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Anne und Peter Verbotene Liebe - Inhalt - fleigejo

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A n n e u n d P e te r<br />

Ve rb ote ne Lie b e<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 1 von 24


Evimad<br />

A nne <strong>und</strong> <strong>Peter</strong>,<br />

verbotene <strong>Liebe</strong><br />

Bezaubernde Klänge <strong>und</strong><br />

verzaubernde Frau<br />

Erzählung<br />

Les chefs des peuples se prennent pour des<br />

bergers; ils ne sont souvent que des chiens de<br />

troupeau.<br />

Gilbert Cesbron<br />

<strong>Anne</strong> mochte <strong>Peter</strong>,<br />

aber <strong>Liebe</strong> würde es nicht geben.<br />

<strong>Anne</strong> hielt nichts von Kirche<br />

<strong>und</strong> für <strong>Peter</strong> galt der Zölibat.<br />

Banale Ansichten <strong>und</strong> Verbote,<br />

um die <strong>Liebe</strong> sich nicht kümmert?<br />

Schon möglich, zumal wenn alles bei Musik geschieht.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 2 von 24


<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> - <strong>Inhalt</strong><br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> – <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong>...................................................... 4<br />

Bilder............................................................................................. 4<br />

Audiophilie...................................................................................... 4<br />

Schäfermusik.................................................................................. 5<br />

Musik hören.................................................................................... 5<br />

Große Oper Unterricht......................................................................7<br />

Kosmische Harmonie........................................................................ 7<br />

Musischer Kollege............................................................................8<br />

Kirchenschlager............................................................................... 8<br />

Heiligenmärchen.............................................................................. 9<br />

Pastoralidylle................................................................................... 9<br />

Orgelkonzerte................................................................................ 10<br />

Kleine W<strong>und</strong>er............................................................................... 11<br />

Höllenkandidat............................................................................... 12<br />

Der Pastor..................................................................................... 13<br />

Interessante Persönlichkeit.............................................................. 13<br />

Zu dicke Fre<strong>und</strong>e...........................................................................13<br />

Leben auf dem Lande......................................................................14<br />

Eingeengte Bühne.......................................................................... 15<br />

Schule im Herbst............................................................................16<br />

Ich möchte da raus.........................................................................16<br />

Kindlich einfache Antwort................................................................17<br />

Erste Ausbruchsversuche................................................................. 18<br />

Nur gottgefällig.............................................................................. 20<br />

Übergeordnete Instanz....................................................................20<br />

Approbation entziehen.................................................................... 21<br />

No more Pastor.............................................................................. 21<br />

Erwachen heiterer Gefühle............................................................... 22<br />

Einsamer Hirte............................................................................... 22<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 3 von 24


<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> – <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong><br />

Bilder<br />

Dass Menschen gerne Fernsehen schauen, ist doch verständlich. Wenn sowieso<br />

alles, was du wahrnimmst in Bildformate transponiert wird, damit dein Kopf es<br />

verwenden <strong>und</strong> dein Gedächtnis es speichern kann, warum sollst du da den für<br />

deinen Kopf mühsamen <strong>und</strong> energiezehrenden Umweg über die anderen Sinnesorgane<br />

nehmen, anstatt ihm seine Informationen direkt optisch zukommen<br />

zu lassen? Bilder, die gibt’s doch im Fernsehen jederzeit genug. Schade, bei<br />

mir funktioniert das nicht so. Mein Gehör sucht die Konkurrenz <strong>und</strong> will sich<br />

nicht einfach mit den die Fernsehbilder begleitenden Klangereignissen zufrieden<br />

geben.<br />

Audiophilie<br />

Interpersonale Machtkämpe meiner Wahrnehmungsorgane, die mir psychische<br />

Probleme hätten bereiten können? Keinesfalls. Ich musste nur akzeptieren,<br />

dass das Gesehene bei mir nicht dominant regieren konnte, sondern das Gehörte<br />

zumindest ebenbürtig war. Das Ohr sollte eben als mein Zentralorgan<br />

fungieren. Dabei war es nichts Besonderes, hörte keine speziellen Frequenzen,<br />

war nicht das, was man als rein bezeichnete <strong>und</strong> verfügte als Hörorgan über<br />

keine extraordinären Kapazitäten. Es hörte nur eben alles, <strong>und</strong> forderte dafür<br />

Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Beachtung. Ich konnte nicht einfach an der Fleischtheke<br />

stehen <strong>und</strong> die Konversation der Verkäuferinnen mit den anderen K<strong>und</strong>innen<br />

als Hintergr<strong>und</strong>gebrabbel wahrnehmen. Ich erfuhr eben nicht nur, dass die<br />

K<strong>und</strong>in neben mir Frau Dr. Simrock hieß <strong>und</strong> offensichtlich beabsichtigte im<br />

Laufe der nächsten Tage sechs Scheiben Mortadella zu verzehren, ich sah auch<br />

ihre große stabile, leicht korpulente Statur <strong>und</strong> hörte die zarten glockenhellen<br />

Töne, die diese Person verwendete, um ihre Einkaufswünsche zu formulieren.<br />

Warum durfte diese Frau nicht mit einer solchen Stimme sprechen, einer Stimme<br />

die ich eher für Jungmädchenliebesgartengesäusel hielt. Ob sich Frau Dr.<br />

Simrock wohl dahin träumte, oder vielleicht sogar dort befand <strong>und</strong> nur ihre<br />

physiologische Konstitution ungeachtet dessen sich einen Phänotyp hatte entwickeln<br />

lassen, der damit nicht korrelierte. Solche <strong>und</strong> ähnliche Gedanken entwickelten<br />

sich auf der Basis des auditiv Wahrgenommenen <strong>und</strong> beschäftigten<br />

mich weiter. Aber es ging mir ja nicht nur bei Frau Dr. Simrock so, bei jeder<br />

Kassiererin, jedem mit dem ich kommunizierte, hörte ich das Gesprochene,<br />

auch wenn es nur wenige Worte waren, wie eine kleine Symphonie, bei der ich<br />

zwanghaft herausfinden musste, was die jeweiligen Komponisten damit zum<br />

Ausdruck bringen wollten, welche Persönlichkeiten diese Stimme, diese<br />

Sprachmelodie, eben alles was diesen Sprechakt formte, darstellen würde. Die<br />

sich größter Sicherheit bei der Interpretation ihrer visuellen Wahrnehmung<br />

wähnen, schauen dem Gegenüber in die Augen <strong>und</strong> sind überzeugt, seinen<br />

Charakter zu erkennen. Ich wollte gar nicht den Charakter erkennen, ich liebte<br />

es nur, genau zuzuhören, die vielfältigen Impressionen des Klangs wahrzuneh-<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 4 von 24


men, Assoziationen aufkommen zu lassen <strong>und</strong> sie zu einem Bild zu formen. Ich<br />

bin audiophil, ich liebe es zu hören, auch ohne teure HiFi-Anlagen <strong>und</strong> klanggetreue<br />

Wiedergabetechniken.<br />

Eine psychische Konstante war es von mir. Automatisch hörte ich immer sofort<br />

intensiv die Melodie, ob sich die zehnjährige Schülerin bei mir über einen Jungen<br />

beschweren, oder der siebzehnjährige mir Informationen über seine hohe<br />

Kompetenz in amerikanischer Literatur zukommen lassen wollte. Es war sehr<br />

angenehm <strong>und</strong> bereicherte den textual vorgetragen Kommunikationsinhalt um<br />

wesentliche, meist erfreuliche Aspekt. Ich konnte es mir gut vorstellen <strong>und</strong><br />

nachempfinden, dass im frühen Theater die Dialoge gesungen wurden <strong>und</strong><br />

Opern bestanden ja schließlich nicht nur aus der Aneinanderreihung von einzelnen<br />

Arien. Bei Lyrik war ich mir sowieso sicher, dass sie nicht nur in die Hände<br />

von Germanisten beziehungsweise Sprachwissenschaftlern gehörte. Ich war<br />

meinen Ohren dankbar, dass sie der Tyrannis der visuellen Eindrücke so stark<br />

etwas entgegenzusetzen hatten.<br />

Schäfermusik<br />

Wer professionellen Umgang mit Klängen hat, wer sich als Musiker bezeichnet,<br />

bei dem oder der wird es nicht viel anders sein. Warum hatte ich nicht einen<br />

Dirigenten, einen Pianisten oder doch wenigstens einen Musiklehrer geheiratet.<br />

Töricht war es im Gr<strong>und</strong>e von Anfang an gewesen, mich mit einem Maschinenbauingenieur<br />

einzulassen <strong>und</strong> zu liieren. Woraus bestehst du denn anders, als<br />

aus dem was deine Wahrnehmung aufgenommen, verarbeitet <strong>und</strong> in Beziehung<br />

gesetzt hat? Bei mir war da eben sehr viel mit klanglichen Impressionen <strong>und</strong><br />

Musik vorhanden, nur die Klänge der Maschinen kamen da nicht vor, während<br />

es für Erik die einzige Musik zu sein schien, die ihn offensichtlich berauschen<br />

konnte. Im Nachhinein empfinde ich mich so weise, sagen zu können, dass <strong>Liebe</strong><br />

schon ein wenig mehr die personale Basis des anderen einbeziehen müsste<br />

als sich allein an der idyllischen Schäfermusik des momentanen Verb<strong>und</strong>enseins<br />

zu ergötzen. Irgendwann wirst du etwas von <strong>und</strong> mit deinem Partner hören<br />

wollen. Du liebst ihn zwar, aber das müsste auch schon sein. Das bist doch<br />

du, die gern ins Konzert <strong>und</strong> in die Oper geht, das kann man doch nicht einfach<br />

ignorieren. In anderen Bereichen kommt es auch vor, dass er dich zu ignorieren<br />

scheint. Was wollt ihr eigentlich voneinander? Ihr passt doch gar nicht zusammen,<br />

das stellst du oft erst nach Jahren intensiver Selbsttäuschungsversuche<br />

fest. Du wirst es nicht einfach wie einen eben misslungenen Versuch mit<br />

einem 'ça m'est bien égal' beerdigen <strong>und</strong> fortwischen können. Es war in dir <strong>und</strong><br />

hat dich verändert, dein Kopf wird das bei der Interpretation des Gehörten einbeziehen<br />

<strong>und</strong> den gemalten Bildern in Zukunft andere farbliche Nuancen verleihen.<br />

Musik hören<br />

Natürlich verlangt mein auditives Wahrnehmungsorgan nicht nur nach den<br />

Klangereignissen gesprochener Worte, es will Musik direkt. Aber auch hier habe<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 5 von 24


ich ihm im Gr<strong>und</strong>e nichts Besonderes zu bieten. Natürlich hätte ich es nicht für<br />

unangenehm gehalten, Geige, Klavier oder Flöte spielen zu können, aber im<br />

Vordergr<strong>und</strong> standen die Bilder meiner Fre<strong>und</strong>in <strong>und</strong> Klassenkameraden, deren<br />

klanglichen Produkte trotz längeren qualvollen Übens nicht den Eindruck erweckten,<br />

als ob daraus jemals das werden könnte, was ich mir unter Geigen-,<br />

Klavier- oder Flötenmusik vorstellte. Ich hörte nur gern zu <strong>und</strong> genoss es.<br />

