246 StGB; Subsidiaritätsklausel Materialien - unirep - Humboldt ...
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Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin<br />
BGH, Urteil vom 6. Februar 2002, BGHSt 47, 243 – Subsidiarität<br />
Sachverhalt: Otto ersticht seinen Bekannten Gustav im Laufe eines Streites,<br />
um diesen schnellstmöglich zu beenden. Nachdem Gustav tot zusammengebrochen<br />
ist, bemerkt Otto, dass Gustav in seiner Manteltasche ein Mobiltelefon<br />
aufbewahrt hatte. Er nimmt nun dieses Mobiltelefon sowie seinen<br />
Geldbeutel an sich. Nach den Feststellungen des Gerichts bleibt unklar, ob er<br />
den Wegnahmevorsatz möglicherweise schon vor oder erst nach dem tödlichen<br />
Stich fasste.<br />
Thema: § <strong>246</strong> <strong>StGB</strong>; <strong>Subsidiaritätsklausel</strong><br />
<strong>Materialien</strong>: –<br />
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin<br />
Lösungsübersicht:<br />
A. Strafbarkeit wegen Totschlags, § 212 I <strong>StGB</strong><br />
I. Tatbestandsmäßigkeit (+)<br />
II. Rechtswidrigkeit/Schuld (+)<br />
III. Ergebnis (+)<br />
B. Strafbarkeit wegen Mordes, §§ 212 I, 211 <strong>StGB</strong><br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Grundtatbestand (+)<br />
2. Mordmerkmal<br />
Habgier (–), in dubio pro reo<br />
II. Ergebnis (–)<br />
C. Strafbarkeit wegen Raubes, § 249 I <strong>StGB</strong><br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Fremde bewegliche Sache (+)<br />
b) Wegnahme: (-), in dubio pro reo<br />
II. Ergebnis (–)<br />
D. Strafbarkeit wegen Diebstahls, § 242 I <strong>StGB</strong> (–), da Wegnahme in<br />
dubio pro reo ausscheidet<br />
E. Strafbarkeit wegen Unterschlagung, § <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong><br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Fremde bewegliche Sache (+)<br />
b) Zueignung (+)<br />
c) Rechtswidrigkeit der Zueignung (+)<br />
2. Subjektiver Tatbestand (+)<br />
II. Rechtswidrigkeit/Schuld (+)<br />
III. Gesetzliche Subsidiarität/Ergebnis<br />
1. Dieselbe Tat = Tateinheit § 52 <strong>StGB</strong>: (+), in dubio pro reo<br />
2. Problem: Gilt <strong>Subsidiaritätsklausel</strong> nur für Vermögensdelikte<br />
oder hinsichtlich aller Delikte?<br />
- BGH: alle Delikte<br />
- a.M.: nur Vermögensdelikte<br />
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin<br />
Lösungsvorschlag:<br />
A. Strafbarkeit wegen Totschlags, § 212 I <strong>StGB</strong><br />
Otto könnte sich, indem er Gustav niederstach, wegen Totschlags gemäß<br />
§ 212 I <strong>StGB</strong> strafbar gemacht haben.<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
Gustav ist tot. Sein Tod wurde kausal durch den Messerstich des Otto verursacht.<br />
Weiterhin müsste Otto mit Tötungsvorsatz gehandelt haben. Bei der Beurteilung<br />
des Tötungsvorsatzes ist eine erhöhte psychische Barriere zu beachten,<br />
die sog. Hemmschwelle. Daher kann bei Tötungsdelikten nicht allein<br />
aufgrund der Lebensgefährlichkeit bestimmter Handlungen auf den Vorsatz<br />
geschlossen werden. Hier ist jedoch von einer Billigung des Tötungserfolges<br />
auszugehen, da Otto den Gustav niederstach, um den Streit zu beenden.<br />
Otto handelte mithin mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz.<br />
Ottos Verhalten ist tatbestandsmäßig.<br />
II. Rechtswidrigkeit / Schuld<br />
Sein Verhalten rechtfertigende oder entschuldigende Gründe sind nicht ersichtlich.<br />
Otto handelte daher auch rechtswidrig und schuldhaft.<br />
III. Ergebnis<br />
Otto hat sich durch den Messerstich wegen Totschlags gemäß § 212 I<br />
<strong>StGB</strong> strafbar gemacht.<br />
B. Strafbarkeit wegen Mordes, §§ 212 I, 211 <strong>StGB</strong><br />
Zu erwägen ist ferner die Strafbarkeit des Otto wegen Mordes gemäß<br />
§§ 212 I, 211 <strong>StGB</strong> durch den Messerstich.<br />
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Grundtatbestand<br />
