26.08.2013 Aufrufe

Last und Freude des Kehrens (Von der verlorenen Drachme)

Last und Freude des Kehrens (Von der verlorenen Drachme)

Last und Freude des Kehrens (Von der verlorenen Drachme)

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Gt 08020 / p. 624 / 1.10.2007<br />

<strong>Last</strong> <strong>und</strong> <strong>Freude</strong> <strong>des</strong> <strong>Kehrens</strong><br />

(<strong>Von</strong> <strong>der</strong> <strong>verlorenen</strong> <strong>Drachme</strong>)<br />

Lk 15,8-10<br />

([3] Er erzählte ihnen aber die folgende Parabel:)<br />

…<br />

(8) O<strong>der</strong> welche Frau, die zehn <strong>Drachme</strong>n hat, wird* nicht, wenn sie eine<br />

<strong>Drachme</strong> verliert, ein Licht anzünden <strong>und</strong> das Haus kehren <strong>und</strong> sorgfältig so<br />

lange suchen, bis sie sie findet?<br />

(9) Und wird, wenn sie sie dann gef<strong>und</strong>en hat, nicht ihre Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong><br />

Nachbarinnen zusammenrufen <strong>und</strong> sagen: Freut euch mit mir, denn ich habe<br />

die <strong>Drachme</strong> gef<strong>und</strong>en, die ich verloren hatte?!<br />

(10) In gleicher Weise, sage ich euch, herrscht <strong>Freude</strong> bei Gott <strong>und</strong> den Engeln**<br />

über einen Sün<strong>der</strong> o<strong>der</strong> eine Sün<strong>der</strong>in, <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die einen Neuanfang<br />

macht.<br />

* Die Verbformen stehen im Präsens, d. h., es ist keine zukünftige Handlungim Blick,<br />

son<strong>der</strong>n das, was unter den beschriebenen Umständen je<strong>der</strong>zeit geschehen wird (= zu<br />

geschehen pflegt).<br />

** Wörtlich: »vor den Engeln Gottes« (Begründung <strong>der</strong> Übersetzung im Text)<br />

Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit)<br />

Die Parabel von <strong>der</strong> <strong>verlorenen</strong> <strong>Drachme</strong> erweist sich durch ihren Beginn mit »o<strong>der</strong>« (ˇ<br />

ē) als zweite Hälfte eines Doppelgleichnisses, das weitestgehend parallel strukturiert erst<br />

von <strong>der</strong> Suche nach einem <strong>verlorenen</strong> Schaf <strong>und</strong> dann nach einer <strong>verlorenen</strong> <strong>Drachme</strong><br />

erzählt (Lk 15,3.4-7.8-10). Lukas hat das Doppelgleichnis vermutlich selbst zusammengestellt<br />

aus thematisch verwandten Stücken, die er in seinem Son<strong>der</strong>gut (<strong>Drachme</strong>) <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Logienquelle vorfand (vgl. zum <strong>verlorenen</strong> Schaf Mt 18,12-14 <strong>und</strong> die Auslegung im<br />

Q-Abschnitt dieses Ban<strong>des</strong>). Zusammen mit <strong>der</strong> ebenfalls aus dem Son<strong>der</strong>gut stammenden<br />

Parabel vom <strong>verlorenen</strong> Sohn (Lk 15,11-32) gestaltete <strong>der</strong> Evangelist im Zentrum<br />

<strong>des</strong> Lukasevangeliums so eine Parabeltrilogie, die <strong>der</strong> Suche Gottes nach dem Verlorenen<br />

gewidmet <strong>und</strong> die durch eine redaktionell gestaltete Situationsangabe Lk 15,1-2 als Gesprächsangebot<br />

an zwei Kommunikationspartner gestaltet ist, die unterschiedlicher nicht<br />

sein könnten. Zum einen richtet Jesus sich an die Frauen <strong>und</strong> Männern, die als »Zöllner<br />

<strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>« verrufen sind <strong>und</strong> scharenweise kommen, um ihn zu hören (vgl. das übertreibende<br />

p€nte@ pantes = alle in V. 1). Zugleich antwortet er auf das dadurch hervorgerufene<br />

»Murren« <strong>der</strong> Pharisäer <strong>und</strong> Schriftgelehrten, <strong>der</strong>en Kritik in wörtlicher Rede<br />

wie<strong>der</strong>gegeben wird: »dieser nimmt die Sün<strong>der</strong> an <strong>und</strong> isst mit ihnen« (V. 2). Die folgenden<br />

Parabeln sind daher einerseits als Verteidigung <strong>der</strong> akzeptierenden Haltung Jesu zu<br />

verstehen, die ihren stärksten Ausdruck in <strong>der</strong> fröhlichen Tischgemeinschaft fand. Sie<br />

haben aber an<strong>der</strong>erseits in den anwesenden Menschen, die sich selbst im M<strong>und</strong>e <strong>der</strong><br />

Frommen als »Sün<strong>der</strong>innen <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>« wie<strong>der</strong>um aus <strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>des</strong> Gottesvolkes<br />

ausgegrenzt fanden, Zuhörer, denen er im Medium <strong>der</strong> Parabel zu verstehen gibt,<br />

610


Gt 08020 / p. 625 / 1.10.2007<br />

<strong>Last</strong> <strong>und</strong><strong>Freude</strong><strong>des</strong><strong>Kehrens</strong> Lk15,8-10<br />

wie seine Annahme (prosdffcesqai prosdechesthai) theologisch begründet ist: im Wesen<br />

Gottes nämlich, <strong>der</strong> sich darüber freut, wenn Menschen zu ihm zurückfinden <strong>und</strong> »einen<br />

Neuanfang machen«, womit hier das metanoe…n metanoein von V. 10 (siehe auch 15,7)<br />

