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Referat Günther Hähl - Landkreis Konstanz

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Konzept <strong>Referat</strong>: Mitgliederversammlung Suchthilfeverbund am 20.11.2009<br />

Entwicklung der Drogenproblematik im <strong>Landkreis</strong> <strong>Konstanz</strong><br />

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen….<br />

Ich bedanke mich für die Möglichkeit hier über die Entwicklung der<br />

Drogenproblematik/Dogensituation aus Sicht unserer Beratungsstelle (Drogenberatung im<br />

<strong>Landkreis</strong> <strong>Konstanz</strong>) zu berichten.<br />

Die Angebote unserer Beratungsstelle richten sich an die Gefährdeten und Abhängigen von<br />

illegalen Drogen sowie deren Bezugspersonen. Wir ergänzen so das Beratungs- und<br />

Behandlungsangebot der beiden anderen Beratungsstellen im <strong>Landkreis</strong>.<br />

Ich verwende den Begriff „DROGEN“ im Folgenden entsprechend für alle illegalen Sucht<br />

erzeugenden Stoffe.<br />

Die größte Bedeutung haben:<br />

Opiate ( Heroin, Opiatersatzmittel zur Substitution)<br />

Kokain<br />

Schmerzmittel, Beruhigungsmittel und Psychopharmaka die dem BtmG unterliegen<br />

Amphetamine, Ecstasy, LSD, Designerdrogen<br />

Cannabis (THC)<br />

Diese Drogen haben unterschiedliche Wirkungen:<br />

- betäubend / sedierend<br />

- aufputschend<br />

- halluzinogen<br />

Obwohl die Drogenabhängigen sehr häufig mehrere dieser Stoffe konsumieren, haben sich<br />

dennoch unterschiedliche Gruppen / “Szenen“ entwickelt, denen unterschiedliche<br />

Hilfsangebote gemacht werden müssen:<br />

- Die Heroinabhängigen<br />

- Die Substituierten<br />

- Die Kokainabhängigen<br />

- Die Konsumenten / Abhängigen von so genannten „Party Drogen“<br />

- Die Konsumenten /Abhängigen von THC<br />

In meiner Darstellung beziehe ich mich schwerpunktmäßig auf die Gruppen der<br />

Heroinabhängigen und der Substituierten, die sich inzwischen weitgehend überschneiden und<br />

zusammen ca. 60% unserer Klientel ausmachen.


Bei der Betrachtung der Drogenproblematik in den letzten 25 Jahren fallen<br />

Veränderungen/Ereignisse ins Auge, die sich eindeutig außerhalb der individuellen Prozesse<br />

von Entstehung, Ausprägung und Beendigung von Drogenabhängigkeit vollzogen. Gleichwohl<br />

hatten sie erhebliche Auswirkungen auf individuelle Entwicklungen. Sie veränderten die<br />

Lebensbedingungen der Drogenabhängigen und beeinflussten deren Suchtkarieren.<br />

Aus meiner Sicht waren die wichtigsten Ereignisse/Veränderungen:<br />

……..<br />

……..<br />

Die HIV Infektion die Mitte der 80er Jahre einen großen Teil der Spritzgiftabhängigen<br />

betraf. Diese Tragödie rückte die Betroffenen ins Zentrum des öffentlichen Interesses und<br />

beförderte, Ängste, Vorurteile, Ausgrenzung…..aber auch erweiterte Hilfsangebote durch<br />

die Drogenhilfe, die Aidshilfe und (was sehr wichtig war) die Medizin.<br />

Das wachsende Interesse der Medizin und der Psychiatrie Ende der 80er / Anfang der<br />

90er an den Drogenabhängigen. (Die Arbeit mit Alkoholkranken war zu diesem<br />

Zeitpunkt bereits etabliert) Das hatte beispielsweise zur Folge, dass spezielle<br />

Entzugsstationen eingerichtet wurden, Mediziner und Psychiater zunehmend in den<br />

stationären Therapieeinrichtungen mitarbeiteten, niedergelassene Mediziner ambulant<br />

Substitutionsbehandlungen begannen.<br />

Veränderte Haltung der Drogenhilfe<br />

Hepatitis C<br />

Substitutiosbehandlung<br />

……….<br />

Diamorphinbehandlung<br />

…………..


