br />

Konzentration von Schülern mit Migrationshintergr<strong>und</strong> in den Hauptschulen<br />

seien die Probleme von den Lehrer/innen kaum noch zu bewältigen.<br />

Mit der eingeleiteten Föderalismusreform im <strong>Bildung</strong>swesen, mit der die<br />

<strong>Bildung</strong>shoheit der Länder – auf der Basis b<strong>und</strong>eseinheitlicher <strong>Bildung</strong>sstandards<br />

<strong>und</strong> Vereinbarungen über die Anerkennung von Abschlüssen – noch<br />

48


4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

weiter gestärkt wird sowie dem eindeutigen Festhalten der Kultusministerkonferenz<br />

am dreigliedrigen Schulsystem scheint jedoch der bisher eingeschlagene<br />

<strong>und</strong> als erfolglos gekennzeichnete Weg eher „zementiert“ worden<br />

zu sein. Gleichwohl bietet sich hier für die B<strong>und</strong>esländer die Chance,<br />

neue eigene Wege zu beschreiten, die aus der bestehenden <strong>Bildung</strong>smisere<br />

herausführen können.<br />

Zwar haben die saarländischen bildungspolitischen Errungenschaften der<br />

letzten Jahrzehnte (Einrichtung von Gesamtschulen, Erweiterten Realschulen<br />

sowie integrative Förderung Behinderter an Regelschulen) eine<br />

„zarte strukturelle Aufweichung“ hervorgebracht. Diese wurde jedoch für<br />

die hier genannten „Problemgruppen“ durch die Anhebung der Noten in<br />

den Hauptfächern als Zugangsvoraussetzung für höher qualifizierende <strong>Bildung</strong>sgänge<br />

vor einigen Jahren wieder zunichte gemacht. Deshalb besteht<br />

– gemessen an den <strong>Bildung</strong>sabschlüssen vor allem der jungen Migrant/innen,<br />

die im Saarland noch unter dem schlechten B<strong>und</strong>esdurchschnitt liegen 6<br />

– dringender Bedarf an weiteren einschneidenden Veränderungen, um sich<br />

mit vielen besseren <strong>Bildung</strong>sabschlüssen tatsächlich der selbst gesetzten<br />

Zielmarke „Aufsteigerland“ zu nähern.<br />

„Die Erwartungen voll erfüllt“ – schlechte Schulleistungen als Ergebnis sich<br />

selbst erfüllender Prophezeiungen<br />

Diese schulstrukturellen Verbesserungen allein – wie die nüchterne Betrachtung<br />

insbesondere der Verteilung von Kindern <strong>und</strong> Jugendlichen mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

auf die verschiedenen Schultypen <strong>und</strong> auch die Schulabschlüsse<br />

der vergangenen Jahre zeigt – können jedoch nicht wirksam<br />

werden, solange bestehende Selektionsmechanismen als unterschwellige<br />

Auswahlkriterien zur Verteilung auf die Schulformen <strong>und</strong> zur Leistungsbewertung<br />

bestehen bleiben.<br />

� Wenn auch der Beherrschung der Lan<strong>des</strong>sprache Deutsch eine „Schlüsselstellung“<br />

für den <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> somit für den Integrationserfolg zukommt,<br />

reicht die Behebung sprachlicher Defizite alleine nicht aus, die<br />

schulischen Leistungen junger Migrant/innen <strong>und</strong> sozial Benachteiligter<br />

zu verbessern. 7<br />

� So beeinflussen Erwartungen von Lehrer/innen an die Leistungsfähigkeit<br />

von Schüler/innen, basierend auf Einzelbeobachtungen oder auf<br />

„Stereotypen“, entscheidend die tatsächliche Leistung <strong>und</strong> können so<br />

die intellektuelle Entfaltung beeinträchtigen (wie z.B. die Einschätzung,<br />

dass das türkische Kind vielleicht aufgr<strong>und</strong> seiner Leistungen aufs Gym-<br />

49<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

nasium könnte, aber aufgr<strong>und</strong> seiner nicht deutsch sprechenden Eltern<br />

wenig Unterstützung erfahren könne <strong>und</strong> <strong>des</strong>halb doch besser auf der<br />