übersetzt wurde (mehr dazu s. u.). Gegenüber den inhaltlich verwandten Aussprüchen<br />

Jesu, die seine göttliche Sendung beschreiben als »suchen, was verloren ist« (Lk 19,10)<br />

bzw. »Sün<strong>der</strong>innen <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong> rufen zur Umkehr« (Lk 5,32), tragen die Parabeln, die<br />

mit dem Wesen Gottes argumentieren, mehr zur narrativen Christologie <strong>des</strong> Evangeliums<br />

bei, indem sie zeigen: »Das Verhalten Jesu ist das offenbar werdende Verhalten Gottes.«<br />

(Trilling 1968,120; ähnlich Holtz 1998,169).<br />

Die Parabel selbst ist als eine lange rhetorische Frage formuliert, die den Zuhörenden<br />

einen Alltagsfall (mit Problem in V. 8 <strong>und</strong> Reaktion auf die Lösung in V. 9) vorlegt<br />

<strong>und</strong> sich dabei <strong>der</strong> Zustimmung gewiss weiß. Abgeschlossen wird sie in V. 10 durch eine<br />

mit o˜tw@, lffgw ¢m…n (houtōs legō hymin – so, sage ich euch) eingeleitete Anwendung,<br />

durch die Aspekte <strong>des</strong> Geschil<strong>der</strong>ten auf die Sphäre Gottes <strong>und</strong> <strong>der</strong> Engel übertragen<br />

werden, wobei allerdings Verschiebungen gegenüber den Schwerpunkten <strong>der</strong> Erzählung<br />

zu sehen sind (s. u.).<br />

Betrachten wir zunächst die Parabel: Protagonistin ist eine Frau, die zehn <strong>Drachme</strong>n<br />

besitzt <strong>und</strong> eine davon im Haus verloren hat. Diese Ausgangssituation <strong>und</strong> die Frageform<br />

(»welche Frau würde nicht …«) evoziert eindeutig eine Identifikation <strong>der</strong> Hörerinnen<br />

<strong>und</strong> Hörer mit <strong>der</strong> Frau, nicht etwa mit <strong>der</strong> <strong>Drachme</strong>, woran die Deutung von<br />

We<strong>der</strong> ( 4 1990, 251) scheitert, <strong>der</strong> Hörer solle »sich selbst als Verlorenen verstehen« lernen<br />

<strong>und</strong> davon befreit werden »aus eigener Kraft seine Verlorenheit zu überwinden«. Die Frau<br />

tut mit großer Sorgfalt, was nötig ist, um die <strong>Drachme</strong> zu finden, sie zündet Licht an <strong>und</strong><br />

kehrt das Haus (siehe dazu die sozialgeschichtliche Analyse). Nachdem sie die <strong>Drachme</strong><br />

gef<strong>und</strong>en hat, ruft sie ihre Fre<strong>und</strong>innen <strong>und</strong> Nachbarinnen (die griechischen Formen<br />

zeigen, dass es sich hierbei ausschließlich um Frauen handelt) <strong>und</strong> for<strong>der</strong>t sie zur Mitfreude<br />

auf. Diese Auffor<strong>der</strong>ung zur Mitfreude, <strong>der</strong> keine erzählerische Realisation mehr<br />

folgt, ist als Appell an die LeserInnen zu verstehen, sich mit <strong>der</strong> Frau <strong>und</strong> ihren Fre<strong>und</strong>innen<br />

zu freuen (Güttgemanns 1971,6; Heininger 1991, 142). Den Aspekt <strong>der</strong> <strong>Freude</strong><br />

nimmt die Deutung auf <strong>und</strong> richtet den Blick nunmehr auf die <strong>Freude</strong> »vor den Engeln<br />

Gottes über jeden Sün<strong>der</strong>, <strong>der</strong> umkehrt«. An diesem Punkt bietet die Parabel nun zwei<br />

Identifikationsmöglichkeiten an, die den in Lk 15,1-2 genannten Zuhörerkreisen entsprechen.<br />

Die als »Zöllner <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>« stigmatisierten Männer <strong>und</strong> Frauen, die zu Jesus<br />

gekommen sind, <strong>und</strong> diejenigen RezipientInnen, die sich – zu Recht o<strong>der</strong> Unrecht – mit<br />

ihnen identifizieren, dürfen sich als von Gott nicht aufgegebene, vielmehr gesuchte Sün<strong>der</strong>Innen<br />

erkennen, <strong>der</strong>en Umkehr <strong>Freude</strong> im Himmel auslöst. Die Pharisäer <strong>und</strong> Schriftgelehrten<br />

<strong>und</strong> alle sich mit ihnen – zu Recht o<strong>der</strong> Unrecht – identifizierenden RezipientInnen<br />

werden aufgefor<strong>der</strong>t, in die <strong>Freude</strong> <strong>der</strong> Engel über die Umkehr von Sün<strong>der</strong>innen<br />

<strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>n einzustimmen. Eine dritte Möglichkeit lässt die Parabel nicht zu, will man<br />

sie nicht selbst in Frage stellen, etwa, indem man darauf hinweist, dass doch von einem<br />

»Sündigen« <strong>und</strong> einer »Umkehr« <strong>der</strong> <strong>Drachme</strong> keine Rede war. Hier liegen eindeutig Verschiebungen<br />

zwischen dem besprochenem Fall <strong>und</strong> den zur theologischen Übertragung<br />

angebotenen Elementen, doch sollten diese als Absicht <strong>des</strong> Autors bewertet werden, die in<br />

<strong>der</strong> Gesamtauslegung noch näher zu befragen ist (s. u.). V. 10 hat außerdem im Gesamtkontext<br />

von Lk 15 klar die Funktion <strong>der</strong> Hinführung <strong>und</strong> Überleitung zur Parabel vom<br />

