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Lösung POR - unirep

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- Klage gegen den Kostenbescheid:<br />

- 1 -<br />

<strong>Lösung</strong>svorschlag:<br />

Die Klage gegen den Kostenbescheid hat Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist.<br />

A. Die Klage muss zulässig sein.<br />

I. Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.<br />

II. Statthafte Klageart ist die Anfechtungsklage.<br />

III. Die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen sind gegeben. Der Widerspruch<br />

gegen den Kostenbescheid ist rechtzeitig. Die Klagefrist von einem Monat ist<br />

eingehalten (§ 74 VwGO). Richtiger Beklagter ist das Land Berlin (§ 78 VwGO).<br />

IV. Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen liegen gleichfalls vor.<br />

V. Die Klage ist zulässig.<br />

B. Fraglich ist, ob die Klage auch begründet ist.<br />

Die Klage ist begründet, wenn der Kostenbescheid rechtswidrig und Claudine Grünh<br />

dadurch in ihren eigenen Rechten verletzt ist, § 113 I 1 VwGO.<br />

I. Fraglich ist zunächst, ob der Kostenbescheid rechtmäßig ist.<br />

1. Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid könnte § 15 ASOG oder § 5a S. 1 VwVfG<br />

Bln. i. V. m. § 19 I VwVG sein.<br />

Die Anwendbarkeit ergibt sich nicht aus dem Sachgebiet, im Anwendungsbereich des ASOG<br />

ist § 15 ASOG daher nicht lex specialis. Abzugrenzen ist nach dem Kriterium des<br />

Willensbruchs. Das VwVG hat die Verwaltungsvollstreckung zum Gegenstand. Diese ist<br />

darauf gerichtet, eine öffentlich-rechtliche Pflicht gegen den Willen des Betroffenen durch<br />

Zwang durchzusetzen. Daraus folgt, dass das VwVG und damit auch dessen § 6 II nicht<br />

anwendbar ist, wenn kein Wille gebrochen werde, der durch VA gebotenen Maßnahme Folge<br />

zu leisten.<br />

- 1 -


- 2 -<br />

Hier liegt ein VA vor, dem Claudine Grünh nicht Folge leisten will. Dieser dem VA<br />

entgegenstehende Wille wird vorliegend durch die Maßnahme der Behörde „gebrochen“.<br />

Somit ist § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I VwVG anwendbare Rechtsgrundlage.<br />

2. Der Kostenbescheid muss formell rechtmäßig sein.<br />

a. Zuständig für den Erlass des Kostenbescheids ist die Behörde, die die Vollstreckung<br />

durchgeführt hat. Dies ist das Bezirksamt von Prenzlauer Berg, Weißensee und<br />

Pankow zu Berlin.<br />

b. Der Kostenbescheid muss auch verfahrensgemäß erlassen worden sein.<br />

Vorliegend hat keine Anhörung gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 28 I VwVfG<br />

stattgefunden.<br />

Fraglich ist, ob diese gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 28 II Nr. 5 VwVfG entbehrlich<br />

war. Dafür müsste es sich bei der Kostenanforderung um eine Maßnahme „in“ der<br />

Verwaltungsvollstreckung handeln.<br />

[OVG Berlin:] Dafür spricht, dass die Kostenanforderung als Bestandteil des<br />

Verwaltungsvollstreckungsverfahrens geregelt ist (vgl. § 19 I VwVG).<br />

[h. M.:] Dagegen spricht, dass zum Zeitpunkt der Kostenanforderung die<br />

Vollstreckung bereits durchgeführt worden ist.<br />

Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen, da die Anhörung im<br />

verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt wird und jedenfalls gemäß § 1 I<br />

VwVfG Bln. i. V. m. § 45 I Nr. 3 VwVfG Heilung eintritt.<br />

Damit wurde der Bescheid auch verfahrensgemäß erlassen.<br />

c. Die Form wurde eingehalten.<br />

d. Damit ist der Kostenbescheid formell rechtmäßig.<br />

3. Fraglich ist, ob der Kostenbescheid auch materiell rechtmäßig ist.<br />

- 2 -


- 3 -<br />

a. Zunächst müssen die Voraussetzungen des § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I<br />

VwVG erfüllt sein.<br />

aa. Nach § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I VwVG dürfen Kosten nur „nach diesem<br />

Gesetz“ erhoben werden. Eine Amtshandlung ist nur „nach diesem Gesetz“, also<br />

gesetzmäßig, wenn sie rechtmäßig ist. Ferner verweist § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m.<br />

§ 19 I VwVG auf § 346 I AO. Danach sind Kosten, die bei richtiger Behandlung der<br />

Sache nicht entstanden wären, nicht zu erheben. Wäre es folglich richtig gewesen,<br />

die Ersatzvornahme der Abrissverfügung nicht vorzunehmen, dürften auch die Kosten<br />

hierfür nicht verlangt werden. Daraus ergibt sich, dass die Ersatzvornahme des<br />

Abrisses der Villa rechtmäßig gewesen sein muss.<br />

(1.) Rechtsgrundlage für die Ersatzvornahme des Abrisses ist § 5a S. 1 VwVfG<br />

Bln. i. V. m. §§ 6 I, 9 I Nr. 1a), 10 VwVG.<br />

(2.) Die Ersatzvornahme muss formell rechtmäßig gewesen sein.<br />

(a.) Zuständig für die Durchführung der Ersatzvornahme ist gemäß § 5a S. 1<br />

VwVfG Bln. i. V. m. §§ 7 I, 19 I VwVG die Behörde, die den zu vollstreckenden<br />