Alle diese Ereignisse und Veränderungen haben die Lebensbedingungen der Drogenabhängigen<br />

stark beeinflusst. Aber darüber hinaus veränderten sich die individuellen Suchtverläufe, die Form<br />

der Drogenszene, die Ausprägung der Kriminalität und auch die Art und die Konsumform der<br />

Drogen.<br />

Diese Veränderungen lassen sich auch in den jährlichen statistischen Erhebungen unserer<br />

Beratungsstelle aufzeigen. Dass für das Klientel unserer Beratungsstelle eine aussagekräftige<br />

Längsschnitts -Darstellung möglich ist liegt daran, dass in den dargestellten Zeiträumen<br />

unsererseits keine wesentlichen Parameter der statistischen Erfassung und Auswertung<br />

verändert wurden. Unverändert blieben:<br />

Die Art der statistischen Erfassung/Fragestellung mit EBIS<br />

Jeder Klient wurde pro Jahr nur einmal erfasst (Jahresstatistik, keine Betreuungen)<br />

Nur direkt Betroffene mit mindestens 2 persönlichen Kontakten wurden erfasst<br />

Die Anzahl von 4 Fachstellen hat sich nicht verändert<br />

Das Einzugsgebiet blieb unverändert<br />

Folie<br />

1. Die Entwicklung der Klientenzahlen<br />

Diese Tabelle zeigt, dass wir mit unseren Angeboten Jahr für Jahr mehr Drogenabhängige<br />

erreicht haben. Da sich die personelle Ausstattung der Beratungsstelle in diesem Zeitraum nur<br />

minimal verändert hat, widerlegt sie die These von einer rückläufigen Drogenproblematik in der<br />

Region. Zum anderen belegt sie unsere Beobachtung, dass Drogenabhängige häufiger bereit<br />

sind ambulante Angebote anzunehmen, deren Art und Umfang sich erheblich erweitert hat.<br />

(kommt später mehr…)


Folie<br />

2. Darstellung der konsumierten Drogen<br />

Hauptdiagnose 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000<br />

Opioide 59,6% 60,4% 57,4% 60,3% 61,4% 57,6% 57,3% 67,4% 63,9%<br />

Cannabinoide 27,5% 27,4% 29,0% 28,1% 21,8% 25,0% 26,2% 16,6% 17,9%<br />

Kokain 4,6% 4,9% 6,6% 7,5% 8,4% 8,4% 5,8% 7,3% 7,0%<br />

Stimulantien 3,0% 2,1% 1,7% 1,0% 2,1% 1,4% 0,7% 3,5% 4,8%<br />

Alkohol 4,4% 3,0% 2,2% 1,6% 2,6% 2,2% 2,3% 4,2% 2,9%<br />

Beruhigungsmittel 0,6% 0,9% 0,5% 0,3% 0,1% 0,3% 0,0% 0,7% 1,6%<br />

Halluzinogene 0,2% 0,0% 0,0% 0,0% 0,0% 0,0% 0,0% 0,4% 0,3%<br />

Politoxikomane 0 0,5% 1,9% 1,3% 2,6% 5,1% 6,8% 0,4% 0,3%<br />

Klienten 496 430 413 385 383 364 309 302 304<br />

( Hinweis auf Anstieg der absoluten Zahlen…. mehr Opiatabhängige, viel mehr THC )<br />

Diese Tabelle gibt einen sehr guten Überblick über die Zusammensetzung unserer Klientel. Es ist<br />

zu beachten, dass gleiche prozentuale Anteile in 2000 und 2008 einen Anstieg der jeweils<br />

Betroffenen um ca.65% bedeuten.<br />

Anteil von Opiatabhängigen schwankt über die Jahre um 60% und ist mit Abstand die größte<br />

Gruppe. Wir sind überzeugt, dass wir hier einen sehr hohen Anteil der Betroffenen erreichen.<br />

