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Zugriff auf die Publikation mit Stand vom 15.12.2004

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G 14514 ■ 12. Jg. ■ Dezember 2004 4/2004<br />

Vierteljährliche Information der Forschungsgemeinschaft Funk e.V.<br />

NEWS<br />

letter<br />

Intern<br />

• „Ein Blick zurück nach vorn“<br />

Tagungen<br />

EMF-Projekt Workshop „Elektrohypersensitivität“, Prag<br />

FGF-Workshop „Erhöhen Hochfrequenzfelder das<br />

Krebsrisiko?“, Schriesheim/Heidelberg<br />

Kommentar “ICES/COST 281 Thermal Workshop”<br />

EMVU-Wahrnehmung<br />

Wie wirken Modulationen bei biologischen Effekten?<br />

Angst vor den Pulsen beim Mobilfunk<br />

Bewertungsgrundsätze der ICNIRP<br />

Wissenschaftlicher Beirat Funk<br />

EMVU und Technik<br />

Reduzierung der Exposition von Mobiltelefonen<br />

DVB-T – Teil 1, Technik<br />

Digitaler Bündelfunk – der moderne Betriebsfunk<br />

Untersuchung von GSM- und UMTS-Immissionen<br />

Forschung<br />

Kommentare zum Artikel „Mikrowellensyndrom“<br />

Neues aus der Wissenschaft<br />

F G F - W o r k s h o p 2/2004 letter<br />

NEWS FGF<br />

Forschungsgemeinschaft Funk e.V.<br />

1


E d i t o r i a l<br />

Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

das Jahr geht so langsam zur Neige. In den Regalen<br />

der Supermärkte sind Zimtsterne, Vanillekipferl & Co<br />

Zeugen der Adventszeit. Es „weihnachtet“ und quasi<br />

in „Null-komma-nix“ kommt ein neues Jahr <strong>mit</strong> neuen<br />

Hoffnungen und Wünschen. Zum hoffentlich friedvollen<br />

Jahreswechsel wollen auch wir <strong>mit</strong> der letzten<br />

Ausgabe des FGF-Newsletters in 2004 beitragen.<br />

Mit dem Beitrag „Ein Blick zurück nach vorn“ verabschiedet<br />

sich Dr. Wolf Haas nach zehnjähriger aktiver<br />

Verbundenheit <strong>mit</strong> der FGF, bei der er u.a. als Leiter<br />

der AGF tätig war, und wagt dabei einen Blick in <strong>die</strong><br />

Zukunft der FGF.<br />

Der Internationale EMF-Projekt Workshop über „Elektrohypersensitivität“<br />

<strong>vom</strong> 25. bis 27. Oktober in Prag<br />

hat Ihr Interesse geweckt und sie wären gern mehr<br />

darüber informiert? Wir haben <strong>die</strong> wichtigsten Fakten<br />

für Sie zusammengestellt. Auch über den von der FGF<br />

initiierten und <strong>vom</strong> Land Baden-Württemberg, von den<br />

Aktionen COST 281 und EMF-Net geförderten Workshop<br />

<strong>mit</strong> dem Thema „Erhöhen Hochfrequenzfelder<br />

das Krebsrisiko?“, der <strong>vom</strong> 15. bis 17. November in<br />

Schriesheim/Heidelberg stattfand, haben wir einen<br />

Beitrag für Sie.<br />

„Ja, das waren noch Zeiten!“ Wie oft haben Sie <strong>die</strong>sen<br />

Spruch in der letzten Zeit gehört? Das waren<br />

noch Zeiten, als es noch beschaulich zuging <strong>auf</strong> Erden<br />

und besonders zu Weihnachten. Dies war zwar zu<br />

allen Zeiten eine Fiktion; aber schön könnte es doch<br />

gewesen sein. Keine hässlichen Funkmasten, keine<br />

vermuteten Beeinträchtigungen – des scheinbar optimal<br />

ausgerichteten Lebens – durch Elektrosmog, dem<br />

unterstellt wird, er könnte uns vielleicht krankmachen.<br />

Die Veränderung unseres Alltags durch technische<br />

Mittel eilt in schnellen, großen Schritten, überrollt<br />

uns scheinbar. Wie soll der Mensch <strong>mit</strong> <strong>die</strong>ser<br />

stürmischen Entwicklung Schritt halten können? „Spielen<br />

Modulationen überhaupt eine Rolle bei biologischen<br />

Effekten hochfrequenter Felder?“ So lautet der<br />

Titel der Zusammenfassung einer Stellungnahme aus<br />

Sicht der WHO. Und da so mancher Mitbürger <strong>die</strong><br />

neue Technik sogar als bedrohlich empfindet, berich-<br />

2 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E d i t o r i a l<br />

ten wir unter dem Titel „Angst vor den Pulsen beim<br />

Mobilfunk“ über sich entwickelnde Ängste in der Bevölkerung.<br />

Was verbirgt sich hinter dem Kürzel: ICNIRP? Welchen<br />

Einfluss hat <strong>die</strong>ses wissenschaftliche Gremium<br />

<strong>auf</strong> unsere <strong>Stand</strong>ards und Gesetzgebung? Wir berichten<br />

über <strong>die</strong> Bewertungsgrundsätze <strong>die</strong>ser Institution.<br />

Lesen Sie dann auch, was der neu in Österreich<br />

eingerichtete „Wissenschaftliche Beirat Funk“ zur<br />

EMVU-Diskussion beizutragen hat.<br />

Wie man den unterstellten Gefahren entkommen könnte,<br />

lesen Sie in einem Beitrag von der BAuA <strong>mit</strong> dem<br />

Titel „Reduzierung der Exposition von Mobiltelefon-<br />

Nutzern – was ist technisch möglich und sinnvoll?“.<br />

Um Sie über neue sich anbahnende Technologien <strong>auf</strong><br />

dem L<strong>auf</strong>enden zu halten, berichten wir im Newsletter<br />

in loser Folge über neue Funkanwendungen. In<br />

<strong>die</strong>ser Nummer finden Sie Beiträge über DVB-T, das<br />

„neue“ digitale terrestrische Fernsehen, über den digitalen<br />

Bündelfunk und über Untersuchungen von<br />

GSM- und UMTS-Immissionen.<br />

Zum Schluss finden Sie wie gewohnt „Neues aus der<br />

Wissenschaft“ und unverzichtbar <strong>die</strong> „Nachrichten“.<br />

Als kleines Weihnachtsbonbon erlauben wir uns, Ihnen<br />

<strong>die</strong>smal eine Gesamtübersicht über alle Titel des<br />

gesamten Jahres unseres Newsletters beizuheften. Wir<br />

wollen es Ihnen da<strong>mit</strong> etwas leichter machen, gewünschte<br />

Titel und Themen schnell wieder zu finden.<br />

Trotz des Weihnachtsrummels hoffen wir, <strong>mit</strong> unseren<br />

Beiträgen Ihr Interesse gewinnen zu können.<br />

Vielleicht finden Sie dafür ein paar stille Momente.<br />

Wir haben alles getan, da<strong>mit</strong> Sie den Newsletter rechtzeitig<br />

vor dem Weihnachtsfest ausgeliefert bekommen.<br />

Nicht versäumen möchten wir, uns bei allen, <strong>die</strong> uns<br />

das ganze Jahr über unterstützt und <strong>mit</strong> Sympathie<br />

begleitet haben, herzlich zu bedanken.<br />

Ein frohes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch<br />

ins neue Jahr wünscht Ihnen<br />

Ihr Gerd Friedrich


Jahresübersicht<br />

2004<br />

Tagungen<br />

• Bericht zum FGF-Workshop in Immenstaad:<br />

„Können elektromagnetische Felder des Mobilfunks<br />

Schlafstörungen und andere kognitive<br />

Änderungen hervorrufen?“ (Dr. S. Eggert,<br />

Prof. Dr. R. Glaser, Dr. rer. nat. F. Gollnick,<br />

Dipl.-Biophysiker L. Haberland) 1/04<br />

Bericht zum COST 281/FGF/STUK/WHO-<br />

Workshop über Stressproteine in Helsinki<br />

(Dipl. Biologe Chr. Bächtle) 2/04<br />

Bericht zum COST 281-Workshop in Thessaloniki<br />

über mögliche biologische Effekte von Feldern im<br />

UHF-Bereich (Prof. Dr. N. Leitgeb) 2/04<br />

Kurzbericht zum Workshop in Ft. Lauderdale/<br />

Florida über biophysikalische Wirkungsmechanismen<br />

hochfrequenter Felder und deren Bedeutung<br />

(Prof. Dr. R. Glaser) 2/04<br />

Berichte zur BEMS 2004 in Washington 4/04<br />

– Vorbemerkungen (Dr. G. Friedrich)<br />

– Zellbiologie und Zellbiophysik (Vijyalaxmi)<br />

– In vitro-Untersuchungen und Mechanismen<br />

(L. Haberland)<br />

– In vivo-Stu<strong>die</strong>n (Dr. F. Gollnick)<br />

– Stu<strong>die</strong>n zu hochfrequenten Feldern<br />

(Dr. F. Gollnick)<br />

– Medizinische, epidemologische und<br />

dosimetrische Aspekte (Dr. J. Reißenweber)<br />

– Ultrakurze Hochspannungsimpulse,<br />

THz- oder T-Strahlung (Prof. Dr. R. Glaser)<br />

Kurzbericht Internationaler EMF-Projekt Workshop<br />

„Elektrohypersensitivität“ in Prag<br />

(Dr. R. Berz/Dr. G. Friedrich) 4/04<br />

Kurzbericht FGF-Workshop „Erhöhen Hochfrequenzfelder<br />

das Krebsrisiko?“ in Schriesheim/<br />

Heidelberg (L. Haberland) 4/04<br />

Kommentar „ICES/COST 281 Thermal Workshop”<br />

(Prof. Dr. K. R. Foster) 4/04<br />

EMVU-Wahrnehmung<br />

Wie gelangen Forschungsresultate in <strong>die</strong><br />

Me<strong>die</strong>n? (Dr. rer. nat. F. Gollnick) Teil 1, 1/04<br />

Verständlichkeit von EMF-Broschüren – wie<br />

Informationen von Laien verstanden und bewertet<br />

werden... (Lic. phil. A. T. Thalmann) 1/04<br />

Fallstu<strong>die</strong> zur Wahrnehmung einer umstrittenen<br />

Mobilfunksendeanlage (F. Ulmer) 1/04<br />

EMVU-Portale – eine Übersicht 1/04<br />

Wie gelangen Forschungsresultate in <strong>die</strong><br />

Me<strong>die</strong>n? Teil II (Dr. F. Gollnick) 2/04<br />

Vergleich der digitalen Modulation des<br />

GSM-Mobilfunks <strong>mit</strong> den Synchronimpulsen von<br />

TV-Sendern (Prof. Dr. B. Liesenkötter) 2/04<br />

Angst vor steilen Flanken?<br />

(Dipl.-Ing. K.-O. Müller) 2/04<br />

Der „Gabriel-Chip“ (Dipl.-Ing. F. Jörn) 2/04<br />

Ist Essen aus der Mikrowelle ungesund?<br />

(Dipl.-Ing. R. Reichardt) 2/04<br />

Spielen Modulationen eine Rolle bei<br />

biologischen Effekten hochfrequenter Felder?<br />

(Prof. Dr. R. Glaser) 4/04<br />

Angst vor den Pulsen beim Mobilfunk<br />

(Dr. G. Kaul/R. Reichardt) 4/04<br />

Bewertungsgrundsätze der ICNIRP<br />

(Prof. Dr. J. H. Bernhardt) 4/04<br />

Wissenschaftlicher Beirat Funk<br />

(Mag. T. Barmüller) 4/04<br />

I n h a l t 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

3


EMVU und Technik<br />

DAB – Aspekte der Strahlungsemission<br />

(Dr. Chr. Weck, Dr. M. Pauli) 3/04<br />

Reduzierung der Exposition von Mobiltelefonen<br />

(Dr. S. Goltz, Dr. S. Eggert) 4/04<br />

DVB-T – Teil 1, Technik (K. Bäumer) 4/04<br />

Digitaler Bündelfunk – der moderne Betriebsfunk<br />

(K. Bäumer) 4/04<br />

Untersuchungen von GSM- und UMTS-Immissionen<br />

(Prof. Dr. M. Wuschek/Dr. Chr. Bornkessel)<br />

4/04<br />

Betrachtung der TNO-Stu<strong>die</strong> (Dr. G. Dürrenberger)<br />

2004<br />

4 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E d i t o r i a l<br />

Forschung<br />

Wie kommt es zur Erwärmung der Haut durch<br />

Handys? (Prof. Dr. G. Oftedal, Dr. Ak. Straume)<br />

1/04<br />

Elektro-Magneto-Therapie – Situation und Perspektiven<br />

(Prof. Dr. R. Glaser) 1/04<br />

PERFORM-A stellt den Mobilfunk <strong>auf</strong> den Prüfstand<br />

(Ch. Bächtle) 1/04<br />

Eine kritische Betrachtung der Theorien von<br />

Konstantin Meyl (Dr.-Ing. T. Eibert) 1/04<br />

Kritische Auseinandersetzung <strong>mit</strong> den Thesen<br />

von Bo Sernelius (Prof. Kenneth R. Foster) 2/04<br />

Blutuntersuchungen in der EMF-Forschung –<br />

Dichtung und Wahrheit (Prof. Dr. A. Lerchl) 2/04<br />

Kommentare zu einer vorläufigen Bewertung über<br />

den Einfluss der Mobilfunkbelastung <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Retikulozytenreifung (Prof. Dr. Dr. O. Petrowicz)<br />

3/04<br />

3/04<br />

Kommentare zum Artikel „Mikrowellensyndrom“<br />

von G. Oberfeld (Prof. Dr. Dr. O. Petrowicz) 4/04<br />

Neues aus der Wissenschaft (Prof. Dr. R. Glaser)<br />

1-2-3-4/04<br />

Intern<br />

12. Mitgliederversammlung der FGF 1/04<br />

„Ein Blick zurück nach vorn“ (Dr. W. Haas) 4/04


Inhalt<br />

Intern<br />

„Ein Blick zurück nach vorn“ (Dr. W. Haas)<br />

Tagungen<br />

Kurzbericht Internationaler EMF-Projekt<br />

Workshop „Elektrohypersensitivität“ in Prag<br />

(Dr. R. Berz, Dr. G. Friedrich)<br />

Kurzbericht FGF-Workshop „Erhöhen<br />

Hochfrequenzfelder das Krebsrisiko?“<br />

in Schriesheim/Heidelberg (L. Haberland)<br />

Kommentar „ICES/COST 281 Thermal Workshop”<br />

(Prof. Dr. K. R. Foster)<br />

EMVU-Wahrnehmung<br />

Spielen Modulationen eine Rolle bei<br />

biologischen Effekten hochfrequenter Felder?<br />

(Prof. Dr. R. Glaser)<br />

Angst vor den Pulsen beim Mobilfunk<br />

(Dr. G. Kaul, R. Reichardt)<br />

Bewertungsgrundsätze der ICNIRP<br />

(Prof. Dr. J. H. Bernhardt)<br />

Wissenschaftlicher Beirat Funk<br />

(Mag. T. Barmüller)<br />

EMVU und Technik<br />

Reduzierung der Exposition von Mobiltelefonen<br />

(S. Goltz, Dr. S. Eggert)<br />

DVB-T – Teil 1, Technik (K. Bäumer)<br />

Digitaler Bündelfunk – der moderne Betriebsfunk<br />

(K. Bäumer)<br />

Umfangreiche Immissionsuntersuchungen<br />

in der Umgebung von GSM- und UMTS-Mobilfunksendeanlagen<br />

(Prof. Dr. M. Wuschek/Dr. Chr. Bornkessel)<br />

Forschung<br />

Kommentare zum Artikel „Mikrowellensyndrom“<br />

von G. Oberfeld (Prof. Dr. Dr. O. Petrowicz)<br />

Rubriken<br />

Neues aus der Wissenschaft (Prof. Dr. R. Glaser)<br />

Nachrichten<br />

Veranstaltungen<br />

Impressum<br />

I n h a l t 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

4/2004 letter<br />

NEWS<br />

3<br />

4<br />

6<br />

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86


I n t e r n<br />

Ein Blick<br />

Wolf Haas<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

heute einmal ein Beitrag ganz anderer Art: Ein „Blick<br />

zurück nach vorn“.<br />

Gemeinsam <strong>mit</strong> Ihnen möchte ich meine zehnjährige<br />

aktive Verbundenheit <strong>mit</strong> der FGF – zunächst als Leiter<br />

der AGF und danach als Mitglied des Vorstandes<br />

für <strong>die</strong> Vodafone D2 GmbH – nutzen, um den Blick <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Wandlungen und den Entwicklungsprozess der<br />

Forschungsgemeinschaft Funk in <strong>die</strong>ser Zeit zu lenken<br />

und um daraus eine Prognose für <strong>die</strong> Zukunft der<br />

FGF zu entwickeln.<br />

Die Wahrnehmung des Umfelds „Funkanwendungen<br />

und Gesundheit“ und insbesondere „Mobilfunk und<br />

Gesundheit“ hat sich im Betrachtungszeitraum gravierend<br />

gewandelt. Die FGF als Teil <strong>die</strong>ses Umfelds<br />

hat sich entsprechend weiter entwickelt und angepasst.<br />

Aus meiner Sicht hat <strong>die</strong> FGF seit Ihrer Gründung<br />

dabei drei wichtige Phasen durchl<strong>auf</strong>en:<br />

Phase I) <strong>die</strong> Lernphase: von der Analyse vorgelegter<br />

Stu<strong>die</strong>n zur Definition von Qualitätsstandards<br />

Phase II) <strong>die</strong> Stabilisierungsphase: <strong>die</strong> Etablierung<br />

einer qualifizierten Forschungsförderung und eines<br />

professionellen Forschungsmanagements<br />

Phase III) <strong>die</strong> Erkenntnisgewinnungsphase: durch<br />

Förderungen eines qualifizierten themenzentrierten Erfahrungsaustauschs<br />

in der Wissenschaft<br />

4 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T a g u n g e n<br />

zurück na<br />

Natürlich sind <strong>die</strong>se Phasen streng genommen nicht<br />

als sequentiell anzusehen, sondern sie überlappen<br />

sich in gewissem Maße.<br />

In der ersten Phase war <strong>die</strong> FGF ein junger Verein,<br />

der im Auftrag seiner Mitglieder Verantwortung im<br />

Bereich „Hochfrequente Funkanwendung und Gesundheit“<br />

übernehmen und wissenschaftliche Antworten<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Fragen liefern sollte, <strong>die</strong> in der Anfangszeit<br />

des GSM-Netz<strong>auf</strong>baus in den Me<strong>die</strong>n und von der<br />

Öffentlichkeit diskutiert wurden. Dies war natürlich<br />

ein Dilemma, da in <strong>die</strong>ser Zeit eine entsprechend<br />

ausgereifte Forschungslandschaft <strong>mit</strong> hohem Qualitätsstandard<br />

erst in den Kinderschuhen vorhanden<br />

war. Deshalb waren in <strong>die</strong>ser Phase <strong>die</strong> Aktivitäten der<br />

FGF in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Forschungsinstitutionen<br />

dar<strong>auf</strong> gerichtet, grundlegende qualitätsfördernde Werkzeuge<br />

und Verfahren zu entwickeln wie z.B. Einrichtungen<br />

für reproduzierbare Expositionsbedingungen, einheitliche<br />

Signaldefinitionen (z. B. GSM), leistungsfähige<br />

Verstärker für <strong>die</strong> <strong>Stand</strong>ardsignale, aussagekräftige<br />

medizinisch-biologische Parametersätze und hinreichende<br />

statistische Bedingungen für Experimente.<br />

In der zweiten Phase wurden viele wichtige Forschungsprojekte<br />

<strong>auf</strong> der Basis der standardisierten Werkzeuge<br />

und Verfahren initiiert. Aus Sicht des Forschungsmanagements<br />

war <strong>die</strong> Einführung eines transparenten<br />

Ausschreibungs- und Vergabeverfahrens gesteuert durch<br />

einen unabhängigen Expertenkreis sicher einer der wichtigsten<br />

Schritte für <strong>die</strong> Akzeptanz der Forschungsprojekte.<br />

Bei der Themenauswahl rückte dabei <strong>die</strong> Forschungs-Agenda<br />

der WHO stärker in den Fokus. Wesentliche<br />

Diskussionen und Klärungen in <strong>die</strong>ser Phase<br />

galten auch der Kommunikation von Forschungsergebnissen.<br />

Dabei zeigte sich, dass zwei Punkte von herausragender<br />

Bedeutung für <strong>die</strong> Kommunikation sind:


ch vorn“<br />

Zum einen der Qualitätsstandard der <strong>Publikation</strong> der<br />

Ergebnisse (Stichworte: „International Journals“ und<br />

„peer reviewed“) und zum anderen <strong>die</strong> Darstellung der<br />

Ergebnisse in einer allgemein verständlichen Form für<br />

einen breiten Kreis von Interessierten.<br />

Für <strong>die</strong> FGF ergab sich darüber hinaus ein wichtiger<br />

Aspekt in Bezug <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Wahrnehmung in der Fachwelt<br />

und der Öffentlichkeit. Es zeigte sich, dass <strong>die</strong><br />

Strategie der FGF, selbst keine Bewertung oder Interpretation<br />

der wissenschaftlichen Ergebnisse vorzunehmen,<br />

sehr wichtig für eine unvoreingenommene<br />

Wahrnehmung der Forschungsergebnisse ist. Die Bewertung<br />

bleibt nach den Grundsätzen der FGF allein<br />

Aufgabe unabhängiger Expertenkommissionen wie der<br />

ICNIRP oder der Deutschen Strahlenschutzkommission<br />

SSK. Durch <strong>die</strong> allgemein verständliche Darstellung<br />

der Forschungsergebnisse werden aber auch Interessensgruppen<br />

und Interessierte (z. B. Netzbetreiber,<br />

Funkgeräte-Hersteller, Journalisten, Verbände) in <strong>die</strong><br />

Lage versetzt, sich ein eigenes Bild zu machen.<br />

Aktuell befindet sich <strong>die</strong> FGF in einer Phase der Förderung<br />

der Erkenntnisgewinnung. Hier<strong>mit</strong> hat sich <strong>die</strong><br />

FGF an <strong>die</strong> veränderten Rahmenbedingungen angepasst.<br />

Anders als in den ersten beiden Phasen hat<br />

sich der relative finanzielle Beitrag der FGF – bei unvermindertem<br />

Absolutbeitrag – <strong>auf</strong>grund zahlreicher<br />

nationaler und internationaler Forschungsprogramme<br />

deutlich verringert. Gleichzeitig hat sich allgemein <strong>die</strong><br />

Qualität der Durchführung von Forschungsprojekten<br />

deutlich, nicht zuletzt auch durch <strong>die</strong> richtungsgebende<br />

Vorarbeit der FGF, verbessert und stabilisiert. Dies<br />

hat dazu geführt, dass von Einzelnen <strong>die</strong> Frage gestellt<br />

wird, ob <strong>die</strong> FGF heute noch gebraucht wird.<br />

Aus meiner Sicht ist <strong>die</strong>se Frage eindeutig zu bejahen.<br />

So hat <strong>die</strong> FGF in den letzten Jahren eine neue<br />

wichtige Rolle – für <strong>die</strong> Fachwelt, <strong>die</strong> Gesellschaft<br />

und <strong>die</strong> FGF-Mitglieder – <strong>auf</strong>genommen. Diese ist dar<strong>auf</strong><br />

ausgerichtet, wissenschaftliche Antworten <strong>auf</strong><br />

stetig neu <strong>auf</strong>kommende kritische Fragen zu geben,<br />

<strong>die</strong> „Flut“ der Ergebnisse der nationalen und internationalen<br />

Forschung thematisch zusammen zu fassen<br />

und durch Fachkolloquien internationalen Fachleuten<br />

Raum für <strong>die</strong> Diskussion und <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Konsensfindung zu geben. Ihrem Anspruch, <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

zu informieren, wird <strong>die</strong> FGF dabei durch<br />

<strong>die</strong> Veröffentlichung der dabei <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sen Kolloquien<br />

erarbeiteten Ergebnisse gerecht.<br />

Insbesondere angesichts der in der nahen Zukunft zu<br />

erwartenden Ergebnisse aus den „großen“ weltweiten<br />

Forschungsprogrammen („Interphone“, „Perform<br />

A“, „Deutsches Forschungsprogramm“, u. a.) dürfte<br />

der „Erkennisgewinnung in der Wissenschaft“ eine<br />

nochmals gesteigerte Bedeutung zukommen.<br />

Andererseits darf <strong>die</strong> FGF auch in <strong>die</strong>ser Zeit <strong>die</strong> eigene<br />

Forschungsförderung nicht vernachlässigen. Denn<br />

nur durch eigenes Forschungsengagement bleiben <strong>die</strong><br />

Kompetenz und das internationale Renommee der<br />

FGF erhalten.<br />

Meines Erachtens warten auch nach <strong>die</strong>ser Zeit zahlreiche<br />

Aufgaben <strong>auf</strong> <strong>die</strong> FGF. Sicher wird es niemanden<br />

erstaunen, wenn ich annehme, dass <strong>die</strong> großen<br />

Forschungsprogramme nicht nur eine Vielzahl von Fragen<br />

beantworten werden, sondern dass sie auch neue<br />

<strong>auf</strong>werfen – hier wird <strong>die</strong> Expertise der FGF gebraucht,<br />

um <strong>die</strong> Diskussion über <strong>die</strong> Notwendigkeit weiterer<br />

Forschung zu führen, um geeignete Projekte zur Beantwortung<br />

der offenen Fragen zu definieren und<br />

vielleicht auch um <strong>die</strong> Projekte selbst zu fördern.<br />

Dr. Wolf Haas war im Vorstand der FGF und Leiter der AGF/FGF.<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

5


T a g u n g e n<br />

Reinhold Berz,<br />

Gerd Friedrich<br />

Die Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) zeigt Mut: In Prag<br />

fasste das „Internationale EMF<br />

Projekt“ in einem Workshop:<br />

„WHO international seminar<br />

and working group meeting on<br />

EMF Hypersensitivity“ das sehr<br />

heikle Thema der „Elektrohypersensitivität“<br />

an. Oft<br />

werden auch <strong>die</strong> Bezeichnungen<br />

„Elektrosensibilität“ oder<br />

„Elektrosensitivität“ oder<br />

„Idiopathische Umwelt-<br />

Intoleranz (IEI)“ verwandt.<br />

Ob <strong>mit</strong> den unterschiedlichen<br />

Bezeichnungen auch unterschiedliche<br />

Phänomene gemeint<br />

sind oder ob alle Wörter nur ein<br />

und das selbe charakterisieren,<br />

auch dazu sollte <strong>die</strong> von<br />

Wissenschaftlern aus aller Welt<br />

und auch von Betroffenen gut<br />

besuchte Tagung beitragen.<br />

6 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T a g u n g e n<br />

Prag <strong>vom</strong> 25. bis 27.10.2004 –<br />

Kurzbericht:<br />

Internationaler EMF-<br />

„Elektrohy


Projekt Workshop<br />

persensitivität“<br />

Sprachregelungen<br />

Gibt es Menschen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Fähigkeit haben, elektrische,<br />

magnetische und elektromagnetische Felder<br />

kleiner Leistung (da<strong>mit</strong> sind Felder weit unter den<br />

geltenden Grenzwerten gemeint) wahrzunehmen?<br />

Nach bisherigem Kenntnisstand ist der Mensch – <strong>vom</strong><br />

Auge für das sichtbare Licht (auch das sind elektromagnetische<br />

Wellen) abgesehen – <strong>mit</strong> keinem Sensor<br />

für elektromagnetische Felder ausgestattet. Kann<br />

also nicht detektierbares <strong>auf</strong> anderen biologischen<br />

Umwegen zur Wahrnehmung, zu negativen Beeinträchtigungen<br />

oder gar Erkrankungen führen? Viele Menschen<br />

halten <strong>die</strong> vagabun<strong>die</strong>renden Felder von Stromquellen<br />

der Kraftstromversorgung bzw. des Funks für<br />

<strong>die</strong> Ursache von Schlafstörungen, Kopf- und Gliederschmerzen<br />

oder gar von Krebs.<br />

Schon zu Beginn der Tagung gab es einigen Disput<br />

um <strong>die</strong> „richtige“ Terminologie. Viele Teilnehmer empfanden<br />

den Begriff: EHS (von Electromagnetic Hyper-<br />

Sensitivity) als ungeeignet. Aber auch der weniger<br />

„drastische“ Ausdruck ohne „hyper“ fand keine breite<br />

Mehrheit. Es wurde <strong>die</strong> Nähe zu ähnlichen Symptomatologien<br />

wie MCS (Multiple Chemical Susceptibility<br />

bzw. sensitivity), CFS (Chronic Fatigue Syndrome)<br />

oder SBS (Sick Building Syndrome) betont und der<br />

Überbegriff IEI (Idiopathic Environment Intolerance)<br />

vorgeschlagen. Jedoch sah man von ärztlicher Seite<br />

hierbei schon zu sehr eine begrifflich vorweg genommene<br />

Kausalbeziehung des Phänomens. Von <strong>die</strong>ser<br />

Seite kam auch <strong>die</strong> Empfehlung, den Begriff „Electrophobia“<br />

zu verwenden, was wiederum bei den anwesenden<br />

Betroffenen wenig Begeisterung auslöste. Von<br />

deren Seite wurde eher der Begriff der „schmutzigen“<br />

Elektrizität („dirty electricity“) favorisiert. Aus medizinischer<br />

Sicht – so Reinhold Berz, Mediziner <strong>vom</strong> Ärzteko<strong>mit</strong>ee<br />

NIRMED („Non Ionizing Radiation Medical<br />

Expert Desk“) – gehören <strong>die</strong> Symptome zunächst zum<br />

MUS-Komplex (Medically Unexplained Symptoms). Die<br />

Symptome seien selbst derartig differierend, dass<br />

seitens der Ärzte betont wurde, man könne nicht von<br />

einem Syndrom sprechen.<br />

Überhaupt herrschte bei der Begriffsbestimmung babylonische<br />

Sprachverwirrung. <strong>Stand</strong>en vor der Tagung<br />

unter den Fachleuten <strong>die</strong> Begriffe: „Elektro(hyper)<br />

sensitivität“ für <strong>die</strong> Fähigkeit, Spannungen, Ströme<br />

und Felder zu erfühlen; „Elektrosensibilität“ dagegen<br />

für das selbstbestätigte Bewusstsein, für „Elektrosmog“<br />

mehr als <strong>die</strong> Allgemeinheit empfindlich (sensitiv)<br />

zu sein und auch unter Auswirkungen des „Elektrosmogs“<br />

zu leiden, fest, so „purzelten“ <strong>die</strong>se Begriffe<br />

und deren Verständnis während des Workshops<br />

munter durcheinander. Man konnte sich leider trotz<br />

intensiven Auseinandersetzens im L<strong>auf</strong> der Aussprachen<br />

nicht <strong>auf</strong> eine begriffliche Bestimmung einigen<br />

und so werden wohl trotz Unbehagens <strong>die</strong> alten<br />

(vielleicht liebgewordenen) Bezeichnungen weiter benutzt<br />

und zur Verwirrung beitragen. Für <strong>die</strong> Tagung in<br />

Prag wurde schließlich das Kürzel IEI als kleinster<br />

gemeinsamer Nenner verwendet.<br />

Kulturelle bzw. gesellschaftliche<br />

Unterschiede der EHS<br />

Berz gewann nach den Vorträgen und Diskussionen<br />

<strong>die</strong> Meinung, „dass es sich anfänglich um eine Symptomatik<br />

aus Skandinavien handelt, <strong>die</strong> sich allerdings<br />

dank „infektiöser“ Me<strong>die</strong>nberichterstattung – so einige<br />

Referate – in Folge epidemieartig auch in Mitteleuropa,<br />

besonders in Deutschland und Italien, ausbreitete“.<br />

Am Beispiel von Haut- und sonstigen Erkrankungen,<br />

<strong>die</strong> fast ausschließlich in Schweden in den achtziger<br />

Jahren <strong>mit</strong> Computer-Arbeitsplätzen in Zusammenhang<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

7


T a g u n g e n<br />

gebracht wurden, lässt sich eine fast wellenartige<br />

Ausbreitung der Symptomatologie beschreiben.<br />

Neben den Bildschirmarbeitsplätzen und den da<strong>mit</strong><br />

hauptsächlichen verbundenen Hautproblemen standen<br />

anfänglich besonders Observationen über nicht<br />

spezifische Beeinträchtigungen und vor allem Befürchtungen<br />

über Gesundheitsstörungen durch <strong>die</strong> Felder<br />

von Hochspannungsleitungen und der Hausstromversorgung<br />

im Mittelpunkt. Maria Feychtings Stu<strong>die</strong> über<br />

eine Erhöhung der Krebsrate im Umkreis von Hochspannungsleitungen<br />

lenkte das Interesse <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Niederfrequenz<br />

und konkretere Krankheitsbilder, wie z. B.<br />

Krebs. Diese Krankheiten fallen aber nicht unter das<br />

Motto des Workshops bei dem es eher um Allgemeinsymptome<br />

wie Kopfschmerz, Schlafstörungen etc.<br />

ging.<br />

In jüngerer Zeit konzentriert sich das Interesse nun in<br />

ganz Europa weitgehend <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Imissionen der Mobilkommunikation.<br />

Aussendungen von Funktürmen der Hörund<br />

Fernsehprogramme werden bis <strong>auf</strong> wenige Ausnahmen<br />

von der Öffentlichkeit kaum diskutiert.<br />

Dazu gibt es einige länderspezifische Besonderheiten.<br />

In Deutschland dreht sich <strong>die</strong> Diskussion vor<br />

allem um <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> Imissionen der Mobilfunk-<br />

Basisstationen und/oder des mobilen Telefons <strong>die</strong><br />

Ursache für <strong>die</strong> berichteten Symptome <strong>mit</strong> diffusem<br />

Krankheitsbild sind. Niederfrequente Felder befanden<br />

sich <strong>mit</strong> Ausnahme Anfang der 60er Jahre niemals so<br />

stark im Verdacht.<br />

In Italien dominiert vor allem <strong>die</strong> Furcht, <strong>die</strong> Zeugungsfähigkeit<br />

könne eingeschränkt werden, neben<br />

den Befürchtungen rund um <strong>die</strong> Mobiltelefonie und<br />

um <strong>die</strong> Felder der Stromversorgung.<br />

Konferenzreport<br />

Zu Beginn der Konferenz begrüßte Prof. Ludek Pekarek<br />

<strong>vom</strong> tschechischen nationalen Referenz-Labor für<br />

nicht-ionisierende elektromagnetische Felder, Prag,<br />

<strong>die</strong> 145 Teilnehmer aus 27 Ländern im Prager Hotel<br />

Diplomat. Dr. Michael Repacholi, Koordinator der Aktion<br />

„EMF-Projekt“ der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO), Genf, dankte den tschechischen Gastgebern,<br />

insbesondere dem tschechischen Ministerium für<br />

Gesundheit, und unterstrich <strong>die</strong> Wichtigkeit des ge-<br />

8 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T a g u n g e n<br />

wählten Themas und stellte deutlich <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

der engen Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den europäischen<br />

Aktionen COST 281 und EMF-NET zu <strong>die</strong>sem strittigen<br />

Thema heraus.<br />

In seinem Einführungsreferat hob Michael Repacholi<br />

<strong>auf</strong> den gegenwärtigen Wissensstand zur „Hypersensibilität“<br />

ab, der sehr suggestiv aber sehr unbefriedigend<br />

sei. Basierend <strong>auf</strong> sorgfältiger Prüfung der vorhandenen<br />

Literatur und Sichtung der l<strong>auf</strong>enden Forschung<br />

betonte er, dass vor allem seitens der Politik<br />

und der Betroffenen ein hoher Handlungsbedarf zur<br />

Lösung der Frage angemahnt würde.<br />

Im Weiteren führte er aus, dass <strong>die</strong>se Gesundheitsstörung,<br />

im Fachbegriff „Idiopathische Umweltintoleranz<br />

(IEI)“ genannt (Konsensus der Arbeitsgruppe),<br />

für <strong>die</strong> Betroffenen <strong>mit</strong> großem Leidensdruck verbunden<br />

ist und von <strong>die</strong>sen im Selbsttestat oft <strong>auf</strong> EMF-<br />

Expositionen zurückgeführt wird. Bisher jedoch konnte<br />

kein Nachweis für einen un<strong>mit</strong>telbaren Zusammenhang<br />

solcher Störungen <strong>mit</strong> EMF-Expositionen erbracht<br />

werden.<br />

Gemäß der Terminologie der WHO ist <strong>die</strong> Idiopathische<br />

Umweltintoleranz herkömmlich definiert als eine<br />

erworbene Erkrankung <strong>mit</strong> multiplen wiederkehrenden<br />

Symptomen, <strong>die</strong> von der Mehrheit der Betroffenen<br />

<strong>mit</strong> unterschiedlichen Umweltfaktoren in Zusammenhang<br />

gebracht wird und <strong>mit</strong> keiner anderen bekannten<br />

medizinischen, psychiatrischen oder psychologischen<br />

Störung erklärt werden kann. Die <strong>auf</strong> EMF-Exposition<br />

(wie auch <strong>auf</strong> chemische Intoleranzen) zurückgeführten<br />

Fälle und benannten Krankheitsbilder<br />

von IEI sind dabei den bei anderen Umwelteinflüssen<br />

ähnlich und subjektiven Zuordnungen ausgesetzt.<br />

Repacholi führte weiter aus, dass <strong>die</strong> <strong>auf</strong> EMF zurückgeführten<br />

selbstberichteten Fälle von IEI nicht als<br />

gültiges Ergebnis <strong>auf</strong>gefasst werden können. Eine<br />

Durchführung epidemiologischer Stu<strong>die</strong>n empfiehlt er<br />

derzeit nicht. Um zu einer unabhängigen Bestimmung<br />

von Exposition und Ergebnis zu gelangen, sind unbedingt<br />

Provokationsstu<strong>die</strong>n erforderlich.<br />

Wie bisherige Resultate nicht verifizierter Provokationsstu<strong>die</strong>n<br />

zeigen, besteht kein un<strong>mit</strong>telbarer kausaler<br />

Zusammenhang zwischen elektrischen bzw.<br />

magnetischen Feldern und den vermuteten biologi-


schen Auswirkungen. Elektrosensibilität kann so<strong>mit</strong><br />

auch eine besondere, von der klinischen IEI unabhängige<br />

Verhaltenssituation sein.<br />

In neun Ländern (Europa & Japan) sind Forschungsprojekte<br />

zu IEI in Zusammenhang <strong>mit</strong> EMF und verwandten<br />

Faktoren angel<strong>auf</strong>en oder bereits abgeschlossen.<br />

In Großbritannien l<strong>auf</strong>en 5 Provokationsstu<strong>die</strong>n<br />

zum Thema IEI und Hochfrequenz.<br />

Kasuistiken, wie <strong>die</strong> klinische Diagnose und Behandlung<br />

einzelner Fälle von <strong>auf</strong> Hochfrequenzstrahlung<br />

zurückgeführter IEI sind problematisch, zumal sie <strong>auf</strong><br />

Selbstaussagen der Betroffenen basieren.<br />

In ihren Empfehlungen spricht sich <strong>die</strong> WHO für <strong>die</strong><br />

Förderung weiterer Forschungsarbeiten zum Zusammenhang<br />

zwischen EMF and IEI aus; <strong>die</strong> Entwicklung von<br />

<strong>Stand</strong>ardverfahren der medizinischen Untersuchung soll<br />

vereinfacht und es sollen geeignete Instrumente zur<br />

Informationssammlung und für <strong>die</strong> Kommunikation und<br />

den Dialog <strong>mit</strong> den Betroffenen entwickelt werden. Anmerkungen<br />

dazu bitte an emfproject@who.int.<br />

Zwei „hypersensible“ Sprecher betonten, ihre Erkrankung<br />

sei als eine Behinderung zu werten, da sie ernsthafte<br />

Beschwerden verursache und zu Arbeitsunfä-<br />

higkeit führe. Sie forderten <strong>die</strong> Anerkennung der <strong>mit</strong><br />

EMF-Exposition assoziierten subjektiven Symptomatik<br />

als Behinderung durch <strong>die</strong> WHO. Ihre Äußerungen waren<br />

der Schlusspunkt der zweitätigen offenen Aussprache<br />

<strong>mit</strong> Vorträgen, Postern und Podiumsdiskussionen.<br />

Die britische Strahlenschutzbehörde NRPB hat eine<br />

Stu<strong>die</strong> zu <strong>auf</strong> EMF-Exposition zurückgeführten subjektiven<br />

Symptomen in Auftrag gegeben und arbeitet<br />

derzeit an der Entwicklung von Methoden primärer<br />

(Prävention), sekundärer (Prävention) und tertiärer (Behandlung)<br />

Intervention.<br />

Tagung der Arbeitsgruppen<br />

Die nicht-öffentliche Sitzung der Arbeitsgruppen am<br />

dritten Tag der Konferenz wurde von Dr. Michael Repacholi<br />

geleitet. Drei Untergruppen (working subgroups<br />

– WSG) wurden ins Leben gerufen. Prof. Lena Hillert<br />

war <strong>die</strong> Leiterin der Untergruppe zu medizinischer Klassifikation,<br />

Diagnose und Behandlung. Prof. Norbert<br />

Leitgeb leitete <strong>die</strong> Untergruppe Forschungsbedarf. Die<br />

Leiterin der Untergruppe „Strategien staatlicher Behörden“<br />

und „Kommunikation <strong>mit</strong> den Betroffenen“<br />

war Dr. Jill Meara.<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

9


T a g u n g e n<br />

WSG 1: Medizinische Klassifizierung: Auf EMF-Exposition<br />

zurückgeführte IEI ist eine psychologische Störung,<br />

zum Beispiel eine Angststörung. Die Diagnose<br />

basiert <strong>auf</strong> Selbstaussagen der Betroffenen zu ihrer<br />

Symptomatik. Ebenso basiert <strong>die</strong> Behandlung <strong>auf</strong><br />

Selbstaussagen der Patienten zu ihrer Symptomatik.<br />

Wird ganz allgemein EMF in der Umwelt als auslösender<br />

Faktor betrachtet, dann wäre eine erste Behandlung<br />

un<strong>mit</strong>telbar durch Maßnahmen des Umweltschutzes<br />

gegeben. Die Behandlung angegebener spezifischer<br />

Auslöser der <strong>mit</strong> EMF assoziierten Symptomatik<br />

beinhaltet Stressreduktion und den Abbau belastender<br />

Umweltfaktoren. Je nach Diagnose sollte eine<br />

Kognitionstherapie zur Angstreduktion in Betracht<br />

gezogen werden. Der Arzt könnte in der Sprechstunde<br />

Informationen zu aktuellen Expositionssituationen,<br />

Messungen und potenziell nutzbaren alternativen<br />

Geräten (LCD-Bildschirme, Freisprechanlagen) bereitstellen.<br />

Außerdem könnten <strong>die</strong> Patienten zur Teilnahme<br />

an Provokationsstu<strong>die</strong>n motiviert werden. <strong>Stand</strong>ards<br />

für Ärzte, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> aktuelle Diagnosen Bezug<br />

nehmen und über Behandlungsmethoden informieren,<br />

sind zu entwickeln.<br />

Eine Funktion des Nervensystems besteht darin, den<br />

Einfluss des intrinsischen Rauschens sowie Einflüsse<br />

externer EMF <strong>auf</strong> Signalübertragung und Signalverarbeitung<br />

im Gehirn zu neutralisieren. Erste Ergebnisse<br />

deuten <strong>auf</strong> einen Zusammenhang von Störungen<br />

des vegetativen Nervensystems, erhöhter sensorischer<br />

Reaktivität und physischen Beeinträchtigungen<br />

der menschlichen Haut und <strong>auf</strong> EMF-Expositionen<br />

zurückgeführte IEI hin.<br />

WSG 2: Provokationsstu<strong>die</strong>n sind erforderlich zur Bestimmung<br />

der <strong>mit</strong> EMF-Exposition assoziierter IEI<br />

zugrunde liegenden Reiz-Reaktions-Beziehungen. Die<br />

Unterschiede in der IEI-Symptomatik zwischen elektromagnetischen<br />

und psychologischen/psychophysiologischen<br />

Symptomen sollten <strong>mit</strong> Hilfe doppelt verblindeter,<br />

placebokontrollierter Crossover-Stu<strong>die</strong>n herausgearbeitet<br />

werden, unter Einbeziehung psychiatrischer<br />

Kontrollgruppen <strong>mit</strong> ähnlicher Symptomatik<br />

und Positivkontrollen, z. B. Lärm in der Umwelt. Berücksichtigt<br />

werden sollten in jedem Durchgang <strong>mit</strong><br />

10 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T a g u n g e n<br />

flexiblem Zeitverl<strong>auf</strong> das individuelle Einsetzen der<br />

Reaktion und der Zeitpunkt der Entspannung (nach<br />

Selbstbericht). Unbedingt erforderlich sind vali<strong>die</strong>rte<br />

Fragebögen und Testverfahren wie <strong>die</strong> Minnesota<br />

MMPI-2 und <strong>die</strong> SCL9OR Symptom-Checklisten. Nach<br />

Meinung der Arbeitsgruppen könnten WHO und<br />

COST281 hier Kooperationen fördern; vorhandene Datenpools<br />

würden für aussagekräftigere Ergebnisse<br />

sorgen. Demgegenüber sind epidemiologische Stu<strong>die</strong>n<br />

zum jetzigen Zeitpunkt nicht sinnvoll.<br />

WSG 3: Politischer Handlungsbedarf. Nach Beschluss<br />

der Arbeitsgruppe soll <strong>die</strong> WHO ein allgemeines Factsheet<br />

erarbeiten. Alle bekannten Symptome fallen unter<br />

<strong>die</strong> Klassifikationen von IEI und somatoformen<br />

Störungen; zudem liegen keine Beweise für einen kausalen<br />

Zusammenhang <strong>mit</strong> EMF vor. Erst recht gibt es<br />

keinen Beweis für einen Zusammenhang zwischen<br />

<strong>die</strong>sen Symptomen und spezifischen Krankheiten.<br />

Zugrunde liegende körperliche Erkrankungen müssen<br />

durch eine konventionelle medizinische Untersuchung<br />

ausgeschlossen werden. Die WG regte an <strong>die</strong> Häufigkeit<br />

vorkommender Symptome (im geschichtlichen<br />

Verl<strong>auf</strong>) in der Allgemeinbevölkerung untersuchen zu<br />

lassen. Nach Aussagen von Betroffenen sei eine Genesung<br />

möglich, wenn sich <strong>die</strong> Umstände ändern. In<br />

Informationsmaterial sollte vor kommerziellen Produkten<br />

zur EMF-Abschirmung gewarnt; und auch von eigenen<br />

Messungen häuslicher Belastung abgeraten<br />

werden. Intensiv sollten <strong>die</strong> Patienten noch einmal<br />

über physikalische Grundlagen <strong>auf</strong>geklärt werden<br />

(besonders nicht-ionisierende und ionisierende Strahlung).<br />

Hier sei nur am Rande bemerkt, dass ein dringender<br />

Bedarf nach einem grundlegenden Dokument<br />

zu den Themen Vorhersage von Technologiefolgen,<br />

Förderung des Dialogs und ausgewogener Information<br />

besteht. Man beachte zum Beispiel <strong>die</strong> Unterschiede<br />

in der Einstellung gegenüber neuen Arznei<strong>mit</strong>teln<br />

vor der Markteinführung und während der nachfolgenden<br />

Überwachung. Die Gruppe stellt auch <strong>die</strong> Frage:<br />

„Könnten Beschwerdenregister in <strong>die</strong>sem Zusammenhang<br />

eine nützliche Rolle spielen?“<br />

Weiter wird angeregt, dass <strong>die</strong> Schulung von Ärzten<br />

schon an der Universität beginnen sollte. Dafür soll-


ten Experten internationale <strong>Stand</strong>ards für Ärzte <strong>mit</strong><br />

Informationen zu aktuellen Diagnosen und Behandlung<br />

entwickeln. Zusätzlich sollten <strong>die</strong> Regierungen<br />

ein maßgeschneidertes Informationsmaterial für niedergelassene<br />

Ärzte bereitstellen.<br />

Folgende Aussagen sollten an Regierungen und politische<br />

Mandatsträger gestellt werden: Patienten leiden<br />

unter realen Symptomen, <strong>die</strong> sie <strong>auf</strong> EMF zurückführen.<br />

