BGH, Urteil vom 12. Januar 1962, BGHSt 17, 87 – Moos-raus ...
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Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
<strong>BGH</strong>, <strong>Urteil</strong> <strong>vom</strong> <strong>12.</strong> <strong>Januar</strong> <strong>1962</strong>, <strong>BGH</strong>St <strong>17</strong>, <strong>87</strong> <strong>–</strong> <strong>Moos</strong>-<strong>raus</strong><br />
Sachverhalt: Harald betreibt eine Kneipe. Auf Grund diverser Zechgelagen<br />
schuldet ihm der Gast Gustav noch insgesamt 20 Euro. Als<br />
Harald eines Tages den schmächtigen Gustav auf der Straße trifft, fordert<br />
er diesen mit den Worten „<strong>Moos</strong> <strong>raus</strong>“ auf, ihm die Schulden zu<br />
bezahlen. Als Gustav sich weigert und sich anschickt, weiterzugehen,<br />
greift Harald in dessen Jackentasche und entnimmt dieser die von ihm<br />
dort vermutete Geldbörse. In diesem Portemonnaie befindet sich ein<br />
20-Euro-Schein. Diesen nimmt Harald an sich, da er glaubt, auf andere<br />
Weise niemals zu seinem Geld gelangen zu können und er sich daher<br />
zu dieser Vorgehensweise befugt hält. Danach steckt er die Geldbörse<br />
wieder in Gustavs Jackentasche und entfernt sich.<br />
Thema: § 242 StGB; Rechtswidrigkeit der Zueignung<br />
Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin / Strafrecht / Prof. Heinrich
Universitäts-Repetitorium der Humboldt-Universität zu Berlin<br />
Lösungsübersicht:<br />
A. Strafbarkeit Haralds wegen Raubes, § 249 I StGB<br />
Tatbestand <strong>–</strong> Objektiver Tatbestand<br />
1. Fremde, bewegliche Sachen (+)<br />
2. Wegnahme (+)<br />
3. Gewalt (<strong>–</strong>), denn Harald nutzt Geschicklichkeit und entfaltet<br />
keine Kraft in Richtung des Gustav<br />
B. Strafbarkeit Haralds wegen Diebstahls, § 242 I StGB<br />
Tatbestand<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
a) Fremde, bewegliche Sachen (+)<br />
b) Wegnahme (+)<br />
2. Subjektiver Tatbestand<br />
a) Vorsatz (+)<br />
b) Zueignungsabsicht<br />
aa) Aneignungsabsicht (+)<br />
bb) Enteignungswille (+)<br />
c) Problem: Vorsatz bzgl. der Rechtswidrigkeit<br />
der Zueignung<br />
aa) Objektive Rechtswidrigkeit<br />
<strong>BGH</strong>: (+), da kein Anspruch auf die bestimmten<br />
Geldscheine<br />
a.M.: (<strong>–</strong>), da bei Geld das Abstellen auf Gattungsschuld<br />
nicht greift<br />
bb) Subjektiv: Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (<strong>–</strong>)<br />
C. Strafbarkeit Haralds wegen Nötigung, § 240 I StGB<br />
Tatbestand<br />
Objektiver Tatbestand<br />
a) Nötigung zur Duldung der Wegnahme (+)<br />
b) Gewaltanwendung (<strong>–</strong>), vgl. oben bei § 249 StGB<br />
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Lösungsvorschlag:<br />
A. Strafbarkeit Haralds wegen Raubes gem. § 249 I StGB<br />
Indem Harald einen 20-Euro-Schein aus Gustavs Jackentasche nahm,<br />
könnte er sich wegen eines Raubes gem. § 249 I strafbar gemacht haben.<br />
I. Tatbestand<br />
Harald müsste tatbestandsmäßig gehandelt haben.<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
Dazu müsste Harald zunächst den objektiven Tatbestand des Raubes<br />
verwirklicht haben. Dies setzt die Wegnahme einer fremden beweglichen<br />