Verwaltungsakt erlassen hat. Die Abrissverfügung wurde vom Bezirksamt von<br />

Prenzlauer Berg, Weißensee und Pankow zu Berlin erlassen, das deshalb<br />

auch für die Ersatzvornahme zuständig war.<br />

(b.) Weiterhin muss die Ersatzvornahme verfahrensgemäß durchgeführt worden<br />

sein.<br />

(aa.) Nach § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 I 1 VwVG muss die Ersatzvornahme<br />

angedroht worden sein. [Teilweise werden Androhung, Festsetzung und<br />

Anwendung auch als materielle Voraussetzungen geprüft. Genau genommen<br />

haben sie formelle und materielle Doppelfunktion.]<br />

Vorliegend wurde gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 I 1, III 1 VwVG ein<br />

bestimmtes Zwangsmittel, nämlich die Ersatzvornahme, angedroht.<br />

Mit der vierzehntägigen Frist wurde aufgrund der Gefahren, die bei fehlender<br />

Standsicherheit einer - wie vorliegend - durch häufigen öffentlichen<br />

Publikumsverkehr frequentierten Villa bestehen, gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i.<br />

- 3 -


- 4 -<br />

V. m. 13 I 2 VwVG auch eine billige Frist zur Vornahme des Abrisse<br />

bestimmt.<br />

Die Androhung wurde mit der Abrissverfügung verbunden, was gemäß § 5a S.<br />

1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 II 2 VwVG gesetzlich intendiert ist.<br />

Auch die vorläufigen Kosten der Ersatzvornahme wurden gemäß § 5a S. 1<br />

VwVfG Bln. i. V. m. 13 IV 1 VwVG angegeben, nämlich mit 7.000 €.<br />

Ferner wurde die Abrissverfügung und damit die mit ihr verbundene<br />

Androhung zugestellt, wie von § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 13 VII VwVG<br />

gefordert.<br />

Damit erfolgte die Androhung ordnungsgemäß.<br />

(bb.) Ferner hat die Behörde das Zwangsmittel, nämlich die Ersatzvornahme, am 2.<br />

November 2010 gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 14 S. 1 VwVG<br />

festgesetzt.<br />

(cc.) Schließlich hat sie das Zwangsmittel der Festsetzung entsprechend<br />

angewendet, indem sie das Abrissunternehmen beauftragte, welches den<br />

Abriss vornahm.<br />

(dd.) Mithin erfolgte die Vollstreckung verfahrensgemäß.<br />

(c.) Die Vollstreckung ist also formell rechtmäßig.<br />

(3.) Die Ersatzvornahme muss darüber hinaus auch materiell rechtmäßig sein.<br />

(a.) Laut § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 6 I VwVG muss es sich bei der zu<br />

vollstreckenden Abrissverfügung um einen wirksamen Verwaltungsakt<br />

gehandelt haben.<br />

Dieser dürfte mithin nicht nichtig gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 44 VwVfG<br />

sein.<br />

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- 5 -<br />

Ein Nichtigkeitsgrund nach gemäß § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 44 II VwVfG ist<br />

nicht gegeben. Fraglich aber ist, ob die Abrissverfügung gemäß § 1 I VwVfG<br />

Bln. i. V. m. § 44 I VwVfG an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet<br />

und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände<br />

offensichtlich ist.<br />

Dies ist nur dann der Fall, wenn sich die Rechtwidrigkeit des<br />

Verwaltungsaktes selbst einem juristischen Laien aufdrängt.<br />

Rechtsgrundlage für den Abriss der Villa ist die baurechtliche<br />

Ordnungsverfügung gemäß § 58 I 2 BauO Bln. Formelle Fehler sind nicht<br />

ersichtlich. Materiellrechtlich hält die Villa die Vorschrift über die<br />

Standsicherheit nicht ein, § 12 I 1 VwVfG. Problematisch ist vorliegend allein,<br />

ob der Abriss erforderlich ist. Sollte die Standsicherheit nicht wieder<br />

herzustellen sein, wäre dies aufgrund der häufigen Veranstaltungen in der<br />

Villa und der Gefährdung des Leib und Lebens insbesondere von jungen<br />

Menschen vorliegend der Fall. Darüber, ob die Standsicherheit der Villa aber<br />

durch eine Renovierung wiederhergestellt werden kann, liegen<br />

widersprüchliche Sachverständigengutachten von verschiedenen geeigneten<br />

Sachverständigen vor. Da das Vorliegen oder Fehlen der Erforderlichkeit des<br />

Abrisses daher nicht einmal unter Fachleuten unumstritten ist, drängt sich die<br />

fehlende Erforderlichkeit des Abrisses jedenfalls nicht auf.<br />

Die Abrissverfügung ist damit nicht nichtig. Sie ist wirksam.<br />

(b.) Ferner muss gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 6 I VwVG der sofortige<br />

Vollzug des Abrisses der Villa angeordnet worden sein.<br />

Die vorliegend erfolgte Anordnung des sofortigen Vollzugs muss demnach<br />

(nur) formell ordnungsgemäß erfolgt sein.<br />

(aa.) Gemäß § 80 II Nr. 4 VwGO ist für die Anordnung der sofortigen Vollziehung<br />

die Behörde zuständig, die den Verwaltungsakt erlässt. Dies ist vorliegend<br />

geschehen.<br />

(bb.) Nach § 80 II Nr. 4, III 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen<br />

Vollziehung der Abrissverfügung schriftlich zu begründen. Notwendig ist<br />

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- 6 -<br />

dabei im Rahmen der Prüfung der formell ordnungsgemäß erfolgten<br />

Anordnung nicht, dass die Begründung inhaltlich richtig ist, sondern dass sie<br />

nicht lediglich das Interesse am Erlass der Abrissverfügung selbst wiederholt<br />

und sie für sich genommen plausibel ist.<br />

Vorliegend wird die sofortige Vollziehung damit begründet, dass der Abriss<br />

wegen der zahlreichen Veranstaltungen in der Villa keinen Aufschub dulde.<br />

Dies ist nachvollziehbar und geht über das formulierte Abrissinteresse hinaus,<br />

dass in der Baufälligkeit liegt.<br />

Demzufolge wurde die sofortige Vollziehbarkeit der Abrissverfügung formell<br />

ordnungsgemäß begründet.<br />

(cc.) Die sofortige Vollziehbarkeit der Abrissverfügung wurde mithin formell<br />

ordnungsgemäß angeordnet.<br />

(c.) Fraglich ist, ob die zu vollstreckende Abrissverfügung auch rechtmäßig<br />

gewesen sein muss.<br />

[m. M.:] Dafür sprechen Gründe des effektiven Rechtsschutzes und der<br />

materiellen Gerechtigkeit als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (Art.20 III,<br />