Otto hat den Tod des Gustav vorsätzlich verursacht.<br />
2. Mordmerkmal<br />
Er könnte dabei das Mordmerkmal der Habgier verwirklicht haben. Habgier<br />
ist ein abstoßendes, übersteigertes Gewinnstreben um jeden Preis.<br />
Habgier müsste nach dem Koinzidenzprinzip bereits zum Zeitpunkt der Tötungshandlung<br />
vorgelegen haben.<br />
Da hier nicht aufklärbar ist, wann Otto den Wegnahmevorsatz gefasst hat,<br />
ist in dubio pro reo davon auszugehen, dass er ihn erst nach dem tödlichen<br />
Stich fasste. Habgier lag demnach im Zeitpunkt der Tötungshandlung nicht<br />
vor.<br />
II. Ergebnis<br />
Otto hat sich folglich nicht wegen Mordes strafbar gemacht.<br />
C. Strafbarkeit wegen Raubes, § 249 I <strong>StGB</strong><br />
Er könnte sich durch das Mitnehmen des Handys und des Geldbeutels aber<br />
wegen Raubes gemäß § 249 I <strong>StGB</strong> strafbar gemacht haben.<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
Erforderlich ist dazu die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache.<br />
a) Fremde bewegliche Sache<br />
Handy und Geldbeutel standen nicht Ottos Alleineigentum, sondern gehörten<br />
den Erben des toten Gustav, § 1922 BGB. Sie waren mithin für Otto<br />
fremde und aufgrund ihrer Fortschaffbarkeit auch bewegliche Sachen.<br />
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b) Wegnahme<br />
Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht unbedingt<br />
tätereigenen Gewahrsams. Gewahrsam bedeutet dabei die auf einem<br />
natürlichen Herrschaftswillen beruhende Sachherrschaft, deren Umfang und<br />
Grenzen durch die Verkehrsanschauung bestimmt werden.<br />
Zu dem Zeitpunkt als Otto die Sachen an sich nahm, war Gustav bereits<br />
tot. Tote haben aber mangels Herrschaftswillens keinen Gewahrsam mehr.<br />
Die Sachen waren vielmehr gewahrsamslos. Die Besitzfiktion des Erben,<br />
§ 857 BGB, ist auf den Gewahrsam nicht übertragbar.<br />
Zwar könnte man auch die Ausführung des tödlichen und damit den Gewahrsam<br />
des Gustav aufhebenden Messerstich als Zeitpunkt des Gewahrsamsbruchs<br />
ansehen. Dann müsste Otto aber bereits zu diesem Zeitpunkt<br />
die Gewalt final dazu eingesetzt haben, die Wegnahme zu ermöglichen.<br />
Wann er den Wegnahmevorsatz fasste, ist hier jedoch nicht aufklärbar. In<br />
dubio pro reo ist daher anzunehmen, dass Otto den Wegnahmevorsatz erst<br />
nach dem tödlichen Stich fasste, also die Gewalt nicht dazu einsetzte, die<br />
Wegnahme zu ermöglichen.<br />
Mangels Wegnahme bzw. mangels finalen Gewalteinsatzes ist bereits der<br />
objektive Tatbestand nicht erfüllt.<br />
II. Ergebnis<br />
Otto hat sich nicht wegen Raubes gemäß § 249 I <strong>StGB</strong> strafbar gemacht.<br />
Daher scheidet auch eine Strafbarkeit nach den Qualifikationstatbeständen<br />
der §§ 250, 251 <strong>StGB</strong> aus.<br />
D. Strafbarkeit wegen Diebstahls, § 242 I <strong>StGB</strong><br />
Mangels Gewahrsamsbruchs gegenüber dem toten Gustav bzw. mangels<br />
Wegnahmevorsatzes im Zeitpunkt des den Gewahrsam aufhebenden tödlichen<br />
Messerstichs scheidet auch eine Strafbarkeit des Otto wegen Diebstahls<br />
gemäß § 242 I <strong>StGB</strong> aus.<br />
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E. Strafbarkeit wegen Unterschlagung gemäß § <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong><br />
Otto könnte sich durch die Mitnahme des Handys und des Geldbeutels<br />
aber wegen Unterschlagung gemäß § <strong>246</strong> I strafbar gemacht haben.<br />
I. Tatbestandsmäßigkeit<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Fremde bewegliche Sache<br />
Handy und Geldbeutel sind, wie bereits festgestellt, fremde bewegliche Sachen.<br />
b) Zueignung<br />
Diese müsste Otto sich zugeeignet haben. Anders als bei § 242 I <strong>StGB</strong><br />
genügt hier der bloße Zueignungswille nicht. Der Zueignungswille muss sich<br />
