29.08.2013 Aufrufe

VV Nalimov - Fachbereich Mathematik - Universität Kaiserslautern

VV Nalimov - Fachbereich Mathematik - Universität Kaiserslautern

VV Nalimov - Fachbereich Mathematik - Universität Kaiserslautern

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

gesagt, festmachte an der Frage ob Wahrscheinlichkeiten objektiv vorgegeben oder einfach<br />

Ausdruck subjektiven Empfindens sind. Während in den klassischen von der Physik dominierten<br />

Naturwissenschaften die Objektivisten fast selbstverständlich die Oberhand hatten, war in<br />

weicheren Wissenschaften wie der Ökonomie der Subjektivismus Mode. (Würfel vs.<br />

Profitchancen.) In der Diskussion der Statistiker wurde der Bayessche Ansatz lange Zeit<br />

identifiziert mit dem Konzept der subjektiven Deutung des Wahrscheinlickeitsbegriffs. Woher, so<br />

sagte man, kommt denn die a-priori-Verteilung, die für diesen Ansatz eine so zentrale Rolle spielt.<br />

Da kann eigentlich nur die persönliche Meinung des Forschers hineinspielen, also seine subjektive<br />

Sicht der Dinge. In der Sowjetunion wurde mindestens in den wahrscheinlichkeitstheoretischen<br />

Lehrbüchern die Beliebigkeit des Subjektivismus als im Gegensatz zu den objektiven Gesetzen des<br />

dialektischen Materialismus gesehen.<br />

Heute wird diese Identifizierung von Bayes-Verfahren mit Subjektivismus in Frage gestellt: auch<br />

die Objektivisten benutzen das Bayes-Verfahren gerne, weil es eine computerisierbare Vorschrift<br />

zur Veränderung von Wahrscheinlichkeiten in hochkomplexen Problemen wie etwa in der<br />

Bildverarbeitung oder der Hirnforschung erlaubt, ohne daß sie sich auf eine allzu verpflichtende<br />

Deutung der a-priori Verteilungen einlassen müssen.<br />

Nach diesem Ausflug in die statistische Methodenlehre kommt jetzt <strong>Nalimov</strong>s wesentlich erweiterte<br />

Verwendung dieser Schlußweise. Erst auf diesen erweiterten Sinn ist seine Wortschöpfung vom<br />

„Bayesschen Syllogismus“ ([5], p. 284) gemünzt. Dafür ist wesentlich, daß <strong>Nalimov</strong> ein sehr stark<br />

von der Linguistik geprägtes Bild von unserem Umgang mit der Welt hat. Sein Paradigma ist das<br />

Verstehen, oder besser Deuten eines Textes. Gegeben ist ein Text, zum Beispiel ein normales<br />

Dokument, ein Gedicht oder ein Abfolge von Nukleinsäuren in einem Chromosom. Aber er geht<br />

viel weiter. Auch die einzelne Person ist ein Text, ja die Welt als Ganzes ist ein Text. Das jeweilige<br />

Selbstverständnis eines Menschen kann man sich repräsentiert denken durch eine<br />

Wahrscheinlichkeitsverteilung auf den möglichen Deutungen, also einer a priori-Verteilung p(µ).<br />

Nie gibt es nur eine denkbare Deutung. Zusätzlich sieht der Mensch Phänomene y die beeinflußt<br />

sind von der jeweiligen Deutung, aber auch von vielen anderen Faktoren. Dies ist repräsentiert<br />

durch Filter p(y | µ). Nachdem ein bestimmtes Phänomen y aufgetaucht ist, führt dies zu einer<br />

neuen Wahrscheinlichkeitsverteilung, der a posteriori-Verteilung p(µ | y): Andere Lesarten des<br />

eigenen Textes bekommen die Priorität. Es gibt also ein Kontinuum von Beispielen der Interaktion<br />

eines Bewußtseins mit einem ihm durch die jeweilige Situation vorgelegten Text. Die zeitliche<br />

Abfolge der Lesarten und ihres Stellenwerts entsteht nach <strong>Nalimov</strong> durch eine dem Bayeschen<br />

Fomalismus nachempfundene Umschichtung in Wechselwirkung mit den erlebten Phänomenen.<br />

<strong>Nalimov</strong>s Sicht der Zahl.<br />

Diese weitgehende Übertragung von einem Muster, das der quantitativen Wissenschaft entstammt,<br />

in die fundamentalen Bereiche unseres Bewußtseins, das insbesondere durch unsere tiefe<br />

sprachliche Prägung geformt ist, kann nur für jemanden akzeptabel sein, der eigentlich keinen<br />

echten Sprung zwischen diesen Welten empfindet. Der folgende Abschnitt ist eine Kurzfassung<br />

des Aufsatzes [9].<br />

Im Anfang war das Wort, logos. Diesen Anfang des Johannes-Evangeliums zitiert er immer wieder.<br />

Im Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.<br />

Der Name Gottes. Die Namen Gottes. Die enge Bindung religiöser Erfahrung mit Sprache steht für<br />

<strong>Nalimov</strong> außer Frage.<br />

Nun verweist er aber gerne zusätzlich darauf, daß unter den vielen Bedeutungen des griechischen

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!