<strong>verlorenen</strong> Sohn, dem paradigmatischen Sün<strong>der</strong>, <strong>der</strong> umkehrt (Nolland 1993a, 775).<br />

611


Gt 08020 / p. 626 / 1.10.2007<br />

ParabelnimLukasevangelium<br />

SozialgeschichtlicheAnalyse(Bildspenden<strong>der</strong> Bereich)<br />

Es besteht in <strong>der</strong> Forschung Einigkeit darüber, dass die Heldin <strong>der</strong> Parabel extrem arm<br />

ist. Darauf weist das ärmliche Haus hin, das keine Fenster hat <strong>und</strong> daher so dunkel ist,<br />

dass zum Suchen Licht gemacht werden muss. Das Fegen hat wahrscheinlich den Zweck,<br />

die Münze auf dem dunklen Fußboden klappern zu hören o<strong>der</strong> sie bei Bewegung im<br />

Lichtschein glänzen zu sehen (so schon Jülicher 2 1910, 321, wenig plausibel ist dagegen<br />

die Annahme von Derrett 1979/80, 45, dass hier Assoziationen an die Reinigung <strong>der</strong><br />

Häuser zu Passa geweckt werden sollen). Vor allem aber ist es <strong>der</strong> Besitz von nur zehn<br />

<strong>Drachme</strong>n, <strong>der</strong> die Frau als arm kennzeichnet <strong>und</strong> die Intensität ihrer Suche sowie die<br />

große <strong>Freude</strong> <strong>des</strong> Findens verständlich macht. Der Wert einer <strong>Drachme</strong> schwankte, zur<br />

Zeit Neros war er dem eines Denars gleich <strong>und</strong> dürfte somit etwa dem Tagelohn eines<br />

männlichen Arbeiters entsprochen haben (vgl. Mt 20,1-16). Steht aber die Armut <strong>der</strong><br />

Frau als sozialer Hintergr<strong>und</strong> <strong>des</strong> Gleichnisses fest, dann klärt sich die in jüngerer Zeit<br />

diskutierte Frage nach <strong>der</strong> Rolle <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>. Kähler bestreitet, dass es als Zahlungsmittel<br />

<strong>des</strong> täglichen Bedarfs dient <strong>und</strong> unterstreicht die Rolle als »Notgroschen«, die Funktion<br />

als »Wertaufbewahrungsmittel«. Zu vergleichen sei verlorener Familienschmuck (Kähler<br />

1995, 111). Möglicherweise handelt es sich auch um die Aussteuer <strong>der</strong> Frau, wie sie zum<br />

Teil in dem mit Münzen besetzten Kopfschmuck <strong>der</strong> Braut zur Schau gestellt wurde (so<br />

Schrö<strong>der</strong> 1981, 145-155). Dies würde den beson<strong>der</strong>en Wert <strong>der</strong> Münze unterstreichen.<br />

Dem ist entgegenzuhalten, dass die Summe wohl zu niedrig ist, um von einem echten<br />

Notgroschen o<strong>der</strong> gar von Mitgift zu sprechen, denn länger als wenige Tage würden die<br />

10 <strong>Drachme</strong>n nicht vorhalten. Plausibler ist die Rekonstruktion von L. Schottroff ( 3 2001,<br />

138-151), die zeigt, dass gerade die verarmten Bevölkerungsschichten von Geld beson<strong>der</strong>s<br />

abhängig waren, weil sie kein eigenes Land mehr besaßen <strong>und</strong> daher keine Lebensmittel(vorräte)<br />

aus eigenem Anbau verzehren o<strong>der</strong> verkaufen/eintauschen konnten. Sie<br />

waren darauf angewiesen, Lohnarbeit anzunehmen <strong>und</strong> das tägliche Brot einzukaufen,<br />

weswegen es auch in den kleinen Ortschaften Bäcker gab (das setzen auch Mk 6,36parr.;<br />

Joh 4,8.31 voraus). Die Frau mit den zehn <strong>Drachme</strong>n ist daher wahrscheinlich am ehesten<br />

den Tagelöhnern von Mt 20,1-16 zu vergleichen, mit dem entscheidenden Unterschied,<br />

dass Lohnarbeit von Frauen – z. B. in <strong>der</strong> Textilherstellung – nur etwa halb so<br />

gut bezahlt wurde wie die Arbeit von Männern (zu den Löhnen vgl. L. Schottroff 3 2001,<br />

141-144). Erschwerend kommt hinzu, dass Lohnarbeit nach Bedarf, d. h. unregelmäßig<br />

vergeben wurde. Wenn also die Frau im Gleichnis 10 <strong>Drachme</strong>n besitzt, dann dürfte dies<br />

alles sein, was ihr zum Leben zur Verfügung stand, bis sie zu einem nicht sicher einschätzbaren<br />

Zeitpunkt wie<strong>der</strong> etwas verdienen konnte. Es sind genau diese kleinen Leute, die<br />

wirklich »von <strong>der</strong> Hand in den M<strong>und</strong>« lebten, die Jesus ermahnte: »Sorgt euch also nicht,<br />

indem ihr sagt: Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?«<br />

(Q 12,29) Wie gut er jedoch ihre Sorgen verstand, zeigt, dass er eine Parabel wie Lk 15,8-<br />

10 erzählen konnte, in <strong>der</strong> die Frau ihr Glück über die schließlich wie<strong>der</strong>gef<strong>und</strong>ene<br />

<strong>Drachme</strong> mit ihren Nachbarinnen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen teilt (vgl. zur Rolle von Frauenfre<strong>und</strong>schaften<br />

als Überlebensstrategie <strong>der</strong> Ärmsten die brasilianische Befreiungstheologin<br />

