Krise der Kommunalfinanzen Handreichungen ... - Arbeit und Leben
Handreichungen
für die politische Arbeit
von Ehrenamtlichen vor Ort
Ulrich Schachtschneider
Krise der
Kommunalfinanzen
Impressum
Herausgeber:
Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN Niedersachsen e. V.
Landesgeschäftsstelle Hannover, Pädagogische Arbeitsstelle
Verantwortlich:
Carl-Bertil Schwabe
Autor:
Ulrich Schachtschneider
Hannover, Mai 2004
Handreichungen
für die politische Arbeit
von Ehrenamtlichen vor Ort
Ulrich Schachtschneider
Krise der
Kommunalfinanzen
Inhalt
Vorwort ................................................................................................... 5
Einleitung ............................................................................................... 7
Einnahmen und Ausgaben .................................................................. 9
Kommunen, Land, Bund ....................................................................... 9
Einnahmen kommunaler Haushalte ....................................................... 10
Kommunale Ausgaben – Arten ............................................................. 13
Vermögens- und Verwaltungshaushalt .................................................. 15
Kreis – Gemeinden – Stadt .................................................................... 15
Bilanzen kommunaler Aufgabenbereiche .............................................. 17
Kommunale Aufgabennereiche ............................................................. 20
Entwicklung und Krise ......................................................................... 21
Ausgaben für soziale Leistungen .......................................................... 21
Personalausgaben ................................................................................. 23
Eine Einnahmekrise ............................................................................... 24
Steuern runter ...................................................................................... 25
Kopfsteuer reloaded .............................................................................. 26
Folge: Sinkende Investitionen ................................................................ 26
Reform der Gemeindefinanzierung .................................................. 27
Vorschlag Kommunale Spitzenverbände ............................................... 27
Vorschlag des BDI ................................................................................. 28
Wirkungen ........................................................................................... 29
Ver.di-Eckpunkte einer Gemeindefinanzreform ..................................... 30
Thesen zur Information und Diskussion ......................................... 33
Literatur und Links .............................................................................. 39
Krise der Kommunalfinanzen
4 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Vorwort
Für die Arbeit in den Orts- und Kreisverbänden des DGB ist die Finanzausstattung der
Kommunen und die Gestaltung der kommunalen Haushalte von großer Bedeutung. In der
Einleitung zu diesem Heft werden einzelne Punkte aufgelistet, die die Relevanz der kommunalen
Finanzausstattung für die Gewerkschaften benennen.
Um sich qualifiziert mit den Strukturen eines kommunalen Haushaltes auseinander setzen zu
können, sind Kenntnisse über die Systematik der Einnahmen und Ausgaben (was sind z. B.
freiwillige und was sind Pflichtaufgaben) erforderlich.
Für die politische Diskussion um die zukünftige Finanzausstattung des Staates und damit
auch der Kommunen sind grundlegende Informationen die Voraussetzung. Mit diesem Heft
wollen wir einen Beitrag für die qualifizierte Diskussion um die Staatsfinanzen aus der Sicht
von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern leisten.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund, Region Oldenburg/Wilhelmshaven und die Bildungsvereinigung
ARBEIT UND LEBEN Niedersachsen geben den Kolleginnen und Kollegen in den
Orts- und Kreisverbänden mit diesem Heft gleichzeitig eine Hilfestellung, um sich mit den
vielfältigen Fragen und Problemen der öffentlichen Finanzen beschäftigen zu können.
Möglich wurde das vorliegende Heft durch die Finanzierung des DGB für Projekte der
Binnenstruktur. Finanziell hat sich daneben die Bildungsvereinigung ARBEIT UND LEBEN an
der Erstellung des Heftes beteiligt.
Erstellt und gestaltet hat das Heft Ulrich Schachtschneider. Er hat nicht nur die theoretischen
Voraussetzungen mir der Zusammenstellung und Bewertung der Materialien geschaffen,
sondern parallel in Veranstaltungen mit Kolleginnen und Kollegen die Materialien praktisch
erprobt und Thesen zur Information und Diskussion erarbeitet, die das Arbeiten mit diesem
Heft erleichtern sollen und hier ebenfalls abgedruckt sind (siehe Seite 33ff). Zudem gibt es
für die Städte Delmenhorst und Wilhelmshaven Beiblätter mit ortsspezifischen Daten. Sie
sind auf Anfrage erhältlich (siehe Adressen auf der Rückseite des Umschlags).
Wir danken Ulrich Schachtschneider für seine Arbeit.
Manfred Klöpper
Vorsitzender der DGB-Region
Oldenburg/Wilhelmshaven
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Bernd Bischoff
Regionalleiter
ARBEIT UND LEBEN Nds. e. V., Region Nord
Vorwort
5
Krise der Kommunalfinanzen
6 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Einleitung
Die Schere zwischen privatem Reichtum und öffentlicher Armut öffnet sich weiter. So wie alle
öffentlichen Haushalte sind auch die Kommunalfinanzen durch die ökonomischen und politischen
Entwicklungen in einer krisenhaften Situation hineinmanövriert worden. In jüngster
Zeit nahmen die Einbrüche bei den Einnahmen dramatische Formen an, so dass eine
Gemeindefinanzreform von allen gesellschaftlichen Gruppen für nötig gehalten wird. Ein
erster Entwurf der daraufhin eingerichteten Kommission liegt bereits vor und könnte schon
Anfang 2004 zur Anwendung gelangen.
Gewerkschafter/Innen sind mit dem Thema Gemeindefinanzen in ihrem betrieblichen und
außerbetrieblichen Alltag ständig konfrontiert. Dies ist besonders der Fall, wenn zum Beispiel
• um Tarife im öffentlichen Dienst gestritten wird,
• Sozialhilfeempfänger zu niedrigst bezahlter Arbeit gezwungen werden sollen, um die
kommunalen Ausgaben für Leistungen für Sozialhilfe zu senken,
• kommunale Einrichtungen Personal und Sachmittel einsparen oder geschlossen werden
sollen,
• Zuschüsse gekürzt werden,
• kommunale Investitionen thematisiert werden.