vielmehr äußerlich (eindeutig) in einer Zueignungshandlung manifestiert haben.<br />
Otto hat Handy und Geldbeutel an sich und mit sich genommen. Dadurch<br />
hat er unzweideutig zum Ausdruck gebracht, dass er diese Sachen zumindest<br />
vorübergehend dem eigenen Vermögen einverleiben, sie sich also aneignen<br />
und dazu die Erben des toten Gustav dauerhaft enteignen will. Er hat<br />
sich die Sachen mithin zugeeignet.<br />
c) Rechtswidrigkeit der Zueignung<br />
Diese Zueignung müsste ferner rechtswidrig gewesen sein. Otto hatte keinen<br />
fälligen und einredefreien Anspruch auf die mitgenommenen Sachen.<br />
Die Zueignung war daher rechtswidrig.<br />
Der objektive Tatbestand ist erfüllt.<br />
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2. Subjektiver Tatbestand<br />
Otto handelte vorsätzlich auch in Bezug auf die Rechtswidrigkeit der Zueignung.<br />
Eine Zueignungsabsicht ist ausweislich des Wortlauts des § <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong><br />
nicht erforderlich; der gegebene Zueignungswille genügt.<br />
Auch der subjektive Tatbestand ist erfüllt.<br />
Sein Handeln ist tatbestandsmäßig.<br />
II. Rechtswidrigkeit / Schuld<br />
Sein Handeln war auch rechtswidrig und schuldhaft.<br />
III. Gesetzliche Subsidiarität/Ergebnis<br />
Eine Verurteilung auch wegen Unterschlagung setzt gemäß der <strong>Subsidiaritätsklausel</strong><br />
des § <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong> voraus, dass die Tat nicht in anderen Vorschriften<br />
abstrakt, d.h. nicht notwendig im konkreten Einzelfall, mit höherer<br />
Strafe bedroht ist. Anderenfalls tritt die Unterschlagung hinter dem verwirklichten<br />
schwereren Delikt zurück.<br />
Otto hat sich hier wegen Totschlags durch den Messerstich und wegen Unterschlagung<br />
durch die Ansichnahme der Sachen strafbar gemacht. Es stellt<br />
sich daher das Problem, ob das Niederstechen und die Ansichnahme der<br />
Sachen noch als „eine Tat“ anzusehen sind.<br />
1. Dieselbe Tat<br />
Eine Tat liegt jedenfalls bei Tateinheit gem. § 52 <strong>StGB</strong> regelmäßig vor.<br />
Hier läge an sich zwischen dem Niederstechen und der Ansichnahme der<br />
Sachen Realkonkurrenz, § 53 <strong>StGB</strong> vor, da sie auf zwei verschiedenen<br />
Handlungen und einem neuen Entschluss basieren. Zu einer natürlichen<br />
Handlungseinheit i.S. eines engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs<br />
wird man daher kaum gelangen können.<br />
Universitäts-Repetitorium der <strong>Humboldt</strong>-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
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Ein anderes Ergebnis ergibt sich jedoch aus der erneuten Anwendung des<br />
in dubio pro reo Grundsatzes. Zugunsten des Otto ist an dieser Stelle anzunehmen,<br />
dass er bereits beim Niederstechen Aneignungsvorsatz hatte.<br />
Dann aber läge nur eine Tat und damit eine natürliche Handlungseinheit vor.<br />
2. Subsidiaritätsumfang<br />
Fraglich bleibt jedoch, ob die Tat, zu der § <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong> subsidiär ist, ein<br />
Vermögensdelikt sein muss oder ob jedes Delikt unabhängig von seiner<br />
Schutzrichtung in Betracht kommt.<br />
Mag zwar der Charakter der Unterschlagung als Eigentumsdelikt dafür<br />
sprechen, die <strong>Subsidiaritätsklausel</strong> auf Eigentums- und Vermögensdelikte<br />
zu beschränken. Eine solche Beschränkung ist aber dem Wortlaut des<br />
§ <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong> nicht zu entnehmen. Würde man die Klausel auf Vermögensdelikte<br />
beschränken, ginge diese Auslegung zu Lasten des Täters, was gerade<br />
nicht zulässig ist.<br />
Der von Otto verwirklichte § <strong>246</strong> I <strong>StGB</strong> tritt daher hinter dem ebenfalls<br />
verwirklichten § 212 I <strong>StGB</strong> als subsidiär zurück.<br />
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