Bis auf den die Schmerzgrenze überschreitenden Krach, der mir mit dumpfen<br />

Hammerschlägen einpauken wollte, in welchem Rhythmus ich stampfend oder<br />

hüpfend den Boden unter mir zu malträtieren hätte, war kein Genre prinzipiell<br />

obsolet. Ich mochte auch schon mal mehr Gefühlsbetontes, <strong>und</strong> bei französischen<br />

Chansons sind die Übergänge ja oft nicht eindeutig auszumachen. Oft<br />

liegt es ja auch nicht allein an der Musik selbst, sondern am Ohr des Hörers,<br />

was er erwartet <strong>und</strong> gerne hören möchte. Es ist doch zum Beispiel ein Leichtes,<br />

durch das Andante in Mendelssohn-Bartholdys zweiten Satz des Violinkonzertes<br />

e-moll seine Bedürfnisse nach Sentimentalem bedienen zu lassen. Natürlich<br />

war das mit überschäumenden Sentiments <strong>und</strong> expressiver Inbrunst<br />

vorgetragene Sehnsuchtsdrama auch nicht mein Musiktyp. Was gab's denn da<br />

noch zu tun, als wehmütig mitzuflehen, nach Bildern, die nicht die meinen waren<br />

<strong>und</strong> wegen ihrer hohlen Idiotie auch nie werden sollten. Am reichhaltigsten<br />

war <strong>und</strong> blieb eben das, was man als 'klassische Musik' zu bezeichnen pflegte.<br />

Aber auch hier verhielt es sich so, dass ich eine Sinfonie, die ich zum ersten<br />

Mal gehört hatte, nochmal hören wollte <strong>und</strong> nochmal, <strong>und</strong> dann sind die Bilder<br />

in deinem Kopf fertig. Du wirst sie nicht einfach übergehen können <strong>und</strong> neue<br />

entwerfen, wenn du sie später wieder hörst <strong>und</strong> willst es auch wohl gar nicht.<br />

Wenn ein Dirigent sie anders interpretiert, <strong>und</strong> deine alten Bilder nicht mehr<br />

passen wollen, wirst du es nicht sofort freudig begrüßen, sondern voraussichtlich<br />

eher als störend empfinden. Ich höre mir auch gern Bekanntes wieder an.<br />

Nur für viele, wenn nicht die meisten, stellt es die dominierende Form des Musikkonsums<br />

dar, Vertrautes <strong>und</strong> Bekanntes wieder <strong>und</strong> wieder zu hören. Die<br />

ständige Lust am Repetieren ist eine sanktionierte Ausdrucksform hospitalistischer<br />

Gr<strong>und</strong>dispositionen. Warum lieben sie es? Lust an den neuen Bildern, die<br />

entstehen, kann es nicht sein. Es sind immer wieder die gleichen. Ist es das,<br />

was sie suchen? Ist es das ständig wiederholende Betrachten der gleichen Bilder,<br />

die einmal mit positiven Emotionen gekoppelt waren. Wenn Kinder ständig<br />

mit dem Kopf wackeln, um sich immer wieder die gleichen Reize zu verschaffen,<br />

diagnostiziert man eine psychische Störung, warum sollte es bei Erwachsenen,<br />

die sich wie ihr Mantra ständig wieder die gleiche Musik anhören, viel<br />

anders sein? Die Köpfe aller Menschen scheinen bei ihren Verarbeitungsprozessen<br />

Erinnern <strong>und</strong> Wiederholen sehr zu mögen, <strong>und</strong> bei der Strukturierung des<br />

Gedächtnisses <strong>und</strong> dessen Gebrauch scheinen ihnen konstitutive Kompetenzen<br />

zuzukommen. Auch wenn Jacques Derrida die Ansicht vertritt, dass sich mit jeder<br />

Iteration eines Begriffs seine Bedeutung verändere, so mag das für den<br />

philosophischen <strong>und</strong> gesellschaftlichen Diskurs vielleicht zutreffen, aber bei anderen<br />

Wahrnehmungen <strong>und</strong> ihren Interpretationen wird genau das alte Bild<br />

wieder gesucht, jede Veränderung ist absolut unerwünscht. Nicht selten verfährt<br />

unser Gehirn bei Musik eigenmächtig. So wie beim Kind mit seinen Jakta-<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 6 von 24


tionen lässt es uns permanent die gleiche kurze Passage immer wieder hören.<br />

Selbst wenn wir es gar nicht wollen <strong>und</strong> es als Belästigung empfinden, scheint<br />

es sich wie ein Wurm in unseren Gehörgang gebohrt zu haben, der uns immer<br />

die gleiche Halluzination melodisch rhythmischer Sentenzen vorspielt. Nicht nur<br />

mit ihrem Hintergr<strong>und</strong>gedudel im Kaufhaus, sondern schon morgens unter der<br />

Dusche kann uns Musik aus unserem eigenen Kopf belästigen.<br />

Große Oper Unterricht<br />

Zentrale Bedeutung hat Musik für alle Menschen, damit sind wir zur Welt gekommen<br />

<strong>und</strong> die gespeicherten Bilder der anderen Sinnesorgane sind ja keine<br />

isolierten Drucke ihrer primären Auftraggeber. In der Regel werden sie schon<br />

bei der Ankunft der Nervenreize gleich zu Kollagen mit bereits Vorhandenem<br />

<strong>und</strong> den Eindrücken der anderen Organe gefügt. Und so sind häufig bei Bildern,<br />

die du nur visuell zu erkennen glaubst, <strong>und</strong> sie auf dieser Gr<strong>und</strong>lage beschreibst,<br />

starke rhythmische <strong>und</strong> melodische Elemente vorhanden, die du gar<br />

nicht als solche wahrnimmst. Ich bin Lehrerin, <strong>und</strong> bei den Unterrichtsst<strong>und</strong>en<br />

handelt es sich bestimmt nicht immer um große Oper, aber was dein rhythmisch-melodisches<br />

Empfinden stört, stört auch den Lernprozess. Umgekehrt<br />

fördert die Verbindung mit musikalischen Elementen es sehr stark. Es erinnert<br />

mich an eine leicht skurrile Szene in meiner Jugend. Ich las die Ballade 'Das<br />

Grab im Busento' von August Graf von Platen <strong>und</strong> fand sie interessant, lustig,<br />

ein wenig kitzelig amüsant. Ich wusste zwar, dass Alarich Rom erobert hatte<br />

<strong>und</strong> kannte dazu ein paar Details, aber von dem, was von Platen hier beschrieb,<br />

war mir nichts bekannt. Es war ja eine traurige Geschichte vom Tod<br />

des mit Jugendlocken behangenen jungen Gotenherrschers, aber die Form des<br />

Romanzenverses <strong>und</strong> der Anapest ließen in mir die tapfren Goten zu einem<br />

nächtlichen Reitertrupp werden, deren Rösslein sich anapestgemäß trippelnd<br />

auf einem Pfad neben dem Busento vorwärts bewegten. Und auch wenn von<br />

Platen mit großer Geste forderte: 'Wälze sie Busentowelle, wälze sie von Meer<br />

zu Meere' trippelten stets die Rösslein, wie sie es sonst nur nach Musik in der<br />

spanischen Hofreitschule in Wien können. Alles passte an diesem Gedicht eigentlich<br />

nicht, aber in meiner komischen Oper fügte es sich so w<strong>und</strong>ervoll zusammen,<br />

dass ich es nach ein paar Mal lesen auswendig konnte <strong>und</strong> bis heute<br />

nicht vergessen habe. Deshalb bin ich auch der Ansicht, dass es sich bei Versmaß<br />

<strong>und</strong> Versfuß eindeutig um rhythmische Elemente handelt, die im Genre<br />

musikalische Gestaltungselemente ihre Heimat haben.<br />

Kosmische Harmonie<br />

Nach Musik selbst, stellt Sprache eine im Besonderen organisierte Form von<br />

Schallereignissen dar. Musiklehrerin konnte ich nicht werden, weil ich nicht<br />

über die erforderlichen Voraussetzungen verfügte, aber Musikunterricht zu erteilen<br />

war gar nicht eine Perspektive, die mich emotional reizte. Auch wenn<br />

Konfuzius schon vor zweieinhalbtausend Jahren erkannt hatte, dass Musik ein<br />

Instrument zur Vervollkommnung des Menschen sei <strong>und</strong> der Erzielung kosmischer<br />

Harmonie diene. Kosmische Harmonie schien bei Herrn Heinze, unserem<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 7 von 24


Musiklehrer, jedoch nicht vorzukommen. Er war ein Scheusal. Sein zynisches<br />

<strong>und</strong> mokantes Verhalten den Schülern gegenüber war widerlich <strong>und</strong> hatte nicht<br />

selten menschenverachtende Züge. Auch in Gesprächen unter Kollegen waren<br />

seine Äußerungen kalt, polemisch <strong>und</strong> oft despektierlich. Dass so einer in der<br />

Lage sei, die Musik zu fördern, hatte schon Konfuzius für nicht möglich<br />

gehalten. Das Ausmaß meiner kosmischen Harmonie hätte für den Unterricht<br />

in Musik bestimmt gereicht, aber sowohl Verständnis als auch Anwendung der<br />

deutschen <strong>und</strong> nicht minder der englischen Sprache konnten auf die Gr<strong>und</strong>lage<br />

einer harmonischen Basis keinesfalls verzichten. Ich wurde für eine gute<br />

Lehrerin gehalten <strong>und</strong> war bei den Schülern offensichtlich wohl beliebt.<br />

Warum? Keine Ahnung. Ich wusste weder besonders viel, noch war ich<br />

besonders fleißig. Ich wandte keine speziellen pädagogisch Konzepte an, noch<br />

hielt ich mich für kinderverliebt. Bestimmt war es der erreichte Harmoniegrad,<br />

aus dem heraus ich agierte, vor allem aber, dass meine Ohren hörten, was an<br />

denen der meisten anderen Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen vorbei ging.<br />

Musischer Kollege<br />

Der musischte Mann bei uns an der Schule aber, war der Herr Pastor. Mitglied<br />

des Kollegiums war er offiziell wohl nicht. Er kam nur an einem Tag zur Erteilung<br />

einiger St<strong>und</strong>en Religionsunterrichtes vorbei, vielleicht um dafür zu sorgen,<br />

dass die Nachwuchsschäflein sich nicht völlig im Niemandsland verlören,<br />

oder aber auch, um sich einiger bereits verloren geglaubter besonders anzunehmen.<br />

Er war ein fre<strong>und</strong>licher, offener, Warmherzigkeit ausstrahlender Mann.<br />