28 I GG). Würde die Rechtmäßigkeit des Leistungsbescheids (vorliegend: der<br />

Abrissverfügung) bei der gerichtlichen Überprüfung des<br />

Vollstreckungskostenbescheids nicht geprüft, fände die Kostenforderung im<br />

Leistungsbescheid einen Rechtsgrund, der die behördlich auferlegte<br />

Zahlungspflicht und die auf ihr basierende Vermögensverschiebung ohne jede<br />

Rücksicht auf die mögliche Rechtswidrigkeit der vollstreckten Grundverfügung,<br />

deren Kosten angefordert werden, rechtfertigt.<br />

[h. M.:] Allerdings fordert der Wortlaut des § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. 6 I<br />

VwVG gerade nicht, dass die Grundverfügung rechtmäßig sein muss, sondern<br />

lediglich deren sofortige Vollziehbarkeit. Sinn und Zweck des<br />

Vollstreckungsverfahrens ist eine möglichst effektive Durchsetzung von<br />

Verwaltungsakten im Interesse der Allgemeinheit. Zudem sieht die gesetzliche<br />

Konzeption vor, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte wirksam sind (vgl. §<br />

1 I VwVfG Bln. i. V. m. §§ 43, 44 VwVfG) und daher Titelfunktion entfalten<br />

können. Die §§ 43, 44 VwVfG und § 6 I VwVG führen eine materielle<br />

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- 7 -<br />

Präklusion der Einwände gegen den Grundverwaltungsakt im Rahmen der<br />

Überprüfung des Kostenbescheids herbei.<br />

Dies ist unter Rechtsschutzaspekten unbedenklich, da der Bürger gegen die<br />

Vollstreckung mit Antrag nach § 80 V VwGO vorgehen kann. Ferner besteht<br />

die Möglichkeit, gegen die Grundverfügung innerhalb der Fristen der §§ 70<br />

und 74 VwGO vorzugehen. Dort wird dann die Rechtmäßigkeit der<br />

Grundverfügung geprüft. Dem effektiven Rechtsschutz und der materiellen<br />

Gerechtigkeit wird hierdurch genüge getan. Dass der Bürger die Fristen der §§<br />

70, 74 VwGO einhalten muss, dient dabei dem Interesse der Allgemeinheit an<br />

Rechtssicherheit, die ebenfalls Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips aus Art.<br />

20 III, 28 I GG ist. Art. 19 IV GG fordert zudem effektiven, aber nicht den<br />

effektivsten Rechtsschutz.<br />

Hält der Bürger - wie Claudine Grünh - die Fristen der §§ 70, 74 VwGO nicht<br />

ein, so begibt er sich seines ihm gewährleisteten Rechtsschutzes in eigener<br />

Verantwortung und muss mit dessen Vollstreckung rechnen.<br />

Die Rechtmäßigkeit der Abrissverfügung ist demnach nicht zu prüfen.<br />

(d.) Weiterhin müsste die Ersatzvornahme gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. iVm § 10<br />

VwVG auch das richtige Zwangsmittel gewesen sein.<br />

(aa.) Bei dem gebotenen Abriss der Villa handelt es sich um eine vertretbare<br />

Handlung, da der Abriss keine höchstpersönliche Handlung darstellt und<br />

durch Dritte vorgenommen werden kann.<br />

(bb.) Auch ist die Ersatzvornahme nicht untunlich (vgl. § 5a S. 1 VwVfG Bln. iVm<br />

§ 11 I 2 VwVG). Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass<br />

Claudine Grünh nicht der Lage sein wird, die Kosten der Ersatzvornahme zu<br />

tragen, da sie reiche Erbin ist.<br />

(cc.) Die Ersatzvornahme steht gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. iVm § 9 II auch in<br />

angemessenem Verhältnis zum Zweck der Abrissverfügung, der in der<br />

Verhinderung eines unkontrollierten Einsturzes der Villa und damit der Rettung<br />

von Leib und Leben von Menschen dient.<br />

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- 8 -<br />

(dd.) Damit ist die Ersatzvornahme das richtige Zwangsmittel.<br />

(e.) Als diejenige, die die Leistung des Abrisses selbst schuldet, ist Claudine<br />

Grünh auch richtige Adressatin der Vollstreckungsmaßnahme (§ 5a S. 1<br />

VwVfG Bln. i. V. m § 2 I a) VwVG).<br />

(f.) Damit ist die Ersatzvornahme materiell rechtmäßig.<br />

(3.) Die Vollstreckung ist rechtmäßig.<br />

bb. Die Kostentragungspflicht der Claudine Grünh richtet sich nach § 5a S. 1 VwVfG<br />

Bln. i. V. m. § 19 VwVG iVm § 337 I 2 AO. Danach werden die Kosten vom<br />

Vollstreckungsschuldner erhoben. Das ist Claudine Grünh (§ 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V.<br />

m. § 2 I lit. a VwVG).<br />

cc. Die Höhe der angeforderten Kosten entspricht ferner den tatsächlich angefallenen<br />

Kosten von 15.000 €.<br />

Dass diese Kosten unvorhergesehener Weise die in der Abrissverfügung für die<br />

Ersatzvornahme veranschlagten Kosten von 7.000 € deutlich übersteigen, schadet<br />

gemäß § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 13 IV 2 VwVG nicht. Etwas anderes könnte<br />

aufgrund des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III, 28 I GG) in seiner Ausprägung als<br />

Vertrauensschutzgebot höchstens dann gelten, wenn die Behörde bewusst falsche<br />