Nach heutigem Erkenntnisstand gibt es jedoch<br />

keinen Hinweis <strong>auf</strong> einen kausalen Zusammenhang.<br />

Es besteht demnach keine Veranlassung, <strong>auf</strong><br />

EHS zurückgeführte IEI als ein diagnostisches Kriterium<br />

für <strong>die</strong> Zuerkennung des Behindertenstatus einzuführen.<br />

Die Symptome von IEI könnten jedoch in<br />

den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Es gibt<br />

ferner keinen Hinweis dar<strong>auf</strong>, dass eine niedrigere<br />

Dosierung <strong>die</strong> <strong>auf</strong> EMF-Exposition zurück geführten<br />

Symptome mildert. Von eigenen Messungen häuslicher<br />

Belastung ist abzuraten. Geeignete Formen der<br />

Interaktion <strong>mit</strong> Selbsthilfegruppen sollten aus Gründen<br />

der nicht befriedigenden Messausführungen und<br />

Kostengründen unter Anleitung der WHO entwickelt<br />

werden. Regierungen sollten IEI in ihre Strategien der<br />

Risikokommunikation einbeziehen.<br />

Ergebnis der Konferenz. Wie aus den Schlusspräsentationen<br />

der Arbeitsgruppen deutlich wurde, bestand<br />

in vielen behandelten Punkten breiter Konsens. Wie<br />

Dr. Repacholi erfreut feststellte, wurden unerwartete<br />

Fortschritte in der Frage IEI und EMF erzielt. Nach<br />

Fertigstellung werden <strong>die</strong> dann schriftlichen Berichte<br />

der Arbeitsgruppen eingesammelt, und Dr. Mild wird<br />

den vorliegenden Bericht als Teil einer Übersichtsarbeit<br />

zur <strong>Publikation</strong> in einer ‘peer-reviewed’ Zeitschrift<br />

einreichen. Die Diavorträge der Redner werden <strong>auf</strong><br />

der WHO-Konferenzseite im Internet abrufbar sein.<br />

Alle Beiträge der Konferenz werden in einem „Conference<br />

Proceedings Book“ der WHO verfügbar gemacht.<br />

Außerdem wird <strong>die</strong> WHO, wie oben berichtet, ein Factsheet<br />

zu IEI und EMF herausgeben; <strong>die</strong> Ergebnisse der<br />

Konferenz erscheinen in der Reihe der EMF-Monografien.<br />

Die Empfehlungen zu weiterführender Forschung<br />

werden in Kürze <strong>auf</strong> der Website der WHO eingestellt.<br />

Die kommende Tagung der IAC wird sich weiter <strong>mit</strong><br />

den empfohlenen <strong>Stand</strong>ards für Kliniker, dem politischem<br />

Handlungsbedarf, Informationsbedarf und den<br />

Empfehlungen zu weiterführender Forschung zu IEI<br />

und EMF auseinandersetzen.<br />

Kommentar<br />

Die WHO und <strong>die</strong> unterstützenden Organisationen haben<br />

Mut bewiesen <strong>mit</strong> der Organisation <strong>die</strong>ser Konferenz.<br />

Sie haben ein „heißes Eisen“ ohne Vorurteile<br />

angepackt. Sie haben Fachleute und – sehr wichtig<br />

und lobenswert – auch Betroffene zu Wort kommen<br />

lassen. Nicht alle angesprochenen Punkte konnten<br />

<strong>mit</strong> ungeteilter Zustimmung und gemeinsamen Verständnis<br />

rechnen, zu unterschiedlich waren <strong>die</strong> Ansichten.<br />

Aber man hat <strong>mit</strong>einander gesprochen: <strong>die</strong><br />

fehlenden wissenschaftlich festen Fakten beklagt, <strong>die</strong><br />

Verdächtigungen und <strong>die</strong> Leidensgeschichten der –<br />

nach eigenem Zeugnis – Betroffenen gehört und erste<br />

Ansätze einer möglichen weiteren Differenzierung<br />

ausgelotet. Klar geworden ist, dass es bisher keinen<br />

wissenschaftlich kausal belegten Beweis für IEI gibt.<br />

Alle Beteiligten unterstrichen erneut <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

von Provokationsstu<strong>die</strong>n.<br />

Prof. Dr. med. Reinhold Berz ist im Vorstand von NIRMED.<br />

Dr.-Ing. Gerd Friedrich ist Geschäftsführer der FGF.<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

11


T a g u n g e n<br />

„Erhöhen Hochfrequenzf<br />

Lutz Haberland<br />

12 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Schriesheim/bei Heidelberg, 15.-17. November 2004 –<br />

Kurzbericht zum FGF-Workshop:<br />

T a g u n g e n<br />

Kreb<br />

Das Treffen wurde von der FGF in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> dem Landesministerium für Umwelt und Verkehr<br />

Baden-Württemberg, der europäischen Forschungsinitiative COST 281 und dem europäischen<br />

Koordinierungs-Konsortium EMF-NET organisiert. Es nahmen insgesamt 56 Personen aus 11 Staaten teil,<br />

hauptsächlich Forscher, <strong>die</strong> sich <strong>mit</strong> <strong>die</strong>sem Thema beschäftigen, sowie Vertreter öffentlicher<br />

Institutionen und Mitglieder der FGF.


elder das<br />

srisiko?“<br />

Gerd Friedrich (Geschäftsführer der FGF) und Norbert<br />

Leitgeb (Vorsitzender von COST 281) begrüßten <strong>die</strong><br />

Teilnehmer. Die folgenden zweieinhalb Tage waren<br />

geprägt von Vorträgen und Diskussionen zu epidemiologischen<br />

und Langzeit-Versuchen <strong>mit</strong> Tieren zum<br />

Thema Hochfrequenzfelder und Krebs. Übersichtsweise<br />

wurde <strong>auf</strong> allgemeine Risikofaktoren von Krebserkrankungen,<br />

methodische Aspekte in der Epidemiologie<br />

und <strong>auf</strong> gentoxische Untersuchungen des Einflusses<br />

hochfrequenter Felder eingegangen.<br />

Letzteres war Thema des Einführungsvortrages von<br />

Martin Meltz (University of Texas, USA). Die Durchsicht<br />

der bislang publizierten Ergebnisse brachte ihn<br />

zu dem Schluss, dass „für eine große Vielfalt von HF-<br />

Frequenzen und Modulationen, bei Expositionsstärken<br />

etwas oberhalb, entsprechend oder unterhalb gegenwärtiger<br />

internationaler Richtlinien, Hochfrequenzstrahlung<br />

<strong>die</strong> Entwicklung von Tumoren weder induziert<br />

noch fördert“. Diese Aussage fand Zustimmung<br />

aber auch Kritik unter den Teilnehmern. Insbe-sondere<br />

Franz Adlkofer (Verum Foundation, München) konnte<br />

sich <strong>die</strong>ser Stellungnahme nicht anschließen, da<br />

mehrere Labors im von ihm koordinierten REFLEX-<br />

Projekt gentoxische Effekte hochfrequenter Felder<br />

gefunden hätten. Diese Ergebnisse konnten bislang<br />

aber noch nicht „peer-reviewed“ veröffentlicht und<br />

deshalb auch nicht im Vortrag von Martin Meltz berücksichtigt<br />

werden. Ein weiterer Punkt, der in der<br />

anschließenden Diskussion angesprochen wurde, war<br />

<strong>die</strong> generelle Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit, <strong>die</strong><br />

Sicherheit einer Technologie wissenschaftlich zu beweisen.<br />

Hagen Scherb (GSF-Institut für Biomathematik und<br />

Biometrie, Neuherberg) gab einen Überblick zu Methoden<br />

in der Epidemiologie. Es wurden <strong>die</strong> verschie-<br />

denen Arten epidemiologischer Stu<strong>die</strong>n wie z. B. ökologische,<br />

Kohorten- und Fall-Kontroll-Stu<strong>die</strong>n und ihre<br />

Anwendbarkeit vorgestellt, dazu <strong>die</strong> Probleme von systematischen<br />

Fehlern (Bias, Confounding) und <strong>die</strong> Notwendigkeit<br />

einer klaren Statistik.<br />

Die bislang veröffentlichten epidemiologischen Stu<strong>die</strong>n<br />

zu Hochfrequenzfeldern und Krebs beleuchtete Brigitte<br />

Schlehofer (Deutsches Krebsforschungszentrum,<br />

Heidelberg). Ein erhöhtes Risiko für <strong>die</strong> Nutzung digitaler<br />

Mobilfunkgeräte konnte bisher nicht gefunden<br />

werden, allerdings ist <strong>die</strong> Zeit seit der Einführung<br />

<strong>die</strong>ser Geräte auch eher zu kurz um einen Einfluss<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Krebsentstehung zu entdecken. Für <strong>die</strong> schon<br />

länger in Gebrauch befindlichen analogen Apparate<br />

gibt es einen möglichen Risikoanstieg bei mehr als<br />

zehnjähriger Nutzung, aber auch hier können noch<br />

keine definitiven Schlüsse gezogen werden – dazu<br />

wird vor allem <strong>die</strong> noch l<strong>auf</strong>ende INTERPHONE-Stu<strong>die</strong><br />

abgewartet. Die epidemiologische Untersuchung eines<br />

möglichen Einflusses von Basisstationen scheiterte<br />

bislang an der ungeklärten Erfassung der reellen<br />

Exposition. Joe Wiart (France Telecom, Paris)<br />

merkte dazu an, dass inzwischen ein Personen-Dosimeter<br />

zur Verfügung steht. Die Ergebnisse der Untersuchungen<br />

zur Krebshäufigkeit in der Nähe von Radio-<br />

und Fernsehsendern erlauben ebenfalls keine<br />

klare Aussage.<br />

Maria Feychting (Karolinska Institutet, Stockholm)<br />

berichtete über <strong>die</strong> kurz zuvor von ihrer Arbeitsgruppe<br />

veröffentlichten Ergebnisse zum Einfluss von Mobilfunkgeräten<br />

und DECT-Telefonen <strong>auf</strong> das Auftreten<br />

des akustischen Neuroms, eines gutartigen Hörnervtumors.<br />

Es konnte nur dann ein Zusammenhang gefunden<br />

werden, wenn der Handy-Gebrauch mindestens<br />

zehn Jahre dauerte und vorwiegend an derselben Sei-<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

13


T a g u n g e n<br />

te stattfand, an der dann auch der Tumor <strong>auf</strong>trat. Die<br />

Art der statistischen Auswertung wurde in der Diskussion<br />

von Sheila Johnston (London, Großbritannien)<br />

und Hagen Scherb kritisiert.<br />

Zu den Arbeiten einer anderen schwedischen Arbeitsgruppe<br />

um Lennart Hardell sprach Kjell Hansson Mild<br />

(Arbetslivsinstitutet, Umea). Auch <strong>die</strong>se Gruppe konnte<br />

eine statistische Korrelation zwischen Handy-Gebrauch<br />

und Gehirntumor vor allem nur dann finden, wenn <strong>die</strong><br />

Nutzungsdauer zehn Jahre überstieg. Wiederum gab<br />

es kritische Diskussionen zur Statistik der Auswertungen.<br />

Der geplante Vortrag von Horst Eger (Naila, Deutschland)<br />

zur sogenannten „Naila-Stu<strong>die</strong>“ wurde leider<br />

kurzfristig zurückgezogen.<br />

Die Diskussion zu den epidemiologischen Arbeiten<br />

leitete Jürgen Kiefer (Universität Giessen). Eine Zusammenfassung<br />

gab Maria Feychting (in Zusammenarbeit<br />

<strong>mit</strong> Gabi Berg, Uni Bielefeld, und Eva Böhler, Uni<br />

Mainz). Sie kamen dabei zu folgenden Schlüssen:<br />

Stu<strong>die</strong>n zu Radio- und Fernsehsendern haben eine<br />

grobe Expositionsabschätzung und geringe Fallzahlen,<br />

Vorliegende Stu<strong>die</strong>n zum Handygebrauch fanden<br />

überwiegend keinen Effekt, jedoch ist <strong>die</strong> Anzahl<br />

der Langzeitnutzer zu klein, um Schlussfolgerungen<br />

zu ziehen, und<br />

Die l<strong>auf</strong>ende INTERPHONE-Stu<strong>die</strong> wird (hoffentlich)<br />

genügend große Fallzahlen bringen, um Aussagen<br />

14 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T a g u n g e n<br />

zur Abhängigkeit von Gehirntumoren von Handynutzung<br />

zu erlauben.<br />

Diese Meinungen wurden im wesentlichen von den<br />

Teilnehmern geteilt. Kontroverse Diskussionen gab<br />

es zu den angewandten statistischen Verfahren bei<br />

der Auswertung.<br />

Eine Übersicht zu Risikofaktoren an Krebs zu erkranken<br />

und möglichen Präventionsmaßnahmen wurde von<br />

Peter Wust (Charité Berlin) vorgestellt. Ein interessanter<br />

Aspekt <strong>die</strong>ses Vortrags war, dass durch Änderungen<br />

in der Lebensführung (Rauchen, Ernährung,...)<br />

größere Erfolge in der Krebsbekämpfung zu erwarten<br />

sind, als durch eine verbesserte Krebsdiagnostik.<br />

Der nächste Abschnitt war Langzeit-Tierstu<strong>die</strong>n (in vivo)<br />

gewidmet. Einen Überblick hierzu gab Alexander Lerchl<br />

(Internationale Universität Bremen). Er identifizierte<br />

insgesamt 22 Stu<strong>die</strong>n zum Thema Krebsrisiko und Hochfrequenz-Exposition,<br />

wobei <strong>die</strong> Mehrzahl keinen Zusammenhang<br />

finden konnte. Allerdings offenbart ein Großteil<br />

der Experimente Probleme <strong>mit</strong> der Expositionsbestimmung<br />

und der angewandten Statistik, sowie eine zu geringe<br />

Anzahl untersuchter Tiere. Solche Stu<strong>die</strong>n wurden<br />

deshalb von ihm als „nicht beweiskräftig“ eingestuft.<br />

Päivi Heikkinen (University of Kuopio, Finnland) berichtete<br />

von den Untersuchungen ihrer Arbeitsgruppe<br />

zum kombinierten Einfluss von Hochfrequenzfeldern<br />

und UV- bzw. Röntgenstrahlen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Krebsentstehung<br />

bei Mäusen. Ein signifikanter Beitrag der HF-<br />

Felder konnte dabei nicht entdeckt werden. Den Ein-


fluss von HF-Feldern <strong>auf</strong> genetisch veränderte Mäuse<br />

untersuchten Tim Kuchel (Institute of Veterinary Science,<br />

Adelaide, Australien) und Mitarbeiter. Sie fanden<br />

keinen Zusammenhang und konnten da<strong>mit</strong> <strong>die</strong><br />

Ergebnisse einer vorangegangenen Stu<strong>die</strong> (Repacholi<br />

et al.) nicht bestätigen.<br />

Ein zweiter Replikationsversuch <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> läuft<br />

zur Zeit in Italien. Vorläufige Ergebnisse berichtete<br />

Germano Oberto (Istituto di Ricerche Biomediche,<br />

Colleretto Giacosa).<br />

Zu Experimenten der Gruppe um Joe Roti Roti (University<br />

of Washington, St. Louis, USA) zum Einfluss von<br />

Mobilfunksignalen <strong>auf</strong> spontane Tumore in Ratten informierte<br />

Mays Swicord (Motorola, Ft. Lauderdale,<br />

USA) <strong>die</strong> Teilnehmer. Auch bei <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> konnte<br />

kein signifikanter Zusammenhang bewiesen werden.<br />

Bernard Veyret (Université Bordeaux I, Frankreich)<br />

präsentierte <strong>die</strong> Ergebnisse der Stu<strong>die</strong>n seiner Arbeitsgruppe.<br />

Die Mehrzahl der untersuchten Parameter erbrachte<br />

keinen Zusammenhang <strong>mit</strong> der HF-Exposition.<br />

Allerdings zeigten einige Experimente z. T. widersprüchliche<br />

Effekte, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund der geringen Anzahl der<br />

untersuchten Tiere und Beschränkungen im Expositionssystem<br />

keine Schlussfolgerungen zuließen.<br />

Eine große Anzahl krebsrelevanter Versuche wurden<br />

im Labor von Carmela Marino (ENEA-BIOTEC, Rom,<br />

Italien) durchgeführt. Dazu zählten Versuche in Petrischalen<br />

(in vitro) und Tierversuche (in vivo). In keinem<br />

<strong>die</strong>ser Experimente konnte bislang ein signifi-<br />

kanter Effekt von Mobilfunkfeldern gefunden werden.<br />

Die anschließende Diskussion zu in vivo-Stu<strong>die</strong>n leitete<br />

Martin Meltz. Er scheiterte, <strong>mit</strong> seinem Versuch,<br />

zumindest für <strong>die</strong> Zelltoxizität von HF-Feldern einen<br />

einheitlichen <strong>Stand</strong>punkt unter den Teilnehmern zu<br />

finden. Zu viele Stu<strong>die</strong>n (u. a. in Österreich, China,<br />

Italien, USA und Deutschland) sind noch nicht abgeschlossen,<br />

um eine abschließende Aussage zu erlauben.<br />

Des weiteren wurde <strong>die</strong> Übertragbarkeit von Ergebnissen<br />

aus Tierversuchen <strong>auf</strong> den Menschen diskutiert,<br />

<strong>die</strong> Notwendigkeit einer guten Statistik und<br />

der Untersuchung einer Dosis-Wirkungsbeziehung.<br />

Dies beinhaltet, <strong>die</strong> Dosis der HF-Felder (SAR-Wert)<br />

auch soweit zu erhöhen, dass man klare (dann<br />

sicherlich auch thermische) Effekte beobachtet, um<br />

Aussagen zu Grenzwerten treffen zu können.<br />

Die Frage wie denn eigentlich HF-Felder unterhalb der<br />

Grenzwerte <strong>auf</strong> biologische Systeme wirken könnten,<br />

wurde in der von Roland Glaser (Humboldt-Universität<br />

Berlin) geleiteten Mechanismus-Diskussion behandelt.<br />

Dazu gab es einführend einen Vortrag von Wulf<br />

Dröge (DKFZ Heidelberg) zur Funktion und Wirkung<br />

von reaktiven Sauerstoff-Spezies (ROS). Diese Radikale<br />

sind an vielen biologischen Signalprozessen beteiligt<br />

und wurden schon häufiger <strong>mit</strong> der Wirkung<br />

elektromagnetischer Felder in Verbindung gebracht.<br />

Dazu gibt es aber bislang keine Beweise, und <strong>die</strong><br />

Forschung dazu steht eher noch am Anfang.<br />

Die von Jürgen Kiefer geleitete abschließende allgemeine<br />

Diskussion begann <strong>mit</strong> einer Zusammenfassung<br />

der in vivo-Stu<strong>die</strong>n durch Jochen Buschmann<br />

(Fraunhofer Institut, Hannover). Die Diskussion erbrachte<br />

wie erwartet keine endgültige Aussage zur<br />

Gefährlichkeit hochfrequenter Felder bezüglich Krebs.<br />

Die bisherigen Untersuchungen deuten zwar eher in<br />

Richtung eines fehlenden Risikos, sind aber insgesamt<br />

nicht aussagekräftig genug. Eine Reihe von Stu<strong>die</strong>n<br />

zum Thema des Workshops läuft noch, und es wird<br />

erwartet, dass ihre Ergebnisse, u. a. <strong>auf</strong>grund von<br />

Verbesserungen im Stu<strong>die</strong>ndesign, eine klarere Aussage<br />

erlauben werden.<br />

Dipl.-Biophysiker Lutz Haberland arbeitet als wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter in der Abteilung Biophysik des Instituts für Zellbiologie<br />

und Biosystemtechnik an der Universität Rostock.<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

15


T a g u n g e n<br />

„ICES/COST 2<br />

Kenneth R. Foster<br />

ICES/<br />

Die Besorgnis in der Öffentlichkeit hinsichtlich der<br />

Hochfrequenzstrahlung (HF) bezieht sich normalerweise<br />

<strong>auf</strong> elektrische Felder. Die bekannten Risiken<br />

von HF-Exposition stehen jedoch in Zusammenhang<br />

<strong>mit</strong> der übermäßigen Erwärmung von Gewebe – was<br />

etwas völlig anderes ist. Vorhersagen zu treffen zu<br />

den daraus resultierenden Temperaturerhöhungen in<br />

Gewebe und den physiologischen Folgen: das war<br />

das Thema eines sehr gelungenen Workshops, der<br />

<strong>vom</strong> 22. bis 24. September von INERIS, einem französischen<br />

Institut für Industrie- und Umweltrisiken in<br />

Verneuil-en-Halatte (im Norden von Paris) ausgerichtet<br />

wurde. Die Konferenz fand direkt im Anschluss an<br />

<strong>die</strong> Pariser Konferenz von COST 281 statt. Gefördert<br />

wurde <strong>die</strong> Veranstaltung von COST 281, der ICES<br />

(Internationale Kommission zur Festlegung von Sicherheitsstandards<br />

für elektromagnetische Felder), von<br />

INERIS und der U.S. Air Force.<br />

Die wissenschaftliche Leitung des Workshops lag in<br />

den Händen von Eleanor R. Adair (eine angesehene<br />

Thermophysiologin und langjähriges Mitglied der ICES).<br />

In den vergangenen zehn Jahren hat Adair an der<br />

Brooks Air Force Base, Texas, eine Reihe bemerkenswerter<br />

Stu<strong>die</strong>n durchgeführt, in denen menschliche<br />

Probanden über einen längeren Zeitraum (45 Minuten)<br />

in HF-Feldern verschiedener Frequenzen exponiert<br />

wurden. Die von der ICNIRP empfohlenen Grenzwerte<br />

wurden dabei deutlich überschritten. Gemes-<br />

16 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T a g u n g e n<br />

sen wurde eine Vielzahl physiologischer Reaktionen,<br />

darunter <strong>die</strong> Schweißproduktion, Anstieg der Körpertemperatur,<br />

Durchblutung der Haut usw. Eines der<br />

Hauptziele des Workshops und Thema mehrerer der<br />

17 eingeladenen Referenten war der Nutzen thermischer<br />

Modelle für <strong>die</strong> Vorhersage physiologischer Wirkungen<br />

solcher Ganzkörperexposition.<br />

Andere Referate beschäftigten sich <strong>mit</strong> dem Temperaturanstieg<br />

in Gewebe bei lokaler Exposition zu HF-<br />

Strahlung. J. J. W. Langendijk (Medizinisches Zentrum,<br />

Universität Utrecht) beschrieb <strong>die</strong> im L<strong>auf</strong>e der<br />

Jahre von ihm und seinen Mitarbeitern entwickelten<br />

detailgenauen anatomischen Modelle zur Planung der<br />

Hyperthermie-Behandlung von Krebspatienten, in deren<br />

Verl<strong>auf</strong> der Körper starker HF-Strahlung ausgesetzt<br />

wird. Joe Wiart (France Telecom) berichtete über<br />

<strong>die</strong> Verwendung einfacherer thermischer Modelle zur<br />

Vorhersage des Temperaturanstiegs im Kopf bei Benutzung<br />

eines Handys.<br />

Warum – so könnte man sich fragen – beschäftigt<br />

man sich <strong>mit</strong> thermischen Reaktionen des Körpers<br />

<strong>auf</strong> HF-Strahlung, wenn <strong>die</strong> Ängste in der Öffentlichkeit<br />

sich doch vor allem <strong>auf</strong> drahtlose Basisstationen<br />

und niederenergetische Mobiltelefone beziehen? Dar<strong>auf</strong><br />

gibt es mehrere Antworten.<br />

Zunächst einmal <strong>die</strong>nen aktuell gültige Grenzwerte<br />

wie <strong>die</strong> von IEEE und ICNIRP (siehe dazu auch ausführlichen<br />

Bericht <strong>auf</strong> Seite 32ff) hauptsächlich der


81 Thermal Workshop“<br />

COST 281<br />

Vermeidung thermischer Risiken. Dennoch liegen über-<br />

raschend wenige Analysen zu Expositionsbedingungen<br />

vor, unter denen es bei unterschiedlichen Umweltbedingungen<br />

zu einer exzessiven Erwärmung<br />

menschlichen Gewebes kommt. Hier sind <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>n<br />

von Adair bahnbrechend in der Untersuchung menschlicher<br />

Exposition gegenüber relativ hoher HF-Strahlung,<br />

der strengen Dosimetrie, Kontrolle der Umweltbedingungen<br />

und der akribischen Messung physiologischer<br />

Reaktionen. Die Durchführung solcher Stu<strong>die</strong>n<br />

ist teuer und schwierig, und <strong>die</strong> Arbeiten von Adair<br />

sind vermutlich <strong>auf</strong> lange Sicht <strong>die</strong> letzten zu <strong>die</strong>sem<br />

Thema. Daher sollte so viel Erkenntnisgewinn wie nur<br />

möglich aus ihnen gezogen und für <strong>die</strong> Entwicklung<br />

der nächsten Generation von Expositionsrichtlinien<br />

nutzbar gemacht werden.<br />

Die aktuellen Grenzwerte für <strong>die</strong> HF-Exposition von<br />

Teilen des Körpers <strong>die</strong>nen dem Zweck der Vermeidung<br />

übermäßiger Erwärmung (wichtig für <strong>die</strong> Hersteller<br />

von Handys). Sinn der Tagung und der Überlegungen<br />

war es, Grenzwerte für Handys zu entwickeln, <strong>die</strong><br />

sowohl „leicht handhabbar“ sind als auch einen ausreichenden<br />

Schutz für <strong>die</strong> Nutzer gewährleisten. Die<br />

bisher recht umfangreichen SAR-Messungen stellen<br />

einen hohen Prüf<strong>auf</strong>wand an <strong>die</strong> Hersteller.<br />

Die wissenschaftliche Literatur ist voll von Berichten<br />

über biologische Effekte von HF-Strahlung, für <strong>die</strong> es<br />

z. T. keine Erklärung gibt. Die Forscher behaupten<br />

oft, solche Effekte seien „nicht thermisch“, haben es<br />

aber häufig versäumt, <strong>die</strong> während der Exposition<br />

<strong>auf</strong>tretenden Temperaturerhöhungen zu messen. Das<br />

lässt <strong>die</strong> Vermutung <strong>auf</strong>kommen, bei den berichteten<br />

“nicht thermischen“ Effekten handle es sich um Einflüsse<br />

thermischer Artefakte. Eine sorgfältige Analyse<br />

wäre hilfreich, um <strong>die</strong> Verlässlichkeit solcher Stu<strong>die</strong>n<br />

zu erhöhen.<br />

Alles in allem sind <strong>die</strong> thermischen Effekte drahtloser<br />

Kommunikationstechnologie sehr gering. Wie Joe<br />

Wiart in seiner Stu<strong>die</strong> zur thermischen Modellbildung<br />

herausgefunden hat, führen <strong>die</strong> HF-Emissionen eines<br />

Handys im Kopfgewebe zu einem Temperaturanstieg<br />

von ungefähr 0,1°. Das Halten eines Handgeräts an<br />

den Kopf erzeugt einen Temperaturanstieg von 2 Grad,<br />

da das Plastikgehäuse thermoisolierend wirkt. Man<br />

könnte das Handy also theoretisch dazu benutzen,<br />

sich bei kaltem Wetter den Kopf zu wärmen – aber<br />

letztlich wäre <strong>die</strong> gute alte Wollmütze wohl immer<br />

noch viel effektiver.<br />

Dank der Organisation vor Ort, für <strong>die</strong> René de Sèze<br />

von INERIS verantwortlich zeichnete, war <strong>die</strong> Teilnahme<br />

an dem Workshop <strong>mit</strong> den vielen interessanten<br />

Sachbeiträgen ein reines Vergnügen und ein hoher<br />

Erkenntnisgewinn.<br />

Prof. Dr. Kenneth R. Foster ist tätig an der Universität<br />

von Pennsylvania/USA.<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

17


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Roland Glaser<br />

18 NEWS 18 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

hochfrequen<br />

Die Zusammenfassung einer Stellungnahme aus Sicht der WHO<br />

(K. R. Foster und M.H. Repacholi, Radiation Research 162,<br />

219-225, 2004)<br />

FM<br />

(frequenzmoduliert)<br />

Spielen Modulation<br />

bei bio<br />

Frequenz (Hz)<br />

Frequenzmodulierte (FM) und amplitudenmodulierte (AM) Funkwellen<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Amplitude<br />

AM<br />

(amplitudenmoduliert)<br />

AM-gepulst


en eine Rolle<br />

logischen Effekten<br />

ter Felder?<br />

Obgleich <strong>die</strong> meisten Hochfrequenzfelder, denen <strong>die</strong><br />

Bevölkerung derzeit durch verschiedene technische<br />

Einrichtungen ausgesetzt ist, moduliert oder gepulst<br />

sind, bezieht sich nur ein kleiner Teil der Untersuchungen<br />

über mögliche biologische Feldeffekte <strong>auf</strong><br />

solche Modulationen. Auch <strong>die</strong> Grenzwerte, empfohlen<br />

von internationalen Expertenkommissionen, wie<br />

der Internationalen Kommission zum Schutz vor nichtionisierender<br />

Strahlung (ICNIRP) oder dem Institut für<br />

Elektro- und Elektronik-Ingenieure (IEEE), zumeist <strong>vom</strong><br />

nationalen Gesetzgeber übernommen und in den meisten<br />

Ländern gültig, berücksichtigen <strong>die</strong>ses Problem<br />

nicht. Lediglich für extrem kurze Pulse hoher Intensität,<br />

wie sie im militärischen Bereich verwendet werden,<br />

sind Sonderregelungen definiert.<br />

Entsprechend der Empfehlung des Internationalen EMF-<br />

Projektes der WHO, in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> der ICNIRP,<br />

ist für <strong>die</strong> Jahre 2006 bis 2007 eine umfassende Risikoabschätzung<br />

möglicher Gesundheitsgefährdungen<br />

von Hochfrequenzfeldern geplant. Diese soll auch das<br />

Problem der Modulationen einbeziehen. Ohne den Ergebnissen<br />

<strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> vorzugreifen, fassten der Physiker<br />

Kenneth R. Foster und der Biologe Michael H.<br />

Repacholi einige Gedanken dazu zusammen. K. Foster<br />

(University of Pennsylvania, USA), ehemaliger Mitarbeiter<br />

von Herman Schwan, dem Altmeister <strong>auf</strong> dem<br />

Gebiet der Forschung über biologische Feldeffekte,<br />

hat sich als Experte <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Gebiet längst einen<br />

Namen gemacht. Der Australier Michael H. Repacholi,<br />

den meisten bekannt durch <strong>die</strong> 1997 publizierten Experimente<br />

an gen-manipulierten Mäusen, ist seit vielen<br />

Jahren Mitarbeiter der WHO in Genf.<br />

Im Mittelpunkt <strong>die</strong>ser Erörterungen steht <strong>die</strong> Frage<br />

nach einer sinnvollen Forschungsstrategie. Welchen<br />

Arbeitshypothesen kann man folgen? Welchen experimentellen<br />

Hinweisen sollte man nachgehen? Wie<br />

ist der begrenzte Etat der Forschungs<strong>mit</strong>tel am effektivsten<br />

einzusetzen? – Es muss immerhin beachtet<br />

werden, dass experimentelle Forschung sehr teuer<br />

ist. Will man sicher sein, dass <strong>die</strong> er<strong>mit</strong>telten Aussagen<br />

einen hohen Grad an Zuverlässigkeit <strong>auf</strong>weisen,<br />

dann sind große Versuchsserien erforderlich. Geht<br />

man von der Arbeitshypothese aus, dass Hochfrequenzfelder<br />

spezifisch durch ihre Modulationen wirken,<br />

dann eröffnet sich eine ungeheuere Vielzahl von<br />

Varianten. Die Notwendigkeit, für jede <strong>die</strong>ser Varianten<br />

eine Dosis-Effekt-Kurve der Wirkung <strong>auf</strong>zunehmen,<br />

steigert <strong>die</strong> Anzahl erforderlicher Experimente noch weiter.<br />

Ohne ein gutes Konzept ist deshalb eine effektive<br />

Forschung <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem Gebiet gar nicht möglich.<br />

Was bedeutet eigentlich Modulation und welche Arten<br />

von Modulationen sind in der Technik derzeit gebräuchlich?<br />

Prinzipiell geht es darum, einem sinusförmigen<br />

Trägersignal, im Mobilfunk sind das etwa<br />

900 bzw. 1800 MHz, eine niederfrequente Information<br />

<strong>auf</strong>zuprägen, etwa eine Schwingung im Frequenzbereich<br />

des hörbaren Schalles. Dies ist prinzipiell<br />

dadurch möglich, indem man <strong>die</strong> Amplitude der Trägerschwingung<br />

im Takt der Niederfrequenz variiert,<br />

man spricht dann von Amplitudenmodulation.<br />

Andererseits kann man auch <strong>die</strong> Hochfrequenz selbst<br />

im Rhythmus und Betrag der Niederfrequenz variieren.<br />

Diese bei der Ko<strong>die</strong>rung der Mobilfunk-Signale<br />

verwendete Technik wird Frequenzmodulation genannt.<br />

Wenn <strong>auf</strong> <strong>die</strong>se Weise zum Beispiel ein 10 kHz Signal<br />

einem 900 MHz-Träger <strong>auf</strong>geprägt wird, dann schwingt<br />

dessen Frequenz folglich von 899,99 bis 900,01 Hz,<br />

also lediglich um etwa 0,01 Promille.<br />

Es ist schwer vorstellbar, dass <strong>die</strong>se geringen Schwankungen<br />

der Trägerfrequenz eine spezifische biologische<br />

Wirkung haben könnten. Zusätzlich kommt jedoch<br />

beim Mobilfunk <strong>die</strong> Pulsierung des Signals hinzu.<br />

Ein gepulstes Hochfrequenzsignal kann man sich<br />

vorstellen, wie eine spezielle Art der Amplitudenmodulation.<br />

Es gleicht der Überlagerung einer hochfrequenten<br />

Sinus-Schwingung durch eine niederfrequen-<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

19


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

te Pulsfolge. Im europäischen GSM-System werden<br />

Pulse einer Länge von 0,577 Millisekunden in einer<br />

Folge von 217 Hz gesendet.<br />

Im Unterschied zur Frequenzmodulation ist eine spezifische<br />

biologische Wirkung der Amplitudenmodulation,<br />

besonders natürlich aber der Pulsierung, prinzipiell<br />

vorstellbar. Wie könnte <strong>die</strong>s erfolgen? Eine Möglichkeit<br />

wäre eine Demodulation im biologischen System,<br />

welches zum Auftreten eines niederfrequenten<br />

Feldes führen würde. Dies setzt bestimmte nichtlineare<br />

Wechselwirkungen voraus, Wechselwirkungen <strong>mit</strong><br />

Vorgängen, <strong>die</strong> schnell genug wären, <strong>auf</strong> <strong>die</strong> hochfrequenten<br />

Trägerfrequenzen zu reagieren. Es sind<br />

allerdings keine plausiblen biophysikalischen Vorgänge<br />

<strong>die</strong>ser Art bekannt, insbesondere wenn man <strong>die</strong><br />

geringen Intensitäten der Felder berücksichtigt. Demnach<br />

ist nicht vorstellbar, und auch experimentell nicht<br />

nachgewiesen, dass niederfrequente Felder als Resultat<br />

einer Demodulation von Hochfrequenzfeldern<br />

in biologischen Systemen <strong>auf</strong>treten. Niederfrequente<br />

Felder könnten höchstens direkt aus dem Betriebssystem<br />

des Handys stammen, <strong>die</strong>se sind jedoch nachweislich<br />

außerordentlich schwach.<br />

Wenn auch nicht vorstellbar ist, dass amplitudenmodulierte<br />

oder gepulste Hochfrequenzfelder im Körper<br />

zu niederfrequenten Feldern demoduliert werden, so<br />

können sie doch andersartige Effekte in niederfrequenter<br />

Folge erzeugen. So ist zum Beispiel seit langem<br />

das Hören niederfrequent gepulster starker Hochfrequenzfelder<br />

bekannt. Treffen starke Radarpulse das<br />

Gehirn, so sind sie <strong>mit</strong>unter als eine Art Klicken zu<br />

hören. Der Mechanismus <strong>die</strong>ses Vorganges ist klar:<br />

Im Takt der eintreffenden Wellenpakete erfolgt eine<br />

Erwärmung des Gewebes, gefolgt von einer periodischen<br />

Ausdehnung. Dies führt zu mechanischen<br />

Schwingungen im Kopf, <strong>die</strong> als Schall wahrgenommen<br />

werden. Die Pulse eines Handys reichen dafür<br />

allerdings nicht aus.<br />

Welche andere Möglichkeiten gäbe es, eine Spezifik<br />

modulierter Hochfrequenzfelder zu postulieren? In den<br />

70-er und 80-er Jahren kursierte <strong>die</strong> von dem<br />

inzwischen in hohem Alter verstorbenen deutschen<br />

Physiker H. Fröhlich formulierte Theorie kohärenter<br />

Oszillationen (siehe z. B. Fröhlich und Kremer 1983).<br />

Diese postulierte, dass sich in Proteinen, <strong>die</strong> im star-<br />

20 NEWS 20 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

ken Gleichfeld der Zellmembran elektrisch ausgerichtet<br />

sind und sich darüber hinaus durch ihre Funktion<br />

im ausgelenkten thermodynamischen Gleichgewicht<br />

befinden, selbst unter dem Einfluss schwacher Felder<br />

noch Resonanzen <strong>auf</strong>schaukeln könnten, <strong>die</strong> ihre<br />

Funktion periodisch beeinflussen. Obgleich auch heute<br />

immer wieder zitiert, ist jedoch spätestens seit der<br />

Arbeit von R. K. Adair (2002) klar, dass <strong>die</strong>ser Mechanismus<br />

nicht funktioniert, berücksichtigt man <strong>die</strong><br />

reale Viskosität biologischen Materials. Die Dämpfung<br />

des allgegenwärtigen Wassers verhindert jede<br />

Resonanzerscheinung <strong>die</strong>ser Art.<br />

Verschiedentlich wurden auch Modelle postuliert, <strong>die</strong><br />

eine spezielle Wirksamkeit niederfrequenter Modulationen<br />

<strong>auf</strong> das System des Kalzium-Transportes in<br />

Zellen, insbesondere in Nervenzellen, vorsah. Eine<br />

<strong>die</strong>sbezüglich immer wieder zitierte Untersuchung<br />

wurde von S. M. Bawin et al. in den Jahren 1973 bis<br />

78 publiziert. In <strong>die</strong>ser wird <strong>die</strong> Kalzium-Ausschüttung<br />

im Hirn von Hühnern gemessen, <strong>die</strong> amplitudenmodulierten<br />

147 MHz-Feldern ausgesetzt waren. Bei<br />

Variation der Modulationsfrequenz von 1 bis 35 Hz<br />

konnte gezeigt werden, dass ein Maximum von 20 %<br />

der Flux-Steigerung bei 16 Hz <strong>auf</strong>tritt. Diese <strong>Publikation</strong><br />

fand außerordentliche Beachtung insbesondere<br />

auch deshalb, weil in dem Telekommunikations-System<br />

TETRA, das in Großbritannien und anderen Ländern<br />

verwendet wird, <strong>die</strong> 17 Hz-Komponente eine besondere<br />

Rolle spielt. So gab es in dem vergangenen<br />

Vierteljahrhundert seit <strong>die</strong>ser <strong>Publikation</strong> viele Versuche,<br />

<strong>die</strong>se Ergebnisse zu reproduzieren, was jedoch<br />

nie gelang. Zudem müssten <strong>die</strong>se Effekte, träten sie<br />

denn tatsächlich <strong>auf</strong>, gravierende physiologische Auswirkungen<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Hirnfunktion haben. Solches wurde<br />

aber nie beobachtet. Auch in bezug <strong>auf</strong> andere physiologische<br />

Parameter konnten bisher keine eindeutigen<br />

Ergebnisse erbracht werden, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> eine spezifische<br />

Wirkung der Modulationsart schließen lassen.<br />

Ausgenommen hiervon sind Felder <strong>mit</strong> extrem kurzen<br />

und starken Impulsen im militärischen Bereich, deren<br />

Parameter jedoch völlig andere sind, als sie hier<br />

zur Diskussion stehen.<br />

Nachdem das Nationale Ko<strong>mit</strong>ee für Strahlenschutz<br />

der USA (NRPB) im Jahre 2001 bereits <strong>auf</strong>grund umfangreicher<br />

Literaturstu<strong>die</strong>n <strong>die</strong> Existenz modulations-


spezifischer Kalzium-Effekte ausgeschlossen hatte,<br />

unterstrich es <strong>die</strong>s in dem folgenden Dokument aus<br />

dem Jahre 2003 noch einmal und stellt fest: „...zwei<br />

neuere gründliche Stu<strong>die</strong>n wurden berücksichtigt, und<br />

beide zeigten keinerlei Veränderung der zellulären<br />

Konzentration von Kalzium-Ionen – einem empfindlichen<br />

Indikator der Zellpathologie – als Folge einer<br />

HF-Exposition, auch dann nicht, wenn gepulste Modulation<br />

erfolgte. Dies bekräftigt zusätzlich <strong>die</strong> Zweifel<br />

an der Existenz spezifischer Puls-Modulations-Effekte<br />

<strong>auf</strong> Kalziumionen.“ („. . . two recent well-designed<br />

stu<strong>die</strong>s have been reviewed and both show no change<br />

in the cellular concentration of calcium ions – a sensitive<br />

indicator of cell pathology – in response to RF<br />

exposure, even when using pulse modulation, thus<br />

adding further doubt about the existence of a specific<br />

pulse modulation effect on calcium ions.“ Documents<br />

of NRPB Board, Chilton, 2001, 2003).<br />

Es ist allerdings zu vermerken, dass doch immer<br />

wieder Stu<strong>die</strong>n und <strong>Publikation</strong>en kursieren, welche<br />

<strong>die</strong> Spezifität der Wirkung modulierter Felder für möglich<br />

halten (Zwamborn et al. 2003). Insbesondere<br />

Arbeiten aus einem Laboratorium in Pushchino bei<br />

Moskau berichten von solche Effekten, gewonnen an<br />

verschiedenen in-vivo- und in-vitro-Systemen (z.B.: Konovalov<br />

et al. 2001, Bolshakov et al. 2001). Bisher<br />

fehlen allerdings Bestätigungen <strong>die</strong>ser Ergebnisse<br />

durch andere Labors.<br />

Wie geht es also weiter? Wie kann Klarheit geschaffen<br />

werden, ohne sich in das undurchdringliche Dickicht der<br />

unbegrenzten Variationsmöglichkeiten von Modulationsarten<br />

und Trägerfrequenzen zu verstricken?<br />

WHO und ICNIRP arbeiten zur Zeit gemeinsam an einer<br />

Risikoabschätzung deren Fertigstellung bis zum Jahre<br />

2006 zu erwarten ist, und <strong>die</strong> es voraussichtlich erlauben<br />

wird, Forschungsstrategien genauer zu definieren.<br />

Hier werden zunächst einige Gesichtspunkte stichpunktartig<br />

festgehalten:<br />

1. Es sind unbedingt Grundlagenuntersuchungen erforderlich.<br />

Wenn <strong>die</strong>se Art der Forschung auch nicht<br />

un<strong>mit</strong>telbar dazu beiträgt, gesundheitliche Risiken zu<br />

definieren, so sind doch dadurch Hinweise <strong>auf</strong> Mechanismen<br />

der Wirkung zu erwarten, welche Extrapolationen<br />

erlauben und Aussagen über solche Expositionsbedingungen,<br />

<strong>die</strong> noch nicht ausführlich untersucht<br />

wurden. Sicherheit in den praktischen Aussagen sind<br />

nur durch theoretische Klarheit zu gewinnen.<br />

2. Toxikologische Untersuchungen sollten sich <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong>jenigen Expositionsbedingungen konzentrieren,<br />

denen der größte Teil der Bevölkerung ausgesetzt<br />

ist. Ein Teil der Forschungskapazität ist den technischen<br />

Expositionsbedingungen zu widmen, <strong>die</strong> in absehbarer<br />

Zukunft zu erwarten sind.<br />

3. Die Variation von Modulationsparametern ist von<br />

großem Interesse. Dies darf jedoch nicht davon ablenken,<br />

bei gefundenen Effekten nach dem Dosis-<br />

Wirkungs-Verhalten zu forschen. Die Korrelation von<br />

Effekt zum SAR-Wert ist hierfür immer noch <strong>die</strong> geeignetste<br />

Methode.<br />

4. Die außerordentlich breite Möglichkeit der Variation<br />

von Modulationsfrequenz, Pulsations-Dauer, -Frequenz<br />

und -Art sollte dahingehend überprüft werden,<br />

ob unterschiedliche Effekte bei gleichem SAR-Wert<br />

<strong>auf</strong>treten.<br />

5. Es ist unumgänglich <strong>die</strong> ökonomische Seite <strong>die</strong>ser<br />

Forschung zu berücksichtigen. Wenn überhaupt, dann<br />

sind bei <strong>die</strong>sen Untersuchungen lediglich geringe Effekte<br />

zu erwarten. Sollen <strong>die</strong>se den tatsächlich erforderlichen<br />

Grad an Signifikanz erreichen, dann sind<br />

große Versuchsserien <strong>mit</strong> ausgefeilter Technik sowohl<br />

bezüglich der Exposition als auch der Untersuchungsmethoden<br />

einzusetzen. Dies verursacht hohe<br />

Kosten, was bei der Begrenztheit der Mittel gleichzeitig<br />

eine Li<strong>mit</strong>ierung der Versuchsparameter bedeutet. Es<br />

hat keinen Zweck eine Vielzahl von Modulationsarten<br />

etc. zu testen, <strong>auf</strong> Kosten der Anzahl der Wiederholungen<br />

der Experimente oder der Anzahl der Versuchstiere.<br />

Das Resultat wären letztlich unsichere und da<strong>mit</strong> unbrauchbare<br />

Aussagen. Solche Untersuchungen haben<br />

bisher unter Verschwendung von Forschungs<strong>mit</strong>teln<br />

mehr Verwirrung als Klarheit erbracht. Die Kalzium-<br />

Experimente sind ein warnendes Beispiel dafür.<br />

Die Schlussfolgerungen der Autoren <strong>die</strong>ses Artikels<br />

seien wörtlich wiedergegeben: „Eines ist klar. Sollte<br />

sich erweisen, dass <strong>die</strong> Modulation der hochfrequenten<br />

Felder eine biologische Bedeutung hat (abgesehen<br />

von einige Sonderfällen, wie den intensiven Pulsen),<br />

dann müssen <strong>die</strong> den geltenden Grenzwerten<br />

für hochfrequente Felder zugrunde liegenden Prinzipien<br />

revi<strong>die</strong>rt werden. Aus gegenwärtiger Sicht ist <strong>die</strong>s<br />

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NEWS<br />

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NEWS<br />

21


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

nicht der Fall. Die <strong>Publikation</strong> neuer Daten zu <strong>die</strong>sem<br />