Ob seine Harmonie auch kosmische Züge hatte, blieb mir verschlossen, aber<br />

dass er Bezüge zu Musik haben musste, dessen war ich mir absolut sicher. In<br />

der Kirche, am Sonntag, da musste er ja singen. Früher war das wenigstens<br />

so. Ich hätte ihn gern mal gehört. Was er wohl lieber sang? Ob er lieber das<br />

'Gloria' posaunte oder das 'Agnus dei', das Lamm Gottes anflehte, uns seinen<br />

Frieden zu geben. Ich hatte diesen Gregorianischen Choral <strong>und</strong> die Sprechgesänge<br />

gemocht <strong>und</strong> fand sie keineswegs langweilig oder gar monoton. Völlig<br />

unterschiedlich konnten sie klingen durch die jeweiligen Vortragskünste, durch<br />

Stimme, Rhythmus <strong>und</strong> Betonung, des betreffenden Geistlichen. Wenn ein relativ<br />

junger Kaplan das 'Pater noster' vortrug liefen mir Schauer über den<br />

Rücken. Langsam <strong>und</strong> mit Pausen sang er die einzelnen Satzteile, als ob er den<br />

Hall der Kirche mit einbezöge. Es herrschte Totenstille im Kirchenschiff, allein<br />

seine junge klare Stimme ließ das: „Panem nostrum - Pause - cotidianum da<br />

nobis hodie“ darin schwingen <strong>und</strong> hallen. Sicherlich war ich nicht die einzige,<br />

die davon ergriffen war <strong>und</strong> so empfand. Ob Pastor Degen so etwas auch wohl<br />

konnte?<br />

Kirchenschlager<br />

Ich hatte schon sehr früh mit Kirche <strong>und</strong> Religion abgeschlossen, aber ausdrücklich<br />

nicht wegen der Zeremonien <strong>und</strong> Rituale, das liebte ich <strong>und</strong> hatte<br />

meine Freude daran. Ein schaurig schönes Erlebnis war es jedes Mal, - die Kirchen<br />

waren ja noch berstend voll - wenn im Hochamt bei den Kirchenschlagern<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 8 von 24


die Männer aus vollem Halse die Orgel überbrüllten. Aber Lieder wie 'Großer<br />

Gott wir loben dich' oder 'Fest soll mein Taufb<strong>und</strong> immer stehen' verleiteten ja<br />

auch dazu. Wie eine Katze schlich man sich mit in tiefen Tonlagen gesäuselten<br />

Anerkennungs- <strong>und</strong> Demutsbek<strong>und</strong>ungen ruhig an, um dann zu einem Sprung<br />

für das alles überwogende Schlusscrescendo der Strophe auszuholen. Kluge<br />

Leute mussten es schon sein, die das alles so eingerichtet hatten. Wo gab es<br />

so etwas sonst schon, eine Orgel in jeder Kirche. Warum kamen die Leiter von<br />

Schulen oder anderen Gemeinschaftseinrichtungen nicht darauf, dass dieses<br />

zaubervollste aller Instrumente nicht fehlen durfte, wo man meinte Musik zu<br />

lieben. Ich blieb am Sonntag meistens noch ein wenig länger in der Kirche,<br />

nicht weil ich noch ein paar Gebete zusätzlich sprechen wollte. Wenn der<br />

Geistliche sein 'Ite missa est' gesprochen hatte, <strong>und</strong> die Menschen die Kirche<br />

verließen, begann der Organist, sich in seinem Instrument auszutoben.<br />

W<strong>und</strong>ervoll. Es gibt meines Wissens kein Instrument, das den Menschen mit<br />

seinem ganzen Körper so einbindet wie eine Orgel. Die Bewegungen des<br />

Organisten bei seinem Spiel spürte ich in den berauschenden aber manchmal<br />

auch näselnd zarten Klängen auf meiner Kirchenbank sitzend.<br />

Heiligenmärchen<br />

Das alles war ein buntes Kirchenland, <strong>und</strong> gefiel mir sehr. Dass man aber darauf<br />

bestand, die Heiligenlegenden <strong>und</strong> W<strong>und</strong>ergeschichten hätten sich tatsächlich<br />

wortgetreu so ereignet, wie sie beschrieben wurden, ärgerte mich schon,<br />

bevor ich zur Schule kam. Ich wollte keine mehr hören. Wenn die Brüder<br />

Grimm darauf bestanden hätten, dass die Ereignisse um die Bremer Stadtmusikanten<br />

keine Fiktion seien, sonder sich in der Realität exakt so abgespielt<br />

hätten, niemand würde heute mehr von den Musikanten reden, allenfalls noch<br />

von den kuriosen Göttinger Germanistikprofessoren, die sich zu so einem Unsinn<br />

verstiegen hätten. Als Märchenerzählungen wären die Legenden doch<br />

nicht schlecht <strong>und</strong> vor allem kein bisschen weniger lehrreich gewesen. Warum<br />

zwang einen die Kirche denn, so vieles Unglaubliche glauben zu müssen. Wurde<br />

man dadurch ein besserer Mensch? Oder sollte das der Kirche gar nicht so<br />

vordringlich wichtig sein. Ihr Gott hatte nirgendwo etwas davon gesagt, dass<br />

eine Notwendigkeit bestünde, diesen ganzen Schmus glauben zu müssen. Nach<br />

dem musste man nur an ihn glauben <strong>und</strong> sonst nix. Es beschäftigte mich über<br />

Jahre, aber schon im dritten Schuljahr stand für mich fest, dass Kirche <strong>und</strong> alles<br />

was damit zusammenhing, meine Welt nicht mehr sein konnte. Als einen<br />

Verein, dem man besser nicht über den Weg trauen sollte, hatte ich sie für<br />

mich eingestuft. Ein weitreichender Beschluss in sehr jungen Jahren <strong>und</strong> trotzdem<br />

ein unumstößliches Verdikt.<br />

Pastoralidylle<br />

Und ausgerechnet ich hielt einen Pastor für den nettesten Kollegen. Ich mochte<br />

ihn. Er ließ sich auch immer durch dämliche Bemerkungen von mir anfeixen<br />

<strong>und</strong> reagierte fre<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> amüsiert darauf. Wenn ich mich zum Beispiel nach<br />

dem Befinden seines Oberhirten erk<strong>und</strong>igte, schaute er nicht indigniert über<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 9 von 24


den faden Witz, sondern erzählte launig etwas zur Bedeutung der Hirtenvölker<br />

im Vorderen Orient vor Beginn unserer Zeitenwende. Wir konnten sogar ernsthaft<br />

über Derartiges reden, aber warum die Kirche während ihrer Verbreitung<br />

an diesem Begriff, der in den westlichen <strong>und</strong> nördlichen Regionen doch schon<br />

damals längst mit einer völlig anderen Konnotation belegt war festgehalten<br />

hatte, wusste er auch nicht. In Griechenland sah man die Hirten keineswegs<br />

als heroische Gestalten, aus deren Reihen Heerführer, Könige <strong>und</strong> weise Männer<br />

hervorgingen. Sie lebten unberührt von der Kultur in ländlicher Idylle bei<br />

ihren Rindern oder Schafen <strong>und</strong> führten ein schlichtes naturbezogenes Leben.<br />

Basierend darauf ist sogar eine eigene Kunstgattung entstanden, die Bukolische-<br />

oder Schäferdichtung, in der sogar Goethe noch ein Stück verfasst hat.<br />

„Romantisch-beschauliche Pastoralidylle ist aber nicht ihre Lifestyle Perspektive,<br />

nein?“ fragte ich ihn grinsend. „Ich weiß nicht recht, inwieweit es sich dabei<br />

um Pastoralidylle handelt? Ich besinge meine Schäflein. In welchem anderen<br />

Beruf ist das der Fall? Auch andere musikalische Genüsse werden ihnen in unserem<br />

Hause geboten. Einmal konnten wir ihnen die Aufführung einer Bachkantate<br />

bieten, aber darüber hinaus animieren wir sie ständig, ihre Gebete,<br />

Lobpreisungen <strong>und</strong> Fürbitten selbst in cantabler Form vorzutragen. Ob es dabei<br />

ländlich idyllisch zugeht, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht,<br />

aber harmonisch friedlich ist es allemal.“ antwortete Pastor Degen verschmitzt<br />

lächelnd. Dann erzählte er mir, dass es ihm vor ein paar Jahren gelungen sei,<br />

Geld für die Restaurierung der Orgel aufzutreiben, <strong>und</strong> da es sich um einen<br />

klanglichen Schatz handele, habe er Studenten der Musikhochschule animieren<br />

können, ihre Fähigkeiten vor Publikum zu demonstrieren. Die Kontakte zur<br />

Hochschule für Musik <strong>und</strong> den Studenten hätten sich verfestigt <strong>und</strong> seien mittlerweile<br />

hervorragend, so dass sie ständig in der Lage seien, kleine musikalische<br />

Kostbarkeiten anzubieten. Nur leider seien eben Zeit <strong>und</strong> Interesse in der<br />

Bevölkerung nicht sehr groß. „Es ist nicht fehlendes Interesse, es sind ihre<br />

h<strong>und</strong>smiserablen, wahrscheinlich bukolischen Marketing Strategien. Wo müsste<br />

ich denn zum Beispiel suchen, wenn ich von ihren Veranstaltungen etwas erfahren<br />

wollte?“ warf ich ihm vor. „Ja, ja das ist schon ein Problem. Solange sie<br />

nicht Jessy Norman oder den Dresdener Kreuzchor auftreten lassen können,<br />

vermeldet die Presse es nur unter Kirchennotizen. Aber unter dem Starkult haben<br />

andere gewiss noch mehr zu leiden als die Kirchen. Den Stars alles <strong>und</strong> die<br />

Leistungen anderer können noch so hervorragend sein, man schenkt ihnen keine<br />

Beachtung.“ reagierte er. „Wie kann ich sie trösten? Sagen sie's mir, ich<br />

komme bestimmt zu ihrem nächsten Orgelkonzert, auch ohne dass sie ein<br />

Starhirte sind. Aber warum hängt denn bei uns in der Schule nicht mal ein Plakat<br />

dazu?“ wollte ich wissen.<br />

Orgelkonzerte<br />

Einiges sollte geändert werden <strong>und</strong> als ich beim nächsten Konzert anwesend<br />

war, betörte es mich. Warum hatte ich eigentlich seit meiner Kindheit keine Orgelkonzerte<br />

mehr besucht, ich wusste doch, wie die Orgel mich fasziniert hatte?<br />

Es war wahrscheinlich unter den Begriff Kirche subsumiert <strong>und</strong> abgelegt<br />

worden, aber Beethovens Missa solemnis, Bachs h-moll, Schuberts Deutsche<br />

Messe <strong>und</strong> andere Missae waren doch keineswegs für mich tabu, weil sie sich<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 10 von 24


auf Kirche bezogen. Nach dem Konzert standen wir mit drei Studenten <strong>und</strong><br />

Pastor Degen noch zusammen. Beim nächsten Mal wollte ich den spielenden<br />

Studenten hinter der Orgel zuschauen. Für's übernächste entwarf ich den<br />

Plakattext <strong>und</strong> fügte auch die wesentlichsten Informationen in Englisch hinzu.<br />