Die konkrete Zusammensetzung dieser Gruppe hat sich jedoch dramatisch verändert. Hier finden<br />

sich jetzt überwiegend Substituierte / Abhängige von Opiatersatzstoffen (2008 ca. 2/3).<br />

(ich werde hierauf noch genauer eingehen).<br />

Der Anteil der Kokainabhängigen blieb über die Jahre weitgehend stabil, wobei wir bei dieser<br />

Gruppe von einer hohen Dunkelziffer ausgehen.<br />

Die Beratung, Betreuung und Behandlung von Cannabis Konsumenten wird ein immer<br />

wichtigerer Arbeitsbereich in unserer Drogenberatungsstelle. Seit einigen Jahren beobachten wir<br />

die Zunahme dieser Klienten-Gruppe. Sie macht inzwischen fast 1/3 unserer Klientel aus.<br />

Die Betroffenen sind in der Regel noch sehr jung und unterscheiden sich auch sonst in vieler<br />

Hinsicht von den Opiat- u. Kokain-Abhängigen. Vor allem leben sie häufig noch im Rahmen<br />

ihrer Familien und befinden sich noch in Schul- und Ausbildungsverhältnissen. Ihr THC-<br />

Konsum kombiniert sich häufig mit Alkoholmissbrauch, in einigen Fällen werden auch andere<br />

Drogen ausprobiert und zusätzlich konsumiert.<br />

Der Konsum von THC setzt nach unseren Beobachtungen zunehmend früher ein, es bilden sich<br />

härtere Konsummuster heraus. Die psychischen und sozialen Folgen für die Betroffenen werden<br />

auffälliger. Die betroffenen Familien fühlen sich mit der Problematik oft allein gelassen, sind<br />

hilflos und überfordert. Die Möglichkeit von psychiatrischen Folgeerkrankungen wird<br />

wissenschaftlich immer stärker untermauert.


3. Die Therapievermittlungen<br />

Folie<br />

In den letzten Jahren ist eine Verschiebung weg von den stationären Therapien hin zu<br />

ambulanten Programmen festzustellen.<br />

Es zeigt sich, dass es uns nach wie vor gelingt eine große Anzahl von Klienten in Therapien zu<br />

vermitteln. Der prozentuale Anteil der Vermittlungen nimmt jedoch stetig ab. Hier kommt eine<br />

langfristige Tendenz zum Ausdruck, die bei anderen Drogenberatungsstellen ebenfalls zu<br />

beobachten ist. Besonders wichtig für unsere Arbeit wird diese Entwicklung, wenn man weiß,<br />

dass die Therapiezeiten sich in dem dargestellten Zeitraum, auf Grund der Vorgaben der<br />

Kostenträger, fast halbiert haben! (inzwischen nur noch 3 –max. 9 Monate) Leider hatte dies<br />

zwangsweise auch Auswirkungen auf die Qualität der erreichten Ergebnisse.<br />

Das Aufgabenspektrum der Drogenberatungsstelle hat sich durch diese Entwicklung erheblich<br />

verändert und erweitert:<br />

Der höhere Bedarf und Stellenwert von ambulanten Nachsorgeangeboten und von<br />

betreutem Nachsorgewohnen (TRANS)<br />

ambulante Therapieformen, je nach Suchtstoff, Ausprägung und Verlauf der Sucht<br />

werden häufiger in Anspruch genommen. (z.B. Cannabis)<br />

psychosozial begleitete Substitutionsbehandlungen ersetzten teilweise stationäre<br />

Therapien (später mehr)


Auffällig ist im Jahr 2008 die Verdoppelung der Therapievermittlungen.<br />

Dies kann zum Teil durch die verbesserten kostenrechtlichen Bedingungen bei der Vermittlung<br />

von inhaftierten Drogenabhängigen erklärt werden. Wir stellen aber auch fest, dass es uns<br />

wieder häufiger gelungen ist auch junge Drogenabhängige zu motivieren, ein stationäres<br />

therapeutisches Angebot in Anspruch zu nehmen. Wir hoffen sehr, dass sich dieser Trend<br />

fortsetzt, da wir nach wie vor überzeugt sind, dass sich die besten Ausstiegschancen für die<br />