Lamb 1995).<br />

612


Gt 08020 / p. 627 / 1.10.2007<br />

Analyse<strong>des</strong> Bedeutungshintergr<strong>und</strong>es(Bildfeldtradition)<br />

SuchenvonGeldimHaus<br />

Das Suchen eines Geldstücks im dunklen Haus ist in seiner Anschaulichkeit <strong>und</strong> Alltäglichkeit<br />

in <strong>der</strong> Antike gelegentlich <strong>und</strong> zu verschiedenen illustrativen Zwecken eingesetzt<br />

worden, wobei sich literarische Berührung aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong> geographischen <strong>und</strong> zeitlichen<br />

Abstands nicht nahelegt. <strong>Von</strong> Theophrast, dem Nachfolger <strong>des</strong> Aristoteles als Schulhaupt<br />

<strong>der</strong> Peripatetiker, ist ein Buch mit 30 Charakterstudien überliefert. Den Pfennigfuchser<br />

beschreibt er folgen<strong>der</strong>maßen: »Und wenn seine Frau einen trichalkos verliert, ist er imstande,<br />

den Hausrat, die Betten <strong>und</strong> Truhen umzuräumen <strong>und</strong> zwischen den Brettern zu<br />

suchen.« (Charaktere 10,6, zitiert nach Bovon 2001, 32 Anm. 99). Was dies triviale Paradigma<br />

reizvoll macht, ist die Tatsache, dass hier die Frau die fast wertlose Münze verliert,<br />

es aber nicht für nötig hält, für die Wie<strong>der</strong>beschaffung zu sorgen. Der Mann stellt<br />

selbst das Haus auf den Kopf <strong>und</strong> kratzt in den Ritzen zwischen den Brettern herum, die<br />

hier den Fußboden (einer ersten Etage?) bilden, weil sein Geiz ihn dazu drängt. Solch<br />

unwürdiges Suchverhalten zeigt die Protagonistin <strong>des</strong> Jesusgleichnisses nicht, die offenk<strong>und</strong>ig<br />

aus Not heraus handelt, weshalb ihre Suche eine so zwingende Notwendigkeit<br />

besitzt, dass sie sogar zum Gleichnis für Gottes Suche nach <strong>verlorenen</strong> Menschen taugt.<br />

In <strong>der</strong> Mitte zwischen <strong>der</strong> Komik <strong>des</strong> Theophrastbeispiels <strong>und</strong> <strong>der</strong> Seriosität <strong>der</strong> Jesusparabel<br />

steht die folgende, Rabbi Phineas ben Jair (um 200 n. Chr.) zugeschriebene<br />

Gleichniserzählung aus dem Midrasch zum Hohenlied 1,9 (um 600 n. Chr.). Sie bietet<br />

eine Auslegung <strong>der</strong> Verheißung von Spr 2,4 an den, <strong>der</strong> die Weisheit sucht »wie Silber«<br />

<strong>und</strong> »wie nach verborgenen Schätzen« nach ihr forscht.<br />

»Wie ein Mensch, wenn er einen Selah o<strong>der</strong> einen Obolus verloren hat mitten in seinem<br />

Haus, Lichter um Lichter anzündet <strong>und</strong> Dochte um Dochte, bis er sie findet (zu ihnen<br />

gelangt). Und siehe, die Dinge (verhalten sich) nach dem Schluß vom Geringeren auf das<br />

Größere: Wenn schon für das, was das Leben einer St<strong>und</strong>e dieser Welt bietet, ein Mensch<br />

Lichter auf Lichter anzündet <strong>und</strong> Docht auf Dochte, bis er zu ihnen gelangt <strong>und</strong> sie findet<br />

– müßtest du nicht nach den Worten <strong>der</strong> Tora, die das Leben dieser Welt sind <strong>und</strong> das<br />

Leben <strong>der</strong> zukünftigen Welt, suchen wie nach diesen Schätzen?« (zit. nach Berger/Colpe<br />

1987, 136 f.).<br />

Wie im Theophrastparadigma so ist auch im rabbinischen Gleichnis <strong>der</strong> vergleichsweise<br />

geringe Wert <strong>der</strong> Münze, <strong>der</strong> in einem Kontrast zum Aufwand <strong>des</strong> Suchens steht, für die<br />

Interpretation entscheidend. Im Jesusgleichnis ist es gerade <strong>der</strong> subjektiv hohe Wert, den<br />

eine <strong>Drachme</strong> für die arme Frau hat, die den Vergleich mit Gottes Handeln ermöglicht.<br />

Suchen<strong>und</strong>Finden<br />

<strong>Last</strong> <strong>und</strong><strong>Freude</strong><strong>des</strong><strong>Kehrens</strong> Lk15,8-10<br />

Metaphorische Aussagen über »suchen <strong>und</strong> finden«, die auf Gottes Suche nach dem verlorengegangenen<br />

Menschen bezogen sind, begegnen viel seltener als die kaum zählbaren<br />

Auffor<strong>der</strong>ungen an die Adresse <strong>der</strong> Israelitinnen <strong>und</strong> Israeliten, Gott o<strong>der</strong> die Weisheit<br />

Gottes zu suchen (Erlemann 1999, 222). Lediglich im Bildfeld von Gott als »Hirten Israels«,<br />

das <strong>der</strong> unmittelbar vorausgehenden Parabel vom <strong>verlorenen</strong> Schaf zugr<strong>und</strong>e liegt,<br />

begegnet das ungewöhnliche Thema <strong>der</strong> Suche Gottes, <strong>der</strong> die verirrten Schafe zurück-<br />

613


Gt 08020 / p. 628 / 1.10.2007<br />

ParabelnimLukasevangelium<br />

bringt (siehe dazu die Auslegung zur Parabel vom <strong>verlorenen</strong> Schaf). An den in diesem<br />