Angaben über die Höhe der Kosten der Ersatzvornahme gemacht hätte. Dies ist<br />

vorliegend nicht der Fall, da die Tatsache des Vorliegens von radioaktiven Altlasten<br />

auf dem Grundstück der Villa der Claudine Grünh zum Zeitpunkt des Erlasses der<br />

Abrissverfügung nicht bekannt war.<br />

dd. Bezüglich der Art der Kosten bestehen keine Bedenken. § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V.<br />

m. § 19 I VwVG i. V. m. §§ 337 I 1, 344 I Nr. 8 AAO werden Kosten erhoben,<br />

worunter Auslagen an Dritte - vorliegend: die Zahlung des Werklohnes an die<br />

Hauruck GbR - fallen.<br />

ee. Mithin liegen die Voraussetzungen für die Kostenanforderung vor.<br />

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- 9 -<br />

b. § 5a S. 1 VwVfG Bln. i. V. m. § 19 I VwVG sieht auf Rechtsfolgenseite eine<br />

gebundene Entscheidung vor. Ein behördliches Ermessen besteht dem Wortlaut nach<br />

daher nicht.<br />

Gleichwohl muss von der Behörde in verfassungskonformer Auslegung von der<br />

Anforderung der Vollstreckungskosten abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall<br />

unverhältnismäßig ist.<br />

Gründe hierfür sind vorliegend nicht ersichtlich. Insbesondere steht der<br />

Kostenanforderung - mit den Argumenten von oben - nicht die mögliche<br />

Rechtswidrigkeit der Abrissverfügung entgegen.<br />

Mit der Kostenanforderung hat die Behörde daher die richtige Rechtsfolge<br />

vorgesehen.<br />

3. Der Kostenbescheid ist rechtmäßig.<br />

II. Die Klage gegen den Kostenbescheid ist mithin unbegründet.<br />

C. Die Klage gegen den Kostenbescheid hat keinen Erfolg.<br />

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Aufgabe b) [Vgl. BVerfG, B. v. 29.07.2010 - 1 BvR 1634/04 - zit. n. juris.]<br />

Fraglich ist, ob die Klage gegen den Kotenbescheid begründet ist.<br />

Die Klage gegen den Kostenbescheid ist begründet, wenn der Kostenbescheid rechtswidrig<br />

ist und Claudine Grünh hierdurch in eigenen Rechten verletzt wird, § 113 I 1 VwGO.<br />

I. Fraglich ist, ob der Kostenbescheid rechtmäßig ist.<br />

1. Rechtsgrundlage für die Kostenerhebung sind §§ 14 I, 3 I VerwKG Bln. i. V. m. § 1 I<br />

GebVO Bln.<br />

2. Der Kostenbescheid ist formell rechtmäßig. Da die berliner Polizei handelte, ist der<br />

Polizeipräsident zu Berlin für die Kostenanforderung zuständig (vgl. § 14 I VerwKG<br />

- 9 -


- 10 -<br />

Bln.). Das Fehlen der Anhörung wird im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt (s.<br />

o.), weshalb das Verfahren ordnungsgemäß ist. Formfehler sind nicht ersichtlich.<br />

3. Fraglich ist der Kostenbescheid materiell rechtmäßig ist.<br />

a. Dazu müssen zunächst die Voraussetzungen zum Erlass des Kostenbescheides<br />

vorliegen.<br />

aa. Claudine Grünh ist als diejenige, die in Gewahrsam genommen wurde und mit dem<br />

Polizeiwagen befördert wurde, Kostenschuldnerin (vgl. § 14 I VerwKG Bln. i. V. m. §<br />

1 I, Anlage Nrn. 67.1, 67.2 GebVO Bln.).<br />

bb. Art und Höhe der Kosten entsprechen den gesetzlichen Vorgaben der Anlage Nrn.<br />

67.1, 67.2 GebVO Bln. (40 € + 2 * 20 € = 80 €).<br />

cc. Gemäß § 11 VerwKG Bln. sind Kosten, die dadurch entstanden sind, dass die<br />

Behörde die Sache unrichtig behandelt hat, zu erlassen. Voraussetzung für die<br />

Anforderung der Kosten der Ingewahrsamnahme ist es daher, dass die<br />

Ingewahrsamnahme rechtmäßig war.<br />

Fraglich ist allerdings, ob die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme<br />

vom diesem Gericht und zu diesem Zeitpunkt vorgenommen werden darf. Nach § 31<br />

II, III 1 ASOG fällt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme in<br />

die Zuständigkeit des Amtsgerichts Tiergarten und ist innerhalb eines Monats nach<br />

Beendigung der Freiheitsentziehung zu beantragen. Vorliegend entscheidet jedoch<br />

zum einen das Verwaltungsgericht Berlin und dies zum anderen mehr als sieben<br />

Monate nach Beendigung der Ingewahrsamnahme.<br />

[m. M.:] Neben dem Wortlaut des § 31 II, III 1 ASOG spricht gegen die Zuständigkeit<br />

des Verwaltungsgerichts zur Inzidentkontrolle der Rechtmäßigkeit der<br />

Ingewahrsamnahme, dass der Gesetzgeber die Feststellung der Rechtswidrigkeit der<br />

Ingewahrsamnahme dem Amtsgericht deshalb zugewiesen hat, da dieses sach- und<br />

ortsnäher ist. Zudem könnte es zu Problemen kommen, wenn zwei unterschiedliche<br />

Gerichte aufgrund des selben Sachverhalts entscheiden könnten. Der Bürger hat<br />

weiterhin die Möglichkeit, Rechtsschutz gegen die Ingewahrsamnahme zu erlangen.<br />

- 10 -


- 11 -<br />

[h. M.:] Allerdings ist vorliegend bei der Auslegung neben § 31 II, III 1 ASOG auch die<br />

Vorschrift des § 83 VwGO i. V. m. § 17 II 1 GVG zu beachten. Danach gilt der<br />