Zudem haben Änderungen in der Einnahme- sowie der Ausgabenstruktur immer auch verteilungs-
und sozialpolitische Wirkungen. Allein dies erfordert ein hohes Interesse von
GewerkschafterInnen an Finanzpolitik – auf welcher Ebene auch immer.
In der Praxis wird es dann häufig schnell schwierig und unübersichtlich. Bei jeder Forderung
kontern Experten mit Zahlen, die angeblich keine andere Lösung zulassen. Der vermeintliche
Sachzwang zum Kürzen bestimmter Leistungen wird so konstruiert.
Um hier Aussagen einschätzen zu lernen, gegebenenfalls argumentativ gegenhalten zu können,
muss man nicht seinerseits Experte werden. Nötig ist allerdings, einen Überblick zu
gewinnen über einige wesentliche Grundlagen kommunalen Finanzwesens:
• Struktur (Arten) von Einnahmen und Ausgaben,
• Größenordnung verschiedener Einnahmen und Ausgaben,
• Entwicklung verschiedner Ausgaben/ Einnahmen in den letzten Jahren.
Mit diesem Basiswissen können die aktuellen Reformvorschläge zur Verbesserung der
Kommunalfinanzen besser eingeschätzt werden – mit ihren Auswirkungen auf die Haushaltsbilanzen
und ihre verteilungspolitische Wirkung.
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Einleitung
7
Einleitung
In diesem Heft wird vor allem die Struktur kommunaler Haushalte in Deutschland dargelegt,
wie sie sich im Mittel gestaltet. Dabei wird wenig Wert auf absolute Zahlen gelegt. Es geht
vor allem um Anteile, Größenverhältnisse, um Tendenzen. Örtlich werden die Verhältnisse
natürlich mehr oder weniger abweichend sein. Zur Einschätzung spezifischer Verhältnisse
oder Schwierigkeiten im eigenen Kreis bzw der eigenen Stadt ist ein Vergleich der durchschnittlichen
Verhältnisse mit den eigenen hilfreich. Für einige Kreise bzw. kreisfreie Städte
im DGB-Bezirk Wilhelmshaven/Oldenburg ist die Struktur ihrer kommunaler Ausgaben und
Einnahmen exemplarisch herausgearbeitet und in einem Beiblatt dokumentiert worden.
Es wird sich zeigen, dass die jetzige Situation nicht durch noch so strikte Sparanstrengungen
zu beheben ist. Wer wesentliche Qualitäten des unmittelbaren Lebensumfeldes für alle
Bürger sowie die kommunale Handlungsfähigkeit erhalten möchte, wird sich darüber
Gedanken machen müssen, wie die Einnahmeseite verbessert werden kann. Hier bieten sich
in diesem produktiven und reichen Land – entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt –
ungenutzte Möglichkeiten.
8 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Einnahmen und Ausgaben kommunaler Haushalte
Kommunen, Land und Bund
Die Kommunen sind keine eigene Staatsebene. Sie sind den Ländern zuzurechnen.
Bund/Länder können Kommunen wegen ihrer Gesetzgebungskompetenz
zur Wahrnehmung bestimmter öffentlicher Aufgaben verpflichten.
Sie haben zudem eigenverantwortlich zu regelnde Aufgaben: Sie sind verantwortlich
für Sicherstellung eines bürgernahen und bedarfsgerechten Angebots
an sozialen Einrichtungen und Dienstleistungen.
Die kommunale Selbstverwaltung ist im Grundgesetz garantiert. Deshalb erhalten
die Kommunen Finanzhoheit und haben ein Recht auf angemessene Mittelausstattung.
Aus der Selbstverwaltung ergibt sich aber auch eine finanzielle
Eigenverantwortung. Aus ihr leitet sich etwa das Recht auf „wirtschaftsbezogene
Einnahmequellen” (mit Hebesatzrecht) ab.
Einnahmen der Gemeinden und Gemeindeverbände 2002 (Ost und West)
Werte für das gesamte Bundesgebiet. Eigene Zusammenstellung nach Berechnungen und Schätzungen für 2002
(nach DIW Berlin sowie Prognose der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände)
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Einnahmen und Ausgaben
9
Krise der Kommunalfinanzen
Einnahmen kommunaler Haushalte
Die Grafik auf der vorherigen Seite zeigt die Verteilung der einzelnen Einnahmequellen
aller Gemeinden und Kreise (= Gemeindeverbände) im gesamten Bundesgebiet.
Die Gemeinden und Gemeindeverbände erhalten ihre Einnahmen im
wesentlichen aus folgenden Arten von Quellen:
• Anteile aus Steuern des Bundes, Zuweisungen vom Land 50%
• Eigene Steuern 19%
• Gebühren, Beiträge 11%
• Wirtschaftliche Tätigkeiten, Verkäufe 11%
Die Einnahmequellen gestalten sich im einzelnen wie folgt:
� Gewerbesteuer – Prozentangaben immer bezogen auf Gesamteinnahmen: 12 %
- Schlüssel:
Gewerbeertrag x Steuermesszahl x Hebesatz
• Gewerbeertrag: Gewinn nach Abzügen (z. B. Verluste aus früheren Jahren)
• Steuermesszahl:
- Kapitalgesellschaften: 5%,
- Personengesellschaften: 1 – 5% je 12.500 €,
- Freibetrag: 24.500 €
• Hebesatz:
von Gemeinde festzulegen Schnitt im Jahr 1999: 392% (West), 356% (Ost)
Streuung: 97% >250% (West)
83% >250% (Ost)
• Zerlegung auf mehrere Kommunen möglich (nach Höhe der Arbeitslöhne)
• Bei Personenunternehmen: Pauschalanrechnung auf ESt
• Gewerbesteuerumlage an Bund (28%) nach nivellierten Hebesätzen
Probleme:
• Konjunkturabhängig bei reiner Ertragsbesteuerung
• Tendenz zur Großbetriebssteuer
• Anfälligkeit gegenüber kurzfristigen Unternehmensentscheidungen
(Verlagerung, Umgruppierung)
10 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
� Grundsteuer 6 %
• Forstwirtschaftlich: Grundsteuer A
übrige: Grundsteuer B (96,6%)
• Schlüssel:
Einheitswert x Messzahl x Hebesatz
• Einheitswerte von 1964 bzw. 1935 (Ost)
• Messzahl: z. B. 3,5% für ein Einfamilienhaus
• Hebesatz: von Gemeinde festzulegen. Schnitt 1999: 366% (West),
372% (Ost)
• darf auf Mieter überwälzt werden
� Sonstige Gemeindesteuern
Krise der Kommunalfinanzen
• Ausgleich von Steuerkraftunterschieden und unterschiedlichen Bedarfen:
- Bedarfsindikatoren:
- Hauptansatz: Einwohner
- Nebenansätze: Soziallasten, Arbeitslose, Flächen, Schüler u. a.