Realschule aufgehoben sei).<br />

� Wenn positives Selbstbild <strong>und</strong> sozialer Status unterschiedlich an Schüler<br />

vermittelt werden, wirkt sich dies unterschiedlich auf die Leistungen<br />

aus.<br />

� Wenn leistungsschwächere Schüler/innen, die mit schlechteren Voraussetzungen<br />

starten, in leistungshomogenen Gruppen, bedingt durch<br />

die Verteilung auf die verschiedenen Schulzweige, unterrichtet werden,<br />

können diese Defizite nicht behoben werden, sondern sie werden<br />

– trotz Fleiß <strong>und</strong> individuellen Bemühens – eher verstärkt. Nach Leistung<br />

differenzierte unterschiedliche Lehrpläne an verschiedenen Schulen verstärken<br />

somit die Unterschiede.<br />

� Für die betroffenen Schüler/innen geht durch die genannten Faktoren<br />

(Unterschätzung <strong>und</strong> Unterforderung) die „Bedrohung“ einher, die vermittelten<br />

aus- oder unausgesprochenen Erwartungen zu erfüllen. Die<br />

geistige Anstrengung, zu zeigen, dass man doch besser ist als die Erwartung,<br />

beeinträchtigt kurzzeitig die intellektuelle Leistungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> langfristig wird der eigene Anspruch an Schulleistungen <strong>und</strong> deren<br />

Bedeutung für Selbstbild <strong>und</strong> Selbstwertgefühl reduziert: Die Erwartung<br />

hat sich erfüllt.<br />

<strong>Bildung</strong>spolitische Empfehlungen der <strong>Arbeitskammer</strong><br />

� Entwicklung einer <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Erziehungskultur, die zur Auseinandersetzung<br />

mit institutioneller Diskriminierung auf allen Ebenen <strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>swesens<br />

ermutigt. Diese muss eingebettet sein in ein gesellschaftliches<br />

Klima, das Chancengleichheit propagiert, in den Schulgesetzen<br />

verankert <strong>und</strong> Möglichkeiten der Umsetzung schafft. Hierzu gehören<br />

entsprechende Lehrerfortbildungen ebenso wie eine Lehrerausbildung,<br />

die den pädagogischen Erfordernissen gerecht wird. Förderpotenziale<br />

sollten ausgebaut <strong>und</strong> koordiniert werden. Auch ist zu überlegen, inwieweit<br />

die vorhandenen Potenziale an den Sonder- <strong>und</strong> Förderschulen<br />

wirksamer an den Regelschulen etabliert werden können.<br />

� Dazu bedarf es dringend einer Abkehr vom monokulturellen Leitbild<br />

von Schule. Dies bedeutet eine ressourcenorientierte Sichtweise, die<br />

weniger die Defizite als vielmehr die zusätzlichen Potenziale von Migrant/innen<br />

in den Blick rückt.<br />

50


4.3 Kinder <strong>und</strong> Jugendliche mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

� Muttersprachlicher Unterricht (türkisch <strong>und</strong> italienisch) sollte an den allgemeinbildenden<br />

Schulen eingeführt werden <strong>und</strong> als eine Fremdsprache<br />

anerkannt werden.<br />

� Der Islamunterricht sollte als Regelunterricht eingeführt <strong>und</strong> in deutscher<br />

Sprache mit an hiesigen Universitäten ausgebildeten Lehrkräften<br />

erteilt werden.<br />

� Der öffentliche Dienst sollte sich – als Vorreiter – verstärkt um Mitarbeiter/innen<br />

mit Migrationshintergr<strong>und</strong> bemühen (an dieser Stelle sei<br />

noch einmal stellvertretend auf die in B<strong>und</strong>esländern gestiegene Bereitschaft<br />

verwiesen, häufiger als bislang solche jungen Menschen in den<br />

Polizeidienst einzustellen). Aber auch in den Schuldienst sind verstärkt<br />

Lehrer/innen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> einzustellen <strong>und</strong> zuvor für den<br />

Lehrerberuf zu werben.<br />

� Die Eltern müssen in den gesamten <strong>Bildung</strong>sbereich mehr eingeb<strong>und</strong>en<br />

werden. Als Kooperationspartner <strong>und</strong> Mittler hierzu könnten die<br />

verschiedenen bestehenden Migrantenorganisationen unterstützend<br />

mitwirken. In Einzelfällen (etwa in schwierigen schulischen Situationen,<br />

die mit Eltern ohne deutsche Sprachkenntnisse zu erörtern sind) ist es<br />

erforderlich, dass temporär zur Verständigung ein(e) Dolmetscher/in<br />

eingesetzt wird; dafür sind Mittel für die Schulen einzustellen.<br />

1 Vgl. Konsortium <strong>Bildung</strong>sberichterstattung (Hrsg.), <strong>Bildung</strong> in Deutschland – Ein indikatorengestützter<br />

Bericht mit einer Analyse zu <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Migration, 006. Im Auftrag der Ständigen<br />