Das ist eben heute zwingender Standart, wenn man globales Interesse<br />

erreichen will. Unsere junge Kunstlehrerin konnten wir motivieren, für die<br />

Gestaltung des Plakates ihr Talent für graphisches Design in Wallungen zu<br />

versetzen <strong>und</strong> unser Informatik Professor, sprich Mathe Kollege, nahm sich mal<br />

die muffige Internetseite der Kirche vor. Wer was mit Kirche zu tun hatte,<br />

spielte keine Rolle, die Orgelkonzerte waren das belebende <strong>und</strong><br />

zusammenführende Band. Natürlich besuchten die Beteiligten selbst aber auch<br />

andere Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen die nächsten Konzerte, <strong>und</strong> unausgesprochen<br />

bestand bei allen das Bedürfnis, Ideen einzubringen, wie man die Konzerte<br />

fördernd unterstützen könnte. Vor einem der nächsten Konzerte lud die<br />

Hochschule für Musik gemeinsam mit Pastor Degen zu einer Pressekonferenz<br />

ein, <strong>und</strong> da gerade lokal nichts Explosives anlag, prangten die Informationen<br />

über das Gespräch <strong>und</strong> das anstehende Konzert mit großen Fotos auf der<br />

ersten Seite der Lokalteile. Da wohl kein Musikbeflissener der Ansicht wahr,<br />

sich ein derartiges Ereignis entgehen lassen zu dürfen, war die Kirche brechend<br />

voll. Pastor Degen bedanke sich artig, verwies auf weitere Planungen <strong>und</strong><br />

schickte die Leute nach Hause. Wir lagen uns anschließend lachend, staunend<br />

<strong>und</strong> tanzend in den Armen.<br />

Kleine W<strong>und</strong>er<br />

„Du bist dafür verantwortlich, nur du, ohne dich, <strong>Anne</strong>, wäre es nie dahin gekommen.<br />

Ein kleines W<strong>und</strong>er, das ich mir nie hätte erträumen können.“ erklärte<br />

mir Pastor <strong>Peter</strong> Degen. Bei den Konzertvorbereitungen waren wir dazu<br />

übergegangen, uns alle untereinander zu duzen. Mit den Studenten hatte <strong>Peter</strong><br />

Degen es schon vorher getan. „<strong>Peter</strong>, beim W<strong>und</strong>erglauben handelt es sich<br />

um etwas mir äußerst Fernliegendes. Ich werde von einer fast neurotischen<br />

Sucht getrieben, mein Agieren <strong>und</strong> Handeln so zu gestalten, dass die Ergebnisse<br />

zwar w<strong>und</strong>erähnliche Erscheinungsformen annehmen, aber ausschließlich<br />

auf kausal Verständlichem basieren. Wer hätte es gedacht, dass die kleine Lea-<br />

Sophie, deren Gehirn allen englischen Impressionen mit massivsten Barrikaden<br />

zu begegnen schien, heute zwei plus stehen könnte? Ein W<strong>und</strong>er, aber ich<br />

kann's erklären. Heilig sprechen lassen kannst du mich trotzdem, auch wenn<br />

alles erklärlich ist.“ reagierte ich scherzend. „Nein, es macht mich glücklich,<br />

glücklich über alles was damit verb<strong>und</strong>en ist. Die Aufmerksamkeit <strong>und</strong> Anerkennung<br />

für die Musik, die Veränderungen der sozialen Kontakte, die es mit<br />

sich gebracht hat <strong>und</strong> vor allem natürlich das andere Bild, in dem wir jetzt betrachtet<br />

werden. Wir sind nicht mehr die, die, den Leuten bestimmte Doktrinen<br />

aufzwingen <strong>und</strong> sie zum Beten <strong>und</strong> Buße tun prügeln wollen. Wir werden ganz<br />

normal akzeptiert, als jemand, der etwas zu bieten <strong>und</strong> zu sagen hat. Es ist<br />

w<strong>und</strong>erbar. Bestimmt ein großer pastoraler Erfolg, durch Musik.“ sagte's <strong>und</strong><br />

lächelte.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 11 von 24


Höllenkandidat<br />

Die Momente in denen wir miteinander sprachen, waren äußerst kurz. Immer<br />

nur in der Pause vor seinem Unterrichtsbeginn <strong>und</strong> das in der Regel nur etwa<br />

einmal im Monat. Für die Konzertvorbereitungen hatten wir uns aber nach der<br />

Schule bei ihm, der Kunstkollegin oder mir getroffen. Jetzt war es auch selbstverständlich,<br />

dass wir jede Woche bei seiner Ankunft miteinander redeten. Gespräche<br />

über Religion <strong>und</strong> Glauben waren aber für mich bis an mein Lebensende<br />

tabu. <strong>Peter</strong> Degen schien es zu ahnen, denn nie gab es Ansätze, in diese<br />

Richtung etwas zu äußern. Wir konnten selbstverständlich über Kirchen- <strong>und</strong><br />

Kulturgeschichtliches reden. Ich hätte gern mal länger mit ihm gesprochen,<br />

mehr über seine Beziehung zu Musik <strong>und</strong> seine persönliche Musikgeschichte erfahren,<br />

aber er war ein Fuchs, man konnte nur schlecht mit ihm reden, beziehungsweise<br />

viel zu gut. Nach zwei Sätzen brachte er mich dazu, eifrig von mir<br />

zu erzählen, obwohl ich doch etwas von ihm wissen wollte. Wenn ich nicht gewusst<br />

hätte, dass er selber vorher Lehrer für Mathematik <strong>und</strong> Religion gewesen<br />

wäre, hätte ich vermutet, dass er psychotherapeutische Qualifikationen besäße.<br />

Vielleicht gehörte Derartiges ja mittlerweile auch zur theologischen Ausbildung,<br />

weil man es für nicht unerheblich hielt, wenn man sich um das Seelenheil<br />

seiner Schäfchen kümmern wollte.<br />

Aber ich als Frau mich mit dem Herrn Pastor im Café treffen, einfach nur weil<br />

man mal die Gelegenheit haben wollte, ein wenig länger miteinander zu reden?<br />

Wäre das nicht unschicklich, ein wenig bedenklich <strong>und</strong> könnte zu Missverständnissen<br />

Anlass geben. Diese Frauenfeindlichkeit, der Zölibat, meine dämlichen<br />

Befürchtungen <strong>und</strong> die Begründungen der Kirche, mit der sie es heute immer<br />

noch zu rechtfertigen versuchte, waren für mich höchster Ausdruck der Verlogenheit<br />

dieses ganzen Vereins. Dass der Apostel Paulus damals erklärt hatte,<br />

die Frauen sollten in Versammlungen das Maul halten, hätte zu der Zeit wohl<br />

niemand anders gesehen, aber die Vorstellungen von absoluter Gleichberechtigung<br />

basierten doch letztendlich auf einem Menschenbild, das sich aus christlichem<br />

Gedankengut entwickelt hatte, nur die katholische Kirche selbst sträubte<br />

sich dagegen <strong>und</strong> faselte etwas vom Amt des Hohen Priesters <strong>und</strong> wem dies<br />

von Gott übertragen worden sei. Nein, mit so einem Unfug wollte ich mich<br />

nicht mehr befassen. „Wenn es in deiner Kirche auch Pastorinnen gäbe, <strong>und</strong> du<br />

so eine wärst, oder wenn du kein Pastor sondern ein gewöhnlicher Kollege<br />

wärst, hätte ich überhaupt kein Problem, dich zu fragen, ob wir nicht mal zusammen<br />

einen Kaffee trinken könnten, weil ich mich gerne mit dir unterhalten<br />

würde. So habe ich aber eins. Warum tust du das?“ fragte ich <strong>Peter</strong> Degen<br />

grinsend. „Ist das nicht mehr dein Problem?“ fragte er zurück, „Du wirst Angst<br />

haben, mich zu verführen, dass ich den Zölibat breche <strong>und</strong> dafür später in die<br />

Hölle komme. Und das willst du nicht. Die Vorstellung, mich leiden zu sehen,<br />

sagt dir nicht zu. Ich leide aber schon jetzt, weil ich überhaupt nicht weiß, welchem<br />

Café du denn wohl den Vorzug geben könntest.“ „Du durchschaust mich.<br />

Küppersmühle finde ich nicht schlecht, auch für den Fall, dass du mal Hunger<br />

bekommen solltest, aber fast jedes andere wäre mir auch recht. Wir können<br />

uns auch bei Dobbelstein treffen. Es geht mir doch um den Höllenkandidaten<br />

<strong>und</strong> nicht um's Café.“ reagierte ich. Wir gingen zusammen im Museumsrestaurant<br />

essen.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 12 von 24


Der Pastor<br />

Nach dem wir geklärt hatten, dass primär ich ihm zuhören wollte <strong>und</strong> nicht er<br />

mir, erzählte er. Erzählte <strong>und</strong> erzählte, offen <strong>und</strong> detailliert. Alles erzählte er, so<br />

dass es mich verw<strong>und</strong>erte <strong>und</strong> ich ihn fragte, ob man als Pastor eigentlich keine<br />

Fre<strong>und</strong>e habe. „Das ist sehr schwer, <strong>Anne</strong>. Aus deiner Rolle kannst du so<br />

gut wie nie heraus. Du kannst nicht der Banker oder Lehrer sein, der nach Feierabend<br />

Privatmann ist, du bist stets für jeden immer auch der Pastor, dem gegenüber<br />

man sich entsprechend zu verhalten hat. Ich habe viele gute Bekannte,<br />

würde ich sagen, aber ein offenes fre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis habe ich<br />

wohl eher nicht. Auch mit alten Fre<strong>und</strong>en von früher ist da mittlerweile nichts<br />

mehr, <strong>und</strong> die Jungs im Priesterseminar? Das war in der Regel nicht so meine<br />

Welt. Es gibt eben nicht nur den Zölibat, dein ganzes Leben ist vom Priester<br />

sein dominiert, soll es ja auch sein, du wirst ja durch die Weihe zu einer besonderen<br />

Art Mensch, was sich auch massiv auf deine sozialen Kontaktmöglichkeiten<br />

auswirkt. Das ist oft genauso schwer, besonders wenn du vorher anders<br />

gelebt hast.“ erläuterte <strong>Peter</strong> es mir. Ich hatte viel ganz Persönliches aus seiner<br />

Kindheit <strong>und</strong> Jugend erfahren. Zum Beispiel, wie seine Mutter, die alles mit Gesang<br />

zu begleiten schien, sich darüber geärgert hatte, dass weder ihr Kindermädchen<br />

noch er in die Lage zu bringen waren, mehrstimmig mit ihr zu singen<br />

<strong>und</strong> er schon bei Kanons als Kind massive Schwierigkeiten hatte, seinem Part<br />

treu zu bleiben. Durch die Konzerte hatte sich die Beziehung zwischen uns verändert,<br />

aber durch dieses Gespräch noch viel mehr.<br />

Interessante Persönlichkeit<br />

Etwa zwei Monate später fragte <strong>Peter</strong> mich ganz lapidar nebenbei, ob wir nicht<br />

mal wieder zusammen essen gehen sollten. Unser Gespräch habe er als sehr<br />

angenehm empf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> im Übrigen sei ich ja schließlich auch mal dran, etwas<br />

von mir zu erzählen. Warum nicht? War doch ganz normal. Lust hätte ich<br />

schon darauf, <strong>und</strong> er hatte es ja auch nur so als nebensächliche Frage geäußert.<br />