• Spezielle Erstattungen und Zuweisungen
- bestimmte Schulen, Jugendschutz, Bauüberwachung u. a.
- Erstattung von Zahlungen für Wohngeld
- Anteilige Sozialhilfe
� Investitionszuweisungen 5 %
• Zuweisungen über Länder
• einmalig zweckgebunden, Anteilsfinanzierung (in Vermögenshaushalt)
• an Unternehmen
� Gebühren und Beiträge 11%
• Gebühren
- für direkte Gegenleistungen
z.B.: Verwaltungsgebühren (Beurkundungen, Genehmigungen)
z.B.: Benutzungsgebühren (Müll, Straßenreinigung, Bäder, Musikschulen,
Friedhöfe, Abwasser)
- Höhe „im angemessenen Verhältnis zum Nutzen”
- sozial staffelbar („Leistungsfähigkeitsprinzip”)
• Beiträge:
z. B.: Ausbaubeiträge für Verkehrsanlagen/ Versorgungsanschlüsse (in
Vermögenshaushalt)
� Sonstiges 11 %
Darunter:
• Verkäufe von Grundstücken, Unternehmen – 5% (in Vermögenshaushalt)
� Wirtschaftliche Betätigung 6 %
• Laufende wirtschaftliche Tätigkeiten – Verkauf, Mieten, Pachten,
Konzessionsabgaben, Gewinnanteile von Grundstücken
� Kreditaufnahme 3%
• Letztes Mittel, nach Gemeindehaushaltsrecht nur zur Finanzierung von
Investitionen (in Vermögenshaushalt)
12 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Kommunale Ausgaben – Arten
Die Struktur kommunaler Ausgaben, aufgeteilt nach Ausgabenarten, stellt sich
wie folgt dar:
� Personal 26 %
• Löhne, Gehälter aller Beschäftigten der Stadtverwaltung (incl.
Straßenreinigung, Kindergarten etc.)
� Sachaufwand 19 %
• Laufende Sachmittel, alle Bereiche
� Soziale Leistungen (Übertragungen) 19 %
Darunter:
• Sozialhilfe nach BSHG: Hilfe zum Lebensunterhalt ca. 7%
Ausgaben der Gemeinden und Gemeindeverbände 2002 (Ost und West)
Quelle: siehe Grafik “Einnahmen”
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Einnahmen und Ausgaben
13
Krise der Kommunalfinanzen
• Sonstige Leistungen nach BSHG
(Krankenhilfe, Eingliederungen für Behinderte..) ca. 7%
• Leistungen nach Asylberwerberleistungsgesetz ca. 1%
• Leistungen für Kriegesopfer u. ä. ca. 1%
• Jugendhilfeleistungen nach KJHG (Heime, betreutes Wohnen)... ca. 3%
(Prozentangaben beziehen sich auf Gesamtausgaben)
� Soziale Einrichtungen 5 %
• Pflegeeinrichtungen
• Wohnungslose
• Selbsthilfegruppen u. a.
• Jugendhilfeeinrichtungen (Freizeitstätten, Krippen und Kindergärten)
� Sachinvestitionen 16%
• Zuschüsse (z.B. Krankenhausumlage, Erschließungsbeiräge an
Energieversorger, Sporteinrichtungen)
• Vermögenserwerb (Grundstücke, Ausstattungen)
• Baumaßnahmen
� Zinsen 4 %
� Sonstiges 10 %
Darunter
• Darlehen, Beteiligungen, Tilgungen 2%
• Unternehmen 3%
• Erwerbungen 2%
(Prozentangaben beziehen sich auf Gesamtausgaben)
14 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Vermögens- und Verwaltungshaushalt
Kommunale Haushalte sind aufgeteilt in Verwaltungs- und Vermögenshaushalt.
• Im Vermögenshaushalt werden alle Ein- und Ausgaben erfasst, die für
die Entwicklung des kommunalen Vermögens relevant sind, z.B. Kaufund
Verkauf, Kosten für Baumaßnahmen und für größere Einrichtungsgegenstände,
Tilgungen.
• Der Verwaltungshaushalt umfasst alle anderen Ausgaben und Einnahmen.
Er regelt den laufenden Betrieb, also z. B. Personalausgaben, laufende
Sachmittel, Sozial- und Jugendhilfe, Zuschüsse und Zuweisungen,
Zinszahlungen
• Beide Teile des Haushaltes sind getrennt zu bilanzieren
• Überschüsse aus dem Verwaltungshaushalt müssen dem Vermögenshaushalt
zugeführt werden. Bei nicht ausgeglichenem Verwaltungshaushalt
ist mindestens ein Pflichtteil in Höhe der Tilgungsleistungen an den
Vermögenshaushalt zu übertragen.
Die Vermögenshaushalte der Gemeinden und Gemeindeverbände der BRD im
Jahre 1999 beliefen sich insgesamt auf etwa 41 Mrd., das sind etwa 36% des
Einnahmevolumens der Verwaltungshaushalte (114 Mrd. €) * .