Konferenz der Kultusminister der Länder in der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong> <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esministeriums<br />

für <strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> Forschung.<br />

alle Zitate Tagesschau 14.0 .07<br />

TAZ 05.0 .07<br />

4 TAZ .0 .07<br />

5 Im Januar 006 wurde im saarländischen Landtag ein Antrag der FDP-Fraktion zur Einführung<br />

der Schulpflicht für Flüchtlingskinder verhandelt. Da der CDU-Fraktion dieser Antrag zu weit<br />

ging, wurden die Kinder, die abgeschoben werden sollen, ausgenommen. Ein erneuter Gesetzentwurf<br />

zur generellen Schulpflicht für Flüchtlingskinder soll noch vor der Sommerpause<br />

eingebracht werden <strong>und</strong> könnte im Falle seiner Verabschiedung ab Schuljahr 008/ 009 in<br />

Kraft treten.<br />

6 vgl. Jahresbericht 006, S. 55<br />

7 vgl. AKI (Arbeitsstelle Interkulturelle Konflikte <strong>und</strong> gesellschaftliche Integration am Wissenschaftszentrum<br />

Berlin für Sozialforschung Hrsg.), AKI-Forschungsbilanz 5, Migrationshintergr<strong>und</strong>,<br />

Minderheitenzugehörigkeit <strong>und</strong> <strong>Bildung</strong>serfolg, 006.<br />

51<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

4.4 Fördern statt ausgrenzen: Zur Situation<br />

auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

Jugendliche mit schulischen Defiziten bzw. Problemen, junge Frauen <strong>und</strong><br />

Bewerber/innen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> sind noch immer die Verlierer<br />

beim jährlichen „run“ auf die knappen Ausbildungsplätze. Die Marktbenachteiligung<br />

dieser jungen Menschen durch u.a. bildungspolitische Reformen<br />

sowie eine entsprechende Förderung zu beseitigen, muss insbesondere<br />

vor dem Hintergr<strong>und</strong> <strong>des</strong> zunehmend beklagten Fachkräftemangels<br />

eine zentrale Aufgabe sein. Trotz <strong>des</strong> nach wie vor herrschenden Mangels<br />

an Ausbildungsplätzen sollten Themen wie die Qualität der Ausbildung<br />

<strong>und</strong> die relativ hohe Zahl von vorzeitig gelösten Ausbildungsverträgen<br />

nicht außer Acht gelassen werden.<br />

Allenthalben ist die Rede von „Europäisierung“ <strong>und</strong> „Globalisierung“ der<br />

Märkte, von Gender Mainstreaming sowie einem in absehbarer Zukunft drohenden<br />

Fachkräftemangel. Auf dem Ausbildungsstellenmarkt aber endete<br />

bislang sowohl die Internationalisierung als auch die Chancengleichheit der<br />

Geschlechter. Angesichts der wirtschaftlichen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Entwicklung<br />

wäre aber eine verstärkte Berücksichtigung von gut qualifizierten<br />

jungen Frauen <strong>und</strong> Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong> jedoch für die<br />

Wirtschaft <strong>und</strong> Verwaltung durchaus von Vorteil.<br />

Jugendliche Migrant/innen <strong>und</strong> junge Frauen: Ein vernachlässigtes<br />

Potenzial für Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

Besteht schon heute Bedarf an Fachkräften – insbesondere auch mit länderspezifischen<br />

sprachlichen <strong>und</strong> interkulturellen Kenntnissen, so ist davon<br />

auszugehen, dass dieser in Zukunft noch zunehmen wird. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong><br />

dürfte sowohl eine Ausweitung als auch eine bessere Nutzung <strong>des</strong><br />

heimischen Erwerbspersonenpotenziales notwendig werden. Das schließt<br />

aber auch die in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergr<strong>und</strong><br />

ein. Denn nach wie vor haben junge Frauen <strong>und</strong> Jugendliche mit<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> „Migrantenfamilie“ deutlich schlechtere Chancen, einen<br />