Das Treffen hatte einen völlig anderen Charakter. Ich berichtete nicht nur<br />

über die Daten meiner Biographie sondern erzählt meist kleine Einzelgeschichten.<br />

Mit der Warnung, das es mit unserer Fre<strong>und</strong>schaft augenblicklich ein Ende<br />

haben würde, wenn er Anstrengungen unternehmen sollte, mich zu bekehren,<br />

erzählte ich ihm auch meine religiöse Genese. Permanent gab es etwas zu lachen,<br />

besonders bei meiner Charakterisierung von Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen<br />

nach von mir wahrgenommenen akustischen Eindrücken. Als wir uns verabschiedeten,<br />

erklärte <strong>Peter</strong>, dass er mich für eine außergewöhnlich interessante<br />

Persönlichkeit halte.<br />

Zu dicke Fre<strong>und</strong>e<br />

Wieder einige Monate später meinte er: „Wir müssten doch eigentlich mal wieder<br />

zusammen essen gehen.“ Ich zog eine skeptisches Mine. Ob ich das wollte,<br />

fast regelmäßig mit <strong>Peter</strong> essen gehen. Ob er mich dafür nicht zu gut leiden<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 13 von 24


mochte. Nicht seinen zu erwartenden Höllenqualen galt meine Sorge, sondern<br />

eher seinen aktuellen psychischen Konflikten, wenn seine Gefühle für mich, die<br />

einer guten Fre<strong>und</strong>schaft übersteigen sollten. „Hat dir denn unser letztes Mal<br />

etwa nicht gefallen, oder warum schaust du so?“ fragte <strong>Peter</strong>. „Doch sehr gut.<br />

Vielleicht schon fast ein wenig zu gut für gute Fre<strong>und</strong>e.“ antwortete ich „<strong>Peter</strong><br />

ich befürchte, dass unsere Fre<strong>und</strong>schaft zu dicke werden könnte, wenn wir<br />

häufiger zusammen essen gehen. So dicke, wie ich es nicht möchte <strong>und</strong> wie es<br />

auch bestimmt nicht gut für dich wäre.“ Er schaute mich durchdringend an,<br />

sagte aber nichts dazu.<br />

Leben auf dem Lande<br />

Die Musikaufführungen <strong>und</strong> Orgelkonzerte liefen natürlich weiter, zogen Kreise<br />

<strong>und</strong> dehnten sich aus. Wir hatten Kontakte zu allen Organisten der Stadt, die<br />

natürlich unsere Konzerte besuchten, <strong>und</strong>, wenn sie nicht ganz unbedarft waren,<br />

auch Kontakte zu den Studenten wünschten, unsere Arbeit schätzten <strong>und</strong><br />

sich mehr oder weniger massiv dafür interessierten. Möglichkeiten taten sich<br />

auf, die wir gar nicht alle nutzen konnten, <strong>und</strong> in einer überregionalen Zeitung<br />

wurde die Zusammenarbeit zwischen Hochschule <strong>und</strong> Kirche, wie wir sie praktizierten<br />

zu einem Modellkonzept für die musikalische Ausbildung hochstilisiert.<br />

Was passierte da? Wir hatten nur schöne Musik bei voller Kirche gewollt <strong>und</strong><br />

mehr eigentlich nie, aber mittlerweile waren wir schon dabei die Musikausbildung<br />

zu revolutionieren. Die Ausbildung zur Musiklehrerin war mir versagt geblieben,<br />

aber ein Doktor honoris causa der Hochschule für Musik stand für mich<br />

sicher nicht in weiter Ferne.<br />

Es war viel Arbeit <strong>und</strong> Lizzy Schenk, unsere Kunstpädagogin, hatte mittlerweile<br />

vom Design auch schon überwiegend ins Orgelfach gewechselt. Als wir uns bei<br />

ihr getroffen hatten, fuhren wir bei mir vorbei, als ich <strong>Peter</strong> nach Hause brachte,<br />

weil ich ihm von mir noch etwas mitgeben wollte. „Oder möchtest du noch<br />

kurz mit raufkommen?“ fragte ich ihn, als wir bei mir anhielten. „Wieso, was<br />

soll ich da? Möchtest du mir vielleicht deine Briefmarkensammlung zeigen?“<br />

reagierte er. „Wenn du beabsichtigst, noch mehr von solchen heavy jokes abzulassen,<br />

solltest du doch wohl besser im Auto bleiben, andernfalls könnten wir<br />

noch zusammen 'nen Cappuccino trinken.“ ordnete ich die Lage. „Nicht Briefmarken,<br />

aber ganz viele CD's <strong>und</strong> alte Schallplatten habe ich, nur vom Anschauen<br />

hat man ja dabei nicht viel. Aber meine allerliebste CD die kann ich dir<br />

mal zeigen.“ erklärte ich beim Kaffeetrinken <strong>und</strong> stand auf, sie zu holen. „Bist<br />

du jetzt an der Reihe mit den tumben Scherzen?“ fragte <strong>Peter</strong>, als er sie sah.<br />

„Das ist kein Scherz <strong>Peter</strong>. Das ist ganz echt wirklich wahr. Ich habe ganz viele<br />

davon, fast mit jedem berühmten Dirigenten <strong>und</strong> eine LP mit Karajan habe ich<br />

auch. Nur der Titel ist eigentlich irreführend. Mit Hirten hat die nichts zu tun.<br />

Früher galt wohl pastoral als generelle Bezeichnung für das Ländliche <strong>und</strong> die<br />

Pastorale malt das Landleben. Ich habe dir ja erzählt, dass ich als Kind häufig<br />

<strong>und</strong> sehr gern bei meinen Großeltern auf dem Bauernhof war. Ich habe meiner<br />

Fre<strong>und</strong>in immer begeistert davon erzählt, bis mir mal einfiel, was die denn eigentlich<br />

davon habe? Wenn ich ihr erzählte, wie ich dem Pferd das Zaumzeug<br />

anlegte, sie konnte es ja nicht sehen, sie machte sich nur Bilder aus dem, was<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 14 von 24


sie bereits kannte, <strong>und</strong> wenn ich ihr erzählte, wie Meta, das Pferd, beim Reiten<br />

im Takt gefurzt habe, dann dachte sie an ihre eigenen Pupse. Ich konnte ihr<br />

das, was ich erlebt hatte, nicht vermitteln. Sie konnte es nicht anders als aus<br />

ihren eigenen Vorstellungen verstehen. Musik kann ja letztendlich auch nichts<br />

anderes, als auf das bereits Vorhandene rekurrieren, aber ich bin überzeugt,<br />

dass sie daraus neue Kollagen <strong>und</strong> neue Bilder entwerfen kann, die du vorher<br />

so nicht kanntest. Ich hätte meiner Fre<strong>und</strong>in die Pastorale vorspielen sollen,<br />

dann hätte sie mehr begriffen, als aus allen meinen Schilderungen. Beethoven<br />

kann für mich nicht der leicht mürrisch blickende Ältere mit wallenden<br />

silbergrauen Haaren sein, wie er auf den Standartbildern immer erscheint. Er<br />

muss ein lustiger, äußerst feinfühliger, frischer Mann gewesen sein <strong>und</strong> das<br />

Leben auf dem Lande hat er in der Pastorale nicht nur gemalt, sondern auch<br />

gezeigt, wie sehr er es mochte <strong>und</strong> liebte. Die Pastorale entspricht absolut<br />

dem, wie ich das Leben auf dem Dorfe erlebt habe, als ob er bei mir gewesen<br />

wäre, <strong>und</strong> die Noten dazu aufgeschrieben hätte, was ich empf<strong>und</strong>en habe. Das<br />

w<strong>und</strong>erschönste für mich daran ist, dass es mich nicht immer nur auf ein klar<br />

definiertes Bild festlegt. Bei allen anderen Musikstücken ist das für mich so, es<br />

zeigt sich bei bestimmten Takten ein Bild, <strong>und</strong> das ist bei jedem neuen Hören<br />

immer wieder exakt das gleiche. Bei der Pastorale empfinde ich nur den<br />

gleichen Rahmen, das gleiche Szenario wieder, in dem sich bei jedem Hören<br />

andere Kindheitserinnerungen aus diesem Bereich zeigen können. Ich liebe sie.<br />

Sie ist wie das musikalische Heiligtum meiner geliebten Kindheitserinnerungen.<br />

<strong>Peter</strong> starrte mich an. „Möchtest du mal hören? Hast du so viel Zeit? Dauert<br />

schon ein wenig, aber für mich vergeht die Zeit dabei immer viel zu schnell.“<br />

fragte ich ihn. <strong>Peter</strong> überlegte. Woran er wohl dachte? Was er wohl abwägte?<br />

„Ja, doch, selbstverständlich.“ erklärte er. Ich erläuterte manchmal, woran<br />

mich was erinnerte. <strong>Peter</strong> lauschte andächtig <strong>und</strong> als wir wieder zum Auto<br />

gingen, um zu ihm zu fahren, sagte er: „Danke <strong>Anne</strong>, das hat mir sehr viel<br />

gegeben.“ Als er bei sich aus dem meinem Wagen stieg, schaute er mich an,<br />

als ob er mir gern einen Kuss geben würde, aber das wäre bestimmt der<br />

Beginn zur großen Sünde gewesen.<br />

Eingeengte Bühne<br />

Das wurde mir auch bewusst. Es war ja nicht einfach so, dass er seinen Sexualtrieb<br />

nicht leben durfte, darauf verzichteten viele andere ja auch freiwillig,<br />

das ganze Leben musste sich auf einer völlig eingeengten Bühne abspielen.<br />

Wenn eine Frau nicht mit Männern ins Bett gehen wollte, lebte sie deshalb völlig<br />

frei <strong>und</strong> sagte eben nein. Für <strong>Peter</strong> Degen war es aber so, dass er alles vermeiden,<br />

alle Empfindungen unterdrücken musste, die den Anschein hätten erwecken<br />

können, einen Anflug aus derartigen Richtungen in sich zu bergen.<br />

Musst du denn nicht zwangsläufig neurotisch werden, wenn du eine Frau schön<br />

findest, das aber nicht so sehen darfst, weil das Sünde wäre. Deine Emotionen<br />

sind doch da, die lassen sich doch rational nicht verbieten, auch wenn du sie<br />

als noch so sündig beschimpfst. Zwang die Kirche nicht ihre Hirten zu einem<br />

verlogenen Leben, verlogen vor sich selbst? Wie sollst du Menschen, die sich<br />

selbst belügen, belügen müssen <strong>und</strong> das akzeptieren, denn vertrauen können?<br />