Vermögenshaushalte
Gemeinden und Gemeindeverbände 1999 *
* Eigene Zusammenstellung und Berechnung nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 1999
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Einnahmen und Ausgaben
15
Krise der Kommunalfinanzen
Kreis – Gemeinden – Land
Die Struktur der Einnahmen und Ausgaben, wie sie oben für alle Gemeinden
prinzipiell dargestellt worden ist, gilt gleichermaßen für kreisfreie Städte sowie
für Kreise mit ihren kreisangehörenden Gemeinden. Bei den Kreisen existiert
jedoch eine Aufgabenteilung zwischen Gemeinden und Kreis.
• Die Kommunen sind entweder kreisfreie Städte oder kreisangehörige
Gemeinden. Der Landkreis (ein „Gemeindeverband”) und die Gemeinden
übernehmen zusammen die gleichen Aufgaben, die kreisfreie Städte
auch haben.
• Die Gemeinden finanzieren sich im Prinzip ebenso wie die kreisfreien
Städte. Sie haben jedoch an den Landkreis eine Kreisumlage (ca. 30%)
abzugeben. Dafür deckt der Landkreis bestimmte Zentrale Aufgaben ab.
Zu den Pflichtleistungen gehören in der Regel u.a. Kinder- und Jugendhilfe,
Abfallbeseitigung, Krankenhausversorgung, Kreisstraßen, Schulen
des Sekundarbereichs I und II, Berufs- und Sonderschulen, Bauaufsicht,
Gesundheitsamt, Veterinärwesen, Umweltschutz. Freiwillige Leistungen
sind Volksbildung, Wirtschaftsförderung, Kulturpflege. (Diese gilt für
Niedersachsen; die Aufgaben variieren je nach Bundesland). Der Landkreis
finanziert sich ansonsten wie kreisfreie Städte.
• Der Landkreis als Gemeindeverband erhebt keine eigenen Steuern und
bekommt auch keine Anteile an den Bundessteuern. Ansonsten hat er
Einnahmen wie kreisfreie Städte auch.
16 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Bilanzen kommunaler Aufgabenbereiche
Um zu beurteilen, wie einzelne kommunale Tätigkeiten finanziert sind, welche
Zuschüsse sie erfordern und welche Dimension deren Ausgabe- und Einnahmevolumen
aufweist, sind im folgenden wesentliche Aufgabenbereiche mit der
Zusammensetzung ihrer Einnahmen, Ausgaben sowie ihres „Zuschussbedarfes”
(in der Grafik gestrichelt angedeutet) aus allgemeinen Mitteln dokumentiert.
Allgemeine Verwaltung
• Gemeindeorgane
• Finanzverwaltung
• Sonst. allgemeine Verwaltung
Legende:
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Öffentliche Sicherheit und Ordnung
• Öffentliche Ordnung
• Umweltschutz
• Feuerschutz/Rettungsdienste
Einnahmen und Ausgaben
17
Krise der Kommunalfinanzen
Schulen
• Schulverwaltung
• Schulen
• Schülerbeförderung
Sozialhilfe nach BSHG:
laufende Übertragungen
• Hilfe zum Lebensunterhalt (ca. 50%)
• Sonstige Leistungen nach dem BSHG
(Krankenhilfe, Eingliederungshilfen f.
Behinderte)
Kultur
• Theater, Konzerte, Musikpflege
• Volksbildung
• Museen, Archive, Forschung,
Kulturpflege
Gesundheit, Sport, Erholung
• Krankenhäuser
• Sonstige Einrichtungen der
Gesundheitspflege/ - verwaltung
• Sportstätten/ Badeanstalten
• Park- und Gartenanlagen
18 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Jugendhilfe
• Jugendhilfe nach dem KJHG
• Einrichtungen der Jugendhilfe
Bau und Verkehr
• Bauverwaltung
• Städteplanung/Vermessung/Bauordnung
• Wohnungswesen
• Gemeinde- und Kreisstrassen
• Wasserabläufe
• Straßenbeleuchtung, Reinigung
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Öffentliche Einrichtungen
• Abwasser, Abfallbeseitigung
• Sonstige Gemeinschaftsdienste
• Fremdenverkehr+Wirtschaftsförderung
(ca. 10%)
Einnahmen und Ausgaben
19
Krise der Kommunalfinanzen
Kommunale Aufgabenbereiche
Die Einzelbilanzen zeigen, dass fast alle kommunalen Aufgabenbereiche zu
weit mehr als 50% aus allgemeinen Mitteln – also aus den Steuern und aus allgemeinen
Finanzzuweisungen getragen werden müssen. Nur die öffentlichen
Dienstleistungen Abwasser, Müllabfuhr etc. können weitgehend durch entsprechend
angepasste Gebühren finanziert werden.
Der gesamte Bereich der Übertragung von sozialen Leistungen (im Wesentlichen
Leistungen der Sozialhilfe und Jugendhilfe) ist von den Kommunen kaum
beeinflussbar und wird nur zum Teil erstattet. Allerdings ist zu beachten, dass
die ständige Hilfe zum Lebensunterhalt (also die Zahlungen, die im allgemeinen
Sprachgebrauch als Sozialhilfe bekannt sind), nur etwa 7% (bzw. nach Abzug
von Erstattungen ca. 5%) des Gesamthaushalts betragen. Ein Großteil der
sozialen Leistungen wird für Eingliederungshilfe (Behinderte) und für Jugendhilfe
aufgewandt.
20 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Entwicklung und Krise
Das Gemeindefinanzsystem durchlebt seit längerem eine krisenhafte Zuspitzung.
Die Ursache dafür ist im Wesentlichen in sinkenden Einnahmen zu verorten.
Entgegen weit verbreiteter Meinungen hat es keine Explosion der Ausgaben
gegeben. Die Ausgaben stiegen zwar absolut gesehen, also in den jeweiligen
Preisen, bis etwa 1995 an.
Dieser Anstieg verlief jedoch im Rahmen der Steigerung der gesamtwirtschaftlichen
Leistung. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im selben Zeitraum etwa im
gleichen Verhältnis. Der Anteil der kommunalen Ausgaben am BIP wurde ab
1995 hingegen wieder geringer.
Auch in absoluten Zahlen ist seit Anfang der 90er Jahre ein Rückgang zu verzeichnen,
wenn die Inflation berücksichtigt wird (hier umgerechnet auf Preise
von 1995).