Problem ist nicht kurzfristig zu erwarten und es ist unwahrscheinlich,<br />

dass sie endgültig sein werden. Das<br />

Thema „Modulation“ bezüglich der Unbedenklichkeit der<br />

Telekommunikationssysteme, wird sich für <strong>die</strong> Bevölkerung<br />

wohl nicht so leicht klären lassen.“<br />

(„One thing is clear: If modulation is biologically significant<br />

(apart from a few special cases such as intense<br />

pulses), the entire rationale for RF exposure<br />

guidelines would need revision. Present evidence does<br />

not indicate that this is the case. While more data<br />

will be published that bear on this issue, they will not<br />

be coming in quickly and they are unlikely to be definitive.<br />

Given public concerns about the safety of wireless<br />

communications systems, the issue of ‘‘modulation’’<br />

will not be easily settled.“)<br />

In <strong>die</strong>sem Bericht zitierte Literatur:<br />

Adair RK: Vibrational Resonances in biological systems at<br />

microwave frequencies. Biophys. J. 82 (2002) 1147-1152.<br />

Advisory Group on Non-ionising Radiation: Health Effects from<br />

Radiofrequency Electromagnetic Fields. Documents of National<br />

Radiological Protection Board, Chilton (2003).<br />

Advisory Group on Non-ionising Radiation: Possible Health<br />

Effects from Terrestrial Trunked Radio (TETRA). National Radiological<br />

Protection Board, Chilton (2001).<br />

Bawin SM, Adey WR, Sabbot IM: Ionic factors in release of<br />

45 Ca 2+ from chicken cerebral tissue by electromagnetic fields.<br />

Proc. Natl. Acad. Sci. USA 75 (1978) 6314-6318.<br />

Bawin SM, Gavalas-Medici RJ, Adey WR: Effects of modulated<br />

VHF-fields on specific brain rythms in cats. Brain Res. 58<br />

(1973) 365-384.<br />

Bawin SM, Kaczmarek LK, Adey WR: Effects of modulated<br />

VHF-fields on the central nervous system. Ann. N.Y. Acad.<br />

Sci. 247 (1975) 74-81.<br />

Bolshakov MA, Kniazeva IR, Lindt TA, Evdokimov EV: Effect<br />

of low-frequency pulse-modulated 460 MHz electromagnetic<br />

irradiation on Drosophila embryos. Radiats. Biol. Radioecol.<br />

41 (2001) 399-402.<br />

Foster KR, Repacholi MH: Biological effects of radiofrequency<br />

fields: does modulation matter? Radiation Research 162<br />

(2004) 219-225.<br />

Fröhlich H, Kremer F (Hrsg.): Coherent Excitations in Biological<br />

Systems. Springer Verlag, Berlin (1983)<br />

Konovalov VF, Serikov IS: Delayed effects of modulated and<br />

non-modulated electromagnetic field on epileptiform activity<br />

in rats. Radiats. Biol. Radioecol. 41 (2001) 207-209.<br />

Repacholi MH, Basten A, Gebski V, Noonan D, Finnie J, Harris A:<br />

Lymphomas in E:-Pim1 transgenic mice exposed to pulsed 900<br />

MHz electromagnetic fields. Radiat. Res. 147 (1997) 631-640.<br />

Zwarnborn PM, Vossen SHJA, van Leersum BJAM, Noonan D,<br />

Finnie J, Harris AWl: Effects of global communication system<br />

radio-frequency fields on well-being and cognitive function of<br />

human subjects with and without subjective complaints. TNO<br />

Report FEL-03-C148, Netherlands Organization for Applied<br />

Scientific Research, The Hague (2003)<br />

Dr. Roland Glaser war Leiter des Instituts für Biophysik<br />

an der Humboldt-Universität Berlin.<br />

22 NEWS 22 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Angst vor d<br />

Mobil<br />

Gerlinde Kaul<br />

Regina Reichardt<br />

Unsere Zeit ist geprägt von<br />

einer starken technologischen<br />

Entwicklung. Seit über<br />

hundert Jahren erlaubt das<br />

Wissen um <strong>die</strong> Elektrizität, um<br />

elektrische und magnetische<br />

Felder den Menschen neue<br />

Erfindungen und Annehmlichkeiten.<br />

Viele Menschen<br />

nutzen <strong>die</strong>se Techniken im<br />

Alltag ohne sich große<br />

Gedanken um <strong>die</strong> physikalischen<br />

bzw. technischen<br />

Zusammenhänge zu machen.


funk?<br />

en Pulsen beim<br />

Oder: Die psychologischen Hintergründe beim Mobilfunk<br />

Die Technik hat inzwischen in allen menschlichen<br />

Bereichen Einzug gehalten: Elektrischer Strom <strong>mit</strong> all<br />

seinen Anwendungen (Vorzügen) von der Waschmaschine<br />

bis zum Toaster, <strong>vom</strong> Funkwecker über den<br />

Fön zur Mikrowelle, <strong>vom</strong> programmierbaren Videorecorder<br />

zu Fernsehen, Radio, Telefon. Von der medizinischen<br />

Diagnostik zum Batterieladegerät: Ein Leben<br />

ohne Strom – heute kaum von jemandem vorstellbar.<br />

Doch <strong>die</strong> technologische Evolution hat <strong>die</strong> Entwicklung<br />

des Menschen hinsichtlich des Wissens darüber<br />

schlichtweg überrollt. Das Wissen ist einigen wenigen<br />

Experten vorbehalten. Die Allgemeinheit nutzt <strong>die</strong>se<br />

Geräte und Hilfs<strong>mit</strong>tel ohne sich viele Gedanken<br />

zu machen, wie sie funktionieren. Allenfalls existieren<br />

rudimentäre Kenntnisse oder diffuse Vorstellungen.<br />

Entsprechend reagiert der Mensch <strong>mit</strong> Fragen,<br />

Skepsis oder schlichtweg Angst vor dem Unbekannten.<br />

Man kann und muss nicht überall Experte sein,<br />

um Dinge nutzen zu können. Aber <strong>auf</strong>grund mangelnden<br />

Wissens werden viele unsinnige und falsche Vergleiche<br />

angestellt: Radiowellen werden <strong>mit</strong> Sonnenstrahlen<br />

verglichen, <strong>die</strong> im einfachsten Fall Sonnenbrand,<br />

im schlimmsten Fall Hautkrebs verursachen<br />

können; Mikrowelle und Radar werden genannt, <strong>die</strong><br />

biologisches Gewebe erhitzen bzw. schädigen können;<br />

radioaktive Strahlen und ihre Spätfolgen werden<br />

im Vergleich <strong>mit</strong> Funkwellen angeführt.<br />

„Fernsehen und Radio“ nehmen wir hin, weil der Nutzen<br />

im Vordergrund steht, weil wir keine Sendetürme<br />

sehen und weil wir unser Gerät an- und ausschalten<br />

können. Und wir machen uns keine (wenig) Gedanken,<br />

denn elektromagnetische Wellen sind unsichtbar.<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

23


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Sichtbar dagegen sind Sendetürme und Mobilfunkantennen.<br />

Waren es früher nur einige große Fernsehtürme<br />

und vereinzelte Richtfunkmasten, so sind heute<br />

<strong>auf</strong>grund des technischen Fortschritts jede Menge kleiner<br />

Funkmasten wie Pilze aus dem Boden geschossen.<br />

Der Erfolg des neuen Mobilfunkstandards GSM hat zu<br />

mehr Kanälen, mehr Kunden, aber auch mehr Antennen<br />

geführt. Kleine Funkzellen (sie versorgen <strong>mit</strong> kleinerer<br />

Sendeleistung und führen zu größerer Antennendichte)<br />

rücken in <strong>die</strong> Nähe des Menschen, werden sichtbar und<br />

wahrgenommen und in Frage gestellt.<br />

Bei 82,5 Mio. Einwohnern in Deutschland und 67,5<br />

Mio. Funktelefonen sind Handys heute in fast jedem<br />

Haushalt zu finden. Menschen, <strong>die</strong> sie nutzen, machen<br />

sich vielleicht den ein oder anderen Gedanken, aber<br />

was ist <strong>mit</strong> den Menschen, <strong>die</strong> sie nicht nutzen, <strong>die</strong> sie<br />

nicht brauchen und verunsichert sind ob ihrer möglichen<br />

Wirkungen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> menschliche Gesundheit?<br />

Die technischen Grundlagen bei gepulsten Wellen<br />

wurden im Newsletter 2/2004 in Beiträgen von Prof.<br />

B. Liesenkötter und K.O. Müller eingehend dargestellt.<br />

Auf <strong>die</strong> biologische Seite wird voraussichtlich in der<br />

nächsten Ausgabe 1/2005 eingegangen.<br />

Wieso haben Menschen Angst vor elektromagnetischen<br />

Wellen, vor Funkwellen? Dazu hat <strong>die</strong> Bundesanstalt<br />

für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BauA)<br />

in Berlin verschiedene Untersuchungen durchgeführt.<br />

Frau Dr. Gerlinde Kaul berichtet aus Gesprächen <strong>mit</strong><br />

Ratsuchenden, wie <strong>die</strong>se Menschen (im Unterbewusstsein)<br />

fühlen und welche Vorstellungen sie entwickeln.<br />

„Wenn ich telefoniere, dann bin ich nicht nur passiver<br />

Empfänger, wie beim Radio hören – sondern ich bin<br />

dabei auch aktiv, denn ich sende ja selbst meinen<br />

Programmbeitrag via Funksignal an andere weiter.<br />

Aktiv sein bedeutet im psychologischen Sinn, dass<br />

jemand tätig ist – und da<strong>mit</strong> gleichzeitig auch zum<br />

Täter wird. Das heißt, ich kann aktiv tätig Einfluss<br />

nehmen, ins Geschehen eingreifen und da<strong>mit</strong> Macht<br />

ausüben, stehe da<strong>mit</strong> selbst aber auch in der Verantwortung<br />

für das, was ich anrichte (und ich werde auch<br />

verantwortlich gemacht!).<br />

Es ist eine psychologische Tatsache, dass jede Aktivität,<br />

<strong>die</strong> von einem Menschen ausgeht, bei einem<br />

anderen Menschen immer zu einer Verhaltens<strong>auf</strong>for-<br />

24 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

derung wird! Und indem sich <strong>die</strong>ser andere Mensch<br />

<strong>mit</strong> meiner Aktion auseinandersetzt, wird er sich <strong>mit</strong><br />

seinem Verhalten zu mir konkret positionieren. Entweder<br />

er duldet mein Tun, oder aber er missbilligt es,<br />

dann wird er etwas dagegen tun müssen.<br />

Dass so viele Bürgerinitiativen gegen den Mobilfunk<br />

(jedoch nicht z. B. gegen das Fernsehen) aktiv geworden<br />

sind, ist zu einem großen Teil <strong>die</strong>ser psychologischen<br />

Bedingtheit geschuldet: Sie ist initiierte Antwort<br />

<strong>auf</strong> das Tun einer Gegenseite, der Mobilfunk-<br />

Betreiber ebenso wie der Mobilfunk-Nutzer.“<br />

Um eine optimale Übertragungsrate beim mobilen<br />

Telefonieren gewährleisten zu können, wird das Sendesignal<br />

digitalisiert und „gepulst“ abgegeben. Im<br />

eigentlichen Sinn aber findet beim Mobilfunk eine<br />

paketweise Übertragung von Funksignalen statt. Dass<br />

<strong>die</strong>se sogenannte „Pulsung“ auch eine Verminderung<br />

der <strong>mit</strong>tleren Sendeleistung am „Handy“ bewirkt, so<br />

ähnlich, als ob jemand eine Hand voll Sand portionsweise<br />

loslassen würde, können Skeptiker nicht so<br />

recht akzeptieren. Sie glauben, es handle sich bei<br />

<strong>die</strong>ser Pulsmodulation beim Mobilfunk um eine Art<br />

„Radarpulse“, deren technologisches Prinzip jedoch<br />

ein anderes ist.<br />

Gerade in der letzten Zeit ist vermehrt von der „gefährlichen<br />

Pulsung“ <strong>die</strong> Rede, Vergleiche <strong>mit</strong> epileptischen<br />

Anfällen bei Stratoskoplicht bleiben nicht aus.<br />

Warum machen aber gerade <strong>die</strong> „Pulse“ solche Angst?<br />

„Aus eigener Erfahrung weiß man, dass jeder (Im-)<br />

Puls eine Energiezufuhr bedeutet, <strong>die</strong> schubweise erzeugt<br />

wird. Geräusche wären ohne das energetische<br />

Auf- und Abschwellen des Schalls nicht zu unterscheiden.<br />

Klopfen, Hauen, Schlagen sind häufige, auch physisch<br />

erfahrbare Impulse. Dass das Herz schlägt, ist<br />

nicht nur für jeden spürbar, es hat darüber hinaus auch<br />

eine existenzielle Bedeutung. Sein Puls wird als Anzahl<br />

der Schläge pro Minute registriert. „Beim GSM-Mobilfunk<br />

beträgt <strong>die</strong> Pulsrate 217 pro Sekunde!“ Die Beziehung<br />

Pulsschlag (des Herzens) und Pulsfrequenz (des<br />

Mobilfunks) ist inhaltlich falsch. Auf der Verhaltensebene<br />

allerdings lassen sich <strong>mit</strong> einer solchen Assoziation<br />

psychologisch sehr wohl subjektive Anschauungen<br />

<strong>mit</strong>einander verknüpfen, auch wenn <strong>die</strong>se real nichts<br />

<strong>mit</strong>einander zu tun haben.


Wenn man das Mobilfunksignal <strong>mit</strong> Hilfe eines Messinstruments<br />

(Spektrumanalyser) sichtbar macht, dann<br />

nimmt man <strong>die</strong> Pulsmodulation als ein scharfzackiges<br />

Auf und Ab eines Plateauunterschiedes (natürlich<br />

abhängig von der gewählten Zeitbasis) wahr. Sehen<br />

Laien <strong>die</strong>se gewählten Darstellungen des Messspektrums<br />

bei Vorortmessungen durch Messtechniker,<br />

wirken <strong>die</strong>se oftmals nicht beruhigend, selbst<br />

wenn <strong>die</strong> gemessenen Ergebnisse sich weit unterhalb<br />

der Grenzwerte befinden. „Könnten da nicht <strong>die</strong>se<br />

raschen, harten Spitzen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Umgebung, ja <strong>auf</strong><br />

mich selbst wie Schläge, wie Nadelstiche einschlagen?“<br />

Philosophisch betrachtet liegt im Puls Bewegung.<br />

Durch Puls und Pause ist ein Rhythmus definiert.<br />

Rhythmus aber <strong>die</strong>nt einer Orientierung in der Zeit.<br />

Diese Erfahrung ist sehr elementar und psychologisch<br />

von großer Bedeutung, da sie einen ordnenden, kalkulierbaren<br />

wie vorausschauenden Aspekt für das eigene<br />

Verhalten hat. Immer wird <strong>mit</strong> der Wortmarke<br />

„Puls“ auch <strong>die</strong>se, schon sehr früh aus eigener Erfahrung<br />

gewonnene, Bedeutung <strong>mit</strong> assoziiert. „Gepulster<br />

Mobilfunk“ klingt nach rhythmischer Bewegtheit,<br />

aber man kann sich <strong>mit</strong> Hilfe seiner Sinne nicht<br />

danach richten. Diese „Pulsung“ des Mobilfunks<br />

scheint etwas Mystisches, Unerfahrbares, vielleicht<br />

gar Gespenstisches an sich zu haben. Wer solches<br />

beim Mobilfunk zu erahnen meint, kann schnell an<br />

seine Angst vor einer unkontrollierbaren Fremdbestimmung<br />

erinnert werden, eine archaische Angst vor dem<br />

Verlust der eigenen Entscheidungsfreiheit und dem<br />

Verlust des Selbst, – natürlich unbewusst und nur als<br />

eine (ge)wag(t)e Vermutung.“<br />

Die Antenne beim Handy sendet und empfängt <strong>auf</strong><br />

einer pulsmodulierten Frequenz.<br />

„Beim Rundfunk ist der Ort, an dem der Sendemast<br />

steht, anderswo zu finden als <strong>die</strong> Antenne für den<br />

Empfang am Radio. Und wenn man <strong>die</strong> Antenne <strong>vom</strong><br />

Gerät trennt, dann gibt es keinen (klaren) Empfang<br />

mehr. Und dass <strong>mit</strong> dem Abschalten des Empfangsgerätes<br />

<strong>die</strong> Radiowellen nicht <strong>auf</strong>hören, entzieht sich zwar<br />

der erfahrbaren Wahrnehmung, ist aber <strong>auf</strong> der passiven<br />

Seite des Geschehens psychologisch nicht wichtig.<br />

Weil <strong>die</strong> Antenne beim Mobilfunk sowohl zum Senden<br />

als auch zum Empfangen ausgelegt ist, sind <strong>die</strong> bei-<br />

den Funktionen <strong>vom</strong> Benutzer selbst nicht mehr zu<br />

unterscheiden, weder gegenständlich noch funktionell.<br />

Diese Ununterscheidbarkeit der Funktionen, <strong>die</strong><br />

für <strong>die</strong> Wahrnehmung nicht mehr <strong>auf</strong>lösbar ist, kann<br />

für eine Person <strong>mit</strong> Kontrollverlust verbunden sein.<br />

Da<strong>mit</strong> <strong>die</strong>se Einbuße eigener Entscheidungssicherheit<br />

wieder kompensiert werden kann, wird eine Orientierungsreaktion<br />

in Gang gesetzt, <strong>die</strong> nach unterscheidbaren<br />

Merkmalen sucht oder sie aus anderen<br />

Quellen (ungeprüft) übernimmt. Entscheidungsfähig<br />

zu sein bedeutet ja, Dinge ihrem Wesen nach unterscheiden<br />

zu können.“<br />

Gerade in der letzten Zeit erscheinen vermehrt Mobilfunkanlagen<br />

<strong>auf</strong> den Hausdächern in der näheren<br />

Umgebung, teilweise in der direkten Nachbarschaft.<br />

Viele Bürger fühlen sich dadurch verunsichert, einige<br />

reagieren aggressiv <strong>mit</strong> Widerstand. Frau Dr. Kaul<br />

sieht es von der psychologischen Seite:<br />

„Lässt man seinen Blick über <strong>die</strong> Dächer in seiner<br />

Wohngegend schweifen, so finden sich bestimmt einige<br />

Mobilfunkantennen der Basisstationen dar<strong>auf</strong>.<br />

Zum einen sind sie dem Privatbereich sichtlich sehr<br />

nahe, zum anderen gleicht ihre <strong>auf</strong>strebende Stangenkonstruktion<br />

einem phallischen Symbol.<br />

In der psychologischen Bedeutung meint phallisch<br />

solche Eigenschaften, <strong>die</strong> im Sinne von männlich für<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

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E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

potent, durchsetzungsfähig, aggressiv stehen können.<br />

Symbolisch ist <strong>die</strong> Form eines senkrecht stehenden<br />

Stabes <strong>mit</strong> <strong>die</strong>ser Bedeutung archaisch gekoppelt.<br />

(Im Gegensatz dazu symbolisiert eine Schüssel psychologisch<br />

ein Empfangen, wie im weiblichen Sinne<br />

alles Runde ebenfalls.) Diese archaische Symbolik<br />

tragen wir alle in uns, sie ist uns <strong>mit</strong> dem menschlichen<br />

Verhaltenskodex <strong>mit</strong> vererbt worden und be<strong>die</strong>nt<br />

ein Schlüssel-Schloss-Prinzip. Die Identifikation des<br />

Symbols garantiert da<strong>mit</strong> eine schnelle Orientierung<br />

und liefert (ohne umständliches Nachdenken) eine<br />

rasche und <strong>mit</strong> hoher Wahrscheinlichkeit auch sichere<br />

Entscheidung <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sen Reiz.<br />

Wenn also <strong>die</strong> Basisstation (unbeabsichtigt) einen<br />

„Fakt des Angriffs“ symbolisch auszudrücken vermag,<br />

assoziiert eine solche Wahrnehmung eben auch Inhalte,<br />

<strong>die</strong> archaisch einem „Feindbild“ zugeordnet<br />

sind. Diese Erinnerung ist semantisch (in der ihr eigenen,<br />

existentiellen Bedeutung) <strong>mit</strong> negativen Emotionen<br />

gekoppelt und kann ein Verhalten auslösen,<br />

dass zwingend <strong>auf</strong> Veränderung drängt.<br />

Und wenn <strong>die</strong>ses als „feindselig“ erkannte (teilweise<br />

nur <strong>vom</strong> Unterbewusstsein wahrgenommene) Symbol,<br />

das der Mobilfunkantenne zugeordnet wird, auch noch<br />

bis in meinen Privatbereich vorgedrungen ist, dann heißt<br />

<strong>die</strong> Botschaft: Handeln! Psychologisch wird der mir<br />

zugehörige Privatbereich im engen Sinn als <strong>die</strong> räumlich<br />

begrenzte Wohnung (Höhle) betrachtet und ist im<br />

weiteren Sinn <strong>mit</strong> dem Areal verknüpft, das von der<br />

Wohnung aus eingesehen werden kann (z. B. der Hof<br />

als ursprünglicher Schutz- und Aufenthaltsbereich einer<br />

Sippe). Dass <strong>die</strong> Mobilfunkantennen im Wohnbereich<br />

störender erlebt werden als in der übrigen, der<br />

weiteren Umgebung, hängt <strong>mit</strong> dem Anspruch einer<br />

Person <strong>auf</strong> Schutz und Berechenbarkeit in der un<strong>mit</strong>telbaren<br />

Umgebung zusammen, wovon jeder hofft, dass<br />

<strong>die</strong> eigene Privatsphäre das garantieren möge.“<br />

Nun stellt sich natürlich <strong>die</strong> Frage, ob und wie sich<br />

<strong>die</strong>se Technik <strong>mit</strong> der psychologischen Akzeptanz des<br />

Mobilfunks verbinden lässt. Wir geben <strong>die</strong>se Frage<br />

an Frau Dr. Kaul weiter:<br />

„Alle <strong>die</strong>se beschriebenen, rein psychologisch begründeten<br />

Effekte für das Verhalten sind unabhängig von<br />

der Möglichkeit einer realen Feldimmission wirksam.<br />

26 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Sie sind Effekte, <strong>die</strong> einzig und allein aus der Zuordnung<br />

einer Wahrnehmung zu spezifischen Gedächtnisinhalten<br />

resultieren, also gelernter wie genetisch<br />

verankerter Erfahrung, und eine Veränderung, entweder<br />

in der Person oder durch <strong>die</strong> Person, auslösen<br />

können. Die dann aus subjektiver Sicht notwendige<br />

Verhaltensentscheidung wird physiologisch von Stressreaktionen<br />

begleitet, um <strong>mit</strong> der beabsichtigten Aktion<br />

auch erfolgreich sein zu können.<br />

Die Einführung <strong>die</strong>ser neuen Technik des Mobilfunks<br />

war eben auch <strong>mit</strong> der Einführung einer Reihe von<br />

neuen Merkmalen und Merkmalskombinationen der<br />

dazu gehörenden Objekte verbunden, <strong>die</strong> subjektiv<br />

interpretiert wurden - offenbar <strong>mit</strong> sehr widersprüchlichen<br />

Reflexionen. Da <strong>die</strong>se neue Technik aber <strong>mit</strong><br />

physikalischen Prozessen verbunden ist, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Benutzer<br />

im Allgemeinen nicht ohne weiteres verstehen,<br />

prüfen oder <strong>mit</strong>tels Messtechnik hinterfragen<br />

können, sind sie <strong>auf</strong> Hinweise und Erklärungen anderer<br />

angewiesen. Hier spielen <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>n wie auch<br />

das reflektierende soziale Umfeld eine nicht zu unterschätzende<br />

Rolle. Die eigenen „weißen Flecke“ im<br />

Erfahrungshorizont werden durch Wissen oder durch<br />

wahrscheinliche Zusammenhänge im Sinne von Hypothesen<br />

oder durch Glauben und mögliche Interpretationen<br />

ausgefüllt. Und wenn <strong>die</strong> Fragen <strong>auf</strong>hören,<br />

beginnen <strong>die</strong> Vermutungen Tatsachen zu werden, denen<br />

dann eine Verhaltensantwort eindeutig zugeordnet<br />

ist. In einem solchen unentschiedenen Fluidum<br />

von Spekulationen können alle möglichen Erklärungen,<br />

egal ob wissenschaftlich seriös oder reißerisch<br />

<strong>auf</strong>gepeppt, <strong>auf</strong> fruchtbaren Boden fallen. Oder anders<br />

gesagt: Psychologie und Physik haben real ebenso<br />

viel wie wenig <strong>mit</strong>einander zu tun.<br />

Die Angst vor den Pulsen beim Mobilfunk oder <strong>die</strong><br />

Akzeptanz des Mobilfunks als einer leicht zu handhabenden,<br />

neuen Technik ist letztlich eine Widerspiegelung<br />

des technologischen Fortschritts in der Gesellschaft<br />

selbst. Die teilweise sehr emotional geführte<br />

Diskussion der Mobilfunkgegner erinnert an <strong>die</strong> Maschinenstürmer<br />

des neunzehnten Jahrhunderts. Auch<br />

damals, zum Beginn des industriellen Zeitalters war<br />

<strong>die</strong> Technik schneller eingeführt worden, als es das<br />

Wissens- und Erfahrungsniveau ihrer „Benutzer“ er-


laubte. In der heutigen Kommunikationsgesellschaft<br />

könnte <strong>die</strong>s anders gelöst sein. Aber <strong>die</strong> Macht von<br />

Me<strong>die</strong>n und Kommerz nutzt das Informationsmonopol<br />

<strong>auf</strong> dem Verbrauchermarkt demonstrativ aus, um<br />

für sich einen hohen Profit zu erzielen. Und dafür<br />

erweist sich eine Verunsicherung der Menschen durch<br />

einseitige oder gezielte Fehlinformation immer als<br />

günstig, weil <strong>die</strong>se Menschen danach noch viel mehr<br />

nach verlässlichen Informationen hungern oder sich<br />

gern davon überzeugen lassen, sich „schützende Gegenmaßnahmen“<br />

(z. B. Abschirmungen gegen Mobilfunkstrahlungen)<br />

anzuschaffen.“<br />

Es ist offensichtlich, dass in den wirtschaftlich hervortretenden<br />

Landesteilen Deutschlands <strong>die</strong> „Gefahr<br />

durch Mobilfunk“ stärker im öffentlichen Diskurs steht<br />

als in wirtschaftlich und sozial schwächeren Gegenden.<br />

Es finden sich in der Schicht der gut ausgebildeten<br />

und beruflich anspruchsvollen Personen häufiger<br />

Betroffene, <strong>die</strong> über Gesundheitsstörungen <strong>auf</strong><br />

Grund von „Elektrosensibilität“ klagen. Auch ein starkes<br />

Nord-Süd-Gefälle lässt sich nicht leugnen. Das<br />

wiederum wirft <strong>die</strong> Frage <strong>auf</strong>, ob es eine Art „Elektrosensibilität“<br />

gibt, <strong>die</strong> einer bewussteren Differenzierung<br />

von Ursache und Wirkung bedarf, um<br />

überhaupt als Störung bzw. als eine Änderung des<br />

Befindens erkannt werden zu können. Andererseits,<br />

wenn <strong>die</strong>se „elektrosensiblen“ Reaktionen einzig und<br />

allein nur <strong>auf</strong> der Bewertung basieren, <strong>die</strong> eine Person<br />

subjektiv den von ihr wahrgenommenen Sachverhalten<br />

oder Objekten zuordnet, dann wäre <strong>die</strong><br />

„Elektrosensibilität“ ein rein psychologischer Effekt<br />

und würde von einer real gegebenen Feldimmission<br />

ganz und gar nicht zu beeinflussen sein. Ist also <strong>mit</strong><br />

einer „Elektrosensibilität“ als Erkrankungsrisiko zu<br />

rechnen?<br />

„Für <strong>die</strong> Aufklärung des Phänomens einer „Elektrosensibilität“<br />

ist es notwendig, dass <strong>die</strong> psychologischen<br />

Faktoren, <strong>die</strong> sich aus den oben beschriebenen<br />

Effekten herleiten, unterschieden werden von den<br />

tatsächlich biologischen Effekten, <strong>die</strong> nur durch <strong>die</strong><br />

Einwirkung bestimmter Feldimmissionen hervorgerufen<br />

worden sein könnten. Gibt es nachweisbar Wirkungen<br />

<strong>auf</strong> das biologische System Mensch, <strong>die</strong> von<br />

den rein physikalischen Bedingung des Mobilfunks<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

27


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Abb. 1: Anteil der subjektiven Feldzuordnungen in<br />

den 6 Provokationsphasen für <strong>die</strong> Kontrollgruppe<br />

(n=96) und für 24 „elektrosensible“ Personen<br />

95 % CI Mittelwert des Hautleitwertes in µS<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

28 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

6 % 94 %<br />

67 % 33 %<br />

junge<br />

Männer<br />

Häufigk. 1<br />

Feld sei an<br />

junge<br />

Frauen<br />

Stichproben der Kontrollgruppe<br />

Männer<br />

ab 40 J.<br />

Häufigk. 0<br />

Feld sei aus<br />

Frauen<br />

ab 40 J.<br />

Exposition<br />

kein Feld<br />

Feld an<br />

Abb. 2 a): Mittleres Niveau des elektrischen<br />

Hautleitwertes in Abhängigkeit von der Exposition<br />

eines 50 Hz-Magnetfeldes (10 µT),<br />

Stichprobe der Kontrollpersonen<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

verursacht werden? Hierbei könnte auch eine unterschiedliche<br />

Suszeptibilität bestimmter Personen eine<br />

Rolle spielen, <strong>die</strong> dann ihre „Elektrosensibilität“ erklären<br />

würde. Das stellt sozusagen <strong>die</strong> Lösung einer<br />

Gleichung <strong>mit</strong> 2 Unbekannten – einer psychischen<br />

und einer physikalischen Komponente – dar, <strong>die</strong><br />

jeweils ganz unterschiedliche Prozesse bedingen.<br />

Sobald aber eine Person eine Änderung ihrer Befindlichkeit<br />

wahrnimmt, sind <strong>die</strong>se beiden Komponenten<br />

von der Person selbst nicht zu unterscheiden.“<br />

Zur Untermauerung ihrer Aussagen berichtet Dr. Kaul<br />

von den Erkenntnissen eines Forschungsprojektes der<br />

Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin<br />

zur Untersuchung von „Elektrosensibilität“:<br />

„Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin<br />

untersucht in einem Forschungsprojekt <strong>die</strong> Wirkung<br />

einer gegebenen 50 Hz-Magnetfeldemission sowie<br />

<strong>die</strong> von einem kopfnahen Mobiltelefon (GSM-<strong>Stand</strong>ard)<br />

abgegebene Emission bei sich selbst als „elektrosensibel“<br />

einschätzenden Personen. Während eines<br />

sogenannten Provokationsexperimentes, bei dem<br />

über 3 Zeitabschnitte hinweg ein Feld gegeben wird<br />

und in weiteren 3 Zeitabschnitten eine neutrale bzw.<br />

feldfreie Situation besteht, wird <strong>die</strong> subjektive Ein-<br />

Mittelwert des Hautleitwertes in µS<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

* *<br />

kein Feld Feld an<br />

Exposition durch ein 50 Hz-Magnetfeld<br />

Abb. 2 b): Mittleres Niveau des elektrischen<br />

Hautleitwertes in Abhängigkeit von der Exposition<br />

eines 50 Hz-Magnetfeldes (10 µT),<br />

Stichprobe von 24 „elektrosensiblen“ Personen<br />

*<br />

*


schätzung zur Feldimmission erfragt und <strong>die</strong> physiologische<br />

Reaktion als Änderung der <strong>mit</strong>tleren elektrischen<br />

Leitfähigkeit des Handschweißes beobachtet. Die<br />

konkrete Aufeinanderfolge von feldbezogenen und neutralen<br />

Zeitabschnitten ist den Personen nicht bekannt.<br />

Auch können sie den Umschaltvorgang nicht erkennen.<br />

Die Trefferrate zur Wahrnehmung<br />

eines Feldes<br />

Es zeigt sich, dass „elektrosensible“ Personen für<br />

zwei Drittel aller Zeitabschnitte eine Feldimmission<br />

aus dem eigenen Befinden heraus vermuten würden.<br />

Die Kontrollgruppe hält nur in 6 % aller Provokationsphasen<br />

eine Feldimmission für möglich. Demgegenüber<br />

fällt <strong>die</strong> Trefferrate, d.h. <strong>die</strong> korrekte Zuordnung<br />

von Schein- und realer Feldexpositionen, bei den Betroffenen<br />

nicht besser aus als bei den Kontrollpersonen.<br />

Die Wahrscheinlichkeit liegt im Zufallsbereich,<br />

im Mittel bei p = 0,50. (Siehe Abb. 1)<br />

Die physiologische Reaktion als Wirkungseffekt<br />

der gegebenen Feldimmission<br />

Im <strong>mit</strong>tleren Niveau des elektrischen Hautleitwertes<br />

fällt keine systematische Veränderung in Abhängig-<br />

95 % CI Mittelwert des Hautleitwertes in µS<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

kein Feld Feld an<br />

subj.<br />

Feldwahrnehmung<br />

falsch<br />

richtig<br />

Subjektive Feldwahrnehmmung und reale Feldexposition bei EMHS<br />

Abb. 3: Mittleres Niveau des elektrischen Hautleitwertes<br />

bei 24 „elektrosensiblen“ Personen in<br />

Abhängigkeit von der real gegebenen Exposition<br />

und ihrer subjektiven Empfindung einer 50 Hz-<br />

Magnetfeldimmission<br />

keit von der eingesetzten Feldimmission <strong>auf</strong>. Weder<br />

bei der Kontrollgruppe noch bei den „elektrosensiblen“<br />

Personen wurde der elektrische Hautleitwert unter<br />

der Feldimmission systematisch <strong>mit</strong> beeinflusst.<br />

(Siehe Abb. 2)<br />

Weniger bei der Kontrollgruppe als vielmehr bei<br />

den betroffenen Personen zeigt sich dagegen, dass<br />

<strong>die</strong> Höhe des Niveaus des elektrischen Hautleitwertes<br />

<strong>mit</strong> der abgegebenen Vermutung der Person<br />

korreliert, ein Feld wahrgenommen zu haben.<br />

Hierin drückt sich aber <strong>die</strong> Abhängigkeit des biologischen<br />

Effekts von der psychischen Komponente<br />

aus, also der rein subjektiven Bewertung einer Person<br />

über <strong>die</strong> Gegebenheiten in ihrer Umgebung.<br />

(Siehe Abb. 3)<br />

Nicht verschwiegen sein soll <strong>die</strong> Beobachtung, dass<br />

wir bei den Experimenten 3 Personen fanden (von<br />

den gegenüber Mobilfunk betroffenen 26 „Elektrosensiblen“),<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> Exposition von einem kopfnahen<br />

Mobiltelefon zu 100 % genau zu unterscheiden wussten.<br />

Um eine zufallsbedingt richtige Trefferrate aus<br />

26 Möglichkeiten auszuschließen, muss in einem strengen<br />

Doppelblindversuch das Experiment <strong>mit</strong> <strong>die</strong>sen<br />

Personen wiederholt werden.<br />

Punkte<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

spezifisches<br />

Angstniveau<br />

im Experiment<br />

allgemeines<br />

Angstniveau<br />

Vergleichswert der<br />

Referenzstichprobe:<br />

<strong>mit</strong>tl. Punktzahl<br />

männlich<br />

< 27 ... 40 ><br />

weiblich<br />

< 29 ... 44 ><br />

„Elektrosensible“ Personen Kontrollgruppe<br />

Exposition durch ein 50 Hz-Magnetfeld<br />

Abb. 4: Gegenüberstellung des allgemeinen und<br />

des situationsabhängigen Angstniveaus bei<br />

betroffenen Personen <strong>mit</strong> dem der Kontrollgruppe<br />

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NEWS<br />

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Angst – <strong>die</strong> Bereitschaft,<br />

eine erlebte Situation psychisch<br />

verändern zu müssen<br />

Ein wichtiger psychologischer Faktor für das Verhalten<br />

ist <strong>die</strong> Sicherheit bzw. <strong>die</strong> Angst in einer Situation.<br />

Da Betroffene während einer experimentellen Provokation<br />

einem Feld ausgesetzt werden, das sie für<br />

ihre Gesundheitsstörungen verantwortlich machen,<br />

könnte <strong>die</strong> physiologische Reaktion stärker ausfallen<br />

und einen möglichen Feldeffekt auch verwischen. Die<br />

Abb. 4 zeigt das über einen Fragebogen er<strong>mit</strong>telte<br />

allgemeine Angstniveau und dasjenige, das in der<br />

experimentellen Situation geäußert wurde. Erfreulicherweise<br />

fällt <strong>die</strong> Angst im Labor, wenn <strong>die</strong> „befürchtete“<br />

Feldexposition zeitweise dazu geschaltet<br />

sein kann, auch bei den von einer „Elektrosensibilität“<br />

Betroffenen nicht so extrem aus, wie wir es erwartet<br />

hatten. Dass sie höher ausfällt als in der Kontrollgruppe,<br />

ist dabei legitim. (Siehe Abb. 4)<br />

Zusammenfassend erscheint es mir wichtig, dar<strong>auf</strong><br />

hinzuweisen, dass jedes Problem, das <strong>auf</strong> Grund einer<br />

Veränderung in der Umgebung entstanden sein<br />

könnte, ernst zu nehmen ist.<br />

Noch kennen wir zu wenig von den synergetischen Abhängigkeiten<br />

unserer hoch komplexen Strukturen und<br />

Zusammenhänge für uns selbst oder für das Leben im<br />

Allgemeinen. Auch wenn sich das Störungsbild einer<br />

„Elektrosensibilität“ bei den meisten Betroffenen doch<br />

wohl eher aus psychischen Abwehrmechanismen zu<br />

speisen scheint, so könnten extrem schätzungssichere<br />

Personen möglicherweise <strong>mit</strong> einer Empfindlichkeit ausgestattet<br />

sein, <strong>die</strong> uns zu großem Respekt bei Beeinflussungen<br />

von Lebensumwelten mahnen sollte. Und auch<br />

wenn für <strong>die</strong> Nicht-Akzeptanz von Mobilfunk „nur“ rein<br />

psychologische Bedingungen sprächen, so sollten deren<br />

unberechenbare Effekte erst recht ernst genommen<br />

werden. Was nützt uns eine ausgefeilte Technik, wenn<br />

uns <strong>die</strong> Menschen durch ihre ausweglose Angst wegbrechen,<br />

indem sie <strong>auf</strong> der psychischen Ebene funktionelle<br />

Störungen <strong>auf</strong>bauen und <strong>auf</strong> der physiologischen Ebene<br />

durch Stress bedingte Erkrankungen „ausbrüten“?“<br />

Dr. Gerlinde Kaul, Bundesamt für Arbeitsschutz und<br />

Arbeitsmedizin, Berlin<br />

Dipl.-Ing. Regina Reichardt, Forschungsgemeinschaft Funk e.V., Bonn<br />

30 NEWS 30 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

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Bewertungs<br />

zum Schutz v<br />

J.H. Bernhardt<br />

Gesundheitsbezogene Richtlinien zum Schutz<br />

der Gesundheit vor elektromagnetischen<br />

Feldern (EMF) erfordern <strong>die</strong> Bewertung der<br />

gesundheitlich nachteiligen Wirkungen einer<br />

Exposition durch EMF <strong>auf</strong> der Basis des<br />

fun<strong>die</strong>rten wissenschaftlichen und<br />

medizinischen Wissens. Eine solche Bewertung<br />

muss frei von wirtschaftlichen und<br />

politischen Interessen sein. Die internationale<br />

Kommission zum Schutz vor nichtionisierender<br />

Strahlung (ICNIRP), in der als wissenschaftlich<br />

unabhängiger Organisation alle relevanten<br />

Disziplinen vertreten sind, ist dafür<br />

qualifiziert, <strong>die</strong> Aufgabe der Risikobewertung<br />

gemeinsam <strong>mit</strong> der Weltgesundheitsorganisation<br />

(WHO) durchzuführen. ICNIRP<br />

ist <strong>die</strong> formal von der WHO, der ILO und der<br />

EU anerkannte regierungsunabhängige<br />

Organisation (NGO) für den Schutz der<br />

Gesundheit vor einer Exposition <strong>mit</strong> nichtionisierender<br />

Strahlung (NIR). Die Abstimmung<br />

ihrer Empfehlungen erfolgt <strong>mit</strong> den vier<br />

ständigen Ausschüssen und den beratenden<br />

Experten der Kommission, <strong>mit</strong> den der IRPA<br />

(International Radiation Protection<br />

Assoziation) angeschlossenen nationalen<br />

Verbänden und über zusätzliche Experten. Der<br />

Beitrag fasst <strong>die</strong> Kriterien zur Begutachtung<br />

der wissenschaftlichen Literatur zusammen,<br />

geht <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Charakterisierung der Wirkungen<br />

und der Exposition ein und beschreibt <strong>die</strong><br />

Entwicklung von Richtlinien zur Begrenzung<br />

der Exposition.<br />

Fel<br />

Beurteilung der wissenschaftlichen Litera<br />

§ §


grundsätze der ICNIRP<br />

or elektromagnetischen<br />

dern<br />

tur und Entwicklung von Expositionsbegrenzungen<br />

1. Einleitung<br />

Der Internationale Strahlenschutzverband (International<br />

Radiation Protection Assoziation, IRPA) übernahm 1974<br />

durch Einsetzung einer Arbeitsgruppe „Nichtionisierende<br />

Strahlung“ <strong>die</strong> Verantwortung für Aktivitäten zum<br />

Schutz vor nichtionisierender Strahlung (NIR). Aus <strong>die</strong>ser<br />

Arbeitsgruppe entstand später, anlässlich der IRPA-<br />

Tagung in Paris 1977, das Internationale Ko<strong>mit</strong>ee für<br />

nichtionisierende Strahlung (International Non-lonizing<br />

Radiation Com<strong>mit</strong>tee, IRPA/INIRC). Anlässlich des IRPA-<br />

Kongresses in Montreal (Canada) wurde <strong>die</strong>ses Ko<strong>mit</strong>ee<br />

1992 in <strong>die</strong> unabhängige International Commission<br />

an Non-Ionizing Radiation Protection (ICNIRP) überführt.<br />

ICNIRP begutachtet <strong>die</strong> wissenschaftliche Literatur<br />

über gesundheitliche Beeinträchtigungen nach einer<br />

Exposition durch NIR. In Zusammenarbeit <strong>mit</strong> der Welt-<br />

gesundheitsorganisation (World Health Organization,<br />

WHO) haben IRPA/INIRC bzw. ICNIRP und WHO Berichte<br />

über Umwelt- und Gesundheitskriterien für nichtionisierende<br />

Strahlung veröffentlicht. Die Berichte enthalten<br />

einen Überblick über <strong>die</strong> physikalischen Eigenschaften,<br />

Messungen und Methoden, Quellen und Anwendungen<br />

von NIR, eine Übersicht über <strong>die</strong> verfügbaren<br />

<strong>Stand</strong>ards und deren Begründungen sowie Bewertungen<br />

der gesundheitlichen Risiken der Exposition<br />

durch NIR. Diese Kriterien-Dokumente sowie zusätzliche,<br />

jeweils aktuelle Übersichten bilden <strong>die</strong> wissenschaftliche<br />

Datenbasis für <strong>die</strong> Entwicklung von<br />

Empfehlungen zur Begrenzung der Exposition durch<br />

NIR sowie für Stellungnahmen über aktuelle Fragen<br />

zum Schutz vor NIR. Darüber hinaus werden in Zusammenarbeit<br />

<strong>mit</strong> dem internationalen Arbeitsamt<br />

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NEWS<br />

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(International Labour Office, ILO) Leitlinien für den<br />

Arbeitsschutz entwickelt. Weitere Informationen über<br />

ICNIRP sowie eine Zusammenstellung aller <strong>Publikation</strong>en<br />

können der Internet Seite www.icnirp.org entnommen<br />

werden.<br />

Empfehlungen zur Begrenzung der Exposition sollten<br />

<strong>auf</strong> dem gesicherten wissenschaftlichen und medizinischen<br />

Wissen beruhen und frei von wirtschaftlichen<br />

und politischen Interessen sein. ICNIRP als unabhängige<br />

wissenschaftliche Organisation, <strong>die</strong> alle relevan-<br />

litätskriterien <strong>die</strong>nen als Richtschnur für <strong>die</strong>se Beurteilung.<br />

Diese können zum Ausschluss einiger<br />

Stu<strong>die</strong>n vor einer weiteren Verwendung führen oder<br />

zu einer Zuordnung unterschiedlicher Gewichtung<br />

der Stu<strong>die</strong>n, abhängig von ihrer methodischen Qualität.<br />

Für jede zu beurteilende Gesundheitsbeeinträchtigung<br />

ist eine Begutachtung aller relevanten Informationen<br />

erforderlich. Zunächst erfolgt <strong>die</strong> Begutachtung<br />

getrennt für epidemiologische Untersu-<br />

32 NEWS §<br />

32 letter 4/2004 E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

NEWS<br />

ten wissenschaftlichen Disziplinen umfasst, ist dazu chungen, für Laborstu<strong>die</strong>n an Freiwilligen, für Tier-<br />

qualifiziert, <strong>die</strong> Bewertung möglicher gesundheitsstu<strong>die</strong>n und für in vitro Stu<strong>die</strong>n, <strong>mit</strong> weiterer Unterschädlicher<br />

Wirkungen als Folge einer Exposition durch teilung entsprechend der zu prüfenden Hypothese.<br />

NIR durchzuführen. ICNIRP ist <strong>die</strong> formal anerkannte Schließlich ist es erforderlich, <strong>die</strong> Ergebnisse <strong>die</strong>-<br />

nicht staatliche Organisation (NGO) zum Schutz vor ser Schritte in einer Gesamtbeurteilung zusammen-<br />

nichtionisierenden Strahlen für <strong>die</strong> WHO, für <strong>die</strong> ILO zufassen, einschließlich einer Bewertung der Kon-<br />

sowie für <strong>die</strong> Europäische Union (EU). ICNIRP untersistenz der Humandaten, der tierexperimentellen<br />

hält eine enge Verbindung und Beziehung zu interna- Daten und der in vitro Daten.<br />

tionalen Gremien, <strong>die</strong> <strong>mit</strong> dem Schutz vor NIR befasst In Bezug <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Qualität wissenschaftlicher Arbeiten<br />

sind. Die kritische Beurteilung der Arbeitsergebnisse orientiert sich ICNIRP an den anerkannten Qualitäts-<br />

von ICNIRP umfasst <strong>die</strong> ständigen Ausschüsse und standards für gute Laborpraxis. Erforderlich ist dabei<br />

<strong>die</strong> beratenden Experten der Kommission sowie wei- <strong>die</strong> Erfüllung von Mindestanforderungen an Objektivitere<br />

Sachverständige. Das Abstimmungsverfahren ist tät, Kausalität und Reproduzierbarkeit [2,3]. Ein wich-<br />

umfassend und schließt <strong>die</strong> nationalen Gesellschaftiger Anhaltspunkt für <strong>die</strong> Güte eines Forschungsbeten<br />

der IRPA (in Deutschland Fachverband für Strahrichtes ist bereits, ob <strong>die</strong> Arbeit in einer anerkannten<br />

lenschutz) und andere weltweite Organisationen und Fachzeitschrift publiziert wurde, <strong>die</strong> einem Begutach-<br />

unabhängige Wissenschaftler ein. ICNIRP hat allgetungsprozess durch andere Wissenschaftler unterliegt<br />

meine Grundsätze zum Schutz vor NIR entwickelt, <strong>die</strong> (peer-review). In <strong>die</strong>sem Zusammenhang ist dar<strong>auf</strong><br />

im Frühjahr 2002 veröffentlicht wurden und <strong>die</strong> hier hinzuweisen, dass Erfahrungsberichte, wie z. B. Fall-<br />

zusammengefasst werden [1].<br />

berichte <strong>mit</strong> Patienten, von ihrer Art her häufig nicht<br />

geeignet sind, einen ursächlichen Zusammenhang<br />

2. Der Bewertungsprozess<br />

herzustellen, weil sie den Mindestanforderungen an<br />

Der Bewertungsprozess, wie er von ICNIRP benutzt Objektivität und Reproduzierbarkeit nicht genügen.<br />

wird, besteht aus drei Schritten. Es ist unvermeid- Darüber hinaus sind viele Erfahrungsberichte nicht<br />

lich, dass Teile <strong>die</strong>ses Prozesses einer wissenschaft- ausreichend dokumentiert und oft von subjektiven<br />

lichen Beurteilung unterliegen, und dass Einzelheiten Eindrücken geprägt [4]. Sie können jedoch Anlass<br />

des Prozesses <strong>mit</strong> der behandelten Fragestellung va- sein, wissenschaftliche Forschung durchzuführen.<br />

riieren können. Deshalb ist <strong>die</strong> folgende Beschrei- Wenn Datenmaterial über wissenschaftliche Informabung<br />

eher als Gesamtrichtlinie anzusehen, und nicht tionen für <strong>die</strong> Bewertung gesundheitlicher Risiken<br />

als strenge Regel. Die drei Schritte sind folgende: herangezogen wird, kann <strong>die</strong> Verwendung anerkann-<br />