Bildfeld vorliegenden »Rollentausch Gottes« (Erlemann 1999, 222) knüpft Jesus an <strong>und</strong><br />

gestaltet ihn in weiteren Parabeln von <strong>der</strong> Frau, die eine <strong>Drachme</strong> sucht, <strong>und</strong> dem Vater,<br />

<strong>der</strong> seinem heimkehrenden Sohn gegen alle Konvention entgegenläuft (Lk 15,20).<br />

WeiblicheGottesbil<strong>der</strong><strong>und</strong>HypostasierungenGottes(Weisheit,Metanoia)<br />

Die Parabel von <strong>der</strong> <strong>Drachme</strong> ist einer <strong>der</strong> biblischen Texte, in denen die Gottesvorstellung<br />

auf Basis eines Vergleiches mit einer Frau geformt wird. Damit gehört er einer Min<strong>der</strong>heitstradition<br />

an, denn Vergleiche mit männlichen Bildspen<strong>der</strong>n waren in Israel häufiger,<br />

wenn auch keineswegs alleinherrschend (Schüngel-Straumann 1996). Als Lk 15,8-<br />

10 nächst stehen<strong>des</strong> atl. Vorbild wird meist Jes 49,15 identifiziert, wo Gott sich um Zion<br />

sorgt wie eine Mutter um ihr Kind. Dass die personifizierte Weisheit (vgl. Spr 9,1-3; 14,1;<br />

Weish 8,2-18 u. ö.) nichts beizutragen habe (so explizit Heininger 1991, 144, implizit die<br />

meisten Ausleger), kann ich nicht finden, gibt es doch deutliche Hinweise darauf, dass in<br />

Jesu Gottesbild Sophiatraditionen eine wichtige Rolle spielten (vgl. Lk 7,35; 11,49;<br />

13,34 f.). Außerdem gibt es in <strong>der</strong> frühjüdischen Literatur eine beson<strong>der</strong>e Nähe zwischen<br />

Weisheit <strong>und</strong> Umkehr, wie die jüdische Schrift, die <strong>der</strong> Bekehrung <strong>der</strong> Priesterstochter<br />

Aseneth gewidmet ist, beweist, in <strong>der</strong> die Metanoia (die personifizierte Umkehr) nach<br />

»Funktion <strong>und</strong> Beschreibung so gottunmittelbar« geschil<strong>der</strong>t wird, »wie an<strong>der</strong>swo die<br />

Weisheit« (Burchard 1983, 676, Anm. zu JosAs 15,7).<br />

<strong>Freude</strong>vordenEngelnGottes(Lk 15,10)<br />

Die <strong>Freude</strong> »vor den Engeln Gottes« ist nach <strong>der</strong> unmissverständlichen Parallele von Lk<br />

12,9 (wo »vor den Menschen« <strong>und</strong> »vor den Engeln« parallel steht) als <strong>Freude</strong> »im Kreise<br />

<strong>der</strong> Engel Gottes« vorzustellen (Jülicher II 2 1910, 322). Gegen Jeremias ( 11 1998, 135) ist<br />

dies nicht einfach gleichbedeutend mit »Gott«, son<strong>der</strong>n stellt Gott im Kreis seines Hofstaates<br />

vor (Walls 1959), so dass »die <strong>Freude</strong> den ganzen himmlischen Hof erfaßt« (Bovon<br />

2001, 33). An Mitteilung über Details aus <strong>der</strong> Engelwelt ist Lukas zwar nicht interessiert,<br />

aber er kann bei seinen ersten Leserinnen <strong>und</strong> Lesern Bekanntheit mit <strong>der</strong><br />

Vorstellung vom himmlischen Thronsaal Gottes voraussetzen (Hiob 1,6; 1Kön 22,19-<br />

22; Jes 6,1 f.), die theologisch darin bedeutsam ist, dass sie Gott als eine auf ein Gegenüber<br />

bezogene, soziale <strong>und</strong> emotional ansprechbare Person imaginiert. Bekannt dürfte<br />

auch sein, dass die vor Gott Versammelten »ein Wörtchen mitzureden« hatten, wenn es<br />

um das Schicksal <strong>des</strong> Einzelnen auf Erden geht (vgl. Hiob 1,9-12). Sehr instruktiv ist die<br />

Aussage, die Mt 18,10 <strong>der</strong> Parabel vom <strong>verlorenen</strong> Schaf voranstellt: »Seht zu, dass ihr<br />

nicht einen von diesen Kleinen verachtet. Denn ihre Engel im Himmel sehen allezeit das<br />

Angesicht meines himmlischen Vaters.« Der bereits erwähnte jüdisch-hellenistische Bekehrungsroman<br />

Joseph <strong>und</strong> Aseneth räumt <strong>der</strong> Metanoia, <strong>der</strong> personifizierten Umkehr<br />

die Vorzugsstellung im himmlischen Hofstaat ein, die an<strong>der</strong>norts die Sophia innehat:<br />

614<br />

»Denn die Umkehr ist in den Himmeln eine Tochter <strong>des</strong> Höchsten schön <strong>und</strong> gut sehr,<br />

<strong>und</strong> sie (selbst) fleht an Gott den Höchsten für dich [Aseneth] alle St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> für alle, die<br />

(da) umkehren in (dem) Namen Gottes <strong>des</strong> Höchsten, weil doch er Vater ist <strong>der</strong> Umkehr,<br />

<strong>und</strong> sie (selbst) … ersucht … alle St<strong>und</strong>e den Höchsten, <strong>und</strong> allen, die (da) umkehren,<br />

einen Ort (<strong>der</strong>) Ruhe bereitete sie in den Himmeln, <strong>und</strong> sie wird wie<strong>der</strong>erneuern alle, die