Ausbildungsplatz zu erhalten. Dies spiegelt sich seit Jahren in den zur Verfügung<br />

stehenden Zahlen <strong>des</strong> Ausbildungsstellenmarktes wider.<br />

� Im Ausbildungsjahr 006 waren von den 1.907 Auszubildenden 8. 99<br />

weiblich. Das entspricht einer Quote von 8, Prozent (Vorjahr: 8,8<br />

Prozent). Seit 001 verschlechterte sich die Quote damit kontinuierlich<br />

von 40,0 auf jetzt 8, Prozent,<br />

5


4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

� Von den 8. 64 bei der Agentur für Arbeit gemeldeten Bewerber/innen<br />

waren 4.00 weiblich. Das entspricht einer Quote von 47,9 Prozent. Gegenüber<br />

dem Vorjahr (47,4 Prozent) gab es damit lediglich eine geringfügige<br />

Verbesserung von 0,5 Prozent. Der Anteil an den Ende September<br />

unvermittelt gebliebenen Bewerber/innen lag mit 51,1 Prozent (19<br />

junge Frauen) jedoch über dieser Quote,<br />

� während ,9 Prozent der Bewerberinnen über eine Fachhochschul-/<br />

Hochschulreife bzw. -abschluss verfügen, 4,6 Prozent über einen mittleren<br />

<strong>Bildung</strong>sabschluss <strong>und</strong> 8,8 Prozent einen Hauptschulabschluss haben,<br />

verfügen lediglich , Prozent von ihnen über keinen Hauptschulabschluss.<br />

Bei den männlichen Bewerbern sieht es deutlich schlechter<br />

aus. Hier haben lediglich 14,7 Prozent eine Fachhochschul-/Hochschulreife<br />

bzw. -abschluss <strong>und</strong> 7,8 Prozent einen mittleren Abschluss. Jeder<br />

Zweite (50,7 Prozent) hat hingegen einen Hauptschulabschluss <strong>und</strong> 5,0<br />

Prozent erlangt nicht einmal diesen Abschluss,<br />

� mit 8, Prozent war im Jahr 005 der Anteil ausländischer Jugendlicher<br />

an den Schulabsolventen im Saarland in etwa gleich groß wie ein Jahr<br />

zuvor (8,0 Prozent),<br />

� während bei den deutschen Jugendlichen „lediglich“ 7,6 Prozent ( 004:<br />

7,8 Prozent) keinen Hauptschulabschluss hatten, waren es bei den ausländischen<br />

Jugendlichen deutliche 18,1 Prozent ( 004: 0,9 Prozent),<br />

� mit einer Quote von 4,6 Prozent ( 005: 4,5) <strong>und</strong> 1.006 Ausbildungsverträgen<br />

ist ihr Anteil an der Gesamtheit der Ausbildungsverträge deutlich<br />

unterrepräsentiert. Gegenüber dem vergangenen Jahrzehnt (Quoten<br />

zwischen 5 <strong>und</strong> 7 Prozent) schwankt ihr Anteil seit Anfang dieses Jahrzehnts<br />

zwischen 4 <strong>und</strong> 5 Prozent,<br />

� die Ausbildungsbeteiligungsquote – berechnet als Anteil der ausländischen<br />

Auszubildenden an den altersmäßig für eine Ausbildung in Frage<br />

kommenden 15- bis 5-jährigen ausländischen Jugendlichen (11.179)<br />

– hat sich mit 8,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr (Jahr 004) geringfügig<br />

um 0,4 Prozent verbessert.<br />

Zur Anhebung der Berufs- <strong>und</strong> damit Arbeitsmarktchancen von Frauen<br />

<strong>und</strong> jungen Migrant/innen aber auch angesichts der gesellschaftlichen <strong>und</strong><br />

wirtschaftlichen Herausforderungen, denen sich unser Land zukünftig ausgesetzt<br />

sieht, muss das bildungspolitische Potenzial, das diese Menschen<br />

heutzutage mitbringen, auch in der beruflichen <strong>Bildung</strong> deutlich stärker<br />

genutzt werden, als dies bis dato der Fall ist.<br />

5<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

„Mangelnde Ausbildungsfähigkeit“: Sein oder Schein<br />

„Mangelnde Ausbildungsreife“ ist ein Vorwurf, den Jugendliche seit Jahren<br />

– genauer gesagt, seit Beginn <strong>des</strong> massiven Ausbildungsplatzmangels Mitte<br />

der 90er Jahre – zu hören bekommen. Seit diesem Zeitpunkt beklagen Arbeitgeber<br />

<strong>und</strong> ihre Vertreter, dass sie große Mühe haben, kompetente Auszubildende<br />

zu finden <strong>und</strong> dass <strong>des</strong>halb viele angebotene Lehrstellen nicht<br />

besetzt werden könnten. Sie belegen dies mit Ergebnissen betrieblicher<br />

Leistungstests, mit diversen „anekdotischen“ Beispielen von Jugendlichen<br />

<strong>und</strong> nicht zuletzt mit den Ergebnissen der viel beachteten PISA-Studie. Bemängelt<br />

werden aber auch das allgemeine Auftreten, fehlende ordentliche<br />

Kleidung oder fehlende Leistungsbereitschaft der jugendlichen Bewerber/<br />

innen.<br />

Die Ansichten hierüber aber sind gespalten: Während die einen in der fehlenden<br />