Betroffenen über eine stationäre Therapie eröffnen.<br />

4. Von der Sucht ihrer Eltern betroffene Kinder<br />

Die bisher dargestellten Veränderungen bewirken, dass Drogenkarieren inzwischen länger<br />

andauern, aber häufig auch weniger dramatisch verlaufen. Das hat unter anderem zur Folge,<br />

dass Kinder häufiger von der Sucht ihrer Eltern betroffen sind.<br />

Bis 2007 haben wir diese Daten erhoben, und konnten einen regelmäßigen Anstieg beobachten.<br />

2007 hatten:<br />

161 unserer Klienten haben insgesamt 264 eigene Kinder<br />

93 Klienten leben gemeinsam mit Kindern in einem Haushalt. Dies können entweder die<br />

leiblichen Kinder als auch Kinder des Lebenspartners sein.<br />

155 Kinder leben mit mindestens einem Drogenabhängigen in einem Haushalt.<br />

Betroffene Kinder spielen speziell bei Substituierten eine große Rolle…….<br />

Zusammenarbeit mit den Jugendämtern wurde vereinbart (ergänzende Verträge)….<br />

Alle diese Schaubilder belegen ein Anwachsen der Problematiken im Zusammenhang mit<br />

Drogenmissbrauch. Wie passt das mit dem Rückgang der Drogenkriminalität zusammen, die<br />

vom Landeskriminalamt in den letzten Jahren festgestellt wird??<br />

Folie: Heroin-Kokain<br />

Aus Rauschgiftbericht 2008 des Landeskriminalamtes Baden - Württemberg Seite 26<br />

Interpretation, Erklärung: mehr Substitution…, mehr Opiatabhängige …..aber auch weniger<br />

Kriminalität<br />

(Mündlich ausführen ….sehr interessant!)


Ich komme nun auf den Bereich zu sprechen in dem sich in den letzten 10-15 Jahren die größten<br />

Entwicklungen vollzogen haben, und der die Lebensbedingungen der Drogenabhängigen und die<br />

Arbeit der Beratungsstellen grundlegend verändert hat die Substitutionsbehandlungen.<br />

Die geplante Einführung der Diamorphin-Abgabe ist ebenfalls diesem Bereich zuzuordnen<br />

und wird je nach Art und Umfang der Umsetzung nochmals erhebliche Veränderungen<br />

bringen.<br />

Die Substitutionsbehandlungen im <strong>Landkreis</strong><br />

Die Substitutionsbehandlungen entwickelten sich in den 90er Jahren nicht zuletzt bedingt durch<br />

den offensichtlichen Behandlungsbedarf der vielen an HIV erkrankten Drogenabhängigen. Es<br />

wurden die rechtlichen Voraussetzungen für Substitutionsbehandlungen geschaffen, allerdings<br />

entwickelten sich diese regional sehr unterschiedlich.<br />

Inzwischen ist die Substitutionsbehandlung eine anerkannte und erfolgreiche Behandlungsform<br />

unter medizinischer Federführung. Es handelt sich zunächst um eine Überlebenshilfe zur<br />

gesundheitlichen und sozialen Schadensbegrenzung. Der ursprüngliche Stoff, in der Regel<br />

Heroin, wird durch ein Substitut Polamidon oder Subutex ersetzt. Die Sucht (Opiatabhängigkeit)<br />

bleibt bestehen. Bei dieser Behandlung ist es vorgesehen, dass eine psychosoziale Begleitung<br />

durch eine Beratungsstelle den Prozess begleitet. Gemeinsam mit dem behandelnden Arzt und<br />

dem Patienten soll eine zielgerichtete Perspektive entwickelt werden. Mit sozialarbeiterischen<br />

und therapeutischen Methoden kann so ein Ausstieg aus der Sucht unterstützt werden. Auch<br />

wird durch diese Zusammenarbeit der Gefahr begegnet, dass durch die Substitution die Sucht<br />

verlängert und verstärkt wird (Beigebrauch, Kriminalität, Überdosierungen).<br />

Für den behandelnden Arzt ergibt sich eine Handlungs- und Rechts-Sicherheit, was die<br />

Bereitschaft solche schwierigen Behandlungen durzuführen erhöht.