Zunächst erfolgt <strong>die</strong> Beurteilung einzelner Stu<strong>die</strong>n ter Qualitätskriterien bei der Beurteilung zum Ver-<br />

im Hinblick <strong>auf</strong> ihre Relevanz <strong>auf</strong> Gesundheitsbetrauen beitragen, dass <strong>die</strong> Ergebnisse und Schlusseinträchtigungen<br />

sowie <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Qualität der verfolgerungen für eine Bewertung gesundheitlicher Bewendeten<br />

Methoden. International anerkannte Quaeinträchtigungen bei einer Exposition durch EMF verletter<br />

4/2004 E M V U - W a h r n e h m u n g


wendbar sind. Einige wesentliche Qualitätskriterien<br />

für laborexperimentelle Untersuchungen, epidemiologische<br />

Stu<strong>die</strong>n sowie für Untersuchungen an Freiwilligen<br />

sind in [l] zusammengefasst.<br />

3. Grundsätze bei der Beurteilung<br />

gesundheitlicher Risiken<br />

3.1 Charakterisierung der Wirkungen<br />

Die WHO definiert Gesundheit als Zustand eines vollständigen<br />

physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens<br />

und nicht bloß einer Abwesenheit von Krankheit<br />

oder Schwäche. Es müssen daher Kriterien entwickelt<br />

werden, um <strong>die</strong> durch eine EMF Exposition<br />

verursachten biologischen Wirkungen zu identifizieren,<br />

<strong>die</strong> als Gefahr für <strong>die</strong> menschliche Gesundheit,<br />

wie sie <strong>die</strong> WHO definiert, betrachtet werden können.<br />

In <strong>die</strong>sem Zusammenhang muss eine Unterscheidung<br />

zwischen den verschiedenen Schritten bei der Abfolge<br />

der Ereignisse nach einer EMF Exposition, nämlich<br />

der physikalischen Wechselwirkung, den biologischen<br />

Wirkungen, den wahrnehmbaren Effekten und echten<br />

Gefahren vorgenommen werden. Insbesondere muss<br />

<strong>die</strong> Qualität der biologischen Wirkungen beurteilt werden.<br />

Biologische Wirkungen können – müssen jedoch<br />

nicht – aktive Reaktionen des Körpers hervorrufen.<br />

Nachfolgend sind einige Definitionen <strong>auf</strong>gelistet, <strong>die</strong><br />

bei der Bewertung von Wechselwirkungen, biologischen<br />

Wirkungen und gesundheitlichen Gefahren einer<br />

EMF Exposition hilfreich sein können:<br />

Eine Wechselwirkung als Folge einer Exposition<br />

durch EMF erfolgt je nach Frequenz durch Kraftwirkungen<br />

<strong>auf</strong> geladene Teilchen oder durch induktive<br />

und kapazitive Kopplung. Solche Wechselwirkungen<br />

können zu einer physikalischen Störung<br />

führen.<br />

Eine biologische Wirkung ist eine nachweisbare<br />

Veränderung in der Funktion oder in der Struktur<br />

oberhalb des molekularen Bereichs oder eine physiologische<br />

Veränderung. Lebende Systeme reagieren<br />

<strong>auf</strong> viele Reize als Teil des Lebensprozesses,<br />

solche Reaktionen sind Beispiele für biologische<br />

Wirkungen.<br />

Expositionen durch EMF, <strong>die</strong> zu messbaren biologischen<br />

Wirkungen führen, jedoch innerhalb des Nor-<br />

§ §<br />

malbereiches der physiologischen Kompensation<br />

des Körpers bleiben und das physische und geistige<br />

Wohlbefinden des Menschen nicht herabsetzen,<br />

sollten als nicht gefährlich betrachtet werden.<br />

EMF Expositionen, <strong>die</strong> zu biologischen Wirkungen<br />

außerhalb des Normalbereiches für <strong>die</strong> Kompensation<br />

durch den Körper führen, können als tatsächliche<br />

oder mögliche Gesundheitsgefahr angesehen<br />

werden.<br />

EMF Expositionen, <strong>die</strong> zu biologischen Wirkungen<br />

führen, welche <strong>die</strong> Fähigkeit eines Individuums vermindern,<br />

seine Funktionen in geeigneter Weise<br />

durchzuführen oder sich von einem Reiz zu erholen,<br />

sollten als gesundheitliche Gefahr angesehen<br />

werden.<br />

EMF Expositionen, <strong>die</strong> zu subjektiven Wirkungen<br />

führen, <strong>die</strong> klar bewiesen werden können (d.h., <strong>die</strong><br />

Untersuchungen wurden in einer wissenschaftlichen<br />

Art und Weise durchgeführt, <strong>die</strong> Ergebnisse sind<br />

statistisch signifikant und weisen <strong>auf</strong> einen kausalen<br />

Zusammenhang hin) und <strong>die</strong> das physische<br />

und geistige Wohlbefinden in einer Person herabsetzen<br />

können, sollten als gesundheitliche Gefahr<br />

angesehen werden.<br />

ICNIRP Richtlinien haben in erster Linie das Ziel, gesundheitlich<br />

nachteilige Wirkungen als Folge einer<br />

EMF Exposition zu beseitigen, wie sie in den letzten<br />

drei oben genannten Punkten <strong>auf</strong>geführt wurden. Da<br />

gesundheitlich nachteilige Konsequenzen nach einer<br />

Exposition durch EMF über einen weiten Bereich von<br />

trivial bis lebensbedrohend variieren können, ist eine<br />

ausgewogene Beurteilung erforderlich, bevor über Begrenzungen<br />

der Exposition entschieden wird.<br />

3.2 Beziehung zwischen biologisch<br />

wirksamen Größen und Wirkungen<br />

Ein physikalisches Agens muss <strong>mit</strong> einem biologischen<br />

Objekt in Wechselwirkung treten, um einen biologischen<br />

Effekt zu erzeugen. Das äußere Agens<br />

und <strong>die</strong> biologischen Endpunkte sind in der Regel<br />

direkt messbar, <strong>die</strong> entscheidende Wechselwirkung<br />

beim Objekt normalerweise nicht. Es sind <strong>die</strong> Natur<br />

und <strong>die</strong> Wirksamkeit <strong>die</strong>ser Wechselwirkung (z. B. <strong>die</strong><br />

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NEWS E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter 33<br />

NEWS


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Induktion eines elektrischen Stromes), welche den<br />

biologischen Effekt bestimmen. Daher muss <strong>die</strong> äußere<br />

Exposition in eine biologisch wirksame Größe<br />

überführt werden, welche <strong>die</strong> Wirksamkeit charakterisiert,<br />

<strong>mit</strong> der ein bestimmter biologischer Effekt verursacht<br />

wird. Daraus ergibt sich, dass verschiedene<br />

Arten von Wirkungen durch verschiedene biologisch<br />

wirksame Größen charakterisiert werden. Dies kann<br />

deutlich in verschiedenen Teilen des NIR- Spektrums<br />

gesehen werden. Zusätzlich können verschiedene<br />

Wirkungen innerhalb eines NIR-Spektralbereiches<br />

durch verschiedene biologisch wirksame Größen charakterisiert<br />

werden. Ein gutes Verständnis der grundlegenden<br />

Wechselwirkung und eine dazu gehörige<br />

genaue Definition der biologisch wirksamen Größe<br />

sind erforderlich, wenn Ergebnisse aus tierexperimentellen<br />

oder in vitro Experimenten benutzt werden, um<br />

mögliche Reaktionen beim Menschen zu beurteilen.<br />

Eine biologische Wirkung kann aus einem von zwei<br />

Prozessen resultieren: deterministisch oder stochastisch.<br />

Bei ersterem ist <strong>die</strong> Stärke einer Wirkung <strong>mit</strong><br />

dem Ausmaß der Exposition verknüpft und es kann<br />

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NEWS<br />

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eine Schwelle definiert werden. Ein stochastischer<br />

Prozess, <strong>auf</strong> der anderen Seite, ist einer, bei dem <strong>die</strong><br />

Exposition <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines<br />

Ereignisses (den biologischen Effekt) bestimmt,<br />

aber nicht <strong>die</strong> Stärke der Wirkung. Im Prinzip erfordert<br />

<strong>die</strong>se Unterscheidung das Verständnis des zu<br />

Grunde liegenden Wirkungsmechanismus. Eine andere<br />

wichtige Unterscheidung bei Wirkungen ist, dass<br />

einige eine Schwelle haben (d. h. ein Mindestmaß<br />

einer biologisch wirksame Größe muss zur Anwendung<br />

kommen, bis der Effekt <strong>auf</strong>tritt), bei anderen ist<br />

<strong>die</strong>s nicht der Fall. Zusätzlich können verschiedene<br />

Reparatur- und Schutzprozesse Wirkungen einer Exposition<br />

eliminieren oder erheblich mildern. Solche<br />

Prozesse können <strong>auf</strong> molekularer, zellulärer, Organoder<br />

Organismus-Ebene eintreten.<br />

Gesundheitsbeeinträchtigungen, <strong>die</strong> am deutlichsten<br />

als Konsequenz einer EMF Exposition beim Menschen<br />

gesichert sind, sind solche, <strong>die</strong> sich kurzzeitig entwickeln,<br />

d.h. sie manifestieren sich kurz nach einer<br />

akuten Exposition (bis zu einigen Tagen oder Wochen).<br />

Dies steht im Gegensatz zu Wirkungen, <strong>die</strong> nur


nach einer chronischen Exposition und/oder nach einer<br />

langen Verzögerung <strong>auf</strong>treten.<br />

Wenn verschiedene Wirkungen <strong>auf</strong>treten, kann es<br />

möglich sein, sie in der Reihenfolge ihres Auftretens<br />

in Abhängigkeit von der Expositionsstärke anzuordnen.<br />

Der kritische Effekt ist der nachgewiesene gesundheitsschädliche<br />

Effekt, der bei der niedrigsten<br />

Exposition <strong>auf</strong>tritt. In <strong>die</strong>ser Anordnung von Wirkungen<br />

und Definition kritischer Effekte kann es notwendig<br />

sein, zusätzliche Beurteilungen durchzuführen, <strong>die</strong><br />

<strong>auf</strong> der Schwere der Wirkungen basieren.<br />

3.3 Beurteilung der Daten<br />

Da <strong>die</strong> Risikobewertung den Schutz der menschlichen<br />

Gesundheit zum Ziel hat, sollte sie <strong>auf</strong> Daten basieren,<br />

<strong>die</strong> aus Humanstu<strong>die</strong>n abgeleitet wurden. Die<br />

Beziehung zwischen Exposition und gewissen kurzzeitigen<br />

biologischen Wirkungen kann manchmal aus<br />

Laborstu<strong>die</strong>n an Freiwilligen abgeleitet werden, wäh-<br />

§§<br />

rend Daten für Langzeitwirkungen beim Menschen nur<br />

aus epidemiologischen Stu<strong>die</strong>n abgeleitet werden<br />

können. Jedoch können, im Gegensatz zu ihrer Relevanz,<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse epidemiologischer Stu<strong>die</strong>n selten<br />

genügende Beweise eines kausalen Zusammenhangs<br />

liefern ohne biologische Plausibilität oder unterstützende<br />

Daten aus experimentellen Untersuchungen,<br />

besonders dann, wenn <strong>die</strong> vermuteten Risiken<br />

klein sind.<br />

Tierexperimentelle Untersuchungen sind wertvoll bei<br />

der Analyse der biologischen Effekte und der Mechanismen,<br />

da sie sich <strong>auf</strong> den ganzen Organismus beziehen,<br />

einschließlich aller relevanten in vivo Reaktionen.<br />

Tierexperimentelle Langzeitstu<strong>die</strong>n sind nützlich,<br />

wenn gesundheitlich nachteilige Wirkungen beim<br />

Menschen betrachtet werden. Solche Untersuchungen<br />

können auch nützlich sein, um <strong>auf</strong>zuklären, ob<br />

ein kausaler Zusammenhang besteht. In vitro Stu<strong>die</strong>n<br />

können detaillierte Informationen über biophysikalische<br />

Mechanismen <strong>auf</strong> molekularer und zellulärer<br />

Ebene liefern.<br />

Die Ergebnisse von Tier- und in vitro -Stu<strong>die</strong>n müssen<br />

gut verstanden sein, um sie <strong>auf</strong> den Menschen extrapolieren<br />

zu können. Vorausgesetzt, dass <strong>die</strong> Mechanismen<br />

im Zielorgan <strong>die</strong>selben im Model und im<br />

menschlichen Körper sind, kann <strong>die</strong> Expositions-Wirkungsbeziehung,<br />

<strong>die</strong> im Modell gefunden wurde, für<br />

<strong>die</strong> Anwendung beim Menschen unter Benutzung der<br />

biologisch wirksamen Größe angepasst werden. Im<br />

Allgemeinen sind unterstützende Humandaten für eine<br />

vollständige Beurteilung der Relevanz der Ergebnisse<br />

von Tierstu<strong>die</strong>n für <strong>die</strong> Gesundheit des Menschen<br />

von Bedeutung.<br />

Auf Probleme bei klinischen Fallstu<strong>die</strong>n wurde bereits<br />

hingewiesen.<br />

Für <strong>die</strong> Gesamtbeurteilung muss eine Entscheidung<br />

getroffen werden, ob <strong>die</strong> betrachteten Daten <strong>die</strong> Identifizierung<br />

einer Expositionsgefahr erlauben, d.h. einer<br />

Gesundheitsbeeinträchtigung, verursacht durch<br />

eine Exposition durch EMF. Durch <strong>die</strong>se Identifizierung<br />

wird der Effekt „bestätigt“ in dem Sinne, wie er<br />

im nächsten Kapitel verwendet wird. Trotz des oben<br />

beschriebenen Bewertungsprozesses können in vergleichenden<br />

Beurteilungen der Literatur Unsicherheiten<br />

und Inkonsistenzen <strong>auf</strong>treten. Deshalb kann es<br />

erforderlich sein, dass <strong>die</strong>se Beurteilung zumindest<br />

teilweise <strong>auf</strong> wissenschaftlichen Bewertungen begründet<br />

ist. Für eine aktuelle Risikoabschätzung für <strong>die</strong><br />

Allgemeinbevölkerung oder für eine spezifische Gruppe<br />

sollten <strong>die</strong> ausgesuchten Stu<strong>die</strong>n zusätzliche Informationen<br />

liefern wie<br />

<strong>die</strong> Definition einer biologisch wirksamen Größe,<br />

<strong>die</strong> <strong>mit</strong> dem Organ variieren kann,<br />

einer Expositions-Wirkungsbeziehung, und <strong>die</strong> Identifizierung<br />

einer Schwelle, wenn möglich,<br />

Expositionsverteilung und Identifizierung von Untergruppen<br />

<strong>mit</strong> hohen Expositionen,<br />

Unterschiede in den Empfindlichkeiten innerhalb<br />

einer Personengruppe.<br />

4. Grundsätze der Entwicklung<br />

von Empfehlungen zur Begrenzung<br />

der Exposition<br />

Als Folge der Bewertung der Literatur kann es möglich<br />

sein, Gesundheitsbeeinträchtigungen <strong>auf</strong> Grund<br />

einer EMF Exposition zu identifizieren, <strong>die</strong> als gut<br />

bestätigt angesehen werden können. Die Existenz solcher<br />

bestätigten EMF Effekte bildet das Grundprinzip<br />

für <strong>die</strong> Expositionsrichtlinien von ICNIRP. Bei der Ent-<br />

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35


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

wicklung der Richtlinien betrachtet ICNIRP direkte und<br />

indirekte, akute und chronische gesundheitliche Effekte.<br />

Reduktionsfaktoren („Sicherheitsfaktoren“) werden<br />

verwendet, um Unsicherheiten in der wissenschaftlichen<br />

Datenbasis und biologische Variabilitäten<br />

bei der Reaktion zu berücksichtigen.<br />

4.1 Die Natur der Expositions-Wirkungsbeziehungen<br />

Im Idealfall kann, wenn ein Gefahrenpotential identifiziert<br />

wird und ein quantitativer Zusammenhang zwischen<br />

der Exposition durch EMF und der Wirkung bestimmt<br />

werden kann, eine Empfehlung zur Begrenzung<br />

der Exposition entwickelt werden. Quantitative<br />

Zusammenhänge können <strong>die</strong> Form von Schwellenwerten<br />

und/oder von Expositions-Wirkungsbeziehungen<br />

haben. In <strong>die</strong>sen Fällen ist es möglich, den Expositionspegel<br />

anzugeben, unterhalb dessen <strong>die</strong> Gesundheitsbeeinträchtigung<br />

vermieden oder <strong>auf</strong> ein Maß<br />

reduziert werden kann, das definierbar ist. Solche<br />

Schwellenwerte bilden <strong>die</strong> Basis für ICNIRP’s Expositionsbegrenzungen.<br />

Dabei werden geeignete Reduktionsfaktoren<br />

berücksichtigt (siehe unten). Wenn eine<br />

Gefahr als Folge einer Exposition durch EMF identifiziert<br />

wird, jedoch kein quantitativer Zusammenhang<br />

zwischen Exposition und gesundheitsschädlicher Wirkung<br />

ableitbar ist, können andere Strategien sinnvoll<br />

sein, um den Effekt zu vermeiden oder das Risiko zu<br />

begrenzen, ohne einen Grenzwert zu definieren. Die<br />

Akzeptanz solcher Risiken basiert jedoch auch <strong>auf</strong><br />

sozialen und ökonomischen Überlegungen, <strong>die</strong> außerhalb<br />

der Verantwortung von ICNIRP liegen. Nationale<br />

Autoritäten, <strong>die</strong> für das Risikomanagement verantwortlich<br />

sind, können weitere Ratschläge über Strategien<br />

liefern, den Effekt zu vermeiden oder das Risiko<br />

zu begrenzen.<br />

Das Vorhandensein seiner akuten Wirkung erleichtert<br />

<strong>die</strong> Entwicklung einer Empfehlung zur Begrenzung der<br />

Exposition, da <strong>die</strong> Gefahrenidentifizierung einfacher<br />

ist und eine Ursache-Wirkungs-Beziehung überzeugender<br />

entwickelt werden kann. Die quantitativen Zusammenhänge<br />

können leichter angegeben und bewertet<br />

werden. Wenn ein gesundheitsschädlicher Effekt durch<br />

eine EMF Exposition <strong>mit</strong> einer beträchtlichen zeitlichen<br />

Verzögerung erfolgt, kann <strong>die</strong> Gefahrenidentifi-<br />

36 NEWS 36 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

T E a M g V u U n - g W e a nh<br />

r n e h m u n g<br />

zierung und <strong>die</strong> wissenschaftliche Bewertung erschwert<br />

sein, besonders bei Abwesenheit eines bekannten<br />

Wirkungsmechanismus. Häufig kann im Falle<br />

einer identifizierten verzögerten Gefahr ein quantitativer<br />

Zusammenhang zwischen Exposition und Wirkung<br />

nur schwer erarbeitet werden, besonders dann,<br />

wenn das Expositionsmuster retrospektiv nicht bestimmt<br />

werden kann. Zusätzliche Überlegungen erfordern<br />

auch <strong>die</strong> Wirkung wiederholter schwacher akuter<br />

Wirkungen, wie z. B. Wahrnehmungseffekte, welche<br />

sich zu einem möglichen gesundheitsschädlichen Effekt<br />

über lange Zeit <strong>auf</strong>summieren können. Grundsätzlich<br />

schützen <strong>die</strong> ICNIRP Richtlinien gegen <strong>die</strong><br />

kritischen Effekte einer Exposition. Deshalb ist der<br />

Schutz auch gegen alle anderen Effekte gewährleistet,<br />

<strong>die</strong> bei höheren Expositionswerten <strong>auf</strong>treten. Der<br />

kritische Effekt ist jedoch <strong>mit</strong> einer spezifischen Definition<br />

der biologisch wirksamen Größe verknüpft, andere<br />

Effekte können unter anderen Expositionsbedingungen<br />

kritisch sein. Beispiele sind <strong>die</strong> Formulierungen<br />

von Expositionsbegrenzungen in Form von Spezifischer<br />

Energie Absorption (SA), Spezifischer Energie<br />

Absorptionsrate (SAR) oder induzierter Gewebestromdichte.<br />

4.2 Charakterisierung der Exposition<br />

Die biologische wirksame Größe beschreibt <strong>die</strong> Wirksamkeit,<br />

<strong>mit</strong> der eine äußere Exposition einen bestimmten<br />

biologischen Effekt verursacht. Diese quantitative<br />

Beziehung zwischen äußeren messbaren Expositionen<br />

und dem biologisch wirksamen Parameter<br />

beim Zielgewebe ist einmalig für eine einzelne Expositionsbedingung.<br />

Deshalb kann für ein gegebenes<br />

Maß einer Exposition jede Änderung der Expositionsbedingung<br />

<strong>die</strong> Wirksamkeit der Wechselwirkung beeinflussen,<br />

<strong>mit</strong> der ein bestimmter biologischer Effekt<br />

verursacht wird.<br />

Bei einigen Situationen (beispielsweise wenn Effekte<br />

an der Körperoberfläche betrachtet werden), kann<br />

<strong>die</strong> biologisch wirksame Größe passend und direkt<br />

durch <strong>die</strong> Messung der äußeren Exposition bewertet<br />

werden. Dies ist generell der Fall für optische Strahlung<br />

und für Mikrowellen <strong>mit</strong> Frequenzen oberhalb<br />

von etwa 10 GHz sowie für elektrische Felder niedri-


§<br />

ger Frequenzen. Für Expositionen durch niederfre-<br />

quente Magnetfelder oder für elektromagnetische<br />

Felder höherer Frequenzen ist <strong>die</strong>s nicht der Fall. In<br />

solchen Fällen erfolgt eine konservative Abschätzung<br />

der Beziehung zwischen der identifizierten biologisch<br />

wirksamen Größe und der äußeren, leichter messbaren<br />

äußeren Exposition. Dies kann durch mathematische<br />

Modellierung oder durch eine Extrapolation aus<br />

den Ergebnissen von Laboruntersuchungen bei bestimmten<br />

Frequenzen unter konservativen Annahmen<br />

erfolgen.<br />

Die generelle Strategie von ICNIRP ist es, eine Basisbegrenzung<br />

in Form der biologisch wirksamen Größe<br />

zu definieren und dann, wenn notwendig und wo möglich,<br />

<strong>die</strong>se <strong>mit</strong> einem Referenzwert in Form einer direkt<br />

messbaren äußeren Exposition zu verknüpfen<br />

(z. B. Leistungsflussdichte, Feldstärke, [5]). Auf <strong>die</strong>se<br />

Weise kann eine Begrenzung (Referenzwert) in Form<br />

einer äußeren Exposition ausgedrückt werden. Dieses<br />

Vorgehen erlaubt <strong>die</strong> Entwicklung gerechtfertigter<br />

Expositionsbegrenzungen, basierend <strong>auf</strong> biologisch<br />

relevanten Basisbegrenzungen, jedoch praktisch umgesetzt<br />

durch abgeleitete Grenzwerte (Referenzwerte).<br />

Bei der von ICNIRP entwickelten Strategie sind<br />

<strong>die</strong> abgeleiteten Grenzwerte (Referenzwerte) immer<br />

restriktiver als <strong>die</strong> Basisbegrenzungen, da <strong>die</strong> Zusammenhänge<br />

zwischen <strong>die</strong>sen bei den Größen für Situationen<br />

entwickelt wurden, <strong>die</strong> einer maximalen Kopplung<br />

zwischen den externen Feld- oder Strahlungsgrößen<br />

und der exponierten Person entsprechen (worst<br />

case). Als Folge ergibt sich, dass <strong>die</strong> Basisbegrenzungen<br />

nicht überschritten sind, wenn <strong>die</strong> abgeleiteten<br />

Grenzwerte eingehalten sind. Auf der anderen<br />

Seite hat <strong>die</strong>s zur Folge, dass, wenn <strong>die</strong> abgeleiteten<br />

Grenzwerte überschritten sind, <strong>die</strong>s nicht notwendigerweise<br />

bedeutet, dass auch <strong>die</strong> Basisbegrenzungen<br />

überschritten sind. Ob <strong>die</strong>s der Fall ist, muss<br />

durch eine detailliertere Untersuchung geprüft werden.<br />

Die Anwendung <strong>die</strong>ses Verfahrens hat mehrere Vorteile:<br />

Die Basisbegrenzungen in Form biologisch wirksamer<br />

Größen haben einen engen Zusammenhang<br />

<strong>mit</strong> den biologischen Mechanismen, während<br />

<strong>die</strong> abgeleiteten Grenzwerte leichter überprüft werden<br />

können und leichter zu den Emissionswerten<br />

von Geräten oder Anlagen in Beziehung gesetzt<br />

werden können.<br />

Zusätzlich werden komplizierte Variationen bei dosimetrischen<br />

Zusammenhängen für <strong>die</strong> Praxis des Schutzes<br />

vor EMF vermieden. Für den Erfolg <strong>die</strong>ses Prozesses<br />

ist es jedoch wichtig, dass <strong>die</strong> Expositionsmetrik<br />

sich als wirksam erweist und dass <strong>die</strong> biologischen<br />

Wirkungsmechanismen, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> gesundheitsschädlichen<br />

Effekte relevant sind, verstanden und allgemein<br />

anerkannt sind.<br />

Abgeleitete Grenzwerte werden also für Zwecke der<br />

praktischen Expositionsbewertung angegeben, um sicherzustellen,<br />

dass <strong>die</strong> Basisbegrenzungen nicht überschritten<br />

werden. ICNIRP empfiehlt <strong>die</strong> Anwendung<br />

<strong>die</strong>ser abgeleiteten Grenzwerte als generelle Richtlinie<br />

einer Expositionsbegrenzung für Arbeitnehmer und<br />

für <strong>die</strong> Allgemeinbevölkerung bei Expositionen durch<br />

nichtionisierende Strahlung.<br />

Abhängig <strong>vom</strong> spezifischen biophysikalischen Mechanismus<br />

beim Wechselwirkungsprozess kann <strong>die</strong> Expositionsbedingung,<br />

<strong>die</strong> für den biologischen Effekt<br />

relevant ist, quantitativ entweder in Form eines Momentanwertes<br />

(oder der zeitlichen Ableitung davon)<br />

des biologisch wirksamen Parameters angegeben<br />

werden oder durch dessen zeitlich integrierten Wert.<br />

Wirkungsmechanismen, Gesundheitsbeeinträchtigungen,<br />

biologisch wirksame physikalische Größen und<br />

korrespon<strong>die</strong>rende äußere Expositionsparameter (Referenzwerte)<br />

für verschiedene Teile des EMF Spektrums<br />

sind in Tabelle 1 zusammengefasst.<br />

4.3 Charakterisierung der zu schützenden Personen<br />

In einigen Fällen ist es ratsam, zwischen Mitgliedern<br />

der Normalbevölkerung und solchen Personen<br />

zu unterscheiden, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund ihrer Arbeit oder während<br />

der Durchführung ihrer Arbeit exponiert sind<br />

(berufliche Exposition). In ihren Richtlinien definiert<br />

ICNIRP nur sehr allgemein <strong>die</strong> berufliche Exposition<br />

und <strong>die</strong> der Öffentlichkeit. Für <strong>die</strong> Anwendung der<br />

Richtlinien für spezielle Situationen ist es <strong>die</strong> Auffassung<br />

der ICNIRP, dass <strong>die</strong> zuständigen Autoritäten<br />

in jedem Land in Übereinstimmung <strong>mit</strong> den be-<br />

T a g u n g e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

37


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Part of EMF<br />

spectrum<br />

Static electric<br />

fields<br />

Static magnetic<br />

fields<br />

Time-varying<br />

electric Fields<br />

(up to 10 MHz)<br />

Magnetic fields<br />

(up to 10 MHz)<br />

Electromagnetic<br />

fields (100 kHz<br />

to 300 GHz)<br />

Table 1: Relevant mechanisms of interaction, adverse effects, biologically effective physical quantities<br />

and reference levels used in different Parts of the electromagnetic field spectrum<br />

38 NEWS 38 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Relevant<br />

mechanism of<br />

Interaction<br />

Surface electric<br />

charges<br />

Induction of<br />

electric fields in<br />

moving fluids and<br />

tissues<br />

Surface electric<br />

charges<br />

Induction of<br />

internal electric<br />

fields and<br />

currents<br />

Induction of<br />

internal electric<br />

fields and<br />

currents<br />

Induction of<br />

internal electric<br />

fields and<br />

currents; Absorption<br />

of energy<br />

> 10 GHz:<br />

Surface absorption<br />

of energy<br />

Pulses < 30 us,<br />

300 MHz to<br />

6 GHz, thermoacoustic<br />

wave<br />

propagation<br />

Adverse effect<br />

Annoyance of<br />

surface effects,<br />

shock<br />

Effects on the<br />

cardiovascular<br />

and central<br />

nervous system<br />

Annoyance of<br />

surface effects,<br />

Electric shock<br />

and burn Stimulation<br />

of nerve<br />

and muscle cells;<br />

effects on nervous<br />

systems functions<br />

Stimulation of<br />

nerve and muscle<br />

cells; effects on<br />

nervous systems<br />

functions<br />

Excessive<br />

heating, electric<br />

shock and burn<br />

Excessive surface<br />

heating<br />

Annoyance from<br />

microwave<br />

hearing effect<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Biologically<br />

effective<br />

physical quantity<br />

External electric<br />

field strength<br />

External magnetic<br />

flux density<br />

External electric<br />

field strength<br />

Tissue electric<br />

field strength or<br />

current density<br />

Tissue electric<br />

field strength or<br />

current density<br />

Magnetic flux<br />

density<br />

Specific energy<br />

absoption rate<br />

Power density<br />

Specific energy<br />

absorption<br />

External<br />

exposure,<br />

reference level<br />

Electric field<br />

strength<br />

Magnetic flux<br />

density<br />

Electric field<br />

strength<br />

Electric field<br />

strength<br />

Electric field<br />

strength Magnetic<br />

field strength<br />

Power density<br />

Power density<br />

Peak electric field<br />

strength; Peak<br />

magnetic field<br />

strength


stehenden nationalen Regeln oder Gesetzen bestimmen<br />

sollten, ob <strong>die</strong> Expositionsbegrenzungen für <strong>die</strong><br />

berufliche Exposition oder für <strong>die</strong> Öffentlichkeit angewandt<br />

werden.<br />

In einigen ICNIRP-Richtlinien sind <strong>die</strong> beruflichen Expositionsbegrenzungen<br />

höher angesetzt als <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Öffentlichkeit. Gesundheitsbezogene Richtlinien<br />

für <strong>die</strong> berufliche Exposition haben zum Ziel, gesunde<br />

Erwachsene zu schützen, <strong>die</strong> bei der Durchführung<br />

ihrer Arbeit exponiert werden. Die am Arbeitsplatz<br />

exponierten Personen sind im allgemeinen unter<br />

bekannten Bedingungen exponiert und haben gelernt,<br />

sich der eventuellen Gefahr bewusst zu sein,<br />

und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen.<br />

Die Exposition ist <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Arbeitszeit begrenzt<br />

und einer Kontrolle unterworfen. Darüber hinaus besteht<br />

<strong>die</strong> Möglichkeit einer medizinischen Überwachung.<br />

Richtlinien für <strong>die</strong> Normalbevölkerung sollten<br />

<strong>auf</strong> breiteren Überlegungen basieren. Die Normalbevölkerung<br />

setzt sich aus Personen jeglichen Alters<br />

und Gesundheitszustandes zusammen und kann<br />

besonders empfindliche Gruppen und Individuen einschließen.<br />

In vielen Fällen ist sich <strong>die</strong> Bevölkerung<br />

der Exposition nicht bewusst. Ferner kann von einzelnen<br />

Mitgliedern der Bevölkerung normalerweise nicht<br />

erwartet werden, dass sie Vorkehrungen treffen, um<br />

<strong>die</strong> Exposition zu verringern oder zu vermeiden. In<br />

den meisten Fällen sind <strong>die</strong>se Überlegungen jedoch<br />

quantitativ bisher unzureichend erforscht, so dass<br />

<strong>die</strong> zusätzlichen Reduktionsfaktoren für Richtlinien<br />

für <strong>die</strong> Allgemeinbevölkerung nicht <strong>mit</strong> wissenschaftlicher<br />

Genauigkeit abgeleitet werden können. Für Patienten,<br />

<strong>die</strong> sich einer diagnostischen oder therapeutischen<br />

Behandlung in medizinischen Einrichtungen<br />

unterziehen, können <strong>die</strong> Expositionen durch verschiedene<br />

NIR manchmal absichtlich sehr hoch sein. Eine<br />

Bewertung <strong>die</strong>ser Expositionen fällt jedoch in <strong>die</strong> medizinische<br />

Bewertung von Nutzen und Risiko. Deshalb<br />

beziehen sich Richtlinien zur Begrenzung einer<br />

Exposition normalerweise nicht <strong>auf</strong> Patienten, bei dem<br />

ein Nutzen der Exposition erwartet wird. Es muss<br />

jedoch dar<strong>auf</strong> hingewiesen werden, dass für das medizinische<br />

Personal, welches <strong>die</strong> Behandlung durchführt<br />

oder in den Räumlichkeiten arbeitet, ebenso für<br />

andere Personen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se medizinischen Einrichtungen<br />

besuchen, <strong>die</strong> Richtlinien für berufliche Exposition<br />

Anwendung finden.<br />

4.4 Die Anwendung von Reduktionsfaktoren<br />

als Vorsichtsmaßnahme<br />

Ein Reduktionsfaktor ist das Verhältnis zwischen einem<br />

höheren Schwellenwert für eine Gesundheitsbeeinträchtigung<br />

als Folge einer EMF Exposition und<br />

einem niedrigeren Richtwert zum Schutz gegen <strong>die</strong>se<br />

Beeinträchtigung. Reduktionsfaktoren sollten sich <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Genauigkeit der wissenschaftlichen Daten beziehen<br />

und den Umfang der bestätigten Informationen<br />

über biologische und gesundheitliche Wirkungen einer<br />

Exposition durch EMF wiedergeben. Demnach können<br />

solche Reduktionsfaktoren als Vorsichtsmaßnahmen<br />

gegen verschiedene Ungenauigkeiten in den<br />

Richtlinien oder ihrer praktischen Anwendung angesehen<br />

werden, den ungenauen Kenntnisstandes über<br />

Schwellenwerte oder Intensitäts-Wirkungsbeziehungen<br />

(einschließlich individueller Variationen), ungenauer<br />

§<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter 39<br />

NEWS E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter 39<br />

NEWS


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Kenntnis bezüglich der Extrapolationen beobachteter<br />

Wirkungen innerhalb einiger Frequenz- oder Wellenlängenbereiche,<br />

oder ungenauen Expositionsbewertungen.<br />

Daher können Reduktionsfaktoren als praktische<br />

Methode angesehen werden, sowohl Unsicherheiten<br />

als auch Variabilitäten zu berücksichtigen. IC-<br />

NIRP ist jedoch der Auffassung, dass Überlegungen<br />

über andere Ungenauigkeiten, wie Messunsicherheiten<br />

bei Expositionsbewertungen, in den Zuständigkeitsbereich<br />

internationaler Gremien fallen, <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> technische <strong>Stand</strong>ardisierung zuständig sind, oder<br />

auch in den Zuständigkeitsbereich nationaler Regulierungsorganisationen.<br />

Es sei noch angemerkt, dass<br />

<strong>die</strong> Anwendung von Referenzwerten in vielen Fällen in<br />

einer zusätzlichen Reduktion resultiert, da sie <strong>mit</strong><br />

den Basisbegrenzungen nur unter maximaler Absorption<br />

oder Kopplung verknüpft sind.<br />

Als Folge unzureichender Informationen über biologische<br />

und gesundheitliche Wirkungen einer Exposition<br />

durch EMF gibt es keine strenge wissenschaftliche<br />

Basis, um genaue Reduktionsfaktoren abzuleiten. Im<br />

allgemeinen basieren Reduktionsfaktoren <strong>auf</strong> einer<br />

konservativen Werteabschätzung durch Experten. In<br />

Fällen, bei denen <strong>die</strong> Zusammenhänge zwischen den<br />

Expositionsgrößen und den resultierenden Wirkungen<br />

genauer definierbar sind, sind weniger konservative<br />

Reduktionsfaktoren erforderlich. Beispiele dafür sind<br />

indirekte Wirkungen (z. B. als Folge von Körperströmen<br />

bei Berührung leitfähiger Objekte) oder viele Wirkungen<br />

im optischen Wellenlängenbereich. Der Unterschied<br />

zwischen niedrigeren Expositionsbegrenzungen<br />

für <strong>die</strong> Öffentlichkeit und höheren Richtwerten<br />

für <strong>die</strong> berufliche Exposition, wie sie in einigen Teilen<br />

des NIR Spektrums verwendet werden, ergibt sich<br />

durch zusätzliche Sicherheitsfaktoren für <strong>die</strong> Öffentlichkeit<br />

aus Gründen, wie sie in Abschnitt 4.3 angegeben<br />

wurden. Ebenso wie <strong>die</strong> Beurteilung von Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />

in der wissenschaftlichen<br />

Literatur sollte <strong>die</strong> Festlegung von Reduktionsfaktoren<br />

frei von wirtschaftlichen und politischen Interessen<br />

sein.<br />

Die Reduktionsfaktoren sollten unter Berücksichtigung<br />

des derzeitigen Wissensstandes auch ausreichend<br />

für normale Variationen in individuellen Empfindlich-<br />

40 NEWS 40 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

keiten sein. Dennoch können sie keine Sicherheit in<br />

Fällen einer extremen oder pathologischen Empfindlichkeit<br />

bieten. Solchen Personengruppen kann in Ergänzung<br />

zur Einhaltung der generellen Richtlinien individuelle<br />

Hilfestellung angeboten werden.<br />

4.5 Praktische Umsetzung der<br />

Expositionsbegrenzungen<br />

Die Bewertungen gesundheitsschädlicher Wirkungen<br />

einer Exposition durch EMF und ICNIRP’s gesundheitsbezogene<br />

Richtlinien zur Begrenzung der Exposition<br />

durch EMF basieren <strong>auf</strong> bestätigten wissenschaftlichen<br />

Daten und sind frei von wirtschaftlichen und<br />

politischen Interessen. Als internationales wissenschaftliches<br />

Beratungsgremium berücksichtigt ICNIRP<br />

daher keine politischen, sozialen und ökonomischen<br />

Überlegungen in ihren Beratungsergebnissen.<br />

Für manche vermuteten Gesundheitsbeeinträchtigungen,<br />

für deren Existenz zwar keine ausreichenden<br />

wissenschaftliche Nachweise vorliegen, für <strong>die</strong> aber<br />

in der Öffentlichkeit oder von Interessengruppen trotzdem<br />

zusätzliche Schutzmaßnahmen gefordert werden,<br />

gibt es einige Ansätze im Rahmen eines Risikomanagements.<br />

Diese Ansätze konzentrieren sich generell<br />

dar<strong>auf</strong>, unnötige Expositionen durch <strong>die</strong> verdächtigten<br />

Quellen zu reduzieren. ICNIRP weist jedoch <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Notwendigkeit hin, dass <strong>die</strong> praktische Anwendung<br />

solcher Ansätze im Rahmen des Risikomanagements<br />

zur Verminderung einer Exposition nicht so<br />

begründet werden sollte, dass sie <strong>die</strong> wissenschaftlich<br />

begründeten Expositionsbegrenzungen unterläuft.<br />

Es ist <strong>die</strong> Auffassung der ICNIRP, dass <strong>die</strong> Durchführung<br />

der Prüfung der Übereinstimmung einer Exposition<br />

<strong>mit</strong> den Expositionsbegrenzungen sowie <strong>die</strong> Bewertung<br />

des sozialen und ökonomischen Einflusses<br />

in der Verantwortlichkeit der nationalen Regierungen<br />

und ihrer zuständigen Behörden liegt. Verschiedene<br />

wissenschaftliche Beratungsgremien können jedoch<br />

wichtige Hintergrundinformationen bereitstellen, wie<br />

z. B. über das Ausmaß einer Schädigung, <strong>die</strong> einer<br />

Exposition zugeschrieben wird, über das Ausmaß der<br />

Expositionen oder mögliche Risikogruppen usw..<br />

ICNIRP erkennt jedoch <strong>die</strong> Notwendigkeit für technische<br />

Hilfestellungen bei der Umsetzung von biolo-


§§<br />

gisch gerechtfertigten Begrenzungen der Exposition<br />

in praktische Expositionsbegrenzungen für spezielle<br />

Expositionssituationen an. Dieses erfordert physikalische<br />

und technische Expertise für <strong>die</strong> Entwicklung<br />

praktischer Maßnahmen, <strong>die</strong> zur Übereinstimmung <strong>mit</strong><br />

den ICNIRP-Richtlinien führen. Dies schließt Anleitungen<br />

über <strong>die</strong> Prinzipien und Praxis von Messungen<br />

ein sowie Kenntnisse über den Aufbau von Anlagen<br />

und/oder von Schutzmaßnahmen zur Reduktion der<br />

Exposition und umfasst angemessene Emissionsbegrenzungen<br />

für spezifische Anlagen- oder Gerätetypen.<br />

So enthalten beispielsweise aus <strong>die</strong>sen Gründen<br />

<strong>die</strong> EMF-Richtlinien der ICNIRP keine Produktstandards<br />

oder Anleitungen für Berechnungsmethoden<br />

oder für Messverfahren.<br />

Die Organisationen, <strong>die</strong> am besten zur Durchführung<br />

solcher technischen Aufgaben qualifiziert sind, sind<br />

<strong>die</strong> internationalen, regionalen und nationalen technischen<br />

<strong>Stand</strong>ardisierungsgremien. Diese schließen<br />

<strong>die</strong> Internationale Elektrotechnische Kommission<br />

(IEC), <strong>die</strong> Internationale <strong>Stand</strong>ardorganisation (ISO),<br />

und das Europäische Ko<strong>mit</strong>ee für Elektrotechnische<br />

<strong>Stand</strong>ardisierung (CENELEC) ein. ICNIRP ist der Auffassung,<br />

dass internationale Gremien für <strong>die</strong> technische<br />

<strong>Stand</strong>ardisierung in geeigneter Weise Produktstandards<br />

für spezielle Geräte- und Anlagentypen entwickelt<br />

sollten, um <strong>die</strong> Übereinstimmung <strong>mit</strong> den Basisbegrenzungen<br />

zu er<strong>mit</strong>teln.<br />

Literaturverzeichnis<br />

[1] ICNIRP 2002: General approach to protection against<br />

non-ionizing radiation. Health Physics 82 (4), 540-548, 2002<br />

[2] FDA 1993: Good laboratory practice for non-clinical laboratory<br />

stu<strong>die</strong>s. Food and Drug Administration, US Department<br />

of Health and Human Services. Fed. Reg. 21 CFR Ch. 1<br />

(4-1-93 Edition), Part 58, 245-258, 1993<br />

[3] Repacholi, M.H.; Cardis, E.: Criteria for EMF health risk<br />

assessment. Radiation Protection Dosimetry 72, 305-312,<br />

1997<br />

[4] SSK 2001: Grenzwerte und Vorsorgemaßnahmen zum<br />

Schutz der Bevölkerung vor elektromagnetischen Feldern<br />

(Empfehlung der Strahlenschutzkommission, verabschiedet<br />

in der 173. Sitzung am 04.Juli 2001), Berichte der Strahlenschutzkommission,<br />

Heft 29, Urban & Fischer, München, Jena,<br />

2001<br />

[5] ICNIRP 1998: Guidelines for li<strong>mit</strong>ing exposure to timevarying<br />

electric, magnetic, and electromagnetic fields (up to<br />

300 GHz). Health Physics 74(4), 494-522, 1998<br />

Prof. Dr. J. H. Bernhardt war Abteilungsleiter im Bundesamt<br />

für Strahlenschutz und Vorsitzender der ICNIRP.<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter 41<br />

NEWS E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter 41<br />

NEWS


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

„Mobilfunk und G<br />

Thomas Barmüller<br />

Der Wissenschaftliche Beirat Funk (WBF) wurde <strong>vom</strong> Bundesministerium für Verkehr, Innovation und<br />

Technologie (BMVIT) in Österreich ins Leben gerufen und im März <strong>die</strong>ses Jahres von Vizekanzler und<br />

Infrastrukturminister Hubert Gorbach bei den Austrian Research Centers Seibersdorf (ARGS) installiert,<br />

um wissenschaftlich fun<strong>die</strong>rte Antworten zu möglichen gesundheitlichen Auswirkungen durch Mobilfunk<br />

zu finden. Er soll hinsichtlich des Themas EMVU in Österreich zu einer Versachlichung der Diskussion um<br />

eventuelle gesundheitliche Auswirkungen durch den Mobilfunk beitragen.<br />

Im Folgenden werden <strong>die</strong> Ergebnisse des kürzlich durchgeführten Konsensusmeetings „Mobilfunk &<br />

Gesundheit“ vorgestellt, <strong>die</strong> Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirat Funk am 4. November 2004 in<br />

Wien im Beisein von Staatssekretär Mainoni präsentiert haben. „Nach derzeitigem <strong>Stand</strong> der<br />

Wissenschaft“, so der zusammenfassende Befund der Wissenschaftler, „gibt es keinen Nachweis für<br />

eine Gefährdung der Gesundheit durch elektromagnetische Felder des Mobilfunks unterhalb der von der<br />

WHO/ICNIRP (World Health Organisation/International Commission On Non-Ionising Radiation<br />

Protection) empfohlenen Grenzwerte. Ungeachtet der bisherigen Erkenntnisse l<strong>auf</strong>en derzeit<br />

umfangreiche internationale Stu<strong>die</strong>n, deren Ergebnisse umgehend <strong>vom</strong> WBF wissenschaftlich diskutiert<br />

und bewertet werden.“ Und Handymaste, so <strong>die</strong> Wissenschafter, seien „für <strong>die</strong> scientific community kein<br />

Thema mehr“.<br />

42 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g


esundheit“<br />

Konsensusmeeting<br />

Die Ergebnisse des Wissenschaftlichen Beirats Funk<br />

Aufgabenstellungen an <strong>die</strong> Wissenschaftler:<br />

Stu<strong>die</strong>n sichten, bewerten und...<br />

Aufgabenstellung an <strong>die</strong> Wissenschaftler war, berichtete<br />

WBF-Vorsitzender Dr. Norbert Vana, Universitätsprofessor<br />

für Dosimetrie und Strahlenschutz an der<br />

Technischen Universität Wien, „<strong>die</strong> in der öffentlichen<br />

Diskussion immer wieder zitierten Stu<strong>die</strong>n einer<br />

wissenschaftlichen Prüfung zu unterziehen, dadurch<br />

<strong>die</strong> Spreu <strong>vom</strong> Weizen zu trennen und ausgehend von<br />

wissenschaftlich seriösen Stu<strong>die</strong>n zu einer Meinungsbildung<br />

hinsichtlich der Frage einer gesundheitlichen<br />

Gefährdung durch elektromagnetische Felder des<br />

Mobilfunk zu kommen.“<br />

Das Problem in der öffentlichen Diskussion sei, betonte<br />

Vana, dass viele Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong> zitiert werden,<br />

keineswegs wissenschaftlichen <strong>Stand</strong>ards, nicht<br />

einmal Mindeststandards, entsprechen, aber trotzdem<br />

zur Untermauerung einer bestimmten Meinung<br />

herangezogen würden. Dies sei ein Grund für Verunsicherung<br />

und Ängste der Bevölkerung. Ein wichtiges<br />

Ziel des WBF sei es gewesen, hier Klarheit zu schaffen.<br />

Daher sei es zunächst darum gegangen, so Vana<br />

weiter, in einer eigenen, dem Konsensusmeeting vorausgehenden<br />

Expertenrunde Anfang Juni <strong>die</strong>ses Jahres<br />

(Mindest-) Kriterien festzulegen, <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong><br />

als wissenschaftlich definiert werden, erfüllen müssen.<br />

U. a. seien Kriterien wie statistische Nachvollziehbarkeit,<br />

Reproduzierbarkeit, eindeutig nachgewiesene<br />

Kausalität (keine Vermutungen!) und <strong>die</strong> klare<br />

Unterscheidung zwischen biologischen Effekten (<strong>die</strong><br />

keineswegs gesundheitsbeeinträchtigend sein müssen)<br />

und tatsächlich gesundheitsrelevanten Effekten<br />

unverzichtbar. Alle teilnehmenden Wissenschafter –<br />

neben den WBF-Mitgliedern auch geladene Gäste –<br />

haben sich zu <strong>die</strong>sen Kriterien bekannt.<br />

... wissenschaftlich fun<strong>die</strong>rte Antworten<br />

<strong>auf</strong> Fragen einer möglichen gesundheitlichen<br />

Gefährdung durch Mobilfunk erarbeiten<br />

Nach der Festlegung der Stu<strong>die</strong>nkriterien hatten sich<br />

<strong>die</strong> Wissenschafter <strong>auf</strong> Basis der jeweils relevanten<br />

wissenschaftlichen Stu<strong>die</strong>n <strong>mit</strong> drei Fragenkomplexen<br />

auseinanderzusetzen, <strong>die</strong> dann beim Konsensusmeeting<br />

diskutiert wurden und zu einer Meinungsbildung<br />

führten:<br />

Gibt es einen Einfluss des Mobilfunks <strong>auf</strong> das Nervensystem?<br />