Grundsatz, dass das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen<br />

rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Dies bedeutet, dass das Gericht des<br />

zulässigen Rechtswegs auch rechtswegfremde, entscheidungserhebliche Vorfragen<br />

prüft und über sie entscheidet. Im Rahmen der Entscheidung über den<br />

Kostenbescheid handelt es sich bei der Frage der Rechtmäßigkeit der<br />

Ingewahrsamnahme um eine solche rechtswegfremde Vorfrage.<br />

Dieser Auslegung ist aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes Vorrang<br />

einzuräumen. Art. 19 IV GG gewährleistet einen effektiven und möglichst lückenlosen<br />

Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der<br />

öffentlichen Gewalt. Dieser Rechtsschutz darf sich dabei nicht in der bloßen<br />

Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer<br />

wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit<br />

zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen. Mit dem Gebot<br />

effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zu einem Rechtsmittel<br />

erschwerende Auslegung und Anwendung der einschlägigen Verfahrensvorschriften.<br />

Aus diesem Grunde kann auch nicht von einem eigenverantwortlichen Verzicht des<br />

Bürgers auf Rechtsschutz ausgegangen werden, wenn er den ihm eröffneten<br />

Rechtsschutz vor dem Amtsgericht nicht innerhalb der dortigen Frist wahrnimmt.<br />

Denn das Verfahrensrecht schließt die Inzidentprüfung der polizeilichen<br />

Ingewahrsamnahme durch die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Überprüfung des<br />

nachgelagerten Kostenbescheids weder für den Einzelnen erkennbar aus, noch<br />

ordnet es - wie dies im Vollstreckungsrecht der Fall ist (s. o.) - auf der Grundlage<br />

eines formalisierten Verfahrens eine materielle Präklusion der gegen die<br />

Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme gerichteten Einwände an. Die Frist des § 31<br />

III 1 ASOG ist eine rein formelle. Der Hoheitsakt der polizeilichen Ingewahrsamnahme<br />

entfaltet für den später erlassenen Heranziehungsbescheid keine Vorwirkung. Dies<br />

wird durch § 11 I VerwKG unterstrichen, der ausdrücklich die Rechtmäßigkeit der<br />

vorangegangenen Verwaltungshandlung fordert. Dementsprechend muss sich der<br />

Bürger, wendet er sich gegen den später erlassenen Heranziehungsbescheid, nicht<br />

entgegenhalten lassen, dass er zuvor von der Rechtsschutzmöglichkeit gegen die<br />

polizeiliche Ingewahrsamnahme keinen Gebrauch gemacht hat.<br />

Daher ist die Rechtmäßigkeit der Festnahme zu prüfen.<br />

- 11 -


- 12 -<br />

(1.) Rechtsgrundlage für die Ingewahrsamnahme ist § 30 I ASOG.<br />

(2.) Die Ingewahrsamnahme muss formell rechtmäßig sein.<br />

(a.) Gemäß § 30 I ASOG ist die hier handelnde Polizei für Festnahmen zuständig.<br />

(b.) Fraglich ist, ob Verfahren ordnungsgemäß verlief.<br />

(aa.) Eine Anhörung war gem. § 1 I VwVfG Bln. iVm § 28 Nr. 1 VwVfG nach den<br />

Umständen des Einzelfalls nicht geboten, da eine sofortige Entscheidung im<br />

öffentlichen Interesse notwendig erschien. Denn andernfalls wäre - angesichts der<br />

großen Anzahl von Festnahmen - der Zweck der Festnahmen, nämlich die<br />

Versammlungsauflösung durchzusetzen, nicht erreichbar gewesen.<br />

(bb.) Auch eine richterliche Entscheidung über die Festnahme entbehrlich, da<br />

anzunehmen war dass diese aufgrund der großen Anzahl von Festnahmen nicht<br />

nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme, nämlich die<br />

Versammlungsauflösung durchzusetzen, ergehen würde. Dies gilt umso mehr, da<br />

die Versammlung nicht angemeldet war und Vorkehrungen nicht getroffen werden<br />

konnten.<br />

(c.) Der Verwaltungsakt der Ingewahrsamnahme erging konkludent, d. h. in anderer<br />

Weise i. S. d. § 1 I VwVfG Bln. i. V. m. § 37 II 1 VwVfG, und damit in richtiger<br />

Form.<br />

(d.) Folglich war die Ingewahrsamnahme formell rechtmäßig.<br />

(3.) Fraglich ist, ob die Ingewahrsamnahme materiell rechtmäßig ist.<br />

(a.) Dafür müssen die Voraussetzungen des § 30 I ASOG erfüllt sein.<br />

(aa.) Gemäß § 30 I Nr. 3 ASOG muss die Ingewahrsamnahme unerlässlich sein, um<br />

eine Platzverweisung durchzusetzen.<br />

Das Merkmal „unerlässlich“ ist keine eigenständige<br />

Rechtmäßigkeitsvoraussetzung, da es keine über die in der<br />

Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende Erforderlichkeitsprüfung<br />

- 12 -


- 13 -<br />

hinausgehenden Anforderungen an das polizeiliche Handeln stellt [h. M.]. Die<br />

Polizei müsste die Festnahmen also zur Durchsetzung eines Platzverweises<br />

vorgenommen haben.<br />

Die Polizei hat Claudine Grünh gegenüber einen Platzverweis ausgesprochen.<br />

Dieser darf nur nach § 30 I Nr. 3 ASOG durchgesetzt werden, wenn er<br />

rechtmäßig ist.<br />

((1.)) Rechtsgrundlage für den Platzverweis ist § 29 I ASOG.<br />

((2.)) Der Platzverweis ist formell rechtmäßig.<br />

Insbesondere ist die Polizei gemäß §§ 1 I 1, 4 I 1 ASOG auch zuständig,<br />

weil die Gefahr, die dadurch entsteht, dass Claudine Grünh den<br />

Versammlungsort nicht verlässt, durch die Ordnungsbehörden nicht<br />

rechtzeitig abgewehrt werden kann.<br />

((3.)) Der Platzverweis muss ferner materiell rechtmäßig sein.<br />

((a.)) Zunächst müssen die Voraussetzungen für einen Platzverweis vorliegen.<br />