Ein Selbsterkenntnisprozess unter den großen Hirtenvölkern, die dem obersten<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 15 von 24


Pontifex in Rom unterstehen, hätte mit absoluter Sicherheit größte<br />

revolutionäre Katastrophen für das bestehende System zur Folge. Bestimmt<br />

war ich mit acht bis neun Jahren schon ein außerordentlich kluges Kind, das<br />

erkannte, wie sich die Unwahrheit nicht nur auf die Heiligenlegenden bezog.<br />

Wahrscheinlich bedurfte es dazu aber gar nicht besonderer Klugheit, denn alles<br />

durchschauen konnte ich mit Sicherheit nicht. Ich vermute, dass es eher eine<br />

Sensibilität, ein sicheres Gespür war, das sich mir vermittelte. Vielleicht hörten<br />

ja nicht nur meine Ohren einiges mehr, sondern auch mein Empfinden in<br />

sozialen Prozessen war feinfühliger als gewöhnlich.<br />

Schule im Herbst<br />

Nach den Herbstferien wird das Leben in der Schule unangenehm. Nein, es ist<br />

gar nicht die Schule, mit der es originär zusammenhängt, es ist das Wetter. So<br />

müßig es sein mag über das Wetter zu reden, trotzdem bleibt es ärgerlich,<br />

wenn du morgens noch im Dunkeln zur Schule fahren musst, obwohl die Tage<br />

eigentlich noch gar nicht so kurz sind, wenn diese graue Abdeckung, die sich<br />

als Himmel bezeichnen lässt, in diesen Zeiten sich permanent zwischen Erde<br />

<strong>und</strong> Sonne schiebt, <strong>und</strong> dir vermittelt, das deine Tage zwar nicht dunkel aber<br />

auch keinesfalls hell sind. Es ist nicht ein feiner dezentgrauer Schein, der sich<br />

dir zeigt, es ist das plumpe dumpftrübe Grau in das die Tapete an der Decke<br />

deiner Welt heute gefärbt ist. Deine Psyche mag das nicht, kann griesgrämig<br />

werden oder erschwert es dir zumindest lustig zu sein <strong>und</strong> zu lachen. Oft<br />

schleppen sich die Tage nach deinem Empfinden zäh dahin, <strong>und</strong> einer ist so<br />

grau wie der Nächste. <strong>Peter</strong> Degen war kaum noch zu sehen. Er kam immer<br />

ganz knapp vor oder direkt zu Unterrichtbeginn in der Schule an. „<strong>Peter</strong>, was<br />

ist mit dir. Wir sprechen überhaupt nicht mehr miteinander. Warum kommst du<br />

immer so spät?“ fragte ich ihn. Er habe so viel zu tun, hiermit <strong>und</strong> damit <strong>und</strong><br />

das sei jetzt auch noch dazu gekommen. Er wisse manchmal nicht mehr, wo<br />

ihm der Kopf stehe. Jetzt hatte er nicht nur sich selbst belogen, sondern auch<br />

mich, das hörte <strong>und</strong> spürte ich. Drei Wochen später trafen wir uns bei mir zu<br />

einer Konzertvorbereitung. Als die anderen gingen, bat ich <strong>Peter</strong> noch zu bleiben.<br />

„Ich möchte wissen was los ist. Du musst es mir nicht sagen, aber wie du<br />

dich verhältst, ist es nicht nur äußerst unhöflich, sondern auch in Anbetracht<br />

unseres fre<strong>und</strong>schaftlichen Verhältnisses nicht zu verstehen <strong>und</strong> absolut inakzeptabel.“<br />

wies ich <strong>Peter</strong> auf sein Verhalten in letzter Zeit hin. Er schaute mich<br />

an, blickte zur Wand <strong>und</strong> kratzte sich an den Bartstoppeln seines Kinns in Nähe<br />

des rechten Ohres. „Lass uns gemeinsam essen gehen, dann werde ich dir etwas<br />

dazu erklären.“ schlug <strong>Peter</strong> vor. „Du kannst es jetzt sagen, wir sind unter<br />

uns.“ wies ich hin. „Nein, das möchte ich nicht.“ lautete seine prompte Reaktion.<br />

Also wurde ein Termin anberaumt.<br />

Ich möchte da raus<br />

Gut gelaunt war ich nicht. Erfreulich würde es bestimmt nicht sein, was ich zu<br />

hören bekäme. Aber was konnte es denn sein, warum er mich mied. Unfre<strong>und</strong>lich<br />

war ich doch nie in irgendeiner Art <strong>und</strong> Weise zu ihm gewesen <strong>und</strong> bei un-<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 16 von 24


serem letzten Treffen vor den Herbstferien mit der Pastorale hatte er doch keinerlei<br />

Antipathien gezeigt, eher das Gegenteil.<br />

„<strong>Anne</strong>, ich habe Probleme, größte Probleme. Es quält mich massiv <strong>und</strong> ich bin<br />

mir nicht sicher, wie ich das alles lösen soll. Es geht um mein Leben, mein gesamtes<br />

Leben, mehr nicht.“ begann <strong>Peter</strong>. „Konkreter könntest du auch werden?<br />

Dann würde ich vielleicht etwas verstehen.“ war meine Reaktion. „<strong>Anne</strong><br />

es ist schlicht <strong>und</strong> einfach so, dass ich das alles nicht mehr will. Ich möchte da<br />

raus. Möchte wieder ein freier Mensch sein. Ich denke jetzt auch, ich bin ja ein<br />

freier Mann. Kann gehen, wohin ich will, kann tun was ich für richtig halte, ein<br />

Mensch wie alle anderen Bürger unseres Landes auch. Tatsächlich aber bin ich<br />

eingekerkert, psychisch hinter Gittern. Ich darf nur das empfinden, was ich zu<br />

denken habe, das macht krank, das ist wie psychische Folter <strong>und</strong> in vielen Bereichen<br />

ist sie sehr subtil aber äußerst schmerzlich <strong>und</strong> wirksam. Ich will das<br />

nicht mehr, ich will raus aus diesen Folterkammern sonst werde ich verrückt.<br />

Frei leben will ich wieder können, in einer Welt in der es mir nicht verboten ist,<br />

liebende Gefühle für dich zu entwickeln <strong>und</strong> sie auch zeigen zu können.“ so <strong>Peter</strong>.<br />

Ich starrte ihn entgeistert an. Worte dazu hatte ich nicht. „Ob das richtig<br />

ist, was ich vorhabe, welche Konsequenzen es mit sich bringt, <strong>und</strong> ob ich überhaupt<br />

in der Lage sein werde, sie zu ertragen, das beschäftigt mich eben unaufhörlich.“<br />

fuhr er fort.<br />

Kindlich einfache Antwort<br />

„Oh je, <strong>Peter</strong>, das sind allerdings Fragen über die man sechs Wochen lang<br />

nachdenken kann <strong>und</strong> wenigstens auch sollte. Ich glaube zu verstehen, was du<br />

sagst. Nur ist da nicht auch noch ganz viel anderes, das nicht den Folterkammern<br />

entsprossen ist, das wir von dir erlebt haben <strong>und</strong> das dich doch mit Sicherheit<br />

nicht unglücklich gemacht hat. Das ist doch auch dein Leben. Das<br />

würdest du aber ebenso schlagartig perspektivlos beenden. Ob das Gefühl des<br />

Befreit seins diesen Verlust einfach wird ausgleichen können? Ich weiß es<br />

nicht. Du hast dich doch nicht etwa in mich verliebt?“ fragte ich. <strong>Peter</strong> antwortete<br />

nicht. Schaute in die Gegend <strong>und</strong> schaute mich an. „<strong>Anne</strong>, ich mag dich<br />

gern, sehr gern <strong>und</strong> ich merkte, wie meine Gefühle für dich immer stärker wurden.<br />

Das durfte aber nicht sein. Nur wie sollte ich es mir verbieten? Musste ich<br />

aber, musste mir sagen, wenn ich an dich dachte, nein das kann nicht sein, das<br />

darfst du nicht. Allen würde es pervers erscheinen, nur für mich sollte es normal<br />

sein. Warum? Gott hatte die Welt so eingerichtet, das dies gut <strong>und</strong> normal<br />

war, aber meine Kirche zwang mich, ein Mensch zu sein, wie er von der Evolution<br />

nicht konzipiert war. So habe ich mich zu verhalten <strong>und</strong> schlimmer noch zu<br />

empfinden. Wenn ich normal wie vorgesehen empfinde, mache ich mich persönlich<br />

Gott gegenüber schuldig <strong>und</strong> zeige dadurch ein Verhalten, das nicht<br />

gottgefällig sein soll. Wer kann sich warum so einen Unfug ausdenken. Du hast<br />

mir mit der Warnung vor Missionierungsversuchen von deiner Entscheidung als<br />

Kind erzählt. Du hast mich missioniert. Es ist sehr wichtig, vieles auch mit der<br />

einfachen Klarheit des Kindes sehen zu können. Tausend wissenschaftliche Erläuterungen<br />

können auch den Zweck haben, die einfache schlichte Wahrheit zu<br />

verschleiern. Entscheidend ist nicht das, was an theologischen Expertisen vor-<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 17 von 24


liegt sondern umgekehrt. Die Entscheidungsträger, sprich die Machthabenden,<br />

die trotz all ihrer Gelehrsamkeit über die gleiche psychosoziale Basisstruktur<br />

wie alle Menschen verfügen, bestimmen im Rahmen ihrer Interessen. Dabei<br />

sieht es nicht anders aus als bei dem Richter, der alles entscheiden kann, nur<br />

in der Lage sein muss es begründen zu können. Anders kann es auch bei allen<br />

Entscheidungen, die in der Kirche getroffen worden sind, nicht gewesen sein.<br />

Entscheidungen, die ohne irgendwelche Interessen getroffen werden, gibt es<br />

nicht. Die Entscheidungsträger der Kirche haben aber von Anfang an argumentiert,<br />

als ob sie selbst völlig interesselos seien, sondern nur die Interessen<br />

Christi vertreten würden. Damals wusste man es noch nicht, heute würde man<br />

sagen, durch <strong>und</strong> durch verlogen von Anfang an. Anstatt das Vergangene zu<br />

analysieren <strong>und</strong> gegebenenfalls zu revidieren, hält man bis heute steif an den<br />

alten Dogmen fest <strong>und</strong> selbst das Verfahren in der Kirche hat sich bis heute<br />

kaum geändert. Ich will das nicht mehr sein, dessen Amt mit solchen Begründungen<br />

gerechtfertigt wird.“ erläuterte <strong>Peter</strong>.<br />

„Du hast gesagt, dass du mich magst <strong>und</strong> zu welchen Überlegungen es dich<br />

veranlasst hat, aber so eine kindlich einfache Antwort auf meine Frage habe ich<br />

noch nicht erhalten.“ merkte ich an. „Ich glaube, die gibt es auch nicht, <strong>Anne</strong>.<br />