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mobilfunk<br />

und Tumorentstehung?<br />

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Mobilfunk<br />

und der Befindlichkeit des Menschen?<br />

„Alle Ergebnisse des Konsensusmeetings“, betonte<br />

Vana, sind unter Berücksichtigung der Stu<strong>die</strong>n, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> festgelegten wissenschaftlichen Mindeststandards<br />

erfüllen, und intensiven Diskussionen darüber einvernehmlich<br />

erzielt worden.“<br />

Der Befund: „Derzeit kein Nachweis<br />

einer gesundheitlichen Gefährdung“<br />

So hielten <strong>die</strong> Wissenschafter nach eingehender Diskussion<br />

zusammenfassend fest, dass es „nach derzeitigem<br />

<strong>Stand</strong> der Wissenschaft keinen Nachweis<br />

für eine Gefährdung der Gesundheit durch elektromagnetische<br />

Felder des Mobilfunks unterhalb der von<br />

der WHO/ICNIRP empfohlenen Grenzwerte gibt. Ungeachtet<br />

der bisherigen Erkenntnisse l<strong>auf</strong>en derzeit<br />

umfangreiche internationale Stu<strong>die</strong>n, deren Ergebnis-<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

43


E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

se umgehend <strong>vom</strong> WBF wissenschaftlich diskutiert<br />

und bewertet werden.“<br />

Handymaste: „Tausendfach schwächere<br />

Exposition als beim Telefonieren selbst,<br />

daher kein Thema mehr“<br />

Im Rahmen des Konsensusmeetings wurde auch <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> immer wieder diskutierten Befürchtungen über<br />

gesundheitsgefährdende Auswirkungen <strong>auf</strong> Anrainer<br />

von Handymasten bzw. Mobilfunkbasisstationen eingegangen.<br />

„Die einhellige Meinung aller anwesenden<br />

Wissenschafter war,“ berichtete Vana, „dass Handymasten<br />

in der scientific community kein Thema mehr<br />

sind.“ Denn: „Die von den Handymasten ausgehende<br />

Exposition ist um den Faktor 1.000 bis 10.000 geringer<br />

als beim Telefonieren selbst. Und wenn Telefonieren<br />

<strong>mit</strong> dem Handy zu keiner nachweisbaren gesundheitlichen<br />

Gefährdung führt, kann man bezüglich<br />

der tausendfach schwächeren Exposition erst recht<br />

beruhigt sein.“ (Vana).<br />

Gibt es einen Einfluss des Mobilfunks<br />

<strong>auf</strong> das Nervensystem?<br />

Den Wissenschaftern stellte sich konkret <strong>die</strong> Frage,<br />

erläuterte der Stellvertretende Vorsitzende des WBF,<br />

Univ.-Prof. Dr. Christian Wolf, Klinische Abteilung für<br />

Arbeitsmedizin an der Medizinuniversität Wien, ob<br />

Emissionen, wie sie von elektromagnetischen Feldern<br />

eines Handys ausgehen, Auswirkungen <strong>auf</strong> das Nervensystem,<br />

im speziellen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> kognitiven Fähigkeiten<br />

des Menschen (z. B. Gedächtnis, Aufmerksamkeit,<br />

Reaktionsfähigkeit), <strong>auf</strong> das EEG und <strong>die</strong> Schlafqualität<br />

haben.<br />

Die dafür in Frage kommenden wissenschaftlichen<br />

Untersuchungen wurden <strong>vom</strong> Neurologen Univ.-Prof.<br />

Dr. Josef Zeitlhofer, Universitätsklinik für Neurologie/<br />

Medizinuniversität Wien, und den beiden Psychologen<br />

Mag. Dr. Cornelia Sauter (ebenfalls Univ.-Klinik<br />

für Neurologie) und Dr. Alfred Barth, bis September<br />

ebenfalls an der Universitätsklinik für Neurologie, jetzt<br />

Bereich Arbeitswissenschaft und Organisation am Institut<br />

für Managementwissenschaften/Technische<br />

Universität Wien, gesichtet und <strong>die</strong> Ergebnisse bewertet.<br />

44 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g<br />

Der Befund: Keine Beeinträchtigung<br />

der Gehirntätigkeit<br />

Demnach, so der übereinstimmende Befund der drei<br />

Experten, gibt es nach derzeitigem <strong>Stand</strong> der Wissenschaft<br />

unterhalb der empfohlenen Grenzwerte keinen<br />

Nachweis für eine gesundheitliche Gefährdung der Gehirntätigkeit<br />

durch Mobilfunk. Die Teilnehmer am Konsensusmeeting<br />

schlossen sich <strong>die</strong>sem Ergebnis einstimmig an.<br />

Im Wortlaut: Ergebnis bezüglich Mobilfunk<br />

und kognitiven Fähigkeiten, EEG und<br />

Schlafqualität<br />

„Eine Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten<br />

(z.B. Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeiten)<br />

bei Exposition durch Mobilfunk ist<br />

bei Einhaltung der Grenzwerte nach heutigem Wissensstand<br />

eindeutig auszuschließen.<br />

Die Hirnstromaktivität (EEG) des Menschen zeigt<br />

grundsätzlich große individuelle Unterschiede. Änderungen<br />

einzelner Parameter sind beim arbeitenden<br />

Gehirn ganz natürlich, <strong>die</strong> bisherigen Untersuchungen<br />

– auch wenn sie teilweise geringe<br />

Veränderungen beschreiben – lassen keinen Schluss<br />

<strong>auf</strong> eine gesundheitsschädigende Wirkung zu.<br />

In Schlafuntersuchungen fanden sich geringe Veränderungen<br />

einzelner Parameter, jedoch keine,<br />

<strong>die</strong> eine Störung der Schlafqualität oder ein Gesundheitsrisiko<br />

darstellen.“<br />

Gibt es einen Zusammenhang zwischen<br />

Mobilfunk und Tumorentstehung?<br />

Diese Frage, federführend untersucht <strong>vom</strong> Onkologen<br />

Univ.-Prof, Dr. Heinz Ludwig, 1. Medizinische Abteilung<br />

<strong>mit</strong> Onkologie am Wilhelminenspital/Wien, war<br />

das am intensivsten diskutierte Thema.<br />

Ludwig wies dar<strong>auf</strong> hin, dass ältere Stu<strong>die</strong>n <strong>auf</strong>grund<br />

der technologischen Entwicklung <strong>mit</strong> geringerer Exposition<br />

für <strong>die</strong> gegenwärtige Situation nicht mehr relevant<br />

und jüngere Stu<strong>die</strong>n <strong>mit</strong> dem Nachteil behaftet<br />

sind, dass kanzerogene Einwirkungen erst nach längerer<br />

Expositionsdauer zu nachhaltigen Effekten führen,<br />

und so<strong>mit</strong> <strong>die</strong> Nachbeobachtungsdauer für eine<br />

definitive Bewertung zu kurz ist.


Der Befund: Derzeit kein eindeutiger<br />

Zusammenhang zwischen Mobilfunk und<br />

erhöhter Tumorhäufigkeit zu erkennen.<br />

Endgültige Beurteilung erst nach Vorliegen<br />

der Ergebnisse l<strong>auf</strong>ender Stu<strong>die</strong>n möglich.<br />

Die bisher vorliegenden Ergebnisse der in den Jahren<br />

1980 bis 1995 durchgeführten Kohortenstu<strong>die</strong>n lassen,<br />

so Ludwig, „keinen eindeutigen Zusammenhang<br />

zwischen Mobilfunkanwendung und erhöhter Tumorinzidenz,<br />

insbesondere in Bezug <strong>auf</strong> Akustikusneurinome<br />

und Aderhautmelanome erkennen. Ein möglicher<br />

Zusammenhang ist allerdings <strong>auf</strong>grund <strong>die</strong>ser<br />

Daten auch nicht auszuschließen.“ Der Onkologe wies<br />

dar<strong>auf</strong> hin, dass derzeit eine Reihe von internationalen<br />

Stu<strong>die</strong>n <strong>mit</strong> großen Probandenzahlen l<strong>auf</strong>en und<br />

erst nach Vorliegen <strong>die</strong>ser Ergebnisse eine Risikoabschätzung<br />

der aktuellen Situation möglich sein werde.<br />

Nach intensiver Diskussion des Themas einigten<br />

sich <strong>die</strong> Teilnehmer am Konsensusmeeting einvernehmlich<br />

<strong>auf</strong> nachfolgende Stellungnahme:<br />

Im Wortlaut: Ergebnis bzgl. Mobilfunk<br />

und Tumorentstehung<br />

„Die bisher vorliegenden Stu<strong>die</strong>n lassen keinen<br />

eindeutigen Zusammenhang zwischen Mobilfunk<br />

und erhöhter Tumorhäufigkeit, insbesondere in<br />

Bezug <strong>auf</strong> Tumore im Kopfbereich, erkennen.<br />

Wenn es nach Meinung einzelner Autoren gegenteilige<br />

Hinweise gibt, so ist festzuhalten, dass<br />

<strong>die</strong>se Daten sich <strong>auf</strong> Technologien beziehen, <strong>die</strong><br />

seit Jahren nicht mehr in Verwendung sind.<br />

Im Hinblick <strong>auf</strong> <strong>die</strong> lange Latenzzeit und <strong>die</strong> Entwicklung<br />

der Technologien des Mobilfunks l<strong>auf</strong>en<br />

derzeit intemationale Stu<strong>die</strong>n zu <strong>die</strong>sem Thema,<br />

deren Ergebnisse <strong>vom</strong> WBF diskutiert und bewertet<br />

werden.“<br />

Gibt es einen Zusammenhang zwischen<br />

Mobilfunk und der Befindlichkeit des Menschen?<br />

Mit der Frage einer Beeinträchtigung der Befindlichkeit<br />

des Menschen haben sich, berichtetet Wolf, vier<br />

ernstzunehmende Stu<strong>die</strong>n unterschiedlicher Qualität<br />

beschäftigt.<br />

Der Befund: Derzeit keine nachweisbare<br />

Kausalität zwischen Befindlichkeitsstörungen<br />

und Mobilfunk<br />

Die intensive Befassung <strong>mit</strong> den Inhalten <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong>n<br />

habe für ihn <strong>die</strong> Erkenntnis gebracht, dass es<br />

derzeit keine nachweisbare Kausalität zwischen Befindlichkeitsstörungen<br />

und der Exposition durch elektromagnetische<br />

Felder im Zusammenhang <strong>mit</strong> Mobilfunk<br />

gebe. Er habe <strong>die</strong>ses Ergebnis seiner Arbeit im Konsensusmeeting<br />

präsentiert, <strong>die</strong> anwesenden Wissenschaftler<br />

haben sich <strong>die</strong>ser Meinung einhellig angeschlossen.<br />

Im Wortlaut: Ergebnis bezüglich Mobilfunk<br />

und Befindlichkeit des Menschen<br />

„Die vorliegenden Untersuchungen zeigen keinen<br />

Zusammenhang zwischen Befindlichkeit und der<br />

Exposition des Mobilfunks.“<br />

Mitglieder des wissenschaftlichen<br />

Beirats Funk (WBF):<br />

Univ.-Prof. Dr. Norbert Vana, (Vorsitzender des WBF), Technische<br />

Universität Wien, Atominstitut der Österreichischen Universitäten<br />

Univ.-Prof. Dr. Christian Wolf, (Stv. Vorsitzender des WBF),<br />

Klinische Abteilung für Arbeitsmedizin, Medizinuniversität<br />

Wien<br />

Dr. Alfred Barth, Bereich Arbeitswissenschaft und Organisation,<br />

Institut für Managementwissenschaften, TU Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Gerhard Lechner, Vertreter des Obersten Sanitätsrates,<br />

Vorstand der Universitätsklinik für Radiodiagnostik<br />

der Universität Wien<br />

Prim. Univ.-Prof. Dr. Heinz Ludwig, Vorstand der 1. Medizinischen<br />

Abteilung <strong>mit</strong> Onkologie am Wilhelminenspital, Wien<br />

Dr. Georg Neubauer, ARC Seibersdorf Ges.m.b.H., Business<br />

Area of Mobile Communications Safety<br />

Mag. Dr. Cornelia Sauter, Universitätsklinik für Neurologie,<br />

Medizinuniversität Wien<br />

Univ.-Prof. Dr. Josef Zeitlhofer, Universitätsklinik für Neurologie,<br />

Medizinuniversität Wien<br />

Von den Ministerien/Bundeskanzleramt in den WBF entsandt<br />

(ohne Stimmrecht):<br />

Dr. Brigitte Kraus, Bundesministerium für Gesundheit und<br />

Frauen<br />

HR Dl Franz Prull, stv. Leiter KommAustria; Leiter der Rundfunktechnik<br />

Dr. Christian Singer, Leiter der Abteilung PT2, Juristischer<br />

Dienst Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie,<br />

Sektion 111<br />

Dr. Katharina Stangl, Abteilung V/7, Strahlenschutz, Bundesministerium<br />

für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und<br />

Wasserwirtschaft<br />

Magister Thomas Barmüller arbeitet in der Geschäftsführung<br />

<strong>vom</strong> Forum Mobilkommunikation (FMK) in Wien/Österreich.<br />

E M V U - W a h r n e h m u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

45


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Reduzierung der Expo<br />

Mobiltelefon-<br />

Was ist technisch möglich und sinnvoll?<br />

Sigurd Goltz,<br />

Siegfried Eggert<br />

46 NEWS 46 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Einleitung<br />

Die Entwicklung und <strong>die</strong> Einführung der Mobiltelefone<br />

der zweiten Generation (GSM 900 und DCS 1800)<br />

und dritten Generation (UMTS) als Mittel einer unbeschränkten<br />

Massenkommunikation hat im Hinblick <strong>auf</strong><br />

<strong>die</strong> Exposition der Menschen gegenüber elektromagnetischen<br />

Feldern zu einer neuen Situation geführt,<br />

<strong>die</strong> durch folgende besondere Merkmale gekennzeichnet<br />

ist:<br />

Die Zahl der Exponierten hat sich, verglichen <strong>mit</strong><br />

der Zeit vor der Einführung des Mobilfunks, vervielfacht<br />

(Teilnehmerzahlen 2004 in GSM-Netzen für<br />

Westeuropa: 450 Mio., für <strong>die</strong> BRD 67,5 Mio.).<br />

Es sind Menschen jeden Alters und jeglichen Gesundheitszustandes<br />

den Feldern gegenüber exponiert<br />

und es gibt keine Kontrolle der Expositionsbedingungen,<br />

insbesondere der Expositionszeit.<br />

Die Exposition erfolgt im physikalischen Sinn unter<br />

Nahfeldbedingungen.<br />

Parallel <strong>mit</strong> dem Ausbau der vorhandenen Mobilfunknetze<br />

und dem Aufbau neuer Funknetze (UMTS, WLAN)<br />

werden weltweit Forschungsarbeiten zur biologischen<br />

Wirkung der von Mobilfunksystemen ausgehenden<br />

elektromagnetischen Felder durchgeführt. Das stetige<br />

Anwachsen der Teilnehmerzahlen zeigt, dass der<br />

größte Teil der Nutzer aus <strong>die</strong>ser Funktechnologie<br />

persönliche und berufliche Vorteile zieht, mögliche<br />

gesundheitliche Bedenken nicht in den Vordergrund<br />

stellt bzw. sich <strong>auf</strong> den gegenwärtigen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisstand, dass von Mobiltelefonen keine<br />

Gesundheitsfahren ausgehen, verlässt.<br />

Andererseits formiert sich <strong>mit</strong> dem weiteren massiven<br />

Ausbau der Funknetze eine Gegnerschaft, <strong>die</strong><br />

sich vor allem von den Basisstationen und nicht von<br />

den Mobiltelefonen gesundheitlich bedroht fühlt, ob-


sition von<br />

Nutzern<br />

wohl von Letzteren der größte Teil der Exposition verursacht<br />

wird. Zu beachten ist dabei, dass <strong>die</strong>ser Widerstand<br />

<strong>auf</strong>grund gesundheitlicher Beschwerden vieler<br />

Menschen, <strong>die</strong> im näheren Umfeld von Basisstationen<br />

wohnen, erst <strong>mit</strong> dem Aufbau der D- und E-<br />

Netze entstand, obwohl es zuvor bereits jahrelang<br />

<strong>die</strong> Basisstationen des C-Netzes gab, deren Sendeleistung<br />

zumeist höher war.<br />

Auch gegen <strong>die</strong> Mobiltelefone gibt es Widerstände,<br />

obwohl nur Mobiltelefone angeboten werden, für <strong>die</strong><br />

der Nachweis vorliegen muss [1], dass <strong>die</strong> international<br />

akzeptierten Grenzwerte eingehalten werden [2, 3].<br />

Um auch <strong>die</strong>sen Nutzern zu helfen, ihre Bedenken zu<br />

überwinden, werden in <strong>die</strong>sem Beitrag <strong>die</strong> wichtigsten<br />

physikalisch-biologischen Zusammenhänge, <strong>die</strong><br />

bei der Mobiltelefonnutzung eine Rolle spielen, dargestellt<br />

und Wege <strong>auf</strong>gezeigt, wie <strong>die</strong> Exposition des<br />

Nutzers verringert werden kann. Dabei wird auch <strong>auf</strong><br />

Produkte eingegangen, deren Wirkung nur <strong>auf</strong> „Glauben“<br />

und nicht <strong>auf</strong> anerkannten physikalisch-biologischen<br />

Grundlagen beruht.<br />

Physikalisch-biologische Grundlagen<br />

Handgehaltene Mobiltelefone, daher auch ihr Kunstname<br />

„Handy“, sind im nachrichtentechnischen Sinne<br />

Sende-Empfangsgeräte, <strong>die</strong> sich hinsichtlich ihres<br />

Frequenzbereiches und der Art und Weise der Aufprägung<br />

des Sprachsignals <strong>auf</strong> <strong>die</strong> hochfrequente Trägerfrequenz<br />

(Modulation) von anderen Sprechfunkgeräten<br />

unterscheiden. Zur Abstrahlung und zum Empfang<br />

der Hochfrequenzenergie ist immer eine Antenne<br />

erforderlich. Soll ein Bauteil eines Gerätes <strong>mit</strong><br />

einem akzeptablen Wirkungsgrad als Antenne wirken,<br />

so müssen zumindest <strong>die</strong> folgenden Grundbedingungen<br />

erfüllt sein:<br />

Die größte Längsausdehnung des Bauteils muss<br />

in der Größenordnung der Wellenlänge des Hochfrequenzsignals<br />

liegen.<br />

Es muss ein elektrisches „Gegengewicht“ zur Antenne<br />

(z. B. das Gehäuse) vorhanden sein.<br />

Bei den Mobiltelefonen werden <strong>die</strong>se Bedingungen<br />

nur in begrenztem Maße erfüllt.<br />

Art und Form der Antennen haben sich im L<strong>auf</strong>e der<br />

Mobiltelefonentwicklung verändert, da sie sich auch<br />

wandelnden gestalterischen Ansprüchen (Gehäusedesign)<br />

und Kundenwünschen anpassen mussten. Auf<br />

<strong>die</strong> typische Antennenformen wird im Weiteren näher<br />

eingegangen. Aufgrund der sehr kompakten Bauweise<br />

der Mobiltelefone und der körpernahen Nutzung<br />

werden <strong>die</strong> Strahlungseigenschaften nicht nur von der<br />

Antenne, sondern auch von der Kombination Antenne/Mobiltelefongehäuse<br />

und der jeweiligen Position<br />

in un<strong>mit</strong>telbarer Kopfnähe und der das Mobiltelefon<br />

haltenden Hand bestimmt. Bild 1 zeigt ein berechnetes<br />

Strahlungsdiagramm eines Mobiltelefons <strong>mit</strong> integrierter<br />

Antenne <strong>mit</strong> Kopf des Benutzers [4].<br />

Weil <strong>die</strong> Mobiltelefone überwiegend in un<strong>mit</strong>telbarer<br />

Kopfnähe betrieben werden, findet eine Kopplung<br />

zwischen dem biologischen Objekt Mensch und der<br />

Antenne über das von der Antenne erzeugte elektrische<br />

und magnetische Feld (Nahfeld) statt. Ein Teil der<br />

von der Antenne abgestrahlten Hochfrequenzenergie wird<br />

dabei im Körpergewebe absorbiert und in Wärme umgewandelt.<br />

Er geht für den eigentlichen Zweck der Telekommunikation<br />

verloren und trägt teilweise erheblich<br />

zur Verkürzung der Einsatzzeit der Batterie bei.<br />

Dieser im Kopfbereich absorbierte Energieanteil und<br />

<strong>die</strong> da<strong>mit</strong> verbundenen vermuteten Gesundheitsbeeinflussungen<br />

sind ein Grund für <strong>die</strong> Angst vieler Menschen<br />

vor dem Mobilfunk.<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

47


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Bild 1: Strahlungsdiagramm eines Mobiltelefons <strong>mit</strong> intetgrierter Antenne (4)<br />

Das Maß für <strong>die</strong> in biologisches Gewebe eingekoppelte<br />

Energie ist <strong>die</strong> Spezifische Absorptionsrate (SAR –<br />

Specific Absorption Rate), eine Messgröße, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

absorbierte Leistung bezogen <strong>auf</strong> eine definierte Körpermasse<br />

(W/kg) angibt. Sämtliche gegenwärtig existierenden<br />

Personenschutzgrenzwerte für Expositionen<br />

im Hoch- und Höchstfrequenzbereich basieren <strong>auf</strong> Erkenntnissen<br />

zur thermischen Wirkung, deshalb werden<br />

<strong>die</strong> festgelegten Werte für <strong>die</strong> SAR auch als Basisgrenzwerte<br />

bezeichnet.<br />

Das bedeutet aber nicht, dass <strong>die</strong> ICNIRP [2] <strong>die</strong><br />

Ergebnisse der Forschung zu den vermuteten sogenannten<br />

nichtthermischen Wirkungen nicht zur Kenntnis<br />

nimmt und bewertet. Bisher liegen <strong>auf</strong> <strong>die</strong>sem<br />

Gebiet aber keine Resultate vor, <strong>die</strong> eine Grundlage<br />

für neue Grenzfestsetzungen bilden könnten.<br />

Im Mobilfunkbereich können direkte Personengefährdungen<br />

<strong>mit</strong> Sicherheit ausgeschlossen werden, wenn<br />

eine Teilkörper-SAR von 20 mW/10 g [2] eingehalten<br />

wird, was einem Wert von 2 W/kg entspricht. Das ist<br />

bei allen handgehaltenen Mobiltelefonen der Fall.<br />

Dabei ist zu beachten, dass sich <strong>die</strong>ser Grenzwert<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> allgemeine Bevölkerung bezieht und 1/5 des<br />

Grenzwertes für eine berufliche Exposition beträgt.<br />

48 NEWS 48 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Den Zusammenhang zwischen SAR, Gewebeparametern,<br />

Feldgrößen sowie thermischen Größen zeigt Gleichung<br />

1.<br />

<strong>mit</strong><br />

(Gl. 1)<br />

SAR spezifische Absorptionsrate in W/kg<br />

σ elektrische Gewebe-Leitfähigkeit in S/m<br />

ρ Gewebe-Dichte in kg/m 3<br />

E Effektivwert der elektrischen Ersatzfeldstärke<br />

i<br />

im Gewebe in V/m<br />

c spezifische Wärmekonstante des Gewebes in<br />

J/kg . K<br />

∆T Temperaturanstieg im Erwärmungszeitintervall<br />

∆t in K<br />

∆t Erwärmungszeitintervall in s.<br />

Messungen an Mobiltelefonen zur Kontrolle der Einhaltung<br />

der zulässigen SAR-Werte werden in Europa<br />

nach dem Produktstandard [1] durchgeführt. Die in<br />

<strong>die</strong>sem <strong>Stand</strong>ard beschriebenen Messverfahren sowie<br />

auch numerische Verfahren beruhen <strong>auf</strong> den Er-


Bild 2: SAR-Messung <strong>mit</strong> dem ESM-120<br />

(Maschek-Elektronik)<br />

gebnissen von Forschungsarbeiten, <strong>die</strong> frühzeitig parallel<br />

<strong>mit</strong> der Zunahme körpernah gehaltener Funktelefone<br />

durchgeführt wurden und einen hohen technischen<br />

<strong>Stand</strong> <strong>auf</strong>weisen [5].<br />

Kommerzielle SAR-Messplätze erfordern einen hohen<br />

Investitions<strong>auf</strong>wand, werden stationär betrieben und<br />

<strong>die</strong> Messungen erfordern einen hohen Zeit<strong>auf</strong>wand.<br />

Seit 2004 steht auch ein transportables SAR-Meter<br />

zur Verfügung, dessen patentiertes Messverfahren<br />

sogar eine Echtzeitmessung der SAR und eine problemlose<br />

Vor-Ort-Messung ermöglicht [6]. Weitere Vorteile<br />

sind <strong>die</strong> Schnelligkeit der Messung und <strong>die</strong> Preisgünstigkeit<br />

des Messsystems. Dieses Verfahren ist<br />

nicht zugelassen für Messungen nach der EN 50361<br />

[1]. Bild 2 zeigt das eine SAR-Messung an einem<br />

Mobiltelefon <strong>mit</strong> dem SAR Meter ESM-120.<br />

Einen schnellen und anschaulichen Überblick über<br />

<strong>die</strong> Energieabsorption und -verteilung an der Kopfoberfläche<br />

in Abhängigkeit von dem verwendeten Mobiltelefon<br />

und seiner Antenne liefern thermografische<br />

Verfahren. Hierbei werden z. B. Kopfmodelle aus<br />

Schaumpolystyrol verwendet, <strong>die</strong> <strong>mit</strong> einer Absorberfolie<br />

überzogen sind, <strong>die</strong> der menschlichen Haut nachgebildete<br />

elektrische Eigenschaften <strong>auf</strong>weist [7].<br />

Bild 3: Darstellung des Erwärmungsvorganges über<br />

eine Serie von 15 Einzel<strong>auf</strong>nahmen<br />

Bild 3 zeigt eine Serie von 15 Einzel<strong>auf</strong>nahmen, <strong>die</strong><br />

im Abstand von jeweils 20 s <strong>die</strong> momentane Temperaturverteilung<br />

<strong>auf</strong> der Kopfmodell-Oberfläche im Bereich<br />

der Antenne darstellen.<br />

Deutlich ist zu sehen, dass <strong>die</strong> maximale Energieabsorption<br />

bei einer Stabantenne im Bereich des Antennenfußpunktes<br />

erfolgt (Antennenstrommaximum), d. h.<br />

das magnetische Antennen-Nahfeld bestimmt im Wesentlichen<br />

den Energieeintrag in den Kopf. Ein vergleichbares<br />

Bild würde sich bei den überwiegend bei<br />

aktuellen Mobiltelefonen eingesetzten Spulen-(Helix-)<br />

Antennen <strong>mit</strong> kurzer B<strong>auf</strong>orm ergeben, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Stabantennen<br />

abgelöst haben und <strong>die</strong> ebenfalls ein konzentriertes<br />

Magnetfeld erzeugen.<br />

Eine direkte Messung der in den Kopf des Mobiltelefonnutzers<br />

eingekoppelten Energie (und da<strong>mit</strong> der<br />

SAR) ist selbstverständlich nicht möglich. Mit den<br />

SAR-Messplätzen wird in einem 1:1 Schalenphantom<br />

<strong>mit</strong> der Form des menschlichen Kopfes und Oberkörpers,<br />

das <strong>mit</strong> einer gewebeäquivalenten Flüssigkeit<br />

gefüllt ist, <strong>die</strong> SAR als Mittelwert über ein Volumen<br />

gemessen. Un<strong>mit</strong>telbare Rückschlüsse <strong>auf</strong> Temperaturerhöhungen<br />

und –verteilungen im realen Kopf des<br />

Nutzers sind nicht möglich, da durch den Blutfluss<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

49


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Bild 4: Erwärmung der Hautoberfläche nach<br />

13minutiger Exposition (Feldquelle: Mobiltelefon-<br />

Antennennachbildung <strong>mit</strong> 2 W cw gespeist)<br />

geringe lokale Erwärmungen abgeführt werden. Bei<br />

Phantommessungen ist eine Berücksichtigung des<br />

Wärmetransports durch das Blut nicht möglich. Mittels<br />

<strong>auf</strong>wändiger Modellrechnungen unter Berücksichtigung<br />

des Blutflusses wurde ein Temperaturanstieg<br />

im Gehirn von maximal 0,1 K er<strong>mit</strong>telt [8].<br />

Ursachen der von einigen Nutzern beklagten und <strong>mit</strong>tels<br />

Thermografie auch messbaren Erwärmungen im<br />

Bereich des Ohres oder der Haut in Ohrnähe während<br />

langer Telefonate sind im Wesentlichen <strong>die</strong> Wärmeisolierung<br />

des Ohres und der Wange durch das Mobiltelefon<br />

und <strong>die</strong> Eigenerwärmung des Gerätes bei längerer<br />

Betriebsdauer, während der Anteil der Hochfrequenz-Energieabsorption<br />

am Messergebnis bei der<br />

Untersuchung nach [9] kaum nachweisbar war.<br />

Hier muss aber betont werden, dass sich bei körpernah<br />

betriebenen Antennen, <strong>die</strong> <strong>mit</strong> deutlich höheren<br />

Leistungen als im Mobilfunkbereich betrieben werden,<br />

sehr gut Erwärmungsvorgänge an der Hautoberfläche<br />

thermografisch darstellen lassen. Bereits bei<br />

2 W <strong>mit</strong>tlerer Sendeleistung und längerer Einwirkung<br />

ist der Blutkreisl<strong>auf</strong> nicht mehr in der Lage,<br />

<strong>die</strong> lokale Erwärmung im Bereich der Hautoberfläche<br />

abzuführen (siehe Bild 4) und es kommt zu einem<br />

kontinuierlichen Anstieg der Hauttemperatur (Bild 5)<br />

[10].<br />

50 NEWS 50 letter 4/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Bild 5: Diagramm des Temperaturanstiegs im<br />

heißesten Punkt des in Bild 4 markierten Bereichs<br />

Wie kann <strong>die</strong> Exposition des Mobiltelefon-Nutzers<br />

verringert werden?<br />

Die Feld-Exposition des Mobiltelefon-Nutzers kann<br />

durch folgende Maßnahmen verringert werden:<br />

a) konstruktive Gestaltung von Mobiltelefonen (einschließlich<br />

Antenne)<br />

b) Verhalten des Nutzers<br />

c) Abschirmung.<br />

Darüber hinaus werden von verschiedenen Anbietern<br />

Produkte und Dienstleistungen angeboten, <strong>die</strong> Mobilfunkstrahlung<br />

„eliminieren“ oder versprechen, deren<br />

gesundheitliche Nebenwirkungen „zu neutralisieren“.<br />

Dazu gehören z. B.<br />

d) sogenannte „Feldsammler“, „Neutralisierer von<br />

Störschwingungen“, Elektrosmog „fressende“ Technologien<br />

wie z. B. „Skalarabsorber“ usw.; Kommentare<br />

dazu sind z. B. in [11] zu finden<br />

e) das Anbringen von Aufklebern, sogenannten<br />

„Chips“ am Mobiltelefon [12]<br />

f) Therapieverfahren zur Elektrosmog-Neutralisation<br />

<strong>mit</strong>tels Geräten oder Medikamenten.<br />

Während <strong>die</strong> Maßnahmen a) bis c) <strong>auf</strong> nachvollziehbaren<br />

physikalisch-biologischen Effekten beruhen,<br />

verlassen <strong>die</strong> Produkte unter d) bis f) <strong>die</strong>sen Bereich<br />

und begeben sich <strong>auf</strong> das Gebiet der Pseudowissen-


schaften. Hier kann nur noch der „Glaube“ des Nutzers<br />

etwas bewirken. Kritik an „Chip-Produkten“ ist<br />

unter anderem in [13] zu finden.<br />

Zu a)<br />

Mit konstruktiven Maßnahmen lässt sich <strong>die</strong> Exposition<br />

am wirkungsvollsten verringern. Obwohl <strong>die</strong> Optimierung<br />

von Mobiltelefon-Antennen in Richtung Reduzierung<br />

der Energieabsorption technisch möglich ist<br />

und Vorschläge seit langem vorliegen [14], haben <strong>die</strong><br />

Hersteller viele Gesichtspunkte zu beachten. Dazu<br />

gehören vor allem <strong>die</strong> Minimierung des Preises der<br />

Antenne, gestalterische Gesichtspunkte und Kundenwünsche,<br />

<strong>die</strong> einer Antennenoptimierung teilweise<br />

entgegenstehen. Die Entwicklung einer Antenne <strong>mit</strong><br />

verringerter Energieeinkopplung in den Kopf führt häufig<br />

zur gleichzeitigen Verschlechterung der Sende- und<br />

Empfangseigenschaften. Als Resultat muss das Mobiltelefon<br />

<strong>mit</strong> einer größeren Leistung bei seiner Verbindung<br />

<strong>mit</strong> der Basisstation senden, so dass im<br />

Endeffekt keine Expositionsverringerung <strong>auf</strong>tritt. Gestalterische<br />

Trends wie z. B. <strong>die</strong> „Klapphandys“, bei<br />

denen <strong>die</strong> Antenne konstruktionsbedingt weiter <strong>vom</strong><br />

Kopf des Nutzers positioniert ist, führen in der Regel<br />

zu einer Reduzierung der SAR.<br />

Da bis heute eine Einigung <strong>auf</strong> Kennzeichnung der<br />

Mobiltelefone in Bezug <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Höhe der in den Kopf<br />

eingekoppelten SAR nicht erreicht wurde und zudem<br />

alle <strong>auf</strong> dem Markt befindlichen Mobiltelefone <strong>die</strong><br />

SAR-Grenzwerte einhalten, besteht kein Druck <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

Hersteller, hier etwas zusätzlich zu tun.<br />

Mit dem ESM-120 wurden an drei typischen Mobiltelefonen<br />

SAR-Messungen durchgeführt: Mobiltelefon<br />

<strong>mit</strong> Helixantenne, Mobiltelefon <strong>mit</strong> im Gehäuse integrierter<br />

Antenne (Patchantenne) und ein modernes<br />

Klapptelefon (siehe Bild 2).<br />

In Tabelle 1 sind <strong>die</strong> SAR-Messergebnisse beim Verbindungs<strong>auf</strong>bau<br />

– hier sendet das Mobiltelefon immer<br />

<strong>mit</strong> Maximalleistung – zusammengefasst. Um den<br />

Mess<strong>auf</strong>wand zu reduzieren, wurde einmal ohne und<br />

einmal nach dem Anbringen eines sogenannten<br />

„Chips“ (siehe Maßnahme e) <strong>die</strong> SAR bestimmt. Ein<br />

messbarer Einfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong> SAR konnte nicht festgestellt<br />

werden (siehe auch Newsletter 02/04, S. 42).<br />

Zu b)<br />

Der Nutzer kann bei gesundheitlichen Bedenken mehr<br />

als allgemein angenommen zur Expositionsreduzierung<br />

beitragen. Dazu gehören<br />

Auswahl eines Mobiltelefons <strong>mit</strong> geringer SAR und<br />

gleichzeitig gutem Abstrahlverhalten<br />

keine „Strahlungsblocker“, „Antennen-Abschirmungen“<br />

u. dgl. einsetzen (siehe Ausführungen unter<br />

d) und e), <strong>die</strong> in den meisten Fällen genau das<br />

Gegenteil bewirken und <strong>die</strong> Sendeleistung zusätzlich<br />

erhöhen<br />

Mobiltelefon erst nach dem Verbindungs<strong>auf</strong>bau und<br />

der Gesprächsannahme an das Ohr halten (Mobiltelefon<br />

sendet beim Verbindungs<strong>auf</strong>bau <strong>mit</strong> Maximalleistung,<br />

erst danach setzt <strong>die</strong> Leistungsregelung<br />

ein) und <strong>die</strong> Gesprächszeiten kurz halten<br />

Antenne nicht <strong>mit</strong> den Fingern oder der Hand zusätzlich<br />

bedämpfen, da sonst <strong>die</strong> Sendeleistung<br />

erhöht wird<br />

Antenne nicht unnötig dem Kopf nähern oder sogar<br />

dagegen drücken; zur Abstandsvergrößerung Antenne-Kopf<br />

kann auch ein sogenanntes Headset<br />

benutzt werden<br />

wenn möglich, <strong>Stand</strong>orte <strong>mit</strong> guten Empfangsbedingungen<br />

aussuchen; <strong>auf</strong> <strong>die</strong> entsprechende Displayanzeige<br />

achten; gute Empfangsbedingungen<br />

korrespon<strong>die</strong>ren <strong>mit</strong> guten Sendebedingungen<br />

in Fahrzeugen Außenantennen benutzen, das gilt<br />

auch für Züge: hier sogenannte Repeater-Wagen,<br />

<strong>die</strong> entsprechend gekennzeichnet sind, für ein Gespräch<br />

<strong>auf</strong>suchen.<br />

Tabelle 1: SAR-Messergebnisse <strong>mit</strong> dem ESM-120<br />

und verschiedenen Mobiltelefonen<br />

Mobiltelefon <strong>mit</strong>: maximaler Effektivwert der<br />

SAR (jeweils über 1,3 s<br />

und 1 g Masse ge<strong>mit</strong>telt)<br />

beim Verbindungs<strong>auf</strong>bau<br />

Stabantenne 0,7 W/kg<br />

Spulen-(Helix-)Antenne 1,2 W/kg<br />

integrierter Antenne 1 W/kg<br />

Klapptelefon 0,44 W/kg<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

51


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Eine sehr gute Zusammenstellung, <strong>die</strong> den Boden<br />

der Physik und Biologie nicht verlässt und aus der in<br />

<strong>die</strong>se Aufzählung einige Punkte eingeflossen sind, ist<br />

unter [15] zu finden.<br />

Zu c)<br />

Soll ein Bau- oder Zusatzteil als Abschirmung wirken,<br />

so müssen mindestens folgende physikalische Bedingungen<br />

erfüllt sein:<br />

Die Längsausdehnung des Bauteils muss mindestens<br />

in der Größenordnung der Wellenlänge des<br />

Hochfrequenzsignals (D-Netz: Wellenlänge etwa 33<br />

cm) liegen, besser aber größer sein<br />

Die größte Wirkung hat eine Abschirmung, wenn<br />

sie <strong>die</strong> Strahlungsquelle vollständig einschließt,<br />

allerdings funktioniert dann das Telefon nicht mehr.<br />

Alle Teilabschirmungen beeinflussen nur den Wirkungsgrad<br />

des Gerätes und verschlechtern <strong>die</strong><br />

ohnehin schon nicht sonderlich gute Rundstrahlcharakteristik.<br />

Bei entsprechender Dimensionierung können<br />

solche „Abschirmungen“ sogar <strong>die</strong> Anpassung<br />

zwischen der Antenne und dem Kopf des Benutzers<br />

in dem Sinne verbessern, dass der Anteil der im Kopf<br />

absorbierten Hochfrequenzenergie zunimmt.<br />

Bei Abschirmungen <strong>mit</strong> reflektierender oder absorbierender<br />

Wirkung, <strong>die</strong> zur direkten Anbringung am Mobiltelefon<br />

gedacht sind, z. B. im Bereich der Antenne,<br />

ist zu beachten, dass sie nicht nur den optischen Eindruck<br />

des Telefons teilweise erheblich verschlechtern<br />

und so<strong>mit</strong> von den Nutzern kaum akzeptiert werden,<br />

sondern auch <strong>auf</strong>grund ihrer geringen Abmessungen<br />

im Verhältnis zur Wellenlänge relativ wirkungslos sind.<br />

Technisch sinnvoll wären nur Kopfbedeckungen aus<br />

Abschirmgewebe <strong>mit</strong> reflektierender Wirkung, <strong>die</strong> z. B.<br />

in Form von Phone-Caps angeboten werden, <strong>die</strong> <strong>die</strong><br />

Sendeleistung in den meisten Fällen nicht negativ<br />

beeinflussen.<br />

Zu d)<br />

„Feldsammler“, <strong>die</strong> zur Anbringung in geschlossenen<br />

Räumen vorgesehen sind, dazu gehören z. B. auch<br />

Wohnräume und <strong>die</strong> Innenräume von Kraftfahrzeugen,<br />

sollen <strong>die</strong> Mobilfunkstrahlung „einsammeln“ und da<strong>mit</strong><br />

„unschädlich“ machen. Hierbei wird eindeutig das<br />

52 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Gebiet der Physik verlassen und es beginnt der Glaube<br />

des Käufers an eine Wirkung, <strong>die</strong> ihm <strong>mit</strong> pseudowissenschaftlichen<br />

Erklärungen vorgegaukelt wird und<br />

dazu noch viel Geld kostet.<br />

Zu e)<br />

Hier gilt im Prinzip das unter d) Gesagte. Vertrieben<br />

werden von verschiedenen Anbietern sogenannte<br />

„Chips“, Aufstecker usw., <strong>die</strong> überwiegend aus Kunststoff<br />

bestehen und am Mobiltelefon befestigt, z. B.<br />

<strong>auf</strong>geklebt, werden können. Schon allein der Name<br />

„Chip“ ist technisch völlig falsch gewählt, denn unter<br />

einem Chip wird in der Elektronik ein aktives Bauelement<br />

verstanden. Diese sogenannten „Chips“ haben<br />

in der Regel keinen messbaren Einfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong> SAR<br />

und <strong>auf</strong> das Abstrahlverhalten (siehe Anmerkungen<br />

zur Tabelle 1). Um einer Kritik in <strong>die</strong>ser Richtung<br />

gleich vorzubeugen, wird <strong>die</strong>s auch von einigen Anbietern<br />

nicht behauptet, sondern es wird <strong>mit</strong> ähnlichen<br />

pseudowissenschaftlichen Argumenten wie bei<br />

den Produkten unter d) versucht, eine Erklärung für<br />

<strong>die</strong> Wirkungsweise zu geben. Auf eines muss dennoch<br />

hingewiesen werden: Auch bei <strong>die</strong>sen „Chips“<br />

kann es sogar bei einem günstigen Zusammentreffen<br />

von Materialeigenschaften und mechanischen Abmessungen<br />

zu der schon mehrfach erwähnten Verbesserung<br />

der Ankopplung der Antenne an den Kopf des<br />

Benutzers und da<strong>mit</strong> zu einem Anstieg der absorbierten<br />

Energie kommen, wenn der „Chip“ <strong>auf</strong> der dem<br />

Kopf des Benutzers zugewandten Seite des Mobiltelefons<br />

angebracht wird. Dieser Effekt wird seit dem Beginn<br />

der Anwendung der Mikrowellen für therapeutische<br />

Zwecke bewusst ausgenutzt, um den Eintrag der Energie<br />

in den menschlichen Körper zu erhöhen [16].<br />

Eine umfangreiche Zusammenfassung, was von <strong>die</strong>sen<br />

„Chips“ letztendlich außerhalb des „Glaubens“<br />

an <strong>die</strong> Wirkung zu halten ist, ist in [14] zu finden und<br />

soll an <strong>die</strong>ser Stelle nicht noch einmal wiederholt<br />

werden. Hinzu kommt, dass <strong>die</strong> Hersteller <strong>die</strong>ser<br />

„Chips“ den Kritikern <strong>mit</strong> Schadenersatzklagen drohen.<br />

Aber es gibt auch erste positive Gerichtsentscheidungen,<br />

bei denen Richter das Vertreiben wirkungsloser<br />

„Chips“ als gewerblichen Betrug ansehen<br />

und entsprechende Strafen aussprechen [17].