Reife die Hauptursache für die Lehrstellenmisere sehen, halten andere<br />

dieses Argument für einen Taschenspielertrick der Arbeitgeber, mit<br />

dem diese lediglich von ihrer geringer gewordenen Ausbildungsbereitschaft<br />

ablenken wollen.<br />

Ob die Ausbildungsreife junger Menschen in den letzten Jahren tatsächlich<br />

abgenommen hat – wie teilweise behauptet wird – oder nicht, ist nur<br />

schwer auszumachen. Es ist im Übrigen auch nicht das erste Mal, dass dies<br />

behauptet wird. Bereits in den sechziger Jahren hat die Wirtschaft in<br />

Deutschland darüber geklagt, dass min<strong>des</strong>tens ein Viertel der Lehrlinge<br />

nicht richtig rechnen <strong>und</strong> schreiben können <strong>und</strong> ihnen eine unzureichende<br />

Ausbildungsreife attestiert. Während die einen die mangelnde Ausbildungsfähigkeit<br />

beklagen, äußern sich andere äußerst positiv über die junge<br />

Generation. So stellte der frühere Gesamtmetall-Chef Werner Stumpfe<br />

fest: „Es gibt keinerlei Gr<strong>und</strong>, der Jugend von heute pauschal mangelnde<br />

Einstellung zur Arbeit <strong>und</strong> einen Mangel an Gr<strong>und</strong>fertigkeit vorzuwerfen.“<br />

Und der Jugendforscher Arthur Fischer hält die junge Generation sogar<br />

für „hochmotiviert“. Die Gesellschaft müsse aber die Gr<strong>und</strong>lagen schaffen,<br />

damit sich die Jugendlichen auf die neuen Herausforderungen vorbereiten<br />

können. Doch leider würden, so Fischer, die <strong>Bildung</strong>smittel gekürzt.<br />

Insgesamt betrachtet, stellt sich der Sachverhalt demnach als äußerst vielschichtiges<br />

Problem dar:<br />

� Einerseits belegen diverse Studien der letzten Jahre – wie beispielsweise<br />

die PISA-Studie, dass es im schulischen Bereich deutliche Defizite<br />

gibt. Als Folge verlassen beispielsweise noch immer über 8 Prozent<br />

der Jugendlichen im Saarland die allgemeinbildende Schule ohne einen<br />

Hauptschulabschluss <strong>und</strong> die Gruppe derer, die nur die niedrigste Kom-<br />

54


4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

petenzstufe erreicht oder nicht einmal diese, ist mit Prozent viel zu<br />

groß. Dies reicht aber nicht aus, pauschal von einer mangelnden Ausbildungsfähigkeit<br />

zu sprechen.<br />

� Andererseits aber haben sich die Fähigkeiten junger Menschen auch verändert.<br />

So ist belegt (u.a. eine Untersuchung <strong>des</strong> BiBB), dass Jugendliche<br />

heutzutage über Fähigkeiten verfügen, die frühere Schulabgänger in<br />

geringerem Umfang vorzuweisen hatten <strong>und</strong> die in hohem Maße dem<br />

heutigen Anforderungsprofil neuer Ausbildungsberufe entsprechen.<br />

Junge Menschen verfügen heutzutage über gute IT-Kenntnisse, können<br />

vernetzter Denken <strong>und</strong> sind meist auch selbstsicherer sowie kommunikations-<br />

<strong>und</strong> teamfähiger.<br />

� Defizite wie beispielsweise Selbstständigkeit, Höflichkeit, soziales Verhalten<br />

ergeben sich aber auch aus der Erziehung im Elternhaus sowie<br />

dem Lernen aus gesellschaftlichem Sozialverhalten.<br />

� Testergebnisse von Unternehmen (z.B. der immer wieder zitierte Test<br />

von BASF) <strong>und</strong> Kammern halten bei näherer Hinsicht einer wissenschaftlichen<br />

Betrachtung nicht stand <strong>und</strong> sind von daher nur eingeschränkt<br />

aussagefähig. Um zu wissenschaftlich f<strong>und</strong>ierten Aussagen über die<br />

Leistungsfähigkeit von Schulabgängern zu gelangen, wären – ähnlich<br />

wie in anderen Industrienationen – auch in Deutschland regelmäßige<br />

Qualitätskontrollen <strong>des</strong> <strong>Bildung</strong>s- <strong>und</strong> Berufsbildungssystems zu etablieren.<br />