Gt 08020 / p. 629 / 1.10.2007<br />

(da) umkehren, <strong>und</strong> sie (selbst) wird aufwarten ihnen in die Ewigkeit-Zeit.« (JosAs 15,7,<br />

zitiert nach Burchard 1983, 676 f.).<br />

Ausgedrückt wird mit den angelologischen Aussagen von Mt 18,10; JosAs 15,7 f. <strong>und</strong> Lk<br />

15,10 Gottes bevorzugtes Interesse für Menschengruppen, die beson<strong>der</strong>s gefährdet sind,<br />

»verloren zu gehen«: »Kleine« (d. h. in <strong>der</strong> Welt gering Geachtete), HeidInnen, Sün<strong>der</strong>Innen.<br />

Zusammenfassende Auslegung(Deutungshorizonte)<br />

<strong>Last</strong> <strong>und</strong><strong>Freude</strong><strong>des</strong><strong>Kehrens</strong> Lk15,8-10<br />

Es bietet sich an, die verschiedenen Deutungshorizonte <strong>der</strong> Parabel an den beson<strong>der</strong>en<br />

Akzenten festzumachen, die sie gegenüber den beiden sie flankierenden Gleichnissen, die<br />

ebenfalls Gottes Suche nach dem Verlorenen gewidmet sind, auszeichnen (gegen Jülicher<br />

II 2 1910, 325, <strong>der</strong> im Interesse <strong>der</strong> Vermeidung jeglicher Allegorisierung darauf beharrt,<br />

dass in Lk 15,3-7.8-10 identische Verdoppelung im Interesse <strong>der</strong> »Ueberzeugung von <strong>der</strong><br />

Allgemeingültigkeit <strong>des</strong> hier zu illustrierenden Satzes« vorliegt).<br />

1. <strong>Von</strong> allen drei Gleichnissen in Lk 15 zeichnet sich das Frauengleichnis durch die<br />

größte Nähe zum alltäglichen Leben aus. Das Gleichnis vom <strong>verlorenen</strong> Schaf wurzelt<br />

demgegenüber in einer bereits stark theologisch vorgeprägten Bildfeldtradition (Hirtenmetaphorik)<br />

<strong>und</strong> das Gleichnis vom <strong>verlorenen</strong> Sohn hat den Vorteil, sowohl die innerpsychischen<br />

Vorgänge <strong>des</strong> Bekehrungsprozesses als auch die dadurch hervorgerufene<br />

zwischenmenschliche Dynamik innerhalb einer bewegten Geschichte auszuleuchten.<br />

Muss demgegenüber eine Frau, die ein Geldstück sucht <strong>und</strong> findet, nicht banal wirken?<br />

Ist die Auffor<strong>der</strong>ung zur Mitfreude an ihre Nachbarinnen <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>innen nicht »extravagant«<br />

(Erlemann 1999, 226) <strong>und</strong> nur verständlich, wenn man »das Temperament<br />

<strong>und</strong> die Sitte eines Orientalen«, den es »zu öffentlichen Demonstrationen« drängt, in<br />

Rechnung stellt (so Jülicher II 2 1910, 324)? Die sozialgeschichtliche Analyse hat gezeigt,<br />

dass den zeitgenössischen Hörerinnen <strong>und</strong> Hörern die extreme Armut <strong>der</strong> Frau unmittelbar<br />

deutlich gewesen sein muss. Genau darin aber ist die Parabel theologisch ernst zu<br />

nehmen: dass <strong>der</strong> mühsame Alltag einer Frau, die zu den Allerärmsten gehört, gleichnishaft<br />

werden kann für die Suche Gottes nach dem Verlorenen (L. Schottroff 3 2001,<br />

151; Kähler 1995, 114). Mit dieser Art metaphorischer Rede macht Jesus »den Mühseligen<br />

<strong>und</strong> Beladenen«, die er zu sich ruft, deutlich, dass es ihre von <strong>der</strong> Welt verachtete<br />

Existenz ist, ihr Leben, um das sich Gott sorgt. »Verkauft man nicht fünf Spatzen für<br />

zwei Asse? Doch nicht einer von ihnen ist von Gott vergessen. … Fürchtet euch nicht,<br />

ihr seid viel mehr wert als ein Haufen Spatzen.« (Lk 12,6) Diese Leute, <strong>der</strong>en Suppeneinlage<br />

allenfalls aus Spatzenfleisch bestand <strong>und</strong> die von einer <strong>Drachme</strong> (= 1 Denar =<br />

8 Asse) etwa zwei bis drei bescheidene Mahlzeiten erwerben konnten, können die große<br />

Erleichterung <strong>der</strong> Frau über die wie<strong>der</strong>gef<strong>und</strong>ene <strong>Drachme</strong> nachvollziehen. <strong>Von</strong> Extravaganz<br />

ist keine Rede, wo es um das tägliche Brot geht (L. Schottroff 3 2001, 144). Sie,<br />

die den Großen dieser Welt »keinen Pfennig wert« waren, erfahren durch solch ein<br />

Gleichnis, dass auch sie Ebenbil<strong>der</strong> Gottes sind <strong>und</strong> zum Gleichnis Gottes werden können,<br />

ob Mann o<strong>der</strong> Frau.<br />

2. We<strong>der</strong> Bekehrung (vgl. Lk 15,17ff.21), noch aktives Verirren (das man dem Schaf<br />

gegebenenfalls unterstellen kann) stehen im Zentrum <strong>der</strong> Parabel, im Gegenteil, die For-<br />

615


Gt 08020 / p. 630 / 1.10.2007<br />

ParabelnimLukasevangelium<br />

mulierungen in V. 8 <strong>und</strong> 9 (»eine Frau, wenn sie verliert«; »die <strong>Drachme</strong> …, die ich verloren<br />

hatte«) scheinen sogar die Deutung nahezulegen, dass die Frau selbst für den Verlust<br />

ihrer <strong>Drachme</strong> verantwortlich ist. Trotzdem spricht die Deutung dann von <strong>der</strong> <strong>Freude</strong> in<br />