Zu f)<br />

Hier wird ein Bereich der physikalischen und medikamentösen<br />

Therapien betreten, der außerhalb der<br />

Schulmedizin liegt.<br />

Zusammenfassung und<br />

Schlussfolgerungen<br />

Mobiltelefone sind aus unserer modernen Welt nicht<br />

mehr wegzudenken, dazu bringen sie den Nutzern zu<br />

viele Vorteile. Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisstand zur biologischen Wirkung der<br />

von Mobiltelefonen e<strong>mit</strong>tierten elektrischen und magnetischen<br />

Felder kann ein Gesundheitsrisiko ausgeschlossen<br />

werden.<br />

Die Ergebnisse von SAR-Messungen verschiedener<br />

Institutionen stimmen weitgehend überein und zeigen,<br />

dass <strong>die</strong> SAR-Werte bei einem großen Teil der<br />

Mobiltelefone weit unterhalb der geltenden Grenzwerte<br />

liegen. Eine Notwendigkeit zur Verringerung der<br />

<strong>vom</strong> Benutzer der Telefone absorbierten Hochfrequenzenergie<br />

hinsichtlich der Verringerung einer Gesundheitsgefährdung<br />

besteht deshalb nicht. Im Interesse<br />

besorgter Nutzer ist es zu begrüßen, wenn Mobiltelefon-Antennen<br />

entwickelt und eingesetzt werden, durch<br />

<strong>die</strong> der Anteil der absorbierten Energie verringert und<br />

der fernmeldetechnische Wirkungsgrad verbessert wird.<br />

Gegner neuer Technologien, hier <strong>die</strong> des Mobilfunks,<br />

wird es immer geben. Ihre Argumente werden <strong>die</strong> weitere<br />

Anwendung mobiler Kommunikation nicht verhindern,<br />

jedoch <strong>mit</strong> dazu beitragen, dass über eine Expositionsminimierung<br />

nachgedacht und <strong>die</strong>se auch<br />

technisch umgesetzt wird.<br />

Einige wirkungsvolle Möglichkeiten zur Expositionsreduzierung,<br />

<strong>die</strong> physikalisch begründet sind, werden<br />

in <strong>die</strong>sem Beitrag <strong>auf</strong>gezeigt.<br />

Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass<br />

Anbieter zweifelhafter Produkte („Strahlungsblocker,<br />

„Chips“, „Strahlungssammler“ zur Reduzierung des<br />

„Elektrosmogs“ usw.) auch den umsatzstarken und<br />

da<strong>mit</strong> profitablen Mobilfunkmarkt erschlossen haben.<br />

Vergleichende Untersuchungen verschiedener Institutionen<br />

zur Wirkung derartiger Produkte haben gezeigt,<br />

dass eine Expositionsverringerung <strong>mit</strong> ihnen<br />

nicht erreicht wird.<br />

Hier hilft nur eine sachliche Aufklärung der Mobiltelefonnutzer<br />

und nicht eine weitere Verunsicherung durch<br />

das Schüren der Ängste vor dem Mobilfunk!<br />

Literatur<br />

[1] DIN EN 50361 (VDE 0848 Teil 361):2002-03: Grundnorm<br />

zur Messung der spezifischen Absorptionsrate (SAR) in<br />

Bezug <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Sicherheit von Personen in elektromagnetischen<br />

Feldern von Mobiltelefonen (300 MHz bis 3 GHz)<br />

[2] ICNIRP: Guidelines for li<strong>mit</strong>ing exposure to time-varying<br />

electric, magnetic, and electromagnetic fields (up to 300<br />

GHz), Health Physics 74 (1998) 4, S. 494-522<br />

[3] Empfehlung des Rates <strong>vom</strong> 12. Juli 1999 zur Begrenzung<br />

der Exposition der Bevölkerung gegenüber elektromagnetischen<br />

Feldern (0 Hz – 300 GHz). Amtsblatt der Europäischen<br />

Gemeinschaften v. 30.7.1999, S. L199/59-L199/70<br />

[4] Manteufel, D.: Analyse und Synthese von integrierten<br />

Antennen für Mobiltelefone unter besonderer Berücksichtigung<br />

des Benutzereinflusses. Dissertation an der Universität<br />

Duisburg-Essen, 16.10.2002. Veröffentlicht in: Berichte<br />

aus der Hochfrequenztechnik, Shaker Verlag Aachen, 2002<br />

[5] Kuster, N: Abschlussbericht zum Projekt: Entwicklung eines<br />

Testverfahrens zur standardisierten dosimetrischen Überprüfung<br />

von Mobilfunkgeräten, Eidgenössische Technische Hochschule<br />

(ETH) Zürich, Institut für Feldtheorie und Höchstfrequenztechnik,<br />

September 1993, überarbeitet im Januar 1994<br />

[6] Eder, H.; Hombach, V.: Mobiler Messkopf zur standortbezogenen<br />

Teilkörper-SAR-Messung an Mobiltelefonen und Basisstationen,<br />

Bayerisches Landesamt für Arbeitsschutz, Arbeitsmedizin<br />

und Sicherheitstechnik (LfAS), München, 2003<br />

[7] Goltz, S.; Eggert, S.; Dammaß, G: Thermografische Darstellung<br />

elektromagnetischer Felder, EMC Kompendium 1998,<br />

S. 298-300<br />

[8] van Leeuwen, G.M.J.; Lagendijk, J.J.W.; Zwamborn, A.P.M.;<br />

Hornsleth, S.N.; Kotte, A.N.T.J.: Calculation of change in<br />

brain temperatures due to exposure to a mobile phone, Phys.<br />

Med. Biol. 44 (1999), S. 2367-2379<br />

[9] Oftedal, G.; Straume, A.; Johnsson, A.: Wie kommt es zur<br />

Erwärmung der Haut durch Handys? NEWSLetter 1/2004, S.<br />

12-15<br />

[10] Eggert, S.; Goltz, S.; Ruppe, I.; Hentschel, K.; Dammaß,<br />

G.: Thermographic visualization of the distribution of absorbed<br />

RF-energy on surfaces. Postersession, Annual Meeting<br />

of BEMS 1998<br />

[11] Humbug fürs Handy Mit obskurer Technik gegen den<br />

Elektrosmog versuchen Scharlatane Geld zu machen (http:/<br />

/www.zeit.de/2004/11/C-Handychip)<br />

[12] Gabriel-Chips machen Mobilfunkstrahlung unschädlich<br />

(http://www.gabriel-tech.de/tech_cms/Produkte/gabriel_<br />

chips/handy.php)<br />

[13] Jörn, F.: Der Gabriel-Chip, NEWSLetter 2/2004, S. 42-46<br />

[14] Becks, T.: Optimierte Antennen für Mobilfunkgeräte,<br />

Funkschau 17 (1996), S. fehlen (EXPO-585)<br />

[15] 15 Tipps: So vermeiden Sie Handystrahlung (http://<br />

www.chip.de/artikel/c_artikel_11947624.html?tid1<br />

=19504&tid2=0)<br />

[16] Rentsch, W.: Mikrowellen und Kuerzwellentherapie. Gustav<br />

Fischer Verlag Jena 1985, S. 46, 63<br />

[17] Wirkungslose Chips gegen Elektrosmog verk<strong>auf</strong>t - Sechs<br />

Jahre Haft (http://www.anwalt-tv.net/index2_full.php?<br />

feed=11073)<br />

Dipl.-Ing. Sigurd Goltz und Dr. Siegfried Eggert sind<br />

wissenschaftliche Mitarbeiter beim Bundesamt für Arbeitsschutz<br />

und Arbeitsmedizin (BAuA), Berlin.<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

53


E M V U u n d T e c h n i k<br />

keine neue Dachantenne. Bei vielen tragbaren DVB-T-Empfängern ist<br />

eil 1<br />

54 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Klaus Bäumer<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Teil 1 – Die Technik<br />

Digitales terrestrisches<br />

Das digitale Fernsehen (Digital Video Broadcasting Terrestrial, kurz<br />

DVB-T) wird in Deutschland bis 2010 Schritt für Schritt das<br />

bisherige, über Dach- oder Zimmerantenne empfangbare analoge<br />

Fernsehen ersetzen.<br />

Die neue Technik ermöglicht eine bessere Ausnutzung der knappen<br />

Sendefrequenzen in den begehrten Fernsehbändern. Durch<br />

„Gleichwellenbetrieb“ sind topografische Probleme lösbar, so dass<br />

sogar stabiler Fernsehempfang in Fahrzeugen möglich ist und <strong>die</strong><br />

Programme in gesteigerter technischer Qualität ins Haus kommen.<br />

Mit entsprechenden mobilen Empfangsgeräten hat man ohne großen<br />

Antennen<strong>auf</strong>wand überall Empfang – im Garten, im Auto, <strong>auf</strong> dem<br />

Campingplatz.<br />

Hierfür genügen je nach <strong>Stand</strong>ort <strong>die</strong> vorhandene Dach- oder<br />

Zimmerantenne (ggf. <strong>mit</strong> Antennenverstärker). Zwischen Antenne<br />

und Fernsehgerät muss lediglich eine Set-Top-Box (funktioniert<br />

ähnlich wie ein digitaler Satellitenempfänger – aber nicht <strong>mit</strong> <strong>die</strong>sem<br />

kompatibel!) geschaltet werden, um <strong>die</strong> digital verschlüsselten<br />

Signale zu deco<strong>die</strong>ren. Man braucht kein neues Fernsehgerät und<br />

<strong>die</strong> Antenne sogar ins Gerät integriert. Diese Sender sind dabei: <strong>die</strong><br />

ARD, das ZDF, <strong>die</strong> regionalen Dritten, Premiere und <strong>die</strong> meisten<br />

Privaten, z. B. <strong>die</strong> Sender der ProSieben-Sat1-Gruppe und der RTL-<br />

Gruppe – insgesamt sind <strong>die</strong>s je nach Region 16 bis 24 Sender.<br />

Weitere aktuelle Infos findet man unter www.dvb-t-portal.de.<br />

Bereits jetzt ist <strong>die</strong> Umstellung im Raum Berlin/Potsdam<br />

abgeschlossen, seit Mai 2004 wurde der Sendebetrieb in den<br />

Großräumen Köln/Bonn, Hannover/Braunschweig, Bremen/Untersee<br />

<strong>auf</strong>genommen und bis Herbst 2004 schrittweise <strong>die</strong> Anzahl der<br />

Sender erhöht. Jetzt ist DVB-T in Hamburg/Lübeck/Kiel, Mannheim/<br />

Mainz/Frankfurt (Main), und Düsseldorf/Ruhrgebiet empfangbar, ab<br />

2005 in und um München, Nürnberg, Stuttgart, Erfurt/Weimar,<br />

Leipzig/Halle und Rostock. Im Zuge der Einführung von DVB-T<br />

werden für <strong>die</strong> versorgten Gebiete <strong>die</strong> bisherigen analogen Sender<br />

abgeschaltet.


Fernsehen<br />

(DVB-T)<br />

Programmerzeugung und Verteilung<br />

Abb. 1<br />

Der Übergang von der analogen zur digitalen Welt hat<br />

nun auch <strong>die</strong> terrestrische Verbreitung von TV-Programmen<br />

erreicht. DVB-T heißt <strong>die</strong> neue Schlüsseltechnik<br />

für mehr Programme und eine verbesserte<br />

Empfangsqualität. Sie ermöglicht portablen und mobilen<br />

Empfang und führt zu Kosteneinsparung bei den<br />

Sendeanstalten.<br />

Digitales Fernsehen<br />

DVB-H<br />

DVB ist eine modular <strong>auf</strong>gebaute Gruppe von <strong>Stand</strong>ards<br />

zu digitalen Verarbeitungs- und Übertragungsverfahren<br />

für <strong>die</strong> Verbreitung von Fernseh- und Radioprogrammen<br />

sowie diversen Zusatz<strong>die</strong>nsten.<br />

DVB-S<br />

DVB-T<br />

DVB-C<br />

Set-top-Box<br />

Folgende Systeme werden innerhalb der DVB-Familie<br />

unterschieden:<br />

DVB-T als <strong>Stand</strong>ard für den terrestrischen Bereich,<br />

DVB-S für den digitalen Satellitenempfang,<br />

DVB-C für Kabelsysteme und bald auch<br />

DVB-H für mobile Endgeräte<br />

Die einzelnen Verfahren und ihre Aufgaben lassen<br />

sich nach einem allgemeinen Schema für digitale Übertragungssysteme<br />

darstellen, s. Abbildung 1 und 2.<br />

Die Quellenko<strong>die</strong>rung reduziert <strong>die</strong> Informationsfülle<br />

<strong>auf</strong> den für <strong>die</strong> menschlichen Sinne relevanten Anteil,<br />

d.h. alles empfängerseitig redundante (bekannte) oder<br />

irrelevante (nicht erkennbare oder unterscheidbare)<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

55


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Abb. 2<br />

Abb. 3<br />

Quellenko<strong>die</strong>rung Kanalko<strong>die</strong>rung Leitungsko<strong>die</strong>rung<br />

Irrelevanz- u.<br />

Redundanzreduktion<br />

Informationsverlust<br />

Audio<br />

56 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Zusatz<strong>die</strong>nste<br />

Video<br />

Programm-Multiplexer<br />

F o r s c h u n g<br />

DVB-T<br />

wird ausgefiltert. Im TV-Bereich betrifft <strong>die</strong>s <strong>die</strong> be-<br />

Schutz vor Störungen<br />

Anpassung an das Übertragungsmedium<br />

Falschinformation<br />

Übertragungskanal<br />

Schutzentfernung und Fehlerkorrektur<br />

P 1 ...........P n<br />

Redundanzaddition<br />

Leitungsdeko<strong>die</strong>rung Kanaldeko<strong>die</strong>rung Quellendeko<strong>die</strong>rung<br />

Transport-Multiplexer<br />

grenzten Fähigkeiten des Auges, Helligkeitsunterschiede,<br />

Farbkonturen, Farbnuancen sowie Bewegung und<br />

Bildwechsel wahrzunehmen.<br />

DVB reduziert nach dem MPEG2-Verfahren, d. h. es<br />

werden 12 Einzelbilder zu einer Bearbeitungseinheit<br />

zusammenfasst. Diese Einheit wird in ein Hauptbild<br />

und Delta-Daten darüber, wie sich <strong>die</strong> ursprünglichen<br />

Einzelbilder von <strong>die</strong>sem Hauptbild unterscheiden,<br />

umgewandelt. Das Hauptbild enthält bereits nur noch<br />

<strong>die</strong> Information, <strong>die</strong> das begrenzte Auflösungsvermögen<br />

des Auges erfassen kann und <strong>die</strong> Delta-Daten<br />

nur noch jene über bewegte Bildinhalte.<br />

Die dadurch erzielten Kompressionsraten sind enorm,<br />

digitale Videosignale werden so von ca. 170 Mbit/s<br />

<strong>auf</strong> ca. 1,5-6 Mbit/s reduziert. Dies entspricht etwa<br />

einer Bildqualität zwischen VHS und PAL.<br />

Auch der Gehörsinn hat solche Beschränkungen, sie<br />

betreffen den Hörfrequenzbereich, <strong>die</strong> Fähigkeit, kleine<br />

Lautstärkeänderungen zu unterscheiden, sowie<br />

laute und leise Klanganteile gleichzeitig wahrzunehmen.<br />

Die MPEG2-Tonko<strong>die</strong>rung erzielt eine Kompression<br />

von 1,4 Mbit/sec <strong>auf</strong> ca. 0,3 Mbit/sec für <strong>die</strong><br />

beiden Fernsehtonkanäle.<br />

Die Kanalko<strong>die</strong>rung passt <strong>die</strong> zu übertragende Information<br />

an <strong>die</strong> Eigenarten des Übertragungsmediums<br />

an und versucht kanaltypische Störungen in ihren Auswirkungen<br />

zu minimieren. Kanaltypische TV-Störungen<br />

sind Störimpulse, Reflexionen, <strong>die</strong> Dämpfungseigenschaften<br />

der Übertragungsme<strong>die</strong>n. Durch eine fehlererkennende<br />

und korrigierende Ko<strong>die</strong>rung wird <strong>die</strong><br />

zu übertragende Informationmenge gezielt erhöht.<br />

Die Leitungsko<strong>die</strong>rung hat <strong>die</strong> Aufgabe, dem Sender<br />

<strong>die</strong> Nutz- bzw. Basisbandinformation in einer für <strong>die</strong><br />

Übertragung gut geeigneten Weise „<strong>auf</strong>zuprägen“, den<br />

Sender zu modulieren.<br />

Die Auswahl der Modulationsart geschieht me<strong>die</strong>nspezifisch,<br />

bei DVB beispielsweise unterschiedlich für Kabel<br />

(DVB-C <strong>mit</strong> QAM), Satellit (DVB-S <strong>mit</strong> QPSK) und terrestrischer<br />

Funkübertragung (DVB-T <strong>mit</strong> QAM/COFDM).


Multiplexer <strong>auf</strong> der Sendeseite und Demultiplexer<br />

<strong>auf</strong> der Empfangsseite haben in der Übertragungskette<br />

<strong>die</strong> Aufgabe, getrennt erzeugte und vorverarbeitete<br />

Datenströme zusammenzufassen und wieder zu<br />

trennen.<br />

Audio-,Video- und Zusatzdaten eines Programms werden<br />

im Programmmultiplexer, mehrere Programme im<br />

Transportmultiplexer zusammengefasst (siehe Abbildung<br />

3).<br />

Ko<strong>die</strong>rung und Multiplexing „verwürfeln und verschachteln“<br />

<strong>die</strong> einzelnen Datenströme. Dies führt zu geringerer<br />

Störempfindlichkeit, da eine kurzzeitig <strong>auf</strong>tretende<br />

Übertragungsstörung nicht einen einzigen Datenstrom<br />

– z. B. nur <strong>die</strong> Videoinformation eines Programms<br />

– trifft, sondern <strong>auf</strong> <strong>die</strong> unterschiedlichen<br />

Datenströme mehrerer Programme verteilt wird.<br />

DVB-T<br />

Im Vergleich zur Satelliten- oder Kabeltechnik stellt<br />

sich <strong>die</strong> terrestrische Übertragung als weitaus störbehafteter<br />

dar. Interferenzen durch entfernte Sender,<br />

Geisterbilder durch Reflexionen und geringe Empfangsfeldstärke<br />

durch Abschattung des Senders führen<br />

beim analogen Fernsehen je nach Empfangslage zu<br />

einer starken Beeinträchtigung der Bild- und Tonqualität.<br />

Der hohe Bandbreitenbedarf des analogen Fernsehens<br />

lässt zudem nur ein begrenztes Programmangebot<br />

zu.<br />

DVB-T wurde so konzipiert, dass trotz <strong>die</strong>ser Randbedingungen<br />

ein qualitativ besserer Empfang von mehr<br />

Programmen auch in ungünstigen Lagen möglich ist.<br />

In vielen Fällen ermöglicht DVB-T sogar einen portablen<br />

Empfang <strong>mit</strong> Stabantenne und einen mobilen<br />

Empfang bei Geschwindigkeiten von bis zu 120 km/<br />

h. Zusatz<strong>die</strong>nste wie EPG (elektronischer Programmführer)<br />

und MHP (Multimedia Home Platform) runden<br />

das Angebot ab.<br />

DVB-T nutzt das Frequenzkanalraster des analogen Fernsehens.<br />

Im VHF/UHF-Bereich stehen 7 bzw. 8 MHz je<br />

Analog<br />

Programm 1<br />

8 MHz-Kanal<br />

Abb. 4<br />

Digital<br />

Bitrate<br />

Programm 4<br />

Programm 4<br />

Programm 4<br />

Programm 3<br />

Programm 3<br />

Programm 3<br />

Programm 2<br />

Programm 2<br />

Programm 2<br />

Programm 1<br />

Programm 1<br />

Programm 1<br />

Daten<strong>die</strong>nste<br />

Daten<strong>die</strong>nste<br />

Daten<strong>die</strong>nste<br />

Zeit<br />

8 MHz-Kanal<br />

Statistisches Multiplexen<br />

Kanal zur Verfügung. Während das analoge Fernsehen<br />

hier jeweils nur ein Programm unterbringen kann,<br />

schafft es DVB-T, drei bis fünf Programme – ein sogenanntes<br />

Bouquet – in einem Kanal zu übertragen.<br />

Dies wird nicht nur durch <strong>die</strong> MPEG-Kompression,<br />

sondern auch durch das statistische Multiplexen, einer<br />

dynamischen Bitratenzuweisung erzielt (siehe Abbildung<br />

4).<br />

Das statistische Multiplexen nutzt <strong>die</strong> Tatsache, dass<br />

<strong>die</strong> benötigte Übertragungsrate eines MPEG-komprimierten<br />

Videosignals in Abhängigkeit <strong>vom</strong> Bildinhalt<br />

stark schwankt. Programme <strong>mit</strong> ruhigem Bildinhalt<br />

überlassen den freien Teil ihrer nominalen Übertragungskapazität<br />

jenen Programmen, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>grund hoher<br />

Bewegungsinhalte momentan mehr Kapazität benötigen.<br />

Im Mittel steht allen Programmen jedoch nur<br />

<strong>die</strong> gleiche nominale Kapazität zur Verfügung.<br />

Coded Orthogonal Frequency Division Multiplex –<br />

COFDM – ist das optimale Verfahren für DVB-T, um<br />

<strong>die</strong> Auswirkung von Reflexionen, Nachbarsendern und<br />

Fremdstörungen zu minimieren. Die Nutzinformation<br />

wird <strong>auf</strong> mehrere tausend dicht nebeneinander liegende<br />

Trägerfrequenzen in einem VHF/UHF-Kanal verteilt.<br />

Fremdstörungen beeinflussen dann nur einzel-<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

57


E M V U u n d T e c h n i k<br />

DVB-T<br />

Vorteile<br />

Abb. 5<br />

verteilte Übertragungsrate<br />

Abb. 6<br />

Mehr Programme<br />

Programm 3<br />

time-sliced<br />

58 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Bessere Empfangsqualität<br />

Portabler Empfang<br />

Mobiler Empfang<br />

Bessere Sendeenergiebilanz<br />

Programm 4 Programm 5<br />

time-sliced,<br />

ausgewählt<br />

time-sliced<br />

Programm 2<br />

Programm 1<br />

Nachteile<br />

F o r s c h u n g<br />

Mängel bei der<br />

Bildqualität<br />

Lange Umschaltzeiten<br />

Set-Top-Box<br />

Programm 6<br />

time-sliced<br />

Zeit<br />

ne Trägerbereiche, <strong>die</strong> Störauswirkung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Nutzinformation<br />

wird dadurch deutlich verringert. Gehören<br />

Reflexionen und Nachbarsenderanteile (s.u.) zum gleichen<br />

Kanal, dann werden <strong>die</strong>se Signalanteile sogar<br />

konstruktiv zur Deko<strong>die</strong>rung genutzt. Erst durch <strong>die</strong>se<br />

Fähigkeit ist auch ein mobiler Empfang möglich.<br />

Die lückenlose, verbesserte Versorgung durch mehrere<br />

Sender wird durch das Gleichwellenverfahren<br />

(SFN, Single Frequency Network) ermöglicht. Die<br />

Sender arbeiten landesweit synchronisiert <strong>auf</strong> gleichen<br />

Sendefrequenzen und überlappen sich in ihrer Reichweite.<br />

Eine partielle oder totale Abschattung eines bestimmten<br />

Senders kann ein Nachbarsender in vielen<br />

Fällen ausreichend kompensieren.<br />

COFDM, SFN und ausgefeilte Fehlerkorrekturmechanismen<br />

führen zu einem sogenannten Systemgewinn, d. h.<br />

für einen gleichen Abdeckungsgrad wird im Vergleich zum<br />

analogen Fernsehen weniger Sendeleistung benötigt.<br />

Praxis<br />

In der Praxis ist man von der guten Empfangsqualität<br />

auch in schwierigen Empfangslagen überrascht. Bildrauschen<br />

und Geisterbilder gehören der Vergangenheit<br />

an. Manchmal vermisst man im Bild feine Detailstrukturen<br />

und Farbnuancen. Aufgrund der blockweisen<br />

Verarbeitung des Bildes zeigen sich unter ungünstigen<br />

Bedingungen blockartige Bildstörungen,<br />

sogenannte Kompressionsartefakte. Die zusammenfassende<br />

Bearbeitung mehrerer Bilder bei der Quellenko<strong>die</strong>rung<br />

führt – zusammen <strong>mit</strong> dem Multiplexing<br />

– <strong>auf</strong> der Empfangsseite zu Verzögerungen beim Programmwechsel<br />

(siehe Abbildung 5).<br />

Roll-out<br />

Der DVB-T-Start erfolgte 2003 in Berlin/Brandenburg.<br />

Im L<strong>auf</strong>e des Jahres 2004 wurde auch in den Regionen<br />

Köln/Bonn, Hannover/Braunschweig und Bremen/Unterweser,<br />

Düsseldorf/Ruhrgebiet, Frankfurt<br />

und Hamburg/Kiel der DVB-T-Fernsehempfang möglich.<br />

2005 wird der Erschließungsschwerpunkt im süd-


DVB-T<br />

deutschen Raum liegen. Die Fernsehprogramme wer-<br />

den in jedem Gebiet für eine Übergangszeit von ca. 6<br />

Monaten gleichzeitig analog und digital ausgestrahlt<br />

(Simulcast–Betrieb). Die Vollversorgung in Deutschland<br />

ist für 2010 geplant und wird dann zur Abschaltung<br />

der letzten analogen Sender führen.<br />

Ausblick<br />

Eine angepasste Bild<strong>auf</strong>lösung, ein niedriger Energieverbrauch<br />

(Akku) und ein störungsfreier Empfang<br />

bei hohen Geschwindigkeiten <strong>mit</strong> Mobiltelefonen und<br />

Pocket-Computern waren <strong>die</strong> Optimierungsziele bei<br />

der Entwicklung des neuesten <strong>Stand</strong>ards, DVB-H. Zusätzlich<br />

wird der Zugang zu interaktiven IP-basierten<br />

Diensten <strong>mit</strong> Übertragungsraten bis zu 15 Mbit/sec<br />

möglich.<br />

Die Video-Übertragungsrate wird an <strong>die</strong> kleinere Auflösung<br />

der Displays angepasst. Auflösungen zwischen<br />

180*144 Bildpunkten für Mobiltelefone und 360*288<br />

Bildpunkte für Taschenempfänger werden <strong>mit</strong> Raten<br />

von 128 kbit/sec – 2 Mbit/sec versorgt.<br />

Eine im Vergleich zu DVB-T niedrigere Anzahl an COF-<br />

DM-Einzelträgern verbessert <strong>die</strong> Toleranz gegenüber<br />

dem bei hohen Geschwindigkeiten den DVB-T-Empfang<br />

beeinträchtigenden Dopplereffekt. Statt 6817<br />

(8-K-Mode) werden nur 3409 aktive Träger (4-K-Mode)<br />

verwendet. Auch <strong>die</strong> Störwirkung der Zündimpulse im<br />

Kraftfahrzeug wird dadurch deutlich gedämpft. Die<br />

niedrigere Anzahl an Trägern bedingt allerdings einen<br />

geringeren Senderabstand, also ein dichteres Sendernetz.<br />

Der Energieverbrauch des Empfangsteils wird durch<br />

das Time-Slicing-Verfahren deutlich reduziert. Während<br />

bei DVB-T der verschachtelte Datenstrom aller<br />

Programme eines Bouquets kontinuierlich empfangen<br />

wird, schaltet sich der DVB-H-Empfänger (front end)<br />

nur zu bestimmten Zeitintervallen ein, genau dann,<br />

wenn <strong>die</strong> Daten des ausgewählten Programms komprimiert<br />

<strong>mit</strong> erhöhter Übertragungsrate gesendet<br />

werden.<br />

Empfangsseitig werden <strong>die</strong> Daten-Bursts zu einem<br />

kontinuierlichen Datenstrom zeitlich gedehnt. Neben<br />

der Energieeinsparung verbessert das Time-Slicing-<br />

Verfahren auch den Versorgungsbereichswechsel bei<br />

hohen Geschwindigkeiten (smooth handover). DVB-<br />

H-Signale können sowohl eigenständig als auch im<br />

DVB-T-Multiplex übertragen werden.<br />

Erste Feldversuche l<strong>auf</strong>en bereits in Berlin, Helsinki<br />

und Pittsburgh. Angeboten werden „symmetrische und<br />

unsymmetrische bidirektionale Multimedia<strong>die</strong>nste“.<br />

Als Zielmarktsegmente sieht man den geschäftlichen<br />

Bereich <strong>mit</strong> Anwendungen wie Börsenberichten, Nachrichten,<br />

Wetter, Internetzugang und den Freizeitbereich<br />

<strong>mit</strong> Angeboten wie Musikvideos, Kurzfilmen und<br />

interaktiven Spielen. Eine einfache Übernahme der<br />

TV-Programme erscheint nur in Teilbereichen sinnvoll.<br />

Die Industrie setzt vielmehr <strong>auf</strong> sogenannte „Content-Provider“<br />

<strong>die</strong> spezielle Angebote maßschneidern.<br />

Man hofft <strong>auf</strong> Umsatzgenerierung durch Werbung, Live-<br />

SMS und kostenpflichtige Angebote.<br />

Als Rückkanal und Abrechnungsmöglichkeit bieten sich<br />

<strong>die</strong> Mobilfunk<strong>die</strong>nste an. Zumindest das Verhältnis<br />

zwischen UMTS und DVB-H ist jedoch noch nicht ganz<br />

geklärt. Kooperation wird von den Fachleuten betont<br />

und technisch erprobt, Konkurrenz ist aber durchaus<br />

möglich. In Teil II (voraussichtlich nächste Ausgabe)<br />

soll <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Strahlungsemission von DVB-T/H-Sendern<br />

eingegangen werden.<br />

Literatur und weiterführende Links:<br />

www.ard-digital.de<br />

www.dvb.org<br />

www.dvb-t-technik.de<br />

www.irt.de<br />

www.protocols.com<br />

www.spiegel.de/netzwelt/technologie/<br />

www.tv-plattform.de<br />

www.ueberallfernsehen.de/<br />

de.wikipedia.org/wiki/DVB-T<br />

Meincke/Grundlach, Taschenbuch der Hochfrequenztechnik<br />

Dipl. Ing. Klaus Bäumer, Deutsche Telekom AG<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

59


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Klaus Bäumer<br />

Neben den öffentlichen Mobilfunknetzen<br />

gibt es eine Vielzahl<br />

von nicht-öffentlichen Funknetzen,<br />

<strong>die</strong> als Betriebsfunknetze<br />

von privaten Unternehmen sowie<br />

von Behörden und Organisationen<br />

<strong>mit</strong> Sicherheits<strong>auf</strong>gaben<br />

betrieben werden.<br />

Eine verbesserte technische<br />

Realisierung des „Betriebsfunks“<br />

ist der sogenannte „Bündelfunk“.<br />

Er erlaubt <strong>die</strong> Übertragung von<br />

Sprache und Daten und begegnet<br />

uns in seiner analogen Variante<br />

beispielsweise im Taxi wenn es<br />

„piepst“ und an einem kleinen<br />

Display im Armaturenbereich eine<br />

Anzeige erscheint – vielleicht ein<br />

neuer Fahr<strong>auf</strong>trag. Umgekehrt<br />

meldet der Fahrer sein Fahrziel<br />

oder seinen Status – frei/besetzt –<br />

an <strong>die</strong> Zentrale.<br />

Mittlerweile setzt sich <strong>mit</strong> „Tetra“<br />

und „Tetralpol“ <strong>die</strong> digitale<br />

Technik auch im Bündelfunkbereich<br />

durch. Der folgende<br />

Artikel gibt einen Überblick über<br />

<strong>die</strong> verschiedenen Techniken<br />

und Anwendungsbereiche.<br />

60 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Digitaler Bündel<br />

Betriebsfunk<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Herkömmlicher Betriebsfunk<br />

Betriebsfunknetze unterscheiden sich in mehreren<br />

Punkten von den öffentlichen Mobilfunknetzen. Sie<br />

versorgen eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern in<br />

einem definierten geografischen Bereich. Die Gesprächsdauer<br />

ist vergleichsweise kurz, <strong>die</strong> Kommunikation<br />

findet häufig nur zwischen zwei festen Partnern<br />

statt, weitere Gruppen<strong>mit</strong>glieder müssen gegebenenfalls<br />

un<strong>mit</strong>telbar <strong>mit</strong>hören können und eine Verzögerung<br />

durch den Verbindungs<strong>auf</strong>bau wie im öffentlichen<br />

Mobilfunkbereich ist oftmals nicht akzeptabel.<br />

Auch unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten<br />

sind <strong>die</strong> Unterschiede klar. Öffentliche Mobilfunknetze<br />

gestalten ihr Tarifsystem gewinnmaximierend und<br />

nicht kostenorientiert. Je höher der Kundennutzen,<br />

um so teurer der Dienst. Das Angebot wird nicht bedarfsdeckend<br />

sondern bedarfsweckend ausgerichtet.<br />

Aus Nutzersicht stellen sich <strong>die</strong> Tarife als Fixkosten<br />

(Grundgebühren, Gerätekosten) und variable Kosten<br />

(Gesprächsdauer, Gesprächszeit, Dienstetyp) dar.<br />

Im (firmeneigenen) Betriebsfunkbereich werden Angebot<br />

(Kommunikations<strong>die</strong>nste) und Technik genauer<br />

dem tatsächlichen Bedarf angepasst. Ziel ist ein<br />

optimales Nutzen-Kosten-Verhältnis. Die Kosten bestehen<br />

überwiegend aus fixen Anteilen, <strong>die</strong>s erleichtert<br />

<strong>die</strong> innerbetriebliche Kostenplanung und Kostenrechnung.<br />

Die Anforderungen im Betriebsfunk sind sehr unterschiedlich.<br />

Sie reichen von einfachen Sprechfunkverbindungen<br />

zwischen zwei Teilnehmern <strong>mit</strong> Handfunkgeräten<br />

bis zu großen Betriebsfunknetzen von Flughäfen,<br />

Nahverkehrsunternehmen und – als Spezialfall<br />

<strong>mit</strong> besonderen Anforderungen – den Funknetzen<br />

der Behörden und Organisationen <strong>mit</strong> Sicherheits<strong>auf</strong>gaben<br />

(BOS) wie Polizei, BGS, Feuerwehr und Hilfsorganisationen.<br />

Starre Frequenz-/Kanalzuordnung, d.h. unökonomische<br />

Nutzung des Frequenzspektrums, unbefugte Mit-


funk – der moderne<br />

hörmöglichkeit und für <strong>die</strong> betrieblichen Prozesse<br />

notwendige aber fehlende Zusatz<strong>die</strong>nste bilden <strong>die</strong><br />

Hauptnachteile des herkömmlichen Betriebsfunks.<br />

Analoger Bündelfunk<br />

Das Bündelfunkprinzip ist eine Weiterentwicklung des<br />

einfachen Betriebsfunks. Analoge Bündelfunksysteme<br />

wurden Ende der achtziger Jahre entwickelt. Die<br />

dominierenden <strong>Stand</strong>ards MPT 1327/1343 stammen<br />

in ihren Grundlagen aus dem britischen Handels- u.<br />

Industrieministerium. Ausgehend von der durchweg<br />

kürzeren Gesprächsdauer im Betriebsfunkbereich bauen<br />

sie <strong>auf</strong> einer dynamischen Zuweisung von Kommunikationskanälen<br />

und einer flexibleren Bildung von<br />

Nutzergruppen <strong>auf</strong>. Die dadurch erzielte bessere Ausnutzung<br />

des genutzten Frequenzbereiches wird Bündelgewinn<br />

genannt.<br />

Ein Bündelfunksystem besteht aus mehreren analog<br />

Tetra<br />

modulierten Sprachkanälen, einem oder mehreren Organisationskanälen,<br />

der Funk-Infrastruktur und einem<br />

rechnergestützten Verbindungsmanagement.<br />

Jedem Gerät ist eine Kennung/Rufnummer zugeordnet.<br />

Bei einem Gesprächswunsch erhalten <strong>die</strong> beteiligten<br />

Teilnehmer für <strong>die</strong> Dauer des Gespräches einen<br />

Nutzkanal aus dem Kanalbündel exklusiv zugeordnet.<br />

Kennungsaustausch, Kanalzuweisung und<br />

andere Signalisierungsinformationen werden über den<br />

Organisationskanal übertragen. Die starre Kopplung<br />

zwischen Funkkanälen und Nutzergruppen existiert<br />

nicht mehr. Freie Kanäle werden den nächsten Gesprächswünschen<br />

zugeordnet. Übersteigt deren Anzahl<br />

<strong>die</strong> der Kanäle, dann werden <strong>die</strong> Gesprächswünsche<br />

in eine Warteschlange <strong>auf</strong>genommen und bei<br />

gleicher Priorität nach der zeitlichen Reihenfolge des<br />

Auftretens be<strong>die</strong>nt.<br />

Der analoge Bündelfunk nutzt <strong>die</strong> Frequenzbereiche<br />

410-430 MHz (öffentliche Netze) und 450-470 MHz<br />

(private Netze). Einem Gespräch werden 2 Frequen-<br />

zen, also ein Kanalpaar für beide Verbindungsrichtungen<br />

zugeordnet.<br />

Features<br />

Das rechnergestützte Netz- u. Ver<strong>mit</strong>tlungsmanagement<br />

ermöglicht Dienste und Leistungsmerkmale,<br />

welche <strong>die</strong> betrieblich-logistischen Prozesse eines<br />

Unternehmens besser unterstützen:<br />

Direktruf ohne Wahl (voreingestellte Rufnummer,<br />

PTT, push-to-talk)<br />

Offener Gruppenkanal wie im herkömmlichen Betriebsfunk<br />

Gruppenruf<br />

Kurzrufnummer<br />

Geschlossene Benutzergruppen<br />

Statusmeldungen<br />

Mobile Datenübertragung in Nutz- u. Organisationskanälen<br />

Ver<strong>mit</strong>telte Verbindung zu anderen Bündelfunkteilnehmern<br />

(Wählverbindung)<br />

Verbindungen ins Telefonnetz<br />

Angebot und Nutzung<br />

Bündelfunksysteme sind lizenzpflichtig, können aber<br />

in Eigenregie betrieben werden. Dies bietet sich bei<br />

großen Unternehmen an. Für kleinere Firmen oder bei<br />

einem größeren Aktionsradius von 50 km und mehr<br />

kann als Alternative das öffentliche Angebot eines<br />

Bündelfunknetzbetreibers genutzt werden. Er richtet<br />

für jeden Kunden eine geschlossene Benutzergruppe<br />

ein. Die Tarifierung erfolgt meist <strong>auf</strong> der Basis von<br />

monatlichen Festpreisen. Für Gespräche fallen keine<br />

Kosten an, lediglich Zusatzleistungen wie Datenübertragung,<br />

Gespräche in andere Funkzellen oder in das<br />

Telefonnetz werden gesondert berechnet.<br />

In Eigenregie betriebene Bündelfunknetze bieten einen<br />

klaren Kostenvorteil, <strong>die</strong>ses Marktsegment hat<br />

sich entsprechend erfolgreich entwickelt. Im Gegen-<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

61


E M V U u n d T e c h n i k<br />

62 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k


Funkschnittstelle<br />

Tetra Tetrapol<br />

Kanalraster 25 kHz 12,5 kHz<br />

Kanalzugriffsverfahren TDMA FDMA<br />

Modulation GMSK GMSK<br />

Netzstruktur zellular Gleichwellenfunk* zellular Gleichwellenfunk<br />

Betriebsarten semi-duplexduplexsimplex semi-duplexduplex*simplex<br />

(direct mode) (direct mode)<br />

Sprachko<strong>die</strong>rung A-CELP RP-CELP<br />

Spektumseffizienz pro Zelle 50 Bit/(sec¬kHz) 43 Bit/(sec¬kHz)<br />

Sendeleistung Basisstation<br />

je Trägerfrequenz<br />

25 W ERP 25 W ERP<br />

Sendeleistung 1,2,10 W 1,2,10 W<br />

Mobilgeräte adaptive Leistungsregelung<br />

Reichweite Stadt: 4,5 km Stadt: 6 km<br />

Land: 14 km Land: 20 km<br />

Frequenzbereiche 385-390 und 395-399 MHz<br />

(Europa, Bündelfunk) 410-430 MHz<br />

450-470MHz<br />

870-876 und 915-921 MHz<br />

* <strong>mit</strong> Einschränkungen oder erhöhtem Aufwand<br />

satz dazu bleibt der Markt für öffentlich angebotene<br />

Bündelfunkleistungen hinter den Erwartungen zurück.<br />

Öffentliche Mobilfunknetze bilden hier <strong>mit</strong>tlerweile eine<br />

starke Konkurrenz. Der herkömmliche Mobilfunkmarkt<br />

ist in der Sättigungsphase und <strong>die</strong> Mobilfunkbetreiber<br />

sehen im Marktsegment Betriebsfunk/geschlossene<br />

Benutzergruppen <strong>mit</strong> hoher Mobilität noch<br />

Wachstumsperspektiven und erweitern ihr Angebot<br />

um entsprechende Leistungsmerkmale.<br />

Die Einsatzmöglichkeiten haben ihren Schwerpunkt<br />

in logistisch-organisatorischen Bereichen:<br />

Flottenmanagement bei Verkehrsbetrieben, Taxiund<br />

Transportunternehmen<br />

Personal- und Einsatzmanagement in der Industrie<br />

Datenübertragung zur Fernwartung von Anlagen<br />

Digitaler Bündelfunk<br />

Anfang der neunziger Jahre begann man <strong>auf</strong> europäischer<br />

Ebene bei ETSI (European Telecommunications<br />

<strong>Stand</strong>ards Institute) <strong>mit</strong> der Entwicklung eines <strong>Stand</strong>ards<br />

für einen digitalen zellularen Bündelfunk. Zwei<br />

Vorschläge, Tetra 12 und Tetra 25 (Terrestrial trunked<br />

radio, 12,5 kHz und 25 kHz Kanalbreite), kamen in<br />

<strong>die</strong> engere Wahl. Aus Tetra 25 wurde der ETSI-<strong>Stand</strong>ard<br />

„Tetra“.<br />

EADS (vormals Matra, AEG) entwickelte dar<strong>auf</strong>hin in<br />

Eigeninitiative aus Tetra 12 den Industriestandard<br />

„Tetrapol“, um eine spezielle Lösung für <strong>die</strong> Anforderungen<br />

von Sicherheitsorganisationen anbieten zu<br />

können.<br />

Beide Lösungen vereinen <strong>die</strong> Vorteile des Bündelfunkprinzips<br />

<strong>mit</strong> denen eines digitalen Mobilfunks:<br />

Bessere Frequenzökonomie<br />

Bessere Übertragungsqualität bei Sprache und Daten<br />

Höhere Abhörsicherheit<br />

Flexibles Netz- und Verbindungsmanagement<br />

Technisch unterscheiden sich beide Systeme vor allem<br />

in der Luftschnittstelle. Tetra benutzt als <strong>Zugriff</strong>sverfahren<br />

TDMA (Time Divsion Multiple Access), Tetrapol<br />

FDMA (Frequency Division Multiple Access).<br />

Tetrapol kann deshalb bei geringerem Verkehr Gleichwellenfunknetze<br />

für einen großen Abdeckungsbereich<br />

<strong>mit</strong> guter Ausleuchtung einfacher realisieren. Zudem<br />

ist bei Zellularnetzen im Vergleich zu Tetra <strong>die</strong> Anzahl<br />

der Basisstationen geringer.<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

63


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Abbildung 2: Funkebene, Ver<strong>mit</strong>tlungsebene, Netzmanagementebene<br />

Tetra bietet neben einer höheren verbindungsorientierten<br />

Datenübertragungsrate den energiesparenden<br />

Vorteil, dass <strong>die</strong> Sendeleistung der Mobilgeräte - wie<br />

bei GSM – so geregelt wird, dass an der empfangenden<br />

Basisstation nur ein gerade ausreichender Signalpegel<br />

ankommt.<br />

Speziell das Tetra-System wird – <strong>auf</strong>grund der für<br />

TDMA typischen gepulsten Strukturen im Senderspektrum<br />

– momentan <strong>mit</strong> Fragen nach den gesundheitlichen<br />

Risiken konfrontiert.<br />

Im Funkbereich werden verschiedene Betriebsarten<br />

benutzt (siehe Abbildung 3).<br />

Das Spektrum der realisierten Dienste- und Leistungsmerkmale<br />

orientiert sich an den Anforderungen der<br />

professionellen Anwender. Viele von ihnen gehören<br />

zu den von ETSI festgelegten „Advanced Speech Call<br />

Items“ (ASCI). Neben den bereits im analogen Bündelfunk<br />

realisierten Features ermöglichen digitale Bündelfunksysteme<br />

u.a.<br />

64 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

Ende-zu-Ende-Verschlüsselung <strong>auf</strong> den Nutzkanälen<br />

IP-basierte, paketorientierte Datenübertragung<br />

Dynamische Untergruppenbildung<br />

Hand-over und Roaming (Wechsel und Anmeldung<br />

in Nachbarzellen)<br />

AVL-Funktionen (automatic vehicle location), <strong>die</strong><br />

<strong>mit</strong> GPS-Unterstützung und in Verbindung <strong>mit</strong> einer<br />

entsprechenden Leitstellentechnik ein besseres<br />

Flottenmanagement erlauben<br />

Gateways zu anderen Kommunikations<strong>die</strong>nsten<br />

(u.a. Tetra-Tetrapol)<br />

Aus den speziellen Anforderungen der Sicherheits<strong>die</strong>nste<br />

sind <strong>die</strong> folgenden Merkmale entstanden<br />

Verbindungs<strong>auf</strong>bau in weniger als 0,5 sec<br />

Notrufe<br />

Rufprioritäten <strong>mit</strong> 7 Stufen<br />

Aktive und passive Alarmierung (<strong>mit</strong> und ohne Rückmeldung)


Direktmodus ohne Netzinfrastruktur (Funkgerät zu<br />

Funkgerät)<br />

Unbemerkte Mithörmöglichkeit im Notfall<br />

Praxis<br />

In Deutschland sind schon mehrere digitale Bündelfunksysteme<br />

in Betrieb oder im Aufbau, beispielsweise<br />

Stadtwerke Münster, Flughafen Köln/Bonn (Tetra),<br />

Audi, BMW, Flughafen Berlin Tegel (Tetrapol).<br />

Die Berliner Verkehrsbetriebe scheinen besonders<br />

weise zu agieren. Die Linienbusse nutzen Tetrapol,<br />

<strong>die</strong> U-Bahn arbeitet <strong>mit</strong> Tetra und <strong>die</strong> Straßenbahn<br />

kommuniziert weiterhin über ein analoges Betriebsfunksystem.<br />

Beide Systeme stehen zukünftig in verstärkter Konkurrenz<br />

zu GSM. Die Implementierung der ASCI-Features<br />

in <strong>die</strong> GSM-Systemtechnik ermöglicht es den<br />

Mobilfunkbetreibern, maßgeschneiderte Lösungen für<br />

den Betriebsfunkbereich anzubieten. Für <strong>die</strong> Eisenbahnen<br />

wurde GSM-R (Railway) und für <strong>die</strong> Sicherheits<strong>die</strong>nste<br />

GSM-BOS entwickelt.<br />

BOS-Funk<br />

Die deutschen Behörden und Organisationen <strong>mit</strong> Sicherheits<strong>auf</strong>gaben<br />

(BOS) betreiben bis heute ein funktechnisches<br />

System, das Anfang der fünfziger Jahre<br />

eingeführt wurde. Lediglich <strong>die</strong> Kanalrasterfrequenz<br />

ündelfunk<br />

wurde Anfang der siebziger Jahre geändert. Das System<br />

wird den heutigen Anforderungen hinsichtlich Datenschutz<br />

und Datensicherheit nicht mehr (auch nicht<br />

ansatzweise) gerecht. Mit einem Funkscanner oder<br />

einem leicht modifizierten FM-Radio lassen sich <strong>die</strong><br />

BOS-Funkverkehrskreise und da<strong>mit</strong> personenbezogene<br />

Daten und einsatztaktische Maßnahmen problemlos<br />

abhören. Bei den Polizeibehörden ist es <strong>mit</strong>tlerweile<br />

Usus, dass <strong>die</strong> Beamten in bestimmten Situationen<br />

<strong>die</strong> Kommunikation über ihre privaten Mobilfunkgeräte<br />

abwickeln. Funklöcher, mangelhafte<br />

Sprachqualität und <strong>die</strong> dem herkömmlichen Betriebsfunk<br />

anhaftende mangelhafte Flexibilität erschweren<br />

unnötig <strong>die</strong> Arbeit der Einsatzkräfte.<br />

Seit Jahren versucht man <strong>auf</strong> Bundes- und Länderebene<br />

eine Einigung <strong>auf</strong> ein neues bundesweit einheitliches<br />

System herbeizuführen. Die Einführung des<br />

analogen Bündelfunks hat man – im Gegensatz zu<br />

anderen Staaten – bereits nicht zustande gebracht.<br />

Zur Zeit wird nach einem Beschluss der Bundesregie-<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

65


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Abbildung 3: Erläuterungen Betriebsarten, Simplex (Wechselsprechen), Semiduplex (bedingtes Gegensprechen),<br />

Duplex (Gegensprechen)<br />

rung aus dem Jahr 2002 der Wechsel zum digitalen<br />

Bündelfunk angestrebt. Bund und Länder streiten sich<br />

jedoch um <strong>die</strong> Finanzierung. Die ursprünglichen Planungen,<br />

bis zur Weltmeisterschaft 2006 ein einheitliches<br />

System flächendeckend eingeführt zu haben, sind<br />

bereits hinfällig. Ob Tetrapol (EADS), Tetra (Motorola et<br />

al.) oder GSM-BOS (Vodafone) zum Zuge kommt, ist<br />

noch nicht entschieden. Die Kosten werden dabei eine<br />

entscheidende Rolle spielen. Die bisher in der Öffentlichkeit<br />

bekannt gewordenen Zahlen – <strong>die</strong> Spannbreite<br />

geht von ca. 2 bis 7 Mrd. Euro – lassen sich jedoch<br />

kaum vergleichen. Eine klare Aufgliederung in Investitions-<br />

und Betriebskosten bei gleichem Abdeckungsgrad<br />

und gleichem Leistungsspektrum fehlt.<br />

Komö<strong>die</strong> oder Tragö<strong>die</strong> – <strong>die</strong> Folgerung, dass <strong>die</strong> tatsächliche<br />

Sicherheitslage angesichts des beschaulichen<br />

Pokerspiels zwischen Bund, Ländern und Anbie-<br />

66 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

tern entspannter ist als von der Politik dargestellt,<br />

ist natürlich nicht statthaft.<br />

Schaut man ins benachbarte Ausland, dann ergibt<br />

sich ein zweigeteiltes Bild. In Großbritannien, Belgien,<br />

den Niederlanden, den skandinavischen Ländern<br />

und Polen kommt „Tetra“ zum Zuge. In Frankreich<br />

und Spanien hat man sich für „Tetrapol“ entschieden,<br />

<strong>die</strong> französischen Netze „Rubis“ (Gendarmerie)<br />

und Acropol (Police Nationale) beispielsweise wurden<br />

bereits Mitte der 90er Jahre errichtet. Die Schweiz<br />

hat <strong>mit</strong> „Polycom“ <strong>auf</strong> Tetrapol-Basis einen vollständig<br />

integrierten Ansatz verfolgt. Polizei, Feuerwehr,<br />

Rettungs<strong>die</strong>nste, Zivilschutz, Militär und kommunale<br />

Dienste nutzen eine gemeinsame Plattform und <strong>die</strong><br />

da<strong>mit</strong> verbundenen einsatztaktischen Vorteile. Ein<br />

ähnlich umfassender Ansatz <strong>auf</strong> Tetrapol-Basis wird<br />

auch in Tschechien realisiert. Ob eine Lösung <strong>auf</strong>


GSM-BOS-Basis zum Zuge kommen könnte, wird zur<br />

Zeit besonders kontrovers diskutiert.<br />

Kritiker führen an, dass man im internationalen Umfeld<br />

eine Insellösung schaffen würde. Die zu nutzende<br />

Infrastruktur eines öffentlichen Mobilfunknetzes<br />

würde ohne zusätzliche Schutzmaßnahmen zudem<br />

nicht den BOS-Sicherheitanforderungen (Schutz vor<br />

Anschlägen und Manipulation, Stromversorgung) entsprechen.<br />

Eine Vielzahl von notwendigen Features<br />

wie kurzer Verbindungs<strong>auf</strong>bau, Direktmodus, Funkverkehrskreise<br />