((aa.)) Voraussetzung des § 29 I ASOG ist die Abwehr einer Gefahr, d. h. einer<br />

Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (vgl. die Legaldefinition<br />

der Gefahr in § 17 I ASOG). Schutzgut des § 29 I ASOG ist damit die<br />

öffentliche Sicherheit und Ordnung.<br />

Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählt u. a. die Unverletzlichkeit<br />

der Rechtsordnung.<br />

((aaa.)) Vorliegend könnte die Polizei zur Vermeidung einer Verletzung der<br />

Rechtsordnung gehandelt haben.<br />

Infrage kommt die Vermeidung einer Verletzung der §§ 18, 13 II VersG,<br />

wonach sich die Versammlungsteilnehmer nach Beendigung der<br />

Versammlung unverzüglich vom Versammlungsort zu entfernen haben.<br />

Hierfür müsste die Auflösung der Versammlung durch die Polizei<br />

rechtmäßig gewesen sein.<br />

- 13 -


- 14 -<br />

(((1.))) Rechtsgrundlage für die Auflösung der Versammlung könnte § 15<br />

III VersG sein.<br />

Bei der Demonstration gegen den Castortransport handelt es sich<br />

um eine Versammlung unter freiem Himmel entsprechend § 15<br />

III VersG.<br />

§ 15 III VersG ist daher anzuwenden.<br />

(((2.))) Die Auflösung der Versammlung ist formell rechtmäßig.<br />

Insbesondere ist die Polizei von Berlin nach § 2 IV 1 ASOG i.V.m.<br />

Nr. 23 II ZustKat Ord für den Erlass von<br />

Versammlungsauflösungen zuständig.<br />

(((3.))) Fraglich ist, ob die Auflösung materiell rechtmäßig ist.<br />

(((a.))) Dazu müssten die Voraussetzungen des § 15 III VersG vorliegen.<br />

(((aa.))) Gemäß § 15 III Fall 1 VersG kann eine Versammlung aufgelöst<br />

werden, wenn sie nicht angemeldet ist.<br />

(((aaa.))) Gemäß § 14 I VersG muss eine Versammlung 48 Stunden vor<br />

Bekanntgabe der Versammlung angemeldet werden. Dies ist<br />

vorliegend nicht geschehen.<br />

Fraglich ist jedoch, ob die Anmeldepflicht überhaupt<br />

verfassungsgemäß ist.<br />

[Schutzbereich des Art. 8 I GG:] Zu beachten ist, dass Art. 8 I<br />

GG das Recht, sich zu versammeln, grundsätzlich ohne vorherige<br />

Anmeldung garantiert.<br />

[Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 I GG:] In dieses Recht<br />

greift die Anmeldepflicht des § 14 I VersG ein.<br />

[Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 I<br />

GG:] Das Recht, sich anmeldefrei zu Versammeln darf nach Art. 8<br />

II VersG für Versammlungen unter freiem Himmel eingeschränkt<br />

werden.<br />

- 14 -


- 15 -<br />

Eine solche Schranke i. S. d. Art. 8 II GG stellt § 14 I VersG dar,<br />

indem er eine Anmeldepflicht nur für Versammlungen unter freiem<br />

Himmel statuiert.<br />

Diese Schranke muss verhältnismäßig sein.<br />

Die Anmeldepflicht dient in erster Linie auch der Ermöglichung der<br />

Versammlung. Sie hat den Sinn, den Behörden diejenigen<br />

Informationen zu vermitteln, die sie benötigen, um Vorkehrungen<br />

zum störungsfreien Verlauf der Versammlung und zum Schutz der<br />

Interessen Dritter oder der Allgemeinheit treffen zu können. Sie<br />

soll überdies auf eine Verständigung zwischen Veranstaltern und<br />

Ordnungsbehörden hinwirken, die eine kooperative Festlegung<br />

von Veranstaltungsplan und Ordnungsvorkehrungen begünstigt,<br />

und damit dem störungsfreien Verlauf der Versammlung dienen.<br />

Die Anmeldepflicht 48 Stunden vor Bekanntgabe gibt der<br />

Verwaltung die Möglichkeit, erforderlichenfalls Auflagen zu Ort und<br />

Zeit der Versammlung anzuordnen, die dann bereits bei<br />

Bekanntgabe durch die Veranstalter berücksichtigt werden können.<br />

Ist ein Verbot der Versammlung erforderlich, so kann dieses<br />

ausgesprochen werden, bevor öffentlich für die Teilnahme an der<br />

Versammlung geworben wurde.<br />

Damit ist die Anmeldepflicht grundsätzlich gerechtfertigt.<br />

Folglich liegt ein Verstoß gegen die zulässige Anmeldepflicht des §<br />

14 I VersG vor.<br />

(((bbb.))) Damit liegt die Voraussetzung des § 15 III Fall 1 VersG vor.<br />

Fraglich ist jedoch, ob es verfassungsmäßig ist, dass § 15 III Fall<br />

1 VersG die Versammlungsauflösung schon alleine aufgrund der<br />

fehlenden Anmeldung zulässt, ohne dass weitere<br />

Voraussetzungen vorliegen müssen.<br />

- 15 -


- 16 -<br />

[Eingriff in den Schutzbereich des Art. 8 I GG:] Die Auflösung<br />

der Versammlung stellt immerhin den stärkst möglichen Eingriff in<br />

Art. 8 I GG dar.<br />

[Rechtfertigung des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 8 I<br />