Welche große Rolle die Substitution inzwischen in unserer Region spielt zeigt der folgende<br />

Überblick<br />

Folie<br />

Substitution im <strong>Landkreis</strong> <strong>Konstanz</strong> - (2009)<br />

Bereich Anzahl der Patienten/Innen<br />

Singen<br />

4 substituierende Ärzte/Innen<br />

Stockach<br />

Ludwigshafen<br />

Engen<br />

Jestetten<br />

4 substituierende Ärzte/Innen<br />

<strong>Konstanz</strong><br />

4 substituierende Ärzte<br />

Summe<br />

ca. 130<br />

ca. 50<br />

ca. 90<br />

ca. 270<br />

Im <strong>Landkreis</strong> <strong>Konstanz</strong> bestehen gute Ansätze für hilfreiche, zielgerichtete<br />

Substitutionsbehandlungen. Leider gibt es aber auch noch erhebliche regionale Unterschiede.<br />

Wenn man die Situation im Raum Singen, in den Gemeinden des <strong>Landkreis</strong>es und in <strong>Konstanz</strong><br />

vergleicht, kann unseres Erachtens nur in <strong>Konstanz</strong> von einer ausreichenden psychosozialen<br />

Substutionsbegleitung für alle Betroffenen gesprochen werden. In Singen und in den Gemeinden<br />

bestehen gute Ansätze bei der Zusammenarbeit mit den Ärzten, wir erreichen auch hier bereits<br />

sehr viele Klienten, die Betreuung ist jedoch selten ausreichend, viele Substituierte bleiben<br />

psychosozial unbetreut. Chancen werden so leider nicht genutzt.<br />

Zielsetzung muss unseres Erachtens sein, dass die Zusammenarbeit zwischen den<br />

substituierenden Ärzten und der Beratungsstelle im <strong>Landkreis</strong> flächendeckend weiter verbessert<br />

wird. Möglichst alle Substituierten sollten von Beginn der Behandlung an nach einem<br />

gemeinsamen Behandlungsplan psychosozial begleitet werden.


Die aktuelle Betreuungssituation durch unsere Beratungsstelle zeigt das folgende Schaubild.<br />

Folie<br />

Ca 40% unserer Klienten/Innen werden inzwischen substituiert.<br />

Diese Tabelle veranschaulicht die zunehmende Bedeutung von Substitutionsbetreuungen. Es<br />

zeigt auch, dass der reine Heroinabhängige inzwischen die Ausnahme ist. Im Bereich der<br />

illegalen Drogen dominieren inzwischen Mehrfachabhängigkeiten. Ersatzstoffe vom Arzt oder<br />

vom Schwarzmarkt spielen für fast jeden Drogenabhängigen eine sehr wichtige Rolle für die<br />

Entwicklung und Ausprägung seiner Sucht. Bei den vielen Überdosierungen spielen Ersatzstoffe<br />

eine entscheidente Rolle.<br />

Wir halten es deshalb für unsere Aufgabe durch eine enge Zusammenarbeit mit den<br />

behandelnden Ärzten und eine intensive psychosoziale Begleitung die Risiken für die<br />

Betroffenen ( Verfestigung der Sucht, gefährlicher Beikonsum, Kriminalität), möglichst zu<br />

minimieren und die Chancen ( gesundheitliche Stabilisierung, Ausstieg aus der Kriminalität,<br />

soziale Rehabilitation, Drogenfreiheit ) zu fördern.<br />

Eine These, die unterstreicht welch hohe Bedeutung wir diesem Arbeitsbereich beimessen:<br />

Die Qualität von Substitutionsbehandlungen verbunden mit der Intensität der psychosozialen<br />

Begleitung sind heute ganz entscheidente Faktoren für die Ausprägung der Drogenszene in<br />

einer Region. Die Bedeutung für Beginn, Verlauf und Beendigung von Drogenkarrieren kann<br />

nicht hoch genug eingeschätzt werden.