<strong>mit</strong> großen Teilnehmerzahlen und Abwehr<br />

von Abhörversuchen seien noch nicht oder bisher<br />

nur unzureichend realisiert. Außerdem sei es unter<br />

sicherheitsstrategischen Aspekten fragwürdig, ob man<br />

sich in eine Abhängigkeit von einem kommerziell orientierten<br />

Netzbetreiber begeben sollte.<br />

Befürworter – auch aus Kreisen der zukünftigen Nutzer<br />

– halten dagegen. Ein erster Feldversuch im Raume<br />

Würzburg sei – zumindest für <strong>die</strong> Belange von<br />

Feuerwehr und Rettungs<strong>die</strong>nst – vielversprechend verl<strong>auf</strong>en.<br />

Es gäbe ausreichende technische Lösungsansätze,<br />

um <strong>die</strong> o.a. Features realisieren zu können.<br />

Die Fragestellungen hinsichtlich der kommerziellen<br />

und sicherheitsrelevanten Abhängigkeit seien durch<br />

<strong>die</strong> Gründung eines eigenständigen Tochterunternehmens<br />

lösbar. Zudem würde sich eine ähnliche Situation<br />

zumindest in kommerzieller Hinsicht auch im Falle<br />

von Tetrapol ergeben, da EADS hier eine Quasi-<br />

Monopolstellung als Lieferant hätte.<br />

Egal welches System zum Zuge kommt, bei grenzüberschreitenden<br />

Einsätzen – oder Alleingängen einzelner<br />

Bundesländer bei der Systemauswahl – kann<br />

es vorkommen, dass <strong>die</strong> Einsatzkräfte vor Ort unterschiedliche<br />

Systeme benutzen. Für solche Fälle müssten<br />

<strong>auf</strong> jeden Fall Endgeräte <strong>mit</strong> Dual-Mode-Funktionalitäten<br />

(z. B. „Tetrapol und GSM-BOS“) zur Verfügung<br />

stehen, denn eine zentrale Gateway-Funktion<br />

zur Umsetzung reicht nicht aus. In Notfällen (Netzausfall,<br />

Einsatz in Gebäuden) muss ein direkter Kontakt<br />

zwischen den Funkgeräten möglich sein. Tetra zu<br />

Tetrapol, Tetrapol zu GSM-BOS, GSM-BOS zu Tetra<br />

und natürlich vice versa. Und für eine Übergangszeit<br />

wird man auch Verbindungen ins analoge BOS-Funknetz<br />

benötigen.<br />

Vielleicht wird es ja Funkgeräte geben, in <strong>die</strong> alle<br />

Systeme implementiert wurden – High-Tech macht’s<br />

möglich. Aber hoffentlich werden sie nicht zu groß.<br />

Infos und Quellen:<br />

www.bakom.ch/de/telekommunikation/forschung/<br />

www.funkschau.de/heftarchiv/index.htm<br />

www.net-im-web.de/archiv/index.html<br />

www.tetrapol.com(Tetrapol)<br />

www.siemens.ch/ (Tetrapol)<br />

www.eads.net(Tetrapol<br />

www.tetramou.com(Tetra)<br />

www.motorola.com (Tetra)<br />

www.nokia.de (Tetra)<br />

www.vodafone.de (GSM-BOS)<br />

www.ssk.de<br />

www.ralf-woelfle.de/elektrosmog/index.htm<br />

www.iwi.uni-hannover.de/lv/seminar_ss04/www/<br />

Martin_Bretschneider/xhtml/index.html<br />

Glossar:<br />

ASCI Advanced Speech Call Items, weitergehende/verbesserte<br />

Zusatz<strong>die</strong>nste für <strong>die</strong> Sprachkommunikation im Mobilfunkbereich<br />

AVL Automatic vehicle location – automatisierte Fahrzeugortung<br />

BOS Behörden und Organisationen <strong>mit</strong> Sicherheits<strong>auf</strong>gaben,<br />

Polizei, BGS, Feuerwehr, Zoll etc. und Hilfsorganisationen<br />

wie ASB, DRK, JUH, MHD, THW<br />

Bündelfunk<br />

Funkbetriebsverfahren, bei dem Übertragungskanäle dynamisch<br />

nach Bedarf zugeordnet werden und geschlossene<br />

Benutzergruppen definiert werden können.<br />

FDMA Frequency division multiple access-Frequenzvielfachzugriffsverfahren,<br />

mehrere Sprachkanäle werden <strong>auf</strong> mehreren<br />

Frequenzen übertragen.<br />

GPS Global Positioning System, satellitengestütztes Verfahren<br />

zur Positionsbestimmung<br />

GSM Global System for Mobile Communication – Funksystem<br />

speziell für öffentliche Mobilfunknetze<br />

PTT Push to talk – “(Sprechtaste) drücken um zu sprechen”,<br />

Funkbetriebsverfahren, bei dem ein, zwei oder mehrere<br />

Funkgeräte immer nur einen voreingestellten Übertragungskanal<br />

benutzen. Jeder kann jeden hören, ein Wahlvorgang<br />

findet nicht statt.<br />

TDMA Time division multiple access- Zeitvielfachzugriffsverfahren,<br />

mehrere Sprachkanäle werden <strong>auf</strong> einer Frequenz<br />

zeitlich hintereinander übertragen.<br />

Tetra, Tetrapol<br />

Terrestrial trunked radio- terrestrischer (digitaler) Bündelfunk<br />

Dipl.-Ing. Klaus Bäumer, Deutsche Telekom AG<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

67


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Matthias Wuschek, Christian Bornkessel<br />

68 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Abb. 1: Verteilung der Messorte im Stadtgebiet von Berlin<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

„EMF-Messprojekt Berlin“:<br />

Umfangreiche Immissio<br />

der Umgebung v<br />

Mobilfunksende


nsuntersuchungen in<br />

on GSM- und UMTSanlagen<br />

Abb. 2: Beispiel für einen Messort (Dachterrasse), der<br />

sich sehr nahe an einer Mobilfunkantenne befindet.<br />

Projektbeschreibung<br />

Unter dem Namen „EMF-Messprojekt Berlin“ wurde<br />

im Frühjahr 2004 eine umfangreiche Messkampagne<br />

in der Umgebung von GSM- und UMTS-Mobilfunksendeanlagen<br />

im Stadtgebiet von Berlin durchgeführt.<br />

Aufgabenstellung der Untersuchungen war, <strong>die</strong> Größe<br />

der Immissionen an Punkten in un<strong>mit</strong>telbarer Umgebung<br />

von Mobilfunksendeanlagen eingehend zu analysieren.<br />

Es stand dabei nicht im Vordergrund, <strong>die</strong><br />

Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte zu überprüfen.<br />

Dies wird bereits durch <strong>die</strong> Regulierungsbehörde<br />

für Telekommunikation und Post (RegTP) im Rahmen<br />

des <strong>Stand</strong>ortbescheinigungsverfahrens ausreichend<br />

konservativ durchgeführt.<br />

Zusätzlich zu den Feldern des GSM- und UMTS-Mobilfunks<br />

wurden an den Messpunkten auch <strong>die</strong> Immissionen<br />

er<strong>mit</strong>telt, <strong>die</strong> dort von Sendern für Rundfunk<br />

und Fernsehen sowie von Schnurlostelefonsystemen<br />

(DECT-<strong>Stand</strong>ard) erzeugt werden. Insbesondere <strong>die</strong><br />

Immissionen des neuen digitalen Fernsehens (DVB-<br />

T), das seit 2003 in Berlin als erstem Bundesland in<br />

Deutschland flächendeckend ausgestrahlt wird, sollten<br />

<strong>mit</strong> in <strong>die</strong> Erfassungen einbezogen werden.<br />

Absicht <strong>die</strong>ser Messaktion war es nicht, <strong>mit</strong>tels der<br />

Messungen <strong>die</strong> durchschnittliche Immission der Bürger<br />

Berlins bezüglich hochfrequenter Felder zu bestimmen.<br />

Vielmehr geht es bei <strong>die</strong>sem Projekt um<br />

Immissionsmessungen an Orten in un<strong>mit</strong>telbarer<br />

Umgebung von Mobilfunksendeanlagen (Abstand typisch<br />

kleiner als 150 Meter). Die Messpunkte wurden<br />

also bewusst in Zonen gelegt, in denen <strong>mit</strong> überdurchschnittlich<br />

hohen Immissionen durch Mobilfunksender<br />

gerechnet werden muss (Abbildung 1 zeigt<br />

einen typischen Messpunkt). Der Hauptgrund für <strong>die</strong>se<br />

Vorgabe zur Messpunktauswahl ist <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass <strong>die</strong> meisten Anfragen und Beschwerden bei den<br />

zuständigen Umweltämtern der Stadt von Bürgern<br />

stammen, <strong>die</strong> in un<strong>mit</strong>telbarer Nähe zu Mobilfunkanlagen<br />

wohnen. Daher erscheint es sinnvoll, <strong>mit</strong>tels<br />

der hier durchgeführten Untersuchungen insbesondere<br />

<strong>die</strong>ses Immissionsszenario näher zu beleuchten.<br />

Insgesamt wurden für <strong>die</strong> Messungen 25 Messorte<br />

festgelegt (siehe Abbildung 2). Dort wurden Immissionsmessungen<br />

an insgesamt 55 Punkten durchgeführt,<br />

wobei sich 60 Prozent der Messpunkte im Inne-<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

69


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Anzahl der Messpunkte<br />

Abb. 3: Verteilung der Messergebnisse<br />

(Elektrische Feldstärke in Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert<br />

nach 26. BImSchV)<br />

Mittlere Immission in % <strong>vom</strong> Grenzwert<br />

Abb. 4: Durchschnittliche Mobilfunkimmissionen<br />

(elektrische Feldstärke in Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert)<br />

in Abhängigkeit <strong>vom</strong> Abstand zur Antenne<br />

Mittlere Immission in % <strong>vom</strong> Grenzwert<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Abb. 5: Durchschnittliche Mobilfunkimmissionen<br />

(elektrische Feldstärke in Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert)<br />

in Abhängigkeit <strong>vom</strong> Vertikalwinkel zwischen<br />

Messpunkt und Antenne<br />

70 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

6<br />

11<br />

16<br />

5<br />

5<br />

3<br />

3 3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

0-1 1-2 2-3 3-4 4-5 5-6 6-7 7-8 8-9 9-10 >10<br />

Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert<br />

3,41<br />

4,25<br />

6,68<br />

3,63<br />

6,75<br />

3,43<br />

0-20 20-40 40-60 60-80 80-100 >100<br />

Entfernungsbereich in Meter<br />

0°-10°<br />

Vertikalwinkel<br />

Empfängerort<br />

10°-10° 20°-30° >30°<br />

Vertikalwinkelbereich (nach unten positiv)<br />

E M V U u n d T e c h n i k<br />

ren von Gebäuden befanden. Langzeitmessungen über<br />

einen Zeitraum von bis zu sieben Tagen an insgesamt<br />

sieben Messpunkten lieferten zusätzlich ein Bild über<br />

<strong>die</strong> zeitliche Variabilität der Immissionen, verursacht<br />

durch <strong>die</strong> betrachteten Funksendeanlagen.<br />

Weiterhin bestand <strong>die</strong> Aufgabe, <strong>die</strong> Resultate des<br />

„EMF-Messprojektes Berlin“ nicht nur zahlenmäßig<br />

zu dokumentieren, sondern auch intensiv auszuwerten,<br />

beispielsweise hinsichtlich des Einflusses von<br />

verschiedenen Faktoren <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Größe der Immission.<br />

Zusätzlich wurden <strong>die</strong> durch Messung gefundenen<br />

Immissionswerte auch <strong>mit</strong> den Resultaten von<br />

Prognoseberechnungen verglichen.<br />

Die Ergebnisse <strong>die</strong>ses Projektes sollen <strong>die</strong> Senatsverwaltung<br />

von Berlin sowie <strong>die</strong> Bezirksumweltämter<br />

unterstützen, wenn es um <strong>die</strong> Beantwortung häufig<br />

gestellter Fragen bezüglich der Größenordnung und<br />

der räumlichen Verteilung von Immissionen durch<br />

Mobilfunksender geht.<br />

So<strong>mit</strong> handelt es sich bei dem „EMF-Messprojekt<br />

Berlin“ um <strong>die</strong> bundesweit erste umfangreiche Messkampagne,<br />

bei der neben den etablierten Funksystemen<br />

auch <strong>die</strong> neuen Technologien UMTS und DVB-T<br />

in Bezug <strong>auf</strong> ihre Immissionen untersucht wurden.<br />

Fragestellungen<br />

Konkret sollen <strong>die</strong> Resultate des „EMF-Messprojektes<br />

Berlin“ bei der Beantwortung der folgenden Fragen<br />

hilfreich sein:<br />

Wie groß, im Vergleich zum gesetzlichen Grenzwert,<br />

sind <strong>die</strong> Immissionen, verursacht durch Mobilfunksendeanlagen,<br />

an Punkten in un<strong>mit</strong>telbarer<br />

Nähe zu den Antennenstandorten (Abstand typisch<br />

kleiner 150 Meter)?<br />

Wie verteilen sich <strong>die</strong> Immissionen <strong>auf</strong> GSM- bzw.<br />

UMTS-Sendeanlagen?<br />

Wie groß ist <strong>die</strong> Spannweite der Immissionen durch<br />

Mobilfunksendeanlagen (d.h. welche Immission ist<br />

am Messpunkt minimal möglich, bzw. welche Immission<br />

entsteht bei derzeitigem Ausbauzustand sowie<br />

bei Maximalausbau der verursachenden Anlagen)?<br />

Ist eine Abhängigkeit der Immission von Entfernung<br />

bzw. Sichtverbindung zur verursachenden Station<br />

erkennbar?


• Ist ein Zusammenhang zwischen der Anzahl der in<br />

der Umgebung betriebenen Mobilfunkanlagen und<br />

der Größe der am Messpunkt gefundenen Immission<br />

zu erkennen?<br />

Ergibt sich eine Abhängigkeit der Größe der Immission<br />

<strong>vom</strong> Vertikalwinkel, unter dem der Messpunkt<br />

<strong>vom</strong> Antennenstandort aus gesehen erscheint?<br />

Welche Immissionen erzeugen an den Messpunkten,<br />

im Vergleich zum Mobilfunk, <strong>die</strong> regionalen<br />

Sendeanlagen für den AM-Rundfunk, das UKW- und<br />

DAB-Radio, das digitales Fernsehen (DVB-T) sowie<br />

Schnurlostelefone (DECT-<strong>Stand</strong>ard)?<br />

Wie verhalten sich <strong>die</strong> messtechnisch gefundenen<br />

Mobilfunkimmissionen im Vergleich zu den Resultaten<br />

aus rechnerischen Immissionsprognosen?<br />

Im folgenden sollen einige wesentlichen Ergebnisse<br />

der Untersuchung kurz vorgestellt werden. Eine ausführliche<br />

Dokumentation des „EMF-Messprojektes<br />

Berlin“ findet sich in [8].<br />

Messverfahren<br />

Die Messungen wurden frequenzselektiv <strong>mit</strong> Spektrumanalysator<br />

und kalibrierten Antennen durchgeführt.<br />

Eine Ausnahme bilden allerdings <strong>die</strong> UMTS-Immissionen.<br />

Hier wurde das unten näher beschriebene<br />

„codeselektive Messverfahren“ angewendet.<br />

Aufgrund von Abschattungen und Interferenzen<br />

schwanken <strong>die</strong> Feldstärkewerte örtlich erheblich. Das<br />

Messverfahren muss daher so ausgelegt sein, dass<br />

Unterbewertungen der Immissionen vermieden werden,<br />

d.h. zuverlässig der im Bereich des Messortes<br />

herrschende Maximalwert der elektrischen Feldstärke<br />

bestimmt wird. Diese Maximalwertsuche wurde <strong>mit</strong><br />

der „Schwenkmethode“ durchgeführt. Dabei wird das<br />

ganze Messvolumen <strong>mit</strong> einer handgeführten Messantenne<br />

langsam abgetastet, wobei gleichzeitig <strong>die</strong><br />

Vorzugsrichtung und <strong>die</strong> Polarisationsrichtung der<br />

Messantenne variiert werden [1,2]. Während des gesamten<br />

Abtastvorganges wird das Spektrum <strong>mit</strong> der<br />

„Maximum Hold“-Funktion des Messgerätes kontinuierlich<br />

erfasst. Erfahrungsgemäß sind dabei Erfassungszeiten<br />

von ein bis zwei Minuten ausreichend,<br />

um im gegebenen Volumen <strong>die</strong> Maximalfeldstärke der<br />

zu messenden Signale zu finden. Der Hauptvorteil<br />

<strong>die</strong>ses Verfahrens liegt in seiner unproblematischen<br />

Durchführbarkeit. Für <strong>die</strong> Überblicksmessung vor Ort<br />

wurde zusätzlich ein Breitbandfeldstärkemessgerät <strong>mit</strong><br />

isotroper Sonde verwendet.<br />

Bei derartigen Immissionsmessungen muss <strong>mit</strong> einer<br />

Messunsicherheit von typisch 3 dB (d.h. etwa 41 %<br />

bezüglich der Feldstärke) gerechnet werden [1,2].<br />

Gründe dafür sind z. B. unvermeidbare Restfehler bei<br />

der Kalibrierung der Messantennen und -kabel, <strong>die</strong><br />

entsprechende Messtoleranz des Messgerätes und<br />

<strong>die</strong> Unsicherheit der Probennahme. Da alle gefundenen<br />

Immissionswerte sehr deutlich unter dem Grenzwert<br />

bleiben, ist es nicht zwingend erforderlich, <strong>die</strong><br />

Messunsicherheit <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Messwerte <strong>auf</strong>zuschlagen.<br />

Im Rahmen <strong>die</strong>ser Messkampagne wurden daher alle<br />

gefundenen Immissionswerte nicht um den Betrag<br />

der Messunsicherheit erhöht. Dadurch ist auch eine<br />

bessere Vergleichbarkeit <strong>mit</strong> anderen Messkampagnen<br />

(z.B. [3]) gegeben.<br />

Hochrechnung <strong>auf</strong> höchste<br />

betriebliche Anlagenauslastung<br />

Die Grenzwerte für elektromagnetische Felder in der<br />

Umgebung von Funksendeanlagen sind bei höchster<br />

Anlagenauslastung, also in dem Betriebszustand, bei<br />

dem in der Umgebung <strong>die</strong> größtmöglichen elektromagnetischen<br />

Felder erzeugt werden, einzuhalten [4].<br />

Für <strong>die</strong> Praxis bedeutet <strong>die</strong>s, dass vorhandene zeitliche<br />

Schwankungen der abgestrahlten Sendeleistung<br />

geeignet berücksichtigt werden müssen, da<strong>mit</strong> sichergestellt<br />

ist, dass für jeden betrachteten Ort <strong>die</strong> maximal<br />

<strong>auf</strong>tretende Immission er<strong>mit</strong>telt wird und nicht<br />

etwa eine zum Zeitpunkt der Messung eventuell vorhandene<br />

schwächere Feldintensität.<br />

Im Rahmen <strong>die</strong>ser Messkampagne wurden daher <strong>die</strong><br />

GSM-Immissionen durch Messung der leistungsstabilen<br />

BCCH-Träger (Trägerfrequenz, <strong>die</strong> u.a. den sogenannten<br />

„Broadcast Control Channel“ überträgt) <strong>mit</strong><br />

anschließender multiplikativer Hochrechnung <strong>auf</strong> den<br />

maximal genehmigten Ausbauzustand bestimmt<br />

[1,2,5].<br />

Auch bei UMTS-Stationen schwankt <strong>die</strong> von der Anlage<br />

abgegebene Sendeleistung und da<strong>mit</strong> <strong>die</strong> Immis-<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

E M V U u n d T e c h n i k 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

71


E M V U u n d T e c h n i k<br />

Immission in % <strong>vom</strong> Grenzwert<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Abb. 6: Mobilfunkimmissionen (elektrische<br />

Feldstärke in Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert) im Vergleich<br />

zur Ausstattung des verursachenden <strong>Stand</strong>ortes<br />

sion in der Umgebung <strong>mit</strong> der momentanen Auslastung<br />

der Anlage. Jedoch existiert auch hier ein Signalisierungssignal<br />

(der „Common Pilot Channel“, kurz<br />

„CPICH“), das ähnlich wie der BCCH-Träger <strong>mit</strong> definierter,<br />

konstanter Leistung abgegeben wird. Die korrekte<br />

Messung des CPICH-Signals bei UMTS gestaltet<br />

sich allerdings deutlich schwieriger als <strong>die</strong> Bestimmung<br />

des BCCH-Trägers bei GSM.<br />

Es existieren jedoch seit einiger Zeit Messgeräte <strong>auf</strong><br />

dem Markt, <strong>die</strong> in der Lage sind, das Signal einer<br />

UMTS-Basisstation zu deco<strong>die</strong>ren und anzugeben, <strong>mit</strong><br />

welcher Leistung <strong>die</strong> einzelnen Kanäle empfangen werden<br />

(„codeselektive Messung“). Unter Zuhilfenahme<br />

eines derartigen Gerätes wurde am Messpunkt <strong>die</strong><br />

Feldstärke jedes vorhandenen CPICH festgestellt. Die<br />

Hochrechnung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> maximale Anlagenauslastung<br />

kann dann <strong>mit</strong>tels Multiplikation eines Faktors, der<br />

sich aus der aktuell eingestellten Leistung des CPICH<br />

und der maximal möglichen Sendeleistung der Anlage<br />

ergibt, durchgeführt werden [1,6,7]. In Berlin wurde<br />

ein derartiges codeselektives Messsystem, bestehend<br />

aus einem Radio Network Analyzer als HF-<br />

Frontend und der Steuerungssoftware RFEX von Rohde<br />

& Schwarz eingesetzt. Nach unserem Kenntnisstand<br />

wurden im Rahmen <strong>die</strong>ser Messkampagne erstmalig<br />

in Deutschland im größeren Stil codeselektive<br />

Immissionsmessungen in der Umgebung von UMTS-<br />

Mobilfunksendeanlagen durchgeführt.<br />

72 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

Durchschnittswert<br />

(4,78%)<br />

Rot: Ein System<br />

Grün: Zwei Systeme<br />

Orange: Drei Systeme<br />

Blau: Vier Systeme<br />

Geld: Fünf Systeme<br />

Violett: Sechs Systeme<br />

Grau: Acht Systeme<br />

F o r s c h u n g<br />

Messpunkt Nr.<br />

Immissionen durch Mobilfunk<br />

(Summe aus GSM und UMTS)<br />

Es wurden an den 55 Messpunkten Immissionen gemessen,<br />

<strong>die</strong> im Durchschnitt etwa 4,8 Prozent <strong>vom</strong><br />

Grenzwert betragen (bezogen <strong>auf</strong> <strong>die</strong> elektrische Feldstärke,<br />

bei Maximalausbau und höchster betrieblicher<br />

Anlagenauslastung der verursachenden Stationen).<br />

Dieser Wert von etwa 4,8 Prozent darf keinesfalls<br />

als repräsentativ für das Stadtgebiet von Berlin<br />

gesehen werden. Die Messpunkte lagen meist in un<strong>mit</strong>telbarer<br />

Umgebung von Mobilfunkantennen. Deshalb<br />

wurden dort in der Regel auch überdurchschnittlich<br />

hohe Immissionswerte er<strong>mit</strong>telt. Im Mittel wird in<br />

Berlin eine deutlich geringere Immission durch Mobilfunk<br />

<strong>auf</strong>treten. An 60 Prozent der Messpunkte wurde<br />

eine Mobilfunk-Summenimmission von maximal 3 Prozent<br />

<strong>vom</strong> Grenzwert gefunden. Die restlichen 40 Prozent<br />

der Messpunkte liefern Werte über 3 bis 15,6<br />

Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert. Immissionen <strong>mit</strong> mehr als<br />

10 Prozent <strong>vom</strong> Grenzwert treten offensichtlich nur in<br />

sehr seltenen Einzelfällen <strong>auf</strong>. Die grundsätzliche Größenverteilung<br />

der Messergebnisse ist in Abbildung 3<br />

dargestellt.<br />

Vergleich der Immissionen<br />

von GSM und UMTS<br />

Immissionen verursacht durch GSM- bzw. UMTS-Sender<br />

halten sich derzeit an den Messpunkten in etwa<br />

<strong>die</strong> Waage. Eine endgültige Aussage über <strong>die</strong> Immissions<strong>auf</strong>teilung<br />

ist allerdings im Moment nicht möglich,<br />

da <strong>die</strong> UMTS-Netze in Berlin noch nicht vollständig<br />

<strong>auf</strong>gebaut sind und <strong>die</strong> Anzahl der Messpunkte in<br />

der Umgebung von gemeinsam genutzten GSM- und<br />

UMTS-Anlagen für statistisch belastbare Aussagen<br />

zu gering war.<br />

Einflussfaktoren für <strong>die</strong> Größe<br />

der Immissionen am Messpunkt<br />

Wie <strong>die</strong> Auswertung in Abbildung 4 zeigt, liefert in dem<br />

hier untersuchten Entfernungsbereich zwischen Mobilfunksendeanlage<br />

und Messpunkt (maximal bis etwa 150<br />

Meter) <strong>die</strong> alleinige Betrachtung des horizontalen Abstandes<br />

zwischen beiden kein geeignetes Kriterium zur<br />

Beurteilung der Größe der entstehenden Immissionen.


Dagegen kann der Vertikalwinkel, unter dem der Messpunkt<br />

von der Antenne der Anlage aus gesehen erscheint,<br />

eher als Bewertungsgröße für <strong>die</strong> entstehenden<br />

Immissionen herangezogen werden. Im Mittel ergeben<br />

sich bei Orten, <strong>die</strong> bezüglich der Antenne unter<br />

einem flachen Winkel erscheinen (das heißt, der Höhenunterschied<br />

zwischen Messpunkt und Antenne ist<br />

wesentlich kleiner als <strong>die</strong> Entfernung zwischen beiden),<br />

größere Immissionen als an Orten in vergleichbarer<br />

Entfernung, jedoch <strong>mit</strong> großem Vertikalwinkel<br />

bezüglich der Antennen (siehe Abbildung 5). Die größten<br />

Immissionen treten also regelmäßig an den Punkten<br />

<strong>auf</strong>, <strong>die</strong> sich im vertikalen Hauptstrahl der Antennen<br />

befinden. Derartige Punkte können durchaus 50<br />

bis 100 Meter <strong>vom</strong> Anlagenstandort entfernt sein. Im<br />

Nahbereich (hier: etwa 0 bis 40 Meter) finden sich<br />

nur in bestimmten Ausnahmefällen (z.B. bei Antennen<br />

<strong>mit</strong> geringer vertikaler Bündelung, starker vertikaler<br />

Strahlabsenkung oder ausgeprägten Nebenkeulen)<br />

überdurchschnittliche Immissionen.<br />

Auch <strong>die</strong> Anzahl der in der Umgebung installierten<br />

Anlagen wird bei den Anwohnern oft für <strong>die</strong> Bewertung<br />

der Größe der Immissionen herangezogen. Die<br />

gängige Meinung lautet, dass bei einer großen Anzahl<br />

von Antennen <strong>die</strong> Immissionen in der Umgebung<br />

auch besonders hoch sein müssen. Durch <strong>die</strong> Messergebnisse<br />

konnte <strong>die</strong>ser Zusammenhang nicht belegt<br />

werden. Abbildung 6 zeigt deutlich, dass kein<br />

Trend in <strong>die</strong> Richtung erkennbar ist, dass bei Messpunkten<br />

<strong>mit</strong> mehr Funkanlagen im Umfeld auch höhere<br />

Immissionswerte festgestellt werden können.<br />

Sowohl an den Messpunkten <strong>mit</strong> nur einem System<br />

als auch an den Punkten <strong>mit</strong> mehreren Systemen in<br />

der Umgebung findet man gleichermaßen geringe als<br />

auch größere Werte. Als Beurteilungsmaß für <strong>die</strong> Größe<br />

der Immission ist <strong>die</strong> Anzahl der in der Umgebung<br />

installierten Anlagen also offensichtlich kaum<br />

geeignet.<br />

Schwankungsbreite der Immissionen<br />

an einem Messpunkt<br />

Mobilfunkanlagen geben auch Signale in <strong>die</strong> Umgebung<br />

ab, wenn sie gerade keinen Telefon- bzw. Datenverkehr<br />

abwickeln. Festgestellt wurde, dass sich<br />

<strong>die</strong> Feldstärkeimmission (gegenüber dem Minimalwert<br />

bei fehlendem Verkehr) unter Volllast im aktuellem<br />

Ausbauzustand der <strong>Stand</strong>orte im Mittel etwa verdoppelt<br />

(d. h. <strong>die</strong> maximale Schwankungsbreite beträgt<br />

derzeit etwa 6 dB).<br />

Im Vergleich zum aktuellen Ausbauzustand führen <strong>die</strong><br />

im Moment noch nicht realisierten, aber bereits von<br />

der RegTP genehmigten Kapazitätserweiterungen zu<br />

einer Immissionszunahme von durchschnittlich etwa<br />

3 dB. Anders ausgedrückt: Die Mobilfunkanlagen werden<br />

derzeit im Mittel <strong>mit</strong> etwa 50 Prozent der von der<br />

RegTP genehmigten Leistung betrieben.<br />

Immissionen, verursacht durch<br />

sonstige Funksendeanlagen<br />

Die <strong>mit</strong>tlere Immission, verursacht durch sonstige<br />

Funksendeanlagen, ist an den untersuchten Punkten<br />

etwa um den Faktor 4,3 (d.h. ca. 12,7 dB) niedriger<br />

als <strong>die</strong> an <strong>die</strong>sen Punkten gefundene <strong>mit</strong>tlere Immission<br />

durch Mobilfunk bei Maximalausbau.<br />

Nur an zwei Messpunkten dominierten <strong>die</strong> Immissionen,<br />

verursacht durch sonstige Funksendeanlagen,<br />

gegenüber den Feldern des Mobilfunks.<br />

Diese Dominanz des Mobilfunks gegenüber den sonstigen<br />

Funksendeanlagen darf allerdings keinesfalls<br />

als repräsentativ für das Stadtgebiet von Berlin gesehen<br />

werden. Man bedenke, dass <strong>die</strong> Messpunkte bewusst<br />

in besondere Nähe zu Mobilfunksendeanlagen<br />

gelegt wurden und daher grundsätzlich überproportionale<br />

Immissionen durch Mobilfunksender zu erwarten<br />

waren, während gleichzeitig kein besonderes Augenmerk<br />

<strong>auf</strong> eine besondere Nähe zu sonstigen Funksendeanlagen<br />

gelegt wurde.<br />

Immissionen verursacht durch DECT-Telefonsysteme<br />

spielten bei <strong>die</strong>ser Messkampagne eine untergeordnete<br />

Rolle. Auch hier muss allerdings berücksichtigt<br />

werden, dass kein spezielles Augenmerk <strong>auf</strong> eine besondere<br />

Nähe zu DECT-Anlagen gelegt wurde.<br />

Vergleich <strong>mit</strong> Messkampagnen<br />

aus der Vergangenheit<br />

Es liegt natürlich nahe, <strong>die</strong> im Rahmen des „EMF-<br />

Messprojektes Berlin“ gefundenen Immissionswerte<br />

<strong>mit</strong> den Resultaten aus anderen Messkampagnen zu<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

73


F o r s c h u n g<br />

vergleichen. Dabei muss jedoch beachtet werden,<br />

dass einzelne Messkampagnen oft nicht direkt vergleichbar<br />

sind, da entweder andere Verfahren der Immissionsbestimmung<br />

angewendet wurden oder <strong>die</strong><br />

Messpunktauswahl einen deutlichen Einfluss <strong>auf</strong> <strong>die</strong><br />

<strong>mit</strong>tlere Größe der Immissionen ausübt. Beispielhaft<br />

wird im folgenden das „EMF-Messprojekt Berlin“ zwei<br />

aktuellen Messkampagnen aus Bayern bzw. Baden-<br />

Württemberg [9,10] gegenübergestellt, um <strong>die</strong> Unterschiede<br />

zum Berliner Projekt zu verdeutlichen.<br />

In <strong>die</strong>sen beiden Messkampagnen fanden sich im<br />

Mittel deutlich niedrigere Mobilfunkimmissionswerte<br />

als bei den Messungen in Berlin (typisch: kleiner 1<br />

Prozent <strong>vom</strong> Feldstärkegrenzwert). Dies lässt sich jedoch<br />

wie folgt aus dem Design der Projekte erklären:<br />

Bei <strong>die</strong>sen beiden Kampagnen wurde nur <strong>die</strong> aktuelle<br />

Immission am Messort er<strong>mit</strong>telt, es fand keine Hochrechnung<br />

<strong>auf</strong> höchste betriebliche Anlagenauslastung<br />

statt. Ein weiterer Grund, warum <strong>die</strong> Messwerte unterhalb<br />

der Berliner Werte lagen, ist <strong>die</strong> Messpunktauswahl:<br />

In Berlin wurde bewusst <strong>die</strong> Nähe zu Mobilfunksendern<br />

gesucht, während in Bayern bzw. Baden-<br />

Württemberg <strong>auf</strong>grund der zufälligen Messpunktauswahl<br />

nur gelegentlich eine Mobilfunkstation in un<strong>mit</strong>telbarer<br />

Nähe des Messpunktes zu liegen kam. Außerdem<br />

wurde in Baden-Württemberg <strong>auf</strong>grund des<br />

festen Messpunktrasters auch außerhalb von Ortschaften<br />

<strong>auf</strong> der freien Wiese bzw. im Wald gemessen.<br />

Dies führt zusätzlich zu einer Verringerung der<br />

<strong>mit</strong>tleren Größe der Messergebnisse. In Bayern wurden<br />

<strong>die</strong> Messpunkte zwar ausschließlich in Wohngebiete<br />

gelegt, der Mess<strong>auf</strong>bau war jedoch nicht geeignet,<br />

das Feldstärkemaximum im Messvolumen zu er<strong>mit</strong>teln.<br />

Zusätzlich ist anzumerken, dass bei beiden<br />

Messkampagnen nur outdoor in Bodennähe gemessen<br />

wurde, also keine Messorte innerhalb von Gebäuden<br />

in größerer Höhe (d.h. näher an der vertikalen<br />

Hauptsenderichtung der Mobilfunkantennen) gewählt<br />

wurden, was ebenfalls <strong>die</strong> <strong>mit</strong>tlere Immission<br />

niedrig hält.<br />

Ziel der Messkampagnen in Bayern und Baden<br />

Württemberg war nicht, <strong>die</strong> Spannweite der Mobilfunkimmissionen<br />

darzustellen, insbesondere war es<br />

nicht Aufgabe, <strong>die</strong> maximal in Wohnbereichen <strong>auf</strong>tre-<br />

74 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

F o r s c h u n g<br />

tenden Immissionen zu er<strong>mit</strong>teln, sondern hier ging<br />

es um „Umweltmonitoring“. Es sollten durchschnittliche<br />

Immissionswerte gesammelt werden, möglichst<br />

durch Mittelung über viele, wohl definierte Messpunkte<br />

(ca. 900 in Baden-Württemberg bzw. 400 in Bayern), so<br />

dass <strong>die</strong> Möglichkeit besteht, in einigen Jahren <strong>die</strong><br />

Messungen zu wiederholen, um durch Vergleich der Resultate<br />

eine Aussage über eventuelle Veränderungen<br />

der <strong>mit</strong>tleren Immission der Bürger treffen zu können.<br />

Unterschiedliche Messkampagnen dürfen also niemals<br />

unreflektiert <strong>mit</strong>einander verglichen werden,<br />

denn je nach gewähltem Versuchsdesign können<br />

deutlich unterschiedliche Expositionswerte er<strong>mit</strong>telt werden,<br />

so dass <strong>die</strong> Resultate einzelner Messkampagnen<br />

nicht mehr ohne weiteres vergleichbar sind.<br />

Literaturverzeichnis<br />

[1] Länderausschuss für Immissionsschutz“ „Hinweise zur<br />

Durchführung der Verordnung über elektromagnetische Felder<br />

- 26. BImSchV in der Fassung <strong>vom</strong> 26. März 2004“, 3/<br />

2004; Internet: www.lai-immissionsschutz.de<br />

[2] Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) und<br />

Bundesamt für Metrologie und Akkreditierung (METAS) „Mobilfunkbasisstationen<br />

(GSM), Messempfehlung“, Bern,<br />

2002;<br />

Internet: www.umwelt-schweiz.ch/buwal<br />

[3] Chr. Bornkessel, M. Neikes, A. Schramm „Elektromagnetische<br />

Felder in NRW - Untersuchung der Immissionen durch<br />

Mobilfunkbasisstationen“ Abschlussbericht, IMST GmbH,<br />

Kamp-Lintfort 8/2002<br />

[4] Bundesrepublik Deutschland „26. Verordnung zur Durchführung<br />

des Bundes-Immissionsschutzgesetzes“ Bundesgesetzblatt<br />

Jg. 1996, Teil I, Nr.66, Bonn 20.12.1996.<br />

[5] M. Wuschek „Feldstärkemessungen in der Umgebung von<br />

GSM-Mobilfunkbasisstationen“ EMV 2002; Kongress für<br />

Elektromagnetische Verträglichkeit, VDE Verlag GmbH, Berlin,<br />

Offenbach 2002, S. 683-692<br />

[6] Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft (BUWAL) und<br />

Bundesamt für Metrologie und Akkreditierung (METAS) „Mobilfunkbasisstationen<br />

(UMTS-FDD), Messempfehlung (Entwurf)“;<br />

Bern 9/2003<br />

[7] M. Wuschek „Feldstärkemessungen in der Umgebung von<br />

UMTS-Mobilfunkbasisstationen“, EMV 2004; Kongress für<br />

Elektromagnetische Verträglichkeit, VDE Verlag GmbH, Berlin,<br />

Offenbach 2004, S. 539-548.<br />

[8] M. Wuschek, Chr. Bornkessel „EMF-Messprojekt Berlin“,<br />

Zusammenfassender Bericht, EM-Institut GmbH, Regensburg,<br />

IMST GmbH, Kamp-Lintfort, 8/2004<br />

[9] J. Bernkopf „Monitoring elektromagnetischer Felder an statistisch<br />

ausgewählten Punkten in Bayern“, NIR 2004, 36.<br />

Jahrestagung des Fachverbandes für Strahlenschutz Köln<br />

9/2004, S. 411-418<br />

[10] H. Menges, U. Bochtler, R. Eidher, M. Wuschek „Großräumige<br />

Er<strong>mit</strong>tlung von Funkwellen in Baden-Württemberg“,<br />

NIR 2004, 36. Jahrestagung des Fachverbandes für Strahlenschutz<br />

Köln 9/2004, S. 405-410<br />

Prof. Dr.-Ing. Matthias Wuschek, Fachhochschule Deggendorf,<br />

Dr.-Ing. Christian Bornkessel, IMST GmbH, Kamp-Lintfort


Aspekte zu einer spanischen Untersuchung –<br />

Kommentare zum vorgelegten Artikel von G. Oberfeld et al.<br />

„Das Mikrowellen-<br />

Syndrom“<br />

Otto Petrowicz<br />

Bei der vorliegenden Beschreibung einer Untersuchung<br />

über das von den Autoren als „Mikrowellensyndrom“<br />

benannte Krankheitsbild handelt es sich um eine epidemiologische<br />

Erhebung, <strong>die</strong> in <strong>die</strong> Vergangenheit<br />

gerichtet, also retrospektiver Art ist, obwohl sie bei<br />

näherem Hinsehen nicht der klassischen Form einer<br />

Fall-Kontroll-Stu<strong>die</strong> entspricht. Gegenstand der Stu<strong>die</strong><br />

ist das so genannte „Mikrowellensyndrom“. Dies<br />

scheint eine neuere Wortschöpfung zu sein, denn es<br />

wurden keine Definitionen dafür in der medizinischen<br />

Literatur oder in entsprechenden Enzyklopä<strong>die</strong>n und<br />

auch nicht in den medizinischen Literaturdatenbanken<br />

(http://www.ncbi.nlm.nih.gov/PubMed/) gefunden.<br />

Ein Hinweis in <strong>die</strong>sem Zusammenhang stand<br />

unter dem Begriff „Microwave Sickness“ 1 , der sich<br />

<strong>auf</strong> einige der genannten Einzelsymptome wie Müdigkeit,<br />

Kopfschmerzen, Sensibilitätsstörungen und andere<br />

autonome Reaktionen des Nervensystems bei<br />

beruflich exponierten Personen in RF- und Mikrowellenfeldern<br />

befasste. Dieser Begriff findet sich auch<br />

bei einem Literaturzitat2 des Aufsatzes von G. Oberfeld<br />

et al. wieder.<br />

Bei näherem Hinsehen handelt es sich um eine Wortprägung<br />

im Rahmen einer spanischen Untersuchung<br />

der Arbeitsgruppe um A.E. Navarro et al. 3 , deren Daten<br />

auch überwiegend <strong>die</strong> Basis der zu kommentierenden<br />

Arbeit sind. (Diese <strong>Publikation</strong> wurde jedoch<br />

nicht im PubMed gefunden. Es ist auch nicht bekannt,<br />

ob es sich bei der Zeitschrift „Electromagnetic Biology<br />

and Medicine“ um ein „Peer Reviewed Journal“<br />

handelt, also eine Zeitschrift, bei der vor Abdruck<br />

eines Artikels ein Expertenteam des betreffenden<br />

Faches <strong>die</strong> Arbeit unter unterschiedlichsten wissenschaftlichen<br />

Kriterien überprüft. Im „Citation Report<br />

Index“ von 2003 ist der Impact-Factor <strong>mit</strong> 0,179 angegeben<br />

und da<strong>mit</strong> unbedeutend.)<br />

Die Untersuchung wurde in einem Ort in Spanien <strong>mit</strong><br />

1900 Einwohnern durchgeführt. In dem Ort stehen<br />

zwei Basisstationen (BS), eine GSM 900 MHz und <strong>die</strong><br />

andere GSM 1800 MHz. Der Beginn des Sendebetriebs<br />

beider Anlagen ist unklar und wurde zwischen<br />

1997 und 1999 angegeben. Grundlage der Erhebungen<br />

waren Fragebögen, <strong>die</strong> im Oktober 2000 verteilt<br />

und im November 2000 eingesammelt wurden. Ergänzend<br />

wurden im Februar und März 2001 in 97<br />

Fällen Breitbandmessungen nachträglich in den Schlafzimmern<br />

der eingeschlossenen Fälle durchgeführt.<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

75


F o r s c h u n g<br />

Abbildung 1: Typischer logarithmischer Verl<strong>auf</strong><br />

der E-Feldstärke einer BS am Boden, abhängig von<br />

der Entfernung.<br />

Die Fragebögen enthielten demographische Angaben,<br />

<strong>die</strong> Entfernung zur BS, <strong>die</strong> geschätzten Expositionszeiten<br />

durch <strong>die</strong> BS, und Fragen zu insgesamt 16<br />

Symptomen betreffend Häufigkeit und Schweregrad<br />

(Score von 0 - 3, <strong>mit</strong> <strong>auf</strong>steigender Empfindungsintensität).<br />

Zusätzlich zu den stu<strong>die</strong>nrelevanten Faktoren<br />

wurden auch andere Parameter abgefragt, wie <strong>die</strong><br />

Nähe zu Hochspannungsleitungen, Transformatorstationen,<br />

dem Gebrauch von PCs und von Mobiltelefonen.<br />

Weitere, ebenso wichtige Faktoren (Confounder)<br />

wie sozialer Status, Bildung, Wohnlage (verkehrsabhängig),<br />

persönliche Risikofaktoren usw. wurden nicht<br />

erhoben. Gerade in Umweltfragen hat sich <strong>die</strong> Bedeutung<br />

<strong>die</strong>ser Faktoren und deren Einflussnahme<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Ergebnisse als sehr wichtig erwiesen.<br />

Die Fragebögen waren in öffentlich zugänglichen Orten<br />

ausgelegt (angegeben wurden z. B. Frisöre und Apotheken).<br />

Insgesamt wurden 144 Fragebögen wieder eingesammelt,<br />

von denen nur 94 auswertbar waren und in<br />

<strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> <strong>auf</strong>genommen werden konnten.<br />

Zu <strong>die</strong>ser Vorgehensweise stellen sich eine Reihe<br />

von Fragen:<br />

1. 144 bzw. 94 verbliebene Fälle von 1900 Einwohnern<br />

entsprechen 7,5 bzw. 4,9 %; hier drängt sich der<br />

Eindruck <strong>auf</strong>, dass nur solche Personen <strong>die</strong> Fragebögen<br />

ausgefüllt haben, <strong>die</strong> eine kritische Beziehung zu den<br />

betreffenden BS haben und bereits durch ihre persönliche<br />

Einstellung vorbelastet sein könnten.<br />

76 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

F o r s c h u n g<br />

2. Wo sind <strong>die</strong> Anwohner, <strong>die</strong> eine neutrale Haltung<br />

einnehmen oder keine Symptome verspüren?<br />

3. Inwieweit kann eine Einflussnahme der den Fragebogen<br />

Austeilenden beurteilt werden?<br />

Insgesamt ist <strong>die</strong> Zugänglichkeit der Fragebögen und<br />

da<strong>mit</strong> <strong>die</strong> Einbeziehung in <strong>die</strong> Stu<strong>die</strong> sehr starken<br />

subjektiven Kriterien unterworfen und eine Fremdbeeinflussung<br />

durch z. B. Frisör und Apotheker, <strong>die</strong> eine<br />

besondere gesellschaftliche und meinungsbildende<br />

Rolle spielen, nicht auszuschließen.<br />

Bei allen Fall-Kontroll-Stu<strong>die</strong>n besteht ein Mangel,<br />

nämlich <strong>die</strong> Unkenntnis oder schwer nachträglich zu<br />

er<strong>mit</strong>telnde tatsächliche Exposition im Beobachtungszeitraum.<br />