Sympathisch gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> gut verstanden haben wir uns ja, solange wir uns<br />

kennen. Bei unserer Arbeit zu den Konzerten hat sich das intensiviert. Bei aller<br />

Freude, die es machte, war auch ein Stückchen davon, das es mir dir geschah.<br />

Nach unserem zweiten Essen war ich begeistert von dir <strong>und</strong> deine Erklärungen<br />

zur Pastorale <strong>und</strong> das gemeinsame Hören haben mich fasziniert. Ich hätte dich<br />

umarmen <strong>und</strong> küssen können. Aber allein dieses Bedürfnis zu haben, war ja<br />

schon unerlaubt <strong>und</strong> erst recht, dass es mir immer wieder einfiel <strong>und</strong> das ich<br />

von unserer Situation träumend eingeschlafen bin. Weitere Gedanken über<br />

meine <strong>Liebe</strong> zu dir habe ich mir gar nicht gemacht, sondern über die Perversität<br />

der Verhältnisse unter den ich zu leben habe, in denen mir das verboten ist.<br />

Ich mag dich schon sehr gern, empfinde vieles an dir bew<strong>und</strong>ernswert <strong>und</strong><br />

freue mich wenn wir zusammen sein können. Ob das schon <strong>Liebe</strong> ist, oder eine<br />

Basis auf der sie gut entstehen könnte, ich weiß es nicht. Was meinst du<br />

denn?“ fragte er.<br />

Erste Ausbruchsversuche<br />

„Mh, das ist sehr schwer zu sagen, aber auf jeden Fall reicht es aus, um mir<br />

jetzt mal einen Kuss geben zu können, <strong>und</strong> wenn du sowieso aus deinem Psychoknast<br />

raus willst, wäre es zwingend erforderlich, diesen ersten Ausbruchsversuch<br />

zu wagen.“ schlug ich vor. <strong>Peter</strong> grinste. Wir kamen mit unseren Köpfen<br />

zusammen <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> hielt inne <strong>und</strong> lächelte. „Nu mach schon!“ forderte ich<br />

ihn auf, weil ich befürchtete, dass er sonst den ganzen Abend dicht vor meinem<br />

Gesicht lächelnd verbracht hätte. „Deine Anwesenheit hat mich von Anfang<br />

an auch immer so ein wenig aus der Pastoralmaschine gelöst. Bei dir fühlte<br />

ich mich in einer anderen Welt, die nicht zu dem ganzen Apparat gehörte<br />

von <strong>und</strong> in dem ich sonst lebte, ausschließlich lebte. Es passte mehr zu der<br />

Welt in der ich vorher gelebt hatte. Das war jedes mal bei dir da <strong>und</strong> es gefiel<br />

mir. Ein Bild das jung <strong>und</strong> froh wirkt <strong>und</strong> fre<strong>und</strong>liche Gefühle macht.“ erläuterte<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 18 von 24


<strong>Peter</strong> weiter.<br />

„Das ist alles sehr schön, <strong>Peter</strong>, hört sich w<strong>und</strong>erbar für mich an, <strong>und</strong> es erfreut<br />

mich sehr, wie du mich siehst. Danke. Natürlich bist du für mich immer<br />

ein Mann gewesen, nur was <strong>Liebe</strong>, Erotik, Sexualität betrifft, warst du für mich<br />

ebenso Tabu. Mir hat es aber überhaupt keine Konflikte beschert. Die Frage, ob<br />

ich dich gern küssen würde, ist nie aufgetaucht. Dass ich dich sehr gern mag,<br />

ist über jeden Zweifel erhaben <strong>und</strong> auch das du mir viel bedeutest, nur alles<br />

andere weiß ich gar nicht. Werd ja auch zum ersten Mal damit konfrontiert.<br />

Und dann ist ja auch die Frage mit Männern generell für mich noch nicht geklärt.<br />

Weißt du, ich kenne ja nur meine alte Beziehung, habe ich dir ja erzählt,<br />

so etwas will ich absolut nicht nochmal erleben. Aber wie geht etwas anderes?<br />

Weiß ich gar nicht, kenn ich nur aus Büchern <strong>und</strong> Filmen. Vielleicht könnte man<br />

ja auch etwas Eigenes Tolles erfinden, habe ich mir nur noch nie Gedanken<br />

drüber gemacht. Nicht nur für dich, auch für mich, stellen sich lebensbedeutsame<br />

Fragen. Es ist aber für mich keinesfalls so, dass ich eine Morgensonne mit<br />

leuchtendem Glanz aufgehen sehe. Es scheint mir alles sehr unklar, <strong>und</strong> ich<br />

habe das Empfinden, überhaupt nicht erkennen zu können, was der Tag bringen<br />

will. Es gibt Aspekte, die mich freudig stimmen, aber auch andere, die<br />

mich sehr verwirren. Dass du deine Emotionen <strong>und</strong> Empfindungen zulassen<br />

<strong>und</strong> akzeptieren willst, kann nur richtig sein. Niemand sollte anders verfahren.<br />

Auch unabhängig von der Frage, ob du Priester bleiben willst oder nicht. Wenn<br />

sich daraus Entwicklungen ergeben sollten, bei denen du feststellen musst,<br />

dass beides nicht mehr vereinbar ist, solltest du dann deine Entscheidung treffen,<br />

aber nicht vorher ins Ungewisse theoretische Beschlüsse fassen.“ war meine<br />

Ansicht der Lage. „Kannst du mal konkret sagen, was du dir darunter vorstellst?“<br />

bat <strong>Peter</strong>. „Na klar. Du musst dir zunächst mal Gewissheit darüber verschaffen,<br />

ob es <strong>Liebe</strong> ist, was du für mich empfindest. Und was könnten all<br />

meine Überlegungen für einen Sinn haben, wenn ich das nicht wüsste, mir dessen<br />

unsicher wäre? Aber ich muss ja schließlich auch herausfinden, was du für<br />

mich als Frau bedeutest <strong>und</strong> nicht nur als Kollegin. Darüber müssen wir uns<br />

doch Klarheit verschafft haben, bevor wir Weiteres entscheiden können.“ erläuterte<br />

ich. „Und wie soll so etwas gehen?“ fragte <strong>Peter</strong> skeptisch lächelnd. „<strong>Peter</strong>,<br />

du Triefnase, muss ich es dir denn ganz platt sagen. Ich habe etwa vierzehn<br />

oder fünfzehn Aufnahmen von der Pastorale. Du hast bis jetzt nur eine<br />

davon gehört, danach warst du von mir fasziniert. Vielleicht könnten sich bei<br />

den anderen dreizehn ja noch andere Gefühle bei dir einstellen. Und es wäre<br />

schon wichtig, dass ich dabei wäre, damit du es mich wissen lassen könntest.<br />

Du musst zu mir kommen zum Essen <strong>und</strong> ganz viel Zeit mitbringen, denn das<br />

Landleben folgt einem sanften beschaulichen, aber auch manchmal lebhafterem<br />

Verlauf. Du musst allerdings auch immer damit rechnen, dass es schon<br />

mal stürmisch werden kann, wie du ja weißt.“ machte ich es ihm noch deutlicher.<br />

„Und was ist mit den frohen <strong>und</strong> dankbaren Gefühlen nach dem Sturm?“<br />

wollte <strong>Peter</strong> noch wissen? „Aber <strong>Peter</strong>, das weiß man doch vorher nie. Dazu<br />

musst du doch erst den Sturm erlebt haben. Aber im Prinzip wirst du es in<br />

Form von Hirtengesängen äußern, das wird schon so sein.“ informierte ich ihn<br />

<strong>und</strong> lachte. „<strong>Anne</strong>, jetzt zum Beispiel möchte ich dich küssen.“ so <strong>Peter</strong> <strong>und</strong><br />

ich: „Soll ich mir deine Information notieren? Wäre es nicht besser, du tätest<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 19 von 24


es?“ Zum Abschied blieben wir umschlungen küssend lange bei den Autos<br />

stehen.<br />

Nur gottgefällig<br />

Wir wollten einfach unsere Beziehung leben, so wie wir es wünschten, <strong>und</strong><br />

wenn <strong>Peter</strong> für sich festgestellt hatte, dass dies nur gottgefällig sein könne,<br />

sollte ich es da etwa bezweifeln? Es gestaltete sich nur alles ein wenig kompliziert.<br />

Alles musste ja so lange wie möglich verborgen bleiben. Ich konnte nicht<br />

zu ihm kommen, da sich, auch wenn er keine unmittelbaren Nachbarn hatte,<br />

sicher schnell irgendetwas herumgesprochen hätte. Das Wochenende fiel für<br />

uns in der Regel auch aus, da hier seine Hauptbeschäftigungsphase lag. Ich<br />

ging jetzt manchmal in die Messe, um <strong>Peter</strong> kurz zu sehen, aber nur, wenn es<br />

mit relativ reichlich oder besonderer Musik verb<strong>und</strong>en war. <strong>Peter</strong> konnte gut<br />

singen, er klang w<strong>und</strong>erbar, aber an meinen Kinderkaplan konnte er leider<br />

nicht heranreichen. Vielleicht lag es aber auch daran, das bei einer fast vierzigjährigen<br />

Frau die ergreifenden Empfindungen, die sich körperlich wie ein<br />

durchdringender Schauer auswirken, nicht mehr so leicht erzeugen lassen oder<br />

daran, dass der Klangkörper dieser Kirche so etwas einfach gar nicht hergab.<br />

<strong>Peter</strong> hatte schon mehrere Pastoraleversionen gehört, aber alle durch hatte er<br />

noch lange nicht. Er wusste auch, wie sich die frohen <strong>und</strong> dankbaren Gefühle<br />

nach dem Sturm ausnehmen, dass er sie jedoch immer in Form von Hirtengesängen<br />

äußerte, würde ich stark bezweifeln.<br />

Übergeordnete Instanz<br />

Ohne Zweifel würden wir nicht nur gut sondern auch glücklich zusammenleben<br />

können. Nur wenn wir's machten, war er nicht mehr der Herr Pastor. Wie er<br />

das verarbeiten würde <strong>und</strong> welche Auswirkung es auf ihn hätte, konnte natürlich<br />

keiner abschätzen. Als Philologe mit Mathe <strong>und</strong> Religion würde er wegen<br />

beider Fächer direkt eine Anstellung finden können. Das unser Chef alle ihm<br />

zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen würde, um <strong>Peter</strong> zu uns<br />

an die Schule zu holen, stand außer Frage, aber ob er überhaupt seine Missio,<br />

die kirchliche Lehrerlaubnis, würde behalten dürfen, war noch nicht einmal klar.<br />

Ein ganz anderes Problem sah ich darin, dass für mich nicht nur der Glaube an<br />

die Lehren der römisch-katholischen Kirche, sondern auch an die Existenz aller<br />

außerirdischer höherer Wesen gestorben war. Ich hielt es für müßig, sich danach<br />

zu fragen <strong>und</strong> damit zu beschäftigen. Das war bei <strong>Peter</strong> eben nicht so <strong>und</strong><br />

würde nicht so sein. Seine früheren Überlegungen, die ihn zu der Annahme geführt<br />

hatten, es müsse eine übergeordnete höhere Existenz geben, konnte ich<br />

noch gut nachvollziehen <strong>und</strong> hätte sie eventuell sogar teilen können, nur er<br />

ließ es ja nicht dabei bewenden. Meiner Ansicht nach hatte die Kirche mit <strong>Peter</strong>s<br />

