Keine Gnade für Lilith!
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Christopher A. Weidner – <strong>Lilith</strong> Seite 9 von 11<br />
Wirklichkeit" 29 , weil er bestimmt, wie <strong>für</strong> uns die Welt aussieht, was <strong>für</strong> ein Ort diese Welt <strong>für</strong> uns auf<br />
eine ganz fundamentale und essenzielle Weise ist. Der Mond im Horoskop beschreibt unser<br />
allgemeine Art, "zwischen den Dingen zu sein", d.h. wie wir uns als undifferenzierten Bestandteil der<br />
Welt erleben, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Mond: Das ist reine Subjektivität, totale<br />
Identifikation mit der Situation, in der ich mich befinde. Was mir der Mond an Eindrücken zur<br />
Verfügung stellt, kann nicht anders als mich betroffen machen: Hier spüre ich am unmittelbarsten, wie<br />
ich unentrinnbar in die Welt, die mich umhüllt, eingebettet bin, denn "niemand kann sich der<br />
fundamentalen Subjektivität der Erfahrung entziehen". 30 Auf der Subjektivität der Erfahrung wird sich<br />
durch Prozesse der Assimilation, Strukturierung und Verarbeitung von Eindrücken (Merkur) später das<br />
herauskristallisieren, was wir unser "Ich" nennen (Sonne) und dem wir eine so erstaunliche<br />
Beständigkeit zutrauen. Ohne Zweifel gehen wir durch das Leben mit einer kontinuierlichen Ich-<br />
Empfindung: "Wir haben eine Persönlichkeit, Erinnerungen, Pläne und Erwartungen, die offenbar alle<br />
in einem kohärenten Standpunkt zusammenkommen, in einem Zentrum, von dem aus wir die Welt<br />
überblicken, dem Boden, auf dem wir stehen." 31 Und dennoch offenbart sich uns täglich der<br />
Widerspruch, dass wir keine Einheit sind, dass es keine Kontinuität unserer Erfahrung gibt, dass wir<br />
"viele" sind: der Wütende, der Traurige, der Liebende, der Ängstliche, der Fröhliche etc., dass "ein<br />
Mensch zu sein, auch nur zu leben" immer bedeutet, "sich in einer Situation, in einem Kontext, in einer<br />
Welt zu befinden" und "keinerlei Erfahrung" zu haben, "die beständig oder situationsunabhängig<br />
wäre". 32<br />
Ouspensky formulierte dies in der Tradition des "Vierten Weges" Folgendermaßen: "Vor allem soll der<br />
Mensch wissen, dass er nicht eine Einheit ist – er ist eine Vielheit. Er hat kein Ich, das einheitlich,<br />
beständig und unwandelbar wäre. Er wechselt fortwährend." 33 Demnach ist die Empfindung eines<br />
bleibenden Ich nichts weiter als eine Illusion, hervorgerufen durch das Empfinden, ein<br />
zusammenhängender Körper zu sein, durch die Identifikation mit einem bestimmten Namen und vor<br />
allen durch mechanische Gewohnheiten, die wir uns durch Erziehung oder Nachahmung erworben<br />
haben. Ziel der menschlichen Entwicklung könnte es sein, diese unzusammenhängenden, sich<br />
widerstreitenden Ichs zu überwinden und zu einem kontinuierlichen Bewusstsein seiner selbst zu<br />
gelangen. Auf dem Weg dahin steht dem Menschen "die dauernde Identifizierung mit dem, was in<br />
einem bestimmten Augenblick seine Aufmerksamkeit, seine Gedanken oder seine Wünsche und seine<br />
Einbildungskraft anzieht" 34 , im Wege.<br />
29 Roscher, Michael, Das Astrologiebuch. München 1989. S.130<br />
30 von Glasersfeld, Ernst, Radikaler Konstruktivismus. Frankfurt/Main 1997. S.128<br />
31 Varela/Thompson/Rosch, Der mittlere Weg der Erkenntnis. München 1995. S.89<br />
32 Varela/Thompson/Rosch a.a.O. S.89<br />
33 Ouspensky, P.D., Psychologie der möglichen Evolution des Menschen. München/Seeshaupt 1995. S.19<br />
34 Ouspensky, P.D., Auf der Such nach dem Wunderbaren. Bern/München/Wien 1991. S.218<br />
© Christopher A. Weidner 2002