Denn nur auf der Gr<strong>und</strong>lage wissenschaftlich angelegter Untersuchungen<br />

kann die Frage nach den Leistungsvoraussetzungen <strong>des</strong><br />

Berufsnachwuchses eindeutig beantwortet werden.<br />

� Angesichts <strong>des</strong> seit Jahren bestehenden Bewerber/innen-Überhangs<br />

stellt sich aber auch die Frage, ob dadurch nicht zwangsläufig auch die<br />

Einstellungskriterien (Ansprüche) der Unternehmen <strong>und</strong> damit einhergehend<br />

die Beurteilung der Ausbildungsreife gestiegen sind.<br />

� Unternehmen beurteilen die Ausbildungsreife oft aus ihren z.T. sehr<br />

betriebsspezifischen Anforderungen/Erwartungen <strong>und</strong> übersehen dabei<br />

auch, dass es sich bei den Auszubildenden um junge Menschen in einem<br />

Entwicklungs- <strong>und</strong> Lernprozess handelt.<br />

� Die in den zurückliegenden Jahren gestiegenen beruflichen Anforderungen<br />

dürfen in der Debatte sicherlich nicht außer Acht gelassen werden.<br />

� Im Übrigen belegen zahlreiche überaus erfolgreiche Modellversuche<br />

<strong>und</strong> Praxisbeispiele mit „benachteiligten“ <strong>und</strong> somit wegen Defiziten<br />

55<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

angeblich „nicht ausbildungsfähigen“ Jugendlichen die Fragwürdigkeit<br />

<strong>des</strong> ganzen Themas.<br />

Bei den Klagen über die nicht vorhandene „Ausbildungsfähigkeit“ wird<br />

auch nicht deutlich, weshalb die Jugendlichen eigentlich „nicht geeignet“<br />

sind – ob es an der mangelnden Ausbildungsreife, an der fehlenden Eignung<br />

für den jeweiligen Beruf oder an den spezifischen Anforderungen <strong>des</strong><br />

Betriebes für die konkrete Stelle bzw. an sonstigen, nicht eignungsabhängigen<br />

Vermittlungshemmnissen liegt. Die genauen Gründe zu kennen wäre<br />

jedoch hilfreich, um klären zu können, woran es letztlich mangelt <strong>und</strong> was<br />

getan werden muss, um Probleme bei der Besetzung von Ausbildungsstellen<br />

zu beheben.<br />

In der Debatte kommen die Worte Ausbildungsreife, Ausbildungsfähigkeit<br />

<strong>und</strong> Ausbildungseignung fälschlicherweise synonym zur Anwendung, obwohl<br />

es ratsam ist, zwischen den einzelnen Begriffen zu differenzieren.<br />

� Unter Fachleuten ist man sich mittlerweile darüber einig, dass der Begriff<br />

„Ausbildungsreife“ dem der „Ausbildungsfähigkeit“ vorzuziehen<br />

ist, weil damit auch Reifungs- <strong>und</strong> Lernprozesse einbezogen werden,<br />

ohne deren Beachtung eine angemessene Beurteilung Jugendlicher<br />

<strong>und</strong> eine Prognose ihrer Entwicklungspotenziale nicht vorgenommen<br />

werden kann. Unter „Ausbildungsreife“ werden allein diejenigen Fähigkeiten<br />

<strong>und</strong> Arbeitstugenden gesehen, die für alle Ausbildungsberufe<br />

wichtig sind – gleich, ob es sich um eine besonders anspruchsvolle oder<br />

um eine weniger anspruchsvolle Ausbildung handelt. Sind bestimmte<br />

Fähigkeiten nur für bestimmte Berufe wichtig, während sie bei anderen<br />

keine besondere Rolle spielen, gehören diese zur berufsspezifischen<br />

Eignung. Jemand kann also durchaus ausbildungsreif sein, auch wenn<br />

er für einen bestimmten Beruf nicht geeignet ist. Einigkeit besteht auch<br />

dahingehend, dass unter „Ausbildungsreife“ nur solche Aspekte subsumiert<br />

werden können, die schon bei Antritt der Lehre vorhanden sein<br />

müssen. Fähigkeiten <strong>und</strong> Fertigkeiten, die erst während der Lehre erworben<br />

werden sollen <strong>und</strong> im Ausbildungsplan als Lernziele aufgeführt<br />