Sache unter Einsatz eines qualifizierten Nötigungsmittels vo<strong>raus</strong>.<br />
a) Fremde bewegliche Sache<br />
Harald entnahm Gustavs Tasche einen 20-Euro-Schein. Bei diesem<br />
handelt es sich um eine bewegliche Sache, die in Gustavs Eigentum<br />
stand und somit für Harald fremd war.<br />
b) Wegnahme<br />
Diese Sache müsste Harald weggenommen haben. Wegnahme bedeutet<br />
der Bruch fremden sowie die Begründung neuen, nicht notwendig<br />
tätereigenen Gewahrsams. Indem Harald den Schein an sich nahm,<br />
brach er Gustavs Gewahrsam und begründete selbst Eigengewahrsam<br />
am Geld. Eine Wegnahme ist mithin gegeben.<br />
c) Qualifiziertes Nötigungsmittel<br />
Harald müsste zur Wegnahme auch ein qualifiziertes Nötigungsmittel,<br />
also Gewalt gegen eine Person oder Drohung mit gegenwärtiger Gefahr<br />
für Leib oder Leben, eingesetzt haben. In Betracht kommt hier<br />
der Einsatz von Gewalt gegen eine Person. Darunter ist der Einsatz<br />
körperlich wirkenden Zwangs durch Einwirkung auf einen anderen zu<br />
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verstehen, der nach Vorstellung des Täters dazu bestimmt ist, geleisteten<br />
oder erwarteten Widerstand zu überwinden oder unmöglich zu<br />
machen. Harald griff dem Gustav schnell und geschickt in dessen Jackentasche<br />
und entnahm so dessen Geldbörse. Dabei nutzte er lediglich<br />
seine Geschicklichkeit, entfaltete jedoch keinerlei körperlich wirkende<br />
Zwangswirkung in Richtung Gustavs. Damit ist der Einsatz von<br />
Gewalt und somit von einem qualifizierten Nötigungsmittel nicht vorhanden.<br />
2. Zwischenergebnis<br />
Der objektive Tatbestand des Raubes ist mangels Verwendung eines<br />
qualifizierten Nötigungsmittels mithin nicht erfüllt.<br />
II. Ergebnis<br />
Harald ist nicht strafbar gem. § 249 I StGB.<br />
B. Strafbarkeit Haralds wegen Diebstahls gem. § 242 I StGB<br />
Harald könnte sich indes wegen eines Diebstahls gem. § 242 I StGB<br />
strafbar gemacht haben.<br />
I. Tatbestand<br />
1. Objektiver Tatbestand<br />
Die Wegnahme einer fremden beweglichen Sache ist durch Ansichnahme<br />
des 20-Euro-Scheines gegeben.<br />
2. Subjektiver Tatbestand<br />
Harald müsste auch mit Tatbestandvorsatz sowie mit der Absicht<br />
rechtswidriger Zueignung gehandelt haben.<br />
a) Tatbestandsvorsatz<br />
Harald nahm den Geldschein aus Gustavs Börse wissentlich und wil-<br />
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lentlich, demnach vorsätzlich, an sich.<br />
b) Zueignungsabsicht<br />
Die Zueignungsabsicht ist gegeben, wenn der Täter sowohl Aneignungsabsicht<br />
als auch Enteignungsvorsatz besitzt. Harald handelte in<br />
der Absicht, den Geldschein seinem Vermögen einzuverleiben und ihn<br />
sich demnach anzueignen. Weiterhin handelte Harald auch ohne<br />
Rückführungswillen. Mithin war auch Vorsatz hinsichtlich der dauerhaften<br />
Enteignung Gustavs vorhanden.<br />
c) Rechtswidrigkeit<br />
Haralds Zueignungsabsicht müsste rechtswidrig gewesen sein. Dies<br />
setzt vo<strong>raus</strong>, dass die beabsichtigte Zueignung objektiv nicht im Einklang<br />
mit der Rechtsordnung steht. Demnach dürfte Harald keinen<br />
fälligen einredefreien zivilrechtlichen Anspruch auf Übereignung des<br />