Nettoausgaben, ohne besondere Finanzierungsvorgänbge, Stat. Bundesamt. Anteil am BIP = Ausgaben/BIP (eigene Berechnungen)
Quelle: Deutscher Städtetag, Preisbereinigung; eigene Berechnung
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Entwicklung und Krise
21
Krise der Kommunalfinanzen
Ausgaben für soziale Leistungen
Die Ausgaben für soziale Leistungen, die etwa zur Hälfte Ausgaben nach dem
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) sind, steigen bis Mitte der 90er Jahre aufgrund
der steigenden Arbeitslosenzahlen deutlich an, auch in konstanten Preisen. Danach
findet ein leichter Rückgang statt, der durch die Einführung der Pflegeversicherung
verursacht ist. Danach stagnieren die Ausgaben. Im Verhältnis zur
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ist der Anstieg der kommunalen Ausgaben
für soziale Sicherung etwas moderater: Von 1,4 % des BSP im Jahre 1980 bis
auf 2,2 % im Jahre 1995 bzw. 1,8% heute.
Die Ausgaben nach dem BSHG sind übrigens nur zum Teil Hilfen zum Lebensunterhalt.
Einen ebenso großen Anteil machen inzwischen die Eingliederungshilfen
für Menschen mit Behinderung aus.
Quelle: Stat. Bundesamt, Anteil am BSP = Ausgaben/BSP (eigene Berechnung), Preisbereinigung; eigene Berechnung
Quelle: Dt. Städte- und Gemeindebund: DStGB-Bilanz 2002/3 (* geschätzt)
22 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Personalausgaben
Die Personalausgaben steigen bis Anfang der 90er Jahre in jeweiligen und in
konstanten Preisen an. Seit dem stagnieren sie. Die Grafik zeigt hier nur die
Werte für Westdeutschland.
Das Niveau der Personalausgaben in Ostdeutschland (gemessen an den Personalausgaben
pro Einwohner) ist nur geringfügig höher als im Westen (106 %),
nachdem es in den letzten Jahren einen stetigen Rückgang gegeben hat: 1992
lagen die ostdeutschen Personalausgaben noch um fast die Hälfte höher als im
Westen (143%).
Quelle: Berechnungen des Städtetages nach Angaben des Stat. Bundesamtes, 2002; Schätzung Preisbereinigung: eigene Berechnung
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Entwicklung und Krise
23
Krise der Kommunalfinanzen
Eine Einnahmekrise
Die Kommunen haben kein Ausgabenproblem, sondern ein Einnahmeproblem.
Seit 1995 sinken die Gesamteinnahmen der Kommunen. Von 1995 bis 2002
gingen sie im Westen um 5,5 % zurück (in Preisen von 1995). Im Osten sanken
sie von 1995 bis 2002 sogar um 17 % (in Preisen von 1995). Die Ursachen liegen
im Wesentlichen an Mindereinnahmen bei der Gewerbesteuer und beim
kommunalen Anteil an der Einkommenssteuer.
Quelle: Berechnungen des Städtetages nach Angaben des Stat. Bundesamtes, 2002; Schätzung Preisbereinigung: eigene Berechnung
Quelle: Berechnungen des Städtetages nach Angaben des Stat. Bundesamtes, 2002; Schätzung Preisbereinigung: eigene Berechnung
24 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Steuern runter
Ob in der Presse oder am Stammtisch. „Steuern runter” ist eine Forderung, die
überall ankommt und zunächst plausibel erscheint. Würde man im Supermarkt
die Kunden befragen: „Wollen sie weniger bezahlen?”, das Ergebnis wäre genauso
klar.
Für die Gemeinden ist eine Politik der Steuersenkung seit etwa 10 Jahren Realität.
Ihre wichtigsten Einnahmequellen gehen zurück:
� Anteil an der Einkommenssteuer – 11% 1
Ursachen:
• Sinkende Steuersätze verringern Verteilungsmasse (z.B. Spitzensteuersatz)
• Mindereinnahmen durch Verrechnung bundespolitisch motivierter Zuschüsse
(EHZ, Kindergeld, Zulagen zur privaten Altersvorsorge etc.) mit
dem Einkommensteueraufkommen
• Schlechtere Konjunktur
� Gewerbesteuer – 21%
Ursachen:
• Ausgeweitete Möglichkeiten, Steuer-Schlupflöcher zu nutzen
(“Gestaltbarkeit”)
• schlechtere Konjunktur
• Entwicklung hin zur Besteuerung weniger „Großbetriebe” mit entsprechend
unstetigen Gewinnverläufen
� Zuweisungen (allgemeine und Investitionszuweisungen) – 1% 2
Ursachen:
• Verringerte Verteilungsmasse bei Land und Bund durch
- Einbruch bei der Körperschaftssteuer
- Wegfall der den Ländern zu Gute kommenden Vermögenssteuer
- schlechtere Konjunktur
Die Gemeinden und mit ihnen die meisten ihrer Bürger und Bürgerinnen leiden
unter der Politik der Steuersenkungen, die vor allem Besserverdienenden zu Gute
kommen. Folge ist die Einschränkung oder Verteuerung von kommunalen (und
anderen) Leistungen. Dies spüren in der Regel Menschen mit geringerem Einkommen.
Ihre relativ geringe Steuerersparnis wird so per saldo aufgehoben oder
führt zu einer realen Mehrbelastung ihrer alltäglichen Ausgaben (z.B. für Kinderbetreuung,
Schulbücher, Klassenfahrten, Benutzung von Sportanlagen etc.)
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Entwicklung und Krise
Anmerkungen:
1 Entwicklung von 1992 bis 2002 (in
Preisen von 1995
2 von 1992 bis 1999
25
Krise der Kommunalfinanzen
Kopfsteuer reloaded
In dieser Not werden vielerorts kommunale Versorgungseinrichtungen privatisiert,
um kurzfristig Geld in die Kassen zu spülen. Das ist zunächst verständlich,
verstärkt jedoch die verteilungspolitische Schieflage: Früher oder später werden
sich die Investoren ihre Investition, z. B. in ein kommunales Abwassernetz über
entsprechend höhere Gebühren zurückholen. Das bisherige Eigentum muss von
den Gemeindebürgern ein zweites Mal finanziert werden. Bei vielen ehedem
kommunalen Diensten trifft dies jeden Bürger gleichmäßig: Eine Kopfsteuer!