Die Autoren haben zur Abschätzung der Exposition<br />

bei den 94 eingeschlossenen Personen Messungen<br />

in den Schlafzimmern durchgeführt, <strong>die</strong> Rückschlüsse<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Exposition vor der Fragebogenaktion<br />

erlauben sollen. Für <strong>die</strong> nachfolgende Ergebnispräsentation<br />

ist noch <strong>die</strong> Entfernung zur jeweils nächsten<br />

BS von Bedeutung: Hier liegt eine Einteilung nach<br />

6 Bereichen vor: < 10 m, 10 - 50 m, 50 - 100 m, 100<br />

- 200 m, 200 - 300m und > 300 m. 30 % der Personen<br />

leben weiter als 300 m von der BS entfernt.<br />

Für <strong>die</strong> Analyse wurde eine Expositionseinteilung in<br />

drei Kategorien vorgenommen:<br />

Niedrige Exposition 0,02 - 0,04 V/m<br />

Mittlere Exposition 0,05 - 0,22 V/m<br />

Hohe Exposition 0,25 bis 1,29 V/m<br />

Als Referenz wurde <strong>die</strong> niedrigste Expositionsstufe<br />

genommen. Welche Besetzung <strong>die</strong> einzelnen Gruppen<br />

haben, ist nicht angegeben. Ebenso wird eine<br />

genauere Erklärung der angewandten Modelle vermisst.<br />

Überhaupt fehlt eine Beschreibung der statistischen<br />

Auswertungsmethoden. Anscheinend gibt es<br />

kein Stu<strong>die</strong>nprotokoll, wo <strong>die</strong> Vorgehensweisen bei<br />

der Projektdurchführung (Material, Methoden, Statistik<br />

usw.) im voraus festgelegt wurden. Die Hinweise<br />

<strong>auf</strong> eine Exposition anhand von 6 frequenzselektiven<br />

Messungen erst im Jahr 2004 sind wenig hilfreich<br />

und <strong>die</strong> Argumentation, dass der Anteil von FM an<br />

den Breitbandmessungen nur von geringem Einfluss<br />

ist, kann nicht nachvollzogen werden. Schon gar nicht<br />

anhand der 6 Messergebnisse in der Abbildung 1.<br />

Dies steht auch im Gegensatz zu den Angaben, dass


40 % der Befragten behaupten, in einer Entfernung<br />

von weniger als 4 km von einem FM- und TV-Sender<br />

zu leben.<br />

Die Autoren berichten von Berechnungen zum Einfluss<br />

der Co-Faktoren wie Nähe zu Hochspannungsleitungen<br />

(< 100 m), zu einem Umspanntransformator<br />

(< 10 m), FM/TV-Sender (< 4 km), Computernutzung<br />

(> 2 h) pro Tag und Mobiltelefongebrauch (> 20<br />

Minuten pro Tag). Daten wurden aber nicht präsentiert,<br />

sondern dar<strong>auf</strong> verwiesen, dass <strong>die</strong> Gesamtaussage<br />

dadurch nicht beeinflusst wird. Weiterhin<br />

wird nicht erklärt, wie sich <strong>die</strong> einzelnen Modelle tatsächlich<br />

zusammensetzen: welches Modell wurde bei<br />

der Logistischen Regression angewandt, ein lineares<br />

oder nichtlineares Modell usw.<br />

Ein Mangel der Ergebnisdarstellung ist <strong>die</strong> Information<br />

über <strong>die</strong> erhobenen Daten der Fragebögen im Verhältnis<br />

zu den Feldmessungen und den Entfernungen,<br />

insbesondere <strong>die</strong> Präsentation einer Korrelation<br />

zwischen den Entfernungen, den gemessenen E-Feldern<br />

in den Schlafzimmern und dem Summenscore<br />

aus den 16 Symptomen, oder gegebenenfalls auch<br />

einzelner Parameter, z. B. ob eine Zusammenhang<br />

zwischen Entfernung und Summenscore besteht, oder<br />

zwischen Summenscore und E-Feldstärke. Vorstellbar<br />

ist, dass kein Zusammenhang zwischen gemes-<br />

Symptoms Raw Model Age and Sex<br />

(adj. Model)<br />

Irritabitility<br />

Sleeping<br />

Disorders<br />

Depressive<br />

Tendency<br />

Feeling of<br />

Discomfort<br />

Difficulty in<br />

Concentration<br />

50-220<br />

mV/m<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

250-1290<br />

mV/m<br />

0,0000<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

0,0000<br />

0,0000<br />

50-220<br />

mV/m<br />

n.s.<br />

0,0002<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s. = nicht signifikant bzw. keine Ablehnung der Nullhypothese<br />

sener E-Feldstärke und der Entfernung besteht. So<br />

kann in 10 m Entfernung von der BS der Messwert<br />

unterhalb der Antenne oder außerhalb der Hauptstrahlungsrichtung<br />

geringer sein als in 100 bis 150 m, wo<br />

<strong>die</strong> Keule den Boden erreicht. Eine typische Entfernungsabhängigkeit<br />

der E-Feldstärke am Boden zeigt<br />

<strong>die</strong> Abbildung 1.<br />

Im Ergebnisteil wird eine Vielzahl von allgemeinen<br />

Informationen ver<strong>mit</strong>telt, wie viele Prozent der 94<br />

Personen den Mobilfunkfeldern länger als ein Jahr ausgesetzt<br />

waren, deren zeitlicher Aufenthalt in den Häusern<br />

mehr als 8 Stunden war, <strong>die</strong> Wohnungen bewohnten<br />

<strong>mit</strong> < 10 m von Transformator-Stationen, <strong>die</strong> innerhalb<br />

von 100 m zu Hochspannungsleitungen lebten,<br />

dem Mobiltelefongebrauch, Arbeitszeiten am PC und<br />

<strong>die</strong> Nähe zu Rundfunk und Fernsehsendern. Für den<br />

einen oder anderen Einflussfaktor wurden auch <strong>die</strong> logistischen<br />

Regressionsmodelle berechnet. Als Ergebnisse<br />

wurde nur <strong>mit</strong>geteilt, dass für einige der oben<br />

genannten Variablen ein signifikanter Beitrag für <strong>die</strong><br />

Erklärung des Modells gefunden wurde, <strong>die</strong>s jedoch nur<br />

für einige Symptomen-Parameter. Der Gesamtzusammenhang<br />

des Modells muss deshalb jedoch nicht in<br />

Frage gestellt werden. Mehr Daten dazu wurden nicht<br />

geboten.<br />

Als Hauptergebnis <strong>die</strong>ser Stu<strong>die</strong> wurde hervorgeho-<br />

250-1290<br />

mV/m<br />

0,0001<br />

0,0001<br />

0,0002<br />

0,0001<br />

0,0000<br />

Age, Sex and Distance<br />

(adj. Model)<br />

50-220<br />

mV/m<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

250-1290<br />

mV/m<br />

0,0002<br />

n.s.<br />

n.s.<br />

0,0002<br />

0,0000<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

77


F o r s c h u n g<br />

ben, dass bei 13 der 16 Symptome signifikante und<br />

hochsignifikante OR für <strong>die</strong> beiden E-Feldbereiche,<br />

verglichen <strong>mit</strong> dem Bereich der niedrigsten E-Feldexposition,<br />

bestimmt wurden. Dies kann jedoch anhand<br />

der präsentierten Ergebnisse nicht nachvollzogen<br />

werden, weil augenscheinlich keine Korrektur des<br />

Fehlers ( vorgenommen wurde. Dies ist bei „Multiple<br />

Testing“ zwingend erforderlich und kontrolliert zufallsbedingte<br />

Signifikanzen. In den Tabellen 3, 4 und 5<br />

sind <strong>die</strong> Ergebnisse von insgesamt 144 Tests angegeben.<br />

Von den er<strong>mit</strong>telten p-Werten erweisen sich<br />

107 als < 0,05. Nach Anwendung der Bonferroni-<br />

Prozedur4 zur Adjustierung des Fehlers α sollte jedoch<br />

jeder Test <strong>auf</strong> Signifikanz zum Niveau α/n erfolgen,<br />

oder noch konsequenter nach der sequentiellen<br />

Bonferroni-Holm-Prozedur5 . Darin sind <strong>die</strong> p-Werte nach<br />

Größe entsprechend p


Roland Glaser<br />

Neues aus der<br />

Wissenschaft<br />

Die folgenden Beiträge beziehen sich <strong>auf</strong> neuere wissenschaftliche<br />

Originalarbeiten zur Wirkung hochfrequenter Felder des Mobilfunks.<br />

Die Auswahl der <strong>Publikation</strong>en ist <strong>vom</strong> Autor Prof. Roland Glaser selbst<br />

getroffen und durch sein subjektives Urteil der Relevanz bestimmt.<br />

Gefährdet das Mobiltelefonieren das Auge? Zweifellos<br />

kann eine nachhaltige Erwärmung des Auges zu<br />

einem Katarakt, einer Trübung führen, <strong>die</strong> auch als<br />

grauer Star bekannt ist. Welche Intensität von Hochfrequenzfeldern<br />

ist dafür erforderlich? Gibt es bereits<br />

eine Gefährdung durch <strong>die</strong> Nutzung eines Handys?<br />

Mit Sicherheit liegen <strong>die</strong>se Schwellenwerte weit oberhalb<br />

der gesetzlichen Grenzwerte, doch ist nicht klar,<br />

ob sie tatsächlich bei 138 W/kg, wie Guy et al. im<br />

Jahre 1975 feststellte (IEEE Trans. Microw. Theory,<br />

23, 492, 1975), oder darunter liegen. Verschiedene<br />

Widersprüche scheinen sich durch Unterschiede zu<br />

ergeben, <strong>die</strong> <strong>auf</strong>treten, je nachdem, ob man <strong>die</strong> Versuchskaninchen<br />

bei der Bestrahlung narkotisierte<br />

oder nicht. Dieser Frage geht eine japanische Arbeitsgruppe<br />

nach, <strong>die</strong> <strong>mit</strong> sorgfältiger Dosimetrie und Thermometrie<br />

<strong>die</strong> Augen von Kaninchen 60-120 Minuten<br />

<strong>mit</strong> 2,45 GHz bestrahlt (300 mW/cm2 ). Dabei wurde<br />

nicht nur <strong>die</strong> Rektal-Temperatur der Tiere gemessen,<br />

sondern darüber hinaus auch <strong>die</strong> Augentemperatur<br />

an verschiedenen Stellen (inklusive eines kleinen Thermistors<br />

direkt im Inneren des Augapfels). Trübungen<br />

konnten ab einem lokalen SAR-Wert von 108 W/kg<br />

beobachtet werden, zum Teil allerdings solche, <strong>die</strong><br />

sich nach Tagen wieder zurückbildeten. Interessant<br />

ist jedoch, dass, sowohl was <strong>die</strong> Temperaturerhöhung<br />

betraf als auch den offensichtlich thermischen<br />

Effekt, <strong>die</strong> narkotisierten Tiere wesentlich empfindlicher<br />

reagierten als <strong>die</strong> unbetäubten. Es wird diskutiert,<br />

ob <strong>die</strong>s als direkter Einfluss des Narkotikums<br />

zu betrachten ist oder <strong>auf</strong> eine durch <strong>die</strong> Narkose<br />

bedingte Kreisl<strong>auf</strong>regulation zurückgeführt werden<br />

muss. Auf alle Fälle, so zeigte sich wieder, ist <strong>mit</strong><br />

einer Augenschädigung erst dann zu rechnen, wenn<br />

<strong>die</strong> lokale Temperatur den Wert von 41° C überschreitet.<br />

(Kojima, M.; Hata, I.; Wake, K.; Watanabe, S;<br />

Yamanaka, Y.; Kamimura, Y.; Taki, M.; Sasaki, K.:<br />

Influence of anesthesia on ocular effects and temperature<br />

in rabbit eyes exposed to microwaves. Bioelectromagnetics<br />

25, 228-233.2004).<br />

GSM-Signale können in gen-defizienten Embryonalzellen<br />

<strong>die</strong> Expression von Hitzeschockproteinen auslösen.<br />

Zu <strong>die</strong>sem Schluss kam eine Untersuchung<br />

aus dem Institut für Pflanzengenetik Gatersleben in<br />

Kooperation <strong>mit</strong> den Hochfrequenztechnikern der ETH<br />

Zürich. Durch <strong>die</strong>se Kooperation war eine sorgfältige<br />

HF-technische Vorarbeit gewährleistet, deren Resultate<br />

bereits zuvor publiziert wurden (Schönborn et<br />

al., Bioelectromagnetics 21, 372, 2000). Die Untersuchungen<br />

erfolgten an embryonalen Stammzellen<br />

<strong>vom</strong> Wildtyp und solchen, denen gentechnisch das<br />

Tumorsupressor-Gen p53 entfernt wurde. Die Zellen<br />

wurden 6 bis 48 Stunden GSM-Signalen ausgesetzt,<br />

<strong>die</strong> im Grundsignal im zeitlichen Mittel 1,5 bzw. 2 W/<br />

kg, im Falle des GSM-Talk-Signals (Wechsel von Sende<br />

und Empfangs-Schaltung) <strong>mit</strong> 0,4 W/kg angegeben<br />

werden. Dabei befanden sich <strong>die</strong> Zellen in kleinen<br />

(20 Mikroliter) hängenden Tröpfchen an dem Deckel<br />

von Petrischalen, deren Boden zum Erhalt der<br />

Feuchtigkeit <strong>mit</strong> Nährlösung bedeckt war. Ausschließ-<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

79


F o r s c h u n g<br />

lich in den p53-Mangel-Zellen, und nur bei der Befeldung<br />

<strong>mit</strong> dem GSM-Grund-Signal konnte eine signifikante<br />

Erhöhung des mRNA-Gehaltes nachgewiesen<br />

werden, welcher für <strong>die</strong> Expression des Hitzeschock-<br />

Proteins hsp-70 verantwortlich ist. Dabei zeigten <strong>die</strong>se<br />

Zellen auch einen geringen und reversiblen Anstieg<br />

der Expression dreier anderer Proteine (c-jun, cmyc,<br />

p21). Die Autoren schließen thermische Effekte<br />

aus, läge <strong>die</strong> verwendete Intensität der Befeldung<br />

doch unterhalb des ICNIRP Grenzwertes, und würden<br />

<strong>die</strong> Versuchsbedingungen doch eine präzise Temperatur-Kontrolle<br />

garantieren. Hier erlaubt sich der Referent<br />

jedoch Zweifel: Die tatsächliche Temperatur in<br />

den Tröpfchen ist nicht messbar, noch weniger <strong>die</strong><br />

darin eventuell zeitlich und örtlich <strong>auf</strong>tretenden Gra<strong>die</strong>nten.<br />

Dies geben <strong>die</strong> Autoren in der oben zitierten<br />

vorausgegangenen technischen <strong>Publikation</strong> auch zu (S.<br />

383). Offenbar sind <strong>die</strong> p53-defizienten Zellen temperaturempfindlicher<br />

als <strong>die</strong> Zellen des Wildtyps. Auffallend<br />

ist, dass sie eben auch nur bei den stärkeren GSM-<br />

Basis Signalen reagieren und nicht bei dem schwächeren<br />

GSM-Talk-Signal. Auch bei den in <strong>die</strong>ser Publikaton<br />

zitierten Resultaten von de Pomerai et al. (Nature, 405,<br />

417, 2000) erwies sich inzwischen, dass der Effekt<br />

trotz größter Sorgfalt der Autoren ein thermischer Artefakt<br />

war. Die <strong>Publikation</strong> von Utteridge et al. (Radiation<br />

Res. 185, 2002), welche <strong>die</strong> Repacholi-Versuche (Radiation<br />

Res. 147, 631, 1998) nach Verbesserung der<br />

Applikationseinrichtung nicht reproduzieren konnte, sind<br />

leider nicht zitiert (Czyz, J.; Guan, K.; Zeng, Q.; Nikolova,<br />

T.; Meister, A.; Schönborn, F.; Schuderer, J.; Kuster,<br />

N.; Wobus, A.M.: High frequency electromagnetic fields<br />

(GSM signals) affect gene expression levels in tumor<br />

suppressor p53-deficient embryonic stem cells. Bioelectromagnetics<br />

25, 296-307.2004).<br />

Geographische Epidemiologie – Probleme und Perspektiven<br />

<strong>die</strong>ser Disziplin werden in einer Übersicht<br />

von kompetenter Seite dargestellt. Immer häufiger<br />

fühlen sich <strong>die</strong> Behörden veranlasst Vermutungen der<br />

Bürger nachzugehen, wonach eine Industrieanlage,<br />

eine Autostraße, eine Hochspannungsleitung oder<br />

eben auch ein Sendemast Ursache für ein gehäuftes<br />

Auftreten bestimmter Erkrankungen und Beschwerden<br />

ist. Dann werden <strong>die</strong> Epidemiologen gerufen, um<br />

<strong>die</strong>sen Befürchtungen zu überprüfen. Welche Voraussetzungen<br />

müssen aber eigentlich erfüllt sein, um<br />

letztlich zu einer aussagekräftigen Entscheidung zu<br />

80 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

F o r s c h u n g<br />

kommen? In <strong>die</strong>ser Übersicht werden <strong>die</strong>se Erfordernisse<br />

<strong>auf</strong>gelistet, und den zumeist begrenzten Möglichkeiten<br />

gegenübergestellt, welche <strong>die</strong>se Situationen<br />

letztlich bieten. Besonders bei Entscheidungen<br />

über Besorgnisse kleiner Gemeinden ist <strong>die</strong> Fall-Zahl<br />

zumeist für eine aussagekräftige Statistik zu klein.<br />

Da hilft das Hinzuziehen von möglichst vielen vergleichbaren<br />

Situationen. Doch welche Regionen sind<br />

<strong>mit</strong>einander vergleichbar, bedenkt man <strong>die</strong> Variation<br />

anderer Faktoren? Es wird auch <strong>die</strong> Frage gestellt:<br />

wie kann eine epidemiologische Untersuchung möglichst<br />

schnell und preiswert durchgeführt werden? Wie<br />

aussagekräftig sind Einwohnerverzeichnisse oder<br />

Wahllisten? Kann man <strong>auf</strong> solche Daten zurückgreifen?<br />

Die in vielen Ländern geplante Datenerfassung<br />

von individuellen Erkrankungen und Gesundheitsparametern<br />

könnte epidemiologische Erhebungen zwar<br />

sehr fördern, doch verbieten <strong>die</strong> Datenschutzgesetze<br />

weitgehend <strong>die</strong> Nutzung <strong>die</strong>ser Werte. Entscheidend<br />

für eine sinnvolle epidemiologische Stu<strong>die</strong> ist immer<br />

eine möglichst konkrete Formulierung der eigentlichen<br />

Fragestellung. Dazu gehört auch eine Definition des<br />

Parameters, welcher der Inzidenz einer Krankheit gegenübergestellt<br />

werden soll; also letztlich: was ist<br />

eigentlich der entscheidende Dosis-Parameter? Dies<br />

ist zumeist unklar, ebenso wie <strong>die</strong> Inkubationszeit<br />

der Krankheit. Letzteres erfordert auch eine zurückgreifende<br />

Erfassung der Lebensdaten der Personen,<br />

ein zumeist nicht berücksichtiger Faktor. – Die Lektüre<br />

<strong>die</strong>ser Arbeit ist jedem zu empfehlen, der in <strong>die</strong><br />

Lage versetzt wird, <strong>auf</strong> epidemiologische Befunde zu<br />

reagieren (Elliott, P. and Wartenberg, D.: Spatial epidemiology:<br />

Current approaches and future challenges.<br />

Environmental Health Perspectives 112, 998-<br />

1006. 2004).<br />

Können Felder des Mobilfunks zu DNA-Strangbrüchen<br />

führen? Immer wieder werden <strong>die</strong> <strong>Publikation</strong>en von<br />

Lai und Singh (LuS) zitiert, <strong>die</strong> von DNA-Veränderungen<br />

in Hirnzellen von Ratten berichten, welche zwei<br />

Stunden dem Einfluss von 2,45 GHz-ausgesetzt waren<br />

(1-2 W/kg), wobei aus völlig unverständlichen<br />

Gründen <strong>die</strong> Effekte erst 4 Stunden nach der Befeldung<br />

<strong>auf</strong>traten (Bioelectromagnetics 16, 207, 1995;<br />

Int. J. Radiat. Biol. 69, 513,1996). Natürlich wurde<br />

damals sofort versucht, <strong>die</strong>se Befunde zu reproduzieren.<br />

Dies ist jedoch bisher niemandem gelungen. Liegt<br />

das an Unterschieden der verwendeten Methoden?


Dieser Frage gehen neuerdings drei Untersuchungen<br />

der Arbeitsgruppe um Roti Roti von der Washington<br />

University nach. Liegt es vielleicht daran, dass im<br />

Gegensatz zu LuS in den folgenden Reproduktionsversuchen<br />

von Malyapa et al. (Radiat. Res. 149, 637,<br />

1998) mögliche Defekte von solchen DNA-Molekülen<br />

nicht erfasst wurden, <strong>die</strong> an Proteine gebunden waren?<br />

Hat man sich an <strong>die</strong> Orginal-Vorschrift von Olive<br />

gehalten und im Gegensatz zu LuS <strong>die</strong> alkalische<br />

Präparation der Zellen für den Komet-Assay bei pH<br />

12,5 statt bei pH 13,0 durchgeführt? Zunächst verwendeten<br />

Lagroye et al. im Tierexperiment gleicher<br />

Art wie LuS beide methodischen Varianten. Als Positivkontrolle<br />

befeldeten sie <strong>die</strong> Tiere zusätzlich noch<br />

<strong>mit</strong> 1Gy-Gamma-Strahlen. Die Unterschiede im Komet-Assay<br />

durch Präparation der Hirnzellen bei den<br />

verschiedenen pH-Werten erwiesen sich als gering.<br />

Auch eine Maskierung des Effekts durch gebundene<br />

DNA ist offenbar nicht geeignet, <strong>die</strong> Befunde von LuS<br />

zu erklären. Wenn man <strong>die</strong> Proben zuvor <strong>mit</strong> Proteinkinase<br />

behandelt um einige DNA-Moleküle aus der<br />

Protein-Bindung zu befreien, tritt zwar eine Erhöhung<br />

der Menge von DNA-Spaltprodukten <strong>auf</strong>, doch ist <strong>die</strong>ser<br />

Effekt gering und bei den Kontrollen wie bei den<br />

befeldeten Proben gleichermaßen nachweisbar. In jedem<br />

Fall konnten deutliche DNA-Läsionen in den Hirnzellen<br />

der Versuchstiere durch den Einfluss der Gamma-Strahlung<br />

nachgewiesen werden, in keinem Fall<br />

jedoch durch Hochfrequenzfelder. In einer weiteren<br />

Arbeit versuchten Lagroye et al. eine Reproduktion<br />

der LuS-Experimente durch Untersuchungen an Kulturen<br />

von Fibroblasten (C3H 10T1/2). Auch hier wurde<br />

Proteinase K eingesetzt um auch eventuell gebundene<br />

DNA zu erfassen. Zusätzlich zu den Positiv-Kontrollen<br />

<strong>mit</strong> Gamma-Strahlen (Dosis-Effekt-Kurve von<br />

25 cGy bis 4 Gy) verwendete man hier noch <strong>die</strong> künstliche<br />

DNA-DNA und DNA-Protein-Verknüpfung durch cis-<br />

Platin (CDDP). Man fand zwar eine gute Übereinstimmung<br />

<strong>mit</strong> der in der Literatur mehrfach gemessenen<br />

Dosis-Effekt-Kurve für Gamma-Strahlung, konnte jedoch<br />

den von LuS gefundenen Einfluss der HF-Felder<br />

nicht bestätigen. Auch wurde kein additiver Effekt<br />

von Gamma- und Hochfrequenz-Strahlung gefunden.<br />

Schließlich ging <strong>die</strong> Gruppe in einer Arbeit von Hook<br />

et al. auch noch <strong>auf</strong> recht unsichere Befunde von<br />

Phillips et al. ein, <strong>die</strong> von einer extrem hohe Empfindlichkeit<br />

einer Molt-4-Zell-Linie berichtet hatten (Bioelectrochem.<br />

Bioenerg. 45, 103, 1998). Sollte es, wie<br />

<strong>mit</strong>unter behauptet, Wirkungen nur in Bereichen ge-<br />

ringster Intensitäten geben? Es wurden entsprechend<br />

<strong>die</strong>sen Experimenten SAR-Werte von 2,4 bzw. 24 mW/<br />

kg getestet (847,74 MHz, sowie CDMA, FDMA, TDMA-<br />

Codes) und <strong>die</strong> gleiche Art von Zellen bestrahlt, <strong>die</strong><br />

Phillips verwendete. Die Ergebnisse waren ebenfalls<br />

negativ. Was könnten <strong>die</strong> Gründe der doch offenbar<br />

fehlerhaften Ergebnisse von LuS sein? Neben der<br />

methodischen Kritik, <strong>die</strong> G. M. Williams bereits nach<br />

Erscheinen der ersten Arbeit von LuS publizierte (Bioelectromagnetics<br />

17, 165, 1996), werden jetzt zwei<br />

weitere Möglichkeiten genannt, <strong>die</strong> zu der Fehleinschätzung<br />

haben führen können: <strong>die</strong> Spuren des Komet-Assay<br />

müssen voll-automatisch ausgewertet werden<br />

und nicht, wie bei LuS geschehen, manuell und<br />

da<strong>mit</strong> subjektiv. Außerdem ist nicht <strong>die</strong> absolute Länge<br />

der Spuren als sicheres Maß anzusehen, sondern<br />

das Komet-Moment, eine Messgröße, welche <strong>die</strong> Länge<br />

der Spur <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gesamtmenge der bewegten DNA<br />

bezieht. Unnötig zu betonen, dass natürlich Positiv-<br />

Kontrollen und Objektivität durch Doppel-Blind-Auswertung<br />

zu fordern ist. Sollte man nicht nach <strong>die</strong>sen<br />

und den anderen negativ ausgefallenen Versuchen<br />

einer Reproduktion <strong>die</strong> Experimente von Lai und Singh<br />

ad acta legen?<br />

(Lagroye, I.; Anane, R.; Wettring, B. A.; Moros, E. G.;<br />

Straube, W. L.; Laregina, M.; Niehoff, M.; Pickard, W.<br />

F.; Baty, J., and Roti, J. L. R.: Measurement of DNA<br />

damage after acute exposure to pulsed-wave 2450<br />

MHz microwaves in rat brain cells by two alkaline<br />

comet assay methods. Intern. J. Radiat. Biol. 80, 11-<br />

20. 2004<br />

Lagroye, I.; Hook, G. J.; Wettring, B. A.; Baty, J. D.;<br />

Moros, E. G.; Straube, W. L., and Roti, J. L. R.: Measurements<br />

of alkali-labile DNA damage and protein-DNA<br />

crosslinks after 2450 MHz microwave and low-dose<br />

gamma irradiation in vitro. Radiation Research.161,<br />

201-214. 2004.<br />

Hook, G. J.; Zhang, P.; Lagroye, I.; Li, L.; Higashikubo,<br />

R.; Moros, E. G.; Straube, W. L.; Pickard, W. F.;<br />

Baty, J. D., and Roti, J. L. R.: Measurement of DNA<br />

damage and apoptosis in Molt-4 cells after in vitro<br />

exposure to radiofrequency radiation. Radiation Research.<br />

161,193-200. 2004.).<br />

Führt eine chronische Exposition <strong>mit</strong> Feldern des<br />

Mobilfunks zu Gesundheitsschäden? Dieser mehrfach<br />

gestellten Frage wurde in einer umfangreichen<br />

Langzeitstu<strong>die</strong> an Ratten nachgegangen. Speziell un-<br />

F o r s c h u n g 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

81


F o r s c h u n g<br />

tersuchte man den Einfluss des Iridium-Signals eines<br />

Satelliten-Telefons, welches bei 1,6 GHz liegt und<br />

so<strong>mit</strong> in der Mitte zwischen den beiden Frequenzbereichen<br />

des Mobilfunks. Zunächst wurden 36 zeitgleich<br />

trächtige Ratten in den vier letzten Tagen der<br />

Trächtigkeit einem Fernfeld derart ausgesetzt, dass<br />

der SAR-Wert im Gehirn der Föten bei 0,16 W/kg lag.<br />

Vergleichsgruppen wurden Schein-befeldet bzw. als<br />

Käfig-Kontrollen untersucht. Nach Vermessung und<br />

Erfassung verschiedener physiologischer Parameter<br />

der insgesamt 700 Neugeborenen wurden <strong>die</strong>se in<br />

entsprechende Gruppen unterteilt und, abgesehen von<br />

den Gruppen der Schein-befeldeten Tiere und der Käfig-Kontrollen,<br />

2 Stunden pro Tag, 5 Tage pro Woche<br />

einem Nahfeld von 0,16 bzw. 1,6 W/kg ausgesetzt.<br />

Man verwendete in <strong>die</strong>sem Fall ein Nahfeld um eine<br />

Situation nachzustellen, <strong>die</strong> derjenigen des Telefonierens<br />

ähnelt. Während und nach dem zwei Jahre<br />

andauernden Experiment wurden <strong>die</strong> Tiere vermessen<br />

und <strong>auf</strong> Erkrankungen oder Fehlentwicklungen<br />

verschiedenster Art hin untersucht. Die Haltungsbedingungen<br />

während <strong>die</strong>ser Zeit erfolgten unter strengsten<br />

hygienischen Vorschriften. Obgleich man verschiedene<br />

Unterschiede zwischen den Käfig-Kontrollen und<br />

denjenigen Tieren finden konnte, <strong>die</strong> täglich in <strong>die</strong><br />

Befeldungs-Apparatur eingebracht wurden, gleichgültig<br />

ob befeldet oder schein-befeldet, so waren doch<br />

weder im Wachstumsprozess noch im Auftreten von<br />

Krebs oder anderen Erkrankungen signifikante Unterschiede<br />

nachweisbar, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> einem Feldeffekt beruhen<br />

könnten, weder bei Ganzkörper-SAR-Werten von<br />

0,16, noch bei der Exposition <strong>mit</strong> 1,6 W/kg (Anderson,<br />

L. E.; Sheen, D. M. ; Wilson, B. W.; Grumbein, S.<br />

L.; Creim, J. A.; Sasser, L. B.: Two-year chronic bioassay<br />

study of rats exposed to a 1.6 GHz radiofrequency<br />

signal. Radiation Research 162, 201-210. 2004).<br />

Wo könnte der Angriffspunkt hochfrequenter Felder<br />

im biologischen System liegen? Dieser Frage geht<br />

eine italienische Arbeitsgruppe nach, <strong>die</strong> bereits vor<br />

einiger Zeit das Enzym Ascorbat Oxidase eingebaut in<br />

künstliche Lipid-Vesikel untersucht hatte (Ramundo-<br />

Orlando et al.: J.. Liposome Res. 3,717, 1993). Die<br />

Ascorbat Oxidase ist ein so genanntes Glyko-Enzym,<br />

d. h. ein Protein, welches eine Zuckerkette enthält.<br />

Es lässt sich gut in <strong>die</strong> Membran künstlicher Lipid-<br />

Vesikel einbauen. Die Membran <strong>die</strong>ser so genannten<br />

Liposomen besteht aus einer einfachen Doppelschicht<br />

82 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

F o r s c h u n g<br />

von Lipidmolekülen, in <strong>die</strong>sem Falle Dipal<strong>mit</strong>yl-Phosphatidyl-Cholin<br />

(DPPC). Ein Teil der Enzym-Moleküle<br />

befindet sich auch im Inneren <strong>die</strong>ser Bläschen, doch<br />

<strong>die</strong>se haben keinen Zugang zu dem in der Außenlösung<br />

befindlichen Substrat, werden also in den Untersuchungen<br />

nicht erfasst. Gemessen wird photometrisch<br />

<strong>die</strong> Kinetik des Abbaus von Natrium-Ascorbat,<br />

also Vitamin-C in der Lösung, als Indikator für <strong>die</strong><br />

Funktionstüchtigkeit des Enzyms. Man stellte fest,<br />

dass ein SAR-Wert von 5,6 W/kg erforderlich ist, um<br />

signifikante Einflüsse des hochfrequenten Feldes (2,45<br />

GHz, ungepulst) <strong>auf</strong> das System zu finden. Geringere<br />

Intensitäten (1,4; 2,8; 4,2 W/kg) zeigten keinen Effekt.<br />

Wird vor dem Experiment <strong>die</strong> Zuckerkette von<br />

dem Protein-Molekül abgespalten (deglykosiliertes<br />

Enzym), so ist <strong>die</strong> Enzymkinetik generell langsamer<br />

und selbst durch maximale Befeldung nicht weiter zu<br />

reduzieren. Die Autoren glauben in den Resultaten<br />

einen direkten Einfluss des Feldes <strong>auf</strong> <strong>die</strong> Konformation<br />

der Lipid-Phase der Vesikel-Membran zu sehen, in<br />

denen <strong>die</strong> Enzyme eingebettet sind. Man sollte <strong>die</strong><br />

Experimente einmal <strong>mit</strong> Vesikeln aus Lipiden anderer<br />

Phasenübergangs-Temperaturen wiederholen! (RamundoOrlando,<br />

A.; Liberti, M.; Mossa, G., and dInzo,<br />

G.: Effects of 2.45 GHz microwave fields on liposomes<br />

entrapping glycoenzyme ascorbate oxidase. Evidence<br />

for oligosaccharide side chain involvement. Bioelectromagnetics<br />

25, 338-345. 2004).<br />

Wirken hochfrequente Felder über Sauerstoff-Radikale<br />

(„reactive oxygen species“ = ROS) <strong>auf</strong> zelluläre<br />

Funktionen? Dieser vielfach geäußerten Hypothese<br />

geht eine polnische Arbeitsgruppe an Hand von Experimenten<br />

<strong>mit</strong> Ratten-Lymphozyten nach. Unter der Bezeichnung<br />

ROS werden Radikale unterschiedlicher Zusammensetzung,<br />

inklusive stickstoffhaltige Verbindungen<br />

zusammengefasst. Sie treten im Prozess der Zellatmung<br />

<strong>auf</strong> und werden durch verschiedene Enzyme<br />

unschädlich gemacht. Eine Verschiebung des Fließgleichgewichtes<br />

ihrer Konzentration durch Hemmung<br />

des Abbau-Prozesses oder durch eine verstärkte Produktion<br />

könnte negative Folgen haben. Fluoreszenzphotometrisch<br />

lässt sich <strong>die</strong> Konzentration der ROS in<br />

der Zelle nachweisen. Die Autoren fanden einen Anstieg<br />

der Fluoreszenz bei exponierten Lymphozyten<br />

(930 MHz, 5 W/m2 , theoretisch errechnet: 1,5 W/kg)<br />

nach 15 Minuten Exposition im Vergleich zu den 5<br />

Minuten exponierten Proben – allerdings ohne Unter-


schied zwischen tatsächlicher und Schein-Exposition.<br />

Ein Zusatz von Eisen-2-chlorid (10µg/ml) erhöhte den<br />

Wert deutlich. In <strong>die</strong>sen Fällen konnte eine geringe,<br />

<strong>mit</strong> p


er Thermostatierung geben <strong>die</strong> Autoren an, dass zwischen<br />

den befeldeten und den Schein-befeldeten Proben<br />

eine Temperaturdifferenz in der Größenordnung<br />

von 0,3° C <strong>auf</strong>getreten sein könnte. Während keine<br />

Unterschiede bei der Befeldung <strong>mit</strong> ungepulsten Feldern<br />

nachweisbar waren, traten bei GSM-befeldeten<br />

Zellen bei manchen Messparametern gering signifikante<br />

Änderungen <strong>auf</strong>. So zeigte sich eine um 8,5 %<br />

verminderte Zellteilung gegenüber den Kontrollen<br />

(23700 ± 2600 gegenüber 21700 ± 2300 3H-Pulse des Thymidin-Einbaues, p=0,04), <strong>die</strong> allerdings nur<br />

nach Stimulation <strong>mit</strong> der niedrigsten Dosis des Teilungs-Stimulans<br />

PHA (Phytohemaglutenin 0,1µg/ml)<br />

<strong>auf</strong>trat. Bei erhöhter PHA-Konzentration konnte <strong>die</strong>se<br />

Differenz nicht gefunden werden. Die Autoren halten<br />

es für möglich, dass <strong>die</strong> Bindung des PHA an <strong>die</strong><br />

Membran durch das Feld beeinflusst sein könnte.<br />

Ebenfalls trat in einem Falle nach der GSM-Befeldung<br />

ein signifikanter Unterschied in einem Parameter <strong>auf</strong>,<br />

der den Beginn der Apoptose signalisiert (24,3 ± 3,4<br />

gegenüber 26,9 ± 3,4 % Annexin-Bindung, p=0,0172).<br />

Allerdings auch hier nur nach Behandlung <strong>mit</strong> 10 mM<br />

des Apoptose-Stimulators dRib, nicht in den Versuchen<br />

<strong>mit</strong> 1 und 5 mM <strong>die</strong>ser Substanz. Auffällig ist,<br />

dass in keinem Fall feldinduzierte Veränderungen späterer<br />

Apoptose-Merkmale gefunden werden konnten,<br />

d.h. Veränderungen der Membranpotentiale der Mitochondrien.<br />

Die Autoren glauben, dass ihre Resultate<br />

<strong>die</strong> Hypothese zu stützen scheinen, wonach GSMmodulierte<br />

Felder effektiver sind als unmodulierte,<br />

halten jedoch eine Verifikation ihrer Befunde durch<br />

weitere Untersuchungen für erforderlich (Capri, M.,<br />

Scarcella, E., Fumelli, C., Bianchi, E., Salvioli, S.,<br />

Mesirca, P., Agostini, C., Antolini, A., Schiavoni, A.,<br />

Castellani, G., Bersani, F., and Franceschi, C.: In vitro<br />

exposure of human lymphocytes to 900 MHz cw<br />

and GSM modulated radiofrequency. Stu<strong>die</strong>s of proliferation,<br />

apoptosis and <strong>mit</strong>ochondrial membrane potential.<br />

Radiat. Res. 162, 211-218. 2004)<br />

Sind Millimeter-Wellen genotoxisch? Dieses Problem<br />

interessiert nicht nur aus Gründen zunehmender technischer<br />

Anwendungen <strong>die</strong>ses Frequenzbereiches, sondern<br />

auch im Zusammenhang <strong>mit</strong> mehrfach empfohlenen<br />

medizinischen Anwendung <strong>die</strong>ser Strahlung zur<br />

Therapie verschiedenster Erkrankungen. Bisher liegen<br />

dazu kontroverse Daten vor, <strong>die</strong> allerdings vorwiegend<br />

aus Versuchen an Mikroorganismen (Hefen,<br />

84 NEWS<br />

letter 4/2004<br />

F o r s c h u n g<br />

Bakterien) und Insekten (Mücken) stammen. In der<br />

vorliegenden <strong>Publikation</strong> wird untersucht, ob eine<br />

Bestrahlung der Nase von Mäusen <strong>mit</strong> 42 GHz (31,5<br />

mW/cm2 , 622 W/kg, 30 min/Tag, 3 Tage) zu genetischen<br />

Veränderungen im Blut der Tiere führt. Die Nase<br />

als Ort der Befeldung wurde verwendet, da <strong>die</strong>se Strahlung<br />

innerhalb des ersten Millimeters in der Haut<br />

absorbiert wird und nur an <strong>die</strong>ser Stelle der behaarten<br />

Maus oberflächliche Blutkapillaren, aber auch<br />

Nervenendigungen und Sinneszellen erreichbar sind.<br />

Getestet wurden Zellen des Blutes und des Knochenmarks<br />

hinsichtlich des Auftretens von Mikrokernen,<br />

<strong>die</strong> sich infolge von Chromosomen-Anomalien bei der<br />

Zellteilung bilden. Als Positiv-Kontrolle <strong>die</strong>nten Tiere,<br />

<strong>die</strong> <strong>mit</strong> Cyclophosphamid behandelt wurden, einem<br />

Präparat, das in der Krebstherapie verwendet wird<br />

und dessen mutagene Wirkung bekannt ist. Die Auswertung<br />

erfolgte blind und nach Methoden, <strong>die</strong> als<br />

Routinetest zum Nachweis pharmakologisch bedingter<br />

Mutationen gebräuchlich sind. Im Gegensatz zu<br />

den <strong>mit</strong> Cyclophosphamid behandelten Mäusen konnten<br />

jedoch keine Veränderungen an den bestrahlten<br />

Mäusen im Vergleich zu den Kontrollen nachgewiesen<br />

werden. Auch ließ sich keine Beeinflussung des<br />

Cyclophosphamid-Effektes durch zusätzliche Befeldung<br />

erkennen (Vijayalaxmi; Logani, M. K.; Bhanushali,<br />

A.; Ziskin, M. C.; Prihoda, T. J.: Micronuclei in<br />

peripheral blood and bone marrow cells of mice exposed<br />

to 42 GHz electromagnetic millimeter waves.<br />

Radiation Research 161, 341-345. 2004).<br />

Schützt Melatonin vor Brustkrebs? Dem oftmals behaupteten<br />

Zusammenhang zwischen der Melatonin-Produktion<br />

im Körper und Krebsentstehung gingen Epidemiologen<br />

in einer Fall-Kontroll-Stu<strong>die</strong> an 127 Frauen <strong>mit</strong><br />

positiver Diagnose <strong>auf</strong> Brustkrebs im Vergleich zu 353<br />

Kontroll Personen in Großbritannien nach. Diese Untersuchung<br />

hat keine Beziehung zum Problemkreis elektromagnetischer<br />

Felder. Es wurde lediglich nach einer<br />

möglichen Korrelation zwischen dem Gehalt an 6-Sulfatoxymelatonin<br />

im Urin der Frauen zu bestimmten Zeitpunkten<br />

des Menstruationszyklus und dem Auftreten<br />

von Brustkrebs gefragt. Die Schlussfolgerung: „Wir fanden<br />

keinen Beleg dafür, dass der Melatonin-Pegel streng<br />

<strong>mit</strong> dem Risiko für Brustkrebs verbunden ist“. (Travis,<br />

R. C.; Allen, D. S.; Fentiman, I. S.; Key, T. J.: Melatonin<br />

and breast cancer A prospective study. J. National Cancer<br />

Inst. 96, 475-482. 2004).


N a c h r i c h t e n<br />

Kleine Anfrage zum Mobilfunk<br />

Auf <strong>die</strong> Kleine Anfrage der CDU-/CSU-Fraktion zu den<br />

Auswirkungen von Mobilfunkstrahlen erklärte <strong>die</strong> Bundesregierung<br />

in ihrer Antwort, dass Mobilfunkwellen<br />

nach den derzeitigen international anerkannten wissenschaftlichen<br />

Erkenntnissen keine negativen Auswirkungen<br />

<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Gesundheit haben. Grundlage für<br />

<strong>die</strong>se Bewertung seien <strong>die</strong> Empfehlungen anerkannter<br />

unabhängiger internationaler Fachgremien, wie<br />

z. B. der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der Internationalen<br />

Kommission zum Schutz vor nichtionisierenden<br />

Strahlen (ICNIRP) sowie der deutschen<br />

Strahlenschutzkommission. Die Bundesregierung<br />

weist dar<strong>auf</strong> hin, dass <strong>die</strong>se Institutionen den aktuellen<br />

Kenntnisstand über <strong>die</strong> Wirkungen elektromagnetischer<br />

Felder gemeinsam <strong>mit</strong> dem Bundesamt für<br />

Strahlenschutz regelmäßig bewerten, da <strong>die</strong> Betrachtung<br />

einzelner Forschungsergebnisse kein konsistentes<br />

Bild über <strong>die</strong> gesundheitlichen Wirkungen ergeben.<br />

Einzelne Hinweise <strong>auf</strong> biologische Effekte müssen<br />

daher durch weitere Forschung geklärt werden.<br />

( http://www.bmu.de/files/kleine_anfrage_<br />

15_3744.pdf)<br />

NIRMED: Neues ärztliches Expertenko<strong>mit</strong>ee<br />

für elektromagnetische Felder<br />

Im Non Ionizing Radiation Medical Expert Desk, kurz<br />

NIRMED, haben sich erfahrene ärztliche Praktiker und<br />

Wissenschaftler zusammengeschlossen. Die Aufgaben<br />

reichen von der Sichtung und Überprüfung des<br />

aktuellen Wissensstandes zu nichtionisierender Strahlung<br />

bezüglich möglicher biologischer Relevanz bis<br />

zur Beratung von öffentlichen oder privaten Auftraggebern,<br />

Unternehmen, Umweltverbänden usw.<br />

Eine erste NIRMED-<strong>Publikation</strong> setzt sich <strong>mit</strong> der niederländischen<br />

TNO-Stu<strong>die</strong> kritisch auseinander und<br />

gibt Empfehlungen für eine Replikationsstu<strong>die</strong>. Das<br />

Positionspapier sowie ein Kurzbericht zum WHO-Workshop<br />

„Elektrosensibilität“ finden sich unter www.<br />

nirmed.org.<br />

Bundesministerium für Umwelt legt<br />

Bericht zu „Umweltradioaktivität und<br />

Strahlenbelastung im Jahr 2003“ vor<br />

Gemäß dem Strahlenschutzvorsorgegesetz muss das<br />

Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit<br />

jährlich sowohl dem Deutschen Bundestag<br />

als auch dem Bundesrat <strong>mit</strong> einem Bericht<br />

<strong>die</strong> Entwicklung der Radioaktivität in der Bundesrepublik<br />

darlegen. Darüber hinaus ist auch ein Berichtsteil<br />

zur nichtionisierenden Strahlung enthalten, um<br />

der öffentlichen Diskussion über mögliche gesundheitliche<br />

Risiken elektromagnetischer Felder gerecht<br />

zu werden. Zur Immission von Mobilfunkanlagen wird<br />

festgestellt, dass es keine Grenzwertüberschreitungen<br />

in für <strong>die</strong> Bevölkerung zugänglichen Bereichen<br />

gab. Bezüglich der <strong>Stand</strong>ortauswahl für Mobilfunksendeanlagen<br />

wurde eine erheblich verbesserte Abstimmung<br />

zwischen Betreibern und Kommunen erreicht,<br />

<strong>die</strong> Bundesregierung drängt jedoch weiter <strong>auf</strong><br />

stärkere Information und Einbeziehung der betroffenen<br />

Bevölkerung.<br />

(http://www.bmu.de/files/parlamentsbericht03.pdf)<br />

N a c h r i c h t e n 2/2004 letter<br />

NEWS<br />

N a c h r i c h t e n 4/2004 letter<br />

NEWS<br />

85


N a c h r i c h t e n<br />

MTHR: Weitere Forschung bezüglich<br />

Mobilfunkbasisstationen<br />

Das britische Mobile Telecommunications and Health<br />

Research Programme (MTHR) hat Forschungs<strong>mit</strong>tel<br />

für drei weitere Arbeitsbereiche angekündigt, um folgende<br />

Untersuchungen zu ermöglichen:<br />

Untersuchungen zu Befindlichkeitsstörungen durch<br />

3G-Signale (in Anlehnung an <strong>die</strong> niederländischen<br />

Ergebnisse)<br />

Pilotstu<strong>die</strong> zur Evaluierung eines neuen Expositionsmessgeräts<br />

zur Unterstützung epidemiologischer<br />

Stu<strong>die</strong>n<br />

Untersuchungen zu gepulsten Signalen: können pulsmodulierte<br />

Signale biologische Effekte hervorrufen,<br />

<strong>die</strong> bei analogen Signalen nicht beobachtet werden?<br />

Die Mittel werden sowohl von der Regierung als auch<br />

von der Industrie bereitgestellt.<br />

(http://www.mthr.org.uk/press/p6/p6_2004.htm)<br />

BfS: Abschirmmatten zum Schutz vor<br />

Gesundheitsschäden nicht notwendig<br />

In einer Stellungnahme zur Schutzwirkung von Abschirmmatten<br />

stellt das Bundesamt für Strahlenschutz<br />

fest, dass sich hochfrequente elektromagnetische Felder,<br />

z. B. von Mobilfunksendestationen, nur abschirmen<br />

lassen, wenn sich das schirmende Material zwischen<br />

Feldquelle und der betroffenen Person befindet.<br />

Da <strong>die</strong> Abschirmmatten aber meist als Unterlage<br />

benutzt werden, können sie keine Wirkung zeigen, da<br />

<strong>die</strong> hochfrequenten elektromagnetischen Felder aus<br />

allen Richtungen einwirken. Aus Sicht des BfS ist <strong>die</strong><br />

Verwendung von Abschirmmatten aus Gründen des<br />

Gesundheitsschutzes nicht geeignet und auch als Vorsorgemaßnahme<br />

nicht notwendig.<br />

(http://www.bfs.de/elektro/papiere/Stellungnahme_<br />

Abschirmmatten)<br />

Veranstaltungen<br />

Hinweise <strong>auf</strong> aktuelle Veranstaltungen finden<br />

Sie im Internet unter: http://www.fgf.de/aktuell/<br />

veranst/index.html<br />

86 NEWS 86 letter 2/2004<br />

NEWS<br />

letter 4/2004<br />

N a c h r i c h t e n<br />

Impressum<br />

Newsletter der FGF e.V.<br />

Herausgeber:<br />

Forschungsgemeinschaft Funk e.V.<br />

Rathausgasse 11a<br />

D-53111 Bonn<br />

Telefon: 0228 / 726 22-0<br />

Telefax: 0228 / 726 22 11<br />

E-Mail: info@fgf.de<br />

Internet: http://www.fgf.de<br />

Konzeption und Redaktion:<br />

Gerd Friedrich (verantw.),<br />

Regina Reichardt<br />

Urheberrechte:<br />

Namentlich gekennzeichnete<br />

Beiträge sind urheberrechtlich<br />

geschützt und stellen nicht immer<br />

<strong>die</strong> Meinung der Redaktion dar.<br />

Entwurf:<br />

Kurt Günther, Dortmund<br />

Layout, Grafik:<br />

setz it. Richert GmbH,<br />

Sankt Augustin<br />

Bildnachweis: S. 6, 9, 11<br />

Gollnick, S. 12, 14, 15 Möbius,<br />

S. 18 FGF, S. 28, 29 Kaul,<br />

S. 48-50 Eggert, Goltz, S. 55-66<br />

Bäumer, S. 68-72 Wuschek,<br />

alle anderen: Archiv<br />

Erscheinungsweise:<br />

4 x jährlich<br />

Auflage:<br />

4.500 Exemplare<br />

Nachdruck und Reproduktion<br />

erwünscht<br />

ISSN 0949-8745

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