Nach unseren Erfahrungen bemisst sich die Qualität einer Substitutionsbehandlung daran, dass<br />

der Patient möglichst niedrig aber doch ausreichend zur Vermeidung von Beikonsum, dosiert<br />

wird. So kann das Ziel der Drogenfreiheit durch sozialarbeiterische und therapeutische<br />

Unterstützung im Rahmen der psychosozialen Begleitung gefördert werden. Als Beispiel für eine<br />

unseres Erachtens vorbildliche Substitutionsbehandlung kann das sogenannte “<strong>Konstanz</strong>er<br />

Modell“ gelten, auf das ich zum Ende meiner Ausführungen eingehen möchte, da hier<br />

Auswertungen vorliegen, die Chancen aber auch Grenzen von Substitutionsbehandlungen<br />

aufzeigen.<br />

Das <strong>Konstanz</strong>er Modell der Substitutionsbehandlung<br />

Das “<strong>Konstanz</strong>er Modell” beschreibt die Substitutionsbehandlung in der Stadt <strong>Konstanz</strong> durch<br />

niedergelassene Ärzte und die Drogenberatungsstelle. Es entstand Mitte der neunziger Jahre und<br />

besteht in der beschriebenen Form seit 1999. Das Programm ist nicht statisch und wird von den<br />

Beteiligten ständig überprüft, neuen Gegebenheiten angepasst und weiter entwickelt.<br />

Das Besondere an dem “<strong>Konstanz</strong>er Modell“ ist:<br />

In <strong>Konstanz</strong> arbeiten alle 4 substituierenden Ärzte mit der Beratungsstelle zusammen<br />

es ist inzwischen Standard, dass alle neuen Patienten, die substituiert werden wollen, in<br />

schriftliche Verträge mit Arzt und Beratungsstelle eingebunden werden.<br />

(Doppelbetreuungen werden so ausgeschlossen)<br />

Die Schweigepflichtentbindungen sind Teil der Verträge und beziehen sich auf alle im<br />

Modell zusammenarbeitenden Ärzte und die Beratungsstelle.<br />

Auf dieser Grundlage erfolgen wöchentliche Rückmeldungen von Seiten der<br />

Beratungsstelle an die behandelnden Ärzte über die Teilnahme an der psychosozialen<br />

Begleitung.<br />

Die Ärzte tauschen sich regelmäßig mit der Beratungsstelle über die Patienten, deren<br />

Behandlungsverlauf, die Dosierung und Zielsetzung aus.<br />

In einem regelmäßigen Qualitätszirkel werden alle Aspekte, Fragen und Probleme der<br />

Substitutionsbehandlungen fachübergreifend besprochen. Hier wird auch die Konzeption<br />

weiterentwickelt.<br />

Bei allen Beteiligten besteht Konsens, das die Substitutionsbehandlungen zielgerichtet<br />

und ausstiegsorientiert sind.<br />

Es kann festgehalten werden, dass es in <strong>Konstanz</strong> gelungen ist durch die Kooperation der Ärzte<br />

und der Beratungsstelle eine Intensität und Qualität der Substitutionstherapie zu erreichen, die<br />

u.E. sonst nur über Schwerpunktpraxen erzielt werden kann. Dies ist mit dem Vorteil<br />

verbunden, dass den Patienten eine individuelle Behandlung in einer „normalen“ Arztpraxis mit<br />

Wahlmöglichkeit des Arztes ermöglicht wird. Einer Szenenbildung und Ausgrenzung der<br />

Substituierten wird so entgegengewirkt.


