Grundstrukturen der Gotteserfahrung im christlichen Glauben - Kath.de
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Die Rückbezogenheit <strong>de</strong>s Wortes «Mystik» auf die Heilige Schrift und die Sakramente wan<strong>de</strong>lt sich<br />
<strong>im</strong> Laufe <strong><strong>de</strong>r</strong> Jahrhun<strong><strong>de</strong>r</strong>te. Obwohl die Entwicklung <strong><strong>de</strong>r</strong> Frömmigkeit <strong>de</strong>s Mittelalters <strong>im</strong>mer mehr<br />
zum Individuell-Subjektiven tendiert, bleibt die objektive Rückgebun<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s <strong>christlichen</strong> Erfah-<br />
rungsweges bis an <strong>de</strong>n Anfang <strong><strong>de</strong>r</strong> Neuzeit erhalten. Während aber <strong>im</strong> ersten <strong>christlichen</strong> Jahr-<br />
tausend das geistliche Schrifttum vor allem auf die Auslegung <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen Schrift konzentriert<br />
bleibt, geht diese Objektivität am Beginn <strong>de</strong>s zweiten Jahrtausends verloren. Die Objektivität <strong><strong>de</strong>r</strong><br />
(vor allem liturgischen) Frömmigkeit wird abgelöst von <strong><strong>de</strong>r</strong> «beschaulichen gefühlsmäßigen Privat-<br />
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frömmigkeit» mit ihrer <strong>im</strong>mer subjektiveren, «auf das Konkrete und Einzelne gerichteten Betrach-<br />
tungsweise».<br />
b. Konstitutiva<br />
Im folgen<strong>de</strong>n wen<strong>de</strong>n wir uns vor allem <strong>de</strong>m dritten Sinn <strong>de</strong>s Begriffsinhaltes von «Mystik» zu.<br />
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Denn die klassiche Definition <strong><strong>de</strong>r</strong> Mystik lautet : cognitio Dei exper<strong>im</strong>entalis, also existentielles<br />
Erfahren <strong>de</strong>s Göttlichen. Um diese Definition genauer zu erfassen und zu differenzieren, sollen<br />
einige grundlegen<strong>de</strong> inhaltliche Merkmale <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen Erfahrung, wie sie bisher herausgearbeitet<br />
wur<strong>de</strong>n, nochmals aufgegriffen und weitergeführt wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n Zusammenhang <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen<br />
Erfahrung mit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>Glauben</strong>serfahrung je<strong>de</strong>s <strong>christlichen</strong> Lebens <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n zu lassen.<br />
aa. Gebun<strong>de</strong>n an die Hl. Schrift<br />
Das göttliche Mysterium ist Inhalt <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen Schrift, und die Mystik das Begreifen dieses Inhalts.<br />
Christliche Mystik ist ein tieferes, vollen<strong>de</strong>tes Verstehen <strong><strong>de</strong>r</strong> Heiligen Schrift.<br />
Um das unterschei<strong>de</strong>nd Christliche in <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen Erfahrung gegenüber allen an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Phänomen<br />
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mystischer Art zu erfassen, spricht R.C. Zaehner von Einheit und Unterscheidung zugleich. Zu-<br />
nächst darf von einer Einheit <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>christlichen</strong> Mystik mit <strong>de</strong>n an<strong><strong>de</strong>r</strong>en Äußerungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Mystik <strong>im</strong><br />
nicht<strong>christlichen</strong> Bereich gesprochen wer<strong>de</strong>n. Es gibt keine christliche Mystik und Religiosität in<br />
völliger Reinkultur. Deshalb wird es in <strong><strong>de</strong>r</strong> <strong>christlichen</strong> Mystik viele Parallelen zur nicht<strong>christlichen</strong><br />
Mystik geben, wie auch nichtchristliche Mystik die christliche Spritualität befruchten kann.<br />
Aber es gibt auch das Proprium christlicher Mystik, das sie von allen nicht<strong>christlichen</strong> Formen einer<br />
Mystik unterschei<strong>de</strong>t. Alois M. Haas sagt dazu: «In <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Fassungen <strong><strong>de</strong>r</strong> Transzen-<br />
<strong>de</strong>nzerfahrung nach Eckhart, Tauler und Seuse ist ein Gemeinsames festzuhalten: zuvor<strong><strong>de</strong>r</strong>st die<br />
christologische Grundlegung <strong><strong>de</strong>r</strong> mystischen Erfahrung ... damit gegeben ist eine grundsätzliche<br />
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Ungeschul<strong>de</strong>theit <strong><strong>de</strong>r</strong> Transzen<strong>de</strong>nzerfahrung von seiten Gottes.»<br />
Die Transzen<strong>de</strong>nzerfahrung steht in engem Zusammenhang mit <strong><strong>de</strong>r</strong> Selbsterfahrung <strong>de</strong>s Menschen.<br />
Der Unterschied zwischen einer normalen Begegnung mit Gott in Gebet und Betrachtung und einer<br />
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I. Herwegen, Kirche und Seele. Die Seelenhaltung <strong>de</strong>s Mysterienkultes und ihr Wan<strong>de</strong>l <strong>im</strong> Mittelalter. Münster 1926, 20.<br />
H.U. von Balthasar, Zur Ortsbest<strong>im</strong>mung christlicher Mystik, in: Pneuma und Institution, Skizzen zur Theologie, Bd. IV. Einsie<strong>de</strong>ln<br />
1974, 298-324, hier 302.<br />
Concordant Discord. Oxford 1970.<br />
Transzen<strong>de</strong>nzerfahrung in <strong><strong>de</strong>r</strong> Auffassung <strong><strong>de</strong>r</strong> Deutschen Mystik (MS, <strong>Kath</strong>ol. Aka<strong>de</strong>mie Freiburg 1977).<br />
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