von ihm genommenen Geldscheins haben. Nun hatte Gustav bei Harald<br />
aufgrund verschiedener Zechgelage Schulden in Höhe von genau<br />
20 Euro, dem Harald standen demnach zivilrechtliche Ansprüche auf<br />
Zahlung von 20 Euro zur Seite. Fraglich ist allerdings, ob dies der<br />
Rechtswidrigkeit der beabsichtigten Zueignung entgegensteht.<br />
Zu beachten ist dabei, dass Gustavs Geldschuld gegenüber Harald eine<br />
Gattungsschuld ist, womit sich Haralds Anspruch vor erfolgter Konkretisierung<br />
(§ 243 II BGB) nicht auf einen bestimmten Geldschein,<br />
sondern nur auf Leistung von Sachen mittlerer Art und Güte bezieht<br />
(§ 243 I BGB). Dem Schuldner steht das Recht der Konkretisierung<br />
und damit das Recht der Auswahl der genauen Sache zu, die er leisten<br />
möchte. Indem Harald den Geldschein trotz Gustavs Widerstands<br />
selbst auswählte und sich somit eigenmächtig aus der Gattung befriedigte,<br />
verletzte er dessen Auswahlrecht.<br />
Dies spricht für die objektive Rechtswidrigkeit der Zueignungsabsicht<br />
Haralds. Doch ist umstritten, ob Geldschulden als Wertsummenverbindlichkeiten<br />
im Rahmen der Gattungsschulden eine besondere Stellung<br />
einnehmen und somit die objektive Rechtswidrigkeit entfallen<br />
könnte. Nach der Wertsummentheorie hat das Opfer bei Geldschulden<br />
kein wirtschaftliches Interesse daran, gerade bestimmte Geldscheine behal-<br />
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ten und andere weggeben zu dürfen. Das dem Opfer zustehende Auswahlrecht<br />
sei bei Geldschulden mithin wertlos und die Zueignung schon objektiv<br />
nicht rechtswidrig.<br />
Doch missachtet diese normative Betrachtungsweise die eindeutige rechtliche<br />
Lage bei Gattungsschulden, zu denen auch Geldschulden gehören. Dem<br />
Täter steht nun einmal kein Anspruch auf gerade den von ihm selbst ausgewählten<br />
Geldschein zu, normative Bewertungen können an dieser objektiv<br />
bestehenden Diskrepanz zur Rechtsordnung nichts ändern. Irrtümer des<br />
Täters über seine Berechtigung zur Selbsthilfe sind nicht im Rahmen der<br />
objektiven Rechtswidrigkeit der Zueignung zu bewerten.<br />
Mithin ist die Zueignungsabsicht Haralds als objektiv rechtswidrig zu erachten.<br />
d) Vorsatz hinsichtlich der Rechtswidrigkeit<br />
Doch müsste Harald auch Vorsatz hinsichtlich des Nichtbestehens eines<br />
fälligen einredefreien Anspruchs auf den von ihm ausgewählten Geldschein<br />
gehabt haben. Indes fehlte Harald genau dieses Bewusstsein. Er ging davon<br />
aus, aufgrund fehlender anderer Möglichkeiten an sein Geld zu kommen,<br />
dazu berechtigt zu sein, sich den Schein selbst zu nehmen. Da die Rechtswidrigkeit<br />
der Zueignungsabsicht zum gesetzlichen Tatbestand des Diebstahls<br />
gehört, stellt sich dieser rechtliche Bewertungsfehler Haralds ausnahmsweise<br />
als rechtlich relevanter Tatbestandsirrtum dar, der gem. § 16<br />
StGB den Vorsatz ausschließt.<br />
3. Zwischenergebnis<br />
Damit ist der subjektive Tatbestand des Diebstahls nicht erfüllt.<br />
II. Ergebnis<br />
Somit hat sich Harald nicht gem. § 242 I StGB strafbar gemacht.<br />
D. Gesamtergebnis<br />
Harald hat sich folglich gar nicht strafbar gemacht.<br />
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