Die Formen der Zusammenarbeit<br />

Die Zusammenarbeit zwischen Drogenberatung und substituierenden Ärzten vollzieht sich auf<br />

verschiedenen Ebenen:<br />

- Zentral ist der sogenannte „Qualitätszirkel“, der sich aus den substituierenden Ärzten, den<br />

Drogenberatern, dem Fachberater der Apotheken und den leitenden Ärzten der<br />

Suchtabteilung des Z f P Reichenau zusammensetzt und sich alle 8 Wochen trifft. Je nach<br />

Thema werden Gäste z.B. Juristen, die Polizei, das Jugendamt oder auch Pharmakologen<br />

eingeladen.<br />

- Eine weitere Ebene der Zusammenarbeit ist der regelmäßige Informationsaustausch über<br />

die individuelle Behandlung sowohl zwischen den Ärzten, als auch zwischen dem<br />

behandelnden Arzt und der Beratungsstelle. Dieser Informationsaustausch erfolgt in der<br />

Regel wöchentlich per Fax und telefonisch. Krisen werden so zeitnah besprochen und es<br />

kann gemeinsam reagiert werden.<br />

- Des weiteren erfolgen regelmäßige Fallbesprechungen zwischen den einzelnen<br />

behandelnden Ärzten und den Mitarbeitern der Beratungsstelle. Sämtliche gemeinsamen<br />

Klienten werden besprochen. Diese Gespräche finden im Abstand von ca. 4-6 Wochen in<br />

der Beratungsstelle statt.<br />

- Die individuellste Ebene der Zusammenarbeit erfolgt über die Substitutionsverträge, die<br />

von allen Beteiligten unterschrieben werden und auch Gespräche zu Dritt vorsehen.<br />

Die beschriebenen Formen der Zusammenarbeit bilden das Fundament des <strong>Konstanz</strong>er<br />

Modells. Für die Klienten bedeutet es, dass sie mit ihren Problemen ernst genommen werden und<br />

das Angebot einer intensiv psychosozial begleitenden, zielgerichteten Substitutionsbehandlung<br />

erhalten.<br />

Allen Beteiligten bietet das Modell Handlungs- und Rechtssicherheit, letztere ist besonders für<br />

die Ärzte wichtig, und erhöht deren Bereitschaft Substitutionsbehandlungen durchzuführen.


Ablauf des Programms<br />

Für den Patienten gestaltet sich das “<strong>Konstanz</strong>er Modell” folgendermaßen:<br />

Ein drogenabhängiger Mensch, der eine Substitutionsbehandlung wünscht oder benötigt,<br />

sucht entweder die Drogenberatungsstelle auf oder er wird von einem der<br />

substituierenden Ärzte an die Drogenberatung verwiesen. In der Beratungsstelle wird in<br />

einem Vorgespräch geklärt, ob die Indikation für eine Substitution vorliegt, ob eine<br />

Substitution zurzeit als Mittel der Wahl sinnvoll erscheint oder ob andere Möglichkeiten<br />

besser geeignet sind. Wird eine Substitutionsbehandlung befürwortet, wendet sich der<br />

Drogenberater direkt an einen der substituierenden Ärzte und berichtet ihm über den<br />

möglichen Patienten. Nach dieser Abstimmung wird ein Probevertrag zwischen Klient<br />

und Drogenberater abgefasst, der dann dem Arzt vorgelegt wird und von diesem<br />

ebenfalls unterschrieben wird. Dieser Probevertrag ist für maximal 8 Wochen gültig und<br />

darin werden nicht nur die Gründe für die Substitution sowie die kurzfristigen Ziele<br />

festgehalten, sondern auch die Schweigepflichtentbindung unterschrieben und ein<br />

Termin für das Auswertungsgespräch über den Verlauf der Probezeit vereinbart.<br />

Nach dem Vertragsabschluss kann der Klient zum Arzt gehen. Von diesem wird nach<br />

einem Drogenscreening und einer Anamnese das geeignete Substitutionsmittel ( Subutex<br />

oder Methadon ) gewählt und die Dosierung festgelegt. Nach Ablauf des Probevertrages<br />

wird mit dem Patienten ggf. ein neuer Vertrag geschlossen, der die kurz- mittel- und<br />

langfristigen Ziele festlegt. Dieser Vertrag wird, wenn immer möglich, in einem<br />

gemeinsamen Gespräch zwischen Drogenberater, substituierendem Arzt und Patienten<br />

ausgehandelt. Ziel ist in aller Regel die Drogenfreiheit.<br />

Parallel zu der Substitutionsbehandlung durch den Arzt kommt der Klient regelmäßig in<br />

die Beratungsstelle. Die ambulanten Gespräche drehen sich zu Anfang in der Regel um<br />

die Substitutionsbehandlung selbst, Probleme mit der Umstellung, Veränderungen,<br />