<strong>der</strong> himmlischen Gemeinschaft über einen Sün<strong>der</strong>, eine Sün<strong>der</strong>in, <strong>der</strong> o<strong>der</strong> die »umkehrt«<br />

(V. 10). Diese angebliche Inkonsistenz wird in <strong>der</strong> exegetischen Literatur gern zum Ausgangspunkt<br />

literarkritischer Überlegungen genommen (z. B. Heininger 1991, 140). Statt<strong>des</strong>sen<br />

sollte man hier einen bewussten Akzent <strong>des</strong> Erzählers sehen! Damals wie heute geht<br />

ja nicht je<strong>der</strong> verloren in so dramatischen Verfehlungen, wie sie <strong>der</strong> verlorene Sohn begangen<br />

hat. Manch eine gerät unverschuldet in Not <strong>und</strong> verliert darin den Glauben, manch<br />

einer stellt plötzlich mitten im alltäglichen Einerlei fest, wie verloren er ist. Die bloße Erfahrung<br />

<strong>des</strong> Gef<strong>und</strong>enwerdens, ausgelöst durch ein Wort, eine menschliche Begegnung,<br />

eine neue Erfahrung, kann dann genug sein, um eine radikale Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Einstellung<br />

zu Gott, den Mitmenschen <strong>und</strong> <strong>der</strong> Welt hervorzubringen. Genau darauf vertraute ja Jesus<br />

mit seiner unüblichen Praxis <strong>der</strong> Tischgemeinschaft mit Zöllnern <strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>n <strong>und</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Akten <strong>der</strong> Annahme <strong>und</strong> <strong>des</strong> Zuspruchs. met€noia (metanoia) bedeutet wörtlich zunächst<br />

eine umfassende Sinnesän<strong>der</strong>ung (Liddell-Scott s. v.: »change of mind or heart«),<br />

das Verbum metanoe…n (metanoein) meint das Sich-neuorientieren in seinen Gr<strong>und</strong>haltungen<br />

<strong>und</strong> Zielen (Liddel-Scott: »change one’s mind or purpose«). Wenn eine solche<br />

Neuorientierung geschieht, geht das natürlich einher mit Reue, Scham <strong>und</strong> Trauer über<br />

die bisherige verfehlte Haltung <strong>und</strong> im religiösen Kontext in <strong>der</strong> Regel mit einem Gefühl<br />

<strong>des</strong> Schuldiggewordenseins. Doch sollte man die Begleiterscheinungen nicht für die<br />

Hauptsache halten, wie dies lei<strong>der</strong> oft im Gefolge <strong>der</strong> Übersetzung »Buße tun« geschieht.<br />

Auch die angemessenere Übersetzung »umkehren«/»Umkehr«, die eine gr<strong>und</strong>legende<br />

Richtungsän<strong>der</strong>ung anzeigt, wird oft zu eng verstanden als Rückkehr in altvertraute Zustände.<br />

Letztere ist aber sicher nicht gemeint bei <strong>der</strong> Umkehr, die angesichts <strong>der</strong> von Jesus<br />

verkündigten Ankunft <strong>der</strong> Gottesherrschaft nötig ist (Mk 1,15), die doch viele alte Zustände<br />

zu überwinden verheißt. Lk 15,8 f. setzt den Moment <strong>des</strong> Gef<strong>und</strong>enwerdens ins Bild, in<br />

dem die gr<strong>und</strong>legende Verän<strong>der</strong>ung stattfindet. In <strong>der</strong> Parabeldeutung musste dieser Zug<br />

in eine menschliche Handlung übersetzt werden, denn Menschen sind keine unbeweglichen<br />

Geldstücke, sie können sich dem Gef<strong>und</strong>enwerden durch Gott entziehen. Dem Suchen<br />

Gottes muss auf menschlicher Seite das Sich-von-Gott finden-lassen korrespondieren,<br />

das zur Neuorientierung führt. Das aber nennt V. 10 den Akt <strong>des</strong> metanoe…n.<br />

3. Alle drei Gleichnisse in Lk 15 enden mit dem Mitteilen <strong>der</strong> <strong>Freude</strong> über die<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>des</strong> Ganzen (Herde, Besitz, Familie). In <strong>der</strong> durch Lukas geschil<strong>der</strong>ten<br />

Kommunikationssituation zielt dieser Appell über die in Lk 15,2 genannten Pharisäer<br />

<strong>und</strong> Schriftgelehrten, die murren, anstatt sich über den Erfolg Jesu bei den »ZöllnerInnen<br />

<strong>und</strong> Sün<strong>der</strong>Innen« zu freuen, auch auf die LeserInnen. Dass die gemeinsame <strong>Freude</strong> imitatio<br />

Dei ist, macht die Parabel von <strong>der</strong> <strong>Drachme</strong> auch dadurch deutlich, dass Gott, den<br />

man hinter <strong>der</strong> Formulierung »im Himmel« Lk 15,7 wird sehen dürfen, sich in Lk 15,10<br />

nicht alleine freut, son<strong>der</strong>n mit dem ganzen himmlischen Hofstaat (s. o.). »Geteilte <strong>Freude</strong><br />

ist doppelte <strong>Freude</strong>« weiß das Sprichwort, <strong>und</strong> die Vervielfältigung beginnt beim<br />

»<strong>Freude</strong>nquell«. Nicht sachgemäß scheint <strong>der</strong> bei Kähler unnötig polarisierende Gegensatz<br />

zwischen <strong>der</strong> <strong>Freude</strong> »am wie<strong>der</strong>hergestellten Ganzen« <strong>und</strong> dem Interesse am Individuum,<br />

