Keine Gnade für Lilith!
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Christopher A. Weidner – <strong>Lilith</strong> Seite 3 von 11<br />
Brüche, da man sich über die Position beim Geschlechtsakt nicht einigen konnte: "Adam sagte: 'Du<br />
sollst unten liegen!", und <strong>Lilith</strong> sagte: 'Du sollst unten liegen!' Sie hörten nicht aufeinander." 8 <strong>Lilith</strong><br />
verließ daraufhin das Paradies, um <strong>für</strong>derhin als Nachtgespenst ihr Unwesen zu treiben. Wie Kocku<br />
von Stuckrad hervorhebt, wurde diese Erzählung von den rabbinischen Autoren eingeführt, um die<br />
Widersprüche der beiden Schöpfungsgeschichten in der Genesis, was die Entstehung von Mann und<br />
Frau angeht (vgl. 1.Moses 1:26f und 1.Moses 2:18 und 22ff), zu überbrücken. 9<br />
Ungeachtet dieser kulturhistorisch relevanten Merkmale des <strong>Lilith</strong>-Mythos, scheut man sich in der<br />
einschlägigen Literatur nicht, <strong>Lilith</strong> gewissermaßen <strong>für</strong> die Doktrin der rebellischen Frau zu usurpieren,<br />
die den Unterdrückungsversuchen des Mannes Widerstand leistet. <strong>Keine</strong> Ausführung über <strong>Lilith</strong> kann<br />
es sich daher leisten, nicht die allmächtige Große Göttin herbei zu zitieren, von deren einstiger<br />
matriarchaler Größe in der Gestalt von <strong>Lilith</strong> nur noch der angsteinflössende Aspekt übrig geblieben<br />
sei. Leider krankt diese Deutung des Mythos daran, dass sie völlig undifferenziert sogar diejenigen<br />
Eigenschaften <strong>Lilith</strong>s als Kennzeichen "echter weiblicher Spiritualität" annektiert, die wir wohl eher der<br />
patriarchalen Verstümmelung zu verdanken haben. Wie gerne stürzt man sich auf den Nachtaspekt<br />
der <strong>Lilith</strong>, deutet ihren Namen fleißig, aber religionsgeschichtlich unhaltbar 10 , aus lîl <strong>für</strong> "Nacht", wobei<br />
man sich daran erfreut – ganz im Sinne der Jungschen Tradition vom Weiblichen als dunkle, sumpfige<br />
Macht aus dem Unbewussten, deren Schoß ein alles verschlingender Schlund ist und immerzu darauf<br />
lauert, den Herrschaftsbereich des Logos mit ihren irrationalen Launen zu überfluten – im Nächtlichen,<br />
Dunklen die Urkraft des Weiblichen zu erfühlen.<br />
Vom Nachtgespenst zum Racheengel<br />
Dabei verkörpert, wenn es nach einigen AutorInnen ginge, gerade <strong>Lilith</strong> ein Frauenbild, welches nur<br />
auf dem Boden von patriarchaler Diskriminierung gewachsen sein kann. Wir lesen zum Beispiel von<br />
Frauen, die "auf ihrem Weg zur Karriere … jene Kräfte und Eigenschaften geopfert [haben], die<br />
eigentlich weiblich wären, wie Sanftheit, Gefühl, Einfallsreichtum, Verständnis." 11 In einer Männerwelt,<br />
so heißt es, müssen Frauen "die weiblichen Begabungen entwickeln, wie Weisheit und Intuition,<br />
Bereitschaft zur Zusammenarbeit (und nicht zur Unterdrückung), um uns von der Logik der Macht und<br />
des Herrschertums zu lösen …" 12 . Männern aber wird der Schwarze Mond zum schwarzen Peter: sie<br />
erleben <strong>Lilith</strong> "meist als eine Art Negativ-Anima", denn sie waren "das Opfer von <strong>Lilith</strong>s grausamer<br />
Rache, und deshalb <strong>für</strong>chten und verdrängen sie sie." 13 Wo <strong>Lilith</strong> auftaucht, fällt die Astrologenschaft<br />
8 Aus dem "Alphabet des Ben Sira" zitiert nach von Stuckrad, Kocku, <strong>Lilith</strong>. Braunschweig 1997. S.75<br />
9 von Stuckrad, Kocku, <strong>Lilith</strong>. Braunschweig 1997. S.71<br />
10 von Stuckrad, Kocku, <strong>Lilith</strong>. Braunschweig 1997. S.66<br />
11 Livaldi-Laun, Lianella, <strong>Lilith</strong> – die kreative Revolution. In MERIDIAN 5/95. S.16<br />
12 ebd.<br />
13 a.a.O. S.18<br />
© Christopher A. Weidner 2002