Ängste .…<br />

Später rücken zunehmend soziale Themen in den Vordergrund, wie Wohnungssuche,<br />

Arbeitssuche, Freizeitgestaltung....<br />

Die therapeutische Bearbeitung von Themen wie Suchtentstehung, Familie, persönliche<br />

Probleme.... schließt sich an und kann den Ausstieg aus der Sucht vorbereiten.<br />

Nach erfolgreicher Abdosierung werden im Idealfall Gespräche zur Stabilisierung und<br />

Rückfallprophylaxe geführt.<br />

Den roten Faden in allen Gesprächen bilden die im Vertrag vereinbarten Ziele und alles<br />

was die Erreichung dieser Ziele hemmt bzw. fördert.<br />

Der Ablauf einer Behandlung kann nur exemplarisch skizziert werden, da jeder Fall<br />

unterschiedlich ist und individuelle Wege und Lösungen gesucht werden müssen.<br />

Möglich ist dies nur auf dem oben beschriebenen Hintergrund der Zusammenarbeit und<br />

Kooperation. Die individuelle Behandlung entwickelt sich in einem eng verflochtenen<br />

Netzwerk aus ambulanter medizinischer Behandlung, psychosozialer Betreuung und mit<br />

dem möglichen Rückgriff auf stationäre Behandlungsmöglichkeiten.<br />

(mehr Informationen über das <strong>Konstanz</strong>er Modell in unseren Jahresberichten)


Folie<br />

Auswertung <strong>Konstanz</strong>er Modell 1999 – 2008<br />

(Anlage)<br />

Diskussion, Erläuterung……. Chancen aber auch Grenzen<br />

Schluss<br />

Ich möchte meine Ausführungen mit einer These abschließen:<br />

Veränderungen im gesellschaftlichen Umgang mit Drogenabhängigkeit und<br />

Veränderungen der Hilfs- und Behandlungsangebote haben direkte Auswirkungen auf<br />

die individuelle Ausprägung der Sucht. Sie beeinflussen die Entstehung, die Dauer,<br />

den Verlauf und den Ausgang von Drogenkarrieren. Sie beeinflussen sogar was für<br />

Drogen, in welcher Menge konsumiert werden.<br />

Diese Aussage erscheit zunächst „selbstverständlich“ widerlegt aber alle diejenigen, die<br />

Drogenabhängigkeit ansehen als:<br />

individuelles biologisch/genetisch determiniertes Geschehen<br />

als Lebensstil abhängig von der Art der konsumierten Droge<br />

Die ersteren leiten daraus ab, dass lediglich Versorgung und pharmakologische<br />

Behandlung sinnvoll ist. Die letzteren, dass man die Süchtigen selbst frei entscheiden<br />

lassen sollte, wie sie leben und was sie konsumieren wollen.<br />

Meine Aussage, die ich zu begründen versucht habe fordert die Gesellschaft und uns zum<br />

aktiven Handeln auf. Wir dürfen die Suchtkranken nicht sich selbst überlassen, weil<br />

Veränderungen zum positiven und negativen möglich sind.<br />

Gleichzeitig ist dies auch eine Begründung für unser aller Bemühen die Angebote für<br />

die Suchmittelabhängigen in der Region auszubauen, zielgenauer zu gestalten und<br />

durch Zusammenarbeit zu optimieren.<br />

(Dies im Interesse der Betroffenen, ihrer Angehörigen und der Gesellschaft.)<br />

Hierin sehe ich Aufgabe und Sinn unseres Suchthilfeverbundes.<br />

Vielen Dank<br />

<strong>Günther</strong> <strong>Hähl</strong>

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