Folge: Sinkende Investitionen
Unter den Bedingungen sinkender Einnahmen mussten die Gemeinden die
Ausgaben für Sachinvestitionen stark zurückfahren Von 1992 bis 2000 ist ein
Rückgang um etwa 30% zu verzeichnen, mit negativen Auswirkungen auf die
Qualität von Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Bädern und anderem.
Das difu (Deutsches Institut für Urbanistik) hat für den Zeitraum von 2000 bis
2009 für die alten Bundesländer einen Investitionsbedarf in Höhe von ca. 450
Mrd. € errechnet (davon Verkehr 27 %, soziale Infrastruktur 20 %, Wasserversorgung
u. Umweltschutz 20 %). Dies entspräche einer Aufstockung der Investitionen
um 40-50 % im Vergleich zu heute. Diese Ergebnisse widerlegen die
oft geäußerte Sättigungsthese, nach der eine Aufstockung kommunaler Investitionen
„purer Luxus” seien.
Quelle: Stat. Bundesamt, Anteil am BSP = Ausgaben/BSP (eigene Berechnung), Preisbereinigung; eigene Berechnung
26 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Reform der Gemeindefinanzen
Die Notwendigkeit einer Reform der Gemeindefinanzen ist angesichts der dramatischen
Lage vieler Kommunen inzwischen überall anerkannt. Seit 2002 besteht
eine Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen unter Federführung
des Bundesministerium für Finanzen (BMF), in der u. a. Vertreter der Gemeinden,
der Länder, des Handwerks und der Industrie sowie der Gewerkschaften
mitwirken. Die Reformvorschläge gehen in unterschiedlichste Richtungen.
Vorschlag der Kommunalen Spitzenverbände
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) fordert sowohl eine Reduzierung
der kommunalen Leistungsverpflichtungen als auch eine Anhebung der
kommunalen Einnahmen.
DStGB: Mehr kommunale Einnahmen
Reform der Gewerbesteuer
• Einbeziehung von Freiberuflern und
Selbständigen
• Ausweitung der Bemessungsgrundlage um
gewinnunabhängige Komponenten
- Zinsen
- 25% der Mieten und Pachten für bewegliche
Güter
- 75% der Mieten und Pachten für unbewegliche
Güter
- Freibetrag von 25.000 € für Zinsen/Mieten,
Pachten
- Abschaffung des Staffeltarifs
- Ertragsabhängiger Abbau des Freibetrags
für Personenunternehmen
- Senkung der Steuermesszahlen, differenziert
nach Kapitalgesellschaften und
Personenunternehmen
• Senkung der Gewerbesteuerumlage
Hebesatzrecht auf den gemeindlichen
Einkommenssteueranteil
• Wirkung: Verringert die Abhängigkeit von
Zuweisungen und fördert „Identität von
Nutzern, Zahlern und Entscheidern” – wirkt
einer „Anspruchsinflation” entgegen
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Reform der Gemeindefinanzen
... und weniger Verpflichtungen
• Abbau von „kostentreibender” Standardsetzung
durch Land, Bund und Rechtsprechung
(z. B. technische Regelwerke, Unfallverhütung,
Schulausstattung, Kindergärten)
• Die Reformvorhaben zur Arbeitslosen- und
Sozialhilfe müssen Gemeinden entlasten.
Keine Zuständigkeit für das neue Arbeitslosengeld
II („Erwerbsfähige” ohne Anspruch auf
Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung)
• Verankerung des „Konnexitätsprinzips” („Wer
bestellt, bezahlt”) im Grundgesetz. Dadurch
sollen in Zukunft fehlende Kompensationen
vom Bund für Belastungen durch reformierte
Bundesgesetze nicht mehr möglich sein. Dazu
gehört eine obligatorische Anhörung der Kommunen,
eine Konsultationspflicht bei Gesetzgebungsverfahren
27
Krise der Kommunalfinanzen
Abschaffung
• der Gewerbesteuer
• des Anteils an der Einkommenssteuer
Einführung eines kommunalen Zuschlags
• auf Einkommens- und Körperschaftssteuer
• Hebesatzrecht
Vorschlag des BDI (Bundesverband der deutschen Industrie)
Der BDI fordert die Abschaffung der Gewerbesteuer und des Gemeindeanteils
an der Einkommenssteuer. Als Ersatz sollen die Kommunen einen Zuschlag auf
die Einkommens- und Körperschaftssteuer erheben dürfen.
BDI-Modell:
Einkommens- und Körperschaftssteuer
• Senkung der Einkommenssteuer
• Erhöhung der Körperschaftssteuer
• die Summe der beiden Maßnahmen soll für
die Gesamtheit der Steuerpflichtigen belastungsneutral
sein
28 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Wirkungen
In der Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen sind die Modelle von
DStGB und BDI durchgerechnet worden, um ihre Wirkungen auf Aufkommen
und Belastungen für einzelnen Gruppen zu ermitteln:
Nach der Modellrechnung
• führt das Kommunalmodell (DStGB) neben einer Erhöhung der kommunalen
Steuerbasis auch zu einer Verschiebung der Lasten einzelner Gruppen
von Steuerzahlern. Selbständige werden stärker zur Finanzierung
kommunaler Leistungen herangezogen, der Anteil der Arbeitnehmer
sinkt bei diesem Modell leicht.
• hätte das BDI-Modell zur Folge, dass der Anteil der bisher Gewerbesteuerpflichtigen
sich um etwa ein Drittel verringert, der Arbeitnehmeranteil
dagegen sich stark erhöhen würde.