Gottesbegründung überhaupt nichts zu tun, sondern rekurrierte ihre Ansichten<br />

auf einer ganz anderen Basis aus völlig anderen Quellen. Sie war eine<br />

kulturgeschichtlich bedeutsame <strong>und</strong> mächtige Institution, <strong>und</strong> so konnte ich sie<br />

nur betrachten <strong>und</strong> nicht über sie Kontakt zu einer möglichen übergeordneten<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 20 von 24


Instanz aufnehmen. Da würden sich unsere Vorstellungen nicht treffen können.<br />

Was würde es für unser Zusammenleben bedeuten? Würden wir uns später<br />

eventuell ständig darüber auseinandersetzen oder würde es keine Rolle<br />

spielen, würden wir es immer akzeptieren können, wie jetzt in der verliebten<br />

Phase? Wir sprachen oft darüber <strong>und</strong> versprachen uns alles, aber wie das<br />

Leben damit umgehen würde, konnte natürlich niemand voraussehen.<br />

Approbation entziehen<br />

Als uns gegen Ostern, das Versteckspiel, die Heimlichtuerei <strong>und</strong> die ständige<br />

Einschränkung durch <strong>Peter</strong>s Arbeit absolut zu nerven begannen, beschlossen<br />

wir, dass <strong>Peter</strong> es unserem Chef ankündigen solle. Er habe davon gehört, sagte<br />

der, versprach aber, sich für <strong>Peter</strong> einzusetzen. Gehört? Von wem denn? Wer<br />

wollte denn so etwas wissen? Die einzige, der gegenüber ich je etwas davon<br />

erwähnt hatte, war Lizzy Schenk. Sie hatte mich direkt gefragt: „Habt ihr etwas<br />

miteinander? Du hast was mit <strong>Peter</strong>, nicht wahr?“ Einfach nein sagen <strong>und</strong><br />

mich entrüstet geben, wie sie denn auf so etwas kommen könne, das ging gegenüber<br />

Lizzy nicht. Dafür kannten wir uns zu gut <strong>und</strong> mochte ich sie zu gern.<br />

Ich erklärte es ihr, <strong>und</strong> sie schwor hoch <strong>und</strong> heilig, kein Sterbenswörtchen darüber<br />

zu verlieren. Nur sie konnte etwas weitergetragen haben, obwohl ich ihr<br />

das niemals zugetraut hätte. „Lizzy, du hast doch etwas erzählt. Das tut mir<br />

weh, weh für uns beide.“ sprach ich sie an. „Ich? Von euch etwas erzählt? Wer<br />

redet denn so einen Schwachsinn? Kein Wort ist davon über meine Lippen gekommen.<br />

Ich habe nicht einmal mit irgendjemandem über euch gesprochen.<br />

<strong>Anne</strong>, wie kannst du so etwas glauben, ich habe es dir doch versprochen. Was<br />

hältst du denn von mir. Bitte, <strong>Anne</strong>, du musst mir glauben. Ich würde so etwas<br />

doch nie tun.“ reagierte Lizzy entsetzt <strong>und</strong> fassungslos <strong>und</strong> feucht werdenden<br />

Augen. Ich musste ihr glauben, auch wenn es sonst keine Erklärung gab. Es<br />

ließ mich nicht los, ich wollte es wissen <strong>und</strong> fragte den Chef. „Na vom Kollegen<br />

Heinze.“ antwortete der auf meine Frage. „Wie bitte, Kollege Heinze, was weiß<br />

der denn davon?“ fragte ich entsetzt nach. „Na ja, der hat mal vor einiger Zeit<br />

geäußert, Pastor Degen würde wohl über kurz oder lang sein Amt nieder legen.<br />

Da ging ich mal davon aus, dass er bestimmt Näheres wissen würde.“ antwortete<br />

der Chef. Ich überlegte, wie lange auf begründetem Totschlag im Affekt<br />

stand. Dieses Schwein, was konnte er davon haben, derartige Gerüchte in die<br />

Welt zu setzen. Diesem Mann mangelte es nicht nur an der notwendigen Tugend<br />

<strong>und</strong> Harmonie, um Musik unterrichten zu können, es fehlten ihm allem<br />

Anschein nach auch jegliche humanen Gr<strong>und</strong>voraussetzungen, ohne die ein<br />

Mensch niemals pädagogisch tätig werden dürfte. Warum gab es eine Approbation<br />

nur für Schulbücher <strong>und</strong> nicht für die Pädagogen selbst. Der Kollege Heinze<br />

böte fortdauernd Anlässe, ihm diese entziehen zu können.<br />

No more Pastor<br />

Jetzt stand die ganze Fiesta mit der Kirche bevor. Wir hatten mehrfach durchgespielt,<br />

was alles auf <strong>Peter</strong> zukommen würde <strong>und</strong> was ihn erwartete. Für <strong>Peter</strong><br />

stellte sich vieles so dar, dass er es einfach in dem Katalog des zu Erwar-<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 21 von 24


tenden abhaken konnte. Beim Bischof verlief alles sehr harmonisch <strong>und</strong> sachlich,<br />

er bedauerte es zwar, gerade <strong>Peter</strong> zu verlieren, unternahm aber keine<br />

Versuche, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, sondern äußerte nur die<br />

Hoffnung, dass <strong>Peter</strong> sich auch weiterhin für die Kirche engagieren werde. Ob<br />

der Abt Winfried, zu dem er schon sehr lange ein vertrauensvolles Verhältnis<br />

hatte, <strong>und</strong> den er als einen väterlichen Fre<strong>und</strong> bezeichnete, etwas darüber berichtet<br />

hatte? Mit ihm beriet er sich zuerst, als er die Absicht hatte sein Amt<br />

niederzulegen, <strong>und</strong> er war damals auch nicht unwesentlich daran beteiligt gewesen,<br />

dass <strong>Peter</strong> sich dazu entschieden hatte Priester werden zu wollen. Traurig<br />

sah <strong>Peter</strong>s Zukunft aus: No more Pastor. No more Musik. No more Organ in<br />

full blast. Die Dechanei bat ihn jedoch flehentlich, ob es <strong>Peter</strong> denn nicht auch<br />

weiterhin ermöglichen könne, die Organisation der Orgelkonzerte fortzuführen.<br />

Man habe niemanden, der das könne <strong>und</strong> bot ihm jegliche Unterstützung an.<br />

Erwachen heiterer Gefühle<br />

So konnten die heiteren Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande schon erwachen.<br />

Sie erwachten wieder, als der Chef ihm mitteilte, dass er jetzt bei uns<br />

Mathematik unterrichten könne <strong>und</strong> alle katholischen Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />

vor einem sündigen Leben schützen dürfe, <strong>und</strong> sie erwachten ein drittes Mal,<br />

als wir das bei mir feierten. <strong>Peter</strong>s Pfarrei war ein relativ altes schnuckeliges<br />

Haus. Vor allem aber war es viel größer als meine Wohnung. Wir hätten zwar<br />

bei mir zusammen wohnen können, aber ob man ihm das bei den ganzen Umstellungen<br />

auch noch zumuten sollte. Ob er nicht ein Haus brauchte, in dem er<br />

sich auch mal im Sommer von seiner neuen schweren Landarbeit auf der Terrasse<br />

entspannen konnte? Ich sah es so. Bevor nach den Sommerferien das<br />

neue Leben in der Schule begann, konnten wir schon wieder das Erwachen heiterer<br />

Gefühle bei der Ankunft im neuen Haus feiern <strong>und</strong> dabei auch gleichzeitig<br />

frohe <strong>und</strong> dankbare Gefühle nach dem Sturm entwickeln, denn er war vorüber.<br />

Einsamer Hirte<br />

Die großen Harmonien, die sich in unserem Zusammenleben entwickelten,<br />

mussten kosmischer Natur sein, sie basierten zwar auf dem lustigen Zusammensein<br />

der Landleute, nur überstiegen sie es um ein Vielfaches. Es war nicht<br />

mehr die freudige Erinnerung meiner Kindheit an ein glückliches Leben auf<br />

dem Lande, es war die Gegenwart, wie sie von Erwachsenen freudig gestaltet<br />

werden wollte. Das pastorale Landleben war keineswegs idyllisch niedlich, aber<br />

die interstellaren sphärischen Klänge nach denen sich vieles in unserem Leben<br />

jetzt gestaltete, konnte es nicht erzeugen. Trotzdem wollten wir auf die kleine<br />

Wärme der Hirtengesänge in unserem Leben nicht ganz verzichten.<br />

Nur das große Hirtenvolk der Sancta Ecclesia Catholica Romana hatte den Hirten<br />

<strong>Peter</strong> auf eigenen Wunsch aus seinen Reihen relegiert. Jetzt stand er ganz<br />

allein für sich. Der Hirte war einsam. Sollte ich sein einziges Schaf sein? Eigentlich<br />

lieber nicht. Nur, dass mir nichts fehlen, er mein Haupt mit Öl salben<br />

<strong>und</strong> mir reichlich den Becher füllen würde, hörte sich ja nicht mal so schlecht<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 22 von 24


an <strong>und</strong> dass er mir lauter Güte <strong>und</strong> Huld für mein Leben lang versprach auch<br />

nicht. Aber dass er mich auf grüner Aue weiden <strong>und</strong> am Wasser lagern lassen<br />

wollte, musste er mir noch genauer erklären. Auf rechten Pfaden geleiten<br />

brauchte er mich jedenfalls nicht, die würde ich schon alleine finden <strong>und</strong> auch<br />

in Schluchten fürchtete ich kein Unheil, aber nachts jemanden neben sich im<br />

Bett zu wissen, der einen vor der Belästigung durch wilde Tiere <strong>und</strong> sonstige<br />

Feinde schützte? Ich weiß nicht, ob das so ganz verkehrt sein konnte.<br />

FIN<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 23 von 24


Les chefs des peuples se<br />

prennent pour des bergers;<br />

ils ne sont souvent<br />

que des chiens de troupeau.<br />

Gilbert Cesbron<br />

<strong>Anne</strong> mochte <strong>Peter</strong>,<br />

aber <strong>Liebe</strong> würde es nicht<br />

geben.<br />

<strong>Anne</strong> hielt nichts von Kirche<br />

<strong>und</strong> für <strong>Peter</strong> galt der Zölibat.<br />

Banale Ansichten <strong>und</strong><br />

Verbote,<br />

um die <strong>Liebe</strong> sich nicht<br />

kümmert?<br />

Schon möglich, zumal wenn<br />

alles bei Musik geschieht.<br />

<strong>Anne</strong> <strong>und</strong> <strong>Peter</strong> <strong>Verbotene</strong> <strong>Liebe</strong> – Seite 24 von 24

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