GG:] Zwar sind Eingriffe in die Versammlungsfreiheit aufgrund von<br />

Art. 8 II GG möglich. Es ist indes zweifelhaft, ob allein die fehlende<br />

Anmeldung diesen Eingriff rechtfertigt.<br />

Wie geschildert liegt der Sinn und Zweck der Anmeldepflicht in<br />

erster Linie in der Ermöglichung der Durchführung der<br />

Versammlung, indem bereits im Vorfeld auf Gefahren, die von ihr<br />

ausgehen und für sie bestehen, reagiert werden kann. Lässt sich<br />

dieses Ziel, wenn die nicht angemeldete Versammlung bereits<br />

begonnen hat, noch auf andere Weise erreichen, wäre das Verbot<br />

nur wegen fehlender Anmeldung unangemessen. Für ein Verbot<br />

müssen daher zur fehlenden Anmeldung noch weitere Umstände<br />

hinzutreten.<br />

Ein Verbot - allein - wegen der fehlenden Anmeldung ist daher<br />

verfassungswidrig.<br />

(((ccc.))) § 15 III Fall 1 VersG ist daher nicht anzuwenden.<br />

(((bb.))) Gemäß § 15 III Fall 4 VersG kann eine Versammlung jedoch auch<br />

unter den Voraussetzungen, zu denen sie gemäß § 15 I VersG<br />

verboten werden kann, aufgelöst werden.<br />

Die Versammlung kann mithin auch zur Abwehr unmittelbarer<br />

Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufgelöst<br />

werden.<br />

(((aaa.))) Fraglich ist, ob vorliegend die öffentliche Sicherheit betroffen<br />

ist.<br />

Zum Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zählt u. a. die<br />

Unverletzlichkeit der Rechtsordnung.<br />

- 16 -


- 17 -<br />

Vorliegend löst die Polizei die Versammlung auf, um das Betreten<br />

der Gleise durch Demonstranten zu verhindern. Damit handelte sie<br />

zum Schutze der Normen der §§ 62 I, II, 63 II EBBO. Ferner will<br />

sie verhindern, dass das Gleisbett ausgegraben wird und handelt<br />

somit zum Schutze von § 303 I StGB.<br />

Die öffentliche Sicherheit ist mithin betroffen.<br />

(((bbb.))) Ferner muss eine unmittelbare Gefahr für die Öffentliche<br />

Sicherheit gegeben sein, vorliegend also dafür, dass die<br />

Demonstranten die Gleise betreten und das Gleisbett ausgraben.<br />

Eine unmittelbare Gefahr ist eine Sachlage oder ein Verhalten,<br />

dass bei ungehindertem Fortgang des zu erwartenden<br />

Geschehens mit hoher, fast an Sicherheit grenzender<br />

Wahrscheinlichkeit das Schutzgut schädigen wird.<br />

Vorliegend wurden die Demonstranten auf Flugzetteln unter dem<br />

Motto „Castor steinigen“ dazu aufgefordert, dass Gleisbett<br />

auszugraben. Es ist daher aus polizeilicher Sicht nahezu sicher,<br />

dass Personen, die dem Demonstrationsaufruf auf diesem<br />

Flugblatt folgen, auch die Gleise betreten werden, um diese zu<br />

beschädigen. Denn ein Bürger, der selbst keine Gewaltaktionen<br />

durchführen möchte, wird sich gar nicht erst an einer<br />

Versammlung beteiligen, die von Anfang an unter einem<br />

gewaltsamen Motto steht. Dass die Demonstration nicht<br />

angemeldet wurde verstärkt den Eindruck, dass vorliegend<br />

rechtswidrige Aktionen geplant sind.<br />

Eine unmittelbare Gefahr ist daher gegeben.<br />

(((ccc.))) Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und<br />

Ordnung liegt folglich vor.<br />

(((cc.))) Die Versammlungsteilnehmer sind richtige Adressaten der<br />

Auflösung, da sie selbst Verursacher der Gefahr und damit<br />

Verhaltensstörer iSd § 13 ASOG sind und es einen<br />

Versammlungsleiter bei einer - wie hier - nicht angemeldeten<br />

Versammlung nicht gibt.<br />

- 17 -


- 18 -<br />

(((dd.))) Die Voraussetzungen des § 15 III Fall 4 VersG liegen demzufolge<br />

vor.<br />

(((b.))) Auf Rechtsfolgenseite räumt § 15 III Fall 4 VersG Ermessen<br />

(„kann“) ein.<br />

Die Polizei hat Ermessen bezüglich der Entscheidung, ob sie<br />

einschreitet (Entschließungsermessen), bezüglich der Wahl der<br />

Mittel (Mittelauswahlermessen), und bezüglich der Störerauswahl<br />

(Störerauswahlermessen).<br />

Das behördliche Ermessen ist gerichtlich nur eingeschränkt<br />

überprüfbar. Die gerichtliche Kontrolle hat sich auf das Vorliegen<br />

von Ermessenfehlern zu beschränken, § 114 S. 1 VwGO.<br />

(((aa./bb.))) Was das Entschließungs- und das Störerauswahlermessen<br />

betrifft, sind Ermessensfehler der Behörde nicht ersichtlich.<br />

(((cc.))) Vorliegend kann jedoch im Rahmen der Mittelauswahl eine<br />

Ermessensüberschreitung vorliegen, d. h. die Anwendung einer<br />

unzulässigen Rechtsfolge, indem das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />

verletzt ist.<br />

Fraglich ist vorliegend allein, ob die Auflösung erforderlich ist, d. h.<br />

unter mehreren gleichgeeigneten Mitteln das mildeste ist.<br />

Zur Verhinderung von Gleisbetretungen und -beschädigungen<br />

wäre bspw. das Aufstellen von Absperrungen oder das Einkesseln<br />

durch Polizisten.<br />

Dies ist vorliegend jedoch aufgrund der großen Teilnehmerzahl an<br />

der Versammlung und wegen der fehlenden Anmeldung, die<br />

Vorkehrungen nicht zuließ, nicht möglich.<br />

Damit ist die Auflösung erforderlich.<br />

(((dd.))) Ermessensfehler liegen demnach nicht vor.<br />

- 18 -


- 19 -<br />

(((c.))) Die Auflösung der Versammlung ist materiell rechtmäßig.<br />

(((4.))) Die Auflösung der Versammlung ist damit rechtmäßig.<br />

Aufgrund der rechtmäßigen Auflösung der Versammlung hatten<br />

die Versammlungsteilnehmer daher die Pflicht, sich gemäß §§ 18,<br />

13 II VersG vom Ort der Versammlung zu entfernen, weshalb die<br />

Polizei beim Erlass der Platzverweise zum Schutze der<br />

öffentlichen Sicherheit in Form der Unverletzlichkeit der<br />

Rechtsordnung gehandelt hat.<br />

Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist daher betroffen.<br />

((bbb.)) Ferner muss eine Gefahr für das Schutzgut vorgelegen haben, d. h. die<br />

