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VV Nalimov - Fachbereich Mathematik - Universität Kaiserslautern

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möglich waren.<br />

Auch in der Kultur sieht er diesen Mechanismus wirksam: Er zitiert Alexej Tolstoi mit dem<br />

hübschen Zeilen<br />

Vergeblich glaubst Du, o Künstler,<br />

du seist der Schöpfer der Dinge.<br />

Seit Urzeiten schwirren sie in der Luft,<br />

unsichtbar für unsere Augen. 3<br />

Daneben gibt es in seinen Augen absolute Kreativität, das Erscheinen völlig neuer Prinzipien. Da<br />

wirft <strong>Nalimov</strong> dann einen Satz hin wie: Der kreative Agent der Natur, der christliche Gott, sollte<br />

absolute Zufälligkeit in seinen Händen haben. ([5], p 8) Es bleibt dann die Frage: Was ist absolut<br />

neu, was nur Aktualisierung einer Potentialität? Etwas ähnliches hat einer der großen meines Fachs,<br />

Lucien LeCam benannt, indem er von den zwei Quellen brillanter mathematischer Ideen spricht:<br />

das eine ist natürlich göttliche Intuition und das andere unser schlechtes Gedächtnis, das uns<br />

vergessen läßt, daß uns jemand diese Idee schon einmal erzählt hat.<br />

Kultur ist ein tiefes kollektives Bewußtsein, dessen Wurzeln tief in die fernste Vergangenheit reicht.<br />

Sie formt ein unscharfes Mosaik von Konzepten, die nach <strong>Nalimov</strong> mit einer Wahrscheinlichkeitsverteilung<br />

belegt sind, sozusagen vom Standpunkt einers neutralen hypothetischen Metabeobachters<br />

aus. Jeder einzelne Mensch hat seine eigenen Filter der Wahrnehmung dieses<br />

kollektiven Bewußtseins, welcher dann wieder in einer neuen individuellen Verteilung resultiert.<br />

Der Teil des kollektiven Bewußtseins, der kleine Wahrscheinlichkeit hat ans Tageslicht der<br />

individuellen Wahrnehmung zu kommen, interpretiert <strong>Nalimov</strong> als das kollektive Unbewußte im<br />

Sinn von C. G. Jung ([5], p 9).<br />

In dieser probabilistischen Sicht ist der Mensch nie frei, er ist dominiert von der Vergangenheit, die<br />

in diesem kollektiven Bewußtsein gespeichert ist. Auf der anderen Seite ist er frei, indem sein<br />

individueller Filter der Wahrnehmung in seiner probabilistischen Struktur nicht eindeutig<br />

festegelegt ist. Nun kommt wieder der typisch <strong>Nalimov</strong>sche Schwenk zur Religion: Die großen<br />

religiösen Lehren im Osten wie im Westen zielen primär darauf, den Menschen aus diesem<br />

kollektiven Bewußtsein zu befreien, ohne diese Befreiung wäre der Rest zu, abgeschlossen, der<br />

Mensch eingesperrt. Aber die Geschichte der Christenheit zeigt leider, daß dieser neue Wein in alte<br />

Schläuche getan wurde ([5], p.9).<br />

Von den vielen Querverbindungen, die <strong>Nalimov</strong> von dieser probabilistischen Sichtweise zieht,<br />

möchte ich auf seine kurze Diskussion des Begriffs Karma eingehen. Karma hat in dem üblichen<br />

Verständnis eine explizit deterministische Interpretation. Die früheren Taten beeinflussen noch<br />

heute den jetzigen Zustand, dem können wir nicht ausweichen. 4 Dies ist im Gegensatz zu der Spielorientierten<br />

Verständnis des Lebens, das nach <strong>Nalimov</strong> in der alten indischen Kultur herrschte. Er<br />

vermutet, daß das deterministische Sicht des Karmas auf eine ganz alte Quelle der Kultur<br />

zurückgeht, die noch ganz dem magischen Denken verhaftet ist, und die magische Zwangsläufigkeit<br />

der Dinge in spätere Zeiten in diesem Begriff des Karmas sich erhalten hat. Als Beispiel wie dieser<br />

Konflikt zwischen der deterministischen Sicht und der Freiheit der Unvorhersehbarkeit und<br />

Spontaneität heute aufgelöst werden kann, gibt er die Quantentheorie an, wo der Zustand zunächst<br />

nur eine Wahrscheinlichkeitsverteilung angibt, also eindeutig nichtdeterministisch ist, und<br />

andererseits dieser Zustand sich gemäß der deterministischen Schrödinger-Gleichung verändert.<br />

Dies kann hier nicht mehr näher erläutert werden, aber <strong>Nalimov</strong> weist auch an anderen Stellen<br />

3 Ich selber habe neben meinem Beruf auch etwas Schauspielerei betrieben und für mich hat diese Vorstellung<br />

unmittelbare Evidenz, daß das was da aus dem Künstler herauskommt, weniger seine eigene Schöpfung ist als ein in<br />

den Tiefen seines Körpers gespeichertes Echo uralter Erfahrung.<br />

4 „All what we are is the product of what we have thought“ (The Dhammapada). Dies stand auf „meinem“ Blatt aus<br />

einem Abreiß-Kalender mit Sprüchen, die Peter Gottwald unter den Tagungsteilnehmern verteilt hatte. War dies nun<br />

Zufall oder Karma ?

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