Reform der Gemeindefinanzen
Grafik: Nur Strukturveränderungen der kommunalen Steuerbasis (ohne Grundsteuer, Umsatzsteuer und sonstige Gemeindesteuern)
Quelle: Gemeiondefinanzkommission 2003, Arbeitsgruppe Quantifizierung
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
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Krise der Kommunalfinanzen
ver.di: Eckpunkte einer Gemeindefinanzreform
Die Gewerkschaft ver.di lehnt mehr Wettbewerb bei den kommunalen Finanzen,
wie er nach dem BDI-Vorschlag entstehen würde, ab. Schon die bestehenden
Unterschiede zwischen reichen und armen Gemeinden bei Ausstattungsund
Angebotsniveau kommunaler Leistungen sind aus Sicht von ver.di nicht
akzeptabel. Das Ziel der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse hat für ver.di
Priorität. Eine Gemeindefinanzreform muss zudem verteilungsgerecht sein.
Zur Sicherung von Qualität und Quantität der Gemeindefinanzen fordert ver.di
eine Reform mit folgenden Prinzipien:
Sicherung von Qualität und Quantität der Gemeindefinanzen
durch
• eine verbesserte finanzielle Grundausstattung
• strukturelle Reformen bei Gewerbe- und Grundsteuer
• eine Ausweitung des kommunalen Anteils an den Gemeinschaftssteuern
(Einkommenssteuer und/oder Umsatzsteuer)
Zur Erreichung der grundlegenden Ziele nach Quantität und Verteilungsgerechtigkeit
können die bisherigen Elemente der Gemeindefinanzierung grundsätzlich
beibehalten werden:
Elemente der Gemeindefinanzierung
• eine eigene Steuer mit Bezug zur lokalen Wirtschaft
• einem einwohner- und wohnsitzbezogenem Baustein
• einem bodenbezogenen Element
• der Umsatzsteuer als weiterem wirtschaftsbezogenem Element
Diese bestehenden Steuerelemente haben sich von ihrem Prinzip her bewährt,
müssen aber neu ausgestaltet werden:
Durch die Einbeziehung von Freiberuflern wird die Gewerbesteuer auf mehr
Schultern verteilt. Ein Mehraufkommen kann erzielt werden, ohne das die jetzt
noch Gewerbesteuer zahlenden Unternehmen mehr belastet werden.
30 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Modernisierung der Gewerbesteuer
• Verbreiterung der Bemessungsgrundlage d. Reduzierung v. Freibeträgen
• Stopfen von Schlupflöchern
• Erweiterung des Kreises von Steuerpflichtigen, v. a. durch Einbeziehung
von Freiberuflern
Zur Erhöhung und zur Verstetigung der kommunalen Einnahmen tragen auch
ein höherer Anteil an der Umsatzsteuer sowie eine Erhöhung der Bemessungsgrundlage
der Grundsteuer bei:
Erhöhung des Anteils an der Umsatzsteuer
Vorteile:
• Langsame Zunahme im Zuge der allgemeinen Wirtschaftsentwicklun
• Verstetigung durch Konjunkturunabhängigkeit
Modernisierung der Grundsteuer
• Aktualisierung der Wertbasis
• Verbreiterung der Bemessungsgrundlage (Abbau von Steuerbefreiungen)
Um mehr Zuweisungen der Länder für ihre Kommunen zu ermöglichen, hält
ver.di eine Stärkung der Länderfinanzen für nötig.
Verteilungsgerechte Stärkung der Länderfinanzen
• eine verfassungsgemäße Reform und Wiedereinführung der
Vermögenssteuer
• eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. Dabei sollen
Immobilienvermögen nicht länger gegenüber Geldvermögen bevorteilt
werden
Ver.di hält eine Bundes- und ggf. auch Länder(mit)finanzierung bei gesamtgesellschaftlichen
Aufgaben für richtig. Es sollte das Äquivalenzprinzip mehr beachtet
werden: „Wer bestellt, bezahlt!”. Wenn Kommunen durch Veränderun-
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Reform der Gemeindefinanzen
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Krise der Kommunalfinanzen
gen belastet werden, die vom Bund verantwortet sind, sollten sie auch Kompensationszahlungen
dafür erhalten. Dies gilt etwa für folgende Bereiche:
Finanzierungsbeteiligung durch den Bund:
• Sozialhilfe
• Familienlastenausgleich
• Kinderbetreuung (Recht auf Kindergartenplatz)
• Altersversorgung
Zur Stärkung struktur- und finanzschwacher Gemeinden mit Kernfunktion für
das Umland sollte zudem über die Verteilung des Einkommenssteueranteils diskutiert
werden:
Stärkung der Kernstädte durch neue Verteilung des Anteils an
der Einkommenssteuer (ESt.)
• Abschwächung des Wohnsitzprinzips
• Teilweise Verteilung nach Arbeitsstätten
32 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Thesen zur Information und Diskussion
These 1: Einnahmekrise
Die Krise der Kommunen ist eine Einnahmekrise. Die Einnahmen der Kommunen
halten nicht Schritt mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Fragen:
• Wie ist die Einnahmestruktur?
- In der BRD/ in unserer Kommune?
• Wie entwickeln sich die Einnahmen?
- In absoluten Zahlen? In inflationsbereinigten Zahlen?
- In der BRD/ in unserer Kommune?
• Wie entwickelt sich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung?
- Wie entwickelt sich das Verhältnis kommunale Einnahmen –
gesamtwirtschaftliche Entwicklung?
• Wie entwickeln sich die Steuereinnahmen?
- In absoluten Zahlen? In inflationsbereinigten Zahlen?
- In der BRD/ in unserer Kommune?
• Wie entwickeln sich Ausgaben?
- Personalkosten?
- Sozialleistungen?
- Investitionen?
- In der BRD/ in unserer Kommune?
Material zur Situation bundesweit:
• „Ver.di fordert eine stabile und solidarische Gemeindefinanzierung”
Beschluss des Bundesvorstandes 18.02.02
• Gemeindefinanzierung (Projekt Kommunalfinanzen DGB-Region OL-
WHV)
Material zur Situation vor Ort:
• Haushaltsbücher (Hg.: Kommunen),
• Internet: homepage der Kommunen
• Bürgerinformation der Kommunen
• Orts-Infos (Projekt Kommunalfinanzen DGB- Region OL-WHV
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Thesen zur Information und Diskussion
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Krise der Kommunalfinanzen
These 2: Privatisierung untauglich
Die Privatisierung kommunaler Dienstleistungen und der Verkauf kommunaler
Infrastruktur hat die Wirkung einer Kopfsteuer. Längerfristig wird sie
zudem die kommunalen Haushalte belasten.