Gefahr, dass Claudine Grünh die Versammlung trotz Auflösung nicht<br />

verlässt.<br />

Auch wenn Claudine Grünh behauptet, dass sie die Gleise nie betreten<br />

wollte, so durfte die Polizei bei einer unangemeldeten Versammlung, die<br />

aufgrund eines Aufrufes zustande gekommen war, der die Aufforderung<br />

zur Gewalt beinhaltete, davon ausgehen, dass die<br />

Versammlungsteilnehmer die Versammlung auch nach Auflösung nicht<br />

verlassen würden. Auch bezüglich Claudine Grünh lag daher zum<br />

Zeitpunkt der Auflösung der Versammlung zumindest die Anscheinsgefahr<br />

vor, dass sie die Versammlung nicht verlassen würde.<br />

(((ccc.))) Damit liegt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vor.<br />

((bb.)) Als (Anscheins-) Handlungsstörerin iSd § 13 ASOG war Claudine Grünh<br />

auch richtige Adressaten des Platzverweises.<br />

((cc.)) Die Voraussetzungen des § 29 ASOG liegen deshalb vor.<br />

((b.)) Auf Rechtsfolgenseite räumt § 29 I ASOG der Polizei Ermessen ein.<br />

Ermessensfehler sind hier nicht ersichtlich.<br />

((c.)) Der Platzverweis ist materiell rechtmäßig.<br />

((4.)) Der Platzverweis ist rechtmäßig.<br />

- 19 -


- 20 -<br />

Demzufolge dient die Ingewahrsamnahme der Durchsetzung des<br />

Platzverweises.<br />

(bb.) Ferner muss Claudine Grünh auch richtige Adressatin der Ingewahrsamnahme<br />

gewesen sein. Vorliegend könnte sie Verhaltensstörerin i. S. d. § 13 ASOG sein.<br />

Verhaltensstörer ist, wer die Gefahr selbst verursacht. Es geht also um die Frage,<br />

ob die Gefahr, dass dem Platzverweis nicht Folge geleistet wird, von Claudine<br />

Grünh selbst ausgeht.<br />

Claudine Grünh hatte bereits damit begonnen, dem Platzverweis Folge zu leisten,<br />

indem sie sich von den Gleisen entfernte. Damit versursachte sie die Gefahr nicht<br />

selbst.<br />

Sie ist mithin nicht richtige Adressatin der Ingewahrsamnahme.<br />

(cc.) Dementsprechend liegen die Voraussetzungen für eine Ingewahrsamnahme nicht<br />

vor.<br />

[Alternativ könnte auch wie folgt gelöst werden.<br />

Frau Grünh könnte Anscheinsstörerin sein, also aus der Sicht der handendeln<br />

Polizei als Reaktion auf einen ungewissen Sachverhalt. Das Interesse effektiver<br />

Gefahrenabwehr rechtfertigt es, zur Einschätzung der Gefahrenlage auf die Sicht<br />

der Polizei (ex ante) abustellen und eine Situation, die sich im Nachhinein als<br />

„ungefährlich“ erweist, gleichwohl als objektive Anscheinsgefahr anzuerkennen,<br />

wenn sie bei verständiger Würdigung der objektiven Anhaltspunkte als<br />

Gefahrenlage gewertet werden durfte. Dieses Zugriffsintereses auf der<br />

Primärebene trägt aber die endgültige Kostenbelastung des<br />

„Anscheinsstörers“ dann nicht mehr, wenn sich später herausstellt, dass er –<br />

mangels Gefahrenlage oder mangels ihm zuzurechnender Verursachung –<br />

tatsächlich nicht Störer war. Seine Situation ist mit derjenigen des Nichtstörers<br />

vergleichbar; auch er trägt im Verhältnis zur Allgemeinheit ein Sonderopfer. Die<br />

danach entsprechend dem Prinzip der gerechten Lastenverteilung gebotene<br />

Kostenfreistellung lässt sich damit behründen, dass die polizeirechtliche<br />

Inanspruchnahme nicht nur eine (Anscheins-)Gefahr, sondern auch zusätzlich die<br />

Störereigenschaft des Herangezogenen voraussetzt. (vgl. Lisken/Denninger,<br />

Handbuch des Polizeirechts, Rn. 48 ff.)]<br />

- 20 -


- 21 -<br />

(b.) Die Ingewahrsamnahme ist materiell rechtswidrig.<br />

(4.) Die Ingewahrsamnahme ist rechtswidrig.<br />

Nach § 11 VerwKG Bln. sind daher die Kosten zu erlassen.<br />

dd. Die Voraussetzungen zum Erlass des Kostenbescheides liegen somit nicht vor.<br />

b. Der Kostenbescheid ist materiell rechtswidrig.<br />

4. Der Kostenbescheid ist rechtswidrig.<br />

II. Dadurch wird Claudine in ihren eigenen Rechten aus Art. 2 I GG verletzt. Ob sie<br />

durch die Anforderung von Kosten auch in ihrem Grundrecht aus Art. 14 I GG verletzt<br />

ist, kann dahinstehen.<br />

III. Die Klage gegen den Kostenbescheid ist begründet.<br />

- 21 -

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