werden, gehören nicht dazu.<br />

� Vor dem Hintergr<strong>und</strong>, dass das Saarland noch immer einen hohen Anteil<br />

von Schülern ohne Hauptschulabschluss hat (nach AK-Informationen 8,4<br />

Prozent), ist das jetzt vom Ministerium für <strong>Bildung</strong>, Kultur <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> der B<strong>und</strong>esagentur für Arbeit gestartete Pilotprojekt „Du<br />

schaffst das“ durchaus ein Schritt in die richtige Richtung. Durch das<br />

Projekt soll die Zahl derjenigen die keinen Hauptschulabschluss erlangen,<br />

mit mehr praktischem Unterricht sowie einer sozialen Betreuung<br />

weiter gesenkt werden. Da es sich um ein gerade erst gestartetes Projekt<br />

56


4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

handelt, kann eine inhaltliche Bewertung dazu erst in näherer Zukunft<br />

erfolgen.<br />

� Darüber hinaus sei erneut an die weitere Umsetzung <strong>des</strong> im Jahr 001<br />

von einer Expertengruppe im Rahmen der Arbeitsgruppe „Standortpolitischer<br />

Dialog“ der Saar-Gemeinschaftsinitiative im Konsens erarbeiteten<br />

Papiers zur „Verbesserung der Ausbildungsfähigkeit“ erinnert. Das<br />

Papier enthält nach Auffassung der <strong>Arbeitskammer</strong> noch immer eine<br />

Reihe von Punkten, die es im Hinblick auf die Verbesserung der Ausbildungsreife<br />

junger Menschen noch umzusetzen gilt.<br />

Qualität der Ausbildung – (k)ein Thema<br />

Angesichts <strong>des</strong> in den letzten Jahren vorherrschenden Mangels an Ausbildungsplätzen<br />

spielte die Qualität der Ausbildung zwischenzeitlich eine eher<br />

untergeordnete Rolle. Dabei wäre es jedoch notwendig, sich auch dieses<br />

Themas anzunehmen. Gr<strong>und</strong>sätzlich gilt es jedoch festzuhalten, dass die<br />

Mehrzahl der jungen Menschen, die im Saarland eine Chance auf eine Ausbildung<br />

bekommen haben, eine gute Berufsausbildung erhält.<br />

Obwohl es keine empirisch abgesicherten Erkenntnisse zur Qualität <strong>und</strong><br />

Qualitätssicherung in der betrieblichen Berufsausbildung gibt, existieren<br />

doch eine Reihe von Informationen <strong>und</strong> Erkenntnissen, die es notwendig<br />

machen, sich mit dem Thema zu beschäftigen. So ist die Qualität der Ausbildung<br />

in einigen Branchen <strong>und</strong> Ausbildungsberufen deutlich schlechter als<br />

in anderen. Zu den problematischeren Branchen gehören bekanntermaßen<br />

unter anderem das Hotel- <strong>und</strong> Gaststättengewerbe, der Dienstleistungssektor,<br />

der Einzelhandel sowie Teile <strong>des</strong> Handwerks.<br />

Probleme gibt es dabei vor allem mit Verstößen gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz<br />

(u.a. Einhaltung der Arbeitszeit), mit der Existenz bzw. Einhaltung<br />

von Ausbildungsrahmenplänen <strong>und</strong> mit der fachlichen Anleitung<br />

durch qualifizierte Ausbilder vor Ort. So müssen beispielsweise angehende<br />

Köche, Restaurantfachleute oder Auszubildende in der Werbebranche mit<br />

vielen Überst<strong>und</strong>en, ausbildungsfremden Tätigkeiten <strong>und</strong> einer insgesamt<br />

hohen Arbeitsbelastung rechnen. Den zuständigen Stellen sind die Betriebe<br />

<strong>und</strong> die dort herrschenden Missstände oft <strong>und</strong> teilweise schon lange bekannt;<br />

unternommen wird jedoch recht wenig. Die Folgen für die betroffenen<br />

Jugendlichen sind schwache bzw. schlechte Prüfungsergebnisse, eine<br />

mangelhafte Berufsausbildung oder ein Abbruch der Ausbildung.<br />

Die verantwortlichen Instanzen, allen voran die Kammern, aber auch Gewerbeaufsicht,<br />

Arbeitgeberverbände <strong>und</strong> Politik sind aufgefordert, sich<br />

57<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>


<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong><br />

4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

<strong>des</strong> Themas anzunehmen. In Fällen schlechter Ausbildungsqualität bzw.<br />