Fragen:
• Warum wirken Privatisierungen wie eine Kopfsteuer?
• Welche Wirkung auf kommunalen Haushalte wird die Herausnahme profitabler
Sektoren haben?
• Sind private Unternehmen kostengünstiger? Wenn ja, warum?
• Welche Privatisierungspläne gibt es in meiner Kommune?
Material zum Thema: Privatisierung der Wasserwirtschaft:
• Privatisierung im Wassersektor (Hg.: WEED) ISBN: 3-9806757-8-5
• Ware Wasser (Hg. ISW - institut für sozial-ökologische wirtschaftsforschung
e. V., isw_muenchen@t-online.de)
• Durst nach mehr: Wieviel Privatisierung verträgt die Wasserwirtschaft?
Mitbestimmung 4/2002 (Hg. Hans Böckler Stiftung)
34 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
These 3: Öffentliche Armut: Politisch gewollt
Die Zurückdrängung öffentlicher Aufgaben wird von der herrschenden
neoliberalen Ideologie als ohnehin richtiger Weg angesehen. Politisch
durchgesetzt wird er über die Politik der Steuersenkungen.
Fragen:
• Welche Argumente werden gegen die öffentliche Hand angeführt?
• Was ist davon bedenkenswert? Was falsch?
• Wie wird die Unumgänglichkeit von Steuersenkungen begründet?
• Profitieren alle Bürger mehr oder weniger von Steuersenkungen?
Material:
• ver.di fordert eine stabile und solidarische Gemeindefinanzierung.
Beschluss des ver,di- Bundesvorstands vom 18.02.2002
Herausgeber: ver.di, 2003
• Staatsfinanzen stärken – Zukunftsaufgaben zwischen öffentlicher Armut
und privatem Reichtum
Herausgeber: ver.di 2002, Bereich Wirtschaftspolitik
• Finanzpolitik für Arbeit und Gerechtigkeit
Einnahmen stärken statt Ausgaben kürzen
Herausgeber: ver.di 2002, Bereich Wirtschaftspolitik
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Thesen zur Information und Diskussion
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Krise der Kommunalfinanzen
These 4: Gefährliche Miwirkung
Als GewerkschafterIn sollte man nicht an einem alternativen Sparkonzept
mitarbeiten. Jeder alternative Kürzungsvorschlag legitimiert die Politik der
Austrocknung
Fragen:
• Welchen Nutzen können alternative Sparkonzepte aus gewerkschaftlicher
Sicht bringen?
• Welchen Schaden können sie bewirken?
• Wie ist die Gesamtbilanz?
• Was wäre der Nutzen in meiner Kommune?
36 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
These 5: Mehr Autonomie: Mehr Ungleichheit
Ein kommunales Hebesatzrecht auf die Einkommenssteuer, wie vom BDI
vorgeschlagen, wird die finanziellen Unterschiede zwischen den
Kommunen vergrößern.
Fragen:
• Welche Vorschläge zur Sanierung der Gemeindefinanzen liegen auf dem
Tisch? (Städte- und Gemeindebund, BDI, ver.di)
• Welche verteilungspolitische Wirkung haben sie?
• Was bewirkt ein Hebesatzrecht auf die gesamten kommunalen
Steuereinnahmen?
• Der Städte- und Gemeindebund fordert einen Rückgang der
Verpflichtungen von Kommunen, etwa: weniger Standardsetzungen.
Was ist davon zu halten?
Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Thesen zur Information und Diskussion
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Krise der Kommunalfinanzen
These 6: Geld ist genug da
Wer einen Niedergang der Kommunen verhindern will, muss die Politik der
Steuersenkungen angreifen bzw. Steuererhöhungen fordern.
Fragen:
• Ist eine Erhöhung der Gewerbesteuereinnahmen ausreichend?
• Welche Steuern könnten erhöht werden, ohne negative Auswirkungen
auf die Konjunktur befürchten zu müssen?
38 Handreichungen für die politische Arbeit von Ehrenamtlichen vor Ort
Literatur und Links
Zum Vertiefen und Weiterlesen:
Broschüren:
• Kommunalfinanzen in Deutschland und Europa - Stand, Debatte und
Alternativen.
Dokumentation eines workshops der Hans-Böckler-Stiftung und ver.di.
Herausgeber: ver.di, 2003
• ver.di fordert eine stabile und solidarische Gemeindefinanzierung.
Beschluss des ver,di-Bundesvorstands vom 18.02.2002
Herausgeber: ver.di , 2003
• Gemeindefinanzen im Brennpunkt
Dokumentation des workshop vom Oktober 2002. Mit Mitgliedern der
Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen aus Wissenschaft, Politik
und Gesellschaft. Herausgeber: ver.di , 2003
• Finanzpolitik für Arbeit und Gerechtigkeit
Tagungsdokumentation. Herausgeber: ver.di 2002
• Staatsfinanzen stärken
Zukunftsaufgaben zwischen öffentlicher Armut und privatem Reichtum
Herausgeber: ver.di 2002, Bereich Wirtschaftspolitik
• Finanzpolitik für Arbeit und Gerechtigkeit
Einnahmen stärken statt Ausgaben kürzen. Herausgeber: ver.di 2002,
Bereich Wirtschaftspolitik
Flyer:
• Ver.di extrablatt: „Wer die Gemeinden knapp bei Kasse lässt, schränkt die
Freiheit von Bürgerinnen und Bürgern ein!”
• „Kommunen vor dem Kollaps” (Hg.: ver.di Niedersachsen/Bremen)
• Gemeindefinanzen. (Hg.: ver.di Bundesvorstand)
Links:
• www.verdi.de/hintergrund/wirtschaftspolitik
• www.verdi.de/gemeindefinanzen
• www.gemeinden.verdi.de
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Literatur und Links
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