<strong>des</strong>sen Betonung als Sündenfall <strong>der</strong> liberalen Theologie betrachtet wird (Kähler<br />

1995, 113). Schon das Gleichnis lebt gerade in dem Motiv <strong>der</strong> gemeinsamen <strong>Freude</strong> über<br />

das wie<strong>der</strong>gef<strong>und</strong>ene Einzelstück vom Aufeinan<strong>der</strong>bezogensein von Individuum <strong>und</strong> Ge-<br />

616


Gt 08020 / p. 631 / 1.10.2007<br />

meinschaft. Dabei hat es gegenüber <strong>der</strong> Parabel vom <strong>verlorenen</strong> Schaf den Vorzug, auf<br />

einen Vergleich zuungunsten <strong>der</strong> Nicht<strong>verlorenen</strong> zu verzichten (vgl. Lk 15,7).<br />

Aspekte <strong>der</strong> Parallelüberlieferung<strong>und</strong>Wirkungsgeschichte<br />

Die Auslegungsgeschichte zeigt, dass die Parabel von <strong>der</strong> <strong>Drachme</strong> meist im Zusammenhang<br />

mit den an<strong>der</strong>en beiden Parabeln vom Verlorenen interpretiert wurde, wobei das<br />

verlorene Schaf <strong>und</strong> <strong>der</strong> verlorene Sohn in <strong>der</strong> Regel erheblich mehr Aufmerksamkeit auf<br />

sich zogen, so dass Linda Maloney von einer »unter den Teppich gekehrten« Parabel<br />

spricht, die es wie<strong>der</strong> zu finden gelte (Maloney 2002, 34-38). So gesehen wird das Schicksal<br />

<strong>der</strong> Parabel von <strong>der</strong> Frau <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Drachme</strong> selbst zu einer Parabel <strong>der</strong> <strong>verlorenen</strong> <strong>und</strong><br />

vergessenen Geschichte(n) <strong>der</strong> weiblichen Hälfte <strong>der</strong> Menschheit.<br />

Gelegentlich jedoch wurde das Geschlecht <strong>der</strong> Protagonisten von Lk 15 in die Auslegung<br />

einbezogen, meist zur Veranschaulichung abstrakter theologischer Gedanken. So<br />

stehen bei Origenes das verlorene Schaf <strong>und</strong> die verlorene <strong>Drachme</strong> für die Heiden, nach<br />

denen <strong>der</strong> gute Hirt <strong>und</strong> die Weisheit suchen, <strong>und</strong> Ambrosius predigt über die dreifache<br />

göttliche Hilfe, die Lk 15 als »Heilmittel gegen das Umherirren« anbietet: »Sie kommt<br />

von Gott, dem Vater, im letzten Gleichnis, von Christus, dem Hirten, im ersten, <strong>und</strong><br />

von <strong>der</strong> Kirche, <strong>der</strong> Frau, im zweiten.« (Bovon 2001, 34)<br />

Ein schöner Gedanke <strong>der</strong> traditionellen allegorischen Ausdeutung, <strong>der</strong> leicht feministisch<br />

akualisiert auch heute noch zu inspirieren vermag, ist die bei vielen Kirchenvätern<br />

zu findende Deutung, <strong>der</strong> Mensch werde mit einer <strong>Drachme</strong> verglichen, weil »er«<br />

das Ebenbild »<strong>des</strong>« Schöpfers sei (unnötig abgewertet bei Jülicher II 2 1910, 324). Antike<br />

Münzen trugen ja zumeist das Bild <strong>des</strong> Herrschers bzw. <strong>der</strong> Herrscherin, die sie hatte<br />

schlagen lassen, insofern eigneten sich die Münzen mit männlichen <strong>und</strong> weiblichen Konterfeis<br />

tatsächlich gut zur Veranschaulichung <strong>des</strong> Gedankens <strong>der</strong> Gottebenbildlichkeit.<br />

Wenn nun in <strong>der</strong> Parabel die suchende Frau <strong>und</strong> ihre Nachbarinnen ein Bild für die<br />

Schöpferin <strong>und</strong> ihre himmlischen Fre<strong>und</strong>innen sind, die in ihrer Suche nach ihren verlorengegangenen<br />

Ebenbil<strong>der</strong>n auf Erden keine Mühe scheuen <strong>und</strong> <strong>der</strong>en <strong>Freude</strong> über die<br />

wie<strong>der</strong>gef<strong>und</strong>enen Töchter keine Grenzen kennt, sollte dann soviel metaphorische Frauenpower<br />

nicht die Kraft haben, zum Leben <strong>und</strong> zur <strong>Freude</strong> befreiende Sinnesän<strong>der</strong>ungen<br />

(Akte <strong>der</strong> metanoia) zustande zu bringen – fernab von herkömmlicher Bußgesinnung?<br />

Literatur zumWeiterlesen<br />

<strong>Last</strong> <strong>und</strong><strong>Freude</strong><strong>des</strong><strong>Kehrens</strong> Lk15,8-10<br />

Annette Merz<br />

K. Erlemann, Gleichnisauslegung. Ein Lehr- <strong>und</strong> Arbeitsbuch, Tübingen/Basel 1999, 218-228<br />

(Musterexegese zum Gleichnis von <strong>der</strong> <strong>verlorenen</strong> <strong>Drachme</strong>).<br />

C. Kähler, Jesu Gleichnisse als Poesie <strong>und</strong> Therapie, WUNT 78, Tübingen 1995, 109-115.<br />

L. Schottroff, Lydias ungeduldige Schwestern. Feministische Sozialgeschichte <strong>des</strong> frühen Christentums,<br />

Gütersloh 3 2001, 138-151.<br />

617

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!