Gesetzesverstößen muss reagiert werden. Das dabei zu nutzende Instrumentarium<br />

reicht von Gesprächen über Fristsetzung bis zu einem Entzug<br />

der Ausbildungsberechtigung. Durch die zum 1. April 005 in Kraft getretene<br />

novellierte Fassung <strong>des</strong> Berufsbildungsgesetzes (BBiG), welche der<br />

Qualitätssicherung in der dualen Berufsausbildung einen hohen Stellenwert<br />

einräumt, ergeben sich neue Möglichkeiten, die Qualität in der dualen Berufsausbildung<br />

zu verbessern.<br />

Angesichts <strong>des</strong> alljährlich spürbaren Erfolgsdrucks, positive Meldungen zur<br />

Großwetterlage „Ausbildungsstellenmarkt“ abzugeben, stehen quantitative<br />

Ergebnisse im Vordergr<strong>und</strong>, die Frage nach Qualität <strong>und</strong> Zukunftsfähigkeit<br />

der eingeworbenen Ausbildungsstellen hingegen spielt keine Rolle.<br />

Vorzeitige Lösung von Ausbildungsverträgen<br />

Konnte man zwischen den Jahren 1998 <strong>und</strong> 001 im Saarland eine Zunahme<br />

der Vertragslösungen beobachten, so stellte sich in den darauf folgenden<br />

Jahren bis 004 ein Rückgang derselben ein. 005 <strong>und</strong> jetzt auch 006 gab<br />

es in<strong>des</strong> wieder eine Zunahme von Vertragslösungen. Mit .149 vorzeitig<br />

gelösten Ausbildungsverträgen gab es gegenüber dem Vorjahr 115 Verträge<br />

(5,7 Prozent) mehr Vertragslösungen. Damit stieg die Lösungsrate von<br />

9,4 Prozent im Jahre 005 auf aktuell 9,8 Prozent.<br />

Die hohe Abbrecherquote bringt zum Ausdruck, dass ein nicht zu übersehender<br />

Anteil der Auszubildenden mit Ausbildungskonflikten konfrontiert<br />

ist, die offensichtlich innerhalb <strong>des</strong> bestehenden Ausbildungsverhältnisses<br />

nicht mehr lösbar sind. Ausbildungsabbrüche <strong>und</strong> Umorientierungen während<br />

der betrieblichen Berufsausbildung werden meist von individuellen<br />

<strong>und</strong> betrieblichen Faktoren beeinflusst. Dabei wirken individuelle Faktoren<br />

zumeist stärker als betriebliche. Vertragslösungen bedeuten aber in den<br />

meisten Fällen nicht das Ende einer betrieblichen Ausbildung. Bei der Verhinderung<br />

von Vertragslösungen gilt das Hauptaugenmerk den Klein- <strong>und</strong><br />

Kleinstbetrieben. Hier treten die weitaus meisten Vertragslösungen auf,<br />

wie u.a. die Ergebnisse einer repräsentativen Befragung <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esinstituts<br />

für Berufsbildung aus dem Jahre 00 zeigen.<br />

Untersuchungen belegen, dass ein großer Anteil der Vertragslösungen in<br />

der betrieblichen Sphäre begründet sind. Hier dominieren Konflikte mit<br />

Ausbildern, Vorgesetzten <strong>und</strong> Betriebsinhabern. Viele der Abbrüche stehen<br />

aber auch in engem Zusammenhang mit der Berufswahl <strong>und</strong> der beruflichen<br />

Orientierung. Das heißt, der Einstiegsberuf hat nicht dem Wunschberuf entsprochen.<br />

Nicht zuletzt aber führen auch vorhandene Qualitätsprobleme<br />

58


4.4 Situation auf dem Ausbildungsstellenmarkt<br />

in der Ausbildung zur Auflösung von Verträgen. Vertragslösungen sind in<br />

aller Regel mit Ärger <strong>und</strong> Kosten verb<strong>und</strong>en – aber auch vermeidbar, wenn<br />

Warnsignale beachtet, Missstände behoben <strong>und</strong> rechtzeitig eingegriffen<br />

wird. Ein Ausbildungsabbruch wird sicher nicht in jedem Fall zu verhindern<br />

sein. Trotzdem kann man wohl davon ausgehen, dass bei der großen<br />

Anzahl von Ausbildungsabbrüchen ein gewisser Spielraum für präventive<br />

Maßnahmen gegeben ist. Möglich ist dies u.a. mit externem Ausbildungsmanagement,<br />

Mediation <strong>und</strong> Ausbildungscoaching.<br />

59<br />

<strong>Bildung</strong> <strong>und</strong> <strong>Qualifizierung</strong>

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